Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.eines Kindes, das ein vorlautes Wort gesprochen und nun den Verweis fürchtet. Als Jener schwieg, rief sie beinah heftig: Sprechen Sie, mein Herr, sprechen Sie! Ich will von diesem Platze nicht weichen, bis ich weiß, ob ich dieses wundersame Bild verdammen, oder mich anbetend davor niederwerfen soll. Der junge Künstler zeigte auf das Original und sagte lächelnd: Ich habe dort nichts finden können, wo nichts ist, darum nahm ich von dem Meinigen, so gut ich es hatte. Auf meinen Streifzügen in Afrika sah ich einst einen jungen Araber im Kampf mit einem Tiger. Ich zeichnete die Gruppe flüchtig in mein Skizzenbuch, nicht wissend, wo ich sie vielleicht anbringen könnte; hier bot sich die Gelegenheit dar. Aus dem maurischen Ritter ist der heilige Georg geworden, aus der schönen Tigerkatze der Lindwurm. Wenn die Gruppe Leben und Wärme hat, so verdankt sie es der Natur. Sie ist die Quelle aller unserer Schöpfungen. Glaubt mir das, fromme Klosterfrau. Die Natur! rief Scholastika, die gefallene, die entwürdigte, die von ihrem buhlerischen Thron gestoßene? Der junge Mann erwiderte hierauf nichts. Er fühlte, es waren die scharfen Gegensätze ausgesprochen, und da er sich nicht befähigt fühlte, wenigstens in diesem Augenblicke nicht, Kunst und Kunsteingebungen zu besprechen, so begnügte er sich, seine Blicke reden zu lassen, und das dunkle Feuer, das in ihnen brannte, machte, daß die schüchterne Nonne schnell den Gegenstand der Berathung fallen ließ und nur das Interesse des Weibes eines Kindes, das ein vorlautes Wort gesprochen und nun den Verweis fürchtet. Als Jener schwieg, rief sie beinah heftig: Sprechen Sie, mein Herr, sprechen Sie! Ich will von diesem Platze nicht weichen, bis ich weiß, ob ich dieses wundersame Bild verdammen, oder mich anbetend davor niederwerfen soll. Der junge Künstler zeigte auf das Original und sagte lächelnd: Ich habe dort nichts finden können, wo nichts ist, darum nahm ich von dem Meinigen, so gut ich es hatte. Auf meinen Streifzügen in Afrika sah ich einst einen jungen Araber im Kampf mit einem Tiger. Ich zeichnete die Gruppe flüchtig in mein Skizzenbuch, nicht wissend, wo ich sie vielleicht anbringen könnte; hier bot sich die Gelegenheit dar. Aus dem maurischen Ritter ist der heilige Georg geworden, aus der schönen Tigerkatze der Lindwurm. Wenn die Gruppe Leben und Wärme hat, so verdankt sie es der Natur. Sie ist die Quelle aller unserer Schöpfungen. Glaubt mir das, fromme Klosterfrau. Die Natur! rief Scholastika, die gefallene, die entwürdigte, die von ihrem buhlerischen Thron gestoßene? Der junge Mann erwiderte hierauf nichts. Er fühlte, es waren die scharfen Gegensätze ausgesprochen, und da er sich nicht befähigt fühlte, wenigstens in diesem Augenblicke nicht, Kunst und Kunsteingebungen zu besprechen, so begnügte er sich, seine Blicke reden zu lassen, und das dunkle Feuer, das in ihnen brannte, machte, daß die schüchterne Nonne schnell den Gegenstand der Berathung fallen ließ und nur das Interesse des Weibes <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053"/> eines Kindes, das ein vorlautes Wort gesprochen und nun den Verweis fürchtet. Als Jener schwieg, rief sie beinah heftig: Sprechen Sie, mein Herr, sprechen Sie! Ich will von diesem Platze nicht weichen, bis ich weiß, ob ich dieses wundersame Bild verdammen, oder mich anbetend davor niederwerfen soll.</p><lb/> <p>Der junge Künstler zeigte auf das Original und sagte lächelnd: Ich habe dort nichts finden können, wo nichts ist, darum nahm ich von dem Meinigen, so gut ich es hatte. Auf meinen Streifzügen in Afrika sah ich einst einen jungen Araber im Kampf mit einem Tiger. Ich zeichnete die Gruppe flüchtig in mein Skizzenbuch, nicht wissend, wo ich sie vielleicht anbringen könnte; hier bot sich die Gelegenheit dar. Aus dem maurischen Ritter ist der heilige Georg geworden, aus der schönen Tigerkatze der Lindwurm. Wenn die Gruppe Leben und Wärme hat, so verdankt sie es der Natur. Sie ist die Quelle aller unserer Schöpfungen. Glaubt mir das, fromme Klosterfrau.</p><lb/> <p>Die Natur! rief Scholastika, die gefallene, die entwürdigte, die von ihrem buhlerischen Thron gestoßene?</p><lb/> <p>Der junge Mann erwiderte hierauf nichts. Er fühlte, es waren die scharfen Gegensätze ausgesprochen, und da er sich nicht befähigt fühlte, wenigstens in diesem Augenblicke nicht, Kunst und Kunsteingebungen zu besprechen, so begnügte er sich, seine Blicke reden zu lassen, und das dunkle Feuer, das in ihnen brannte, machte, daß die schüchterne Nonne schnell den Gegenstand der Berathung fallen ließ und nur das Interesse des Weibes<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
eines Kindes, das ein vorlautes Wort gesprochen und nun den Verweis fürchtet. Als Jener schwieg, rief sie beinah heftig: Sprechen Sie, mein Herr, sprechen Sie! Ich will von diesem Platze nicht weichen, bis ich weiß, ob ich dieses wundersame Bild verdammen, oder mich anbetend davor niederwerfen soll.
Der junge Künstler zeigte auf das Original und sagte lächelnd: Ich habe dort nichts finden können, wo nichts ist, darum nahm ich von dem Meinigen, so gut ich es hatte. Auf meinen Streifzügen in Afrika sah ich einst einen jungen Araber im Kampf mit einem Tiger. Ich zeichnete die Gruppe flüchtig in mein Skizzenbuch, nicht wissend, wo ich sie vielleicht anbringen könnte; hier bot sich die Gelegenheit dar. Aus dem maurischen Ritter ist der heilige Georg geworden, aus der schönen Tigerkatze der Lindwurm. Wenn die Gruppe Leben und Wärme hat, so verdankt sie es der Natur. Sie ist die Quelle aller unserer Schöpfungen. Glaubt mir das, fromme Klosterfrau.
Die Natur! rief Scholastika, die gefallene, die entwürdigte, die von ihrem buhlerischen Thron gestoßene?
Der junge Mann erwiderte hierauf nichts. Er fühlte, es waren die scharfen Gegensätze ausgesprochen, und da er sich nicht befähigt fühlte, wenigstens in diesem Augenblicke nicht, Kunst und Kunsteingebungen zu besprechen, so begnügte er sich, seine Blicke reden zu lassen, und das dunkle Feuer, das in ihnen brannte, machte, daß die schüchterne Nonne schnell den Gegenstand der Berathung fallen ließ und nur das Interesse des Weibes
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/53>, abgerufen am 16.02.2025. |