Herzensergießungen
eines
kunſtliebenden Kloſterbruders .
Berlin .
Bey Johann Friedrich Unger .
1797 .
An den Leſer dieſer Blätter .
I n der Einſamkeit eines klöſterlichen
Lebens , in der ich nur noch zuweilen
dunkel an die entfernte Welt zurück¬
denke , ſind nach und nach folgende Auf¬
ſätze entſtanden . Ich liebte in meiner
Jugend die Kunſt ungemein , und dieſe
Liebe hat mich , wie ein treuer Freund ,
bis in mein jetziges Alter begleitet : ohne
daß ich es bemerkte , ſchrieb ich aus ei¬
nem innern Drange meine Erinnerun¬
gen nieder , die Du , geliebter Leſer , mit
einem nachſichtsvollen Auge betrachten
mußt . Sie ſind nicht im Ton der heu¬
tigen Welt abgefaßt , weil dieſer Ton
nicht in meiner Gewalt ſteht , und weil
ich ihn auch , wenn ich ganz aufrichtig
ſprechen ſoll , nicht lieben kann .
In meiner Jugend war ich in der
Welt und in vielen weltlichen Geſchäf¬
ten verwickelt . Mein größter Drang war
zur Kunſt , und ich wünſchte ihr mein
Leben und alle meine wenigen Talente
zu widmen . Nach dem Urtheile eini¬
ger Freunde war ich im Zeichnen nicht
ungeſchickt , und meine Kopien ſowohl ,
als meine eigenen Erfindungen misfie¬
len nicht ganz . Aber immer dachte ich
mit einem ſtillen , heiligen Schauer an
die großen , gebenedeyten Kunſtheiligen ;
es kam mir ſeltſam , ja faſt albern vor ,
daß ich die Kohle oder den Pinſel in
meiner Hand führte , wenn mir der
Nahme Raphael's oder Michel Angelo's
in das Gedächtniß fiel . Ich darf es
wohl geſtehen , daß ich zuweilen aus ei¬
ner unbeſchreiblichen wehmüthigen Inn¬
brunſt weinen mußte , wenn ich mir
ihre Werke und ihr Leben recht deutlich
vorſtellte : ich konnte es nie dahin brin¬
gen , — ja ein ſolcher Gedanke würde mir
gottlos vorgekommen ſeyn , — an meinen
auserwählten Lieblingen das Gute von
dem ſogenannten Schlechten zu ſondern ,
und ſie am Ende alle in Eine Reihe zu
ſtellen , um ſie mit einem kalten , kriti¬
ſirenden Blicke zu betrachten , wie es
junge Künſtler und ſogenannte Kunſt¬
freunde wohl jetzt zu machen pflegen .
So habe ich , ich will es frey geſtehn ,
in den Schriften des H. von Ramdohr
nur weniges mit Wohlgefallen geleſen ;
und wer dieſe liebt , mag das , was
ich geſchrieben habe , nur ſogleich aus
der Hand legen , denn es wird ihm
nicht gefallen . Dieſe Blätter , die ich
anfangs gar nicht für den Druck be¬
ſtimmt , widme ich überhaupt nur jun¬
gen angehenden Künſtlern , oder Kna¬
ben , die ſich der Kunſt zu widmen ge¬
denken , und noch die heilige Ehrfurcht
vor der verfloſſenen Zeit in einem ſtil¬
len , unaufgeblähten Herzen tragen . Sie
werden vielleicht durch meine ſonſt un¬
bedeutende Worte noch mehr gerührt ,
zu einer noch tiefern Ehrfurcht bewegt ;
denn ſie leſen mit derſelben Liebe , mit
der ich geſchrieben habe .
Der Himmel hat es ſo gefügt , daß
ich mein Leben in einem Kloſter be¬
ſchließe : dieſe Verſuche ſind daher das
einzige , was ich jetzt für die Kunſt zu
thun im Stande bin . Wenn ſie nicht
ganz mißfallen , ſo folgt vielleicht ein
zweyter Theil , in welchem ich die Be¬
urtheilungen einiger einzelnen Kunſtwerke
widerlegen möchte , wenn mir der Him¬
mel Geſundheit und Muße verleiht , meine
niedergeſchriebenen Gedanken hierüber zu
ordnen , und in einen deutlichen Vor¬
trag zu bringen . —
Raphaels Erſcheinung .
D ie Begeiſterungen der Dichter und Künſt¬
ler ſind von jeher der Welt ein großer An¬
ſtoß und Gegenſtand des Streites geweſen .
Die gewöhnlichen Menſchen können nicht be¬
greifen , was es damit für eine Bewandniß
habe , und machen ſich darüber durchaus ſehr
falſche und verkehrte Vorſtellungen . Daher
ſind über die inneren Offenbarungen der Kunſt¬
genies eben ſo viele Unvernünftigkeiten , in
und außer Syſtemen , methodiſch und un¬
methodiſch abgehandelt und geſchwatzt wor¬
den , als über die Myſterien unſrer heiligen
Religion . Die ſogenannten Theoriſten und
Syſtematiker beſchreiben uns die Begeiſte¬
rung des Künſtlers von Hörenſagen , und
ſind vollkommen mit ſich ſelbſt zufrieden ,
wenn ſie mit ihrer eiteln uud und profanen Phi¬
loſophaſterey umſchreibende Worte zuſam¬
mengeſucht haben , für etwas , wovon ſie
den Geiſt , der ſich in Worte nicht faſſen
läßt , und die Bedeutung nicht kennen . Sie
reden von der Künſtlerbegeiſterung , als von
einem Dinge , das ſie vor Augen hätten ; ſie
erklären es , und erzählen viel davon ; und
ſie ſollten billig das heilige Wort auszuſpre¬
chen erröthen , denn ſie wiſſen nicht , was
ſie damit ausſprechen .
Mit wie unendlich vielen unnützen Wor¬
ten haben ſich nicht die überklugen Schrift¬
ſteller neuerer Zeiten bey der Materie von
den Idealen in den bildenden Künſten ver¬
ſündigt ! Sie geſtehen ein , daß der Mahler
und Bildner zu ſeinen Idealen auf einem
außerordentlicheren Wege , als dem Wege
der gemeinen Natur und Erfahrung gelan¬
gen müſſe ; ſie geben zu , daß dies auf eine
geheimnißvolle Weiſe geſchehe : und doch
bilden ſie ſich und ihren Schülern ein , ſie
wüßten das Wie ; — denn es ſcheint , als
würden ſie ſich ſchämen , wenn irgend etwas
in der Seele des Menſchen verſteckt und
verborgen liegen ſollte , worüber ſie wißbe¬
gierigen jungen Leuten nicht Auskunft geben
könnten .
Andre ſind nun gar in der That ungläu¬
bige und verblendete Spötter , welche das
Himmliſche im Kunſtenthuſiasmus mit Hohn¬
lachen gänzlich abläugnen , und durchaus
keine beſondere Auszeichnung oder Weihe
gewiſſer ſeltener und erhabener Geiſter an¬
nehmen wollen , weil ſie ſich ſelber allzu ent¬
fernt von ihnen fühlen . Dieſe liegen indeſ¬
ſen ganz außer meinem Wege , und ich rede
mit ihnen nicht .
Aber die Afterweiſen , auf welche ich deu¬
tete , wünſche ich zu belehren . Sie verwahr¬
loſen die jungen Gemüther ihrer Schüler ,
indem ſie ihnen ſo kühn und leichtſinnig ab¬
geſprochene Meynungen über göttliche Dinge
beybringen , als wären es menſchliche , und
ihnen dadurch den Wahn einpflanzen , als
ſtände es in ihrer Macht , dreiſt zu ergrei¬
fen , was die größeſten Meiſter der Kunſt , —
ich darf es frey heraus ſagen , — nur durch
göttliche Eingebung erlangt haben .
Man hat ſo manche Anekdoten aufgezeich¬
net und immer wieder erzählt , ſo manche
bedeutende Wahlſprüche von Künſtlern auf¬
behalten und immer wiederhohlt ; und wie
iſt es möglich geweſen , daß man ſie ſo bloß
mit oberflächlicher Bewunderung anhörte , daß
keiner darauf kam , aus dieſen ſprechenden
Zeichen das Allerheiligſte der Kunſt , worauf
ſie hindeuteten , zu ahnden ? und nicht auch
hier , wie in der übrigen Natur , die Spur
von dem Finger Gottes anzuerkennen ?
Ich , für mein Theil , habe von jeher die¬
ſen Glauben bey mir gehegt ; aber mein
dunkler Glauben iſt jetzt zur hellſten Über¬
zeugung aufgeklärt worden . Glücklich bin
ich , daß der Himmel mich auserſehen hat ,
ſeinen Ruhm durch einen einleuchtenden Be¬
weis ſeiner unerkannten Wunder auszubrei¬
ten : es iſt mir gelungen , einen neuen Altar
zur Ehre Gottes aufzubauen . —
Raphael , welcher die leuchtende Sonne
unter allen Mahlern iſt , hat uns in einem
Briefe von ihm an den Grafen von Caſtig¬
lione folgende Worte , die mir mehr werth
ſind als Gold , und die ich nie ohne ein ge¬
heimes dunkles Gefühl von Ehrfurcht und
Anbetuug Anbetung habe leſen können , hinterlaſſen ,
worin er ſagt :
» Da man ſo wenig ſchöne weibliche Bil¬
»dungen ſieht , ſo halte ich mich an ein
»gewiſſes Bild im Geiſte , welches in
»meine Seele kommt . «
Essendo carestia di belle donne , io mi servo di certa
idea che me viene al mente .
Über dieſe bedeutungsvollen Worte nun iſt
mir neulich ganz unerwartet , zu meiner in¬
nigen Freude , ein helles Licht aufgeſteckt
worden .
Ich durchſuchte den Schatz von alten
Handſchriften in unſerm Kloſter , und fand ,
unter manchem nichtsnützigen beſtäubten Per¬
gament , einige Blätter von der Hand des
Bramante , von denen es nicht zu begreifen
iſt , wie ſie an dieſen Ort gekommen ſind .
Auf dem einen Blatte ſtand folgendes ge¬
ſchrieben , wie ich es , ohne weiteren Um¬
ſchweif , zu deutſch hier herſetzen will :
» Zu meinem eigenen Vergnügen , und
um
um es mir genau aufzubewahren , will ich
hier einen wunderbaren Vorfall aufzeichnen ,
welchen der theure Raphael , mein Freund ,
mir unter dem Siegel der Verſchwiegenheit
vertraut hat . Als ich ihm vor einiger Zeit
meine Bewunderung wegen ſeiner über alles
ſchön gemahlten Madonnen und heiligen Fa¬
milien aus vollem Herzen zu erkennen gab ,
und mit recht vielen Bitten in ihn drang ,
mir doch zu ſagen , von woher er denn in
aller Welt die unvergleichliche Schönheit ,
die rührenden Mienen und den unübertreff¬
lichen Ausdruck in ſeinen Bildern der hei¬
ligen Jungfrau entlehnt habe ; ſo ward er ,
nachdem er mich eine Zeitlang mit ſeiner ,
ihm eigenen , jünglinghaften Schaamhaftig¬
keit und Verſchloſſenheit hingehalten hatte ,
endlich ſehr bewegt , fiel mir mit Thränen
um den Hals , und entdeckte mir ſein Ge¬
heimniß . Er erzählte mir , wie er von ſei¬
B
ner zarten Kindheit an , immer ein beſondres
heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in
ſich getragen habe , ſo daß ihm zuweilen
ſchon beym lauten Ausſprechen ihres Na¬
mens ganz wehmüthig zu Muthe geworden
ſey . Nachher , da ſein Sinn ſich auf das
Mahlen gerichtet habe , ſey es immer ſein
höchſter Wunſch geweſen , die Jungfrau Ma¬
ria recht in ihrer himmliſchen Vollkommen¬
heit zu mahlen ; aber er habe es ſich noch
immer nicht getraut . In Gedanken habe
ſein Gemüth beſtändig an ihrem Bilde , Tag
und Nacht , gearbeitet ; allein er habe es ſich
gar nicht zu ſeiner Befriedigung vollenden
können ; es ſey ihm immer geweſen , als wenn
ſeine Phantaſie im Finſtern arbeitete . Und
doch wäre es zuweilen wie ein himmliſcher
Lichtſtrahl in ſeine Seele gefallen , ſo daß er
die Bildung in hellen Zügen , wie er ſie ge¬
wollt , vor ſich geſehen hätte ; und doch wäre
das immer nnr nur ein Augenblick geweſen , und
er habe die Bildung in ſeinem Gemüthe
nicht feſthalten können . So ſey ſeine Seele
in beſtändiger Unruhe herumgetrieben ; er
habe die Züge immer nur umherſchweifend
erblickt , und ſeine dunkle Ahndung hätte
ſich nie in ein klares Bild auflöſen wollen .
Endlich habe er ſich nicht mehr halten kön¬
nen , und mit zitternder Hand ein Gemählde
der heiligen Jungfrau angefangen ; und wäh¬
rend der Arbeit ſey ſein Inneres immer mehr
erhitzt worden . Einſt , in der Nacht , da er ,
wie es ihm ſchon oft geſchehen ſey , im
Traume zur Jungfrau gebetet habe , ſey er ,
heftig bedrängt , auf einmal aus dem Schlafe
aufgefahren . In der finſteren Nacht ſey ſein
Auge von einem hellen Schein an der Wand ,
ſeinem Lager gegenüber , angezogen worden ,
und da er recht zugeſehen , ſo ſey er gewahr
geworden , daß ſein Bild der Madonna , das ,
B 2
noch unvollendet , an der Wand gehangen ,
von dem mildeſten Lichtſtrahle , und ein ganz
vollkommenes und wirklich lebendiges Bild
geworden ſey . Die Göttlichkeit in dieſem
Bilde habe ihn ſo überwältigt , daß er in
helle Thränen ausgebrochen ſey . Es habe
ihn mit den Augen auf eine unbeſchreiblich
rührende Weiſe angeſehen , und habe in je¬
dem Augenblick geſchienen , als wolle es ſich
bewegen ; und es habe ihn gedünkt , als be¬
wege es ſich auch wirklich . Was das wun¬
derbarſte geweſen , ſo ſey es ihm vorgekom¬
men , als wäre dies Bild nun grade das ,
was er immer geſucht , obwohl er immer nur
eine dunkle und verwirrte Ahndung davon
gehabt . Wie er wieder eingeſchlafen ſey ,
wiſſe er ſich durchaus nicht zu erinnern . Am
andern Morgen ſey er wie neugebohren auf¬
geſtanden ; die Erſcheinung ſey ſeinem Ge¬
müth und ſeinen Sinnen auf ewig feſt ein¬
geprägt geblieben , und nun ſey es ihm ge¬
lungen , die Mutter Gottes immer ſo , wie
ſie ſeiner Seele vorgeſchwebt habe , abzubil¬
den , und er habe immer ſelbſt vor ſeinen
Bildern eine gewiſſe Ehrfurcht gefühlt . —
Das erzählte mir mein Freund , mein theurer
Raphael , und es iſt mir dieſes Wunder ſo
wichtig und merkwürdig geweſen , daß ich es
für mich , zu meiner Ergötzung niedergeſchrie¬
ben habe . « —
So iſt der Inhalt des unſchätzbaren Blat¬
tes , welches in meine Hände fiel . Wird man
nun deutlich vor Augen ſehen , was der gött¬
liche Raphael unter den merkwürdigen Wor¬
ten verſteht , wenn er ſagt :
» Ich halte mich an ein gewiſſes Bild
»im Geiſte , welches in meine Seele
»kommt . «
Wird man , durch dieſes offenbare Wunder
der himmliſchen Allmacht belehrt , verſtehen ,
daß ſeine unſchuldige Seele in dieſen ein¬
fachen Worten einen ſehr tiefen und großen
Sinn ausſprach ? Wird man nun nicht end¬
lich begreifen , daß all' das profane Geſchwätz
über Begeiſterung des Künſtlers , wahre Ver¬
ſündigung ſey , — und überführt ſeyn , daß
es dabey doch geradezu auf nichts anderes ,
als den unmittelbaren göttlichen Beyſtand
ankomme ?
Aber ich füge nichts mehr hinzu , um je¬
den , über dieſen ſo wichtigen Gegenſtand der
ernſten Betrachtung , ſeinem eigenen Nach¬
denken zu überlaſſen .
Sehnſucht nach Italien .
D urch einen ſeltſamen Zufall hat ſich fol¬
gendes kleine Blatt bis jetzt bey mir aufbe¬
wahrt , das ich ſchon in meiner frühen Ju¬
gend niederſchrieb , als ich vor dem Wunſche ,
endlich einmal Italien , das gelobte Land
der Kunſt , zu ſehen , keine Ruhe finden
konnte .
Bey Tage und in der Nacht denkt meine
Seele nur an die ſchönen , hellen Gegenden ,
die mir in allen Träumen erſcheinen , und
mich rufen . Wird mein Wunſch , meine Sehn¬
ſucht immer vergebens ſeyn ? So mancher
reiſt hin und kömmt zurück , und weiß dann
nicht wo er geweſen iſt , und was er geſehen
hat , denn keiner liebt ſo innig das Land mit
ſeiner einheimiſchen Kunſt .
Warum liegt es ſo fern von mir , daß es
mein Fuß nicht in einigen Tagereiſen errei¬
chen kann ? daß ich dann vor den unſterb¬
lichen Werken der großen Künſtler nieder¬
knie , und ihnen alle meine Bewunderung
und Liebe bekenne ? daß ihre Geiſter es hö¬
ren , und mich als den getreuſten Schüler
bewillkommen ? —
Wenn zufällig von meinen Freunden die
Landkarte aufgeſchlagen wird , muß ich ſie
immer mit Rührung betrachten ; ich durch¬
wandre mit meinem Geiſte Städte , Flecken
und Dörfer , — ach ! und fühle nur zu bald ,
daß alles nur Einbildung ſey .
Wünſch' ich mir doch kein glänzendes
Glück dieſer Erde ; aber ſoll es mir auch
nicht einmal vergönnt ſeyn , dir , o heilige
Kunſt , ganz zu leben ?
Soll ich in mir ſelbſt verſchmachten ,
Und in Liebe ganz vergehn ?
Wird das Schickſal mein nicht achten ,
Dieſes Sinnen , dieſes Trachten
Stets mit Mißvergnügen ſehn ?
Bin ich denn ſo ganz verloren ,
Den Verſtoßnen zugeweiht ?
O beglückt , wer auserkohren ,
Für die Künſte nur gebohren ,
Ihnen Herz und Leben weiht !
Ach mein Glück liegt wohl noch ferne ,
Kömmt noch lange mir nicht nah !
Freilich zweifelt' ich ſo gerne , —
Doch noch oft drehn ſich die Sterne , —
Endlich , endlich iſt es da !
Dann ohne Säumen ,
Nach langen Träumen ,
Nach tiefer Ruh ,
Durch Wies ' und Wälder ,
Durch blüh'nde Felder
Der Heimath zu !
Mir dann entgegen
Fliegen mit Seegen
Genien , bekränzt
Strahlenumglänzt !
Sie führen den Müden
Dem ſüßen Frieden ,
Den Freuden , der Ruh ,
Der Kunſtheimath zu !
Der merkwürdige Tod
des
zu ſeiner Zeit weit berühmten alten Mahlers
Franceſco Francia ,
des Erſten aus der Lombardiſchen Schule .
S o wie die Epoche des Wiederauflebens
der Wiſſenſchaften und der Gelehrſamkeit
die vielumfaſſendſten , als Menſchen merk¬
würdigſten , und am Geiſte kräftigſten ge¬
lehrten Männer hervorbrachte ; ſo ward auch
die Periode , da die Kunſt der Mahlerey
aus ihrer lange ruhenden Aſche , wie ein
Phönix , hervorging , durch die erhabenſten
und edelſten Männer in der Kunſt bezeich¬
net . Sie iſt als das wahre Heldenalter
der Kunſt anzuſehen , und man möchte ( wie
Oſſian ) ſeufzen , daß die Kraft und Größe
dieſer Heldenzeit nun von der Erde entflohen
iſt . Viele ſtanden an vielen Orten auf , und
erhoben ſich ganz durch eigene Stärke : ihr
Leben und ihre Arbeiten hatten Gewicht , und
waren der Mühe werth , in ausführlichen
Chroniken , wie wir ſie noch von den Hän¬
den damaliger Verehrer der Kunſt beſitzen ,
der Nachwelt aufbewahrt zu werden ; und
ihr Geiſt war ſo ehrwürdig , als es uns noch
ihre bärtigen Häupter ſind , die wir in den
ſchätzbaren Sammlungen ihrer Bildniſſe mit
Ehrfurcht betrachten . Es geſchahen unter ih¬
nen ungewöhnliche , und vielen jetzt unglaub¬
liche Dinge , weil der Enthuſiasmus , der itzt
nur in wenigen einzelnen Herzen , wie ein
ſchwaches Lämpchen flimmert , in jener gol¬
denen Zeit alle Welt entflammte . Die ent¬
artete Nachkommenſchaft bezweifelt oder be¬
lacht ſo manche bewährte Geſchichte aus die¬
ſen Zeiten als Mährchen , weil der göttliche
Funken ganz aus ihrer Seele gewichen iſt .
Eine der merkwürdigſten Geſchichten die¬
ſer Art , die ich nie ohne Staunen habe le¬
ſen können , und bey der mein Herz doch nie
in Verſuchung zu zweifeln geführt ward , iſt
die Geſchichte von dem Tode des uralten
Mahlers Franceſco Francia , welcher
der Ahnherr und Stammvater der Schule
war , die ſich in Bologna und der Lombar¬
dey bildete .
Dieſer Franceſco war von geringen Hand¬
werksleuten gebohren , hatte ſich aber durch
ſeinen unermüdeten Fleiß und ſeinen immer
hinaufſtrebenden Geiſt , zu dem höchſten Gi¬
pfel des Ruhmes aufgeſchwungen . In ſeiner
Jugend war er zuerſt bey einem Goldarbei¬
ter , und er bildete ſo künſtliche Sachen in
Gold und Silber , daß ſie jeden , der ſie ſah ,
in Erſtaunen ſetzten . Auch grub er lange
Zeit die Stempel zu allen Denkmünzen , und
alle Fürſten und Herzoge der Lombardey ſetz¬
ten eine Ehre darin , ſich von ſeinem Griffel
auf ihren Münzen abbilden zu laſſen . Denn
es war damals noch die Zeit , da alle Vor¬
nehmen des Landes und alle Mitbürger den
vaterländiſchen Künſtler durch ihren ewigen ,
lautſchallenden Beyfall ſtolz zu machen ver¬
mochten . Unendlich viele fürſtliche Perſonen
kamen durch Bologna , und verſäumten nicht ,
ihr Bildniß von Franceſco zeichnen , und
nachher in Metall ſchneiden und prägen zu
laſſen .
Aber Franceſco's ewig beweglicher , feuri¬
ger Geiſt ſtrebte nach einem neuen Felde der
Arbeit , und je mehr ſeine heiße Ehrbegier
geſättigt ward , deſto ungeduldiger ward er ,
ſich eine ganz neue , noch unbetretene Bahn
zum Ruhme aufzuſchließen . Schon vierzig
Jahre alt , trat er in die Schranken einer
neuen Kunſt ; er übte ſich mit unbezwing¬
licher Geduld im Pinſel , und richtete ſein
ganzes Nachdenken auf das Studium der
Kompoſition im Großen , und des Effektes
der Farben . Und es war außerordentlich ,
wie ſchnell es ihm gelang , Werke hervorzu¬
bringen , die ganz Bologna in Verwunde¬
rung ſetzten . Er ward in der That ein vor¬
züglicher Mahler ; denn wenn er auch meh¬
rere Mitſtreiter hatte , und ſelbſt der gött¬
liche Raphael zu der Zeit in Rom arbei¬
tete , ſo konnte man immer mit Recht auch
ſeine Werke zu den vornehmſten rechnen .
Denn allerdings iſt die Schönheit in der
Kunſt nicht etwas ſo armes und dürftiges ,
daß eines Menſchen Leben ſie erſchöpfen
könnte ; und ihr Preis iſt kein Loos , das
nur allein auf Einen Auserwählten fällt : ihr
Licht zerſpaltet ſich vielmehr in tauſend Strah¬
len , deren Wiederſchein auf mannigfache
Weiſe von den großen Künſtlern , die der
Himmel auf die Welt geſetzt hat , in unſer
entzücktes Auge zurückgeworfen wird .
Franceſco lebte grade unter der erſten
Generation der edlen italieniſchen Künſtler ,
welche um ſo größere und allgemeinere Ach¬
tung genoſſen , da ſie auf den Trümmern der
Barbarey ein ganz neues , glänzendes Reich
ſtifteten ; und in der Lombardey war grade
Er der Stifter , und gleichſam der erſte Fürſt
dieſer neugegründeten Herrſchaft . Seine ge¬
ſchickte Hand vollendete eine unzählbare Men¬
ge von herrlichen Gemählden , die nicht nur
durch die ganze Lombardey , ( in welcher keine
Stadt von ſich nachſagen laſſen wollte , daß
ſie nicht wenigſtens eine Probe ſeiner Arbeit
beſäße , ) ſondern auch in die andern Gegen¬
den von Italien gingen , und allen Augen ,
die ſo glücklich waren ſie zu betrachten , ſei¬
nen Ruhm laut verkündigten . Die italieni¬
ſchen Fürſten und Herzoge waren eiferſüchtig ,
Bilder
Bilder von ihm zu beſitzen ; und von allen
Seiten ſtröhmten ihm Lobſprüche zu . Rei¬
ſende verpflanzten ſeinen Namen aller Or¬
ten wo ſie hingelangten , und der ſchmeichel¬
hafte Wiederhall ihrer Reden tönte in ſein
Ohr zurück . Bologneſer , die Rom beſuchten ,
prieſen ihren vaterländiſchen Künſtler dem
Raphael , und dieſer , der auch einiges von
ſeinem Pinſel geſehen und bewundert hatte ,
bezeugte ihm in Briefen , mit der ihm eigen¬
thümlichen ſanften Leutſeligkeit , ſeine Ach¬
tung und Zuneigung . Die Schriftſteller der
Zeit konnten ſich nicht enthalten , ſein Lob
in alle ihre Werke einzuflechten ; ſie richten
die Augen der Nachwelt auf ihn , und er¬
zählen mit wichtiger Miene , daß er wie ein
Gott verehrt ſey . Einer von ihnen
Cavazzone . ſogar
iſt kühn genug , zu ſchreiben , daß Raphael ,
auf den Anblick ſeiner Madonnen , die Trocken¬
C
heit , die ihm noch von der Schule von Pe¬
rugia angeklebt , verlaſſen , und einen größe¬
ren Styl angenommen habe .
Was konnten dieſe wiederhohlten Schläge
anders für eine Wirkung auf das Gemüth
unſers Franceſco haben , als daß ſein lebhaf¬
ter Geiſt ſich zu dem edelſten Künſtlerſtolze
empor hob , und er an einen himmliſchen
Genius in ſeinem Inneren zu glauben an¬
fing . Wo findet man jetzt dieſen erhabenen
Stolz ? Vergebens ſucht man ihn unter den
Künſtlern unſrer Zeiten , welche wohl auf
ſich eitel , aber nicht ſtolz auf ihre Kunſt
ſind .
Raphael war der einzige , den er von
allen ihm gleichzeitigen Mahlern allenfalls
für ſeinen Nebenbuhler gelten ließ . Er war
indeß nie ſo glücklich geweſen , ein Bild von
ſeiner Hand zu ſehen , denn er war in ſei¬
nem Leben nie weit von Bologna gekom¬
men . Doch hatte er , nach vielen Beſchrei¬
bungen , ſich in der Idee von der Manier
des Raphaels ein feſtes Bild gemacht , und
ſich , beſonders auch durch deſſen beſcheidenen
und ſehr gefälligen Ton gegen ihn in ſeinen
Briefen , feſt überzeugt , daß er ſelber ihm
in den meiſten Stücken gleich komme , und
es in manchen wohl noch weiter gebracht
habe . Seinem hohen Alter war es vorbe¬
halten , mit ſeinen eigenen Augen ein Bild
von Raphael zu ſehen .
Ganz unerwartet empfing er einen Brief
von ihm , worin jener ihm die Nachricht er¬
theilte , er habe eben ein Altargemählde von
der heiligen Cäcilia vollendet , welches für
die Kirche des heiligen Johannes zu Bologna
beſtimmt ſey ; und dabey ſchrieb er , er werde
das Stück an ihn , als ſeinen Freund , ſen¬
den , und bat , daß er ihm den Gefallen er¬
zeigen möchte , es auf ſeiner Stelle gehörig
C 2
aufrichten zu laſſen , auch , wenn es auf der
Reiſe irgendwo beſchädigt ſey , oder er ſonſt
im Bilde ſelbſt irgend ein Verſehen oder ei¬
nen Fehler wahrnähme , überall als Freund
zu beſſern und nachzuhelfen . Dieſer Brief ,
worin ein Raphael demüthig ihm den Pin¬
ſel in die Hände gab , ſetzte ihn außer ſich
ſelbſt , und er konnte die Ankunft des Bil¬
des nicht erwarten . Er wußte nicht , was
ihm bevorſtand !
Einſt , als er von einem Ausgange nach
Hauſe kam , eilten ſeine Schüler ihm entge¬
gen , und erzählten ihm mit großer Freude ,
das Gemählde vom Raphael ſey indeß an¬
gekommen , und ſie hätten es in ſeinem Ar¬
beitszimmer ſchon in das ſchönſte Licht ge¬
ſtellt . Franceſco ſtürzte , außer ſich , hinein . —
Aber wie ſoll ich der heutigen Welt die
Empfindungen ſchildern , die der außeror¬
dentliche Mann beym Anblick dieſes Bildes
ſein Inneres zerreißen fühlte . Es war ihm ,
wie einem ſeyn müßte , der voll Entzücken
ſeinen von Kindheit an von ihm entfernten
Bruder umarmen wollte , und ſtatt deſſen
auf einmal einen Engel des Lichts vor ſeinen
Augen erblickte . Sein Inneres war durch¬
bohrt ; es war ihm , als ſänke er in voller
Zerknirſchung des Herzens vor einem höhe¬
ren Weſen in die Kniee .
Vom Donner gerührt ſtand er da ; und
ſeine Schüler drängten ſich um den alten
Mann herum , und hielten ihn , fragten ihn ,
was ihn befallen habe ? und wußten nicht
was ſie denken ſollten .
Er hatte ſich etwas erhohlt , und ſtarrte
immerfort das über alles göttliche Bild an .
Wie war er auf einmal von ſeiner Höhe ge¬
fallen ! Wie ſchwer mußte er die Sünde
büßen , ſich allzu vermeſſen bis an die Sterne
erhoben , und ſich ehrſüchtig über Ihn , den
unnachahmlichen Raphael , geſetzt zu haben .
Er ſchlug ſich vor ſeinen grauen Kopf , und
weinte bittere , ſchmerzende Thränen , daß er
ſein Leben mit eitelm , ergeizigen Schweiße
verbracht , und ſich dabey nur immer , thörich¬
ter gemacht habe , und nun endlich , dem
Tode nahe , mit geöffneten Augen auf ſein
ganzes Leben als auf ein elendes , unvollen¬
detes Stümperwerk zurückſehen müſſe . Er
hob mit dem erhobenen Antlitz der heiligen
Cäcilia auch ſeine Blicke empor , zeigte dem
Himmel ſein wundes , reuiges Herz , und be¬
tete gedemüthigt um Vergebung .
Er fühlte ſich ſo ſchwach , daß ſeine Schü¬
ler ihn ins Bett bringen mußten . Beym
Herausgehen aus dem Zimmer fielen ihm ei¬
nige ſeiner Gemählde , und beſonders ſeine
ſterbende Cäcilia , welche noch dort hing , in
die Augen ; und er verging faſt vor Schmerz .
Von der Zeit an war ſein Gemüth in
beſtändiger Verwirrung , und man bemerkte
faſt immer eine gewiſſe Abweſenheit des Gei¬
ſtes bey ihm . Die Schwächen des Alters
und die Ermattung des Geiſtes , welcher ſo
lange in immer angeſtrengter Thätigkeit bey
der Schöpfung von ſo tauſenderley Geſtal¬
ten geweſen war , traten hinzu , um das Haus
ſeiner Seele von Grund aus zu erſchüttern .
Alle die unendlich mannigfaltigen Bildungen ,
die ſich von jeher in ſeinem mahleriſchen
Sinn bewegt hatten , und in Farben und
Linien auf der Leinwand zur Wirklichkeit
übergegangen waren , fuhren jetzt , mit ver¬
zerrten Zügen , durch ſeine Seele , und wa¬
ren die Plagegeiſter , die ihn in ſeiner Fie¬
berhitze ängſtigten . Ehe ſeine Schüler es
ſich verſahen , fanden ſie ihn todt im Bette
liegen . —
So ward dieſer Mann erſt dadurch recht
groß , daß er ſich ſo klein gegen den himm¬
liſchen Raphael fühlte . Auch hat ihn der
Genius der Kuuſt Kunſt , in den Augen der Ein¬
geweihten , längſt heilig geſprochen , und ſein
Haupt mit dem Strahlenkreiſe umgeben , der
ihm als einem ächten Märtyrer des Kunſt¬
enthuſiasmus gebührt . —
Die obige Erzählung von dem Tode des
Franceſco Francia hat uns der alte Vaſari
überliefert , in welchem der Geiſt der Urvä¬
ter der Kunſt noch wehte .
Diejenigen kritiſchen Köpfe , welche an
alle außerordentliche Geiſter , als an überna¬
türliche Wunderwerke , nicht glauben wollen
noch können , und die ganze Welt gern in
Proſa auflöſen möchten , ſpotten über die
Mährchen des alten ehrwürdigen Chroniſten
der Kunſt , und erzählen dreiſt , Franceſco
Francia ſey an Gift geſtorben .
Der Schüler und Raphael .
Z u jener Zeit , als die bewundernde Welt
noch Raphael unter ſich leben ſah , — deſ¬
ſen Name nicht leicht über meine Lippen
geht , ohne daß ich ihn unwillkührlich den
Göttlichen nenne , — zu Zeit , — o wie
gern gäb' ich alle Klugheit und Weisheit
der ſpätern Jahrhunderte hin , um in jenem
geweſen zu ſeyn ! — lebte in einem kleinen
Städtchen des Florentiniſchen Gebiets ein
junger Menſch , den wir Antonio nennen
wollen , welcher ſich in der Mahlerkunſt übte .
Er hatte von Kindheit auf , einen recht eifri¬
gen Trieb zur Mahlerey , und zeichnete als
Knabe ſchon alle Heiligenbilder ämſig nach ,
die ihm in die Hände fielen . Aber bey aller
Stetigkeit ſeines Eifers nnd und ſeiner recht ei¬
ſernen Begier , irgend etwas Vortreffliches
hervorzubringen , beſaß er zugleich eine ge¬
wiſſe Blödigkeit und Eingeſchränktheit des
Geiſtes , bey welcher die Pflanze der Kunſt
immer einen unterdrückten und gebrechlichen
Wuchs behält , und nie frey und geſund zum
Himmel emporſchießen kann : eine unglück¬
liche Conſtellation der Gemüthskräfte , welche
ſchon manche Halbkünſtler auf die Welt ge¬
ſetzt hat .
Antonio hatte ſich ſchon nach verſchiede¬
nen Meiſtern ſeiner Zeit geübt , und es war
ihm ſo weit gelungen , daß ihm ſelber die
Ähnlichkeit ſeiner Nachahmungen ungemeines
Vergnügen machte , und er über ſeine all¬
mähligen Fortſchritte ſehr genaue Rechnung
hielt . Endlich ſah er einige Zeichnungen und
Gemählde Raphaels ; er hatte ſeinen Namen
ſchon oft mit großen Lobeserhebungen aus¬
ſprechen hören , und er ſchickte ſich den Au¬
genblick an , nach den Werken dieſes hoch¬
geprieſenen Mannes zu arbeiten . Als er
aber mit ſeinen Kopieen gar nicht zu Stande
kommen konnte , und nicht wußte , woran es
lag , legte er ungeduldig den Pinſel aus der
Hand , beſann ſich was er thun wollte , und
ſetzte endlich folgendes Schreiben auf :
» An den allervortrefflichſten Mahler ,
Raphael von Urbino . «
» Vergebt mir , daß ich nicht weiß , wie
ich Euch anreden ſoll , denn Ihr ſeyd ein un¬
begreiflicher und außerordentlicher Mann ;
und ich bin überdies gar nicht geübt , die
Feder zu führen . Ich habe auch lange bey
mir überlegt , ob es wohl ſchicklich ſey , daß
ich Euch ſchriebe , ohne Euch von Perſon je¬
mals geſehn zu haben . Aber da man ja
überall von Eurer leutſeligen und freund¬
lichen Gemüthsart reden hört , ſo habe ich
mich es endlich unterſtanden . «
»Doch ich will Euch Eure koſtbare Zeit
nicht mit vielen Worten rauben , denn ich
kann mir denken , wie fleißig Ihr ſeyn müßt ;
ſondern ich will nur gleich mein Herz vor
Euch aufſchließen , und Euch meine Bitte
recht angelegentlich vortragen . «
» Ich bin ein junger Anfänger in der vor¬
trefflichen Mahlerkunſt , welche ich über alles
liebe , und welche mein ganzes Herz erfreut ,
ſo daß ich faſt nicht glauben kann , daß ,
wenn ich , ( wie es natürlich iſt , ) Euch und
andre berühmte Meiſter dieſer Zeiten aus¬
nehme , irgend jemand anders ſolche inner¬
liche Liebe , und ſo einen unaufhörlichen
Drang zu der Kunſt trüge . Ich beſtrebe
mich aufs allerbeſte , dem Ziel , das ich in
der Entfernung vor mir ſehe , immer ein we¬
nig näher zu rücken ; ich bin keinen Tag , ja ,
ich möchte beynahe ſagen , keine Stunde müßig ;
und ich merke , daß ich jeden Tag , ſo wenig
es auch ſeyn mag , weiter komme . Nun habe
ich mich ſchon nach vielen unſrer heutiges
Tages berühmten Männer wohl geübt ; aber
da ich angefangen habe , Eure Arbeiten
nachzumahlen , iſt es mir geweſen , als wenn
ich gar nichts wüßte , und noch einmal von
vorn anfangen ſollte . Ich habe doch ſchon
ſo manchen Kopf auf der Tafel zu Stande
gebracht , woran weder in den Umriſſen , noch
in den Lichtern und Schatten etwas Falſches
oder Unrechtliches gefunden werden mochte ;
aber wenn ich die Köpfe Eurer Apoſtel und
Jünger Chriſti , ſo wie Eurer Madonnen
und Chriſtkindlein , auch Zug für Zug auf
meine Tafel übertrage , mit ſolcher Pünkt¬
lichkeit , daß mir die Augen brechen möch¬
ten , — und ich denn das Ganze überſehe ,
und es mit dem Original vergleiche , ſo bin
ich erſchrocken , daß es himmelweit davon ent¬
fernt , und ein ganz anderes Geſicht iſt . Und
doch ſehen Eure Köpfe , wenn man ſie zum
erſtenmal betrachtet , beynahe leichter aus ,
als andre ; denn ſie haben ein gar zu natür¬
liches Anſehen , und es iſt , als wenn man
darin die Perſonen , die es ſeyn ſollen , gleich
erkennte , und als wenn man ſie ſchon leben¬
dig geſehen hätte . Auch finde ich bey Euch
nicht eben ſolche ſchwere und außerordent¬
liche Verkürzungen der Glieder , womit wohl
andre Meiſter heutiges Tages die Vollkom¬
menheit ihrer Kunſt zu zeigen , und uns arme
Schüler zu quälen pflegen . «
» Darum , ſo viel ich auch immer nachge¬
grübelt habe , weiß ich mir doch durchaus
das Beſondere nicht zu erklären , was Eure
Bilder an ſich haben , und kann gar nicht
ergründen , worin es eigentlich liegt , daß
man Euch nicht recht nachahmen , und Euch
nie ganz und gar erreichen kann . O leiſtet
mir hierin Euren Beyſtand , — ich bitte Euch
dringend und flehentlich darum ; und ſagt
mir , ( denn Ihr könnt es gewiß am beſten , )
was ich thun muß , um Euch nur einiger¬
maßen ähnlich zu werden . O wie tief will
ich mir das einprägen ! wie eifrig will ich es
befolgen ! — Ich bin , — vergebt mir , —
manchmal wohl gar darauf gefallen . Ihr
müßtet irgend ein Geheimniß bey Eurer Ar¬
beit beſitzen , wovon ſich kein anderer Menſch
einen Begriff machen könnte . Gar zu gern
möchte ich Euch nur einen halben Tag lang
bey der Arbeit zuſehen ; doch Ihr laßt viel¬
leicht keinen dazu . Oder , wenn ich ein großer
Herr wäre , würde ich Euch tauſend und
tauſend Goldſtücke für Euer Geheimniß an¬
bieten . «
» Ach habt Nachſicht mit mir , daß ich
mich unterſtehe , ſo vielerley vor Euch zu
ſchwatzen . Ihr ſeyd ein außerordentlicher
Mann , der wohl auf alle andre Menſchen
mit Verachtung herunterſehen muß . «
» Ihr arbeitet wohl Tag und Nacht , um
ſo herrliche Sachen zuwege zu bringen ; und
in Eurer Jugend ſeyd Ihr ſicher in einem
Tage ſo weit gekommen , als ich nicht in ei¬
nem Jahre . Nun , ich will doch auch ins¬
künftige meine Kräfte anſtrengen , ſo viel
ich nur immer vermögend bin . «
» Andere , die heller ſehen als ich , loben
ja auch den Ausdruck in Euren Bildern über
alles , und wollen behaupten , daß niemand
ſo gut wie Ihr , gleichſam die Beſchaffenheit
des Gemüths in den Perſonen vorzuſtellen
wiſſe , ſo daß man aus ihren Mienen und
Gebehrden ſo zu ſagen ihre Gedanken erra¬
then könnte . Doch , auf dieſe Sachen ver¬
ſtehe ich mich nur noch wenig . «
» Ich muß aber endlich aufhören Euch
läſtig zu fallen . Ach was würde es mir für
ein
ein erquickender Troſt ſeyn , wenn Ihr auch
nur mit wenigen Worten Euren Rath er¬
theilet
Eurem
Euch über alles verehrenden
Antonio . «
So lautete Antonio's Sendſchreiben an
Raphael ; — und dieſer ſchrieb ihm lächelnd
folgende Antwort :
» Mein guter Antonio , «
» Es iſt ſchön , daß Du ſo große Liebe zu
der Kunſt trägſt , und Dich ſo fleißig übeſt ;
Du haſt mich ſehr damit erfreut . Aber was
Du von mir zu wiſſen verlangſt , kann ich
Dir leider nicht ſagen ; nicht , weil es ein
Geheimniß , das ich nicht verrathen wollte , —
denn ich wollte es Dir und einem jeden von
Grunde des Herzens gern mittheilen , ſon¬
dern weil es mir ſelber unbekannt iſt . «
» Ich ſehe Dir an , daß Du mir das nicht
D
glauben willſt ; und doch iſt es ſo . So we¬
nig als einer Rechenſchaft geben kann , wo¬
her er eine rauhe oder eine liebliche Stimme
habe , ſo wenig kann ich Dir ſagen , warum
die Bilder , unter meiner Hand , grade eine
ſolche und keine andere Geſtalt annehmen . «
» Die Welt ſucht viel Beſonderes in mei¬
nen Bildern ; und wenn man mich auf dies
und jenes Gute darin aufmerkſam macht , ſo
muß ich manchmal ſelber mein Werk mit
Lächeln betrachten , daß es ſo wohl gelun¬
gen iſt . Aber es iſt wie in einem angeneh¬
men Traum vollendet , und ich habe wäh¬
rend der Arbeit immer mehr an den Gegen¬
ſtand gedacht , als daran , wie ich ihn vor¬
ſtellen möchte . «
» Wenn Du das , was Du etwa an mei¬
nen Arbeiten Eigenthümliches findeſt , nicht
recht begreifen und nachahmen kannſt , ſo ra¬
the ich Dir , lieber Antonio , Dir ſonſt einen
oder den andern der mit Recht berühmten
Meiſter jetziger Zeiten zum Muſter zu er¬
wählen ; denn ein jeder hat etwas Nachah¬
mungswürdiges , und ich habe mich mit Nutzen
nach ihnen gebildet , und nähre mein Auge
noch immer mit ihren mannigfachen Vorzüg¬
lichkeiten . Daß ich nun jetzt aber gerade
dieſe und keine andre Art zu mahlen habe ,
wie denn ein jeder ſeine eigene zu haben
pflegt , das ſcheint meiner Natur von jeher
ſchon ſo eingepflanzet ; ich habe es nicht
durch ſauren Schweiß errungen , und es läßt
ſich nicht mit Vorſatz auf ſo etwas ſtudieren .
Fahre indeſſen fort , Dich mit Liebe in der
Kunſt zu üben , und lebe wohl . «
D 2
Ein Brief
des
jungen Florentiniſchen Mahlers
Antonio
an ſeinen Freund Jacobo in Rom .
Geliebter Bruder ,
W undre Dich nicht , daß ich Dir ſo lange
nicht geſchrieben , denn allerhand Beſchäfti¬
gungen haben mir meine Zeit unglaublich
verkürzt . Aber jetzt will ich Dir öfter ſchrei¬
ben , weil ich Dir als meinem liebſten Freunde
meine Gedanken und Empfindungen mitzu¬
theilen wünſche . Du kennſt meine Klagen ,
daß ich mich ſonſt immer als ein ganz un¬
würdiger , verlorner Schüler der edlen Mah¬
lerkunſt fühlte ; jetzt aber hat meine Seele
einen wunderbaren , unbegreiflichen Schwung
erhalten , ſo daß ich freyer und dreiſter Athem
hohle , und nicht mehr mit ſo demuthsvollem
Erröthen vor den Bildern der großen Mei¬
ſter da ſtehe .
Und wie ſoll ich Dir nun ſchildern , wie
und wodurch ſich dieſes ereignet hat ? Der
Menſch iſt ſehr arm , lieber Jacobo ; denn
wenn er auch einen recht koſtbaren Schatz
im Buſen trägt , ſo muß er ihn wie ein Gei¬
ziger verſchließen , und kann ſeinem Freunde
nichts davon mittheilen oder zeigen . Thrä¬
nen , Seufzer , ein Händedruck ſind dann
unſre ganze Sprache . So iſt es jetzt mit
mir , und darum möcht' ich Dich jetzt vor
mir haben , um Deine liebe Hand zu neh¬
men , und ſie auf mein pochendes Herz zu
legen . — Ich weiß nicht , ob andre Men¬
ſchen ſchon ſo empfunden haben wie ich , —
ob es ſchon andern gegönnt war , durch die
Liebe einen ſo ſchönen Weg zur Anbetung
der Kunſt zu finden . Denn wenn ein Wort
meine Gefühle ausdrücken ſoll , ſo muß es
Liebe ſeyn , die jetzt mein Herz und meinen
Geiſt regiert .
Es iſt mir zu Muthe , als wenn ein Vor¬
hang von meinem Leben hinweggezogen wäre ,
und ich nun erſt das zu ſehn bekäme , was
die Menſchen immer die Natur und die
Schönheit der Welt nennen . Alle Berge ,
alle Wolken , der Himmel und ſein Abend¬
roth ſind jetzt anders und näher zu mir her¬
abgezogen ; mit Liebe und unausſprechlicher
Sehnſucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬
gen , der nun unter den Engeln wohnt , weil
er für uns und dieſe Erde zu gut und zu
erhaben war : heiße Thränen der Begeiſte¬
rung , der reinſten Ehrfurcht treten in mein
irdiſches Auge , und machen meinen Sinn
himmliſchtrunken , wenn ich jetzt vor ſeinen
Werken ſtehe , und ſie mir tief in Sinn und
Herz einpräge . Ich kann nun wohl ſagen ,
daß ich nun erſt fühle , was die Kunſt von
allem übrigen Treiben und Arbeiten der ſterb¬
lichen Menſchen unterſcheidet ; ich bin reiner
und heiliger geworden , und darum bin ich
nun erſt zu den heiligen Altären gelaſſen .
Wie bet' ich jetzt die Mutter Gottes und die
erhabenen Apoſtel in jenen begeiſterten Bil¬
dern an , die ich ſonſt nur mit kaltem Auge
und halbgeübtem Pinſel Zug für Zug nach¬
zeichnen wollte : — jetzt ſtehn mir die Thrä¬
nen in den Augen , meine Hand zittert , mein
innerſtes Herz iſt bewegt , ſo daß ich ( möcht '
ich ſagen ) faſt ohne Bewußtſeyn die Farben
auf die Leinwand trage , und dennoch geräth
es mir ſo , daß ich hernach damit zufrieden
bin . O wenn doch jetzt Raphael noch lebte ,
daß ich ihn ſehn , ihn ſprechen , ihm meine
Gefühle ſagen könnte ! Er muß ſie gekannt
haben , denn ich finde ſie , ich finde mein
ganzes Herz in ſeinen Werken wieder : alle
ſeine Madonnen ſehn meiner geliebten Ama¬
lia ähnlich .
Auch fall' ich jetzt von ſelbſt auf große
und recht dreiſte Erfindungen : ich habe ſchon
einiges angefangen , und in manchen Stun¬
den , wenn ich von der Mahlzeit aufſtehe ,
oder eben ein gleichgültiges Geſpräch geführt
habe , erſtaune ich ſelbſt vor meinem verwe¬
genen Unternehmen . Aber innerlich treibt
mich dann mein Genius wieder an , ſo daß
ich bey alle dem nicht den Muth verliere .
Wie unähnlich die zugeſchloſſene Knoſpe
der prächtigen Lilie iſt , die wie ein großer
ſilberner Stern auf ihrem dunkeln Stengel
nach der Sonne blickt : ſo unähnlich bin ich
mir ſelbſt , gegen meinen vormaligen Zuſtand .
Ich will noch vieles und mit unermüdeten
Kräften arbeiten .
Wenn ich ſchlafe , iſt der Name Amalie
wie ein goldenes , ſchützendes Zelt über mir
ausgeſpannt . Oft wache ich auf , weil ich
dieſen Namen mit ſüßem Klange ausſprechen
höre , als wenn mich eines von den Raphael¬
ſchen Engelskindern neckend und liebkoſend
riefe . Rieſelnde Töne ſchütten dann nach
und nach die Lücke wieder zu , und holdſe¬
lige Träume laſſen ſich wieder mit leiſen
Flügeln auf meine Augen herab . —
Ach , Jacobo , glaube mir , jetzt bin ich
erſt recht Dein Freund , aber ſpotte nicht
über
Deinen
glücklichen Antonio .
Jacob 's Antwort .
Dein lieber Brief , mein ſehr theurer An¬
tonio , hat eine freudige Rührung in mir ver¬
urſacht . Ich brauche Dir nicht Glück zu
wünſchen , denn Du biſt jetzt wahrhaft glück¬
lich , und es ſey ferne von mir , daß ich über
Dich ſpotten könnte , denn dann verdiente
ich nicht die Gnade des Himmels , der mich
zum Werkzeug ſeiner Verherrlichung , zum
Künſtler auserkohren .
Ich begreife recht gut Deinen Trieb zur
Arbeit und Deine ſtets rege Erfindſamkeit .
Ich lobe , ja ich beneide Dich ; aber Du wirſt
es mir nicht übel deuten , wenn ich außer¬
dem noch einige Worte hinzufüge : denn da
ich ſo manches Jahr , ſo manche Erfahrung
vor Dir voraus habe , möchte ich dadurch
vielleicht ein Recht zum Reden haben .
Was Du mir da von der Kunſt ſchreibſt ,
will mir nicht ſo durchaus gefallen . Schon
mancher iſt Deinen Weg gegangen , aber ich
glaube nicht , daß der große Künſtler da ſtehn
bleiben muß , wo Du jetzt ſtehſt . Die Liebe
eröffnet uns freilich die Augen über uns ſel¬
ber und über die Welt , die Seele wird ſtil¬
ler und andächtiger , und aus allen Winkeln
des Herzens brechen tauſend glimmende Em¬
pfindungen in hellen Flammen hervor : man
lernt dann die Religion und die Wunder des
Himmels begreifen , der Geiſt wird demüthi¬
ger und ſtolzer , und die Kunſt redet uns be¬
ſonders mit allen ihren Tönen bis in das
innerſte Herz hinein . Aber nun kömmt der
Künſtler gar zu leicht in Gefahr , ſich in
jedem Kunſtwerke zu ſuchen , alle ſeine Em¬
pfindungen werden nach einer Richtung hin¬
ausſchweifen , und ſo opfert er denn ſein
mannigfaltiges Talent einem einzigen Ge¬
fühle auf . Hüte Dich davor , lieber Anto¬
nio , weil Du ſonſt zur engſten und am En¬
de unbedeutendſten Manier geführt werden
kannſt . Jedes ſchöne Werk muß der Künſt¬
ler in ſich ſchon antreffen , aber nicht ſich
mühſam darin aufſuchen ; die Kunſt muß
ſeine höhere Geliebte ſeyn , denn ſie iſt himm¬
liſchen Urſprungs ; gleich nach der Religion
muß ſie ihm theuer ſeyn ; ſie muß eine reli¬
giöſe Liebe werden , oder eine geliebte Reli¬
gion , wenn ich mich ſo ausdrücken darf : —
nach dieſer darf dann wohl die irdiſche Liebe
folgen . Dann weht ein herrlicher , labender
Wind alle Empfindungen , alle ſchöne Blu¬
men in dieſes eroberte Land hinein , das mit
Morgenroth überzogen , und von heiliger
Wonne durchklungen iſt .
Deute mir dieſe meine Worte nicht übel ,
mein ungemein geliebter Antonio : meine Ver¬
ehrung der Kunſt ſpricht ſo aus mir , und
ſo wirſt Du denn alles zum Beſten ausle¬
gen . — Lebe wohl .
Das Muſter
eines
kunſtreichen und dabey tiefgelehrten Mahlers ,
vorgeſtellt in dem Leben
des
Leonardo da Vinci ,
berühmten Stammvaters der Florentiniſchen Schule .
D as Zeitalter der Wiederaufſtehung der
Mahlerkunſt in Italien hat Männer ans
Licht gebracht , zu denen die heutige Welt
billig wie zu Heiligen in der Glorie hinauf¬
ſehen ſollte . Von ihnen möchte man ſagen ,
daß ſie zuerſt die wilde Natur durch ihre
Zauberkünſte bezwungen und gleichſam be¬
ſchworen , — oder auch , daß ſie zuerſt aus
der verworrenen Schöpfung den Funken der
Kunſt herausgeſchlagen hätten . Ein jeder
von dieſen prangte mit eigenen , nahmhaften
Vollkommenheiten , und es ſind im Tempel
der Kunſt für viele von ihnen Altäre er¬
richtet .
Ich habe mir aus dieſen für jetzt den
berühmten Stammvater der Florentiniſchen
Schule , den nie genug geprieſenen Leonar¬
do da Vinci auserwählt , um ihn , wem
daran gelegen iſt , als das Muſter in einem
wahrhaft gelehrten und gründlichen Studium
der Kunſt , und als das Bild eines unermüd¬
lichen , und dabey geiſtreichen Fleißes , dar¬
zuſtellen . An ihm mögen die lehrbegierigen
Jünger der Kunſt erſehen , daß es nicht da¬
mit gethan ſey , zu einer Fahne zu ſchwören ,
nur ihre Hand in gelenkiger Führung des
Pinſels zu üben , und mit einem leichten und
flüchtigen After-Enthuſiasmus ausgerüſtet ,
gegen das tiefſinnige und auf das wahre
Fundament gerichtete Studium zu Felde zu
ziehen . Ein ſolches Beyſpiel wird ſie beleh¬
ren , daß der Genius der Kunſt ſich nicht
unwillig mit der ernſthaften Minerva zuſam¬
men paart ; und daß in einer großen und
offenen Seele , wenn ſie auch auf Ein Haupt¬
beſtreben gerichtet iſt , doch das ganze , viel¬
fachzuſammengeſetzte Bild menſchlicher Wiſ¬
ſenſchaft ſich in ſchöner und vollkommener
Harmonie abſpiegelt . —
Der Mann , von dem wir reden , erblickte
das Licht der Welt in dem Flecken Vinci ,
welcher unten im Arno-Thale , unweit der
prächtigen Stadt Florenz , belegen iſt . Seine
Geſchicklichkeit und ſein Witz , die er von der
Natur zum Erbtheil bekommen hatte , ver¬
riethen ſich , wie es bey ſolchen auserleſenen
Geiſtern zu geſchehen pflegt , ſchon in ſeiner
zarten Jugend , und ſahen durch die bunten
Figuren , die ſeine kindiſche Hand ſpielend
herausbrachte , deutlich hervor . Dies iſt wie
das erſte Sprudeln einer kleinen , muntern
Quelle , welche nachher zum mächtigen und
bewunderten Strohme wird . Wer es kennt ,
hält das Gewäſſer in ſeinem Laufe nicht zu¬
rück , weil es ſonſt durch Wall und Dämme
bricht ; ſondern läßt ihm ſeinen freyen Wil¬
len . So that Leonardo's Vater , indem er
den Knaben ſeiner ihm von Natur einge¬
pflanzten Neigung überließ , und ihn der
Lehre des ſehr berühmten und verdienten
Mannes , Andrea Verocchio zu Florenz ,
übergab .
Aber ach ! wer kennt und wer nennt un¬
ter uns noch dieſe Namen , die damals wie
funkelnde Sterne am Himmel glänzten ? Sie
ſind untergegangen , und es wird nichts mehr
von ihnen gehört , — man weiß nicht ob ſie
jemals waren .
Und dieſer Andrea Verocchio war keiner
der gemeinſten . Er war dem heiligen Tri¬
folium aller bildenden Künſte , der Mahler¬
Bild¬
Bildner- und Baukunſt ergeben , — wie es
denn dazumal nichts ungewöhnliches war ,
daß für eine ſolche dreyfache Liebe und Fä¬
higkeit , eines Menſchen Geiſt Raum ge¬
nug hatte . Außerdem aber war er in den
mathematiſchen Erkenntniſſen bewandert , und
auch ein eifriger Freund der Muſik . Es mag
wohl ſeyn , daß deſſen Vorbild , welches ſich
früh in die weiche Seele Leonardo's ein¬
drückte , viel auf ihn gewirkt hat ; indeß
mußten die Keime doch auf dem Grunde ſei¬
ner Seele liegen . Aber wer mag überhaupt
bey der Geſchichte der Ausbildung eines
fremden Geiſtes alle die feinen Fäden zwi¬
ſchen Urſachen und Wirkungen auffinden , da
die Seele während ihrer Handlungen ſich
dieſes Zuſammenhanges ſelbſt nicht einmal
immer bewußt iſt .
Zu Erlernung jeder bildenden Kunſt , ſelbſt
wenn ſie ernſthafte oder trübſelige Dinge
E
abſchildern ſoll , gehört ein lebendiges und
aufgewecktes Gemüth ; denn es ſoll ja durch
allmählige mühſame Arbeit endlich ein voll¬
kommenes Werk , zum Wohlgefallen aller
Sinne , hervorgebracht werden , und traurige
und in ſich verſchloſſene Gemüther haben
keinen Hang , keine Luſt , keinen Muth und
keine Stetigkeit hervorzubringen . Solch ein
aufgewecktes Gemüth beſaß der Jüngling
Leonardo da Vinci ; und er übte ſich nicht
nur mit Eifer im Zeichnen und im Setzen
der Farben , ſondern auch in der Bildhauerey ,
und zur Erhohlung ſpielte er auf der Geige ,
und ſang artige Lieder . Wohin alſo ſein
vielbefaſſender Geiſt ſich auch wandte , ſo
ward er immer von den Muſen und Gra¬
zien , als ihr Liebling , in ihrer Atmosphäre
ſchwebend getragen , und berührte nie , auch
in den Stunden der Erhohlung nicht , den
Boden des alltäglichen Lebens . Von allen
Beſchäftigungen aber lag die Mahlerey ihm
zunächſt am Herzen ; und zu ſeines Lehrers
Beſchämung brachte er es darin nach kurzer
Zeit ſo weit , daß er ihn ſelbſt übertraf . Ein
Beweis , daß die Kunſt ſich eigentlich nicht
lernt , und nicht gelehrt wird , ſondern daß
ihr Strohm , wenn er nur auf eine kurze
Strecke geführt und gerichtet iſt , unbeherrſcht
aus eigener Seele quillt .
Da ſeine Einbildung ſo fruchtbar und
reich an allerley bedeutenden und ſprechen¬
den Bildern war , ſo zeigte ſich in ſeiner leb¬
haften Jugend , wo alle Kräfte ſich mit Ge¬
walt in ihm hervordrängten , ſein Geiſt nicht
in gewöhnlichen , unſchmackhaften Nachah¬
mungen , ſondern in außerordentlichen , rei¬
chen , ja faſt ausſchweifenden und ſeltſamen
Vorſtellungen . So mahlte er einſt unſre er¬
ſten Vorältern im Paradieſe , welches er
durch alle mögliche Arten wunderbarer und
E 2
fremdgeſtalteter Thiere , und durch eine un¬
endliche , mühſame Verſchiedenheit der Pflan¬
zen und Bäume , ſo bereicherte und aus¬
ſchmückte , daß man über die Mannigfaltig¬
keit erſtaunen mußte , und ſeine Augen nicht
von dem Bilde abziehen konnte . Noch wun¬
derbarer war der Meduſenkopf , den er einſt
auf ein hölzernes Schild für einen Bauern
mahlte : er ſetzte ihn aus den Gliedern aller
nur erſinnlichen häßlichen Gewürme und
gräulicher Unthiere zuſammen , ſo daß man
gar nichts Erſchrecklicheres ſehen mochte . Die
Erfahrenheit der Jahre ordnete nachher die¬
ſen wilden , üppigen Reichthum in ſeinem
Geiſte .
Aber ich will zur Hauptſache eilen , und
verſuchen , ob ich eine Abſchilderung von
dem vielumfaſſenden Eifer dieſes Mannes
geben kann .
In der Mahlerey trachtete er mit uner¬
müdlicher Begier nach immer höheren Voll¬
kommenheiten , und nicht in einer , ſondern
in allen Arten ; und mit dem Studium der
Geheimniſſe des Pinſels verband er die fleißig¬
ſte Beobachtung , die , als ſein Genius , ihn
durch alle Scenen des gewöhnlichen Lebens
leitete , und ihn auf allen ſeinen Wegen , wo
andre es nicht ahndeten , die ſchönſten Früchte
für ſein Lieblingsfach einſammeln ließ . Alſo
war er ſelber das größeſte Beyſpiel zu den
Lehren , die er in ſeinem vortrefflichen Werke
von der Mahlerey ertheilt , daß nämlich ein
Mahler ſich allgemein machen ſolle , und
nicht alle Dinge nach einem einzigen ange¬
wöhnten Handgriff , ſondern ein jedes nach
ſeiner beſonderen Eigenthümlichkeit darſtellen
müſſe ; — und denn , daß man ſich nicht an
einen Meiſter hängen , ſondern ſelbſt frey
die Natur in allem ihren Weſen erforſchen
ſolle , indem man ſonſt ein Enkel , nicht aber
ein Sohn der Natur genannt zu werden
verdiene .
Aus eben dieſer Schrift , der einzigen un¬
ter ſeinen gelehrten Arbeiten , die zu den
Augen der Welt gelangt iſt , und die man
mit Recht das goldene Buch des Leonardo
nennen könnte , wird uns offenbar , wie tief¬
ſinnig er immer die Lehren und Regeln der
Kunſt mit dem Ausüben derſelben verknüpfte .
Die Beſchaffenheit des menſchlichen Körpers
hatte er in allen nur erſinnlichen Wendun¬
gen und Stellungen , bis auf das kleinſte ,
ſo in ſeiner Gewalt , als wenn er ihn ſelber
geſchaffen hätte ; und immer ging er gerade¬
zu auf den beſtimmten Sinn und die kör¬
perliche ſowohl als geiſtige Bedeutung los ,
die in jeder Figur liegen ſollte . Denn billig
muß , wie auch er ſelbſt in ſeinem Buche zu
verſtehen giebt , ein jedes Kunſtwerk eine
doppelte Sprache reden , eine des Leibes und
eine der Seele . An einigen Orten in ſeinem
Buche giebt er Anleitung , wie man eine
Schlacht , einen Seeſturm , eine große Ver¬
ſammlung mahlen ſolle ; und da iſt ſeine
Einbildung ſo thätig und wirkſam , daß ſie
ſchnell die deutlichſten und ſprechendſten Züge
in Worten zu einem , auffallenden Ganzen
zuſammenträgt .
Leonardo wußte , daß der Kunſtgeiſt eine
Flamme von ganz anderer Natur iſt , als
der Enthuſiasmus der Dichter . Es iſt nicht
darauf angeſehen , etwas ganz aus eigenem
Sinne zu gebähren ; der Kunſtſinn ſoll viel¬
mehr ämſig außer ſich herumſchweifen , und
ſich um alle Geſtalten der Schöpfung mit
behender Geſchicklichkeit herumlegen , und die
Formen und Abdrücke davon in der Schatz¬
kammer des Geiſtes aufbewahren ; ſo daß
der Künſtler , wenn er die Hand zur Arbeit
anſetzt , ſchon eine Welt von allen Dingen
in ſich finde . Leonardo ging nie , ohne ſeine
Schreibtafeln bey ſich zu tragen ; ſein begie¬
riges Auge fand überall ein Opfer für ſeine
Muſe . Dann kann man ſagen , daß man
vom Kunſtſinne ganz durchglüht und durch¬
drungen ſey , wenn man ſo alles um ſich her
ſeiner Hauptneigung unterthänig macht . Je¬
den kleinen Theil des menſchlichen Körpers ,
der ihm an irgend einem Vorübergehenden
wohlgefiel , jede flüchtige reizende Stellung
und Wendung haſchte er auf , und trug es
ſeinem Schatze bey . Es gefielen ihm vor¬
züglich wunderliche Angeſichter mit beſonde¬
ren Haaren und Bärten ; weswegen er ſol¬
chen Leuten manchmal lange nachging , daß
er ſie feſt in ſeinen Sinn faßte , da er ſie
alsdann zu Hauſe ſo natürlich , als ob ſie
ihm gegenwärtig geſeſſen hätten , hinmahlte .
Auch wann zwey Perſonen , ohne daß ſie
einen Zuſchauer zu haben glaubten , ganz
unbefangen und ihrem Willen überlaſſen , mit
einander ſprachen , oder wann ein heftiges
Gezänk entſtand , oder ihm ſonſt menſchliche
Affekten und Gemüthsbewegungen in ihrem
vollen Leben und ihrer ganzen Kraft in den
Weg kamen , ſo verſäumte er niemals , ſich
die Umriſſe und die Zuſammenfügung der
Theile zum Ganzen wohl zu merken . Auch
betrachtete er , was manchem lächerlich vor¬
kommen mag , oft lange und ganz in ſich
verloren , altes Gemäuer , worauf die Zeit
mit allerley wunderbaren Figuren und Far¬
ben geſpielt hatte , oder vielfarbige Steine
mit irgend ſeltſamen Zeichnungen . Daraus
ſprang ihm dann , während des unverrück¬
ten Anſchauens , manche ſchöne Idee von
Landſchaften , oder Schlachtgewimmel , oder
fremden Stellungen und Geſichtern hervor .
Darum giebt er auch in ſeinem Buche ſelbſt
die Regel , dergleichen zur Ergetzung fleißig
zu betrachten , weil der Geiſt durch derglei¬
chen verwirrte Dinge zu Erfindungen aufge¬
muntert werde . — Man ſieht , wie der un¬
gemeine und von keinem nach ihm erreichte
Geiſt des Leonardo , aus allen Dingen , auch
den geringgeachteſten und kleinſten , Gold
zu ziehen wußte .
In der Wiſſenſchaft ſeiner Kunſt war
vielleicht nie ein Mahler erfahrner und ge¬
lehrter als er . Die Kenntniß der inneren
Theile des menſchlichen Körpers und des
ganzen Räder- und Hebelwerks dieſer Ma¬
ſchine , — die Kenntniß des Lichts und der
Farben , und wie beyde auf einander wirken ,
und ſich eines mit dem andern vermählt , —
die Lehre von den Verhältniſſen , nach wel¬
chen die Dinge in der Entfernung kleiner
und ſchwächer erſcheinen ; — alle dieſe Wiſ¬
ſenſchaften , welche in der That zu dem wah¬
ren , urſprünglichen Fundamente der Kunſt
gehören , hatte er bis in ihre tiefſten Ab¬
gründe durchdrungen .
Wie aber ſchon erwähnt iſt , ſo war er
nicht bloß ein großer Mahler , ſondern auch
ein guter Bildhauer , wie auch ein anſehn¬
licher Baumeiſter . Er war in allen Zweigen
der mathematiſchen Wiſſenſchaften erfahren ;
ein tiefer Kenner der Muſik , ein angenehmer
Sänger und Spieler auf der Geige , und ein
ſinnreicher Dichter . Kurz , wenn er in den fa¬
belhaften Zeiten gelebt hätte , ſo wäre er un¬
fehlbar für ein Sohn des Apollo gehalten wor¬
den . Ja , er hatte ſeine Luſt daran , ſich in aller¬
ley Fertigkeiten , wenn ſie auch ganz außer
ſeinem Wege lagen , hervorzuthun . So war
er im reiten und regieren der Pferde , ſo wie
auch in der Führung des Degens ſo wohl
geübt , daß ein Unwiſſender hätte meynen
ſollen , er habe ſein ganzes Leben hindurch
dieſem allein obgelegen . Mit wunderbaren
mechaniſchen Kunſtſtücken , und mit den ge¬
heimen Kräften der Naturkörper war er ſo
vertraut , daß er einſt , bey einer feyerlichen
Gelegenheit , die Figur eines Löwen von
Holz machte , welcher ſich ſelbſt bewegte ; und
ein andermal hatte er aus einem gewiſſen
dünnen Zeuge kleine Vögel gebildet , welche
von ſelbſt frey in die Luft emporſchwebten .
So hatte ſein Geiſt einen angebohrnen Reiz ,
immer etwas Neues zu erſinnen , der ihn in
beſtändiger Thätigkeit und Anſtrengung er¬
hielt . Alle ſeine Talente aber wurden durch
edle und einnehmende Sitten , wie Edelge¬
ſteine durch eine goldene Einfaſſung erhöht .
Und damit der außerordentliche Mann auch
den gemeinſten und blödeſten Augen hervor¬
ſtechend und ausgezeichnet erſcheinen möchte ,
ſo hatte die freygebige Natur ihn ausdrück¬
lich mit einer wunderbaren Leibesſtärke , und
zu allem dem endlich mit einer ſehr ehrwür¬
digen Bildung , und einem Geſichte , das
man lieben und verehren mußte , begabt .
Der forſchende Geiſt der ernſthaften Wiſ¬
ſenſchaften ſcheinet dem bildenden Geiſte der
Kunſt ſo ungleichartig , daß man faſt , dem
erſten Anblicke nach , zwey verſchiedene Gat¬
tungen von Weſen für beyde glauben möchte .
Und in der That ſind nur wenige Sterbliche
ſo eingerichtet , daß ſie dieſem zwiefachen
Genius opfern könnten . Welcher aber in
ſeiner eigenen Seele die Heimath aller der
Erkenntniſſe und Kräfte , worin ſonſt viele
ſich theilen , findet , und weſſen Geiſt , mit
gleichem Eifer und Glücke , durch Schlüſſe
der Vernunft Wahrheiten ausrechnet , und
Einbildungen ſeines inneren Sinnes durch
Mühſamkeit der Hand in ſichtbare Darſtel¬
lungen hervordrängt : — ein ſolcher muß der
ganzen Welt Erſtaunen und Bewunderung
abnöthigen . Und wenn er überdies nicht
bloß einer einzigen Kunſt ergeben iſt , ſon¬
dern mehrere in ſich vereinigt , ihre geheime
Verwandtſchaft fühlt , und die göttliche Flam¬
me , die in allen weht , in ſeinem Inneren
empfindet ; ſo iſt dieſer Mann von der Hand
des Himmels gewiß auf eine wunderbare
Weiſe vor andern Menſchen hervorgehoben ,
und es werden viele mit ihren Gedanken
nicht einmal an ihn heranreichen können . —
Der Hof des mayländiſchen Herzogs ,
Lodovico Sforza , war der Hauptſchauplatz ,
wo Leonardo da Vinci , als oberſter Vorſte¬
her der Akademie , ſeine vielfachen Geſchick¬
lichkeiten entfaltete . Hier zeigte er ſich in
vortrefflichen Gemählden und Bildwerken ;
hier verbreitete er ſeinen guten Geſchmack in
Gebäuden ; er war förmlich unter der Zahl
der Tonkünſtler als Spieler auf der Geige
angeſtellt ; er führte mit tiefer Einſicht den
ſchweren Bau eines Waſſerkanals über Berge
und Thäler , — und ſo ſtellte er bloß in ſei¬
ner Perſon faſt eine ganze Akademie aller
menſchlichen Erkenntniſſe und Fertigkeiten
vor . Ehe er den Bau des Kanals übernahm ,
begab er ſich nach Valverola , dem Landſitz
eines ſeiner angeſehenen Freunde , und legte
ſich dort , unter Begünſtigung der ländlichen
Muſe , mit großem Fleiß auf das Mathe¬
matiſche der Baukunſt . Auf dieſem ſtillen
Landſitz brachte er nachher etliche Jahre zu ,
lag mit philoſophiſchem Geiſte den mathe¬
matiſchen , und allen nur irgend zu einer
gründlichen Theorie der bildenden Künſte ge¬
hörigen Studien ob , und verlor ſich ganz
in tiefſinnige Spekulationen . Das Gepräge
der in ſich gekehrten Weisheit trug er auch
in ſeinem Äußeren . indem er ſich Haar und
Bart ſo lang hatte wachſen laſſen , daß er
das Anſehen eines Einſiedlers hatte ; — wie
denn einige in ſeinem unermüdeten Fleiß
auch den Bewegungsgrund finden wollen ,
daß er zeitlebens unverheirathet blieb . —
Während des Aufenthaltes in ſeiner länd¬
lichen Einſamkeit trug er nun auch die Re¬
ſultate ſeines Studiums , durch ſeinen Geiſt
geſeigert geſteigert und geläutert , und mit ſeinen eige¬
nen ſehr ſcharfſinnigen Gedanken und Beob¬
achtungen verſetzt , in ausführlichen Werken
zuſammen , welche ſich , von ſeiner eigenen
theuren Hand geſchrieben , noch itzt in dem
großen ambroſianiſchen Bücherſchatze zu May¬
land befinden .
Aber ach ! es iſt auch dieſe , wie ſo manche
andre uralte , mit ehrwürdigem Staube be¬
deckte Handſchrift in den Bücherſchätzen der
Großen , ein unangerührtes Heiligthum , vor
welchem die unverſtändigen Söhne unſers
Zeitalters , höchſtens mit einer leeren Ehr¬
furchtsbezeugung , vorübergehn . Das Ma¬
nuſcript wartet noch auf denjenigen , welcher
den
den Geiſt des alten Mahlers , der darin ver¬
zaubert ſchläft , daraus erwecken , und aus
den lange getragenen Banden erlöſen ſoll .
Alle die Schönheiten und das Vortreff¬
liche in den vielen Gemählden unſers Leo¬
nardo aus einander zu ſetzen , iſt meine Feder
nicht im Stande . Sein berühmteſtes Bild
iſt wohl die Vorſtellung des heiligen Abend¬
mahles in dem Refektorium der Dominika¬
ner zu Mayland . Man bewundert darin
den ſeelenvollen Ausdruck in den Köpfen der
Jünger Chriſti , wie jeder den Herrn zu fra¬
gen ſcheinet : Herr ! bin ich's ? Die alten
Anekdotenſammler der Kunſt erzählen , daß
Leonardo , nachdem er die übrigen Figuren
vollendet , eine Weile gezögert , und immer
bey ſich überlegt und nachgedacht , oder , ( um
vielleicht eigentlicher zu reden , ) auf glückliche
Eingebungen geharret habe , wie er das ver¬
rätheriſche Geſicht des Judas , und das er¬
F
habene Antlitz Jeſu , recht vollkommen aus¬
drücken ſolle ; worauf der Prior des Kloſters
einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬
ſtandes gegeben , indem er ihn , wie einen
Tagelöhner , über ſein Zögern zur Rede ge¬
ſtellt habe .
Noch eines Gemähldes des Leonardo muß
ich , eines merkwürdigen Umſtandes halber ,
gedenken . Ich meyne das Bildniß der Liſa
del Giocondo , ( der Gemahlinn des Fran¬
ceſco , ) an welchem er vier Jahre arbeitete ,
ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬
arbeitung jedes Härchens , den Geiſt und
das Leben des Ganzen zu erſticken . So oft
nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß ,
rief er allemal einige Perſonen herzu , die ſie
durch eine angenehme und muntre Muſik
auf Inſtrumenten , mit der menſchlichen Stim¬
me begleitet , aufheitern mußten . Ein ſehr
ſinnreicher Einfall , wegen deſſen ich den
Leonardo immer bewundert habe . Er wußte
nur zu wohl , daß bey Perſonen , welche zum
Mahlen ſitzen , ſich gewöhnlich eine trockene
und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte
einzufinden pflegt , und daß eine ſolche Mie¬
ne , wenn ſie im Gemählde in bleibenden
Zügen feſtgehalten wird , ein ungefälliges oder
wohl gar finſteres Anſehen gewinnt . Dage¬
gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen
Muſik , wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬
ſichts abſpiegelt , wie ſie alle Züge auflöſt ,
und in ein liebliches , reges Spiel ſetzt . So
trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes
lebendig auf die Tafel über , und wußte
bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬
dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen ,
daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf .
Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬
nardo Schule ausgegangen , und wie ange¬
ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬
F 2
ben war , läßt ſich gedenken . Als er einſt
in einem Kloſter vor Florenz nur den Ent¬
wurf zu einem großen Altarblatte gemacht
hatte , ward der Ruf dieſes Entwurfs ſo
groß , daß zwey Tage lang eine Menge
Volks aus der Stadt dahin wallfahrtete ,
und man hätte meynen ſollen , es würde ein
Feſt oder eine Proceſſion gehalten .
In Florenz hatte Leonardo da Vinci ſich
wieder aufgehalten , ſeitdem , in den kriege¬
riſchen Zeiten von Italien , der Herzog Lo¬
dovico Sforza von Mayland eine gänzliche
Niederlage erlitten hatte , und die Akademie
zu Mayland ganz zerſtiebt war . In ſeinem
hohen Alter ward er noch von König Franz
dem Erſten , aus Florenz nach Frankreich
berufen .
Der Monarch ſchätzte ihn über alles hoch ,
und empfing den alten fünf und ſiebzigjäh¬
rigen Mann mit beſonderer Freundlichkeit
und Achtung . Allein es war ihm nicht be¬
ſchieden , ſein Leben in dem ihm neuen Lande
noch hoch zu bringen . Die Beſchwerlichkei¬
ten der Reiſe und die Verſchiedenheit der
Landesart mußten ihm die Krankheit zuge¬
zogen haben , die ihn nicht lange nach ſeiner
Ankunft befiel . Der König beſuchte ihn
fleißig in ſeiner Krankheit , und bezeigte ſich
ſehr beſorgt um ihn . Als er einſt auch zu
ihm kam , an ſein Lager trat , und der alte
Mann ſich im Bette aufrichten wollte , um
dem Könige für ſeine Gnade zu danken ,
ward er unvermerkt von einer Schwachheit
überfallen , — der König unterſtützte ihn mit
ſeinen Armen , — aber der Athem ging ihm
aus , — und der Geiſt , der ſo viele und
große Dinge gewirkt hatte , welche noch jetzt
in ihrer Vollkommenheit beſtehen , war durch
einen einzigen Hauch , wie ein Blatt von
der Erde , weggeweht . —
Wenn der Glanz der Kronen das Licht
iſt , welches das Gedeihen der Künſte vor¬
züglich befördert , ſo kann man die Scene ,
die an dem Ende von Leonardo's Leben
ſteht , gewiſſermaßen als eine Apotheoſe des
Künſtlers anſehen ; in den Augen der Welt
wenigſtens mußte es für alle Thaten des
großen Mannes ein würdiger Lohn erſchei¬
nen , in den Armen eines Königs zu er¬
blaſſen . ——
Man wird mich nun vielleicht fragen :
Ob ich denn nun dieſen hier ſo hochgeprieſe¬
nen Leonardo da Vinci als den vortrefflich¬
ſten , und als das Haupt aller Mahler auf¬
ſtellen , und alle Schüler auffordern wollte ,
daß ſie gerade ſo zu werden ſtreben ſollten ,
wie er ?
Aber anſtatt zu antworten , frage ich wie¬
der : Ob es denn nicht erlaubt ſey , ſeinen
Blick einmal abſichtlich auf den großen und
betrachtungswürdigen Geiſt eines einzigen
Mannes zu beſchränken , um ſeine eigenthüm¬
lichen Vortrefflichkeiten einmal recht für ſich ,
in ihrem Zuſammenhange zu überſchauen ? —
und ob man wohl ſo dreiſt , mit der an¬
maßenden Strenge eines Richteramtes , die
Künſtler nach Maaß und Gewicht ihrer Ver¬
dienſte in Reih' und Glied ſtellen könne ,
wie die Lehrer der Moral tugend- und la¬
ſterhafte Menſchen , nach genauen Regeln
des Ranges , über- und untereinander zu
ſetzen ſich vermeſſen ?
Ich meyne , man könne Geiſter von ſehr
verſchiedener Beſchaffenheit , die beyde große
Eigenſchaften haben , beyde bewundern . Die
Geiſter der Menſchen ſind eben ſo unendlich¬
mannigfaltig , als es ihre Geſichtsbildungen
ſind . Und nennen wir nicht das ehrwürdige ,
faltenreiche , weisheitsvolle Antlitz des Grei¬
ſes eben ſo wohl ſchön , als das unbefan¬
gene , Empfindung-athmende , zauberhafte
Geſicht der Jungfrau ?
Allein bey dieſer bildlichen Vorſtellung
möchte mir jemand ſagen : Wenn aber das
Loſungswort Schönheit ertönt , drängt ſich
dir da nicht unwillkührlich aus innerer Seele
das letztere Bild , das Bild der Venus Ura¬
nia in deinem Buſen hervor ?
Und hierauf weiß ich freylich nichts zu
antworten .
Wer bey meinem zwiefachen Bilde , wie
ich , an den Geiſt des Mannes , den wir
eben geſchildert haben , und an den Geiſt
desjenigen , den ich den Göttlichen zu nen¬
nen pflege , gedenkt , wird in dieſer Gleich¬
nißrede vielleicht Stoff zum Nachſinnen fin¬
den . Dergleichen Phantaſeyen , die uns in
den Sinn kommen , verbreiten oftmals auf
wunderbare Weiſe ein helleres Licht über ei¬
nen Gegenſtand , als die Schlußreden der
Vernunft ; und es liegt neben den ſogenann¬
ten höheren Erkenntnißkräften ein Zauber¬
ſpiegel in unſrer Seele , der uns die Dinge
manchmal vielleicht am kräftigſten dargeſtellt
zeigt . —
Zwey Gemähldeſchilderungen .
E in ſchönes Bild oder Gemählde iſt , mei¬
nem Sinne nach , eigentlich gar nicht zu be¬
ſchreiben ; denn in dem Augenblicke , da man
mehr als ein einziges Wort darüber ſagt ,
fliegt die Einbildung von der Tafel weg ,
und gaukelt für ſich allein in den Lüften .
Drum haben die alten Chronikenſchreiber der
Kunſt mich ſehr weiſe gedünket , wenn ſie
ein Gemählde bloß : ein vortreffliches , ein
unvergleichliches , ein über alles herrliches
nennen ; indem es mir unmöglich ſcheint ,
mehr davon zu ſagen . Indeſſen iſt es mir
beygefallen , ein paar Bilder einmal auf die
folgende Art zu ſchildern , wovon ich die
zwey Proben , die mir von ſelbſt in den
Sinn gekommen ſind , um der eignen Art
willen , ohne daß ich dieſe Art für etwas ſehr
Vorzügliches halten mag , doch zu Jeder¬
manns Anſicht herſetzen will .
Erſtes Bild .
Die heilige Jungfrau mit dem Chriſtuskinde ,
und der kleine Johannes .
Maria .
Warum bin ich doch ſo überſelig ,
Und zum allerhöchſten Glück erleſen ,
Das die Erde jemals tragen mag ?
Ich verzage bey dem großen Glücke ,
Und ich weiß nicht Dank dafür zu ſagen ,
Nicht mit Thränen , nicht mit lauter Freude .
Nur mit Lächeln und mit tiefer Wehmuth
Kann ich auf dem Götterkinde ruhen ,
Und mein Blick vermag es nicht , zum Himmel ,
Und zum güt'gen Vater aufzuſteigen .
Nimmer werden meine Augen müde ,
Dieſes Kind , das mir im Schooße ſpielet ,
Anzuſehn mit tiefer Herzensfreude .
Ach ! und welche fremde , große Dinge ,
Die das unſchuldvolle Kind nicht ahndrt ahndet ,
Leuchten aus den klugen blauen Augen ,
Und aus all' den kleinen Gaukeleyen !
Ach ! ich weiß nicht was ich ſagen ſoll !
Dünkt michs doch , ich ſey nicht mehr auf dieſer Erde ,
Wenn ich in mir recht lebendig denke :
Ich , ich bin die Mutter dieſes Kindes .
Das Jeſuskind .
Hübſch und bunt iſt die Welt um mich her !
Doch iſt's mir nicht wie den andern Kindern ,
Doch kann ich nicht recht ſpielen ,
Nichts feſt angreifen mit der Hand ,
Nicht lautjauchzend frohlocken .
Was ſich lebendig
Vor meinen Augen regt und bewegt ,
Kommt mir vor , wie vorbeygehend Schattenbild
Und artiges Blendwerk .
Aber innerlich bin ich froh ,
Und denke mir innerlich ſchönere Sachen ,
Die ich nicht ſagen kann .
Der kleine Johannes .
Ach ! wie bet' ich es an , das Jeſuskindlein !
Ach wie lieblich und voller Unſchuld
Gaukelt es in der Mutter Schooß ! —
Lieber Gott im Himmel , wie bet' ich heimlich zu Dir ,
Und danke Dir ,
Und preiſe Dich um Deine große Gnade ,
Und flehe Deinen Segen herab auch für mich !
Zweytes Bild .
Die Anbetung der drey Weiſen aus dem
Morgenlande .
Die drey Weiſen .
Siehe ! aus dem fernen Morgenlande
Kommen wir , vom ſchönen Stern geführet ,
Wir , drey Weiſen aus dem fernen Lande ,
Wo die Sonn' in ihrer Pracht hervorgeht .
Lange Jahre haben wir nach Weisheit ,
Nach der Weisheit Urquell hingetrachtet ,
Haben viel erdacht in unſerm Geiſte ;
Und dabey hat uns der Herr der Dinge
Kron' und Zepter gnädiglich verliehen ,
Und bey unſrer langen Geiſtesarbeit
Uns mit ſilberweißem Haupt geſegnet .
Doch , wir kommen jetzt dahergezogen ,
Aus dem Lande , wo die Sonn ' emporſteigt ,
Um die ganze Weisheit unſrer Jahre ,
Unſre ganze Wiſſenſchaft und Kenntniß ,
Ach ! vor Dir , Du wunderbares Kindlein ,
Demuthvoll hier in den Staub zu legen ,
Und in unſern goldnen Königsmänteln ,
Und mit unſern ſilberweißen Häuptern ,
Ehrfurchtsvoll uns hier vor Dir zu beugen ,
Hier zu huldigen und anzubeten .
Und zum Zeichen unſrer tiefen Ehrfurcht
Bringen wir Dir Myrrhen , Gold und Weihrauch ,
Als ein würdig Opfer unſrer Andacht ,
Wie wir es zu geben nur vermögen .
Maria .
Ach ! preiſe , meine Seele , den Herrn !
Daß er mich ſo herrlich gemacht hat ,
So hoch erhoben vor allem Volke !
Daß ich das Kindlei n gebohren habe ,
Das mir im Schooße ſpielet ,
Das die Weiſen anzubeten
Aus dem fernen Morgenlande herziehn !
Ach ! mein Auge vermag 's nicht zu ertragen ,
Und mein Herz bricht !
Alle tiefe Weisheit ihrer Jahre
Legen ſie vor dem Kindlein in den Staub :
Ihre Kniee gebeugt ,
Ihre Häupter zur Erde geneigt ,
Und am Boden liegen die goldnen Königsmäntel .
Gold , und Weihrauch , und Myrrhen
Bringen ſie zum Opfer ;
Ach ! dem Kind ' ein groß und herrlich Opfer ! —
O wie ſelig iſt die Mutter innerlich !
Aber ich vermag den weiſen Männern
Nicht für ihre große Huld zu danken ,
Nicht den Blick zum Himmel aufzuheben .
Aber herrliche und große Dinge
Stehen innerlich mir im Gemüthe .
Das Jeſuskindlein .
Schön muß wohl das ferne Land ſeyn ,
Wo die helle Sonn ' emporſteigt ;
Denn wie herrlich ſind die Männer !
Aber wie ſo alt und prächtig ?
Ach ! das iſt die tiefe Weisheit ,
Daß ſie goldne Königsmäntel ,
Silberweiße Häupter haben .
Und recht wunderbare Dinge
Haben ſie mir hergetragen !
Und doch knie 'n ſie vor mir nieder , —
Seltſam ſcheinen mir die Männer ,
Und ich weiß mir nicht zu ſagen ,
Wie ich ſie recht nennen ſoll .
Einige
Einige Worte
über
Allgemeinheit , Toleranz
und
Menſchenliebe
in der Kunſt .
D er Schöpfer , welcher unſre Erde und al¬
les was darauf iſt gemacht hat , hat das
ganze Erdenrund mit ſeinem Blick umfaßt ,
und den Strohm ſeines Segens über den
ganzen Erdkreis ausgegoſſen . Aber aus ſei¬
ner geheimnißvollen Werkſtatt hat Er tau¬
ſenderley unendlich-mannigfaltige Keime der
Dinge über unſre Kugel hergeſtreut , die un¬
endlich-mannigfaltige Früchte tragen , und
zu Seiner Ehre zu dem größeſten , bunteſten
Garten hervorſchießen . Auf wunderbare Weiſe
führt Er ſeine Sonne um den Erdball in
G
gemeſſenen Kreiſen herum , daß ihre Strah¬
len in tauſend Richtungen zur Erde kommen ,
und unter jedem Himmelsſtriche das Mark
der Erde zu verſchiedenartigen Schöpfungen
auskochen und hervortreiben .
Mit gleichem Auge ruht Er in einem
großen Moment auf dem Werk ſeiner Hän¬
de , und empfängt mit Wohlgefallen das
Opfer der ganzen lebendigen und lebloſen
Natur . Das Brüllen des Löwen iſt Ihm ſo
angenehm wie das Schreyen des Rennthiers ;
und die Aloe duftet Ihm eben ſo lieblich als
Roſe und Hyacinthe .
Auch der Menſch iſt in tauſendfacher Ge¬
ſtalt aus Seiner ſchaffenden Hand gegan¬
gen : — die Brüder eines Hauſes kennen
ſich nicht , und verſtehen ſich nicht ; ſie reden
verſchiedene Sprachen , und ſtaunen über ein¬
ander : — aber Er kennt ſie alle , und freuet
ſich aller ; mit gleichem Auge ruht Er auf
ſeiner Hände Werk , und empfängt das Opfer
der ganzen Natur .
Auf mancherley Weiſe hört Er die Stim¬
men der Menſchen von den himmliſchen
Dingen durcheinander reden , und weiß daß
alle , — alle , wär' es auch wider ihr Wiſſen
und Willen , — dennoch Ihn , den Unnenn¬
baren , meynen .
So hört Er auch die innere Empfindung
der Menſchen in verſchiedenen Zonen und in
verſchiedenen Zeitaltern verſchiedene Spra¬
chen reden , und hört , wie ſie mit einander
ſtreiten und ſich nicht verſtehen : aber dem
ewigen Geiſte löſt ſich alles in Harmonie
auf ; er weiß , daß ein jeder die Sprache re¬
det , die Er ihm angeſchaffen hat , daß ein
jeder ſein Inneres äußert wie er kann und
ſoll ; — wenn ſie in ihrer Blindheit unter
einander ſtreiten , ſo weiß und erkennet Er ,
daß für ſich ein jeglicher Recht hat ; er ſieht
G 2
mit Wohlgefallen auf jeden und auf alle ,
und freut ſich des bunten Gemiſches .
Kunſt iſt die Blume menſchlicher Em¬
pfindung zu nennen . In ewig wechſelnder
Geſtalt erhebt ſie ſich unter den mannigfal¬
tigen Zonen der Erde zum Himmel empor ,
und dem allgemeinen Vater , der den Erd¬
ball mit allem was daran iſt , in ſeiner Hand
hält , duftet auch von dieſer Saat nur ein
vereinigter Wohlgeruch .
Er erblickt in jeglichem Werke der Kunſt ,
unter allen Zonen der Erde , die Spur von
dem himmliſchen Funken , der , von Ihm aus¬
gegangen , durch die Bruſt des Menſchen
hindurch , in deſſen kleine Schöpfungen über¬
ging , aus denen er dem großen Schöpfer
wieder entgegenglimmt . Ihm iſt der go¬
thiſche Tempel ſo wohlgefällig als der Tem¬
pel des Griechen ; und die rohe Kriegsmuſik
der Wilden iſt Ihm ein ſo lieblicher Klang ,
als kunſtreiche Chöre und Kirchengeſänge .
Und wenn ich nun von Ihm , dem Un¬
endlichen , durch die unermeßlichen Räume
des Himmels , wieder zur Erde gelange , und
mich unter meinen Mitbrüdern umſehe , —
ach ! ſo muß ich laute Klagen erheben , daß
ſie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬
mel ſo wenig ähnlich zu werden ſich beſtre¬
ben . Sie zanken mit einander , und verſte¬
hen ſich nicht , und ſehen nicht , daß ſie alle
nach demſelben Ziele eilen , weil jeder mit
feſtem Fuße auf ſeinem Standort ſtehen
bleibt , und ſeine Augen nicht über das
Ganze zu erheben weiß .
Blöden Menſchen iſt es nicht begreiflich ,
daß es auf unſerer Erdkugel Antipoden gebe ,
und daß ſie ſelber Antipoden ſind . Sie den¬
ken ſich den Ort , wo ſie ſtehen , immer als
den Schwerpunkt des Ganzen , — und ih¬
rem Geiſte mangeln die Schwingen , das
ganze Erdenrund zu umfliegen , und das in
ſich ſelbſt gegründete Ganze mit einem
Blicke zu umſpielen .
Und eben ſo betrachten ſie ihr Gefühl
als das Centrum alles Schönen in der Kunſt ,
und ſprechen , wie vom Richterſtuhle , über Al¬
les das entſcheidende Urtheil ab , ohne zu
bedenken , daß ſie niemand zu Richtern ge¬
ſetzt hat , und daß diejenigen , die von ihnen
verurtheilt ſind , ſich eben ſowohl dazu auf¬
werfen könnten .
Warum verdammt ihr den Indianer nicht ,
daß er indianiſch , und nicht unſre Sprache
redet ? —
Und doch wollt ihr das Mittelalter ver¬
dammen , daß es nicht ſolche Tempel baute ,
wie Griechenland ? —
O ſo ahndet euch doch in die fremden
Seelen hinein , und merket , daß ihr mit eu¬
ren verkannten Brüdern die Geiſtesgaben
aus derſelben Hand empfangen habt ! Be¬
greifet doch , daß jedes Weſen nur aus den
Kräften , die es vom Himmel erhalten hat ,
Bildungen aus ſich herausſchaffen kann , und
daß einem jeden ſeine Schöpfungen gemäß
ſeyn müſſen . Und wenn ihr euch nicht in
alle fremde Weſen hineinzu fühlen , und
durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu
empfinden vermöget ; ſo verſuchet wenig¬
ſtens , durch die Schlußketten des Verſtan¬
des mittelbar an dieſe Überzeugung heranzu¬
reichen . —
Hätte die ausſäende Hand des Himmels
den Keim deiner Seele auf die afrikaniſchen
Sandwüſten fallen laſſen , ſo würdeſt du al¬
ler Welt das glänzende Schwarz der Haut ,
das dicke , ſtumpfe Geſicht , und die kurzen ,
krauſen Haare , als weſentliche Theile der
höchſten Schönheit angepredigt , und den er¬
ſten weißen Menſchen verlacht oder gehaßt
haben . Wäre deine Seele einige hundert
Meilen weiter nach Oſten , auf dem Boden
von Indien aufgegangen , ſo würdeſt du in
den kleinen , ſeltſamgeſtalteten , vielarmigen
Götzen den geheimen Geiſt fühlen , der , un¬
ſern Sinnen verborgen , darinnen weht , und
würdeſt , wenn du die Bildſäule der medi¬
cäiſchen Venus erblickteſt , nicht wiſſen was
du davon halten ſollteſt . Und hätte es Dem¬
jenigen , in deſſen Macht du ſtandeſt und
ſtehſt , gefallen , dich unter die Schaaren ſüd¬
licher Inſulaner zu werfen , ſo würdeſt du in
jedem wilden Trommelſchlag , und den rohen ,
gellenden Schlägen der Melodie , einen tie¬
fen Sinn finden , von dem du jetzt keine
Sylbe faſſeſt . Würdeſt du aber in irgend
einem dieſer Fälle , die Gabe der Schöpfung
oder die Gabe des Genuſſes der Kunſt , aus
einer andern Quelle , als aus der ewigen
und allgemeinen , der du auch jetzt alle deine
Schätze verdankeſt , empfangen haben ? —
Das Einmaleins der Vernunft folgt un¬
ter allen Nationen der Erde denſelben Ge¬
ſetzen , und wird nur hier auf ein unendlich
größeres , dort auf ein ſehr geringes Feld
von Gegenſtänden angewandt . — Auf ähn¬
liche Weiſe iſt das Kunſtgefühl nur ein
und derſelbe himmliſche Lichtſtrahl , welcher
aber , durch das mannigfach-geſchliffene Glas
der Sinnlichkeit unter verſchieden Zonen ſich
in tauſenderley verſchiedene Farben bricht .
Schönheit : ein wunderſeltſames Wort !
Erfindet erſt neue Worte für jedes einzelne
Kunſtgefühl , für jedes einzelne Werk der
Kunſt ! In jedem ſpielt eine andere Farbe ,
und für ein jedes ſind andere Nerven in
dem Gebäude des Menſchen geſchaffen .
Aber ihr ſpinnt aus dieſem Worte , durch
Künſte des Verſtandes , ein ſtrenges Sy ¬
ſtem , und wollt alle Menſchen zwingen ,
nach euren Vorſchriften und Regeln zu füh¬
len , — und fühlet ſelber nicht .
Wer ein Syſtem glaubt , hat die
allgemeine Liebe aus ſeinem Herzen ver¬
drängt ! Erträglicher noch iſt Intoleranz des
Gefühls , als Intoleranz des Verſtandes ; —
Aberglaube beſſer als Syſtemglaube . —
Könnt ihr den Melancholiſchen zwingen ,
daß er ſcherzhafte Lieder und muntern Tanz
angenehm finde ? Oder den Sanguiniſchen ,
daß er ſein Herz den tragiſchen Schreckniſ¬
ſen mit Freude darbiete ?
O laſſet doch jedes ſterbliche Weſen und
jedes Volk unter der Sonne bey ſeinem
Glauben und ſeiner Glückſeligkeit ! und freuet
euch , wenn andere ſich freuen , — wenn ihr
euch auch über das , was ihnen das liebſte
und wertheſte iſt , nicht mit zu freuen verſteht .
Uns , Söhnen dieſes Jahrhunderts , iſt der
Vorzug zu Theil geworden , daß wir anf auf
dem Gipfel eines hohen Berges ſtehen , und
daß viele Länder und viele Zeiten unſern
Augen offenbar , um uns herum und zu un¬
ſern Füßen ausgebreitet liegen . So laſſet
uns denn dieſes Glück benutzen , und mit hei¬
tern Blicken über alle Zeiten und Völker
umherſchweifen , und uns beſtreben , an al¬
len ihren mannigfaltigen Empfindungen und
Werken der Empfindung immer das Menſch¬
liche herauszufühlen . — —
Jegliches Weſen ſtrebt nach dem Schön¬
ſten : aber es kann nicht aus ſich heraus¬
gehen , und ſieht das Schönſte nur in ſich .
So wie in jedes ſterbliche Auge ein anderes
Bild des Regenbogens kommt , ſo wirft ſich
jedem , aus der umgebenden Welt , ein an¬
deres Abbild der Schönheit zurück . Die all¬
gemeine , urſprüngliche Schönheit aber , die
wir nur in Momenten der verklärten An¬
ſchauung nennen , nicht in Worte auflöſen
können , zeigt ſich Dem , der den Regenbo¬
gen , und das Auge , das ihn ſiehet , gemacht
hat .
Ich habe meine Rede angefangen von
Ihm , und ich kehre wieder zu Ihm zurück : —
wie der Geiſt der Kunſt , — wie aller Geiſt
von Ihm ausgeht , und durch die Atmos¬
phäre der Erde , Ihm zum Opfer wieder
entgegendringt . —
Ehrengedächtniß
unſers
ehrwürdigen Ahnherrn
Albrecht Dürers .
Von einem kunſtliebenden Kloſterbruder .
N ürnberg ! du vormals weltberühmte Stadt !
Wie gerne durchwanderte ich deine krummen
Gaſſen ; mit welcher kindlichen Liebe betrachtete
ich deine altväteriſchen Häuſer und Kirchen ,
denen die feſte Spur von unſrer alten va¬
terländiſchen Kunſt eingedrückt iſt ! Wie in¬
nig lieb' ich die Bildungen jener Zeit , die
eine ſo derbe , kräftige und wahre Sprache
führen ! Wie ziehen ſie mich zurück in jenes
graue Jahrhundert , da du , Nürnberg , die
lebendigwimmelnde Schule der vaterländi¬
ſchen Kunſt warſt , und ein recht fruchtbarer ,
überfließender Kunſtgeiſt in deinen Mauern
lebte und webte : — da Meiſter Hans Sachs
und Adam Kraft , der Bildhauer , und vor
allen , Albrecht Dürer mit ſeinem Freunde ,
Wilibaldus Pirkheimer , und ſo viel andre
hochgelobte Ehrenmänner noch lebten ! Wie
oft hab' ich mich in jene Zeit zurückge¬
wünſcht ! Wie oft iſt ſie in meinen Gedan¬
ken wieder von neuem vor mir hervorgegan¬
gen , wenn ich in deinen ehrwürdigen Bücher¬
ſälen , Nürnberg , in einem engen Winkel ,
beym Dämmerlicht der kleinen , rundſcheibi¬
gen Fenſter ſaß , und über den Folianten
des wackern Hans Sachs , oder über ande¬
rem alten , gelben , wurmgefreſſenen Papier
brütete ; — oder wenn ich unter den kühnen
Gewölben deiner düſtern Kirchen wandelte ,
wo der Tag durch buntbemahlte Fenſter all
das Bildwerk und die Mahlereyen der alten
Zeit wunderbar beleuchtet ! — —
Ihr wundert euch wieder , und ſehet mich
an , ihr Engherzigen und Kleingläubigen ! O
ich kenne ſie ja , die Myrthenwälder Ita¬
liens , — ich kenne ſie ja , die himmliſche
Gluth in den begeiſterten Männern des be¬
glückten Südens : — was ruft ihr mich hin ,
wo immer Gedanken meiner Seele wohnen ,
wo die Heimath der ſchönſten Stunden mei¬
nes Lebens iſt ! — ihr , die ihr überall Grän¬
zen ſehet , wo keine ſind ! Liegt Rom und
Deutſchland nicht auf einer Erde ? Hat der
himmliſche Vater nicht Wege von Norden
nach Süden , wie von Weſten nach Oſten
über den Erdkreis geführt ? Iſt ein Men¬
ſchenleben zu kurz ? Sind die Alpen unüber¬
ſteiglich ? — Nun ſo muß auch mehr als
eine Liebe in der Bruſt des Menſchen woh¬
nen können . — —
Aber jetzt wandelt mein traurender Geiſt
auf der geweiheten Stätte vor deinen
Mauern , Nürnberg ; auf dem Gottesacker ,
wo die Gebeine Albrecht Dürers ruhen , der
einſt die Zierde von Deutſchland , ja von
Europa war . Sie ruhen , von wenigen be¬
ſucht , unter zahlloſen Grabſteinen , deren je¬
der mit einem ehernen Bildwerk , als dem
Gepräge der alten Kunſt , bezeichnet iſt , und
zwiſchen denen ſich hohe Sonnenblumen in
Menge erheben , welche den Gottesacker zu
einem lieblichen Garten machen . So ruhen
die vergeſſenen Gebeine unſers alten Albrecht
Dürers , um deſſentwillen es mir lieb iſt , daß
ich ein Deutſcher bin .
Wenigen muß es gegeben ſeyn , die Seele
in deinen Bildern ſo zu verſtehen , und das
Eigne und Beſondere darin mit ſolcher In¬
nigkeit zu genießen , als der Himmel es mir
vor vielen andern vergönnt zu haben ſchei¬
net ; denn ich ſehe mich um , und finde we¬
nige , die mit ſo herzlicher Liebe , mit ſolcher
Verehrung vor dir verweilten , als ich .
Iſt
Iſt es nicht , als wenn die Figuren in
dieſen deinen Bildern wirkliche Menſchen
wären , welche zuſammen redeten ? Ein jeg¬
licher iſt ſo eigenthümlich geſtempelt , daß
man ihn aus einem großen Haufen heraus¬
kennen würde ; ein jeglicher ſo aus der
Mitte der Natur genommen , daß er ganz
und gar ſeinen Zweck erfüllt . Keiner iſt mit
halber Seele da , wie man es öfters bey ſehr
zierlichen Bildern neuerer Meiſter ſagen möch¬
te ; jeder iſt im vollen Leben ergriffen , und
ſo auf die Tafel hingeſtellt . Wer klagen ſoll ,
klagt ; wer zürnen ſoll , zürnt ; und wer be¬
ten ſoll , betet . Alle Figuren reden , und re¬
den laut und vernehmlich . Kein Arm bewegt
ſich unnütz , oder bloß zum Augenſpiel und
zur Füllung des Raums ; alle Glieder , alles
ſpricht uns gleichſam mit Macht an , daß
wir den Sinn und die Seele des Ganzen
recht feſt im Gemüthe faſſen . Wir glauben
H
alles , was der kunſtreiche Mann uns dar¬
ſtellt ; und es verwiſcht ſich nie aus unſerm
Gedächtniß .
Wie iſt's , daß mir die heutigen Künſtler
unſers Vaterlands ſo anders erſcheinen , als
jene preiswürdigen Männer der alten Zeit ,
und du vornehmlich , mein geliebter Dürer ?
Wie iſt's , daß es mir vorkommt , als wenn
ihr alle die Mahlerkunſt weit ernſthafter ,
wichtiger und würdiger gehandhabt hättet ,
als dieſe zierlichen Künſtler unſrer Tage ?
Mich dünkt , ich ſehe euch , wie ihr nachden¬
kend vor eurem angefangenen Bilde ſtehet , —
wie die Vorſtellung , die ihr ſichtbar machen
wollt , ganz lebendig eurer Seele vorſchwebt , —
wie ihr bedächtlich überlegt , welche Mienen
und welche Stellungen den Zuſchauer wohl
am ſtärkſten und ſicherſten ergreifen , und
ſeine Seele beym Anſehen am mächtigſten
bewegen möchten , — und wie ihr dann , mit
inniger Theilnahme und freundlichem Ernſt ,
die eurer lebendigen Einbildung befreunde¬
ten Weſen , auf die Tafel treu und langſam
auftraget . — Aber die Neueren ſcheinen
gar nicht zu wollen , daß man ernſthaft an
dem , was ſie uns vorſtellen , Theil nehmen
ſolle ; ſie arbeiten für vornehme Herren , welche
von der Kunſt nicht gerührt und veredelt ,
ſondern aufs höchſte geblendet und gekitzelt
ſeyn wollen ; ſie beſtreben ſich , ihr Gemählde
zu einem Probeſtück von recht vielen lieb¬
lichen und täuſchenden Farben zu machen ;
ſie prüfen ihren Witz in Ausſtreuung des
Lichtes und Schattens ; — aber die Men¬
ſchenfiguren ſcheinen öfters bloß um der Far¬
ben und um des Lichtes willen , wahrlich ich
möchte ſagen , als ein nothwendiges Übel im
Bilde zu ſtehen .
Wehe muß ich rufen über unſer Zeital¬
ter , daß es die Kunſt ſo bloß als ein leicht¬
H 2
ſinniges Spielwerk der Sinne übt , da ſie
doch wahrlich etwas ſehr Ernſthaftes und Er¬
habenes iſt . Achtet man den Menſchen nicht
mehr , daß man ihn in der Kunſt vernach¬
läßigt , und artige Farben und allerhand
Künſtlichkeit mit Lichtern , der Betrachtung
würdiger findet ? —
In den Schriften des von unſerm Albrecht
ſehr hochgeſchätzten und vertheidigten Mar¬
tin Luthers , worin ich , wie ich nicht un¬
gern geſtehe , einiges aus Wißbegier wohl
geleſen habe , und in welchen viel Gutes
verborgen ſeyn mag , habe ich über die Wich¬
tigkeit der Kunſt eine merkwürdige Stelle
gefunden , die mir jetzt lebhaft ins Gemüth
kommt . Denn es behauptet dieſer Mann
irgendwo ganz dreiſt und ausdrücklich : daß
nächſt der Theologie , unter allen Wiſſen¬
ſchaften und Künſten des menſchlichen Gei¬
ſtes , die Muſik den erſten Platz einnehme .
Und ich muß offenherzig bekennen , daß die¬
ſer kühne Ausſpruch meine Blicke ſehr auf
den ausgezeichneten Mann hingerichtet hat .
Denn die Seele , aus welcher ein ſolcher
Ausſpruch kommen konnte , mußte für die
Kunſt grade diejenige tiefe Verehrung em¬
pfinden , welche , ich weiß nicht woher , in ſo
wenigen Gemüthern wohnt , und welche ,
nach meinem Bedünken , doch ſo ſehr natür¬
lich und ſo bedeutend iſt .
Wenn nun die Kunſt , ( ich meyne , ihr
Haupt- und weſentlicher Theil , ) wirklich von
ſolcher Wichtigkeit iſt ; ſo iſt es ſehr unwür¬
dig und leichtſinnig , ſich von den ſprechen¬
den und lehrreichen Menſchenfiguren unſers
alten Albrecht Dürers hinwegzuwenden , weil
ſie nicht mit der gleißenden äußeren Schön¬
heit , welche die heutige Welt für das Ein¬
zige und Höchſte in der Kunſt hält , ausge¬
ſtattet ſind . Es verräth nicht ein ganz ge¬
ſundes und reines Gemüth , wenn ſich je¬
mand vor einer geiſtlichen Betrachtung , welche
an ſich triftig und eindringend iſt , die Oh¬
ren zuhält , weil der Redner ſeine Worte
nicht in zierlicher Ordnung ſtellet , oder weil
er eine üble , fremde Ausſprache , oder ein
ſchlechtes Spiel mit Händen an ſich hat .
Hindern mich aber dergleichen Gedanken ,
dieſe äußere , und ſo zu ſagen , bloß kör¬
perliche Schönheit der Kunſt , wo ich ſie
finde , nach Verdienſt zu ſchätzen und zu be¬
wundern ?
Auch wird dir das , mein geliebter Albrecht
Dürer , als ein grober Verſtoß angerechnet ,
daß du deine Menſchenfiguren nur ſo be¬
quem neben einander hinſtellſt , ohne ſie künſt¬
lich durch einander zu verſchränken , daß ſie
ein methodiſches Gruppo bilden . Ich liebe
dich in dieſer deiner unbefangenen Einfalt ,
und hefte mein Auge unwillkührlich zuerſt
auf die Seele und tiefe Bedeutung dei¬
ner Menſchen , ohne daß mir dergleichen Ta¬
delſucht nur in den Sinn kommt . Viele Per¬
ſonen aber ſcheinen von derſelben , wie von
einem böſen , quälenden Geiſte , ſo geplagt ,
daß ſie dadurch zu verachten und zu verhöh¬
nen angereizt werden , ehe ſie ruhig betrach¬
ten können , — und am allerwenigſten über
die Schranken der Gegenwart ſich in die
Vorzeit hinüberzuſetzen vermögen . Gern will
ich euch zugeben , ihr eifrigen Neulinge , daß
ein junger Schüler jetzt klüger uad und gelehrter
von Farben , Licht und Zuſammenfügung der
Figuren reden mag , als der alte Dürer es
verſtand ; ſpricht aber ſein eigener Geiſt aus
dem Knaben , oder nicht vielmehr die Kunſt¬
weisheit und Erfahrung der vergangenen Zei¬
ten ? Die eigentliche , innere Seele der Kunſt
faſſen nur einzelne auserwählte Geiſter auf
einmal , mag auch ſchon die Führung des
Pinſels noch ſehr mangelhaft ſeyn ; alle die
Außenwerke der Kunſt hingegen werden nach
und nach , durch Erfindung , Übung und
Nachdenken zur Vollkommenheit gebracht .
Es iſt aber eine ſchnöde und betrauernswer¬
the Eitelkeit , die das Verdienſt der Zeiten
ihrem eigenen ſchwachen Haupte zur Krone
aufſetzt , und ihre Nichtigkeit unter erborg¬
tem Glanze verſtecken will . Hinweg , ihr
weiſen Knaben , von dem alten Künſtler von
Nürnberg ! — und daß keiner verſpottend
ihn zu richten ſich vermeſſe , der noch kin¬
diſch darüber naſerümpfen kann , daß er
nicht Tizian und Correggio zu Lehrmeiſtern
hatte , oder , daß man zu ſeiner Zeit ſo ſelt¬
ſam altfränkiſche Kleidung trug !
Denn auch um deßwillen wollen die heu¬
tigen Lehrer ihn , ſo wie manchen andern
guten Mahler ſeines Jahrhunderts , nicht
ſchön und edel nennen , weil ſie die Ge¬
ſchichte aller Völker , und wohl ſelbſt die
geiſtlichen Hiſtorien unſerer Religion in die
Tracht ihrer Zeiten kleiden . Allein ich denke
dabey , wie doch ein jeder Künſtler , der die
Weſen vergangener Jahrhunderte durch ſeine
Bruſt gehen läßt , ſie mit dem Geiſt und
Athem ſeines Alters beleben muß ; und wie
es doch billig und natürlich iſt , daß die
Schöpfungskraft des Menſchen alles Fremde
und Entfernte , und alſo auch ſelbſt die himm¬
liſchen Weſen , ſich liebend nahe bringt , und
in die wohlbekannten und geliebten Formen
ſeiner Welt und ſeines Geſichtskreiſes
hüllt .
Als Albrecht den Pinſel führte , da war
der Deutſche auf dem Völkerſchauplatz un¬
ſers Welrtheils Welttheils noch ein eigenthümlicher und
ausgezeichneter Charakter von feſtem Be¬
ſtand ; und ſeinen Bildern iſt nicht nur in
Geſichtsbildung und im ganzen Äußeren ,
ſondern auch im inneren Geiſte , dieſes ernſt¬
hafte , grade und kräftige Weſen des deut¬
ſchen Charakters treu und deutlich einge¬
prägt . In unſern Zeiten iſt dieſer feſtbe¬
ſtimmte deutſche Charakter , und eben ſo die
deutſche Kunſt , verloren gegangen . Der
junge Deutſche lernt die Sprachen aller Völ¬
ker Europa's , und ſoll prüfend und richtend
aus dem Geiſte aller Nationen Nahrung
ziehen ; — und der Schüler der Kunſt wird
belehrt , wie er den Ausdruck Raphaels , und
die Farben der venezianiſchen Schule , und
die Wahrheit der Niederländer , und das
Zauberlicht des Correggio , alles zuſammen
nachahmen , und auf dieſem Wege zur al¬
les übertreffenden Vollkommenheit gelangen
ſolle . — O traurige Afterweisheit ! O blin¬
der Glaube des Zeitalters , daß man jede
Art der Schönheit , und jedes Vorzügliche
aller großen Künſtler der Erde , zuſammen¬
ſetzen , und durch das Betrachten aller , und
das Erbetteln von ihren mannigfachen großen
Gaben , ihrer aller Geiſt in ſich vereinigen ,
und ſie alle beſiegen könne ! — Die Periode
der eigenen Kraft iſt vorüber ; man will durch
ärmliches Nachahmen und klügelndes Zuſam¬
menſetzen das verſagende Talent erzwingen ,
und kalte , geleckte , charakterloſe Werke ſind
die Frucht . — Die deutſche Kunſt war ein
frommer Jüngling in den Ringmauern einer
kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich
erzogen ; — nun ſie älter iſt , iſt ſie zum all¬
gemeinen Weltmanne geworden , der mit den
kleinſtädtiſchen Sitten zugleich ſein Gefühl
und ſein eigenthümliches Gepräge von der
Seele weggewiſcht hat .
Ich möchte um Alles nicht , daß der zau¬
berhafte Correggio , oder der prächtige Paolo
Veroneſe , oder der gewaltige Buonarotti ,
eben ſo gemahlt hätten als Raphael . Und
eben auch ſtimme ich keinesweges in die Re¬
densarten derer mit ein , welche ſprechen :
» Hätte Albrecht Dürer nur in Rom eine
»zeitlang gehauſet , und die ächte Schönheit
»und das Idealiſche vom Raphael abgelernt ,
»ſo wäre er ein großer Mahler geworden ;
»man muß ihn bedauern , und ſich nur wun¬
»dern , wie er es in ſeiner Lage noch ſo weit
»gebracht hat . « Ich finde hier nichts zu
bedauern , ſondern freue mich , daß das Schick¬
ſal dem deutſchen Boden an dieſem Manne
einen ächt-vaterländiſchen Mahler gegönnt
hat . Er würde nicht er ſelber geblieben ſeyn ;
ſein Blut war kein italieniſches Blut . Er
war für das Idealiſche und die erhabene Ho¬
heit eines Raphaels nicht gebohren ; er hatte
daran ſeine Luſt , uns die Menſchen zu zei¬
gen , wie ſie um ihn herum wirklich waren ,
und es iſt ihm gar trefflich gelungen .
Dennoch aber fiel es mir , als ich in mei¬
nen jüngern Jahren die erſten Gemählde
vom Raphael ſowohl , als von dir , mein
geliebter Dürer , in einer herrlichen Bilder¬
gallerie ſah , wunderbar in den Sinn , wie
unter allen andern Mahlern , die ich kannte ,
dieſe beyden eine ganz beſonders nahe Ver¬
wandſchaft zu meinem Herzen hätten . Bey
beyden gefiel es mir ſo ſehr , daß ſie ſo ein¬
fach und grade , ohne die zierlichen Um¬
ſchweife anderer Mahler , uns die Menſch¬
heit in voller Seele , ſo klar und deutlich
vor Augen ſtellen . Allein ich getraute mich
damals nicht , meine Meynung jemanden zu
entdecken , weil ich glaubte , daß jeder mich
verlachen würde , und wohl wußte , daß die
Mehreſten in dem alten deutſchen Mahler
nichts als etwas ſehr Steifes und Trockenes
erkennen . Ich war indeß an dem Tage , da
ich jene Bildergallerie geſehen hatte , ſo voll
von dieſem neuen Gedanken , daß ich damit
einſchlief , und mir in der Nacht ein ent¬
zückendes Traumgeſicht vorkam , welches mich
noch feſter in meinem Glauben beſtärkte
Es dünkte mich nämlich , als wenn ich , nach
Mitternacht , von dem Gemach des Schloſ¬
ſes , worin ich ſchlief , durch die dunklen Säle
des Gebäudes , ganz allein mit einer Fackel
nach der Bildergallerie zuginge . Als ich an
die Thür kam , hörte ich drinnen ein leiſes
Gemurmel ; — ich öffnete ſie , — und pöltz¬
lich plötz¬
lich fuhr ich zurück , denn der ganze große
Saal war von einem ſeltſamen Lichte er¬
leuchtet , und vor mehreren Gemählden ſtan¬
den ihre ehrwürdigen Meiſter in leibhafter
Geſtalt da , und in ihrer alten Tracht , wie
ich ſie in Bildniſſen geſehen hatte . Einer
von ihnen , den ich nicht kannte , ſagte mir ,
daß ſie manche Nacht vom Himmel herun¬
terſtiegen , und hier und dort auf Erden in
Bilderſälen bey der nächtlichen Stille um¬
herwankten , und die noch immer geliebten
Werke ihrer Hand betrachteten . Viele ita¬
lieniſche Mahler erkannt' ich ; von Nieder¬
ländern ſah ich ſehr wenige . Ehrfurchtsvoll
ging ich zwiſchen ihnen durch ; — und ſiehe !
da ſtanden , abgeſondert von allen , Raphael
und Albrecht Dürer Hand in Hand leib¬
haftig vor meinen Augen , und ſahen in
freundlicher Ruhe ſchweigend ihre beyſam¬
menhängenden Gemählde an . Den gött¬
lichen Raphael anzureden hatte ich nicht den
Muth ; eine heimliche ehrerbietige Furcht ver¬
ſchloß mir die Lippen . Aber meinen Albrecht
wollte ich ſo eben begrüßen , und meine Liebe
vor ihm ausſchütten ; — allein in dem Au¬
genblick verwirrte ſich mit einem Getöſe Al¬
les vor meinen Augen , und ich erwachte mit
heftiger Bewegung .
Dieſes Traumgeſicht hatte meinem Ge¬
müth innige Freude gemacht , und dieſe ward
noch vollkommener , als ich bald nachher in
dem alten Vaſari las , wie die beyden herr¬
lichen Künſtler auch bey ihren Lebzeiten wirk¬
lich , ohne ſich zu kennen , durch ihre Werke ,
Freunde geweſen , und wie die redlichen und
treuen Arbeiten des alten Deutſchen vom
Raphael mit Wohlgefallen angeſehen wären ,
und er ſie ſeiner Liebe nicht unwerth geach¬
tet hätte .
Das aber kann ich freylich nicht ver¬
ſchweigen , daß mir nachher bey den Wer¬
ken der beyden Mahler immer ſo wie in je¬
nem Traum zu Muthe war , daß ich näm¬
lich bey denen des Albrecht Dürer wohl
manchmal mich daran verſuchte , ihr ächtes
Verdienſt jemanden zu erklären , und über
ihre Vortrefflichkeiten mich in Worte auszu¬
breiten wagte ; bey den Werken Raphaels
aber , immer von der himmliſchen Schönheit
ſo überfüllt und bedrängt ward , daß ich
nicht
nicht wohl darüber reden , noch jemanden
deutlich auseinanderſetzen konnte , woraus mir
überall das Göttliche hervorleuchte .
Aber ich will jetzt meine Blicke von dir
nicht abwenden , mein Albrecht . Vergleichung
iſt ein gefährlicher Feind des Genuſſes ; auch
die höchſte Schönheit der Kunſt übt nur
dann , wie ſie ſoll , ihre volle Gewalt an
uns aus , wenn unſer Auge nicht zugleich
ſeitwärts auf andere Schönheit blickt . Der
Himmel hat ſeine Gaben unter die großen
Künſtler der Erde ſo vertheilet , daß wir
durchaus genöthiget werden , vor einem jeg¬
lichen ſtille zu ſtehen , und jeglichem ſeinen
Antheil unſrer Verehrung zu opfern .
Nicht bloß unter italieniſchem Himmel ,
unter majeſtätiſchen Kuppeln und korinthi¬
ſchen Säulen ; — auch unter Spitzgewölben ,
kraus-verzierten Gebäuden und gothiſchen
Thürmen , wächſt wahre Kunſt hervor .
I
Friede ſey mit deinen Gebeinen , mein
Albrecht Dürer ! und möchteſt du wiſſen , wie
ich dich lieb habe , und hören , wie ich unter
der heutigen , dir fremden Welt , der Herold
deines Namens bin . — Geſegnet ſey mir
deine goldene Zeit , Nürnberg ! die einzige
Zeit , da Deutſchland eine eigene vaterländi¬
ſche Kunſt zu haben ſich rühmen konnte . —
Aber die ſchönen Zeitalter ziehen über die
Erde hinweg , und verſchwinden , wie glän¬
zende Wolken über das Gewölbe des Him¬
mels wegziehn . Sie ſind vorüber , und ihrer
wird nicht gedacht ; nur wenige rufen ſie
aus innerer Liebe in ihr Gemüth zurück , aus
beſtäubten Büchern , und bleibenden Werken
der Kunſt .
Von
zwey wunderbaren Sprachen ,
und
deren geheimnißvoller Kraft .
D ie Sprache der Worte iſt eine große Ga¬
be des Himmels , und es war eine ewige
Wohlthat des Schöpfers , daß er die Zunge
des erſten Menſchen löſte , damit er alle
Dinge , die der Höchſte um ihn her in die
Welt geſetzt , und alle geiſtigen Bilder , die
er in ſeine Seele gelegt hatte , nennen , und
ſeinen Geiſt in dem mannigfaltigen Spiele
mit dieſem Reichthum von Namen üben
konnte . Durch Worte herrſchen wir über
den ganzen Erdkreis ; durch Worte erhan¬
deln wir uns mit leichter Mühe alle Schätze
der Erde . Nur das Unſichtbare , das
I 2
über uns ſchwebt , ziehen Worte nicht in
unſer Gemüth herab .
Die irdiſchen Dinge haben wir in unſrer
Hand , wenn wir ihre Namen ausſprechen ; —
aber wenn wir die Allgüte Gottes , oder
die Tugend der Heiligen nennen hören , wel¬
ches doch Gegenſtände ſind , die unſer ganzes
Weſen ergreifen ſollten , ſo wird allein unſer
Ohr mit leeren Schallen gefüllt , und unſer
Geiſt nicht , wie es ſollte , erhoben .
Ich kenne aber zwey wunderbare
Sprachen , durch welche der Schöpfer den
Menſchen vergönnt hat , die himmliſchen
Dinge in ganzer Macht , ſo viel es nämlich ,
( um nicht verwegen zu ſprechen , ) ſterblichen
Geſchöpfen möglich iſt , zu faſſen und zu
begreifen . Sie kommen durch ganz andere
Wege zu unſerm Inneren , als durch die
Hülfe der Worte ; ſie bewegen auf ein¬
mal , auf eine wunderbare Weiſe , unſer
ganzes Weſen , und drängen ſich in jede
Nerve und jeden Blutstropfen , der uns an¬
gehört . Die eine dieſer wundervollen Spra¬
chen redet nur Gott ; die andere reden nur
wenige Auserwählte unter den Menſchen ,
die er zu ſeinen Lieblingen geſalbt hat . Ich
meyne : die Natur und die Kunſt . —
Seit meiner frühen Jugend her , da ich
den Gott der Menſchen zuerſt aus den ur¬
alten heiligen Büchern unſerer Religion ken¬
nen lernte , war mir die Natur immer das
gründlichſte und deutlichſte Erklärungsbuch
über ſein Weſen und ſeine Eigenſchaften .
Das Säuſeln in den Wipfeln des Waldes ,
und das Rollen des Donners , haben mir
geheimnißvolle Dinge von ihm erzählet , die
ich in Worten nicht aufſetzen kann . Ein ſchö¬
nes Thal , von abentheuerlichen Felſengeſtal¬
ten umſchloſſen , oder ein glatter Fluß , wor¬
in gebeugte Bäume ſich ſpiegeln , oder eine
heitere grüne Wieſe von dem blauen Him¬
mel beſchienen , — ach dieſe Dinge haben in
meinem inneren Gemüthe mehr wunderbare
Regungen zuwege gebracht , haben meinen
Geiſt von der Allmacht und Allgüte Gottes
inniger erfüllt , und meine ganze Seele weit
mehr gereinigt und erhoben , als es je die
Sprache der Worte vermag . Sie iſt , dünkt
mich , ein allzu irdiſches und grobes Werk¬
zeug , um das Unkörperliche , wie das Kör¬
perliche , damit zu handhaben .
Ich finde hier einen großen Anlaß , die
Macht und Güte des Schöpfers zu preiſen .
Er hat um uns Menſchen eine unendliche
Menge von Dingen umhergeſtellt , wovon
jedes ein anderes Weſen hat , und wovon
wir keines verſtehen und begreifen . Wir
wiſſen nicht , was ein Baum iſt ; nicht , was
eine Wieſe , nicht , was ein Felſen iſt ; wir
können nicht in unſerer Sprache mit ihnen
reden ; wir verſtehen nur uns untereinander .
Und dennoch hat der Schöpfer in das Men¬
ſchenherz eine ſolche wunderbare Sympathie
zu dieſen Dingen gelegt , daß ſie demſelben ,
auf unbekannten Wegen , Gefühle , oder Ge¬
ſinnungen , oder wie man es nennen mag ,
zuführen , welche wir nie durch die abgemeſ¬
ſenſten Worte erlangen .
Die Weltweiſen ſind , aus einem an ſich
löblichen Eifer für die Wahrheit , irre ge¬
gangen ; ſie haben die Geheimniſſe des Him¬
mels aufdecken , und unter die irdiſchen Din¬
ge , in irdiſche Beleuchtung ſtellen wollen ,
und die dunkeln Gefühle von denſelben ,
mit kühner Verfechtung ihres Rechtes , aus
ihrer Bruſt verſtoßen . — Vermag der ſchwache
Menſch die Geheimniſſe des Himmels aufzu¬
hellen ? Glaubt er verwegen ans Licht zie¬
hen zu können , was Gott mit ſeiner Hand
bedeckt ? Darf er wohl die dunkeln Ge¬
fühle , welche wie verhüllte Engel zu uns
herniederſteigen , hochmüthig von ſich wei¬
ſen ? — Ich ehre ſie in tiefer Demuth ; denn
es iſt große Gnade von Gott , daß er uns
dieſe ächten Zeugen der Wahrheit herabſen¬
det . Ich falte die Hände , und bete an . —
Die Kunſt iſt eine Sprache ganz ande¬
rer Art , als die Natur ; aber auch ihr iſt ,
durch ähnliche dunkle und geheime Wege ,
eine wunderbare Kraft auf das Herz des
Menſchen eigen . Sie redet durch Bilder der
Menſchen , und bedienet ſich alſo einer Hie¬
roglyphenſchrift , deren Zeichen wir dem Äußern
nach , kennen und verſtehen . Aber ſie ſchmelzt
das Geiſtige und Unſinnliche , auf eine ſo
rührende und bewundernswürdige Weiſe , in
die ſichtbaren Geſtalten hinein , daß wie¬
derum unſer ganzes Weſen , und alles , was
an uns iſt , von Grund auf bewegt und er¬
ſchüttert wird . Manche Gemählde aus der
Leidensgeſchichte Chriſti , oder von unſrer
heiligen Jungfrau , oder aus der Geſchichte
der Heiligen , haben , ich darf es wohl ſa¬
gen , mein Gemüth mehr geſäubert , und
meinem inneren Sinne tugendſeligere Geſin¬
nungen eingeflößet , als Syſteme der Moral
und geiſtliche Betrachtungen . Ich denke un¬
ter andern noch mit Inbrunſt an ein über
alles herrlich gemahltes Bild unſers heiligen
Sebaſtian , wie er nackt an einen Baum ge¬
bunden ſteht , ein Engel ihm die Pfeile aus
der Bruſt zieht , und ein anderer Engel vom
Himmel einen Blumenkranz für ſein Haupt
bringt . Dieſem Gemählde verdanke ich ſehr
eindringliche und haftende chriſtliche Geſin¬
nungen , und ich kann mir jetzt kaum daſ¬
ſelbe lebhaft vorſtellen , ohne daß mir die
Thränen in die Augen kommen .
Die Lehren der Weiſen ſetzen nur unſer
Gehirn , nur die eine Hälfte unſeres Selbſt ,
in Bewegung ; aber die zwey wunderbaren
Sprachen , deren Kraft ich hier verkündige ,
rühren unſre Sinne ſowohl als unſern Geiſt ;
oder vielmehr ſcheinen dabey , ( wie ich es
nicht anders ausdrücken kann , ) alle Theile
unſers ( uns unbegreiflichen ) Weſens zu ei¬
nem einzigen , neuen Organ zuſammenzu¬
ſchmelzen , welches die himmliſchen Wunder ,
auf dieſem zwiefachen Wege , faßt und be¬
greift .
Die eine der Sprachen , welche der Höchſte
ſelber von Ewigkeit zu Ewigkeit fortredet ,
die ewig lebendige , unendliche Natur , zie¬
het uns durch die weiten Räume der Lüfte
unmittelbar zu der Gottheit hinauf . Die
Kunſt aber , die , durch ſinnreiche Zuſam¬
menſetzungen von gefärbter Erde und etwas
Feuchtigkeit , die menſchliche Geſtalt in ei¬
nem engen , begränzten Raume , nach inne¬
rer Vollendung ſtrebend , nachahmt , ( eine Art
von Schöpfung , wie ſie ſterblichen Weſen
hervorzubringen vergönnt ward , ) — ſie ſchließt
uns die Schätze in der menſchlichen Bruſt
auf , richtet unſern Blick in unſer Inneres ,
und zeigt uns das Unſichtbare , ich meyne
alles was edel , groß und göttlich iſt , in
menſchlicher Geſtalt . —
Wenn ich aus dem Gottgeweiheten Tem¬
pel unſers Kloſters von der Betrachtung
Chriſti am Kreuz , ins Freye hinaustrete , und
der Sonnenſchein vom blauen Himmel mich
warm und lebendig umfängt , und die ſchöne
Landſchaft mit Bergen , Gewäſſer und Bäu¬
men mein Auge rührt ; ſo ſehe ich eine ei¬
gene Welt Gottes vor mir hervorgehen , und
fühle auf eigene Weiſe große Dinge in mei¬
nem Inneren ſich erheben . — Und wenn
ich aus dem Freyen wieder in den Tempel
trete , und das Gemählde von Chriſto am
Kreuze mit Ernſt und Innigkeit betrachte ;
ſo ſehe ich wiederum eine andre ganz eigene
Welt Gottes vor mir hervorgehen , und fühle
auf andre , eigene Weiſe ſich große Dinge in
meinem Inneren erheben . —
Die Kunſt ſtellet uns die höchſte menſch¬
liche Vollendung dar . Die Natur , ſo viel
davon ein ſterbliches Auge ſieht , gleichet ab¬
gebrochenen Orakelſprüchen aus dem Munde
der Gottheit . Iſt es aber erlaubt , alſo von
dergleichen Dingen zu reden , ſo möchte man
vielleicht ſagen , daß Gott wohl die ganze
Natur oder die ganze Welt auf ähnliche
Art , wie wir ein Kunſtwerk , anſehen möge .
Von den Seltſamkeiten
des
alten Mahlers ,
Piero di Coſimo ,
aus der Florentiniſchen Schule .
D ie Natur , die ewig ämſige Arbeiterinn ,
fertigt , mit immer geſchäftigen Händen , Mil¬
lionen Weſen alles Geſchlechtes , und wirft
ſie ins irdiſche Leben hinein . Mit leichtem ,
ſpielendem Scherze miſcht ſie , ohne hinzu¬
ſehn , die Stoffe , wie ſie ſich nun ſchicken
mögen , auf mannigfache Weiſe zuſammen ,
und überläßt ein jedes Weſen , das ihrer
Hand entfällt , ſeiner Luſt und ſeiner Qual .
Und eben ſo wie ſie manchmal in den Rei¬
chen des Lebloſen muthwillig ſeltſame und
monſtröſe Geſtalten unter die Menge wirft ;
ſo bringt ſie auch unter den Menſchen alle
Jahrhunderte einige Seltenheiten hervor ,
welche ſie zwiſchen Tauſende gewöhnlicher
Art verſteckt . Aber dieſe ſeltſamen Geiſter
vergehen gleich den allergemeinſten : die
wißbegierige Nachwelt ſammelt aus Schrif¬
ten die einzeln geſtammelten Laute zuſammen ,
die ſie uns ſchildern ſollen ; allein wir gewin¬
nen kein faßliches Bild , und lernen ſie nie¬
mals völlig verſtehen . Konnten doch auch
die , welche ſie mit Augen ſahen , ſie nicht
völlig begreifen , ja ſie begriffen ſich ſelber
kaum . Wir können ſie , wie im Grunde Al¬
les in der Welt , nur bloß mit leerer Ver¬
wunderung betrachten . —
Dieſe Gedanken ſind bey mir rege ge¬
worden , indem ich in den Hiſtorien der al¬
ten Mahler auf den wunderbaren Piero di
Coſimo geſtoßen bin . Die Natur hatte
ſein Inneres mit einer immer gährenden
Phantaſie erfüllt , und ſeinen Geiſt mit ſchwe¬
ren und düſtern Gewitterwolken bezogen , ſo
daß ſein Gemüth immer in unruhiger Arbeit
war , und unter ausſchweifenden Bildern
umhertrieb , ohne jemals ſich in einfacher und
heiterer Schönheit zu ſpiegeln . Alles an
ihm war außerordentlich und ungewöhnlich ;
die alten Schriftſteller wiſſen nicht kräftige
Worte genug zuſammenzuhäufen , um uns ei¬
nen Begriff von dem Unmäßigen und Unge¬
heuren in ſeinem ganzen Weſen zu geben .
Und doch finden wir bey ihnen nur wenige
einzelne , zum Theil ſogar unerheblich ſchei¬
nende Züge aufgezeichnet , welche uns den
Abgrund ſeiner Seele keinesweges gründlich
kennen lehren , noch zu einem vollendeten ,
harmoniſchen Bilde zuſammenfließen ; aus
welchen wir aber dennoch das Tieferliegende
wohl ohngefähr ahnden können .
Piero di Coſimo trug ſchon in ſeiner Ju¬
gend einen lebendigen , immer beweglichen
Geiſt , und eine überfüllte Einbildungskraft
in ſich herum , wodurch er ſich früh vor ſei¬
nen Mitſchülern auszeichnete . Seine Seele
erfreute ſich nie , ſtill auf einem Gedanken
oder einem Bilde zu ruhen ; immer zog ein
Schwarm von fremden , ſeltſamen Ideen
durch ſein Gehirn , und entrückte ihn aus
der Gegenwart . Manchmal , wenn er bey
der Arbeit ſaß , und dabey zugleich etwas
erzählte oder auseinanderſetzte , hatte ihn
ſeine immer für ſich allein umhertummelnde
Phantaſie unvermerkt auf ſo entlegene Hö¬
hen entführet , daß er auf einmal ſtockte ,
der Zuſammenhang der gegenwärtigen Dinge
ſich vor ſeinen Augen verwirrte , und er als¬
dann ſeine Rede wieder von vorn anheben
mußte . Menſchliche Geſellſchaft war ihm
zuwider ; am beſten gefiel er ſich in einer
trüben Einſamkeit , wo er in ſich gekehrt
ſeine umherſchweifenden Einbildungen ver¬
folgte,
folgte , wohin ſie ihn führten . Immer war
er allein in einem verſchloſſenen Gemach ,
und führte eine ganz eigene Lebensart . Er
nährte ſich mit immer gleicher , einförmiger
Speiſe , die er ſich ſelber , zu jeder Zeit des
Tages , da er Luſt hatte , bereitete . Er litt
nicht , daß ſein Zimmer gereinigt ward ; auch
widerſetzte er ſich gegen das Beſchneiden der
Fruchtbäume und Rebſtöcke in ſeinem Gar¬
ten ; denn er wollte überall die wilde , ge¬
meine und ungeſäuberte Natur ſehen , und
hatte ſeine Luſt an dem , was andern Sin¬
nen zuwider iſt . So hatte er auch einen ge¬
heimen Reiz , bey allen Mißgeburten in der
phyſiſchen Natur , bey allen monſtröſen Thie¬
ren und Pflanzen , lange zu verweilen ; er
ſah ſie mit unverrückter Aufmerkſamkeit an ,
um ihre Häßlichkeit recht zu genießen ; er
wiederholte ſich ihr Bild nachher immerfort
in Gedanken , und konnte es , ſo widrig es
K
ihm auch am Ende ward , nicht aus dem
Kopf bringen . Von ſolchen mißgeſchaffenen
Dingen hatte er nach und nach , mit der
ſchärfſten Ämſigkeit , ein ganzes Buch zuſam¬
mengezeichnet . Oft auch heftete er ſeine Au¬
gen ſtarr auf alte , befleckte , buntfärbige
Mauern , oder auf die Wolken am Himmel ,
und ſeine Einbildung ergriff aus allen ſolchen
Spielen der Natur mancherley abentheuer¬
liche Ideen zu wilden Schlachten mit Pfer¬
den , oder zu großen Gebirgslandſchaften mit
fremdartigen Städten . — Große Freude em¬
pfand er an einem recht heftigen Platzregen ,
der von den Dächern herab praſſelnd auf
das Pflaſter ſtürzte ; — dagegen fürchtete er
ſich wie ein Kind vor dem Donner , und
hüllte ſich , wenn ein Gewitter am Himmel
tobte , eng in ſeinen Mantel ein , verſchloß
die Fenſtern , und kroch in einen Winkel des
Hauſes , bis es vorüber war . Halb verrückt
machte ihn das Schreyen kleiner Kinder , das
Klockengeläut , und das Singen der Mön¬
che . — In ſeinen Reden war er bunt und
außerordentlich ; ja , zuweilen ſagte er ſo vor¬
trefflich-komiſche Sachen , daß die es hörten ,
ſich vor Lachen nicht halten konnten . In
Summa , er war ſo beſchaffen , daß die Leute
ſeiner Zeit ihn für einen höchſt verwirrten ,
und beynahe wahnſinnigen Kopf ausgaben .
Sein Geiſt , der unaufhörlich , wie ſieden¬
des Waſſer im Keſſel , kochte , und Schaum
und Blaſen auftrieb , hatte ganz vorzügliche
Gelegenheit , ſich bey den Mummereyen und
muthwilligen Aufzügen , welche zur Zeit des
Carnavals in Florenz gehalten wurden , in
allerhand neuen und fremden Erfindungen
zu zeigen , ſo daß dieſe Feſtlichkeit durch ihn
erſt eigentlich das ward , was ſie vorher nie
geweſen war . Unter allen den außerordent¬
lichen und vielbewunderten feyerlichen Auf¬
K 2
zügen aber , welche er anordnete , zeichnete
ſich einer ſo beſonders und eigen aus , daß
wir eine kurze Erzähluug Erzählung davon herſetzen
wollen . Die Veranſtaltungen dazu waren
insgeheim gemacht , und ganz Florenz ward
alſo dadurch auf das Äußerſte überraſcht
und erſchüttert .
In der beſtimmten Nacht nämlich , indem
das Volk , der ausgelaſſenſten Freude Preis
gegeben , jauchzend in den Straßen der Stadt
umherſchwärmte , — ward der Haufen auf
einmal vor Schrecken auseinander geſprengt ,
und ſah ſich mit Beſtürzung und Erſtaunen
um . Es näherte ſich durch die dämmernde
Nacht , ſchwer und langſam , ein ſchwarzer ,
ungeheurer Wagen , von vier ſchwarzen Büf¬
feln gezogen , und mit Todtenbeinen und
weißen Kreuzen bezeichnet , — und auf dem
Wagen ſtolzierte eine mächtig-große Sieger¬
geſtalt des Todes , mit der fürchterlichen
Senſe bewaffnet , zu deren Füßen lauter
Särge aus dem Wagen herumſtanden . Aber
der langſame Zug hielt an :— und bey dem
dumpfen Dröhnen von ſeltſamen Hörnern ,
deren banger , ſchauerlicher Ton Mark und
Gebein durchzitterte , — und bey dem zau¬
berhaften Schein entfernter Fackeln , — ſtie¬
gen , — wobey alles Volk von einem ſtillen
Grauen ergriffen ward , — aus den ſich öff¬
nenden Särgen , langſam , weiße Gerippe
mit halbem Leibe hervor , ſetzten ſich auf den
Sarg , und erfüllten die Luft mit einem fin¬
ſtern , hohlen Geſange , der , von den Hör¬
nertönen durchmiſcht , das Blut in den Adern
gerinnen machte . Sie ſangen darin von
den Schreckniſſen des Todes , und daß alle ,
die jetzt lebendig ſie anſchauten , bald auch
ſolche Knochengeſtalten ſeyn würden , wie ſie .
Rings um den Wagen herum , und hinter
dem Wagen , drängte ſich ein großer , ver¬
worrener Troß von Todten , mit Larven
gleich Todtenſchädeln auf dem Haupt , ſchwarz
behangen , mit weißen Gebeinen und weißen
Kreuzen bezeichnet , und auf hageren Pfer¬
den ſitzend , — und jeglicher hatte ein Ge¬
folge von vier andern ſchwarzen Reitern ,
mit Fackeln , und einer ungeheuren ſchwar¬
zen Fahne mit Todtenſchädeln und Gebeinen
und weißen Kreuzen bezeichnet ; — auch von
dem Wagen ſchleppten zehn große ſchwarze
Fahnen herunter ; — und während des lang¬
ſam-ſchleichenden Zuges ſang das ganze
Todtenheer , mit dumpf-bebender Stimme ,
einen Pſalm Davids ab . —
Es iſt ſehr merkwürdig , daß dieſer uner¬
wartete Todtenaufzug , ſo viel Schrecken er
auch anfangs verbreitete , doch von ganz
Florenz mit dem größten Wohlgefallen be¬
trachtet ward . Schmerzliche und widrige
Empfindungen greifen mit Macht durch die
Seele , halten ſie feſt , und zwingen ſie
gleichſam zur Theilnahme und zum Beha¬
gen ; und wenn ſie überdies mit einem ge¬
wiſſen poetiſchen Schwunge die Phan¬
taſie anfallen und aufregen , ſo können ſie
das Gemüth in einer hohen und begeiſterten
Spannung erhalten . Daneben möcht' ich
auch noch ſagen , daß ſolchen ausgezeichne¬
ten Geiſtern , wie dieſer Piero di Coſimo
war , vom Himmel eine wunderbare geheime
Gewalt eingepflanzt zu ſeyn ſcheinet , durch
die fremden und außerordentlichen Dinge ,
welche ſie thun , die Köpfe , auch des gemei¬
nen großen Haufens , einzunehmen . —
Obwohl Piero von ſeiner unruhigen fin¬
ſtern Phantaſie unaufhörlich geneckt , umher¬
gejagt und ermüdet ward ; ſo hatte der Him¬
mel ihm doch ein hohes Alter beſchieden ; ja ,
wie er dem achtzigſten Jahre nahe kam ,
ward ſein Geiſt von immer wilderen Phan¬
taſtereyen verfolgt . Er quälte ſich bey der
großen körperlichen Schwäche und allem
Elend des Alters dennoch immer für ſich al¬
lein , und wies alle Geſellſchaft und mitlei¬
dige Hülfe ungeſtüm von ſich . Dann wollte
er noch arbeiten , und konnte doch nicht ,
weil ihm die Hände gelähmt waren und be¬
ſtändig zitterten ; dann kam er in die äußerſte
Bosheit , und wollte ſeinen Händen Gewalt
anthun ; aber indem er ſo ergrimmt für ſich
murmelte , fiel ihm wieder der Mahlerſtock
oder gar der Pinſel auf die Erde , daß es
ein Jammer anzuſehen war . Er konnte ſich
mit dem Schatten zanken , und über eine
Fliege in Zorn gerathen . Daß er ſeinem
Ende nahe wäre , wollte er noch immer nicht
glauben . Er redete ſehr viel davon , was es
für ein Elend ſey , wenn eine langſame
Krankheit mit tauſend Martern den Körper
recht nach und nach aufzehre , daß ein Bluts¬
tropfen näch dem andern abſterbe . Er fluchte
auf Ärzte , Apotheker und Krankenwärter ,
und beſchrieb , was es fürchterlich ſey , wenn
einem nicht Speiſe , nicht Schlaf gegönnt
werde , wenn man ſein Teſtament machen
müßte , wenn man die Anverwandten um
das Bett herum weinen ſähe . Dagegen
pries er denjenigen glücklich , der auf dem
Hochgericht mit einem Streich aus der Welt
gehe ; und was es ſchön wäre , vor ſo vie¬
lem Volk , und unter den Tröſtungen und
Gebeten des Prieſters und den Fürbitten
von Tauſenden , zu den Engeln im Para¬
dieſe hinaufzuſteigen . In ſolchen Gedanken
ſchwärmte er unaufhörlich fort : — bis man
endlich eines Morgens , ganz unerwartet ,
ihn unten an der Treppe in ſeinem Hauſe
todt liegen fand . —
Dies ſind die ſonderbaren Züge von dem
Geiſte dieſes Mahlers , welche ich dem Gior¬
gio Vaſari treulich nacherzählt habe . Was
ihn als Mahler betrifft , ſo berichtet uns der¬
ſelbe Autor von ihm , daß er am liebſten
wilde Bacchanale und Orgia , fürchterliche
Ungeheuer , oder ſonſt irgend ſchreckhafte Vor¬
ſtellungen gemahlt habe ; rühmt ihn indeß
wegen des höchſt mühſeligen und eigenſinni¬
gen Fleißes in ſeinen Bildern . Wie denn
derſelbe Vaſari , in dem Leben eines andern
ebenfalls ſchwermüthigen Mahlers
Nämlich des Florentiners Giovanni Antonio
Sogliani . , die
Bemerkung macht , daß dergleichen tiefſinnige
und melancholiſche Geiſter ſich oftmals durch
eine beſondere , eiſerne Geduld und Ämſig¬
keit im Arbeiten auszuzeichnen pflegten .
Dem ſey nun wie ihm wolle , ſo kann ich
nicht glauben , daß dieſer Piero di Coſimo
ein wahrhaft-ächter Künſtlergeiſt geweſen ſey .
Ich finde zwar eine gewiſſe Übereinſtimmung
zwiſchen ihm nnd und dem großen Leonardo
da Vinci , ( welchen jener auch in der Mah¬
lerey ſich zum Muſter nahm ; ) denn beyde
wurden von einem immer lebendigen , viel¬
ſinnigen Geiſte umhergetrieben , — jener aber
in finſtre Wolkenregionen der Luft , — dieſer
unter die ganze wirkliche Natur und unter
das ganze Gewimmel der Erde .
Der Künſtlergeiſt ſoll , wie ich meyne ,
nur ein brauchbares Werkzeug ſeyn , die
ganze Natur in ſich zu empfangen , und ,
mit dem Geiſte des Menſchen beſeelt , in
ſchöner Verwandlung wiederzugebähren . Iſt
er aber aus innerem Inſtinkte , und aus
überflüßiger , wilder und üppiger Kraft , ewig
für ſich in unruhiger Arbeit ; ſo iſt er nicht
immer ein geſchicktes Werkzeug , — vielmehr
möchte man dann ihn ſelber eine Art von
Kunſtwerk der Schöpfung nennen .
In dem tobenden und ſchäumenden Meere
ſpiegelt ſich der Himmel nicht ; — der klare
Fluß iſt es , worin Bäume und Felſen und
die ziehenden Wolken und alle Geſtirne des
Firmamentes ſich wohlgefällig beſchauen . —
Wie und auf welche Weiſe man
die
Werke der großen Künſtler der Erde
eigentlich betrachten ,
und
zum Wohl ſeiner Seele gebrauchen müſſe .
I mmerfort höre ich die kindiſche und leicht¬
ſinnige Welt klagen , daß Gott nur ſo we¬
nige recht große Künſtler auf die Erde ge¬
ſetzt habe ; ungeduldig ſtarrt der gemeine
Geiſt in die Zukunft , ob der Vater der Men¬
ſchen nicht bald einmal ein neues Geſchlecht
von hervorglänzenden Meiſtern werde aufer¬
ſtehen laſſen . Ich ſage euch aber , es hat
die Erde der vortrefflichen Meiſter nicht zu
wenige getragen ; ja es ſind ihrer einige ſo
beſchaffen , daß ein ſterbliches Weſen ſein
ganzes Leben hindurch an einem einzelnen
zu ſchauen und zu begreifen hat ; aber wahr¬
lich ! viel , viel zu wenige ſind derer , welche
die Werke dieſer ( aus edlerem Thone geform¬
ten ) Weſen , innig zu verſtehen , und , ( was
daſſelbe iſt , ) inniglich zu verehren im Stande
ſind .
Bilderſäle werden betrachtet als Jahr¬
märkte , wo man neue Waaren im Vorüber¬
gehen beurtheilt , lobt und verachtet ; und es
ſollten Tempel ſeyn , wo man in ſtiller und
ſchweigender Demuth , und in herzerhebender
Einſamkeit , die großen Künſtler , als die
höchſten unter den Irdiſchen , bewundern ,
und mit der langen , unverwandten Betrach¬
tung ihrer Werke , in dem Sonnenglanze der
entzückendſten Gedanken und Empfindungen
ſich erwärmen möchte .
Ich vergleiche den Genuß der edleren
Kunſtwerke dem Gebet . Der iſt dem Him¬
mel nicht wohlgefällig , welcher zu ihm re¬
det , um nur der täglichen Pflicht entledigt
zu werden , Worte ohne Gedanken herzählt ,
und ſeine Frömmigkeit prahlend nach den
Kugeln ſeines Roſenkranzes abmißt . Der
aber iſt ein Liebling des Himmels , welcher
mit demüthiger Sehnſucht auf die auser¬
wählten Stunden harrt , da der milde himm¬
liſche Strahl freywillig zu ihm herabfährt ,
die Hülle irdiſcher Unbedeutenheit , mit wel¬
cher gemeiniglich der ſterbliche Geiſt überzo¬
gen iſt , ſpaltet , und ſein edleres Innere auf¬
löſt und auseinanderlegt ; dann knieet er nie¬
der , wendet die offene Bruſt in ſtiller Ent¬
zückung gegen den Himmelsglanz , und ſätti¬
get ſie mit dem ätheriſchen Licht ; dann ſteht
er auf , froher und wehmüthiger , volleren
und leichteren Herzens , und legt ſeine Hand
an ein großes gutes Werk . — Das iſt die
wahre Meynung , die ich vom Gebet hege .
Eben ſo nun , meyne ich , müſſe man mit
den Meiſterſtücken der Kunſt umgehen , um
ſie würdiglich zum Heil ſeiner Seele zu
nutzen . Es iſt frevelhaft zu nennen , wenn
jemand in einer irdiſchen Stunde , von dem
ſchallenden Gelächter ſeiner Freunde hinweg¬
taumelt , um in einer nahen Kirche , aus Ge¬
wohnheit , einige Minuten mit Gott zu re¬
den . Ein ähnlicher Frevel iſt es , in einer
ſolchen Stunde die Schwelle des Hauſes zu
betreten , wo die bewundernswürdigſten Schö¬
pfungen , die von Menſchen händen her¬
vorgebracht werden konnten , als eine ſtille
Kundſchaft von der Würde dieſes Geſchlech¬
tes , für die Ewigkeit aufbewahret werden .
Harret , wie beym Gebet , auf die ſeligen
Stunden , da die Gunſt des Himmels euer
Inneres mit höherer Offenbarung erleuchtet ;
nur dann wird eure Seele ſich mit den Wer¬
ken der Künſtler zu Einem Ganzen vereini¬
gen . Ihre Zaubergeſtalten ſind ſtumm und
ver¬
verſchloſſen , wenn ihr ſie kalt anſeht ; euer
Herz muß ſie zuerſt mächtiglich anreden ,
wenn ſie ſollen zu euch ſprechen , und ihre
ganze Gewalt an euch verſuchen können .
Kunſtwerke paſſen in ihrer Art ſo wenig ,
als der Gedanke an Gott in den gemeinen
Fortfluß des Lebens ; ſie gehen über das Ordent¬
liche und Gewöhnliche hinaus , und wir müſ¬
ſen uns mit vollem Herzen zu ihnen erhe¬
ben , um ſie in unſern , von den Nebeln der
Atmoſphäre allzuoft getrübten Augen , zu
dem zu machen , was ſie , ihrem hohen We¬
ſen nach , ſind .
Buchſtaben leſen kann ein jeglicher ler¬
nen ; von gelehrten Chroniken kann ein jeg¬
licher ſich die Hiſtorien vergangener Zeiten
erzählen laſſen , und ſie wieder erzählen ;
auch kann ein jeglicher das Lehrgebäude ei¬
ner Wiſſenſchaft ſtudieren ; und Sätze und
Wahrheiten faſſen ; — denn , Buchſtaben ſind
L
nur dazu da , daß das Auge ihre Form er¬
kenne ; und Lehrſätze und Begebenheiten ſind
nur ſo lange ein Gegenſtand unſrer Beſchäf¬
tigung , als das Auge des Geiſtes daran ar¬
beitet , ſie zu faſſen und zu erkennen ; ſobald
ſie unſer eigen ſind , iſt die Thätigkeit unſers
Geiſtes zu Ende , und wir weiden uns dann
nur , ſo oft es uns behagt , an einem trägen
und unfruchtbaren Überblick unſrer Schätze . —
Nicht alſo bey den Werken herrlicher Künſt¬
ler . Sie ſind nicht darum da , daß das Auge
ſie ſehe ; ſondern darum , daß man mit ent¬
gegenkommendem Herzen in ſie hineingehe ,
und in ihnen lebe und athme . Ein köſtliches
Gemählde iſt nicht ein Paragraph eines Lehr¬
buchs , den ich , wenn ich mit kurzer Mühe
die Bedeutung der Worte herausgenommen
habe , als eine unnütze Hülſe liegen laſſe :
vielmehr währt bey vortrefflichen Kunſtwer¬
ken der Genuß immer , ohne Aufhören , fort .
Wir glauben immer tiefer in ſie einzudrin¬
gen , und dennoch regen ſie unſere Sinne
immer von neuem auf , und wir ſehen keine
Gränze ab , da unſre Seele ſie erſchöpft
hätte . Es flammt in ihnen ein ewig bren¬
nendes Lebensöhl , welches nie vor unſern
Augen verliſcht .
Mit Ungeduld fliege ich über den erſten
Anblick hinweg ; denn die Überraſchung des
Neuen , welche manche nach immer abwech¬
ſelnden Vergnügungen haſchende Geiſter wohl
zum Hauptverdienſte der Kunſt erklären wol¬
len , hat mir von jeher ein nothwendiges
Übel des erſten Anſchauens geſchienen . Der
ächte Genuß erfordert eine ſtille und ruhige
Faſſung des Gemüths , und äußert ſich nicht
durch Ausrufungen und Zuſammenſchlagen
der Hände , ſondern allein durch innere Be¬
wegungen . Es iſt mir ein heiliger Feyertag ,
an welchem ich mit Ernſt und mit vorberei¬
L 2
tetem Gemüth an die Betrachtung edler
Kunſtwerke gehe ; ich kehre oft und unauf¬
hörlich zu ihnen zurück , ſie bleiben meinem
Sinne feſt eingeprägt , und ich trage ſie , ſo
lange ich auf Erden wandle , in meiner Ein¬
bildungskraft , zum Troſt und zur Erweckung
meiner Seele , gleichſam als geiſtige Amu¬
lete mit mir herum , und werde ſie mit ins
Grab nehmen .
Weſſen feinere Nerven einmal beweglich ,
und für den geheimen Reiz , der in der Kunſt
verborgen liegt , empfänglich ſind , deſſen
Seele wird oft da , wo ein anderer gleich¬
gültig vorübergeht , innig gerührt ; er wird
des Glückes theilhaftig , in ſeinem Leben häu¬
figere Anläſſe zu einer heilſamen Bewegung
und Aufregung ſeines Inneren zu finden .
Ich bin mir bewußt , daß öfters , wenn ich ,
( mit anderen Gedanken beſchäftigt , ) durch
irgend ein ſchönes und großes Säulenportal
ging , die mächtigen , majeſtätiſchen Säulen ,
mit ihrer lieblichen Erhabenheit , unwillkühr¬
lich meine Blicke zu ſich wendeten , und mein
Inneres mit einer eigenen Empfindung er¬
füllten , daß ich mich innerlich vor ihnen
beugte , und mit aufgelöſtem Herzen und mit
reicherer Seele weiter ging .
Das Hauptſächlichſte iſt , daß man nicht
mit verwegenem Muth über den Geiſt erha¬
bener Künſtler ſich hinwegzuſchwingen , und
auf ſie herabſehend , ſie zu richten ſich ver¬
meſſe : ein thörichtes Unternehmen des eiteln
Stolzes der Menſchen : Die Kunſt iſt über
dem Menſchen : wir können die herrlichen
Werke ihrer Geweiheten nur bewundern und
verehren , und , zur Auflöſung und Reinigung
aller unſrer Gefühle , unſer ganzes Gemüth
vor ihnen aufthun .
Die Größe
des
Michel ' Angelo Buonarotti .
W ohl ein jeglicher Menſch , der ein fühlen¬
des und liebendes Herz in ſeiner Bruſt trägt ,
hat im Reiche der Kunſt irgend einen beſon¬
dern Lieblingsgegenſtand ; und ſo habe auch
ich den meinigen , zu welchem mein Geiſt ſich
oft unwillkührlich , wie die Sonnenblume zur
Sonne , hinwendet . Denn öfters , wenn ich in
meiner Einſamkeit betrachtend da ſitze , ſo iſt
es , als ſtände hinter mir ein guter Engel ,
der mir unverſehens die Säkula der alten
Mahler von Italien , wie ein großes , frucht¬
reiches epiſches Gedicht mit einer gedrängten
Schaar lebendiger Figuren , vor meinen Au¬
gen aufſteigen ließe . Immer von neuem
zeigt ſich mir dieſe herrliche Erſcheinung , und
immer von neuem wird mein Blut dabey
auf das innigſte erwärmt . Es iſt doch eine
köſtliche Gabe , die der Himmel uns verlie¬
hen hat , zu lieben und zu verehren ; dieſes
Gefühl ſchmelzt unſer ganzes Weſen um ,
und bringt das wahre Gold daraus zu Tage .
Mein Blick fällt diesmal auf den großen
Michel ' Angelo Buonarotti , einen
Mann , über welchen ſchon ſo mancher ſeine
unbehülfliche Verwunderung , oder ſeinen vor¬
witzigen Hohn und Tadel vorgebracht hat .
Ich kann aber nicht mit vollerem Herzen
von ihm zu reden anheben , als es ſein
Freund und Landsmann Giorgio Vaſari
in dem Eingange zu ſeiner Lebensbeſchrei¬
bung gethan hat , welcher von Wort zu
Wort alſo lautet :
» Während daß ſo viele ſinnreiche und
vortreffliche Köpfe , nach den Vorſchriften
des berühmten Giotto und ſeiner Nachfolger ,
der Welt Proben von dem Talente zu zei¬
gen ſtrebten , welches durch den wohlthäti¬
gen Einfluß der Geſtirne und durch die glück¬
liche Complexion ihrer Geiſteskräfte in ihrem
Innern erzeugt war , und ſich alle beeifer¬
ten , durch die Vortrefflichkeit der Kunſt die
Herrlichkeit der Natur nachzuahmen , um ſo
viel möglich den höchſten Gipfel der Wiſſen¬
ſchaft , welchen man wohl ausſchließlich » Er¬
kenntniß « nennen mag , zu erreichen , obwohl
all' ihr Ringen vergeblich war ; — unterdeſ¬
ſen wandte der gütige Regierer aller Dinge
ſein Auge gnädiglich auf die Erde hin , und
indem er nun wahrnahm all' die eitle An¬
ſtrengung ſo unendlich vieler mühſeliger Ver¬
ſuche , die unabläßig-heiße Lernbegier ohne
die geringſten Früchte , und die eingebildeten
Meynungen der Menſchen , ſo entfernt von
der Wahrheit , als Finſterniß vom Licht ; —
da beſchloß er , um uns aus ſolchen Irrthü¬
mern zu reißen , einen Geiſt auf die Erde
herabzuſchicken , welcher durchaus , in jeg¬
lichem Theile aller Kunſt , durch eigene Kraft
ſollte Meiſter werden . Er ſollte der Welt
ein Vorbild aufſtellen , was Vollkommenheit
ſey in der Kunſt des Zeichnens , der Umriſſe ,
und der Lichter und Schatten , ( welche den
Bildern die Rundung geben ; ) und wie man
als Bildhauer mit Einſicht arbeiten müſſe ,
und auf welche Weiſe man Gebäuden Fe¬
ſtigkeit , Bequemlichkeit , ſchöne Verhältniſſe ,
Annehmlichkeit und Reichthum an allerley
Zierrathen der Baukunſt zu geben habe .
Überdas aber wollte der Himmel ihm die
wahre Tugendweisheit zur Begleitung , und
die ſüße Kunſt der Muſen zur Zierde geben ,
auf daß die Welt ihn vor allen bewundern
und erwählen ſollte zum Spiegel und Mu¬
ſter im Leben , in Werken , in Heiligkeit der
Sitten , ja in allem irdiſchen Wandel , und
er von uns vielmehr für ein himmliſches
Weſen als für ein irdiſches geachtet werden
möchte . Und weil Gott ſah , daß in jenen
beſondern Künſten , nämlich der Mahler- ,
Bildhauer- und Baukunſt , als in Dingen
von ſo vieler Ämſigkeit und Übung , die Ein¬
gebohrnen des Toſcaniſchen Gebietes ſeit je¬
her unter allen ſich vornehmlich hervorge¬
than haben und meiſterlich geworden ſind ,
( denn ſie ſind zu Anſtrengung und eifriger
Geiſtesarbeit jeder Art , vor allen andern
Nationen Italiens vorzüglich geneigt ; ) —
ſo wollte er ihm Florenz als die würdigſte
Stadt von allen zur Heimath anweiſen , da¬
mit die verdiente Krone aller Tugenden ihm
von einem Mitbürger aufs Haupt geſetzt
werden könnte . « —
Mit ſolcher Verehrung redet der alte
Vaſari von dem großen Michel ' Angelo , und
drängt am Ende ſeine allgemeine Bewunde¬
rung , auf eine ſchöne und menſchliche Weiſe ,
in ein herzliches patriotiſches Gefühl zuſam¬
men , und freut ſich inniglich , daß dieſer
Mann , den er wie einen Herkules unter den
Helden der Kunſt verehrt , mit ihm denſelben
kleinen Raum der Erde zur Heimath gehabt
hat . Er beſchreibt das Leben des Buona¬
rotti am aller ausführlichſten , und thut oft
recht gutmüthig-ſtolz darauf , daß er ſeiner
vertrauteſten Freundſchaft genoſſen .
Doch wir wollen uns nicht an dem bloßen
Anſtaunen dieſes großen Mannes begnügen ,
ſondern vielmehr in ſeinen inneren Geiſt hin¬
eingehen , uns in den eigenthümlichen Cha¬
rakter ſeiner Werke hineinſchmiegen . Es iſt
nicht genug , ein Kunſtwerk zu loben : » es
iſt ſchön und vortrefflich , « denn dieſe
allgemeinen Redensarten gelten auch von
den verſchiedenartigſten Werken ; — wir müſ¬
ſen uns jedem großen Künſtler hingeben , mit
ſeinen Organen die Dinge der Natur an¬
ſchauen und ergreifen , und in ſeiner Seele
ſprechen können : » Das Werk iſt in ſeiner
Art richtig und wahr . «
Die Mahlerey iſt eine Poeſie mit Bil¬
dern der Menſchen . So wie nun die Poe¬
ten ihre Gegenſtände mit ganz verſchiedenen
Empfindungen beſeelen , je nachdem ihnen
vom Schöpfer ein verſchiedener Geiſt einge¬
haucht iſt ; ſo auch in der Mahlerey . Einige
Dichter beleben ihr ganzes Werk innerlich
mit einer ſtillen und geheimen poetiſchen
Seele ; bey andern aber bricht die überfließen¬
de , üppige dichteriſche Kraft in jedem Mo¬
mente der Darſtellung hervor .
Dies iſt dieſelbe Verſchiedenheit , welche
ich zwiſchen dem göttlichen Raphael und
dem großen Buonarotti finde : jenen möchte
ich den Mahler des neuen , dieſen des alten
Teſtamentes nennen ; denn auf jenem , — ich
wage den kühnen Gedanken auszuſprechen , —
ruhet der ſtille göttliche Geiſt Chriſti , — auf
dieſem , der Geiſt der inſpirirten Propheten ,
des Moſes und der übrigen Dichter des
Morgenlandes . Hier iſt nichts zu loben
und zu tadeln , ſondern ein jeglicher iſt
was er iſt .
So wie die inſpirirten Orientaliſchen Dich¬
ter , von der inwohnenden , mit Gewalt ſich
regenden himmliſchen Kraft , zu außerordent¬
lichen Phantaſieen getrieben wurden , und
aus innerlichem Drange die Worte und Aus¬
drücke der irdiſchen Sprache durch lauter
feurige Bilder gleichſam in die Höhe zwan¬
gen ; ſo ergriff auch die Seele des Michel '
Angelo immer mit Macht das Außerordent¬
liche und Ungeheure , und drückte in ſeinen
Figuren eine angeſpannte , übermenſchliche
Kraft aus . Er verſuchte ſich gern an erha¬
benen , furchtbaren Gegenſtänden ; er wagte
in ſeinen Bildern die kühnſten und wildeſten
Stellungen und Gebehrden ; er drängte Muſ¬
keln auf Muſkeln , und wollte in jede Nerve
ſeiner Figuren die hohe poetiſche Kraft ſtem¬
peln , wovon er erfüllt war . Er ergründete
das innerliche Triebwerk der Menſchenma¬
ſchine bis in die verborgenſten Wirkungen ;
er ſpürte die härteſten Schwierigkeiten in
der Mechanik des menſchlichen Körpers auf ,
um ſie zu bekämpfen , und um die üppige
Fülle ſeiner Geiſteskraft auch in den körper¬
lichen Theilen der Kunſt auszulaſſen und zu
befriedigen : — grade ſo wie Dichter , in de¬
nen ein nicht zu löſchendes lyriſches Feuer
brennt , ſich an großen und ungeheuren
Ideen nicht genügen , ſondern vornehmlich
auch in dem ſichtbaren , ſinnlichen Werkzeuge
ihrer Kunſt , in Ausdruck und Worten , ihre
kühne und wilde Stärke abzudrücken ſtre¬
ben . Die Wirkung iſt , an beyden Orten ,
groß und herrlich : der innere Geiſt des Gan¬
zen leuchtet dann auch aus jedem der einzel¬
nen äußeren Theile hervor . —
Alſo erſcheint mir der vielbeurtheilte Buo¬
narotti , und wer ihn in dieſer Geſtalt , un¬
ter den alten Mahlern ins Auge faßt , der
mag wohl mit Erſtaunen und Bewunderung
fragen : Wer mahlte vor ihm , wie er ? Wo¬
her nahm er die ganz neue Größe , von wel¬
cher vorher kein Auge jemals wußte ? Und
wer hat ihn auf die vorher unbekannten
Wege gebracht ?
Es iſt in der Welt der Künſtler gar kein
höherer , der Anbetung würdigerer Gegen¬
ſtand , als : — ein urſprünglich Original ! —
Mit ämſigem Fleiße , treuer Nachahmung ,
klugem Urtheil zu arbeiten , — iſt menſch¬
lich ; — aber das ganze Weſen der Kunſt
mit einem ganz neuen Auge zu durchblicken ,
es gleichſam mit einer ganz neuen Hand¬
habe zu erfaſſen , — iſt göttlich .
Indeſſen iſt es das Schickſal der Origi¬
nale , eine elende Schaar von Nachbetern
hervorzubringen , und Michel ' Angelo weiſ¬
ſagte dies von ſich ſelber , wie es nachmals
zutraf . Ein Original ſchwingt ſich mit ei¬
nem kühnen Sprunge auf einmal bis an die
Gränze des Kunſtgebiets , ſteht kühn und
feſt da , und zeigt das Außerordentliche und
Wundervolle . Es giebt aber für den blöden
Geiſt des Menſchen faſt nichts Außerordent¬
liches und Wundervolles , an deſſen Gränze
nicht ganz nahe Thorheit und Abgeſchmackt¬
heit läge . Die jämmerlichen Nachbeter , de¬
nen die eigene Kraft zum feſten Stande
mangelt , irren blind umher , und was ſie
nachbilden , iſt , wenn es mehr als ſchwaches
Schattenbild ſeyn ſoll , verzerrte Übertrei¬
bung .
Die
Die Zeit des Michel' Angelo , die An¬
fangs-Epoche der italieniſchen Mahlerey , iſt
überhaupt allein das Zeitalter der Mahler¬
originale . Wer mahlte vor Correggio , wie
Correggio ? vor Raphael , wie Raphael ? —
Allein es iſt , als wenn die allzufreygebige
Natur in dieſer Zeit ſich an Kunſtgenie arm
geſchenkt hätte ; denn die beſten ſpäteren
Meiſter , bis auf die neueſten Zeiten , haben
faſt alle kein anders Ziel gehabt , als irgend
einen der erſten Ur- und Normalkünſtler ,
oder auch gar mehrere zuſammen , nachzuah¬
men , und ſind auch nicht leicht auf andre
Weiſe groß geworden , als indem ſie vor¬
trefflich nachgeahmt haben . Selbſt der
hohe und wohlverdiente Ruhm , welchen die
Reformatorſchule der Caracci ſich erworben
hat , iſt auf kein anderes Verdienſt gegrün¬
det , als daß ſie die in Verfall gerathene
Nachahmung jener alten Ahnherren , durch
M
würdige Beyſpiele wieder in die Höhe brachte .
Und wen ahmten jene Ahnherren ſelber nach ?
Sie ſchöpften die ganze neue Herrlichkeit aus
ſich ſelber .
Brief
jungen deutſchen Mahlers
in Rom
an ſeinen Freund in Nürnberg .
Theurer Bruder und Genoſſe ,
L ange iſt es ſchon , ich weiß es wohl , daß
ich Dir nicht geſchrieben habe , ſo oft ich
auch mit inniger Liebe an Dich dachte ; denn
es giebt Stunden im Leben , in denen den
beflügelten Gedanken alles Äußere zu lang¬
ſam von Statten geht , wo die Seele ſich
ſelbſt mit Vorſtellungen abarbeitet , und eben
deswegen äußerlich nichts geſchieht . Eine
ſolche Epoche habe ich jetzt erlebt , und nun ,
da ich innerlich wieder etwas zur Ruhe bin ,
nehme ich auch ſogleich die Feder , um Dir ,
geliebter Sebaſtian , meinem wertheſten Ju¬
M 2
gendfreunde , zu berichten , wie es mir er¬
gangen , und was ſich mit mir zugetragen
hat .
Soll ich Dir weitläuftig ſchreiben , wie
das gelobte Land Italia beſchaffen ſey , und
mich in unzuſammenhängende Bewunderun¬
gen ergießen ? Es finden da keine Worte
ihren rechten Platz , denn wie mag ich , der
Sprache ſo ganz unkundig , Dir den hellen
Himmel , die weiten paradieſiſchen Ausſich¬
ten , durch die die erquickende Luft ſpielend
ziehet , würdig darſtellen ? Weiß ich doch
kaum in meinem eigenthümlichen Handwerke
Farben und Striche aufzufinden , um das ,
was ich innerlich ſehe und faſſe , auf die
Leinwand hinzuzeichnen .
So verſchieden aber auch alles hier ſeyn
mag , was Himmel und Erde betrifft , ſo läßt
es ſich doch noch eher ahnden und glauben ,
als dasjenige , was ich Dir von der Kunſt
zu ſagen habe . Ihr mögt da in Deutſch¬
land fleißig zuſammen mahlen , lieber Seba¬
ſtian , Du und unſer überaus theurer Lehrer
Albrecht Dürer ; aber wenn ihr hieher plötz¬
lich verſchlagen würdet , ſo würdet ihr wahr¬
lich wie zwey Geſtorbene ſeyn , die ſich im
Himmel noch nicht zurecht zu finden wiſ¬
ſen . Da ſeh' ich in Gedanken den künſtlichen
Meiſter Albrecht auf ſeinem Schemel ſitzen ,
und mit einer kindiſchen , faſt rührenden Äm¬
ſigkeit an einem feinen Stückchen Holze
ſchnitzeln , wie er die Erfindung und Aus¬
führung wohl überlegt , und das angefan¬
gene Kunſtſtück zu wiederhohlten Mahlen be¬
trachtet ; ich ſehe ſeine weite ausgetäfelte
Stube und die runden Scheiben , uud und Dich
mit dem unermüdlichen getreuen Fleiße vor
einer Kopey , und wie die jüngern Schüler
ab- und zugehen , und der alte Meiſter Dü¬
rer manches kluge und manches luſtige Wort
fallen läßt ; dann ſehe ich unſre Hausfrau
hereintreten , oder den wohlberedten Wili¬
bald Pirkheimer , der die Gemählde und
Zeichnungen betrachtet , und mit Albrecht ei¬
nen lebhaften Diſput anfängt ; — und wenn
ich mir dies alles eigentlich in meinen Ge¬
danken vorſtelle , ſo kann ich ordentlich nicht
recht begreifen , wie ich hieher gekommen bin ,
und wie hier alles ſo anders iſt .
Erinnerſt Du Dich noch der Zeit , als
wir zuerſt bey unſerm Meiſter in die Lehre
gegeben wurden , und wir es gar nicht be¬
greifen konnten , daß aus den Farben , die
wir rieben , ein Geſicht oder ein Baum her¬
vorgehen ſollte ? Mit welchem Erſtaunen
betrachteten wir dann den Meiſter Albrecht ,
der immer alles ſo wohl anzuwenden wußte ,
und nie über die Ausführung ſeiner größten
Sachen in Verlegenheit kam ! Ich war oft
wie im Traum , wenn ich aus der Mahler¬
ſtube ging , um ihm Wein oder Brot einzu¬
kaufen , und ich meynte ſogar in manchen
Stunden , wenn alle die übrigen unkünſt¬
lichen Menſchen , Handwerker oder Bauern ,
an mir vorübergingen , er müſſe wohl gar
ein Zauberer ſeyn , daß ſich das Lebloſe ſo
auf ſeinen Ruf zurechtfinde , und gleichſam
lebendig werde .
Aber was würde ich erſt geſagt oder ge¬
fühlt haben , hätte man mir damals die ver¬
klärten Angeſichter Raphaels vor die kindi¬
ſchen Augen gehalten ? Ach , lieber Seba¬
ſtian , wenn ich ſie verſtanden hätte , ſo wäre
ich gewiß in meine Kniee geſunken , und
hätte meine ganze junge Seele in Andacht ,
Thränen und Anbetung aufgelöſt ; denn bey
unſerm großen Dürer findet man doch noch
das Irdiſche heraus , man begreift es doch ,
wie ein künſtlicher und wohlgeübter Mann
auf dieſe Geſichter und Erfindungen verfal¬
len konnte ; — wenn wir recht mit den Au¬
gen in das Gemählde einwurzeln , ſo können
wir faſt die gefärbten Figuren wieder ver¬
treiben , und das leere , einfache Bret darun¬
ter entdecken : — aber bey dieſem Meiſter ,
mein Theurer , iſt alles ſo wunderbar einge¬
richtet , daß Du ganz vergiſſeſt , daß es Far¬
ben und eine Mahlerkunſt giebt , und Dich
nur innerlich vor den himmliſchen , und doch
ſo herz-menſchlichen Geſtalten mit der wärm¬
ſten Liebe demüthigſt , und ihnen Dein Herz
und Deine Seele zueigneſt . — Glaube nicht ,
daß ich aus jugendlichem Eifer übertreibe ;
Du kannſt es Dir nicht vorſtellen und nicht
faſſen , wenn Du nicht ſelber kommſt und
ſiehſt .
Überhaupt , lieber Sebaſtian , iſt dieſe Er¬
de durch die Kunſt ein gar herrlicher und
lieblicher Aufenthalt ; ich habe es erſt jetzt
empfunden , wie ein unſichtbares Weſen in
unſerm Herzen wohnt , das allgewaltig von
den großen Kunſtwerken angezogen wird . —
Und wenn ich Dir alles geſtehen ſoll , mein
theurer Jugendfreund , ( wie ich es denn muß ,
denn ich fühle mich mit Gewalt dazu hinge¬
zogen , ) ſo liebe ich jetzt ein Mädchen , die
meinem Herzen über alles geht , und ich
werde von ihr wieder geliebt . Mein Sinn
taumelt alſo in einem ewigen Frühlingsglanze
umher , und ich möchte in manchen Stunden
des Entzückens ſagen , daß die Welt und die
Sonne des Himmels ihren Glanz von mir
erborgten , wenn es nicht zu frech wäre , ſeine
Freude auf dieſe Art ausſprechen zu wollen .
Mit inniger Rührung habe ich ſeit lange
ihre Züge in den beſten Gemählden aufge¬
ſucht , und ſie immer bey meinen liebſten
Meiſtern gefunden . Ich bin mit ihr verlobt ,
und in wenigen Tagen werden wir unſre
Hochzeit feyern ; Du ſiehſt alſo , daß ich nicht
Luſt habe nach unſerm Deutſchlande zurück¬
zukehren , ich hoffe Dich aber bald hier in
Rom zu umarmen .
Beſchreiben kann ich Dir es nicht , wie
Mariens Herz immer um das Wohl meiner
Seele beſorgt war , als ſie hörte , daß auch
ich der neuen Lehre zugethan ſey . Sie bat
mich oft inbrünſtig , zum alten , wahren Glau¬
ben zurückzukehren , und ihre liebevollen Re¬
den brachten oft meine ganze Phantaſie , und
alles , was ich für meine Überzeugungen hielt ,
in Unordnung . — Von dem , was ich Dir
nun ſchreiben werde , ſage nichts unſerm viel¬
geliebten Meiſter Dürer ; denn ich weiß , daß
es nur ſein Herz kränken würde , und es
könnte doch weder mir noch ihm weiter
fruchten .
Ich ging neulich in die Rotonda , weil
ein großes Feſt war , und eine prächtige la¬
teiniſche Muſik ſollte aufgeführt werden , oder
eigentlich anfangs nur um meine Geliebte
dort unter der betenden Menge wieder zu
ſehen , und mich an ihrer himmliſchen An¬
dacht zu beſſern . Der herrliche Tempel , die
wimmelnde Menge Volks , die nach und nach
hereindrang , und mich immer enger umgab , die
glänzenden Vorbereitungen , das alles ſtimmte
mein Gemüth zu einer wunderbaren Auf¬
merkſamkeit . Mir war ſehr feyerlich zu Mu¬
the , und wenn ich auch , wie es einem bey
ſolchem Getümmel zu gehen pflegt , nichts
deutlich und hell dachte , ſo wühlte es doch
auf eine ſo ſeltſame Art in meinem Innern ,
als wenn auch in mir ſelber etwas Beſonde¬
res vorgehen ſollte . Auf einmal ward alles
ſtiller , und über uns hub die allmächtige
Muſik , in langſamen , vollen , gedehnten Zü¬
gen an , als wenn ein unſichtbarer Wind
über unſern Häuptern wehte : ſie wälzte ſich
in immer größeren Wogen fort , wie ein
Meer , und die Töne zogen meine Seele
ganz aus ihrem Körper heraus . Mein Herz
klopfte , und ich fühlte eine mächtige Sehn¬
ſucht nach etwas Großem und Erhabenen ,
was ich umfangen könnte . Der volle latei¬
niſche Geſang , der ſich ſteigend und fallend
durch die ſchwellenden Töne der Muſik durch¬
drängte , gleich wie Schiffe , die durch Wel¬
len des Meeres ſeegeln , hob mein Gemüth
immer höher empor . Und indem die Muſik
auf dieſe Weiſe mein ganzes Weſen durch¬
drungen hatte , und alle meine Adern durch¬
lief , — da hob ich meinen in mich gekehr¬
ten Blick , und ſah um mich her , — und der
ganze Tempel ward lebendig vor meinen Au¬
gen , ſo trunken hatte mich die Muſik ge¬
macht . In dem Moment hörte ſie auf ,
ein Pater trat vor den Hochaltar , erhob
mit einer begeiſterten Gebehrde die Hoſtie ,
und zeigte ſie allem Volke , — und alles
Volk ſank in die Kniee , und Poſaunen , und
ich weiß ſelbſt nicht was für allmächtige
Töne , ſchmetterten und dröhnten eine erha¬
bene Andacht durch alles Gebein . Alles ,
dicht um mich herum , ſank nieder , und eine
geheime , wunderbare Macht zog auch mich
unwiderſtehlich zu Boden , und ich hätte mich
mit aller Gewalt nicht aufrecht erhalten kön¬
nen . Und wie ich nun mit gebeugtem Haupte
kniete , und mein Herz in der Bruſt flog ,
da hob eine unbekannte Macht meinen Blick
wieder ; ich ſah um mich her , und es kam
mir ganz deutlich vor , als wenn alle die
Katholiken , Männer und Weiber , die auf
den Knieen lagen , und , den Blick bald in
ſich gekehrt , bald auf den Himmel gerichtet ,
ſich inbrünſtig kreuzten , und ſich vor die
Bruſt ſchlugen und die betenden Lippen rühr¬
ten , als wenn alle um meiner Seelen Se¬
ligkeit zu dem Vater im Himmel beteten ,
als wenn alle die Hunderte um mich herum
um den einen Verlorenen in ihrer Mitte
flehten , und mich in ihrer ſtillen Andacht
mit unwiderſtehlicher Gewalt zu ihrem Glau¬
ben hinüberzögen . Da ſah ich ſeitwärts nach
Marien hin , ihr Blick begegnete dem meini¬
gen , und ich ſah eine große , heilige Thräne
aus ihrem blauen Auge dringen . Ich wußte
nicht wie mir war , ich konnte ihren Blick
nicht aushalten , ich wandte den Kopf ſeit¬
wärts , mein Auge traf auf einen Altar , und
ein Gemählde Chriſti am Kreuze ſah mich
mit unausſprechlicher Wehmuth an , — und
die mächtigen Säulen des Tempels erhoben
ſich anbetungswürdig , wie Apoſtel und Hei¬
lige , vor meinen Augen , und ſchauten mit
ihren Kapitälern voll Hoheit auf mich her¬
ab , — und das unendliche Kuppelgewölbe
beugte ſich wie der allumfaſſende Himmel
über mir her , und ſegnete meine frommen
Entſchließungen ein .
Ich konnte nach der geendigten Feyer¬
lichkeit den Tempel nicht verlaſſen ; ich warf
mich in einer Ecke nieder und weinte , und
ging dann mit zerknirſchtem Herzen vor al¬
len Heiligen , vor allen Gemählden vorüber ,
und es war mir , als dürfte ich ſie nun erſt
recht betrachten und verehren .
Ich konnte der Gewalt in mir nicht wi¬
derſtehen : — ich bin nun , theurer Sebaſtian ,
zu jenem Glauben hinübergetreten , und ich
fühle mein Herz froh und leicht . Die Kunſt
hat mich allmächtig hinübergezogen , und
ich darf wohl ſagen , daß ich nun erſt die
Kunſt ſo recht verſtehe und innerlich faſſe .
Kannſt Du es nennen , was mich ſo ver¬
wandelt , was wie mit Engelsſtimmen in
meine Seele hineingeredet hat , ſo gieb ihm
einen Namen , und belehre mich über mich
ſelbſt ; ich folgte bloß meinem innerlichen
Geiſte , meinem Blute , von dem mir jetzt
jeder Tropfen geläuterter vorkömmt .
Ach ! glaubte ich denn nicht ſchon ehe¬
mals die heiligen Geſchichten und die Wun¬
derwerke , die uns unbegreiflich ſcheinen ?
Kannſt Du ein hohes Bild recht verſtehen ,
und mit heiliger Andacht es betrachten , ohne
in dieſem Momente die Darſtellung zu glau¬
ben ? Und was iſt es denn nun mehr , wenn
dieſe Poeſie der göttlichen Kunſt bey mir
länger wirkt ?
Dein Herz wird ſich dem meinigen gewiß
nicht abwenden , das iſt nicht möglich , Se¬
baſtian , und ſo laß uns denn zu demſelben
Gotte beten , daß er unſer Gemüth hin¬
führo immer mehr erleuchte , und die wahre
Frömmigkeit auf uns herniedergieße : nicht
wahr , Freund meiner Jugend , das übrige
ſoll und kann uns nicht trennen ?
Lebe
Lebe recht wohl , und grüße herzlich un¬
ſern Meiſter . Wenn Du auch nicht meiner
Meynung biſt , wird Dir dieſer Brief doch
gewiß Freude machen , denn Du erfährſt daß
ich glücklich bin .
N
Die Bildniſſe der Mahler .
Die Muſe tritt mit einem jungen Künſtler
in den Gemähldeſaal .
Die Muſe .
W andle hier mit ſtillem , heiterm Ernſte ,
Freundlich beygeſellt den großen Meiſtern ,
Die mit Liebe deinen Buſen füllen :
Ruhe hier , nach ihren theuren Werken ,
Im Beſchauen ihrer Häupter aus .
Der Jüngling .
Wie fühl' ich mich hingezogen !
Wie pocht mein Herz
Den ſüßen , labenden Blicken entgegen !
Ach ! wie demüthigt ihr mich ,
Daß ihr alle ſo ernſt nach mir ,
Wie nach Einem Mittelpunkte ſchaut .
Wie fühl' ich mich verwandt zu euch ,
Und wie entfremdet !
Kühn möcht' ich jetzt den Pinſel faſſen ,
Und herrliche , große Geſtalten
Mit feſter Hand , mit dreiſten Farben zeichnen : —
Und dennoch wag' ich 's kaum
Den großen Ahnherrn hier ins Angeſicht zu blicken .
Wie unter Geiſtern bin ich feſtgebannt , —
Und wunderbare Lichter fallen
Von allen Bildern hier
In meinen dämmernden , ahndungsvollen Sinn . —
Wie nannte ſich dieſer Greis ,
Der mit freundlichen Blicken
Gedankenſchwer in ſeiner eignen Größe ruht ?
Die Muſe .
Dieſe theuren langen Silberhaare ,
Die ſo ſchön ins Haar des Bartes fallen ,
Zierten einſt den alten weiſen Mahler
Aus Toscana , meinen Leonardo ,
Der die große Schule dort gegründet .
Der Jüngling .
Geprieſen ſey die Hand , die uns dies theure Haupt
In ämſ'ger Arbeit aufbewahrt .
N 2
Er iſt's ! ich ſeh' ihn , wie er ſinnt ,
Und freundlich in die große weite Natur ſchaut ,
Und wie er raſtlos wieder
Nach neuer Erkenntniß trachtet . —
Doch wer iſt dieſer Mann ,
In Blick und Stellung ihm faſt ähnlich ,
Doch ernſt , und tiefer in ſich ſelbſt verſchloſſen .
Die Muſe .
Albrecht Dürer , der ſich mir ergeben ,
Heilig betend ſich an mich gedränget ,
Als im fernen wüſten Norden keiner ,
Mich und meine Kunſt geachtet : fromm und
Einfach war ſein Wandel , Kindern ähnlich .
Wie er ſelbſt , ſind alle ſeine Bilder .
Der Jüngling .
Ja , ich erkenne den ſtillen Fleiß ,
Die heilige Demuth des Hochbelobten ,
Die innere Arbeit des thätigen Geiſtes . —
Doch deute mir den Namen dieſes ,
Vor deſſen wildem Blick ich heimlich im Innern
Zuſammenſchaudre , wenn ihn mein Auge trifft !
Die Muſe .
Dieſer iſt der Stolz des Vaterlandes ,
Schönſtes Kleinod von Toscana ; — Staunen
Seiner Nachwelt : ſieh ' die Kraft des großen
Michel ' Angelo Buonarotti .
Der Jüngling .
Ha ! der Gewaltige , ſtark wie ein Löwe !
Der mit Erhabenheiten , mit dem Grauſen ſpielte . —
Aber die Sehnſucht drängt mich fern und ferner , —
Raſtlos irr' ich mit meinem Blick umher ,
Und immer find' ich nicht was ich ſuche .
Keine Stirn iſt edel und ſo begeiſtert ,
Kein Auge ernſt genug und tief erforſchend : —
Abſeits und einſam , mit langem Barte ,
Wunderbarem Heiligenſchein um graue Locken ,
Hängt vielleicht der göttliche Raphael .
Die Muſe .
Dieſer Jüngling hier war Raphael .
Der Jüngling .
Dieſer Jüngling ? — Unerforſchlich , Gott !
Sind Deine Wege ,
Unerforſchlich die tiefen Wunder der Kunſt !
Dieſes heitre , unbefangne Auge
Sah auf ſelbſterſchaffne Chriſtusbilder ,
Madonnen , Heilige und Apoſtel ,
Und alte Weiſen , und wilde Schlachten ! —
Ach ! er ſcheint nicht älter als ich ſelber .
Über kleine frohe Spiele ſcheint er ſinnend ,
Und das Sinnen wieder ſcheint ihm Spiel .
Wie ich mich ihm ſo nah , ach ! ſo vertraulich fühle !
Wie kein Ernſt , kein hoher Greiſesſtolz
Mich Armen rückwärts hält , — wie ich ihm an die
Bruſt
Mit Weinen ſinken möchte , und in Freude vergehn !
Ach ! er würde mich gern in ſeine Arme nehmen ,
Und freundlich mich über meine Bewunderung ,
Über mein Glück zu tröſten ſuchen . —
Nein , ich laſſe den Thränen ihren Lauf ; —
In der ſchönſten Bildung hat ſich in dir
Die himmliſche Kunſt den Menſchenkindern offen¬
bart . —
Die Mahlerchronik .
A ls ich in meiner Jugend mit unruhigem
Geiſte hier und dort umherzog , und überall
begierig aufſchaute , wo von Kunſtſachen et¬
was zu ſehen war , befand ich mich auch
einmal auf einem fremden gräflichen Schloſ¬
ſe , wo ich drey Tage lang mich an den vie¬
len Gemählden nicht ſatt ſehen konnte . Ich
wollte ſie alle auswendig lernen , und er¬
hitzte mein Blut dabey ſo ſehr , daß mir die
tauſend mannigfaltigen Bilder den Kopf ganz
verwirrten . Am dritten Tage kam ein alter
Mann , ein reiſender italieniſcher Pater im
Schloſſe an , deſſen Namen ich bis auf dieſe
Stunde nicht erfahren habe ; auch habe ich
ſeit dem Tage nie wieder von ihm gehört .
Er war ein grundgelehrter Mann , und hatte
ſo viel Dinge in ſeinem Kopfe , daß ich er¬
ſtaunen mußte ; im Äußern glich er einem
Weltweiſen aus dem ſechszehnten Jahrhun¬
dert . Obwohl ich nun noch ſo jung war ,
ließ er ſich doch gar freundlich ins Geſpräch
mit mir ein , ( denn er mußte irgend etwas ,
das ihm gefiel , an mir finden , ) und ging
mit mir den ganzen Tag in den Bilderſälen
umher .
Da er meinen großen Eifer in Betrach¬
tung der Gemählde wahrnahm , fragte er
mich : Ob ich denn auch die Meiſter zu nen¬
nen wüßte , welche dieſes und jenes Stück
gemacht hätten ? Ich antwortete , daß ich
die berühmteſten wohl kennte . Darauf fragte
er mich wieder : Ob ich denn nicht mehr von
ihnen wüßte , als die Namen ? Wie er
merkte , daß ich wirklich nicht viel mehr
wußte , nahm er das Wort , und ſprach zu
mir :
» Du haſt bisher die ſchönen Bilder an¬
geſtaunt , mein lieber Sohn , als wären es
Wunderwerke , vom Himmel auf die Erde
heruntergefallen . Aber bedenke , daß dies
Alles Werk von Menſchenhänden iſt , — daß
manche Künſtler ſchon in Deinen Jahren ganz
vortreffliche Sachen zu Stande brachten .
Was meynſt Du nun ? Sollteſt Du nicht
Luſt empfinden , von den Männern , welche
ſich in der Mahlerey hervorgethan haben ,
etwas mehreres zu erfahren ? Es giebt uns
wunderbare Gedanken ein , wenn wir be¬
trachten , wie ihre Werke in immer gleicher
ewiger Herrlichkeit glänzen ; die Schöpfer
dieſer Werke aber , im Leben und Sterben ,
Menſchen wie wir andre geweſen ſind , in
denen nur , ſo lange ſie lebten , ein beſondres
himmliſches Feuer brannte . Dergleichen Be¬
trachtungen verſetzen uns in eine wehmüthige
und träumeriſche Stimmung , in welcher im¬
mer allerhand gute Ideen uns vorüberzuzie¬
hen pflegen . «
Ich erinnere mich der Worte des lieben ,
redſeligen alten Mannes noch ſehr genau ,
und mit dem herzlichſten Vergnügen ; drum
will ich noch mehr davon aufzuzeichnen
ſuchen .
Er fuhr , wie er ſah , daß ich ſtill und
begierig zuhörte , ungefähr alſo fort :
» Ich habe mit Freude bemerkt , mein
Sohn , daß Dein Gemüth ſehr zu dem vor¬
trefflichen Raphael hinhängt . Wenn Du
nun vor einem recht herrlichen Bilde ſeiner
Hände da ſtehſt , jeden ſeiner Pinſelſtriche
mit Ehrfurcht betrachteſt , und denkſt : Hätt'
ich den heiligen Mann doch im Leben ge¬
ſehn ! wie hätt' ich ihn anbeten wollen ! —
und nun hörteſt Du dabey die alten Lebens¬
beſchreiber der Mahler folgendermaßen von
ihm erzählen : — Dieſer Raphael Sanzio
war das einzige Kind ſeiner Ältern ; herzlich
liebte ihn der Vater , und wollte ausdrück¬
lich , daß ihn die Mutter mit eigener Milch
groß ſäugte , damit er nicht unter die gemei¬
nen Leute käme ; und da er heran wuchs ,
half er als ein zarter Knabe dem Vater bey
der Arbeit , und der Vater war froh , daß er
ſeine Sachen ſo gut machte ; um ihn aber
was rechtes lernen zu laſſen , nahm er Ab¬
rede mit Meiſter Pietro von Perugia , daß
er ihn in die Lehre nähme , und führte ihn
ſelber mit großen Freuden nach Perugia hin ,
wo Pietro den Knaben gar freundlich auf¬
nahm ; aber die Mutter hatte beym Abſchied
viel Thränen vergoſſen , und konnte ſich
kaum von dem Kinde losreißen , denn auch
ſie liebte es herzinniglich : — — ſage mir ,
wie wird Dir zu Muth , wenn Du das an¬
hörſt ? Iſt Dir nicht lieblich und wohl da¬
bey , dieſe Dinge zu vernehmen ? — — Und
dies war eben derſelbe Menſch , der nach
kurzen ſieben und dreyßig Jahren , von aller
Welt betrauert , kalt und bleich im Sarge
lag . — Der Leichnam lag in ſeinem Ar¬
beitszimmer , und ein köſtliches Leichengedicht ,
das göttliche Gemählde von der Transfigu¬
ration , ſtand neben dem Sarge auf der
Stafeley . — Dies Gemählde , worin wir
noch jetzt das Elend der Erde , den Troſt ed¬
ler Männer , und die Glorie des Himmel¬
reichs in ſo herrlicher Vereinigung dargeſtellt
ſehn , — und der Meiſter , von dem es er¬
dacht und ausgeführt war , kalt und bleich
daneben . « —
Mich reizten dieſe Sachen außerordent¬
lich , und ich bat den fremden Mann , mir
noch mehr von Raphael zu erzählen .
» Das ſchönſte , was ich Dir von ihm ſa¬
gen kann , « antwortete er , » iſt , daß er als
Menſch eben ſo edel und liebenswürdig war ,
wie als Künſtler . Er hatte nichts von dem
finſtern und ſtolzen Weſen anderer Künſtler ,
welche manchmal mit Fleiß allerhand Selt¬
ſamkeiten annehmen ; ſein ganzes Leben und
Weben auf Erden war einfach , ſanft und
heiter , wie ein fließender Bach . Seine Ge¬
fälligkeit ging ſo weit , daß wenn fremde ,
auch ganz unbekannte Mahler ihn um Zeich¬
nungen von ſeiner Hand erſuchten , er ſeine
Arbeit liegen ließ , und ſie zuerſt befriedigte .
So half er ſehr vielen aus , und belehrte ſie
wie ein Vater , höchſt liebreich . Seine Vor¬
trefflichkeit in der Kunſt verſammelte eine
Menge Mahler um ihn her , die ſich beei¬
ferten ſeine Schüler zu ſeyn , obwohl ſie den
Lehrjahren ſelber zum Theil ſchon entwach¬
ſen waren . Sie begleiteten ihn , wenn er
an den Hof ging , aus ſeinem Hauſe , und
machten ein großes Gefolge aus . So viele
Mahler von verſchiedenen Sinnen aber hät¬
ten gewiß nicht ohne Uneinigkeit und Zwie¬
tracht mit einander gelebt , hätte nicht der
Geiſt ihres großen Meiſters auf eine zauber¬
hafte Weiſe ſie wie eine Sonne des Frie¬
dens beſchienen , und alle Flecken von ihrer
Seele getilgt . So wurden ſie von ſeinem
Geiſte , wie von ſeinem Pinſel beſiegt . —
Noch findet ſich in dem Leben Raphaels eine
ſchöne Wundergeſchichte , und das iſt dieſe .
Er mahlte einen vortrefflichen kreuztragen¬
den Chriſtus mit vielen Figuren , welcher
für ein Kloſter in Palermo beſtimmt war .
Aber das Schiff , worin das Bild hinge¬
bracht werden ſollte , litt heftigen Sturm
und Schiffbruch ; Menſchen und Waaren
gingen zu Grunde ; — nur dies Gemählde , —
es war eine beſondere Fügung der Vor¬
ſicht , — dies Gemählde ward von freund¬
lichen Wellen bis in den Hafen von Genua
getragen , wo man es völlig unverſehrt aus
ſeinem Kaſten herausnahm . Alſo bewie¬
ſen ſelbſt die wilden Elemente dem heiligen
Manne ihre Ehrfurcht . Es ward darauf
nach Palermo gebracht , und iſt dort , wie
der alte Vaſari ſich ausdrückt , für ein eben
ſo großes Kleinod der Inſel Sicilien geach¬
tet , als der Berg Ätna . « —
Ich freute mich über die herrlichen Ge¬
ſchichten immer inniger , drückte dem Pater
die Hände , und fragte ſehr begierig : Aber
woher habt Ihr alle dieſe Sachen erfahren ?
» Wiſſe , mein Sohn , « antwortete er , » es
haben mehrere verdiente Männer Chroniken
der Kunſtgeſchichte geführt , und die Leben
der Mahler ausführlich beſchrieben , von de¬
nen der älteſte , und zugleich wohl der vor¬
nehmſte , Giorgio Vaſari mit Namen
heißt . Wenige leſen dieſe Bücher heutiges
Tages , obwohl viel Geiſt und Menſchen¬
weisheit darinnen verborgen liegt . Bedenk'
einmal , was es ſchön iſt , die Männer , die
Du nach ihrer verſchiedenen Art den Pinſel
zu
zu führen kenneſt , nun auch nach ihren ver¬
ſchiedenen Charaktern und Sitten kennen zu
lernen . Beydes fließt Dir dann in ein
Bild zuſammen : und wenn Du die mit ganz
trockenen Worten erzählten Geſchichten mit
dem rechten , innigen Gefühle faſſeſt , ſo
wird eine herrliche Erſcheinung , nämlich der
Künſtlercharakter vor Dir aufſteigen ,
der , wie er ſich ſo mannigfaltig in den tau¬
ſend verſchiedenen einzelnen Menſchen zeigt ,
Dir ein ganz neues , liebliches Schauſpiel
gewähren wird . Jeder Charakter wird Dir
ein eigenes Gemählde ſeyn , und Du wirſt
eine herrliche Gallerie von Bildniſſen zum
Spiegel Deines Geiſtes um Dich her ver¬
ſammelt haben . «
Dies verſtand ich damals noch nicht recht ,
wiewohl es nachher , nachdem ich die gedach¬
ten Bücher geleſen habe , ganz meine eigene
Meynung geworden iſt . — Indeſſen lag ich
O
dem guten alten Pater ſehr dringend an ,
mir immer noch mehr ſchöne Geſchichten aus
der Mahlerchronika zu erzählen . » Ich will
mich beſinnen , « ſagte er mit lächelndem
Munde , » ich rede gern von den alten Mah¬
lergeſchichten . « Und nun erzählte er mir
fürwahr eine ganze Menge der ſchönſten Hi¬
ſtorien ; denn er hatte alle Bücher , die je
von der Kunſt geſchrieben ſind , oftmals ge¬
leſen , und wußte das Beſte daraus im Kopfe .
Mir waren ſeine Erzählungen ſo eindring¬
lich , daß ich ſie faſt noch mit ſeinen Worten
bis jetzt behalten habe , und ich will ein
Theil davon zur Luſt wieder erzählen .
Als wir in dem Bilderſaal , wo wir uns
befanden , auf ein Gemählde von dem vor¬
trefflichen Domenichino trafen , ſagte er
mir , daß dieſer Mahler ein merkwürdiges
Beyſpiel von einem heißen Eifer in der
Kunſt abgebe , und fuhr , um dies zu bewei¬
ſen , alſo fort :
»Ehe dieſer Meiſter ein Gemählde an¬
fing , dachte er eine lange Zeit vorher dar¬
über nach , und blieb wohl manchmal ganze
Tage lang allein in ſeinem Gemach , bis das
Bild in allen kleinſten Theilen vollendet vor
ſeiner Seele ſtand . Dann war er vergnügt ,
und ſagte : nun iſt die Hälfte der Arbeit ge¬
than . Und hatte er einmal zum Pinſel ge¬
griffen , ſo blieb er wieder den ganzen Tag
bey der Stafeley angeheftet , und mochte
ſich kaum ein paar Minuten zum Eſſen ab¬
brechen . Er mahlte mit größtem Fleiß und
Vollendung , und überall legte er tiefen Aus¬
druck hin . Als einer ihn einmal bereden
wollte , ſich nicht ſo abzuquälen , ſondern die
leichtere Manier anderer Mahler zu ergrei¬
fen , antwortete er ganz kurz : Ich arbeite
bloß für mich , und die Vollkommenheit der
Kunſt . Er konnte nicht begreifen , wie an¬
dre Mahler die größten und wichtigſten
O 2
Sachen mit ſo weniger Theilnahme arbeiten
mochten , daß ſie während des Mahlens im¬
merfort mit ihren Bekannten ſchwatzen konn¬
ten . Drum hielt er dieſe auch für bloße
Handarbeiter , die das innere Heiligthum der
Kunſt nicht kennten . Er ſelber war , wenn
er mahlte , immer mit ſo lebendiger Seele
in ſeinem Gegenſtande drinnen , daß er in
ſich ſelbſt die Empfindungen und Affekten
fühlte , die er vorſtellen wollte , und ſich un¬
willkührlich darnach gebehrdete . Manchmal ,
wenn er eine trauernde Figur im Sinn hatte ,
hörte man ihn in ſeinem Arbeitszimmer mit
unterdrückter , ächzender Stimme wehklagen ;
oder wenn es ein freudiges Geſicht ſeyn
ſollte , ſo war er munter , und ſprach lebhaft
mit ſich allein . Er mahlte darum in einem
abgelegenen Gemach , und ließ keinen , auch
von ſeinen Schülern nicht , hinzu , um nicht
in ſeinen Entzückungen geſtört , und für när¬
riſch verlacht zu werden . In ſeinen jüngern
Jahren war er auch einmal in ſo einer ent¬
zückten Stunde , als ſich ein recht rührendes
Schauſpiel ereignete . Der vortreffliche An¬
nibale Caracci kam eben , ihn zu beſuchen :
wie er aber die Thür öffnete , ſah er ihn
ganz aufgebracht vor der Stafeley ſtehn ,
voller Wuth und Zorn , und mit einer dro¬
henden Gebehrde . Er blieb ſtill an der Thür ,
und ward gewahr , daß ſein Freund bey dem
Bilde von der Marter des heiligen Andreas
beſchäftigt war , und eben einen trotzigen
Kriegsknecht mahlte , der dem Apoſtel droht .
Mit inniger Freude und Verwunderung ſah
er ihm eine ganze Zeitlang zu , und regte
ſich nicht ; — aber endlich konnte er ſich nicht
länger halten : — » Ich danke Dir ! « rief er
aus , ſtürzte auf ihn zu , und fiel ihm mit
klopfendem Herzen um den Hals . « —
» Dieſer Annibale Caracci war ſelbſt
ein gar herrlicher , kräftiger Mann , der die
ſtumme Größe der Kunſt recht inniglich
fühlte , und es beſſer achtete , ſelber große
Werke hervorzubringen , als mit zierlichen ,
leichten Worten um große Werke der Kunſt
herumzuſpielen . Sein Bruder Agoſtino
dagegen war , neben ſeiner Kunſt , ein feiner
Weltmann , ein Litteratus und Sonnetten¬
dichter , der über Kunſtſachen gern viel Worte
machte . Als nun beyde von Rom zurückge¬
kommen waren , und wieder in ihrer Akade¬
mie in Bologna ſaßen und arbeiteten , fing
dieſer Agoſtino einſtmals an , die merkwür¬
dige antike Gruppe des Laokoon gar weit¬
läuftig zu beſchreiben , und alle die einzelnen
Schönheiten mit gar zierlichen Reden her¬
auszuſtreichen . Wie nun ſein Bruder Anni¬
bale ganz kalt und träumeriſch daneben ſtand ,
als wenn er es nicht verſtände , ward jener
ungehalten , und fragte : ob er denn nichts
davon fühlte ? Das verdroß ihn innerlich ;
ſtillſchweigend nahm er eine Kohle , ging an
die Wand , und zeichnete ſchnell aus dem
Kopf die ganze Gruppe vom Laokoon den
Umriſſen nach ſo treu und richtig hin , daß
man ſie vor Augen zu ſehen glaubte . Dann
trat er lächelnd von der Wand zurück , —
alle Anweſende aber erſtaunten , und Ago¬
ſtino gab ſich für überwunden , und erkannte
ihn als den Sieger im Wettſtreit . « —
Als der fremde Mann dieſe Geſchichten
erzählt hatte , kam ich auf andre Dinge mit
ihm zu reden , und fragte ihn unter andern :
ob er nicht auch Geſchichten von Knaben
wüßte , die von früher Jugend an einen
beſondern Hang zur Mahlerkunſt gehabt
hätten ?
» O ja , « ſagte der fremde Mann lächelnd ,
»es wird uns von mehreren Knaben berich¬
tet , die in ganz ſchlechtem Stande gebohren
und erzogen , und daraus gleichſam vom
Himmel zur Mahlerkunſt berufen wurden .
Davon fallen mir mehrere Exempel ein .
Gleich einer der allerälteſten Mahler von
Italien , Giotto , war in der Jugend nichts
weiter als ein Hirtenjunge , der die Schafe
hütete . Er hatte ſeine Freude daran , ſeine
Schafe auf Steinen oder im Sande abzu¬
zeichnen ; dabey betraf ihn einmal Cimabue ,
der Urvater aller Mahler , und nahm ihn
mit ſich , da der Knabe denn bald ſeinen
Lehrmeiſter überſah . Wenn ich nicht irre , ſo
werden uns ganz ähnliche Geſchichten vom
Domenico Beccafumi , und auch von
dem geſchickten Bildhauer Contucci er¬
zählt , der als Knabe das Vieh , das er wei¬
den mußte , in Thon nachbildete . So war
auch der bekannte Polidoro da Cara¬
vaggio anfangs weiter nichts , als ein Bur¬
ſche , der den Maurern am Vatikan den
Mörtel zutrug ; dabey aber ſah er den Schü¬
lern Raphaels , die eben dort arbeiteten ,
fleißig zu , bekam eine unwiderſtehliche Luſt
zum Mahlen , und lernte gar ſchnell und
eifrig . — Ja , es fällt mir noch ein ſehr ar¬
tiges Exempel ins Gedächtniß , von dem al¬
ten franzöſiſchen Mahler Jacob Callot ;
der hatte als Knabe viel von den herrlichen
Sachen in Italien reden hören , und bekam ,
da er das Zeichnen über alles liebte , eine
Wuth das herrliche Land zu ſehn . Als ein
Knabe von eilf Jahren lief er heimlich dem
Vater fort , ohne einen Kreuzer Geld in der
Taſche , und wollte geradesweges nach Rom .
Er mußte ſich bald aufs Betteln legen , und
wie er auf ſeinem Wege einen Trupp Zi¬
geuner antraf , ſchlug er ſich dazu , und wan¬
derte mit ihnen bis Florenz , wo er wirklich
bey einem Mahler in die Lehre kam . Dann
ging er nach Rom ; hier aber ſahen ihn fran¬
zöſiſche Kaufleute aus ſeiner Vaterſtadt ,
welche die Noth und Angſt der Aeltern um
ihn wußten , und ihn mit Gewalt mit ſich
zurücknahmen . Als der Vater ihn wieder
hatte , wollte er ihn zwingen , ſich fleißig an
die Studia zu halten ; allein das war alles
verlorene Mühe . Im vierzehnten Jahre lief
er zum zweytenmal fort nach Italien ; aber
ſein Unſtern wollte , daß er in Turin auf
der Straße ſeinem ältern Bruder begegnen
mußte , der ihn von neuem zu dem Vater
zurückſchleppte . Endlich ſah dieſer ein , daß
kein Mittel half , und gab ihm nun von
freyen Stücken die Erlaubniß , zum dritten¬
mal nach Italien zu gehn , wo er ſich denn
auch zu einem wackern Künſtler bildete . Bey
allen ſeinen jugendlichen Streifereyen war
er immer ohne Gefahr geblieben , und hatte
ſeine ganze Unſchuld der Seele behalten ;
denn er mußte unter beſonderer Obhut des
Himmels ſtehen . Noch iſt merkwürdig von
ihm , daß er als Knabe immer um zweyer¬
ley zu Gott betete , nämlich : daß er , er
werde was er wolle , ſich in ſeinem Thun
vor allen andern auszeichnen möchte ; — und
dann , daß er nicht über drey und vierzig
Jahre alt würde . Und was wunderbar iſt ,
ſo ſtarb er wirklich im drey und vierzigſten
Jahre . « —
Der alte Pater hatte dieſe Geſchichten
mit vielem Antheil erzählt . Dann ging er
ſinnend auf und nieder , und ich ſah ihm an ,
daß er in angenehmen Träumen unter dem
Haufen der alten Mahler umherirrte . Ich
ließ ihn gern in ſeinen Betrachtungen , und
freute mich , daß er ſich noch auf mehr Sa¬
chen beſinnen würde , denn die Erinnerungen
ſchienen ihm immer lebendiger zu werden .
Und wirklich fing er nach einer kleinen
Weile wieder alſo an :
»Da kommen mir noch ein paar ſchöne
Anekdoten ins Gedächtniß , die , auf zwie¬
fache verſchiedene Weiſe , bezeugen , was für
eine mächtige Gottheit die Kunſt für den
Künſtler iſt , und mit welcher Gewalt ſie ihn
beherrſcht . — Es war einmal ein alter Flo¬
rentiniſcher Mahler , mit Namen Mariotto
Albertinelli , ein eifriger Künſtler , aber
ein gar unruhiger und ſinnlicher Menſch .
Er ward des unſichern und mühſeligen Stu¬
diums an den mechaniſchen Theilen der Kunſt ,
und der häßlichen Feindſchaften und Verfol¬
gungen der Nebenkünſtler endlich ganz über¬
drüßig , und weil er gern gut leben mochte ,
ſo entſchloß er ſich ein luſtigeres Gewerbe
zu ergreifen , und legte ein Gaſthaus an .
Herzlich vergnügt war er , wie die Sache im
Gange war , und ſagte öfters zu ſeinen
Freunden : » Seht ! das iſt ein beſſer Hand¬
werk ! Nun quäl' ich mich nicht mehr um
die Muskeln gemahlter Menſchen , ſon¬
dern ſpeiſe und ſtärke lebendige , und ,
was das beſte iſt , bin vor dem abſcheulichen
Anfeinden und Verläumden ſicher , ſo lang'
ich nur guten Wein im Faſſe habe . « — Aber
was geſchah ? Wie er eine Zeitlang dies Le¬
ben geführt hatte , ſtellte ſich ihm die gött¬
liche Erhabenheit der Kunſt auf einmal wie¬
der ſo lebhaft vor Augen , daß er plötzlich
ſein Gaſthaus aufgab , und eifrig , als ein
Bekehrter , ſich der Kunſt von neuem in die
Arme warf . « —
Die andre Geſchichte iſt dieſe . Der
wohlbekannte und berühmte Parmeggiano
mahlte als ein junger Mann in Rom ſehr
vortreffliche Sachen für den Pabſt , und zwar
grade zu der Zeit , als der deutſche Kaiſer
Karl der Fünfte die Stadt belagerte . Deſ¬
ſen Truppen nun brachen in die Thore ein ,
und plünderten alle Häuſer , der Großen
wie der Geringen . Parmeggiano aber ach¬
tete auf nichts weniger als auf den Kriegs¬
lärm und Tumult , und blieb ruhig bey ſeiner
Arbeit . Auf einmal brechen etliche Kriegs¬
männer ins Gemach herein , und ſiehe ! er
bleibt immer noch feſt und ämſig an ſeiner
Stafeley . Da erſtaunten dieſe wilden Men¬
ſchen , die ſelbſt Tempel und Altar nicht ge¬
ſchont hatten , über den großen Geiſt des
Mannes ſo ſehr , daß ſie ihn , als wär' er
ein Heiliger , nicht anzurühren wagten , und
ihn ſogar gegen die Wuth anderer beſchütz¬
ten . « —
» Wie wunderbar iſt das alles , « rief
ich ; » aber nun bitt' ich euch noch um ein
einziges , « fuhr ich zu dem lieben fremden
Manne fort , — » ſagt mir , ob es wahr iſt ,
was ich einſt hörte , daß die älteſten Mah¬
ler von Italien ſo gottesfürchtige Männer
geweſen ſind , und die heiligen Geſchichten
immer mit rechter Gottesfurcht gemahlt ha¬
ben ? Mehrere Leute , die ich darum be¬
fragte , lachten mich aus , und ſagten , das
ſey eitel Einbildung und ein artig-erfunde¬
nes Mährchen . «
» Nein , mein Sohn , « verſetzte der liebe
Mann zu meinem Troſt , » das iſt keine poe¬
tiſche Erfindung , ſondern , wie ich Dir aus
den alten Büchern bezeugen kann , die lau¬
tere Wahrheit . Dieſe ehrwürdigen Männer ,
von denen mehrere ſelbſt Geiſtliche und Klo¬
ſterbrüder waren , widmeten die von Gott
empfangene Geſchicklichkeit ihrer Hand auch
bloß göttlichen und heiligen Geſchichten , und
brachten ſo einen ernſthaften und heiligen
Geiſt , und ſo eine demüthige Einfalt in ihre
Werke , wie es ſich zu geweiheten Gegen¬
ſtänden ſchickt . Sie machten die Mahlerkunſt
zur treuen Dienerinn der Religion , und
wußten nichts von dem eitlen Farbenprunk
der heutigen Künſtler : ihre Bilder , in Ka¬
pellen und an Altären , gaben dem , der da¬
vor kniete und betete , die heiligſten Geſin¬
nungen ein . Einer der alten Männer , Lip¬
po Dalmaſio , war wegen ſeiner herrlichen
Madonnen berühmt , wovon Pabſt Grego¬
rius der Dreyzehnte eine vorzügliche in ſei¬
nem Gemache zur Privatandacht bey ſich
hatte . Ein andrer , Fra Giovanni Ange¬
lico da Fieſole , Mahler und Dominika¬
nermönch zu Florenz , war wegen ſeines
ſtrengen und gottesfürchtigen Lebens beſon¬
ders berühmt . Er kümmerte ſich gar nicht
um die Welt , ſchlug ſogar die Würde eines
Erzbiſchoffs aus , die der Pabſt ihm antrug ,
und lebte immer ſtill , ruhig , demüthig und
einſam . Jedesmal , bevor er zu mahlen an¬
fing , pflegte er zu beten ; dann ging er ans
Werk , und führte es aus , wie der Himmel
es ihm eingegeben hatte , ohne weiter darüber
zu
zu klügeln und zu kritiſiren . Das Mahlen
war ihm eine heilige Bußübung ; und manch¬
mal , wenn er Chriſti Leiden am Krruz Kreuz
mahlte , ſah man während der Arbeit große
Thränen über ſein Geſicht fließen . — Das
Alles iſt nicht ein ſchönes Mährchen , ſon¬
dern die reine Wahrheit . « —
Den Beſchluß machte der Pater mit ei¬
ner recht ſeltſamen Geſchichte , welche eben¬
falls in jene alte Periode der religiöſen Mah¬
lerkunſt fällt .
» Einer der frühſten Mahler , « erzählte
er , » welcher uns Spinello genannt wird ,
mahlte in ſeinem Alter für die Kirche S.
Agnolo zu Arezzo ein ſehr großes Altarblatt ,
worauf er den Lucifer und den Sturz der
böſen Engel vorſtellte : in der Luft den En¬
gel Michael , wie er mit dem ſiebenköpfigen
Drachen kämpft , und unten den Lucifer in
der Geſtalt des ſcheußlichſten Ungeheuers .
P
Von dieſer gräulichen Teufelsgeſtalt war
nun ſein Kopf ſo eingenommen , daß , wie
erzählt wird , der böſe Geiſt ihm grade ſo
geſtaltet im Traume erſchien , und ihn fürch¬
terlich fragte : warum er ihn in dieſer ſchänd¬
lichen , beſtialiſchen Bildung vorgeſtellt , und
an welchem Ort er ihn in dieſer Unform ge¬
ſehn habe ? Der Mahler erwachte aus dem
Traum an allen Gliedern zitternd , — er
wollte um Hülfe rufen , und konnte vor
Schrecken keinen Laut hervorbringen . Von
der Zeit an war er immer halb von ſich ,
und behielt einen ſtieren Blick ; auch ſtarb er
nicht lange darauf . Das wunderbare Ge¬
mählde aber iſt noch heutiges Tages an ſei¬
ner alten Stelle zu ſehen . « — —
Der fremde Pater ging bald darauf fort ,
und reiſte weiter , ohne daß ich einmal Ab¬
ſchied von ihm nehmen konnte . Mir war
wie im Traum , als ich alle die ſchönen Hi¬
ſtorien gehört hatte ; — ich war in eine ganz
neue , wunderbare Welt eingeführt . Begie¬
rig fragte ich überall nach , um alle die Bü¬
cher von Lebensgeſchichten der Mahler , be¬
ſonders auch das Werk des Giorgio Vaſari
zu bekommen ; ich las ſie mit Liebe und Ei¬
fer , und ſiehe ! ich fand in dieſen Büchern
alle die Hiſtorien aufgezeichnet , die der frem¬
de Pater erzählt hatte . Dieſer mir unver¬
geßliche Mann iſt es geweſen , der mich auf
das Studium der Künſtlergeſchichte ge¬
leitet hat , welches dem Verſtande , dem Her¬
zen und der Phantaſie ſo viel Nahrung giebt ,
und ich habe ihm darum gar viele glückliche
Stunden zu verdanken .
P 2
Das merkwürdige muſikaliſche Leben
des
Tonkünſtlers
Joſeph Berglinger .
In zwey Hauptſtücken .
Erſtes Hauptſtück .
I ch habe mehrmals mein Auge rückwärts
gewandt , und die Schätze der Kunſtgeſchichte
vergangener Jahrhunderte zu meinem Ver¬
gnügen eingeſammelt ; aber jetzt treibt mich
mein Gemüth , einmal bey den gegenwärti¬
gen Zeiten zu verweilen , und mich an der
Geſchichte eines Künſtlers zu verſuchen , den
ich ſeit ſeiner frühen Jugend kannte , und
der mein innigſter Freund war . Ach leider
biſt du bald von der Erde weggegangen ,
mein Joſeph ! und nicht ſo leicht werd' ich
deinesgleichen wieder finden . Aber ich will
mich daran laben , der Geſchichte deines Gei¬
ſtes , von Anfang an , ſo wie du mir oft¬
mals in ſchönen Stunden ſehr ausführlich
davon erzählt haſt , und ſo wie ich ſelbſt
dich innerlich kennen gelernt habe , in mei¬
nen Gedanken nachzugehen , und denen , die
Freude daran haben , deine Geſchichte erzäh¬
len . —
Joſeph Berglinger ward in einem
kleinen Städtchen im ſüdlichen Deutſchlande
gebohren . Seine Mutter mußte die Welt
verlaſſen , indem ſie ihn darein ſetzte ; ſein
Vater , ſchon ein ziemlich bejahrter Mann ,
war Doktor der Arzneygelehrſamkeit , und
in dürftigen Vermögensumſtänden . Das
Glück hatte ihm den Rücken gewandt ; und
es koſtete ihn ſauren Schweiß , ſich und ſechs
Kinder , ( denn Joſeph hatte fünf weibliche
Geſchwiſter , ) durch das Leben zu bringen ,
zumal da ihm nun eine verſtändige Wirth¬
ſchafterinn mangelte .
Dieſer Vater war urſprünglich ein weicher
und ſehr gutherziger Mann , der nichts lie¬
ber thun mochte , als helfen , rathen und
Allmoſen geben , ſo viel er nur vermögend
war ; der nach einer guten That beſſer ſchlief
als gewöhnlich ; der lange , mit herzlicher
Rührung und Dank gegen Gott , von den
guten Früchten ſeines Herzens zehren konn¬
te , und ſeinen Geiſt am liebſten mit rühren¬
den Empfindungen nährte . Man muß in
der That allemal von tiefer Wehmuth und
herzlicher Liebe ergriffen werden , wenn man
die beneidenswerthe Einfachheit dieſer See¬
len betrachtet , welche in den gewöhnlichen
Äußerungen des guten Herzens einen ſo un¬
erſchöpflichen Abgrund von Herrlichkeit fin¬
den , daß dies völlig ihr Himmel auf Erden
iſt , wodurch ſie mit der ganzen Welt ver¬
ſöhnt , und immer in zufriedenem Wohlbe¬
hagen erhalten werden . Joſeph hatte ganz
dieſe Empfindung , wenn er ſeinen Vater be¬
trachtete ; — aber ihn hatte der Himmel
nun einmal ſo eingerichtet , daß er immer
nach etwas noch Höherem trachtete ; es
genügte ihm nicht die bloße Geſundheit
der Seele , und daß ſie ihre ordentlichen Ge¬
ſchäfte auf Erden , als arbeiten und Gutes
thun , verrichtete ; — er wollte , daß ſie auch
in üppigem Übermuthe dahertanzen , und
zum Himmel , als zu ihrem Urſprunge , hin¬
aufjauchzen ſollte .
Das Gemüth ſeines Vaters war aber
auch noch aus andern Dingen zuſammenge¬
ſetzt . Er war ein ämſiger und gewiſſenhafter
Arzt , der Zeit ſeines Lebens an nichts als
an der Kenntniß der ſeltſamen Dinge , die
im menſchlichen Körper verborgen liegen ,
und an der weitläuftigen Wiſſenſchaft aller
jammervollen menſchlichen Gebrechen und
Krankheiten , ſeine Luſt gehabt hatte . Die¬
ſes eifrige Studium nun war ihm , wie es
öfters zu geſchehen pflegt , ein heimliches ,
nervenbetäubendes Gift geworden , das alle
ſeine Adern durchdrang , und viele klingende
Saiten des menſchlichen Buſens bey ihm
zernagte . Dazu kam der Mißmuth über das
Elend ſeiner Dürftigkeit , und endlich das
Alter . Alles dieſes zehrte an der urſprüng¬
lichen Güte ſeines Gemüths ; denn bey nicht
ſtarken Seelen geht alles , womit der Menſch
zu ſchaffen hat , in ſein Blut über , und ver¬
wandelt ſein Inneres , ohne daß er es ſel¬
ber weiß .
Die Kinder des alten Arztes wuchſen bey
ihm auf , wie Unkraut in einem verwilderten
Garten . Joſephs Schweſtern waren theils
kränklich , theils von ſchwachem Geiſte , und
führten ein kläglich einſames Leben in ihrer
dunklen kleinen Stube .
In dieſe Familie konnte niemand weni¬
ger paſſen , als Joſeph , der immer in ſchö¬
ner Einbildung und himmliſchen Träumen
lebte . Seine Seele glich einem zarten Bäum¬
chen , deſſen Samenkorn ein Vogel in das
Gemäuer öder Ruinen fallen ließ , wo es
zwiſchen harten Steinen jungfräulich hervor¬
ſchießet . Er war ſtets einſam und ſtill für
ſich , und weidete ſich nur an ſeinen inneren
Phantaſeyen ; drum hielt der Vater auch ihn
ein wenig verkehrt und blödes Geiſtes . Sei¬
nen Vater und ſeine Geſchwiſter liebte er
aufrichtig ; aber ſein Inneres ſchätzte er über
alles , und hielt es vor andern heimlich und
verborgen . So hält man ein Schatzkäſtlein
verborgen , zu welchem man den Schlüſſel
niemanden in die Hände giebt .
Seine Hauptfreude war von ſeinen früh¬
ſten Jahren an , die Muſik geweſen . Er
hörte zuweilen jemanden auf dem Claviere
ſpielen , und ſpielte auch ſelber etwas . Nach
und nach bildete er ſich durch den oft wie¬
derholten Genuß auf eine ſo eigene Weiſe
aus , daß ſein Inneres ganz und gar zu
Muſik ward , und ſein Gemüth , von dieſer
Kunſt gelockt , immer in den dämmernden
Irrgängen poetiſcher Empfindung umher¬
ſchweifte .
Eine vorzügliche Epoche in ſeinem Leben
machte eine Reiſe nach der biſchöflichen Re¬
ſidenz , wohin ein begüterter Anverwandter ,
der dort wohnte , und der den Knaben lieb¬
gewonnen hatte , ihn auf einige Wochen mit¬
nahm . Hier lebte er nun recht im Himmel :
ſein Geiſt ward mit tauſendfältiger ſchöner
Muſik ergötzt , und flatterte nicht anders als
ein Schmetterling in warmen Lüften umher .
Vornehmlich beſuchte er die Kirchen , und
hörte die heiligen Oratorien , Cantilenen und
Chöre mit vollem Poſaunen- und Trompe¬
tenſchall unter den hohen Gewölben ertönen ,
wobey er oft , aus innerer Andacht , demü¬
thig auf den Knieen lag . Ehe die Muſik
anbrach , war es ihm , wenn er ſo in dem
gedrängten , leiſe murmelnden Gewimmel der
Volksmenge ſtand , als wenn er das gewöhn¬
liche und gemeine Leben der Menſchen , als
einen großen Jahrmarkt , unmelodiſch durch¬
einander und um ſich herum ſummen hörte ;
ſein Kopf ward von leeren , irdiſchen Klei¬
nigkeiten betäubt . Erwartungsvoll harrte er
auf den erſten Ton der Inſtrumente ; — und
indem er nun aus der dumpfen Stille , mäch¬
tig und langgezogen , gleich dem Wehen eines
Windes vom Himmel hervorbrach , und die
ganze Gewalt der Töne über ſeinem Haupte
daherzog , — da war es ihm , als wenn auf
einmal ſeiner Seele große Flügel ausge¬
ſpannt , als wenn er von einer dürren Haide
aufgehoben würde , der trübe Wolkenvor¬
hang vor den ſterblichen Augen verſchwände ,
und er zum lichten Himmel emporſchwebte .
Dann hielt er ſich mit ſeinem Körper ſtill
und unbeweglich , und heftete die Augen un¬
verrückt auf den Boden . Die Gegenwart
verſank vor ihm ; ſein Inneres war von al¬
len irdiſchen Kleinigkeiten , welche der wahre
Staub auf dem Glanze der Seele ſind , ge¬
reinigt ; die Muſik durchdrang ſeine Nerven
mit leiſen Schauern , und ließ , ſo wie ſie
wechſelte , mannigfache Bilder vor ihm auf¬
ſteigen . So kam es ihm bey manchen fro¬
hen und herzerhebenden Geſängen zum Lobe
Gottes ganz deutlich vor , als wenn er den
König David im langen königlichen Mantel ,
die Krone auf dem Haupt , vor der Bundes¬
lade lobſingend hertanzen ſähe ; er ſah ſein
ganzes Entzücken und alle ſeine Bewegun¬
gen , und das Herz hüpfte ihm in der Bruſt .
Tauſend ſchlafende Empfindungen in ſeinem
Buſen wurden losgeriſſen , und bewegten ſich
wunderbar durcheinander . Ja bey manchen
Stellen der Muſik endlich ſchien ein beſon¬
derer Lichtſtrahl in ſeine Seele zu fallen ; es
war ihm , als wenn er dabey auf einmal
weit klüger würde , und mit helleren Augen
und einer gewiſſen erhabenen und ruhigen
Wehmuth , auf die ganze wimmelnde Welt
herabſähe .
So viel iſt gewiß , daß er ſich , wenn die
Muſik geendigt war , und er aus der Kirche
herausging , reiner und edler geworden vor¬
kam . Sein ganzes Weſen glühte noch von
dem geiſtigen Weine , der ihn berauſcht hat¬
te , und er ſah alle Vorübergehende mit an¬
dern Augen an . Wenn er dann etwa ein
paar Leute auf dem Spatziergange zuſam¬
menſtehn und lachen , oder ſich Neuigkeiten
erzählen ſah , ſo machte das einen ganz eig¬
nen widrigen Eindruck auf ihn . Er dachte :
du mußt Zeitlebens , ohne Aufhören in die¬
ſem ſchönen poetiſchen Taumel bleiben , und
dein ganzes Leben muß eine Muſik ſeyn .
Wenn er dann aber zu ſeinem Anver¬
wandten zum Mittagseſſen ging , und es ſich
in einer gewöhnlich-luſtigen und ſcherzenden
Geſellſchaft hatte wohl ſchmecken laſſen , —
dann war er unzufrieden , daß er ſo bald
wieder ins proſaiſche Leben hinabgezogen
war , und ſein Rauſch ſich wie eine glänzende
Wolke verzogen hatte .
Dieſe bittere Mißhelligkeit zwiſchen ſei¬
nen angebohrnen ätheriſchen Enthuſiasmus ,
und dem irdiſchen Antheil an dem Leben ei¬
nes jeden Menſchen , der jeden täglich aus
ſeinen Schwärmereyen mit Gewalt herab¬
ziehet , quälte ihn ſein ganzes Leben hin¬
durch . —
Wenn Joſeph in einem großen Concerte
war , ſo ſetzte er ſich , ohne auf die glänzende
Verſammlung der Zuhörer zu blicken , in ei¬
nen Winkel , und hörte mit eben der An¬
dacht zu , als wenn er in der Kirche wäre , —
eben ſo ſtill und unbeweglich , und mit ſo
vor ſich auf den Boden ſehenden Augen .
Der geringſte Ton entſchlüpfte ihm nicht ,
und er war von der angeſpannten Aufmerk¬
ſamkeit am Ende ganz ſchlaff und ermüdet .
Seine ewig bewegliche Seele war ganz ein
Spiel der Töne ; — es war als wenn ſie
losgebunden vom Körper wäre und freyer
umherzitterte , oder auch als wäre ſein Kör¬
per mit zur Seele geworden , — ſo frey
und leicht ward ſein ganzes Weſen von den
ſchönen Harmonieen umſchlungen , und die
feinſten Falten und Biegungen der Töne
drückten ſich in ſeiner weichen Seele ab . —
Bey fröhlichen und entzückenden vollſtimmi¬
gen Symphonieen , die er vorzüglich liebte ,
kam es ihm gar oftmals vor , als ſäh' er ein
munteres Chor von Jünglingen und Mäd¬
chen auf einer heitern Wieſe tanzen , wie ſie
vor- und rückwärts hüpfen , und wie ein¬
zelne Paare zuweilen Pantomimen zu ein¬
ander ſprachen , und ſich dann wieder unter
den frohen Haufen miſchten . Manche Stel¬
len in der Muſik waren ihm ſo klar und
eindringlich , daß die Töne ihm Worte zu
ſeyn ſchienen . Ein andermal wieder wirkten
die Töne eine wunderbare Miſchung von
Fröhlichkeit und Traurigkeit in ſeinem Her¬
zen , ſo daß Lächeln und Weinen ihm gleich
nahe war ; eine Empfindung , die uns auf
unſerm Wege durch das Leben ſo oft be¬
gegnet , und die keine Kunſt geſchickter iſt
auszudrücken , als die Muſik . Und mit wel¬
chem Entzücken und Erſtaunen hörte er ein
ſolches Tonſtück an , das mit einer muntern
und heitern Melodie , wie ein Bach , anhebt ,
aber ſich nach und nach unvermerkt und
wunder¬
wunderbar in immer trüberen Windungen
fortſchleppt , und endlich in heftig-lautes
Schluchzen ausbricht , oder wie durch wilde
Klippen mit ängſtigendem Getöſe daher¬
rauſcht . — Alle dieſe mannigfaltigen Em¬
pfindungen nun drängten in ſeiner Seele
immer entſprechende ſinnliche Bilder und
neue Gedanken hervor : — eine wunderbare
Gabe der Muſik , — welche Kunſt wohl
überhaupt um ſo mächtiger auf uns wirkt ,
und alle Kräfte unſers Weſens um ſo allge¬
meiner in Aufruhr ſetzt , je dunkler und ge¬
heimnißvoller ihre Sprache iſt . —
Die ſchönen Tage , die Joſeph in der
biſchöflichen Reſidenz verlebt hatte , waren
endlich vorüber , und er mußte wieder nach
ſeiner Vaterſtadt in das Haus ſeines Vaters
zurückkehren . Wie traurig war der Rück¬
weg ! Wie kläglich und niedergedrückt fühl¬
te er ſich wieder in einer Familie , deren
Q
ganzes Leben und Weben ſich nur um die
kümmerliche Befriedigung der nothwendig¬
ſten phyſiſchen Bedürfniſſe drehte , und bey
einem Vater , der ſo wenig in ſeine Neigun¬
gen einſtimmte ! Dieſer verachtete und ver¬
abſcheute alle Künſte als Dienerinnen ausge¬
laſſener Begierden und Leidenſchaften , und
Schmeichlerinnen der vornehmen Welt . Schon
von jeher hatte er es mit Mißvergnügen ge¬
ſehen , daß ſein Joſeph ſich ſo ſehr an die
Muſik gehängt hatte ; und nun , da dieſe
Liebe in dem Knaben immer höher wuchs ,
machte er einen anhaltenden und ernſtlichen
Verſuch , ihn von dem verderblichen Hange
zu einer Kunſt , deren Ausübung nicht viel
beſſer als Müſſiggang ſey , und die bloß die
Lüſternheit der Sinne befriedige , zur Medi¬
cin , als zu der wohlthätigſten , und für das
Menſchengeſchlecht allgemein-nützlichſten Wiſ¬
ſenſchaft zu bekehren . Er gab ſich viele
Mühe , ihn ſelber in den Anfangsgründen
zu unterweiſen , und gab ihm Hülfsbücher
in die Hände .
Dies war eine recht quälende und pein¬
liche Lage für den armen Joſeph . Er preßte
ſeinen Enthuſiasmus heimlich in ſeine Bruſt
zurück , um ſeinen Vater nicht zu kränken ,
und wollte ſich zwingen ob er nicht neben¬
her eine nützliche Wiſſenſchaft erlernen könnte .
Aber das war ein ewiger Kampf in ſeiner
Seele . Er las in ſeinen Lehrbüchern eine
Seite zehenmal , ohne zu faſſen , was er
las ; — immer ſang ſeine Seele innerlich ihre
melodiſchen Phantaſieen fort . Der Vater
war ſehr bekümmert um ihn .
Seine heftige Liebe zur Muſik nahm in
der Stille immer mehr überhand . War in
einigen Wochen kein Ton in ſein Ohr ge¬
kommen , ſo ward er ordentlich am Gemü¬
the krank ; er merkte , daß ſein Gefühl zu¬
Q 2
ſammenſchrumpfte , es entſtand eine Leerheit
in ſeinem Innern , und er hatte eine rechte
Sehnſucht ſich wieder von den Tönen begei¬
ſtern zu laſſen . Dann konnten ſelbſt gemeine
Spieler an Feſt- oder Kirchweihtagen , mit
ihren Blasinſtrumenten ihm Gefühle ein¬
flößen , wovon ſie ſelber keine Ahndung hat¬
ten . Und ſo oft in den benachbarten Städ¬
ten eine ſchöne große Muſik zu hören war ,
ſo lief er mit heißer Begierde , im heftigſten
Schnee , Sturm und Regen hinaus .
Faſt täglich rief er ſich mit Wehmuth
die herrliche Zeit in der biſchöflichen Reſi¬
denz in ſeinen Gedanken zurück , und ſtellte
ſich die köſtlichen Sachen , die er dort gehört
hatte , wieder vor die Seele . Oftmals ſagte
er ſich die auswendig-behaltenen , ſo lieb¬
lichen und rührenden Worte des geiſtlichen
Oratoriums vor , welches das erſte geweſen
war , das er gehört , und welches einen vor¬
züglich tiefen Eindruck auf ihn gemacht
hatte :
Stabat Mater dolorosa
Juxta crucem lacrymosa ,
Dum pendebat filius :
Contristantem et dolentem
Pertransivit gladius .
O quam tristis et afflicta
Fuit illa benedicta
Mater unigeniti :
Quae moerebat et dolebat
Et tremebat , cum videbat
Nati poenas inclyti .
Und wie es weiter heißt .
Ach aber ! — wenn ihm nun ſo eine ent¬
zückte Stunde , da er in ätheriſchen Träu¬
men lebte , oder da er eben ganz berauſcht
von dem Genuß einer herlichen Muſik kam ,
dadurch unterbrochen wurde , daß ſeine Ge¬
ſchwiſter ſich um ein neues Kleid zankten ,
oder daß ſein Vater der älteſten nicht hin¬
reichend Geld zur Wirthſchaft geben konnte ,
oder der Vater von einem recht elenden ,
jammervollen Kranken erzählte , oder daß ei¬
ne alte , ganz krummgebückte Bettelfrau an
die Thür kam , die ſich in ihren Lumpen vor
dem Winterfroſt nicht ſchützen konnte ; —
ach ! es giebt in der Welt keine ſo entſetzlich
bittere , ſo herzdurchſchneidende Empfindung ,
als von der Joſeph alsdann zerriſſen ward .
Er dachte : » Lieber Gott ! iſt denn das die
Welt wie ſie iſt ? und iſt es denn Dein Wille ,
daß ich mich ſo unter das Gedränge des
Haufens miſchen , und an dem gemeinen
Elend Antheil nehmen ſoll ? Und doch ſieht
es ſo aus , und mein Vater predigt es im¬
mer , daß es die Pflicht und Beſtimmung
des Menſchen ſey , ſich darunter zu miſchen ,
und Rath und Allmoſen zu geben , und ekel¬
hafte Wunden zu verbinden und , häßliche
Krankheiten zu heilen ! Und doch ruft mir
wieder eine innere Stimme ganz laut zu :
Nein ! nein ! du biſt zu einem höheren , edle¬
ren Ziel gebohren ! « — Mit ſolchen Ge¬
danken quälte er ſich oft lange , und konnte
keinen Ausweg finden ; allein eh' er es ſich
verſah , waren die widrigen Bilder , die ihn
gewaltſam in den Schlamm dieſer Erde her¬
abzuziehen ſchienen , aus ſeiner Seele ver¬
wiſcht , und ſein Geiſt ſchwärmte wieder un¬
geſtört in den Lüften umher .
Allmählig ward er nun ganz und gar
der Überzeugung , daß er von Gott deshalb
auf die Welt geſetzt ſey , um ein recht vor¬
züglicher Künſtler in der Muſik zu werden ;
und zuweilen dachte er wohl daran , daß
der Himmel ihn aus der trüben und engen
Dürftigkeit , worin er ſeine Jugend hinbrin¬
gen mußte , zu deſto höherem Glanze her¬
vorziehen werde . Viele werden es für eine
romanhafte und unnatüeliche unnatürliche Erdichtung hal¬
ten , allein es iſt reine Wahrheit , wenn ich
erzähle , daß er oftmals in ſeiner Einſam¬
keit , aus inbrünſtigem Triebe ſeines Her¬
zens , auf die Kniee fiel , und Gott bat , er
möchte ihn doch alſo führen , daß er einſt
ein recht herrlicher Künſtler vor dem Him¬
mel und vor der Erde werden möchte . In
dieſer Zeit , da ſein Blut , von den immer
auf denſelben Fleck gehefteten Vorſtellungen
bedrängt , oft in heftiger Wallung war ,
ſchrieb er mehrere kleine Gedichte nieder , die
ſeinen Zuſtand , oder das Lob der Tonkunſt
ſchilderten , und die er mit großer Freude ,
auf ſeine kindiſch-gefühlvolle Weiſe in Mu¬
ſik ſetzte , ohne die Regeln zu kennen . Eine
Probe von dieſen Liedern iſt folgendes Ge¬
bet , welches er an diejenige unter den Hei¬
ligen richtete , die als Beſchützerinn der Ton¬
kunſt verehrt wird :
Siehe wie ich troſtlos weine
In dem Kämmerlein alleine ,
Heilige Cäcilia !
Sieh' mich aller Welt entfliehen ,
Um hier ſtill vor Dir zu knieen :
Ach ich bete , ſey mir nah !
Deine wunderbaren Töne ,
Denen ich verzaubert fröhne ,
Haben mein Gemüth verrückt .
Löſe doch die Angſt der Sinnen , —
Laß mich in Geſang zerrinnen ,
Der mein Herz ſo ſehr entzückt .
Möchteſt Du auf Harfenſaiten
Meinen ſchwachen Finger leiten ,
Daß Empfindung aus ihm quillt ;
Daß mein Spiel in tauſend Herzen
Laut Entzücken , ſüße Schmerzen ,
Beydes hebt und wieder ſtillt .
Möcht' ich einſt mit lautem Schalle
In des Tempels voller Halle
Ein erhabnes Gloria
Dir und allen Heil'gen weihen ,
Tauſend Chriſten zu erfreuen :
Heilige Cäcilia !
Öffne mir der Menſchen Geiſter ,
Daß ich ihrer Seelen Meiſter
Durch die Kraft der Töne ſey ;
Daß mein Geiſt die Welt durchklinge ,
Sympathetiſch ſie durchdringe ,
Sie berauſch in Phantaſey ! —
Über ein Jahr lang wohl quälte ſich und
brütete der arme Joſeph in der Einſamkeit
über einen Schritt , den er thun wollte . Eine
unwiderſtehliche Macht zog ſeinen Geiſt nach
der herrlichen Stadt zurück , die er als ein
Paradies für ſich betrachtete ; denn er brannte
für Begierde , dort ſeine Kunſt von Grund
aus zu erlernen . Das Verhältniß gegen ſei¬
nen Vater aber preßte ſein Herz ganz zu¬
ſammen . Dieſer hatte wohl gemerkt , daß
Joſeph ſich gar nicht mehr mit Ernſt und
Eifer in ſeiner Wiſſenſchaft anlegen wollte ,
hatte ihn auch ſchon halb aufgegeben , und
ſich in ſeinen Mißmuth , der mit zunehmen¬
dem Alter immer ſtärker ward , zurückgezo¬
gen . Er gab ſich wenig mehr mit dem Kna¬
ben ab . Joſeph indeſſen verlor darum ſein
kindliches Gefühl nicht ; es kämpfte ewig mit
ſeiner Neigung , und er konnte immer nicht
das Herz faſſen , in des Vaters Gegenwart
über die Lippen zu bringen , was er ihm zu
entdecken hatte . Ganze Tage lang peinigte
er ſich , alles gegen einander abzuwägen ,
aber er konnte und konnte aus dem entſetz¬
lichen Abgrunde von Zweifeln nicht heraus¬
kommen , all' ſein inbrünſtiges Beten wollte
nichts fruchten : das ſtieß ihm beynahe das
Herz ab . Von dem über alles trübſeligen
und peinlichen Zuſtande , worin er ſich da¬
mals befand , zeugen auch folgende Zeilen ,
die ich unter ſeinen Papieren gefunden habe :
Ach was iſt es , das mich alſo dränget ,
Mich mit heißen Armen eng umfänget ,
Daß ich mit ihm fern von hinnen ziehen ,
Daß ich ſoll dem Vaterhauſ ' entfliehen ?
Ach was muß ich ohne mein Verſchulden
Für Verſuchung und für Marter dulden !
Gottes Sohn ! um Deiner Wunden willen ,
Kannſt Du nicht die Angſt des Herzens ſtillen ?
Kannſt Du mir nicht Offenbarung ſchenken ,
Was ich innerlich ſoll wohl bedenken ?
Kannſt Du mir die rechte Bahn nicht zeigen ?
Nicht mein Herz zum rechten Wege neigen ?
Wenn Du mich nicht bald zu Dir erretteſt ,
Oder , in den Schooß der Erde betteſt ,
Muß ich mich der fremden Macht ergeben ,
Muß , geängſtigt , dem zu Willen leben ,
Was mich zieht von meines Vaters Seite ,
Unbekannten Mächten Raub und Beute ! —
Seine Angſt ward immer größer , — die
Verſuchung nach der herrlichen Stadt zu
entfliehen , immer ſtärker . Wird denn aber ,
dachte er , der Himmel dir nicht zu Hülfe
kommen ? wird er dir gar kein Zeichen ge¬
ben ? — Seine Leidenſchaft erreichte endlich
den höchſten Gipfel , als ſein Vater bey ei¬
ner häuslichen Mißhelligkeit ihn einmal mit
einer ganz andern Art , als gewöhnlich , an¬
fuhr , und ihm ſeitdem immer zurückſtoßend
begegnete . Nun war es beſchloſſen ; allen
Zweifeln und Bedenklichkeiten wies er von
nun an die Thür ; er wollte nun durchaus
nicht mehr überlegen . Das Oſterfeſt war
nahe ; das wollte er noch zu Hauſe mit¬
feyern , aber ſobald es vorüber wäre , — in
die weite Welt .
Es war vorüber . Er wartete den erſten
ſchönen Morgen ab , da der helle Sonnen¬
ſchein ihn bezaubernd anzulocken ſchien ; da
lief er früh aus dem Hauſe fort , wie man
wohl an ihm gewohnt war , — aber dies¬
mal kam er nicht wieder . Mit Entzücken
und mit pochendem Herzen eilte er durch
die engen Gaſſen der kleinen Stadt ; — ihm
war zu Muth , als wollte er über alles ,
was er um ſich ſah , hinweg , in den offenen
Himmel hineinſpringen . Eine alte Ver¬
wandte begegnete ihm an einer Ecke : —
» So eilig , Vetter ? « fragte ſie , — » will er
wieder Grünes vom Markt einholen für
die Wirthſchaft ? « — Ja ja ! rief Joſeph in
Gedanken , und lief vor Freude zitternd das
Thor hinaus .
Wie er aber eine kleine Strecke auf dem
Felde gegangen war , und ſich umſah , bra¬
chen ihm die hellen Thränen hervor . Soll
ich noch umkehren ? dachte er . Aber er lief
weiter , als wenn ihm die Ferſen brennten ,
und weinte immerfort , und es ließ lief , als wollte
er ſeinen Thränen entlaufen . So ging's
nun durch manches fremde Dorf , und man¬
chen fremden Geſichtern vorbey : — der An¬
blick der fremden Welt gab ihm wieder
Muth , er fühlte ſich frey und ſtark , — er
kam immer näher , — und endlich , — güti¬
ger Himmel ! welch Entzücken ! — endlich
ſah er die Thürme der herrlichen Stadt vor
ſich liegen . — — —
Zweytes Hauptſtück .
Ich kehre zu meinem Joſeph zurück , wie
er , mehrere Jahre , nachdem wir ihn verlaſ¬
ſen haben , in der biſchöflichen Reſidenz Ka¬
pellmeiſter geworden iſt , und in großem
Glanze lebt . Sein Anverwandter , der ihn
ſehr wohl aufgenommen hatte , war der
Schöpfer ſeines Glücks geworden , und hatte
ihm den gründlichſten Unterricht in der Ton¬
kunſt geben laſſen , auch den Vater über den
Schritt Joſephs nach und nach ziemlich be¬
ruhigt . Durch den lebhafteſten Eifer hatte
Joſeph ſich empor gearbeitet , und war end¬
lich auf die höchſte Stufe des Glücks , die
er nur je hatte erwünſchen können , gelangt .
Allein die Dinge der Welt verändern ſich
vor unſern Augen . Er ſchrieb mir einſt , wie
er ein paar Jahre Kapellmeiſter geweſen
war , folgenden Brief :
» Lieber Pater , «
» Es iſt ein elendes Leben , das ich füh¬
re : — je mehr Ihr mich tröſten wollt , deſto
bitterer fühl' ich es . « —
» Wenn ich an die Träume meiner Ju¬
gend zurückdenke , — wie ich in dieſen Träu¬
men ſo ſelig war ! — Ich meynte , ich wollte
in einem fort umher phantaſieren , und mein
volles Herz in Kunſtwerken auslaſſen , —
aber
aber wie fremd und herbe kamen mir gleich
die erſten Lehrjahre an ! Wie war mir zu
Muth , als ich hinter den Vorhang trat !
Daß alle Melodieen , ( hatten ſie auch die
heterogenſten und oft die wunderbarſten Em¬
pfindungen in mir erzeugt , ) alle ſich nun auf
einem einzigen , zwingenden mathematiſchen
Geſetze gründeten ! Daß ich , ſtatt frey zu
fliegen , erſt lernen mußte , in dem unbehülf¬
lichen Gerüſt und Käfig der Kunſtgrammatik
herum zu klettern ! Wie ich mich quälen
mußte , erſt mit dem gemeinen Wiſſenſchaft¬
lichen Maſchinen-Verſtande ein regelrechtes
Ding heraus zu bringen , eh ' ich dran den¬
ken konnte , mein Gefühl mit den Tönen zu
handhaben ! — Es war eine mühſelige Me¬
chanik . — Doch wenn auch ! ich hatte noch
jugendliche Spannkraft , und hoffte und hoffte
auf die herrliche Zukunft ! Und nun ? —
R
Die prächtige Zukunft iſt eine jämmerliche
Gegenwart geworden . « —
» Was ich als Knabe in dem großen Con¬
certſaal für glückliche Stunden genoß ! Wenn
ich ſtill und unbemerkt im Winkel ſaß , und
all' die Pracht und Herrlichkeit mich bezau¬
berte , und ich ſo ſehnlich wünſchte , daß ſich
doch einſt um meiner Werke willen dieſe
Zuhörer verſammeln , ihr Gefühl mir hinge¬
ben möchten ! — Nun ſitz' ich gar oft in
eben dieſem Saal , und führe auch meine
Werke auf ; aber es iſt mir wahrlich ſehr
anders zu Muthe . — Daß ich mir einbil¬
den konnte , dieſe in Gold und Seide ſtol¬
zierende Zuhörerſchaft käme zuſammen , um
ein Kunſtwerk zu genießen , um ihr Herz zu
erwärmen , ihre Empfindung dem Künſtler
darzubringen ! Können doch dieſe Seelen
ſelbſt in dem majeſtätiſchen Dom , am hei¬
ligſten Feyertage , indem alles Große und
Schöne , was Kunſt und Religion nur hat ,
mit Gewalt auf ſie eindringt , können ſie
dann nicht einmal erhitzt werden , und ſie
ſollten's im Concertſaal ? — Die Empfin¬
dung und der Sinn für Kunſt ſind aus der
Mode gekommen und unanſtändig gewor¬
den ; — bey einem Kunſtwerk zu empfinden ,
wäre grade eben ſo fremd und lächerlich , als
in einer Geſellſchaft auf einmal in Verſen
und Reimen zu reden , wenn man ſich ſonſt
im ganzen Leben mit vernünftiger und ge¬
mein-verſtändlicher Proſa behilft . Und für
dieſe Seelen arbeit' ich meinen Geiſt ab !
Für dieſe erhitz' ich mich , es ſo zu machen ,
daß man dabey was ſoll empfinden können !
Das iſt die hohe Beſtimmung , wozu ich ge¬
boren zu ſeyn glaubte ! «
» Und wenn mich einmal irgend einer ,
R 2
der eine Art von halber Empfindung hat ,
loben will , und kritiſch rühmt , und mir kri¬
tiſche Fragen vorlegt , — ſo möcht' ich ihn
immer bitten , daß er ſich doch nicht ſo viel
Mühe geben möchte , das Empfinden aus
den Büchern zu lernen . Der Himmel weiß
wie es iſt , — wenn ich eben eine Muſik ,
oder ſonſt irgend ein Kunſtwerk , das mich
entzückt , genoſſen habe , und mein ganzes
Weſen voll davon iſt , da möcht' ich mein
Gefühl gern mit einem Striche auf eine
Tafel hinmahlen , wenn 's eine Farbe nur
ausdrücken könnte . — Es iſt mir nicht mög¬
lich mit künſtlichen Worten zu rühmen , ich
kann nichts kluges herausbringen . « —
» Freilich iſt der Gedanke ein wenig trö¬
ſtend , daß vielleicht in irgend einem kleinen
Winkel von Deutſchland , wohin dies oder
jenes von meiner Hand , wenn auch lange
nach meinem Tode , einmal hinkommt , ein
oder der andre Menſch lebt , in den der
Himmel eine ſolche Sympathie zu meiner
Seele gelegt hat , daß er aus meinen Melo¬
dieen grade das herausfühlt , was ich beym
Niederſchreiben empfand , und was ich ſo
gern hineinlegen wollte . Eine ſchöne Idee ,
womit man ſich eine Zeitlang wohl ange¬
nehm täuſchen kann ! « —
» Allein das allerabſcheulichſte ſind noch
alle die andern Verhältniſſe , worin der Künſt¬
ler eingeſtrickt wird . Von allen dem ekel¬
haften Neid und hämiſchen Weſen , von al¬
len den widrig-kleinlichen Sitten und Be¬
gegnungen , von aller der Subordination der
Kunſt unter den Willen des Hofes ; — es
widerſteht mir ein Wort davon zu reden , —
es iſt alles ſo unwürdig und die menſchliche
Seele ſo erniedrigend , daß ich nicht eine
Sylbe davon über die Zunge bringen kann .
Ein dreyfaches Unglück für die Muſik , daß
bey dieſer Kunſt grade ſo eine Menge Hände
nöthig ſind , damit das Werk nur exiſtirt !
Ich ſammle und erhebe meine ganze Seele ,
um ein großes Werk zu Stande zu brin¬
gen ; — und hundert empfindungsloſe und
leere Köpfe reden mit ein , und verlangen
dieſes und jenes . «
» Ich gedachte in meiner Jugend dem ir¬
diſchen Jammer zu entfliehen , und bin nun
erſt recht in den Schlamm hineingerathen .
Es iſt wohl leider gewiß ; man kann mit al¬
ler Anſtrengung unſrer geiſtigen Fittige der
Erde nicht entkommen ; ſie zieht uns mit Ge¬
walt zurück , und wir fallen wieder unter
den gemeinſten Haufen der Menſchen . « —
» Es ſind bedauernswürdige Künſtler , die
ich um mich herum ſehe . Auch die edelſten
ſo kleinlich , daß ſie ſich für Aufgeblaſenheit
nicht zu laſſen wiſſen , wenn ihr Werk ein¬
mal ein allgemeines Lieblingsſtück geworden
iſt . — Lieber Himmel ! ſind wir denn nicht
die eine Hälfte unſers Verdienſtes der Gött¬
lichkeit der Kunſt , der ewigen Harmonie der
Natur , und die andre Hälfte dem gütigen
Schöpfer , der uns dieſen Schatz anzuwen¬
den Fähigkeit gab , ſchuldig ? Alle tauſend¬
fältigen lieblichen Melodieen , welche die man¬
nigfachſten Regungen in uns hervorbringen ,
ſind ſie nicht aus dem einzigen wundervollen
Dreyklang entſproſſen , den die Natur von
Ewigkeit her gegründet hat ? Die wehmuths¬
vollen , halb ſüßen und halb ſchmerzlichen
Empfindungen , die die Muſik uns einflößt ,
wir wiſſen nicht wie , was ſind ſie denn an¬
ders , als die geheimnißvolle Wirkung des
wechſelnden Dur und Moll ? Und müſſen
wir 's nicht dem Schöpfer danken , wenn er
uns nun grade das Geſchick gegeben hat ,
dieſe Töne , denen von Anfang her eine Sym¬
pathie zur menſchlichen Seele verliehen iſt ,
ſo zuſammenzuſetzen , daß ſie das Herz rüh¬
ren ? — Wahrhaftig , die Kunſt iſt es , was
man verehren muß , nicht den Künſtler ; —
der iſt nichts mehr als ein ſchwaches Werk¬
zeug . «
» Ihr ſeht , daß mein Eifer und meine
Liebe für die Muſik nicht ſchwächer iſt als
ſonſt . Nur eben darum bin ich ſo unglück¬
lich in dieſem — — doch ich will's laſſen ,
und Euch mit der Beſchreibung von all' dem
widrigen Weſen um mich herum , nicht ver¬
drießlich machen . Genug , ich lebe in einer
ſehr unreinen Luft . Wie weit idealiſcher
lebte ich damals , da ich in unbefangener Ju¬
gend und ſtiller Einſamkeit die Kunſt noch
bloß genoß ; als itzt , da ich ſie im blen¬
dendſten Glanze der Welt , und von lauter
ſeidenen Kleidern , lauter Sternen und Kreu¬
zen , lauter kultivirten und geſchmackvollen
Menſchen umgeben , ausübe ! — Was ich
möchte ? — Ich möchte all ' dieſe Kultur im
Stiche laſſen , und mich zu den , ſimplen
Schweizerhirten ins Gebirge hinflüchten , und
ſeine Alpenlieder , wonach er überall das Heim¬
weh bekömmt , mit ihm ſpielen . « — — —
Aus dieſem fragmentariſch-geſchriebenen
Briefe iſt der Zuſtand , worin Joſeph ſich in
ſeiner Lage befand , zum Theil zu erſehen .
Er fühlte ſich verlaſſen und einſam unter
dem Geſumme ſo vieler unharmoniſchen See¬
len um ihn her ; — ſeine Kunſt ward tief
entwürdigt dadurch , daß ſie auf keinen ein¬
zigen , ſo viel er wußte , einen lebhaften Ein¬
druck machte , da ſie ihm doch nur dazu ge¬
macht ſchien , das menſchliche Herz zu rüh¬
ren . In manchen trüben Stunden verzwei¬
felte er ganz , und dachte : » Was iſt die
Kunſt ſo ſeltſam und ſonderbar ! Hat ſie
denn nur für mich allein ſo geheimnißvolle
Kraft , und iſt für alle andre Menſchen nur
Beluſtigung der Sinne und angenehmer Zeit¬
vertreib ? Was iſt ſie denn wirklich und in
der That , wenn ſie für alle Menſchen Nichts
iſt , und für mich allein nur Etwas ? Iſt es
nicht die unglückſeligſte Idee , dieſe Kunſt zu
ſeinem ganzen Zweck und Hauptgeſchäft zu
machen , und ſich von ihren großen Wirkun¬
gen auf die menſchlichen Gemüther tauſend
ſchöne Dinge einzubilden ? von dieſer Kunſt ,
die im wirklichen irdiſchen Leben keine andre
Rolle ſpielt , als Kartenſpiel oder jeder an¬
dre Zeitvertreib ? «
Wenn er auf ſolche Gedanken kam , ſo
dünkte er ſich der größte Phantaſt geweſen
zu ſeyn , daß er ſo ſehr geſtrebt hatte , ein
ausübender Künſtler für die Welt zu wer¬
den . Er gerieth auf die Idee , ein Künſtler
müſſe nur für ſich allein , zu ſeiner eignen
Herzenserhebung , und für einen oder ein
paar Menſchen , die ihn verſtehen , Künſtler
ſeyn . Und ich kann dieſe Idee nicht ganz
unrecht nennen . —
Aber ich will das Übrige von meines Jo¬
ſephs Leben kurz zuſammen faſſen , denn die
Erinnerungen daran werden mir ſehr traurig .
Mehrere Jahre lebte er als Kapellmeiſter
ſo fort , und ſeine Mißmüthigkeit , und das
unbehagliche Bewußtſeyn , daß er mit allem
ſeinen tiefen Gefühl und ſeinem innigen
Kunſtſinn für die Welt nichts nütze , und
weit weniger wirkſam ſey , als jeder Hand¬
werksmann , — nahm immer mehr zu . Oft
dachte er mit Wehmuth an den reinen , idea¬
liſchen Enthuſiasmus ſeiner Knabenzeit zu¬
rück , und daneben an ſeinen Vater , wie er
ſich Mühe gegeben hatte , ihn zu einem Arzte
zu erziehen , daß er das Elend der Menſchen
mindern , Unglückliche heilen , und ſo der
Welt nützen ſollte . Vielleicht wär 's beſſer
geweſen ! dachte er in manchen Stunden .
Sein Vater war indeß bey ſeinem Alter
ſehr ſchwach geworden . Joſeph ſchrieb im¬
mer ſeiner älteſten Schweſter , und ſchickte
ihr zum Unterhalt für den Vater . Ihn ſel¬
ber zu beſuchen konnte er nicht übers Herz
bringen ; er fühlte , daß es ihm unmöglich
war . Er ward trübſinniger ; — ſein Leben
neigte ſich hinunter .
Einſt hatte er eine neue ſchöne Muſik
von ſeiner Hand im Concertſaal aufgeführt :
es ſchien das erſtemal , daß er auf die Her¬
zen der Zuhörer etwas gewirkt hatte . Ein
allgemeines Erſtaunen , ein ſtiller Beyfall ,
welcher weit ſchöner , als ein lauter iſt , er¬
freute ihn mit der Idee , daß er vielleicht
diesmal ſeine Kunſt würdig ausgeübt hätte ;
er faßte wieder Muth zu neuer Arbeit . Als
er hinaus auf die Straße kam , ſchlich ein
ſehr armſelig gekleidetes Mädchen an ihn
heran , und wollte ihn ſprechen . Er wußte
nicht , was er ſagen ſollte ; er ſah ſie an , —
Gott ! rief er : — es war ſeine jüngſte
Schweſter im elendeſten Aufzuge . Sie war
von Hauſe zu Fuß hergelaufen , um ihm die
Nachricht zu bringen , daß ſein Vater todt¬
krank niederliege , und ihn vor ſeinem Ende
ſehr dringend noch einmal zu ſprechen ver¬
lange . Da war wieder aller Geſang in ſei¬
nem Buſen zerriſſen ; in dumpfer Betäubung
machte er ſich fertig , und reiſte eilig nach
ſeiner Vaterſtadt .
Die Scenen , die am Todbette ſeines Va¬
ters vorfielen , will ich nicht ſchildern . Man
glaube nicht , daß es zu weitläuftigen und
wehmüthigen gegenſeitigen Erörterungen kam ;
ſie verſtanden ſich ohne viele Worte ſehr in¬
niglich ; — wie denn darin überhaupt die
Natur unſerer recht zu ſpotten ſcheinet , daß
die Menſchen ſich erſt in ſolchen kritiſchen
letzten Augenblicken recht verſtehen . Dennoch
ward Joſeph von Allem bis ins Innerſte
zerriſſen . Seine Geſchwiſter waren im be¬
trübteſten Zuſtande ; zwey davon hatten
ſchlecht gelebt , und waren entlaufen ; die äl¬
teſte , der er immer Geld ſchickte , hatte das
meiſte verthan , und den Vater darben laſ¬
ſen ; dieſen ſah er endlich vor ſeinen Augen
elendiglich ſterben : — ach ! es war entſetzlich ,
wie ſein armes Herz durch und durch ver¬
wundet und zerſtochen ward . Er ſorgte für
ſeine Geſchwiſter ſo gut er konnte , und
kehrte zurück , weil ihn Geſchäfte abriefen .
Er ſollte zu dem bevorſtehenden Oſterfeſt
eine neue Paſſionsmuſik machen , auf welche
ſeine neidiſchen Nebenbuhler ſehr begierig
waren . Helle Ströhme von Thränen brachen
ihm aber hervor , ſo oft er ſich zur Arbeit
niederſetzen wollte ; er konnte ſich vor ſeinem
zerriſſenen Herzen nicht erretten . Er lag tief
daniedergedrückt und vergraben unter den
Schlacken dieſer Erde . Endlich riß er ſich
mit Gewalt auf , und ſtreckte mit dem heiße¬
ſten Verlangen die Arme zum Himmel em¬
por ; er füllte ſeinen Geiſt mit der höchſten
Poeſie , mit lautem , jauchzendem Geſange
an , und ſchrieb in einer wunderbaren Be¬
geiſterung , aber immer unter heftigen Ge¬
müthsbewegungen , eine Paſſionsmuſik nie¬
der , die mit ihren durchdringenden , und
alle Schmerzen des Leidens in ſich faſſenden
Melodieen , ewig ein Meiſterſtück bleiben
wird . Seine Seele war wie ein Kran¬
ker , der in einem wunderbaren Paroxismus
größere Stärke als ein Geſunder zeigt .
Aber nachdem er das Oratorium am hei¬
ligen Tage im Dom mit der heftigſten An¬
ſpannung und Erhitzung aufgeführt hatte ,
fühlte er ſich ganz matt und erſchlafft . Eine
Nervenſchwäche befiel , gleich einem böſen
Thau , alle ſeine Fibern ; — er kränkelte eine
Zeitlang hin , und ſtarb nicht lange darauf ,
in der Blüthe ſeiner Jahre . — —
Manche Thräne hab' ich ihm geſchenkt ,
und es iſt mir ſeltſam zu Muth , wenn ich
ſein Leben überſehe . Warum wollte der
Himmel , daß ſein ganzes Leben hindurch der
Kampf zwiſchen ſeinem ätheriſchen Enthu¬
ſiasmus und dem niedrigen Elend dieſer
Erde,
Erde , ihn ſo unglücklich machen , und endlich
ſein doppeltes Weſen von Geiſt und Leib
ganz von einanderreißen ſollte !
Wir begreifen die Wege des Himmels
nicht . — Aber laßt uns wiederum die Man¬
nigfaltigkeit der erhabenen Geiſter bewun¬
dern , welche der Himmel zum Dienſte der
Kunſt auf die Welt geſetzt hat .
Ein Raphael brachte in aller Unſchuld
und Unbefangenheit die allergeiſtreichſten
Werke hervor , worin wir den ganzen Him¬
mel ſehn ; — ein Guido Reni , der ein ſo
wildes Spielerleben führte , ſchuf die ſanf¬
teſten und heiligſten Bilder ; — ein Albrecht
Dürer , ein ſchlichter nürnbergiſcher Bür¬
gersmann , verfertigte in eben der Zelle ,
worin ſein böſes Weib täglich mit ihm zank¬
te , mit ämſigem mechaniſchem Fleiße , gar
ſeelenvolle Kunſtwerke ; — und Joſeph , in
S
deſſen harmoniſchen Werken ſo geheimni߬
volle Schönheit liegt , war verſchieden von
dieſen allen !
Ach ! daß eben ſeine hohe Phantaſie
es ſeyn mußte , die ihn aufrieb ? — Soll
ich ſagen , daß er vielleicht mehr dazu ge¬
ſchaffen war , Kunſt zu genießen als aus ¬
zuüben ? — Sind diejenigen vielleicht
glücklicher gebildet , in denen die Kunſt ſtill
und heimlich wie ein verhüllter Genius ar¬
beitet , und ſie in ihrem Handeln auf Erden
nicht ſtört ? Und muß der Immerbegeiſterte
ſeine hohen Phantaſieen doch auch vielleicht
als einen feſten Einſchlag kühn und ſtark in
dieſes irdiſche Leben einweben , wenn er ein
ächter Künſtler ſeyn will ? — Ja , iſt dieſe
unbegreifliche Schöpfungskraft nicht etwa
überhaupt ganz etwas anderes , und — wie
mir jetzt erſcheint — etwas noch Wunder¬
volleres , noch Göttlicheres , als die Kraft
der Phantaſie ? —
Der Kunſtgeiſt iſt und bleibet dem Men¬
ſchen ein ewiges Geheimniß , wobey er ſchwin¬
delt , wenn er die Tiefen deſſelben ergründen
will ; — aber auch ewig ein Gegenſtand der
höchſten Bewunderung : wie denn dies von
allem Großen in der Welt zu ſagen iſt . — —
Ich kann aber nach dieſen Erinnerungen
an meinen Joſeph nichts mehr ſchreiben . —
Ich beſchließe mein Buch , — und möchte
nur wünſchen , daß es einem oder dem an¬
dern zur Erweckung guter Gedanken dien¬
lich wäre . —