Leidensgeschichte Christi, oder von unsrer heiligen Jungfrau, oder aus der Geschichte der Heiligen, haben, ich darf es wohl sa¬ gen, mein Gemüth mehr gesäubert, und meinem inneren Sinne tugendseligere Gesin¬ nungen eingeflößet, als Systeme der Moral und geistliche Betrachtungen. Ich denke un¬ ter andern noch mit Inbrunst an ein über alles herrlich gemahltes Bild unsers heiligen Sebastian, wie er nackt an einen Baum ge¬ bunden steht, ein Engel ihm die Pfeile aus der Brust zieht, und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für sein Haupt bringt. Diesem Gemählde verdanke ich sehr eindringliche und haftende christliche Gesin¬ nungen, und ich kann mir jetzt kaum das¬ selbe lebhaft vorstellen, ohne daß mir die Thränen in die Augen kommen.
Die Lehren der Weisen setzen nur unser Gehirn, nur die eine Hälfte unseres Selbst,
Leidensgeſchichte Chriſti, oder von unſrer heiligen Jungfrau, oder aus der Geſchichte der Heiligen, haben, ich darf es wohl ſa¬ gen, mein Gemüth mehr geſäubert, und meinem inneren Sinne tugendſeligere Geſin¬ nungen eingeflößet, als Syſteme der Moral und geiſtliche Betrachtungen. Ich denke un¬ ter andern noch mit Inbrunſt an ein über alles herrlich gemahltes Bild unſers heiligen Sebaſtian, wie er nackt an einen Baum ge¬ bunden ſteht, ein Engel ihm die Pfeile aus der Bruſt zieht, und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für ſein Haupt bringt. Dieſem Gemählde verdanke ich ſehr eindringliche und haftende chriſtliche Geſin¬ nungen, und ich kann mir jetzt kaum daſ¬ ſelbe lebhaft vorſtellen, ohne daß mir die Thränen in die Augen kommen.
Die Lehren der Weiſen ſetzen nur unſer Gehirn, nur die eine Hälfte unſeres Selbſt,
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Leidensgeſchichte Chriſti, oder von unſrer
heiligen Jungfrau, oder aus der Geſchichte
der Heiligen, haben, ich darf es wohl ſa¬
gen, mein Gemüth mehr geſäubert, und
meinem inneren Sinne tugendſeligere Geſin¬
nungen eingeflößet, als Syſteme der Moral
und geiſtliche Betrachtungen. Ich denke un¬
ter andern noch mit Inbrunſt an ein über
alles herrlich gemahltes Bild unſers heiligen
Sebaſtian, wie er nackt an einen Baum ge¬
bunden ſteht, ein Engel ihm die Pfeile aus
der Bruſt zieht, und ein anderer Engel vom
Himmel einen Blumenkranz für ſein Haupt
bringt. Dieſem Gemählde verdanke ich ſehr
eindringliche und haftende chriſtliche Geſin¬
nungen, und ich kann mir jetzt kaum daſ¬
ſelbe lebhaft vorſtellen, ohne daß mir die
Thränen in die Augen kommen.
Die Lehren der Weiſen ſetzen nur unſer
Gehirn, nur die eine Hälfte unſeres Selbſt,
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/145>, abgerufen am 24.11.2024.
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