Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 20
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Scholastika. Von A. von Sternberg 1
Vetter Isidor. Von Julius Grosse 103
Das Gericht im Walde. Von Julie Ludwig 237
Scholastika.
Von A. von Sternberg.
Alexander Freiherr von Ungern-Sternberg, geb. den 10. April 1806 auf dem Gute Noistser bei Reval in Esthland, wo sein Vater Landrath war, wurde nach dem Tode desselben, von einem Oheim in Dorpat erzogen, besuchte dort das Gymnasium und die Universität, auf der er sich mit der Jurisprudenz, die er studieren sollte, wenig beschäftigte Im Jahre 1829 ging er nach Petersburg, um sich nach dem Wunsche seines Oheims für eine Staatsanstellung vorzubereiten. Das Mißbehagen an den dortigen Verhältnissen und seine Unkenntniß des Russischen vereitelte diesen Plan. Von der Kaiserin, die sich für sein bedeutendes Zeichentalent interessirte. zum Zwecke künstlerischer Ausbildung unterstützt, begab er sich 1830 nach Dresden. Die von der Bekanntschaft mit Tieck erhaltenen Anregungen führten ihn zur literarischen Production, gegen welche die Uebung des anderen Talents mehr und mehr zurücktrat (eine Probe desselben erschien 1848 in seinen Illustrationen zu „Tutu“). 1831 reiste er nach Süddeutschland, hielt sich 1832 in Stuttgart auf, wo durch G. Schwab's Vermittlung seine Novellen „die Zerrissenen“, die Fortsetzung derselben „Eduard“ (1833), „Lessing“ (1834) und „Molière“ (1834) im Cotta'schen Verlage erschienen. Von Stuttgart siedelte er nach Mannheim über, zu dreijährigem Aufenthalt, kehrte nach Stuttgart zurück (Bekanntschaft mit Lenau) und wandte sich dann wieder dem Norden zu, wo er Berlin endlich zu seinem dauernden Wohnsitz wählte. Zu Anfang der 50er Jahre verheirathete er sich mit einem Fräulein von Waldow und hielt sich meist in Dresden auf. Vom Jahre 1862 an durch ein Gehirnleiden in seinen geistigen Fähigkeiten mehr und mehr gelähmt, starb er im Irrsinn auf dem Gute Dannenwalde in Mecklenburg-Strelitz am 24. Aug. 1868.
Sternberg ist der Schule Tieck's niemals ganz entwachsen, und in so mancherlei Stoffen er sich versucht hat, ist es ihm so wenig, wie seinem Meister, gelungen, seinen oft geistreich erfundenen Figuren volle Lebenskraft einzuhauchen. Das leichtbewegliche Spiel seiner Phantasie bringt es selten zu wahrhafter Illusion, und seltner noch scheint es ihm mit den sittlichen Motiven rechter Ernst zu sein; so ist denn auch sein Stil, bei aller scheinbaren Gewandtheit, im Grunde
unlebendig und conventionell, der echte Naturlaut steht ihm nicht zu Gebote (der Monolog auf S. 36 und 37 unserer Erzählung !), und nur bei der Beschreibung äußerlicher Dinge oder Zustände kommt sein Zeichentalent dem Erzähler glücklich zu Statten Gleichwohl durfte ein so vielgenannter Name, wie der seinige in unserer Sammlung nicht übergangen werden, und der sehr charakteristische Hintergrund der hier mitgetheilten Erzählung wird ihre Wahl hoffentlich auch bei solchen Lesern rechtfertigen, denen die Durchführung des psychologischen Problems viel zu wünschen übrig lässt.
In der Nähe von Kiew befindet sich ein Nonnenkloster, dessen Bewohnerinnen sämmtlich Malerinnen sind; doch möchten sie schwerlich vor dem Richterstuhle der Kunstkritik Gnade finden. Diese einsamen und in strenger Zurückgezogenheit lebenden Religiosen führen den Pinsel und die Palette, wie ihre Schwestern wenige Meilen aufwärts in dem neugegründeten Kloster die Nähnadeln und die Schere führen: lediglich in mechanischer Thätigkeit. Aus den Zellen unsrer künstlerischen Nonnen gehen Christusbilder, Johannesköpfe und Magdalenen- und Marien-Gestalten hervor, wie aus dem benachbarten Kloster Kattunschürzen, Florhäubchen und gestickte Mieder hervorgehen; es ist dies ein Zweig der Handgeschicklichkeit wie jeder andre. Rußland hat in seinen zahllosen Kirchen und Klöstern eine Unmasse von Heiligenbildern nöthig; dazu kommt, daß jede Privatwohnung, von dem Palast des russischen Großen an bis in die Hütte des Bauern hinab, eines „Obras“ (Heiligenbildes) bedarf, und um den Bestellungen und Nachfragen zu genügen, sind hier und da im Lande Heiligenbilderfabriken ange-
legt, wo die Schöpfung dieser stereotypen Gemälde noch viel handwerksmäßiger betrieben wird, als in den Klöstern. In diesen letztern Behausungen kann man doch immer annehmen, daß irgend religiöser Sinn einwirkt und das todte Machwerk belebt, anders ist es aber, wo nur leidige Concurrenz zu flüchtigen und gedankenlosen Productionen hintreibt.
Unserm Kloster war das Privilegium, Heiligenbilder zu malen, schon sehr frühzeitig gegeben worden. Die darauf bezügliche Urkunde war verbrieft und mit der Unterschrift des großen Gregorius versehen, des zweiten Metropoliten dieses Namens, der seine bischöfliche Behausung in den Mauern von Kiew aufgeschlagen hatte, und dessen Lebensende durch die Streitigkeiten mit dem Mönche Simon getrübt wurde, der anmaßlich als Nachfolger des heiligen Andreas von Nowgorod die Würden dieses Priesters sich aneignete und die Ruhe des Sprengels auf eine höchst betrübende Weise störte. Der ehrwürdige Patriarch wandte, ehe diese zänkischen Ereignisse sich in den Frieden seiner Tage mischten, einen großen Theil seiner Aufmerksamkeit und seiner apostolischen Liebe den Nonnen des Klosters der heiligen Anna zu. Er schenkte dem Altar ihrer Kirche einige Meßgewänder und Decken von einem, für die damaligen Zeiten, außerordentlichen Werthe; dann ließ er sich herab, die Bibliothek des Klosters mit einer Anzahl von Scripturen zu dotiren, die sämmtlich aus vermorschten Pergamentrollen bestanden, deren Schriftzüge Niemand mehr enträthseln konnte; ein
Umstand, der nicht wenig dazu beitrug, daß man sie mit einer andächtigen Scheu betrachtete und sie gewissenhaft den Motten und dem Schimmel preisgab zur Weiterbeförderung ins Reich der Vergänglichkeit. Die Liebe des ehrwürdigen Kirchenfürsten für die Bräute Christi ging sogar so weit, daß er sein eigenes Schlafgemach eines kostbaren Heiligenbildes beraubte und dasselbe in einer eigens dazu erbauten Seitenkapelle des Klosters aufstellen ließ. Dieses Gemälde stellte den heiligen Georg vor, den Schutzpatron Rußlands und unseres Patriarchen. Es war hier nicht die Rede davon, zu erkennen, als was und wie der Maler sich den Gegenstand seines Bildes ausgedacht hatte, das Ganze war ein einziger dintenschwarzer Grund, eingefaßt in eine Glorie von Goldblech, die ungefähr die Formen eines Ritters zu Pferde angab, jedoch äußerst unvollständig, und zwar in der Art, wie, wenn Kinder aus einem Bilderbogen eine Gruppe herausgeschnitten haben, die übriggebliebenen Papierreste noch anzuzeigen fähig sind, ob der entnommene Gegenstand ein Pferd, ein Thurm oder ein Triumphbogen war. Die Goldverbrämung dieses undeutbaren Bildes war auch unstreitig die Hauptsache; die Perlen, die Diamanten, die im Golde schwammen, die fingerlangen Buchstaben in slavonischer Sprache, die um den Rand des Bildes herumliefen, und wo ebenfalls kleine schwarze Klexe anzeigten, daß einst kleine Miniaturen sich hier eingeschoben hatten, gaben den alleinigen Gegenstand der Bewunderung und der Verehrung her. Man
zählte sieben große und siebenzig kleine Perlen; die erstern von der Größe kleiner Haselnüsse, die letztern wie Erbsen groß, und noch dazu eine Anzahl sogenannter Staubperlen, die immer zu einer Gruppe von zehn bis dreißig vereinigt einen Edelstein von glänzender und schöner Farbe einschlossen und somit in den Ecken Rosen bildeten, die aus dem abwechselnd matt und glänzend gearbeiteten Goldfelde erblühten. Die Martyrkrone des Heiligen, die von zwei noch erkennbaren Engeln in rothen und fleischfarbenen Gewändern getragen wurde, bestand aus einem byzantinischen Diadem mit siebenzehn Eckzacken in Form von Kreuzen und jede in eine Spitze auslaufend, die ein Rubin vom schönsten Wasser zierte. Der Patriarch, als er auf diese Krone wies, machte die Bemerkung, daß drei dieser Steine ein Dorf von der Größe und Ausdehnung des Klostergebiets an Werth aufwögen, und daß man für die übrigen die Gerichtsbarkeit einer kleinen Stadt an sich kaufen könne. Als das Bild in Prozession ins Kloster gebracht wurde, ereignete sich das Wunder, daß eine weiße Taube, den Zug begleitend, mit in die Kirche drang und ihren Platz auf der ersten Altarstufe einnahm, wo sie neben dem dienstthuenden Priester und unbekümmert um die Geschäftigkeit, die um den Altar herum herrschte, ausharrte, bis die Feierlichkeit der Einsegnung vorüber war, und sie erhob sich, als der ambrosianische Lobgesang ertönte, um, auf den makellosen Fittichen daherschwebend und gleichsam getragen von den süßen, bläulichen Wölkchen des Weihrauchs, in raschem
und lieblichem Fluge die Kirche zu verlassen. Die Nonnen, die hinter ihrem Gitter dem Wunder zuschauten, erklärten die Taube für den Geist der heiligen Anna, die da gekommen war, dem herrlichen Wunderthäter Georg, diesem christlichen Helden und Ritter ohne Furcht und Tadel, ihre Begrüßung in den ihr geheiligten Mauern darzubringen.
Als es bekannt wurde, daß das Bild des heiligen Georg's in dem Besitze der Nonnen war, gingen aus weiter Ferne Bestellungen ein, die eine Copie dieses Bildes forderten. Es war dies eine schwierige Aufgabe. Etwas zu malen, was gar nicht existirte, eine Copie von einem Gegenstand zu geben, der im Original gleichsam gar nicht vorhanden war, — man mußte die guten Nonnen entschuldigen, wenn sie in diesem Falle auf seltsame Auswege geriethen. Das heilige Bild durfte nicht herabgenommen und noch weniger ganz in der Nähe mit einer profanen Aufmerksamkeit betrachtet, wohl gar durch ein Glas untersucht werden; was man jedoch aus erlaubter Ferne gewahrte, war, wie gesagt, nichts als ein schwarzer Klex von einiger Ausdehnung. Wenn das Auge, das sich an das Dämmerlicht der Kapelle gewöhnt hatte, mit einer leidenschaftlichen und nicht ermüdenden Anstrengung hinstarrte, so wurde aus dem Dunkel ein einzelner dürftiger heller Farbenfleck bemerkbar; dies mußte nun das Gesicht des Heiligen sein. Allein wenn hier sein Kopf war, so wurde damit das Pferd zu einer Größe herabgedrückt, die es wie einen mäßigen Ziegen-
bock erscheinen ließ, abgesehen davon, daß der unter dem Pferde befindliche Drache dann wie ein Hündchen in einer vollgepfropften Postkutsche unter den Füßen der Reisenden zusammengedrückt zu liegen kam. Diese Annahme wurde daher verworfen und der helle Punkt im Gemälde für den feuerspeienden Rachen der Unthiers erklärt. Aber diese Interpretation fand auch ihre Schwierigkeiten; man wußte nicht wohin jetzt mit dem Kopfe des Ritters und mit der Figur des Pferdes; endlich, da alles Grübeln nichts half, überzog man eine Leinewand mit schwarzer Farbe und legte dann das Goldblech darauf, das man auf minutiöseste Weise in allen Ausschnitten, Ausbeugungen und Beulen wiedergab. Die Käufer waren vollkommen zufrieden. Wir haben diesen Umstand so ausführlich behandelt, weil sich hieraus der Standpunkt angeben läßt, auf dem die Kunst der Bilderfabrication damals in unserm Kloster stand. Sie ist seitdem nicht viel höher gerückt.
Einige Jahrzehnte nach den obigen Ereignissen erlitt das Kloster einen Brand und eine Plünderung. Durch den Muth und die Aufopferung des weltlichen Schutzherrn wurden dem heiligen Hause seine Schätze und Kleinodien erhalten, allein die Mauern hatten so arge Beschädigungen hinnehmen müssen, daß die Bewohnerschaft auf ein Jahr auswandern und sich in einem ehemaligen Jagdschlosse einquartiren mußte. Die Nonnen mit ihren Farbentöpfen, ihren Paletten und Staffeleien pilgerten mit Gesang aus den Ruinen ihres Klosters
und zogen eben so mit Gesang in die Hallen ein, die mit wilden Schweinsköpfen, Rehgeweihen und Bärentatzen geziert waren, und die von dem wilden Lärm einer zechenden Jagdbrüderschaft einst widerhallten. Nach wieder hergestellter Ruhe wurde in dem darauf folgenden Jahre eine Deputation nach Petersburg gesendet, und diese kehrte heim, mit Geschenken und Ehrenbezeigungen beladen. Der Ankauf von drei gutversehenen Höfen nebst einigen Bezirken Waldes war die Folge der steigenden Reichthümer des Klosters. Die Nonnen gaben jetzt das Bildermalen auf und lebten wie reiche Frauen im Schooße des Nichtsthuns und der Ueppigkeit fast ein halbes Jahrhundert hindurch. Dann traf in jenen unruhigen Zeiten, die der Thronbesteigung Peter's des Ersten vorangingen, das Kloster aufs Neue Mißgeschick und Verfolgung. Es verlor seine Schätze, und die Nonnen kehrten zu ihrer ausgespannten Leinewand und ihren Holztafeln zurück, indem sie sich von Neuem anschickten, Glorienscheine von Goldblech und Blumen aus Silberzindel zu verfertigen. Es kostete Mühe, wieder die alte Kundschaft zu erlangen und den Ruf des Klosters zu erneuen, den es in den Jahren des Müßiggangs und der Schwelgerei eingebüßt hatte, allein das glückte dennoch, und die Bestellungen liefen von Jahr zu Jahr zahlreicher ein.
Bis zu den neuesten Zeiten, in denen unsre Geschichte spielt, war das Glück und die Wohlhabenheit des Klosters im Steigen; gleichwohl war der Grad der
Vervollkommnung seiner Kunstproductionen seit Jahrhunderten immer derselbe geblieben und ist es noch an dem heutigen Tage. Ohne Zweifel ist die altbyzantinische Kunst, wie sie nach Italien überwanderte und noch den Bildern des Giotto und Cimabue kenntlich ihren Stempel aufdrückte, der Typus der russischen Heiligenbilder. Es ist die gänzliche Entfernung aller freien Bewegung, aller Individualisirung der Hauptcharakter dieser frühen Epoche. Ein langes, schmales, blasses Antlitz, stets von vorne aufgefaßt, mit hellbraunen Augen, langer, dünnrückiger Nase, schmalem und geschlossenem Munde und einem von einem zierlich gekräuselten, in hergebrachter Form bald in zwei, bald in Eine Spitze auslaufenden Barte umgebenen Kinne, langem, lichtbraunem, gescheiteltem Haar — ist ein Christusbild. Eine schmale, langfingerige Hand, deren drei Finger erhoben, zwei in den Ballen der Hand niedergedrückt sind, gehört ebenfalls unerläßlich zum Bilde, ebenso wie das rothe Leibgewand und der blaue Ueberwurf. Ein langes, schmales, weibliches Antlitz, mit eben solch hellbraunen, ausdruckslosen Augen, derselben langen und dünnen Nase, demselben dünnlippigen, geschlossenen Munde ist die Madonna. Sie trägt das Kind, das mager und unkindlich geformt ist und nach altkirchlichem Stil die Hand nach oben beschriebener Weise emporhebt. In dieser Weise folgen die Heiligen und Martyrerinnen, genau in demselben Charakter, wenn man die völlige Charakterlosigkeit Charakter nennen kann, aufgefaßt. Nur der Name und eine dazu
gefügte kurze Gebetformel läßt den Beschauer erkennen, welchen Würdenträger der Legende er gerade vor sich habe. Diese Bilder werden in Kisten verpackt und zu Hunderten versendet. Sie haben ihren bestimmten Preis, wie jede andre Waare, und bei ihrer Bestellung wird nur über das Beiwerk von Metall und Schmucksachen, nie über das Bild gehandelt.
Wir treten nun in das Kloster selbst ein. Es ist ein niedriges Gebäude mit plattem Dach und rundgewölbter Thür und Fensteröffnungen, völlig abweichend von dem pittoresken und romantischen Baustil der mittelalterlichen Klöster in Deutschland, England und Frankreich. Nur ein verdeckter Gang, der im Innern des Hofes den Nonnen zum Lustwandeln dient, kann an die Kreuzgänge jener alten Mönchssitze erinnern. Die Kirche zeigt eine vergoldete Kuppel in der byzantinischen Form, wie sie die Kirchen Moskau's und aller altrussischen Städte vorweisen. Die Hauptkuppel ist von vier kleinern Kuppeln, auf schlanke Thürmchen gesetzt, eingefaßt, die eine Anzahl Glocken in ihrem Innern bewahren, welche an den Festtagen des Klosters einen betäubenden Lärm erregen. Die Wirthschaftsgebäude liegen in einem weiten Halbcirkel um die Kirche herum nach Osten zu; auf der entgegengesetzten Seite breitet sich ein Landsee aus; an diesem hin führt die Straße nach Kiew, die sich ungefähr auf der Mitte des Weges theilt, um zu dem Landsitz eines Edelmanns hinzuleiten, der der nächste Nachbar des Klosters ist, und mit dem sich gut zu stehen die Kloster-
politik erfordert. Denn nicht allein, daß es unter den Nonnen Leckermäuler giebt, die das Geflügel und das Wild der Küche des Edelhofes den dürftigen Braten vorziehen, wie sie ihnen der Klosterpächter liefert, sondern die Gunst des jedesmaligen Eigenthümers des Herrenhauses kann durch Protection und thätige Verwendung bei den Provinzialgerichten, ja sogar bei den Gewalthabern der Residenz den hülflosen Frauen, die in eine Einöde verbannt sind, von großem Nutzen sein. Der jetzige Bewohner des Schlosses war den Nonnen persönlich bekannt, doch wußten sie seinen Namen nicht. Sie nannten ihn nur schlechtweg „Väterchen“. Nie war es ihnen eingefallen nach seinen Titeln und Würden zu fragen, noch kümmerten sie sich irgendwie um die Schicksale, die das Väterchen in der Welt betroffen haben mochten. Sie begnügten sich anzunehmen, daß die Narben, die er auf Stirn und Wangen vorwies, in einem ehrlichen Kampfe, gleichviel welchem, empfangen worden seien, und daß das Podagra und die rothe Nase ihres Nachbars eine natürliche Folge seines Alters seien. Wenn sie an rauhen Herbstabenden die Flintenschüsse hörten, die über den einsamen See daherschallten, freuten sie sich darüber, daß jetzt „Väterchen“ sich auf der Jagd befinde, und sie wünschten ihm einen guten Fang; wenn in finstrer Winternacht, beim Brausen des Sturmwindes und dem Geprassel eines eisigen Schneegestöbers an die Klosterfenster, das Geklingel eines Schlittens sich hören ließ, der, von dem See kommend, die Einöde entlang
sich dem Walde zu bewegte, so schlossen sie das Väterchen in ihr Gebet und ersuchten die heilige Anna, den Schlitten des Reisenden vor Versinken in den Schneetriften und vor Irrefahren zu bewahren.
Es war in einer solchen dunkeln und stürmischen Nacht, als in der sogenannten Speisekammer des Klosters, einer kleinen, räucherigen und baufälligen Halle, die einen Theil des Erdgeschosses einnahm und zur Aufbewahrung einiger noch im Rohen befindlichen Speisevorräthe diente, drei Nonnen noch spät beisammensaßen. Zwei derselben saßen auf einer Holzbank dem Feuer des Ofens gegenüber, die dritte hatte sich an die schwarze glasirte Wand desselben gelehnt und schien in Schlummer gesunken. Die beiden vor der Flamme Sitzenden waren liebliche, graziöse Gestalten; man hätte sie für Schwestern halten können, ein solches gleichförmiges Ebenmaß war den feinen, zarten Gesichtern aufgedrückt, derselbe Zug von Jungfräulichkeit und Sanftmuth verschönte die wohlgeformten Züge, dieselbe feine und durchscheinende Röthe färbte die Wangen dieser kaum dem Kindesalter entwachsenen lieblichen Mädchen. Noch erkannte man, näher hinblickend, in dem Ausdruck der Einen eine höhere Reife, eine ausgeprägtere Form, es trug dieses Antlitz schon eine Geschichte zur Schau; es waren Leiden und Freuden auf den Blättern dieser weißen jungfräulichen Rose verzeichnet, ein leichter und flüchtiger Schatten war über den Spiegel dieser schönen Stirn schon hingeglitten, während aus dem klaren Auge der Schwester die volle
Frische der unberührten Seele herausschaute, mit einer Innigkeit, einem Glanz und einer Unschuldsfreudigkeit, wie sie nur dieses glückliche, noch von den Engeln gehütete Alter gewährt. Beide Nonnen hielten sich umschlungen, die feine langgeformte Hand Scholastika's, der ältern der Freundinnen, ruhte in der vollen, gerundeten Feodora's. Der Aermelüberwurf von grobem Wollengewebe war aufgeschlagen und ließ die Arme der Mädchen sehen. Die Form der Einen zeigte Fülle und Gedrungenheit, die der Andern war zierlich, aber abgemagert, ein leichter bläulicher Streifen unter dem Handgelenk wies die Spur des Malerstocks; dieses Zeichen anhaltender und anstrengender Arbeit fehlte an dem runden Arm Feodora's; dagegen schimmerte etwas höher hinauf und unter dem Aermel nur wenig sichtbar ein goldner Reif, mit einem Schlößchen in Herzform. Die junge Nonne trug diesen weltlichen Putz nur verstohlen; es war das Andenken einer geliebten Schwester, die auf ihrem Sterbelager das Armband, zugleich mit manchem Segens- und Liebeskuß, der Trauernden übergeben hatte. Ein solches Geschenk entweiht auch den Arm einer Nonne nicht.
Du bist heute ganz besonders niedergeschlagen, mein theures Schätzchen, hob Feodora an, indem sie mit ihren großen, blitzenden Kinderaugen zur Schwester emporsah. Was ist dir denn, Scholastika? Du erzählst mir heute keine von deinen schönen Geschichten. Willst du, daß ich Marfa wecke? Die Stille um uns her hat sie in Schlaf gewiegt; und in der That, es erregt Grausen,
den Sturm um die alten Mauern heulen zu hören und dabei ein ernstes und schweigsames Menschenantlitz vor sich zu sehen.
Wenn ich heute stiller bin, wie gewöhnlich, entgegnete Scholastika, so ist der Grund Ermüdung und Abspannung. Denke nur, wie angestrengt ich habe arbeiten müssen, um das Dutzend Bilder, die morgen in aller Frühe abgehen sollen, fertig zu haben. Und wenn Anna nicht bald kommt, so werde ich dennoch nicht der Aebtissin Wort halten können, denn mir fehlt Ultramarin. Das letzte Stäubchen in der Büchse ist aufgebraucht, und der Mantel des heiligen Andreas muß noch mit jener Farbe übermalt werden.
Annuschka wird schon kommen, gute Schola! rief Feodora und schmiegte sich liebkosend an die ernste und bekümmerte Schwester. Du weißt, das Wetter ist bei ihr kein Hinderniß; sie reitet trotz einem don schen Kosaken durch Sturm und Oede. Es wird keine halbe Stunde vergehen, und du hast dein Ultramarin. Aber, arme Schola, du darfst nicht so fleißig sein. Es taugt nicht. Deine Augen leiden darunter. Als ich ins Kloster kam, hattest du noch nicht die bläulichen Schatten, und deine Augen befanden sich nicht so tief in ihren Höhlen, wie jetzt. Du lachtest öfterer, und man hörte dich sogar zur Balaleika singen. Es wäre ein Wunder, wenn dies jetzt noch geschähe. Die lustigen Possen hast du mir und Marfa überlassen.
Scholastika sah ihre jüngere Genossin mit einem kummervollen Blick an und sagte dann: Du weißt, was
mich ernst und nachdenklich gemacht hat. Warum spielst du jetzt die Unwissende?
Ein Traum! rief Feodora.
Still! unterbrach sie die Nonne. Marfa könnte uns hören; und für die ist dergleichen nicht.
Aber hörst du nicht, wie sie Athem zieht? Sie schläft so tief und sicher. Laß uns von deinem Traume sprechen. Ich höre dergleichen in so stürmischer Nacht so gerne. Es kommen Engel und Teufel in deinem Traume vor, nicht wahr? O wie schön ist das!
Scholastika war in Nachdenken versunken, sie hatte ihr Haupt gesenkt, eine ungewöhnliche Blässe hatte Stirn und Wangen überzogen. Doch wie eine Blume ihre schwere, thaubeperlte Krone aus den Schatten der Nacht hebt, so gewann das Haupt und der Nacken der schönen, stolzgewachsenen Jungfrau nach und nach seine erhabene Haltung wieder. Sie öffnete die Augen weit, und ein Feuer, wie es die erregte Seele in ihrem ersten Aufwallen spendet, strahlte aus diesen großen dunkeln Kreisen hervor. Es war, als wenn der Engel der Begeisterung seine Fittiche um die Gestalt der einsamen Nonne schlüge und jede ihrer Seelenkräfte um das Zweifache erhöhte. Die Trauer, die Anstrengung und die Kümmerniß der langen Arbeitsstunden glitten plötzlich wie ein Schatten vor der Gestalt hinweg, und die ewige Liebe, die süße, verzehrende Sehnsucht, die strebende Glut der Andacht, Alles zusammen hob und umglänzte die Priesterin.
Ach! rief Feodora staunend. Wie schön du bist! Der Geist kommt über dich, Schola!
Hast du nie die großen Unsterblichen erschaut, rief Scholastika, deren irdisches Abbild du auf deine Leinwand bringst? Sahst du ihre leuchtenden Mienen niemals? Kamen sie nie, um sich dir in ihrer Herrlichkeit zu zeigen?
Nie! rief Feodora. Aber wie sollten sie auch. Leben sie nicht im Himmel, und sind wir nicht auf die Erde gebannt. Können sie und wir wohl mit einander verkehren?
Es ist sträflich, dies zu glauben, erwiderte Scholastika; aber dennoch, das arme Herz hat Augenblicke, wo es so stolz und herrisch in seiner Liebe ist, daß es durch sein unruhiges Pochen den Himmel selbst herabzubeschwören sich unternimmt. Es ist in uns ein Gebet, das so glühend und so stark ist, daß es unmittelbar an die goldne Pforte rührt, die den Himmelssaal verschließt.
Was hat dies aber mit den Bildern zu thun, die wir malen? fragte Feodora.
Höre mich. Ich zählte eilf Jahre, als meine Verwandten, denen mein Dasein störend und lästig war, in diese Klostermauern mich begruben. Ich war von der Stunde an für sie todt. Sie konnten ihre habsüchtigen Plane nach allen Richtungen hin ins Werk richten; niemals trat ihnen mehr das blasse kleine Mädchen in den Weg, das flehend um Brod und Kleid die magern Arme ihnen entgegenhielt. Ich war todt. Hier im Kloster
erhielt ich eine andere Mutter, eine andere Familie. Man unterrichtete mich im Malen, und es wurde mir gesagt, je schneller und in je größerer Masse ich die Arbeit lieferte, um desto gnadenvoller würden die Heiligen, deren Züge ich malte, auf mich herabsehen. Diese Gnade bestand in Butter und Fischen, die man mir aufs trockene Brod gab, und die eine Auszeichnung für die fleißigen Arbeiterinnen bildeten. Jetzt ist es nicht mehr so streng.
Dem Himmel sei Dank! rief Feodora, ihre runden Händchen betrachtend. Die widrigen Farbenklexe, man kann nie die Finger völlig rein erhalten.
Ein Jahr vorher, ehe du kamst, fuhr die Nonne in ihrer Erzählung fort, war ich beschäftigt, ein großes Bild unserer Schutzheiligen zu malen. Ein Kaufmann in Twer hatte es bestellt. Auf das Gemälde wurde nur wenig verwandt, sehr viel aber auf den Rahmen. Ich nahm das alte Muster und schickte mich an, wie es gebräuchlich ist, die ausgeschnittene Form mit Farben auszufüllen. Es wurde über der Arbeit Nacht, und ich legte mich aufs Bette. Eine Stunde mochte ich geschlummert haben, als ein Glanz empfindlich auf meine Augenlider sich legte. Ich öffnete die Augen nicht, und dennoch sah ich. Der Glanz floß in einen warmen rothen See zusammen, auf dessen zitternden Wellen, die halb durchsichtiges Wasser, halb Blumenflocken schienen, eine weibliche Gestalt daherflog, mit einer Krone und einem Mantel geziert. Sie kam so eilig, daß sie plötzlich, ehe ich es
mir versah, dicht vor mir stand und ein leichter Wind den Zipfel ihres Mantels auf meine nackten Füße heranspielte. Ihr Antlitz schimmerte in einem süßen Lächeln, ihre weißen, vollen Schultern blühten wie zwei Schneehügel unter dem dunkelblauen, weichen, wolligen Mantelüberwurf hervor. In ihren Augen lachte eine Schalkheit des Himmels, so ungefähr wie man sich eine junge Heilige, berauscht von den üppigen Freuden des Paradieses in glücklicher Wonne erglühend, denken mag. Sie legte ihre Hand auf meine Stirn, und eine holdselige Stimme rief: Male mich so, wie ich bin, nicht wie der traurige Erdentraum mich gestaltete. Ich bin schön, ich bin eine Blume, ich bin ein Engel! — Damit entschwand sie. Der Zauber ihrer Schönheit lag noch lange auf mir, wie eine Blütendecke auf dem schwarzen Erdreich. Als die Nachtglocke zum Gebet rief, ging die schöne Heilige mir zur Seite und färbte wie mit Rosenschimmer die dunkeln Gewölbe des Kreuzganges; überall sah ich sie. Als der Morgen erglühte, stand ich, von Kummer und Schrecken erdrückt, vor der Staffelei. Welch ein mattes, farb- und glanzloses Antlitz sah mir von der Tafel entgegen! Das sollte meine blühende Anna sein? Das die schöne Erkorene der Heiligen? Das das hübsche Weib, das durch ihr Lächeln die Thräne von den Wangen des Märtyrers küßte, das mit weicher Hand den ehrwürdigen Bart des Apostels kosend berühren durfte? Nimmermehr. Mit raschem Pinselzug überfuhr ich die eckigen, gebrochenen Linien, unter denen das schöne Bild
meines Traumes seufzend wie hinter den Gitterstäben des Kerkers sich krümmte und wand, und setzte es glänzend in Befreiung. Damals lebte noch unsere fromme Aebtissin. Sie wußte etwas von der Kunst. Als sie in meine Zelle trat und jenes Bild sah, sprach sie zum erstenmal zornige und drohende Worte zu mir. Du sollst eine Heilige malen, sagte sie, und du hast eine Sünderin gemalt. Wie darfst du ein Gesicht wie dieses mit der Glorie unsers Herrn umkleiden? Vernichte das Bild; ich dulde es nicht in meinem Hause.
Getroffen von ihrem Zorn, erbebte ich und weinte. Ich vernichtete das Bild. Gerührt von meinem Gehorsam, schloß sie mich in ihre Arme, drückte sie mich an ihren mütterlichen Busen. Mein Kind, sagte sie, die Welt hat der Verführungen eine große Zahl; eine der listigsten und verderblichsten ist die, daß sie die Kunst, die wir üben, mit dem falschen Glanz und Schimmer der Augenlust bekleidet. Jene Gestalt, die du gesehen, ist eine Anfechtung dieser Art. Möge sie dir zum letztenmal in deinem Leben erschienen sein. Wache, bete und arbeite.
Ich verstehe dies nicht recht, nahm Feodora das Wort, indem sie ihr Köpfchen auf den Arm stützte und fragend der Freundin ins Auge sah; sollten denn die Heiligen wirklich so ausgesehen haben, wie wir sie malen? Alsdann hatten sie ohne Zweifel eine ungemein große Familienähnlichkeit unter einander.
Meine fromme Mutter, sagte Scholastika, belehrte mich auch hierüber. Sie zeigte mir, wie das wahre und
echte Bildniß der heiligen Jungfrau und Mutter, vom Apostel Lucas gemalt, noch vorhanden sei, und wie nach diesem Bilde alle die übrigen Copien gefertigt worden. Was die ersten Märtyrer und Wunderthäter der Kirche betrifft, so sind ihre Bildnisse von inspirirten Männern gemalt worden, nicht durch irdische Mittel, sondern durch Einwirkung der himmlischen Mächte. Es wäre demnach Verbrechen, an jenen Formen etwas zu ändern. Daß sie einander ähnlich sehen, wäre eine natürliche Folge der Heiligung, die sie alle auf gleiche Weise durchdrungen. Auch die Liebe macht die Geschöpfe Gottes untereinander ähnlich, und ohne Zweifel lieben sich die Heiligen mit der festesten und unzerstörbarsten Liebe.
O dann muß auch ich dir ähnlich werden! rief Feodora und schlang ihre Arme fest um den schlanken Leib der Nonne. Ich liebe dich so sehr.
Scholastika neigte sich herab und küßte die Stirn ihrer jüngern Genossin. Seit dieser Zeit, fuhr sie fort, haben Gebet und die strenge Regel des Klosters jene Versuchungen fern gehalten. Ueber meiner Staffelei schwebt nicht mehr jener gefährliche Geist eignen Schaffens und Bildens; ich finde Ruhe und Seligkeit darin, das Werk mit knechtischem Sinne zu fördern. Ich male so, wie ihr Alle malt.
Nein, nein! rief Feodora lebhaft, nicht so — nicht ganz so wenigstens. Deine Bilder haben etwas Durchscheinendes, ich möchte sagen, Geistiges. Die Form ist dieselbe, aber du legst einen fremdartigen Ausdruck hinein.
Ich kann dir offen bekennen, daß die Augen, die du deinen Bildern giebst, eine wundersame Gewalt auf mich ausüben. Ich werde nicht müde, sie anzusehen; es kommt mir ein Gefühl wie aus der frühesten Kinderzeit, ich möchte es ein Gebet, eine Thräne, eine Ahnung nennen. Erklären läßt es sich nicht. Aber während die Heiligenbilder der andern Nonnen mich gleichgiltig lassen, sprechen die deinen lebhaft und eindringlich zu meinem innersten Wesen. Ihre sanften braunen Augen bergen so viel rührende Liebe, es sind deine eignen Augen, und du weißt, daß deine Augen dir alle Herzen gewinnen. Mit dem meinigen hast du den Anfang gemacht. Ja, ja, so ist es. Ich war flatterhaft und nichts weniger als ergeben und demüthig, als ich in dies paradiesische Eiland kam, diese glückselige Insel der Farbentöpfe, dies Eldorado der Pinsel, und was hast du aus mir gemacht in ganz kurzer Zeit! Ich denke nicht mehr an die Welt; ich will nicht mehr fort, ich bleibe bei dir, denn bei dir ist mein Herz.
Dieses zärtliche Geständniß wurde unterbrochen durch eine rauhe Stimme, die sich trotz der Stöße des Sturmwindes bemerkbar machte, und die die Strophen eines beliebten Volksliedes sang. Zu gleicher Zeit geschah ein Schlag ans Fenster, wie mit einem dünnen Stock oder einer Reitpeitsche geführt. Die schlummernde Nonne wurde dadurch aufgeweckt, und sie taumelte auf, sich die Augen reibend und ihre Schwestern, die unverändert in ihrer ruhigen Stellung blieben, anstarrend. Nun, rief
Feodora, was blickst du uns so an, als wären wir Nachtgespenster? Beliebt es dir endlich, faule Marfa, aus deinem Schlaf aufzuwachen? Geh und öffne, der Kosak ist vor der Thür.
Die Gescholtene, ein junges Mädchen, das die echt russische Nationalphysiognomie zeigte, ein breites, rundes Gesicht, einen lachenden, starklippigen Mund, Grübchen in den Wangen, kleine, schwarze, blitzende Augen und ein keckes Stumpfnäschen, sprang, ohne ein Wort zu erwidern, in die Ecke der Halle, brachte die Laterne hervor, zündete das Stümpfchen Licht an und ging lachend hinaus.
Der Ankömmling, der unter dem Namen „der Kosak“ angekündigt worden, war eine Bewohnerin dieser heiligen Mauern, aber nirgends hätte man eine Gestalt wie diese weniger gesucht, als gerade hier. Wir wollen sie ankommen sehen. Marfa bleibt in einiger Entfernung halb im Thorwege stehen, denn die Massen flockigen Schnees, die ihr entgegengewirbelt werden, verhindern ihr Vorwärtsschreiten; sie begnügt sich, die Laterne so hoch und so weit hinauszuhalten, als es ihr Arm vermag. Beim Schein dieser Leuchte sehen wir aus dem Schneegewölk und den Nebeln der Nacht eine abenteuerliche Gestalt sich entwickeln. Auf einem kleinen, widerspenstigen und borstigen Rosse hockt ein in Pelze gehülltes Wesen, von dem man nicht erräth, ob es Mann oder Weib ist. Der Kopf ist in Tücher gewickelt, die über die Pelzmütze hinlaufen und unten am Kinn ge-
knüpft sind, ein schwarz und roth gewürfelter Shawl von grober Wolle ist vor den Untertheil des Gesichts gebunden und bildet hinten einen kolossalen Knoten, dessen Enden wie zwei Fledermausflügel in die Nacht flattern. Stiefel von grobem Leder und großen Dimensionen umhüllen die Beine bis übers Knie, Fausthandschuhe von Büffelleder bekleiden die Hände. Auf Schulter, Rücken, Kopf und Beinen dieser Figur liegt hoher Schnee, und die zwei Körbe, die hinten dem Klepper aufgebunden sind, scheinen keinen andern Inhalt zu haben als die Fülle des flockigen, reinen Schnees, der sich in einen einzigen Hügel vereinigt und aufgethürmt hat. Die Nonne schiebt den durchnäßten Shawl vom Munde weg und schreit: Aufgemacht das Thor! Ich komme mit meinen Körben nicht hinein. Ihr Katzen, könnt ihr nicht besser aufpassen, wenn ich komme! Und während Marfa mit großer Mühe den zweiten Thorflügel aufriegelt, zieht die Nonne im Triumph ein, indem sie singt: „Schöne Minka, ich muß scheiden“ —
Der Klostername der fünfzigjährigen Nonne war Anna, ihr Taufname jedoch Ljubow. Ihr Vater, der ein heruntergekommener Krämer in Jekatarinoslav war, ließ seinen drei Töchtern die Namen der drei christlichen symbolischen Tugenden, Glaube, Liebe und Hoffnung geben. Er war mit dieser Wahl nicht glücklich. Die Hoffnung (Nadéschda) kam zusammt mit dem Glauben (Véra) in ein Zuchthaus wegen einiger Unregelmäßigkeit im Privatleben und wegen der Unfähigkeit, die Begriffe von Eigenthum
gründlich einzusehen. Die dritte, die Liebe (Ljubow), war von einer so beleidigenden Häßlichkeit, daß die Verführungen, welchen der Glaube und die Hoffnung ausgesetzt gewesen waren und denen sie nicht zu widerstehen vermocht hatten, an sie nie sich heranwagten. Doch ja, um eines Umstandes nicht zu vergessen, man sagt, daß, während die Franzosen Moskau einnahmen, ein unglücklicher französischer Zahlmeister auf den Einfall gerieth, Ljubow zu entführen. Sie blieben beide, Entführer und Entführte, buchstäblich im Schnee stecken, und der Franzose, der nicht die starke Natur seiner Dame hatte, kam ums Leben, während Ljubow bei den Flammen von Moskau zurückflüchtete, um als eine reumüthige Tochter an die Thür der Wohnung ihrer Tante zu klopfen. Als Niemand öffnete, aus dem natürlichen Grunde, weil Niemand mehr im Hause war, bemächtigte sich Ljubow eines kleinen Säckels mit gesparten Silberrubeln und entfloh. Nach einigen Jahren zwecklosen Herumirrens erschien Ljubow vor der Klosterpforte der heiligen Anna und begehrte Einlaß. Sie brachte einen Theil des zersprengten Waarenlagers ihres Vaters mit, eine Anzahl Flaschen mit Ocker und Berlinerblau, ein Säckchen Zinnober und eine Flasche Firniß. Man nahm sie an, und während Ljubow vor dem Altar kniete, um in die Hände des Priesters ihre Gelübde niederzulegen, fand man für nöthig, ein Quantum Räucherpulver mehr auf die Pfanne zu streuen, weil sich ein unerträglicher Duft von Knoblauch und Branntwein im heiligen Tempel zu verbreiten
anhob. Die neue Braut Christi empfing den Schleier, wie man an heißen Tagen ein Tuch entgegennimmt, um sich die Stirne und die Wangen zu trocknen, sie setzte den Kelch mit einer erschreckenden Sicherheit an die Lippen, und eine Stunde nach der heiligen Cermonie sah man sie schon ihre Stiefeln anziehen und hörte sie stampfend durch den Corridor dahinschreiten, einen Gassenhauer singend. Erst nach und nach gewöhnte sich die widerspenstige Nonne an den Zwang und die Sitten eines Klosters, völlig und durchaus drang sie jedoch nie in die weiblichen und sanften Gewohnheiten ein. Ihre ehrliche und derbe Natur machte sie geschickt, diejenigen Arbeiten fürs Kloster zu übernehmen, die wegen der Mühen und Beschwerlichkeiten, die sie erforderten, früher einem Klosterdiener übertragen waren. Aber Annuschka, wie sie jetzt hieß, wog einen, wohl zwei Männer auf. Sie ermüdete nicht und tummelte sich Tage und Nächte lang auf ihrem Klepper umher. Sie zog in das nächste Dorf, in die Stadt, ja über Kiew hinaus sogar an die Grenze des Gouvernements, handelte und unterhandelte, machte Einkäufe, schloß Contracte und kam immer bepackt und nach wohlverrichteter Arbeit fröhlich nach Hause. Zum Malen ebenso wie zum Chorsingen konnte sie nicht gebraucht werden. Ihren großen, rothen und behaarten Händen entglitt der Pinsel, wie der Tatze eines Bären ein Fingerhut und eine Nähnadel entgleiten würden, und was den Gesang betrifft, so nannte die fünfzigährige Nonne die Noten kleine jämmerliche Bestien, die ihren eignen Kopf
hätten und die ihr nie hätten gehorchen wollen. Die Gutmüthigkeit der alten Klosterfrau war allgemein bekannt; in jedem Dorfe, durch das sie kam, war sie sogleich von Kindern umringt, die sich an ihre Stiefeln hingen und sie vom Pferde herabzuziehen versuchten. Sie theilte Bilderbogen aus und empfing dafür von den Eltern der Kleinen Tabak, Knoblauchpastetchen und Branntwein. In einer Schenke, wo sie oft einkehrte, hatte man ihr Bild an der Wand, und es fehlte diesem Bilde nie an einem frischen Kranze, oder an einem bunten Bande. Man nannte sie den Mönch, den Kosaken, den alten Trinker — lauter männliche Spitznamen, denn in der That, wie hätte man bei einem Wesen dieser originellen Art an ein Weib und noch dazu an eine Nonne denken mögen.
Wie Annuschka die Halle betrat, war das Erste, daß sie sich den Schnee von den Kleidern klopfte, ihre Tücher abriß und ihr rothes, gedunsenes Gesicht, dessen Kinn und Oberlippe ein sehr kenntlicher Bart zierte, sehen ließ, dann sich auf die Ofenbank warf und ihre Hände und Füße dem Feuer hinhielt.
Hast du meinen Ultramarin gebracht? fragte Scholastika.
Ja, mein Kätzchen. Wie sollte ich die Befehle meiner schönen Königin jemals vernachläßigen! Nimm ihn dort aus der Jagdtasche heraus, die kleine Dose befindet sich neben den zwei Birkhühnern.
Ach, rief die junge Nonne unwillig, konntest du keinen bessern Platz finden. Sieh her, das Schächtelchen
ist halb vom Blute der Thiere besudelt. Sie ging mit ihrem Schatze fort, um sich noch bei der Lampe an die Vollendung ihres Bildes zu machen. Unterdessen verzehrte Annuschka ein kräftiges Nachtmahl. Einige Nonnen, neugierig auf die Berichte der Ankömmlingin, hatten sich eingefunden und hörten, die Hände frierend in die Aermel verborgen, halb gähnend und halb lachend den Worten der Erzählerin zu.
Ich will euch eine Neuigkeit sagen, hob sie an. Unser Väterchen hat Besuch auf seinem Schlosse, Gäste aus der Zarenstadt, aus Petersburg. Ich sah die Fenster des Flügels erleuchtet, wo die Gastgemächer liegen. Man kann nicht wissen, ob nicht einige der Herren und Frauen unser Kloster zu besehen kommen werden.
Konntest du nicht erfahren, wer sie sind? fragte Marfa.
Nein, entgegnete die Nonne; aber es sind lustige junge Herren darunter. Heute Morgen, als ich an dem See vorbeiritt und er so spiegelglatt vor mir lag, kam mir die Lust an, auf dem Eise ein wenig Schlittschuh zu laufen. Ich band rasch meine Eisen unter und zog ein paar Kreise, die nicht zu den schlechtesten gehörten, die der See von mir aufzuweisen hat. Plötzlich hör' ich lachen. Wie ich mich umwende, sehe ich einen zierlichen Herrn in einem Pelzüberrocke, der die weißen Zähne zeigt und sich ausschütten will vor Lachen. Ein Andrer steht neben ihm und zeichnet etwas in ein kleines rothes Buch. Vortrefflich! ruft der Erste, der die Zeich-
nung ansieht; das ist die alte Carikatur, wie sie leibt und lebt. Ei wahrhaftig, man muß in diesen Winkel der Welt kommen, um eine Nonne Schlittschuh laufen zu sehen! Jetzt merkte ich, daß es auf mich gemünzt war; da ich aber keinen öffentlichen Spaß liebe, so kehrte ich bescheiden um, bestieg wieder meinen Rappen und zog weiter. Im Dorfe angekommen, erkundigte ich mich nach dem Namen und Stand der jungen Lachvögel, aber man wußte noch nichts von ihnen. In der Schenke selbst begegnete mir noch ein Abenteuer. Ich sitze mit dem Rücken gegen die Thür, da kommt ein Mann herein und giebt mir sogleich einen derben Schlag auf die Schulter. Ich wende mich um und sage ihm, daß dies nicht Sitte sei; doch vor Schreck will mir beinah das Branntweingläschen, das ich in der Hand hatte, entfallen, denn wen erkenne ich in jenem Eintretenden? Jermack! Wahrhaftig Niemand anders als den Kosaken, der in dem Hause meiner Eltern einst einquartirt war, und von dem es hieß, daß er mich heirathen wolle. Die Geschichte ist jetzt schon dreißig Jahr alt. Er nannte mich seine Braut und wollte mich küssen. Jermack! sagte ich ihm, ich bin jetzt die Braut Christi. Wessen Braut? rief er lallend; der Arme, er hatte mich nicht verstanden, und schreiend rief er: O du altes Wunderwerk! fängst du schon gleich so an, zweier Männer Braut zu sein! Ljubow, nimm dich in Acht, es wird ein schlimmes Ende nehmen. Das Tändeln so alter Mädchen, wie du eines bist, geräth niemals zum Besten! Deine morschen Glieder
verstehen nicht mehr das Gaukelspiel verschmitzter Liebe zu treiben.
Es war vergeblich, meinem alten Verehrer begreiflich zu machen, wie die Verhältnisse unterdessen sich mit mir gestaltet hatten. Er war schon seit zwanzig Jahren aus Deutschland zurück, wo er tüchtige Beute gemacht, aber Alles war auch wieder verthan und verjubelt. Der Jermack wird nie reich, so pflegte mein Vater immer zu sprechen, und er hat Recht gehabt. —
Die Schaffnerin kommt! riefen die Schwestern und erhoben sich von ihren Sitzen. Eine großgewachsene, ernst und streng aussehende Nonne trat gemessenen Schrittes herein und rief die Schwester Anna bei Namen. Diese verbeugte sich tief, ein altes Ledertaschenbuch hervorziehend, aus dem sie einen Bogen Papier langte. Hier, Schwesterchen, sagte sie mit einer Stimme, die völlig verschieden war von der, mit welcher sie eben ihre lustigen Abenteuer erzählt hatte, sind die Bestellungen, die eingelaufen sind. Wir werden für den übrigen Winter hinlänglich zu malen haben. Siebzig Madonnen, und zwölf heilige Josephe allein nach Archangel, hundertundfünfzig Apostel nach Sibirien, neunzig Magdalenen nach Petersburg für die Erziehungsanstalten — alle diese zu guten Preisen, dagegen sechs heilige Georgs für das Invalidenhospital in Twer und eine kleine billige Madonna für das Blindeninstitut zu Rossnick. Der Schreiber seiner Excellenz des Herrn Gouverneurs, der mir diese Liste gab, bemerkte, daß Se. Excellenz selbst
noch ein Familien-Obras bestellen werden, daß er aber verlange, man solle es nicht so schwarz machen, wie das letzte ihm eingelieferte. Schwarze Klexe könne Se. Excellenz selbst produciren; ich sagte, daß wir daran durchaus nicht zweifelten.
Die Schaffnerin hatte die Liste genommen und übersah sie ernst und prüfend. Was bedeutet dieses Zeichen unten? fragte sie nach einer Pause.
Dieses Zeichen hab' ich gemacht, verehrtes Schwesterchen, erwiderte die Gefragte. Du weißt, daß ich nicht zu schreiben verstehe. Zu meiner Zeit unterrichtete man die Mädchen noch nicht so fein und zierlich. Wir wuchsen auf wie die jungen Frösche.
Ich frage, was dies Zeichen bedeutet? rief die Schaffnerin mit einem strengen, durchdringenden Tone.
Schwesterchen, das Zeichen soll mich an einen Auftrag des Krämers Iwan Jwannewitsch erinnern. Er hat ein altes Bild, den heiligen Kirchenvater Ambrosius vorstellend, und er will daraus einen Napoleon machen, indem er verlangt, wir sollen einen kleinen dreieckigen Hut und eine Generalsuniform darüber malen. Ich sagte ihm, daß das sehr leicht ginge; nur der Heiligenschein müßte fort. Der gute Iwan Iwannewitsch, er hat dem fremden Kaiser sein ganzes Vermögen zu danken, denn während der großen Hafensperre schmuggelte er englische Waaren ein.
Die Schaffnerin gab die Liste zurück und ließ sich die eingekauften Vorräthe vorweisen. Die Nonnen ent-
fernten sich gähnend, denn für sie war keine Freude und keine Zerstreuung mehr zu hoffen.
Vor ihrer Staffelei saß Scholastika und malte eifrig bei Lampenlichte an dem noch unvollendeten Gewande. Sie legte den Pinsel und die Palette erst nieder, als sie völlig erschöpft und das Bild vollendet war. Obgleich es gegen Morgen ging, war die finstere Winternacht noch lange nicht beendet. Der Sturm hatte nachgelassen, das Schneegestöber war einem klaren Sternenhimmel gewichen. Das Lager der Nonne, auf dem sie ruhte, stand so, daß sie einen großen Theil dieses mit Millionen funkelnden Lichtpunkten besäeten Himmels übersehen konnte. Auf dem Gerüste der Staffelei brannte noch die Lampe und warf ein bleiches Licht auf die Züge der Heiligen. Sie zeigte jene Physiognomie, wie Feodora sie beschrieben hatte, starr, unbeholfen in den Linien und Formen, aber nicht kalt. Bei dieser Beleuchtung gewann die Tafel ein eigenthümliches Leben. Die in ganzer Figur dargestellte Märtyrin Apollonia von Tyrus schien aus dem Dunkel heraustreten zu wollen, so glänzend weiß hob sich das rechte Knie im flatternden Gewande, das der Nachtwind zu bewegen schien. Die junge Nonne heftete kummervoll ihre Blicke auf das Werk ihrer Hände. Sollte ich, rief sie bei sich, wieder ein thörichtes und mißfälliges Leben in diese Gestalt gebracht haben?
Wäre es möglich, daß ich von Neuem der Versuchung, meine elenden und irdischen Träume dem Urbild alles Erhabenen und Großen aufzudrücken, unterlegen wäre? Ist dieses Bild nicht wieder zu feurig, zu lebendig, mit einem Worte zu sündhaft? O ich bin eine Verworfene; mein Hang läßt sich nicht bändigen. Ich wähnte auserlesen zu sein, das Bild einer angebeteten Heiligen zu malen, und gerade ich vermag es nicht. Eine Blödsinnige, eine fast aller Sinne Beraubte, die vermag es, in der ist der Geist der heiligen Väter wirksam. Ich, ich bin ausgestoßen! — Sie erhob sich, stützte ihr Haupt in die Hände und weinte leidenschaftlich. Nach einer Pause sprang sie auf, nahm aus einem Schränkchen eine kleine, schwärzliche Kiste von Holz, öffnete sie und brachte ein Gemälde an das Lampenlicht. Hier, rief sie, dies hat die arme Rebecca gemalt. Sie weinte und betete, ehe sie malte; da sie nur schwach sehen konnte, so hat sie grobe Striche und grelle Farben gewählt. Und was bedarf es auch der Feinheit und des Geistes? O, ich werde mein Bild zerstören! Es sei das letzte, das ich geschaffen habe. Kann ich nicht malen, wie diese Blödsinnige malte, so will ich gar nicht malen! — Sie legte die kleine Tafel vorsichtig wieder an ihren Platz und trat mit einem Messer vor ihr eignes Werk, um die Leinewand zu durchschneiden; aber wie sie das Antlitz der Heiligen betrachtete, entfiel ihr das Zerstörungswerkzeug, und sie lehnte, einer Ohnmacht nahe, an der Staffelei. Nein! rief sie, ich kann es nicht. Mein Hoffen und
Lieben, meine einsamen Stunden, meiner Seele Athemzug und Pulsschlag, mein Schmerz und mein Entzücken — ach, meine Jugend blickt mir aus diesen Augen entgegen. Es kommt mir wie ein Selbstmord vor, wenn ich gegen diese Gestalt das Messer zücke. Ich kann es nicht! — Wohlan, wenn es ein Verbrechen und eine Thorheit ist, in der meine arme Seele verstrickt, so werde ich den Anblick des ewigen Himmels nicht ertragen, so wird in den Sternen, dieser goldnen Schrift der Wahrheit, mein Verdammungsurtheil geschrieben stehen. Ich will mich prüfen, ich will den Himmel fragen.
Sie trat ans Fenster, und die Hände mit Inbrunst faltend, richtete sie den Blick mit fester, unerschütterlicher Seeleninnigkeit zum Sternendom hinauf. Ein Wonnebeben durchdrang sie; die Stille und Freudigkeit eines kindlichen und beruhigten Herzens erfüllten ihren Busen. Was ist es denn, daß ich zage und fürchte! rief sie. Ist nicht der Himmel mein, bin ich nicht sein? O mein Leben ist voll Glück! Wie die Fülle der Frucht sich in goldnen, süßen Balsamtropfen ergießt, so giebt mein Herz in quellenden Gebets- und Dankesseufzern die ganze innere Schwere und Reife seiner Liebe zu erkennen. Einsam fließen meine Tage dahin, doch auf jeden derselben, wie auf ein Blumenblatt, fällt ein funkelnder, dunkelblauer Thautropfen des Himmels. Ich erhebe mich vom Lager, und die Gestalten meiner Heiligen umstehen mich, ihre Augen blicken mich an, und ihre Mienen, die ich mit verschämter Demuth betrachte, ihre marmornen Stirnen,
denen meine Seele Andachtsküsse aufhaucht, zeigen mir an, wie ich mein Tagewerk einzurichten habe. Ich male, und jeder meiner Pinselstriche ist ein warmer, hüpfender Pulsschlag meines Lebens, in jede geschwungene Linie lege ich die Entzückungen und die paradiesischen Schmerzen meiner Seele nieder. O, ich bin glücklich! Könnten fünfzig Jahre so über mein Haupt dahingehen, jeder Tag, jede Stunde so mit einsamer Lust gefüllt wie diese, wie freudig dankte ich dann dem Schöpfer meiner Tage! —
Als die Nonne so sprach, senkte sich ihr Blick auf die Erde — sie lag kalt, weiß, todt und starr vor ihr hingebreitet; auch eine weiße Stirn, hinter deren harter Decke die Blumen, die Gedanken des Frühlings, verschlossen ruhten. Der ferne Nebel bildete Thürme und Zinnen einer großen Stadt, dann einen Fluß, auf dem Kähne sich schaukelten, dann ein weites, wogendes Meer, auf dem Schiffe dahinflogen, dann wieder ein einsames Felsengestade, von dem Adler sich erhoben. Der Geist der Erde trat zu der einsamen Nonne und flüsterte ihr zu: Du kennst den Boden nicht, den du betrittst; er enthält viel des Schönen! Laß mich! rief die bebende Jungfrau, ich will ihn nicht kennen. Für mich sei ewig diese Schneedecke über die Erde gebreitet. Laß mir nur diese Seligkeiten, dieses Zusammenschmelzen mit Gott, dieses süße An-die-Brust-sinken der Heiligen! Und dann ein Tod, wie das Verwelken und Hinsinken der Blume.
Die Morgenstunden brachten der Ermüdeten einen kurzen Schlummer; sie wurde aus ihm erweckt durch die
Schaffnerin, die da kam, um das fertige Bild in eine Kiste einschließen zu lassen.
Laßt es mich noch einmal sehen, Schwester! rief Scholastika; es ist vielleicht mein letztes Bild.
Woher dein letztes? fragte die Nonne streng.
Zürne mir nicht, entgegnete die Bebende; kann nicht ein schneller Tod Mich dahinraffen?
Thorheit! dein Ansehen zeugt von Gesundheit und Leben.
Man brachte das geliebte Bild fort; eine Thräne perlte in Scholastika's Augen. In diesem Moment drangen Marfa und Feodora herein. Die Erstere hielt lachend ein Blatt Papier empor, das sie Scholastika vorwies, doch erst als sie sicher war, die strenge Schaffnerin könne sie nicht mehr hören. Was ist das? fragte die Nonne. O allerliebst! riefen beide Mädchen zusammen: ein Zerrbild ist es! Sieh nur; man möchte vor Lachen krank werden, wenn man es betrachtet. Zwei junge Cavaliere, die in der Frühmette in unserer Kirche waren, haben es verloren. Es lag an der sechsten Säule vom Altar ab. Das Blatt zeigt die Portraits der Schwestern Sofia und Eudoria, unsere beiden Aeltesten, die in einen süßen Schlaf versunken sind. Kann man etwas Ergötzlicheres sehen? Scholastika nahm das Blatt und zerriß es, indem sie rief: Du machst mir Kummer, Feodora, daß du so traurige und armselige Dinge aufzeigst und belachst. Marfa, dein Sinn ist äußerst kindisch und verwahrlos't!— Die beiden Gescholtenen sahen sich
einander betrübt und erschreckt an und brachen dann in Klagen über die zerstörte Zeichnung aus. Während Marfa die einzelnen Stücke auflas und zusammenzusetzen versuchte, sagte Feodora, indem sie die Hände ihrer ältern Freundin ergriff und sie zärtlich an den Busen drückte: Nun, sei nicht böse, Schola. Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr zurücknehmen, so unser Lachen über das ergötzliche Bild. Bei der Gelegenheit will ich dir sagen, daß diese jungen Männer mir sehr gut gefallen haben. Ich dachte hin und her, wem von meinen Verwandten sie ähnlich sähen, aber ich fand keinen; denn Michael, mein Bruder, hat zwar auch einen Schnurrbart, aber seine Lippen unter dem Barte sind nicht so roth und seine Zähne nicht so weiß, als der Jüngere von den beiden sie aufzuweisen hatte, und bei dem Aelteren fand ich die Tritte weit ebenmäßiger und zierlicher, als bei Gregor, meinem Vetter, der bei der Garde dient und ein Schnürleib trägt. Du hast vergessen zu bemerken, rief Marfa vom Boden auf, daß der Jüngere fortwährend eine Lorgnette vors Auge schob und so zu unserm Gitter hinaufsah, was äußerst possierlich anzuschauen war. Der Aeltere aber that dies nicht. — Und warum that er's nicht? rief Feodora lebhaft; weil er es nicht für schicklich fand, auf diese Weise zu uns hinaufzusehen, und ich geb' ihm hierin Recht. Des Jüngern Betragen war durchaus nicht so, wie es sich für den Ort und die Personen, in deren Mitte er sich befand, ziemte. Ich will dies gegen Jedermann behaupten. — Und ich finde, daß er
ganz Recht hatte, so zu thun, wie er that, rief Marfa. Und, setzte sie etwas erröthend hinzu, ich finde, daß Zar Iwan nicht gut that, ihn zu hindern, in unsern Käficht hineinzusehen. Zar Iwan? fragte Scholastika. Possen! lachte Feodora, Marfa hat diesen Namen für den großen Schwarzen sich ausgedacht, während ich den kleinen Blonden, der das hübsche Bild gezeichnet hat, den Bojaren Crispin nenne. Du weißt, es giebt eine Komödie, wo ein hübscher junger Mann unter der Verkleidung des Bojaren Crispin sich in einem Landhause einfindet, wo er tausend tolle Streiche macht — Mein Bojar ist aber hübscher, als dein Zar! rief Marfa. Wie! unterbrach Scholastika das Geschwätz der beiden Mädchen, ihr habt diese Herren, die sich sehr ungeziemend, wie es scheint, in unsere Kirche gedrängt haben, nur wenige Minuten gesehen, und schon seid ihr so vertraut, daß ihr von ihnen sprecht, wie von alten Bekannten! Auf welche Weise war es denn möglich, daß sie euch überhaupt gewahr werden konnten? war das Gitter nicht vorgeschoben? O das Gitter! entgegnete Marfa, das ist längst schon nicht mehr in Gebrauch. Unsere gute alte Aelteste behauptete einmal, daß die Stäbe sie verhinderten, frische Luft zu schöpfen, und seitdem ist ein Stab nach dem andern leise von seinem Posten gewichen. Jetzt ist die Loge offen. Wenn du wegen deines Bildes nicht Dispens erhalten und so lange aus der Kirche weggeblieben wärest, so wüßtest du, wie bequem wir's uns gemacht. Zu welchem Zweck auch die Absperrung? Es kommt ja
doch Niemand zu uns in die Kirche. Die Zeiten sind vorbei, von denen die alten Chroniken erzählen, wo Klosterfrauen beunruhigt wurden von gefährlichen und leichtsinnigen Rittern, oder wo Drachen Jungfrauen zum Vesperbrod verzehrten, wie man eine frische Semmel aufspeis't. Das waren noch Zeiten, wo ein junges Mädchen mit vielem Vergnügen ins Kloster ging, denn die Mädchen damals, eben so wie die von heute, mußten geliebt haben, daß man sich etwas um sie kümmerte und sie nicht so gänzlich unangefochten zu alten Damen herunterkommen ließ. Ich, für meinen Theil wenigstens, will lieber mit einem Drachen irgend ein aufregendes und erhitzendes Zusammentreffen haben, als die ewige Gleichförmigkeit unserer Tage erdulden. — Scholastika erklärte den beiden Schwätzerinnen, daß sie allein sein möchte, Marfa faßte Feodora unterm Arm, und Beide schickten sich zum Gehen an, die Letztere hüpfte aber nochmals zu ihrer Freundin und rief, sie küssend: Versprich mir, daß du heute Abend mit in die Kirche kommst, du mußt den Bojaren und den Zaren auch sehen. Gieb Acht, sie werden deinem ernsten Gesicht auch ein Lächeln des Beifalls ablocken. Besonders die dunkeln Augen meines Zars werden nicht ohne Eindruck auf dich bleiben! Darauf möchte ich wetten.
Wie hass' ich das, sagte Scholastika bei sich selbst, als sie allein sich sah, jede Erscheinung ins Thörichte und Lächerliche zu ziehen. Wie wenig Tiefe des Gedankens giebt dies kund. Und doch ist diese schwache und ver-
zerrte Lebenskraft recht eigentlich die Puppe, mit der die Welt spielt. Sie hielt inne und setzte nach einer Pause hinzu, indem sie mit verschränkten Armen, den Blick sinnend auf den Boden gerichtet, stehen blieb: Die Welt — wie ich sie mir denke; denn geschaut hab' ich sie nicht.
Mehre Tage waren vergangen, und des Vorfalls in der Kirche war in Gegenwart Scholastika's von ihren jungen Genossinnen nicht mehr erwähnt worden. Eines Morgens befand sich die Nonne einsam in der Kirche. Die Stunde des Gebets hatte für die übrige Klostereinwohnerschaft noch nicht geschlagen. Der so lang von ihr nicht betretene Tempel übte eine gewaltsame Erschütterung auf ihr Herz. Sie warf sich auf den Stufen vor den noch geschlossenen Altarthüren nieder, und indem ihre heiße Stirn den Steinboden berührte, machte ihre zitternde Rechte das Zeichen des Kreuzes auf Brust und Schultern. Ein Geräusch in ihrer Nähe schreckte sie auf, sie erblickte dicht neben sich einen Mann stehen, in einen Mantel gehüllt und den Hut tief im Gesichte. Die Dämmerung der frühen Stunde erfüllte die Halle und bewirkte, daß die düstere Gestalt in kolossalen Umrissen erschien: sie war einem Geist ähnlich, der, aus der Nacht der Grüfte emporgestiegen, die Frist, die ihm noch vor vollem Anbruch des Tages geblieben war, dazu anwandte, die Brust der Lebendigen mit den schauervollen Ahnungen und Gebilden des Jenseits zu füllen. Scholastika, noch immer auf den Knieen liegend, bedeckte ihr Antlitz und stieß einen Laut des Schreckens aus. Un-
fähig, sich emporzurichten, fühlte sie ihre Glieder erstarren und ihr Herz gelähmt. Der Fremde machte eine Bewegung auf sie zu, und die Furcht, von ihm berührt zu werden, trieb die Zagende mit Gewalt in die Höhe. Die Treppe zum Chor emporeilend, verwickelte sich ihr Schleier an einer der Schnörkeleinfassungen, und das zarte Gewebe wurde von ihrem Haupte gerissen. O gütige Mutter Gottes! Welch ein furchtbares Zeichen! Der Schleier ist von meinem Haupte gefallen!
Diese Worte, in der Qual und im Entsetzen des Moments und ohne Rücksicht auf den Zuhörer ausgesprochen, schienen einen tiefen Eindruck auf den jungen Mann zu machen. Ehrerbietig näherte er sich mir dem gelös'ten Schleier und reichte ihn der Erschreckten. Vergieb mir, frommes Mädchen, sagte er in dem treuherzigen Tone eines jungen Landmannes, ich habe dich nicht beleidigen wollen. Wenn mein Auge die Reize deines Antlitzes erschaut hat, so betrachte dies nicht als ein Spiel frevelhaften Muthwillens. Gebiete, und ich verlasse sogleich die Kirche. Er wartete Scholastika's Wink nicht ab, er sah an ihrer bewegten Miene, an ihrer zitternden Gestalt, daß sein längeres Verweilen ihr Qual verursachte. Er verschwand aus der Kirche, und die Nonne sah sich bald von ihren Schwestern umgeben, die sie um den Grund ihrer Aufregung, ihrer Thränen befragten. Sie entging der Beantwortung dieser Fragen nur mit Mühe, indem sie sich rasch in ihr Zimmer begab, in welches sie sich für den Tag über einschloß.
Mehre Wochen waren vergangen; Scholastika saß an dem Krankenbette Rebecca's, die langsam dahinsiechte. Das arme, schwache, körperlich und geistig verkümmerte Wesen schien, da es sich seiner Auflösung näherte, einem neuen Tageslichte entgegenzugehen. Der schwere Bann, der auf ihrem Geiste lag, wurde von der Hand des düstern Genius gehoben, der mit der andern Hand die Todesfackel schwang. Scholastika las in den Mienen der Kranken die Geschichte einer räthselhaften und schnell um sich greifenden Sinnesänderung; die klare, feingewölbte Stirn zeigte in fast durchsichtiger Hülle den rapiden Flug der Gedanken, das Zucken und Vorbeirauschen der Bilder. Alles an diesem Antlitze, das in seinem frühern Zustande einer Larve von Gips geglichen, war jetzt zuckender Nerv, gestaltenbringende Miene. Das Auge, wenn auch geschlossen, gab den Eindruck eines sehenden; man konnte das aufwärts und nieder Bewegen des Augapfels beobachten, je nachdem die phantastischen Traumbilder, die die Kranke beschrieb, ihren Schauplatz im Himmel oder auf Erden aufgeschlagen. Einige dieser Visionen waren von dem Athem einer so stürmischen Phantasie angefacht, daß sie Hymnen glichen, andere hatten Hüllen von Nebel so dicht um sich geschlossen, daß ihre ursprüngliche Deutung schwer, ja fast unmöglich und man in ihnen Orakelsprüche zu hören glaubte, wie sie in den apostolischen Zeiten aus dem Munde der Kranken und Inspirirten tönten. Wenn sie in solchen Momenten den Farbenstift oder die Feder ergriff, so ent-
standen mystische Gebilde, von einem fremden, aber wunderbar fesselnden Geiste eingegeben. Mehre dieser Blätter bewahrte Scholastika. Auf einem derselben sah man einen breiten Strom, der einen Fall jähe Felsen hinab that. Auf dem Spiegel des Wassers und in einiger Entfernung von seinem Sturze erblickte der Beschauer eine Anzahl Kähne in Form von Särgen. In jedem dieser Kähne oder schwimmenden Särge lag ein bleicher, hingestreckter Körper mit enthülltem Antlitz. Dieses Antlitz zeigte Kälte und starre Ruhe bei denjenigen Schiffenden, die vom Sturze noch entfernt waren, bei andern jedoch, die schon nah und immer näher dem Wasserfalle kamen, ging die leblose Todtenmaske der Schläfer in den Ausdruck der Angst, der Qual, des Entsetzens über, und bei denen, die dem Sturze ganz nahe waren, sah man Verzerrungen, wie sie die gräßlichste Pein nur auf ein Menschengesicht zeichnen kann. Der Strom war öde, die Ufer nackt, der Himmel ohne Sterne, ohne Mond, ohne Sonne. Scholastika sah in diesem Bilde die Geschicke der Seelen, die, durch Sünde und Thorheit entwürdigt, dem Gerichte entgegeneilen; eine grausenvolle Hindeutung auf den Tod und den Schlummer im Grabe. Ein anderes Bild zeigte ein Meer von Blut, auf dem drei silberne Todtenköpfe schwammen. Ein Engel hob einen dieser Köpfe aus der Blutlake, und siehe, es haftete kein Flecken an ihm. Aus Blut und Verwesung, aus Nacht und Grauen geht die schöne, helle Stirn des Frommen ungetrübt und un-
geschändet hervor. In einem andern Bilde zeigten sich zwei Engel, die über der Erde schwebten, der eine streute Blumen, die im Fallen zu Steinen wurden, der andere warf Steine herab, die sich, bevor sie die Erde berührten, in Blumen verwandelten. So ist himmlische Strafe Gunst, himmlische Gunst Strafe; dem kurzsichtigen Sterblichen beides in Dunkel verhüllt.
Während dieses Dienstes am Krankenbette ließ die Schaffnerin eines Tages unsere Nonne zu sich kommen und verlangte einen Dienst von ihr. Seit einem Monat schon, sagte die strenge Patronin, arbeitet ein Maler von großem Ruf in der Seitenhalle unserer Kirche. Es handelt sich darum, das schon so oft copirte Bild, den heiligen Georg, für einen reichen Sammler und Liebhaber von Gemälden in der Hauptstadt getreu in Farben und Umriß wiederzugeben. Ich selbst bin zwar Kennerin von Gemälden, allein mein Auge ist seit einiger Zeit nicht mehr so hell und scharf wie sonst. Unsere alte Oberin fehlt uns jetzt, sie wußte in solchen Fällen Rath. Von allen Schwestern in unserm heiligen Hause bist du die Einzige, der ich Sinn und Urtheil zutraue. Begieb dich daher hinab in die Halle, ich habe Befehl gegeben, daß der Künstler sich entferne, betrachte sein Werk und statte mir Bericht ab. Ich werde meinerseits alsdann unserm Nachbar, dem Edelmann, der das Bild bestellt hat, meine Entscheidung zukommen lassen, ob seine Hoffnungen der Erfüllung nahe sind, oder nicht.
Nach dieser ernsten Weisung war keine Minute des Zögerns möglich. Scholastika betrat die einsame, halbverfallene Galerie, wo sie die Gerüste aufgestellt fand, die Copie auf der Staffelei, kein menschliches Wesen jedoch zu sehen. Mit Mühe erkletterte der ungeübte Fuß die schwankende Leiter und erschöpft ließ sich die einsame Kunstrichterin vor dem Bilde nieder. Aber wie ward ihr, als farbenglühend, im Zauber der blühendsten Kunst ein schönes, edles Meisterwerk vor ihren Blicken erglänzte. Sie hatte nie die Werke der Meister gesehen, ihr waren nie andere Bilder vor Augen gekommen als die, die im Kloster gefertigt wurden; ihre Phantasie hatte daher keine Vorstellungen von dem, was die ärmlichen, irdischen Mittel in der Macht wunderbegabter Geister zu wirken vermochten. Staunend, mit verhaltenem Athem, die Hände wie zum Gebet gefaltet, saß sie da, und ihre Blicke sogen, wie das Auge des aus der Blindheit Erwachten das Licht gierig einsaugt, so hier die Fülle der Schönheit ein. Es ist schon bemerkt worden, daß auf dem Originalbilde auch dem schärfsten Auge nichts als eine schwarze Fläche sichtbar war, der Künstler hatte also offenbar das Bild des heiligen Drachenbekämpfers aus eigner Phantasie hingestellt. Scholastika's Bewunderung wurde hierdurch maßlos gesteigert. All ihr Träumen, Wollen und Vollbringen bewegte sich leidenschaftlich wild in ihrem innern Sinne durcheinander; ein einziger Blitz des Genies, in dieses dunkle Chaos geschleudert, erhellte die streitenden Kräfte. Früher hatte
die Nonne es nur für möglich gehalten, eine genaue Abschrift ihres Gegenstandes zu nehmen, die Kühnheit, einen solchen selbst zu erschaffen, kam ihr fast wie eine Gotteslästerung vor. Aber in ihren Träumen lebten diese selbsterzeugten Gestalten fortwährend, und sie bewegten sich in einem unausgesetzten Kampfe mit dem, was die conventionelle kirchliche Form vorschrieb. Seit dem Vorfall mit dem Bilde hatte sie sich gewöhnt, diese Anfechtungen des Bösen, wie sie den Trieb ihrer künstlerischen Production nannte, gewissenhaft zu unter drücken, hier nun sah sie, daß andere, höher begabte Geister sich diesen Anfechtungen sorglos überließen, und daß Werke voll Schönheit und Heiligkeit dadurch der Welt geschenkt wurden. Aber nein; diese Schönheit konnte, wie bei ihr, eine täuschende, die Heiligkeit eine betrügerische Weltmaske sein. Der Kampf ihres Innern dauerte fort; immer den Blick auf das Bild gerichtet, es in diesem Augenblick bewundernd, in jenem verwünschend, wandte sie sich zum Gehen und blieb dennoch. Als sie einen raschen Schritt vorwärts that, fühlte sie den Boden unter sich wanken und erkannte entsetzt, daß sie eine Stelle des Gerüstes betreten hatte wo dieses unsicher und schwankend war. Eine Stimme in diesem Momente rief: Um Gottes und der Heiligen willen, nehmt Euch in Acht! Der Laut dieser Stimme betäubte die Sinne der armen Nonne noch mehr; er weckte Gefühle und Erinnerungen auf, die peinlich und bedrohlich wirkten. Sie wollte den Sprossen der Leiter zueilen
aber sie fühlte, daß es ihr unmöglich sei, diesen schwankenden Steg jetzt zu betreten; ein Nebel schwamm vor ihren Augen, ihre Kniee zitterten. Sie sah, wie ein Mann, in einen groben Leinewandkittel gehüllt, die Leiter hinaufstieg und sie zum Sessel vor der Staffelei zurückführte, seine Worte vernahm sie nicht. Als sie aus der Betäubung erwachte, fühlte sie einen warmen Hauch ihre Wange berühren, und der Blick eines dunkeln Auges war auf sie gerichtet. Sie erkannte jene Gestalt in der Kirche wieder. Der Gedanke, daß es der Maler des Bildes sei, daß er durch Farben und Gestalten bereits vernehmlich und eindringlich zu ihr gesprochen, machte, daß ihr Geist sich rascher aus dem Taumel emporraffte und ihren Sinnen die Sicherheit und Ruhe gab, um das Ungewöhnliche der Erscheinung mit Besonnenheit zu prüfen. Sie stammelte, noch mit bewegter Stimme, einen Gruß und einen Dank. Der Künstler nahm Beides mit einem freundlichen Lächeln auf. Er schwieg, und sein Schweigen, seine eigene sichtliche Befangenheit gab ihr Muth. Eine Pause verging, während Beide das Bild betrachteten; dann wandte sich der Blick des Künstlers mit leiser, unbemerkbarer Wendung vom Bilde weg auf die Züge der Beschauerin, und er suchte in dieser klaren, vom göttlichen Geiste der Reinheit und des religiösen Empfängnisses durchwehten Schrift das Urtheil über sich und sein Werk zu lesen. Die Kunst hatte noch nie ihre Aufgabe würdiger erfüllt, sie vermittelte hier das Verständniß zwischen zwei Seelen, die vielleicht
auf gleiche Weise irre gingen und doch dabei auf gleich eifrige Weise die Wahrheit suchten. Ist sein Herz rein? ist sein Herz sündig? so tönte die Frage in Scholastika's Busen. Sie ist rein, sie ist sündlos; welches Urtheil fällt sie über mich? so fragte sich der Schöpfer des Bildes, indem er sie mit Augen betrachtete, die jetzt, da sie nicht beobachtet wurden, alle Mäßigung und Kälte abgelegt hatten, mit einem schwärmerischen Feuer auf den Linien des edeln Profils ruhen ließ, das sich gegen das offene Kirchenfenster im reinen Blau des Himmels scharf abzeichnete. Das dunkle Untergewand der Nonne floß in schweren Falten auf den Boden nieder, der weiße Schleier und das blaßblaue Obergewand ließen die Biegsamkeit und Fülle des schönen jungfräulichen Leibes errathen. Sie stützte den rechten Arm unters Haupt und blieb so in nachdenklicher Stellung sitzen. Endlich entflohen ihren Lippen, wie im Traume gesprochen, die Worte: Ist's erlaubt, so zu malen? Darf man solche Gestalten schaffen? Glüht dieser Abendhimmel nicht in allzu irdischem Roth? Ist dieser Ritter mit dem frommen und doch so irdisch schönen Antlitz nicht ein Sohn der Hölle? Hilft er nicht dem Drachen aus der Tiefe herauf, statt ihn hinabzustoßen? Ist dieses edle Roß, in der Kühnheit und Kraft seiner naturgemäßen stolzen Bewegung, nicht eine ungehörige Erscheinung auf frommem Gebiete? — Sie erschrak, als sie den Ton ihrer eigenen Stimme hörte; sie wandte sich rasch um und sah zum Künstler empor, mit dem furchtsamen Ausdrucke
eines Kindes, das ein vorlautes Wort gesprochen und nun den Verweis fürchtet. Als Jener schwieg, rief sie beinah heftig: Sprechen Sie, mein Herr, sprechen Sie! Ich will von diesem Platze nicht weichen, bis ich weiß, ob ich dieses wundersame Bild verdammen, oder mich anbetend davor niederwerfen soll.
Der junge Künstler zeigte auf das Original und sagte lächelnd: Ich habe dort nichts finden können, wo nichts ist, darum nahm ich von dem Meinigen, so gut ich es hatte. Auf meinen Streifzügen in Afrika sah ich einst einen jungen Araber im Kampf mit einem Tiger. Ich zeichnete die Gruppe flüchtig in mein Skizzenbuch, nicht wissend, wo ich sie vielleicht anbringen könnte; hier bot sich die Gelegenheit dar. Aus dem maurischen Ritter ist der heilige Georg geworden, aus der schönen Tigerkatze der Lindwurm. Wenn die Gruppe Leben und Wärme hat, so verdankt sie es der Natur. Sie ist die Quelle aller unserer Schöpfungen. Glaubt mir das, fromme Klosterfrau.
Die Natur! rief Scholastika, die gefallene, die entwürdigte, die von ihrem buhlerischen Thron gestoßene?
Der junge Mann erwiderte hierauf nichts. Er fühlte, es waren die scharfen Gegensätze ausgesprochen, und da er sich nicht befähigt fühlte, wenigstens in diesem Augenblicke nicht, Kunst und Kunsteingebungen zu besprechen, so begnügte er sich, seine Blicke reden zu lassen, und das dunkle Feuer, das in ihnen brannte, machte, daß die schüchterne Nonne schnell den Gegenstand der Berathung fallen ließ und nur das Interesse des Weibes
sich merkbar machte, und dieses rieth ihr, auf schnelle Flucht bedacht zu sein. Sie erhob sich und stieg festen Fußes die Leiter hinab, dann flog sie mehr als sie ging durch die Hallen der einsamen Kirche und langte athemlos und erschöpft in ihrer Klause an.
Die starke und ursprünglich energische Natur der jungen Nonne machte, daß dieses Ereigniß zu einem entscheidenden in ihrem ganzen Dasein wurde. Alle Spuren der Kämpfe ihrer unglücklichen und mit Glauben und Zweifel gleich schwer belasteten Stunden zeigten sich plötzlich wieder frisch in ihrem Geiste; doch kam noch ein anderes unerklärliches Gefühl hinzu. Es war durch die Person des Künstlers hervorgerufen. Sie verwechselte den Schöpfer mit seinem Werke, sie wußte nicht, ob sie diesen jungen Mann mit dem beredten Blick, mit der reinen, schönen, von dunkeln Locken beschatteten Stirn, mit dem milden Lächeln des Mundes — ob sie ihn verehren, anbeten, oder verdammen und fliehen sollte. Am Eingang zum Allerheiligsten des Lebens und der Kunst stand er, eine räthselhaft verhüllte Gestalt, anlockend und wieder abstoßend. Er war sein Werk selber, oder vielmehr sein Werk war er. Dieselbe Kühnheit, dieselbe Widersetzlichkeit, dieselbe Freiheit und dieselbe Schönheit. Er war auf dem stolzen Pferde der Ritter St. Georg, dieser Ritter nicht der Legende, sondern des Lebens, des wunderbaren, Flammen und Farben sprühenden Lebens; und wie er so irdisch prächtig dahergezogen kam, so zog eine neue Sonne am Firmament der Einsamen aus Nacht
und Dunkel empor; der Abgesandte einer Welt, die durch Glanz, Reichthum und Schönheit lockt.
Scholastika stattete der Oberin Bericht ab und erhielt von ihr die Weisung, fernerhin das Fortschreiten und Gedeihen des Bildes zu überwachen. Die Nonne hielt es für ihre Pflicht, ihr Zusammentreffen mit dem Künstler zu melden, doch machte dies wenig Eindruck auf die sonst so strenge Klostergebieterin. Er ist ein Leibeigner des Edelmannes, sagte sie. Die Vermessenheit, die er sich erlaubt hat, gegen das Verbot in der Galerie zu bleiben, darf nicht gestraft werden, ohne daß man fürchten müßte, unsern Nachbar zu beleidigen. Ein Leibeigner ist wie jeder andere Frohnarbeiter zu betrachten, denen zur Reparatur der Klosterbaulichkeiten die Hallen geöffnet werden.
Scholastika fühlte, daß diese Bezeichnung sehr wenig auf den jungen Mann passe, dessen Bekanntschaft sie auf eine so ungewöhnliche Weise gemacht. Mochte Dimitri, dies war der Name des Künstlers, immerhin ein Leibeigner sein, er stand auf einer Stufe der Bildung und der gesellschaftlichen Formen, die ihm eine höhere Achtung und Berücksichtigung zusicherten, als sie den bäuerischen Knechten des Klostergebietes zu Theil zu werden pflegte. Die Oberin hatte ihn nie gesehen, ihn nie gesprochen; wäre dies geschehen, ihrem scharfen, beobachtenden Auge wäre das unterscheidende Merkmal höherer Gesittung und weiterer Lebenssphäre, das der Künstler eben zur Schau trug, nicht entgangen. Scholastika, gezwungen gleichsam, sich seinem Gespräch, seinem Umgang hinzu-
geben, durchbrach in ihrem Innern eine Schranke der Vorsicht und des Mißtrauens nach der andern, und ihrem Gemüth, so wie ihrem still schaffenden und brütenden Geiste, dem es Bedürfniß war, sich hinzugeben, wurden die Zugeständnisse immer leichter, die vertraulichen Mittheilungen immer ergiebiger und rücksichtsloser. Es vergingen ganze Stunden, wo sie an der Staffelei saß und Dimitri zuschaute, wenn er an seinem Werke arbeitete. Oft ordnete sie ihm die Farben auf der Palette, öffnete oder verhängte die Fenster, brachte die zu copirenden Gemälde in das richtige Licht, kurz, verrichtete das Amt eines Malergehülfen, wodurch ein solcher, der die Einsamkeit der beiden Beschäftigten gestört haben würde, entfernt gehalten wurde. Sie las ihm vor, Stellen aus den heiligen Büchern, aus dem Legendenschatz des Klosters, und zwar enthielten diese Auszüge Andeutungen für die Auffassung und Behandlung des Gegenstandes. Dimitri kümmerte sich aber sehr wenig um jene Winke. Er malte und schuf mit einem leidenschaftlichen Eifer und einem äußerst kecken Sinne. Die alten Gestalten der heiligen Bücher, jene Erzväter und biblischen Fürsten wurden von ihm in moderne Emire, in Häuptlinge der syrischen Wüste umgewandelt. Scholastika erschrak einmal übers andere, und oft hielt sie sich die Augen mit beiden Händen in lieblich anmuthiger Weise zu, wenn sich auf der Leinwand wieder ein in einen zottigen Burnus gehüllter, banditenhafter, kaffeebrauner Athlet entwickelte, der einen kanaanitischen Hirten
repräsentiren sollte. Ebenso wenig waren die kleinen hübschen Frauen der Bibel, diese niedlichen Sünderinnen, die sich nicht damit begnügten, die Köpfe der Männer zu verdrehen, sondern sie frischweg abhieben, in der Auffassung Dimitri's nach ihrem Geschmack. Aber Alles, was er malte, war dabei wunderbar frisch, lebendig und wirkte wie eine kühne, unerwartete That, die vor unsern Augen geschieht und die den Schauplatz der Dinge und Personen um uns her völlig verändert. Scholastika saß oft noch lange, wenn der ungebundene und sich um keine Regel kümmernde Künstler schon längst fort war, in der dämmernden Halle und sann, das Haupt auf den Arm gestützt, den fremden Gestalten nach, die sich in einer völlig fremden Welt bewegten. Eines Tages sagte sie zu Dimitri: Wird man diesen Heiligen glauben? Werden wir die Welt zwingen können, vor ihnen niederzufallen? — Das ist auch gar nicht nöthig, erwiderte er trocken. Wenn sie nicht niederfallen will, mag sie es bleiben lassen. So Manches ist zum Abfallen und Hinaustragen reif. Das Haus, in dem wir wohnen, ist zu klein, um große, vermodernde Schätze aufzubewahren. Es muß Platz gemacht werden. — Diese Worte verstand die Nonne nicht; wie hätte sie sie auch verstehen sollen. Man mußte dazu etwas arabische Wüste, etwas Laster in großen Städten, ein klein wenig Raub und Todtschlag, einen Tumult und einen Aufruhr, etwas von dem, was die Philosophen Gott nennen, von alle dem mußte man gekostet, oder es in der Nähe angeschaut haben,
um jene Worte zu verstehen. Ein jungfräulicher Busen voll sanfter, aufblühender Rosen in milchweißem Lichte, voll Lilien in rosigem Schimmer, ein Busen, durch den ein weicher, warmer Flügelschlag der Gottheit Kühlung weht, in einem solchen Busen sind jene Worte so schlecht gebettet, wie der harte, kleine, runde Ball des Knaben in einem Spinnengewebe. Die sanften Fäden zerreißen, sie lassen den Eindringling schnell durch, und die Spinne geht daran, ihren zarten Flor von Neuem zu weben. So ersetzte und erneute Scholastika's Seele rasch und eifrig die Schleierhüllen ihres jungfräulichen Geistes, nachdem ein solcher Wurf sie momentan beschädigt hatte. Aber Dimitri warf nicht immer so epigrammatische Aphorismen, solche sibyllinischen Welterfahrungssätze hin, er sprach oft mit jenem schönen Enthusiasmus, der erwärmt und mit sich fortreißt, von dem, was er auf seinen Reisen erschaut. Mit stürmender Hand riß er die goldnen Thore der Welt vor den Blicken des keusch und einsam erzogenen Mädchens auf und ergötzte sich an dem blendenden Lichtglanz, der über Haupt und Schultern der froh Erschreckten fiel. Er ließ den Schimmer und das Geräusch großer Städte vor ihr erstehen, Triumphbogen baute er auf, wölbte kühne Brücken, hob den granitnen Schaft köstlicher Säulen hoch in die Lüfte. Dann wieder, wenn der Tumult der Städte sie betäubte, öffnete er ihren Blicken ein stilles Schweizerthal und ließ sie den Gipfel der Alpen in der Glut der Morgensonne sehen. Ueber die brausenden Wellen des sturmgepeitsch-
ten Meeres führte er sie an die Küsten Afrika's, leitete sie an die Quellen des Nils und zeigte ihr den Schatten der Pyramide des Cheops sich über einen stillen See dahinlagern. Ueberall eine wundersame, eine herrliche Welt. Vor allen waren es die Schöpfungen der Kunst, die er ihrer Seele vorzuführen strebte, jene Meisterwerke, die Jahrhunderte entzückten und noch Jahrhunderte entzücken werden. Er nannte die bewunderten Namen und war erstaunt, diese Klänge zum erstenmal das Ohr der Nonne berühren zu hören. Sie wußte von keinem dieser Heroen; bis in die Einsamkeit des Klosters war kein Strahl der Sonne gedrungen, die im feurigen Farbenumschwunge einen sprühenden Regen von Poesie, Glut, Andacht, Schönheit und dichterischer Ausgelassenheit auf die Paläste und Hütten der Menschen niedergleiten ließ; bis hieher keine der capriciösen Phantasieen, der schimmernden und burlesken Launen, mit denen die Künstlermuse den Ernst und die Schwere des Lebens zu besänftigen und mit Spottlichtern zu durchblitzen sich mühete. Dimitri beschrieb und erzählte, Scholastika hörte aufmerksam zu. So vergingen schöne, goldne Stunden. Oft saßen sie noch beisammen, wenn die Abendröthe ihren Schein auf das alte Gemäuer malte, und die Schatten der beiden Gestalten bildeten sich an der gegenüberstehenden Wand in gigantischen Formen ab. Es gab eine Gruppe, ähnlich jenen mächtigen Sibyllen und Propheten Michel Angelo's. Wenn Dämmerung sich dann in der Halle verbreitete, tönte das beseelte Wort noch farbengeschmückter
und glühender; in dieser verschwiegnen Stunde war es auch, wo die Hände der Liebenden in einander ruhten, wo zum erstenmal Kuß um Kuß die stürmende Empfindung befriedigte, das verzehrende Feuer kühlte.
Eines Morgens betrat Scholastika die Galerie und hörte zwei Männerstimmen im Gespräch. Sie hielt ihren Schritt hinter einem Säulenvorsprunge an, und indem sie forschend ihre Blicke auf das Gerüst richtete sah sie einen jungen Mann auf demselben in nachlässiger Stellung sitzend und dem Madonnenbilde, das gerade auf der Staffelei stand, den Rücken zukehrend. Er war elegant gekleidet, ein Stock, mit einem Goldknopf und einem schimmernden Edelstein geziert, diente in seiner Hand zum Spielwerk, er schlug mit demselben bald an die Spitze der glänzenden Stiefeln, bald klopfte er zerstreut auf die Gemälde und Kisten, die umherstanden. Das Antlitz zeigte Jugend und eine feine Grazie des Spottes und der Ungezwungenheit; ein zierlicher Bart und blonde Locken schmückten Haupt und Lippen. Vor ihm saß Dimitri und war beschäftigt, die Farben auf der Palette zu ordnen. Das Gespräch der Beiden wurde sehr laut geführt, und da es überdies noch stark im Gewölbe schallte, so entging der Nonne keines der Worte; aber deren Sinn war ihr öfters unverständlich.
Ich wiederhole dir, hob der Jüngere an, daß mich das Leben hier langweilt. Ich habe bereits alle Narren der Umgegend studirt, die in Quart sowohl, als die in Folio. Ich habe mir zum Uebermaß vor Alter ver-
säuerte und verschimmelte Geschichten erzählen lassen, zum Bewundern gut kenne ich die schlechten Späßchen, mit denen die Elegants beim Regiment zur Zeit Catharinens sich die Zeit vertrieben, ich gehe sogar noch weiter hinauf und lasse mir antediluvianische Schwänke erzählen, die ich weiß nicht in welche fabelhafte Periode der Regierungsepoche der Kaiserin Anna oder Elisabeth fallen. Kurz, ich leiste das Unmögliche, und im Vertrauen gesagt, es ist jetzt genug.
Was mich betrifft, entgegnete Dimitri, so langweile ich mich durchaus nicht.
Ich will's glauben, rief der Blonde lachend. Wenn man Abälard und Heloise spielt, so hat man fürs Erste schon eine Beschäftigung. Aber gesteh mir offen, wie lange willst du diesen Roman ausspinnen? Soll ich darüber zum Teufel gehen?
Sprich ein wenig gesitteter, sagte Dimitri.
O warum nicht gar! Du spielst wohl den Heuchler. Du denkst, weil du ein paar schlechte Bilder malst mit Messingdrähten um den Kopf, daß du dann den Apostel gegen uns spielen kannst. Mein Freund, ich habe dich zu oft am grünen Tisch gesehen und zu oft in Gesellschaft von —
Gieb mir die rothe Farbe dort her —
Sehr gern; da hast du sie; sie duftet nach Terpentin und hat mir meine Handschuh verdorben; doch wovon wollte ich sprechen? richtig! — Gegen deine Kameraden, liebes Herz, da sei nur hübsch aufrichtig. Keine Flausen. Du bist kein Heiliger, und ich bin keiner. Wenn dir
deine Heloise nicht zufällig in den Weg gelaufen wäre, so hättest du nie daran gedacht, Leinwand zu kaufen und sie zu besudeln. Es ist eben solch ein Spaß, wie in Florenz vor einem Jahre, wo du der Signora Giuliani zu Liebe plötzlich Musiker wurdest. Man kennt das. Du ziehst die Talente an und aus, wie unser Einer ein Paar Handschuh. Sage mir nur das Eine: wann wird der Roman zu Ende sein?
Hat er dir schon zu lange gedauert?
Das wollt' ich meinen. Drei Monate sitzen wir schon hier. Es geht stark auf den Frühling los, und es war mitten im Winter, wie wir kamen.
Dimitri legte die Farbentafel hin, und indem er zum Malerstock griff, sagte er: Was verlieren wir, wenn wir einen Monat früher oder später in Paris eintreffen?
Das will ich dir sagen, rief der junge Mann lebhaft. Wir verlieren die schöne Fürstin Uwarkoff aus dem Gesichte; jetzt ist sie noch in Paris; eine Woche später, und sie ist nach Spanien hinübergeschlüpft, oder hat sich ins südliche Frankreich verloren, wo der Geier sie auffinden kann. Du weißt, die Fürstin Uwarkoff ist meine Flamme, und die kleine Gräfin Fedoroff, die du sonst so allerliebst fandest, ist auch jetzt in Paris. Teufel! und dann bedenke, daß ich seit einem halben Jahre nicht mehr pointirt habe, daß ich ganz verlerne, wie man eine Karte biegt und wie die Roulettekugel läuft.
Das sind alles Erbärmlichkeiten! rief Dimitri.
O freilich! entgegnete rasch der Andere, für dich sind das Erbärmlichkeiten. Es ist ohne Zweifel auch viel erhabner und einem Fürsten Gluboff angemessener, ein junges Mädchen durch schlechte Bilder und noch schlechtere Schwüre zu bethören.
Halt ein! rief Dimitri und sah sich ängstlich um. Du plauderst meine Geheimnisse aus. Uebrigens wenn du es verständest, in das Innere meines Wesens zu dringen, so würdest du diesen Leichtsinn unterlassen, du würdest dann wissen, daß es sich hier um eine wirkliche, ernste und große Liebe handelt.
So? rief der Blonde, und seine Wangen und Stirn wurden von Zorn geröthet; also damit willst du wohl sagen, daß du noch drei Monate weiter hier hinschmachten willst? Liebster Dimitri Pawlowitsch, du bist entsetzlich in deiner Poesie und Kunstbestrebung. Du fällst deinem Freunde auf eine grausame Weise auf die Nerven. Ach, ich hätte das wissen sollen, als ich mich mit dir in diese Einöde begab! ich hätte das ahnen sollen, was sich ereignen würde, wie du mich zur Verzweiflung treiben, mich auf Lebenszeit durch Langeweile ruiniren würdest.
Ein Geräusch hinter der Säule störte das Gespräch. Geh, geh! rief Dimitri, indem er, sich an die Staffelei heransetzend, den Freund bei Seite schob; sie muß sogleich kommen, und es will sich wenig schicken, daß sie dich und in diesem Aufzuge hier erblicke. Geh, ich bitte dich!
Der Blonde entfernte sich, indem er vor sich hinmurmelte: Der Geier hole die Klöster! Sie haben immer
für alle romantischen Spitzbuben etwas Anziehendes. Ich meines Theils finde sie höchst abgeschmackt und langweilig.
Als er fort war, erschien Scholastika betrübt und mit zerstreuter Miene. So wenig sie von dem Inhalt des Gesprächs verstanden hatte, so war ihr der Umstand doch deutlich geworden, daß Dimitri nicht Der war, für den er sich ausgab. Ihr Benehmen gegen ihn war daher in den ersten Augenblicken kalt und befangen. Sie hatte versprochen, eine Partie des Bildes zu übernehmen, aber sie war nicht im Stande, den Pinsel zu führen, sie legte ihn nieder und brach in Thränen aus. Geliebtes Mädchen! rief der junge Mann, seinen Arm um ihren Leib schlingend, was ist dir? Welch ein Kummer drückt dein Herz? Sprich, vertraue dich mir. Bin ich nicht dein Freund, dein Bruder? Ist noch irgend ein Geheimniß zwischen uns?
Auf alle diese Fragen erwiderte die Arme nichts; sie hatte ihr Antlitz in die verhüllenden Hände gepreßt, und ihre Thränen rannen. Als sie das Auge wieder erhob, glänzte es in rührender Schönheit, die Wangen überzog ein Roth, das die Flammen der Scham, der Liebesglut und des Schreckens in sich vereinigte. Sie sagte nichts als die Worte: Du bist nicht Der, der du scheinst!
Dimitri warf einen Blick auf die Seite hin, wohinaus der indiscrete Freund sich entfernt hatte, und murmelte vor sich hin: Das ist dein Werk! Ich will
es dir gedenken! Dann schloß er noch einmal so innig die Bebende an sich und drückte einen Kuß auf ihre Wangen. Was du auch gehört haben magst, verlaß dich darauf, nur aus meinem Munde kannst und darfst du die Wahrheit vernehmen. Ja, allerdings, mein süßes Mädchen, ich bin nicht Der, der ich scheine; allein was kümmert das dich? Ob Fürst, Graf oder Bauer, kann ich etwas Anderes und Höheres sein, als dein Freund? Du kennst die Welt nicht, Schätzchen; es wäre daher rein vergeblich, dir Verhältnisse zu erklären, Namen und Titel zu nennen, die für dich keine Bedeutung haben können. Genug, daß wir uns kennen, daß wir uns lieben.
Scholastika schrak bei diesem Worte zusammen: Lieben? rief sie; ich dich lieben, du mich! Ich, eine Nonne! O Gott! — Sie brach von Neuem in Thränen aus. Unser Loos ist einmal geworfen! rief Dimitri. Als ich zum erstenmal dich erblickte, schwur ich, daß du mein werden solltest. Nur deinetwegen hab' ich mich hier als Knecht verdungen, nur deinetwegen mich in diese heiligen Mauern gedrängt: ich werde sie nicht verlassen ohne dich.
Scholastika blickte ihn entsetzt und mit weit geöffneten Augen an.
So ist's! rief er, und seine dunkeln Blicke sprühten Feuer; ich entführe dich dieser beschränkten Zelle, in der deine Jugend und Schöne wie in Grabeseinsamkeit weilt; ich bringe dich in die Welt, die ich so oft deiner Phan-
tasie vorgeführt; an meiner Hand sollst du sie betreten, die Liebe wird dir die Hallen der Kunst öffnen. O meine Scholastika, in diesen Hoffnungsträumen bewege, ich mich schon lange; ich wartete nur auf den günstigen Moment, wo ich dir meine Plane mittheilen konnte. Die Unvorsichtigkeit meines Genossen hat diesen Zeitpunkt früher herbeigeführt, als meine Vorsicht es mir vielleicht gestattet hätte. Jetzt kennst du mein ganzes Herz; entscheide über mein Glück, über mein Leben!
Er hatte sich zu ihren Füßen hingeworfen, und ihre Hände, feucht von Thränen, zog er an sein Herz, preßte sie an seine Lippen.
Wie kann ich? rief sie, angesichts Dieser, die ich verrathen will! Sie zeigte auf das Bild der Mutter Gottes.
O meine Geliebte, entgegnete er, die Schwüre einer Nonne sind unbewußte Schmähungen auf den Himmel, der alle seine Geschöpfe zu Glück, Freude und Liebe schuf. Leiste andere Schwüre, leiste den Schwur, deinem Herzen zu folgen, leiste den Schwur, mich glücklich zu machen. Dies sind Gelöbnisse, deiner und des Himmels würdig. — Er zog sie an sich und raubte ihr von Neuem Kuß auf Kuß. Erst in später Stunde trennten sie sich.
Die Nacht, in der Scholastika dem Kloster entführt werden sollte, war angebrochen. Sichere Maßregeln waren getroffen. Die lauen, sommerlichen Abende, die schon jetzt walteten, begünstigten das Unternehmen; eine Postkutsche, die Gregor, dies war der Name von
Dimitri's Freunde, zu leiten übernommen, hielt in dem Wäldchen am See. Man beschloß, die zwölfte Stunde nicht abzuwarten, weil man den Mond, der um diese Zeit zu scheinen begann, vermeiden wollte. Um die Vesperstunde saßen, wie beim Beginn unserer Erzählung, die drei Nonnen in der untern Halle beisammen; das Winterfeuer fehlte, dagegen stand auf einem schmucklosen Altar eine Vase mit den ersten Frühlingsblumen. Die Abendsonne glühte durch die offenen Fenster herein, und ein leichter Wind spielte mit den kleinen Silberglöckchen der Maiblüten. Die Freundinnen hielten sich wie damals eng umschlossen, ihre Hände ruhten in einander, aber viel fehlte, daß das Herz Scholastika's so friedlich geschlagen hätte, wie in jener Stunde, wo der Flügelschlag des Erdgeistes ihre jungfräuliche Seele noch nicht berührt hatte. Marfa ordnete aus einzelnen Blättern, die vom Blumenstrauße abgefallen waren, einen Kranz, setzte ihn Feodora auf und rief: So sieht eine Braut aus! — Aber keine schöne, entgegnete Feodora lachend; wenn du eine solche schauen willst, so komm her und sieh! Schnell hatte sie den Kranz auf Scholastika's Schleier gelegt und war bemüht, ihn etwas tiefer zur schönen Stirn herabzudrücken, als sie bemerkte, daß eine Todtenblässe die Wangen ihrer Freundin umzog. Was ist dir? rief sie. — Nichts! nimm den Kranz ab! entgegnete die Nonne. Du weißt, daß wir ihn nicht tragen dürfen! Ich weiß es, rief die kleine Nonne seufzend. Ach, die Welt da draußen muß doch schön sein; hättest
du wohl Lust, Schola, sie einmal in Augenschein zu nehmen? Diese Frage, so unschuldig sie gemeint war und so unbefangen sie gestellt wurde, machte dennoch einen erschütternden Eindruck auf Die, an welche sie gerichtet war. Sie vermied es, darauf zu antworten, und Marfa rief: Hast du nichts von unserm Bojaren gehört? — Unserm? entgegnete Feodora beleidgt; du ververgißt, daß ich nichts mit dem Bojaren gemein habe, daß du diesen ganz allein behalten kannst. Frage mich, ob ich von dem Zaren gehört habe, dann will ich dir antworten. Aber ich habe ihn nicht mehr gesehen; er scheint verschwunden, dagegen hatte ich Gelegenheit, dem Malerburschen zufällig zu begegnen, der in der Galerie arbeitet, und solltest du glauben, Marfa, er sah meinem Zaren so ähnlich, wie ein Ei dem andern. — Wenn du das fandest, warum befragtest du ihn da nicht um seinen Namen? rief Marfa lebhaft. — Ich ihn befragen? entgegnete die Nonne entrüstet; würde sich dies geziemt haben? Die Tochter eines kaiserlichen Zahlmeisters im Gespräch mit einem Leibeignen! — Ah, also dies dein Grund, Feodora. Was mich betrifft, ich spreche mit unserm Holzhacker, wenn ich ihn irgendwo erwische. Es ist gar zu betrübt, immerdar seine Einfälle und Redensarten für sich behalten zu müssen. Man erstickt an dem Witze, den man verschluckt. Horch, ist das nicht der Kosak, der sein Lied ertönen läßt? — Du irrst, bemerkte Feodora. Der Kosak ist heute wenig aufgelegt, uns seine Gesellschaft zu gönnen. Heut hat er seinen
tollen Tag, und da ist er nirgends zu finden; er treibt sich im Walde oder am See herum. Schon heute ganz in der Frühe sah ich ihn mit der Branntweinflasche unterm Arm ausziehen. — Ist denn ihr Geburts- oder Namensfest heute? fragte Marfa. — Nicht doch, tönte die Antwort, es ist ihr toller Tag; sie hat im Jahre deren mehre. Alsdann sagt sie sich von aller Arbeit los, schwärmt in der Wildniß herum und begeht auf ihre eigne Hand allerlei Thorheiten. Wenn man sie an diesem Tage mit Gewalt zurückhält und nicht austoben läßt, so taugt sie fürs ganze Jahr nichts, ist müßig, träg, ungehorsam, tückisch und verstockt. Es ist, als wenn sie bestimmten Rechnungsabschluß mit der Narrheit und der Tobsucht hielte und ihre Schuld dem Dämon bezahlte, damit er sie dafür die übrige Zeit unangetastet lasse.
Dieses Geplauder der beiden jungen Kostgängerinnen wurde unterbrochen durch einen langgezogenen heftigen Schrei, der sich auf der obern Galerie, die die Halle umlief, hören ließ. Eine Nonne trat hervor und rief: Betet für die Schwester Rebecca; sie liegt im Verscheiden! Ziehet die Glocke, damit eilig Seelenmessen gehalten werden!
Dieser Ruf schreckte Scholastika aus ihren Träumereien empor. Sie flog rasch die Treppe hinauf und war in wenigen Minuten vor der Zelle der Kranken und hörte mit Entsetzen die Angstrufe und das Wimmern der Leidenden drinnen. Wie sie eintrat, verließen die
Andern das Zimmer, denn die Kranke, der Eintretenden die magern Arme entgegenstreckend, rief: Da kommt sie! Sie ist noch da! der feurige Wagen hat sie noch nicht in das Flammenmeer getragen! Geht, ich will mit ihr allein sein!
Als Stille und Einsamkeit in der Zelle herrschten, richtete sich die Kranke auf dem Lager empor, und aus ihren weitaufgerissenen starren Augen sprühte ein unheimlicher Geist.
So eben, rief sie, komme ich von dem Orte der Pein zurück, von dem Platze, der den Verdammten eingeräumt ist. O, mit welchem Namen nenne ich die Schrecken, die ich erschaut! So höre, daß ich in eine Stadt einging, die siebenzig Millionen Thore zählte, und alle diese Thore waren nicht genug, um die Zahl derer einzulassen, die stündlich von der Erde eindrangen, als Verdammte und Ausgestoßene. Welches furchtbare Gedränge auf den Straßen dieser Hauptstadt des Fluchs! welch ein Stoßen und Treiben, um die Menge in die einzelnen Häuser und Paläste einzupferchen, wohin sie gehörten und wo besondere Anstalten von Qualen und Martern ihnen zubereitet waren! In Paläste gingen Die ein, die in Hütten gesündiget hatten, in Hütten Solche, deren Vergehungen in dem trüben Glanze der irdischen Paläste stattgefunden. Es lag ein grausamer Hohn darin, Jenen, die Verbrechen begangen hatten, um Reichthum und Glanz zu erstreben, jetzt Paläste zu ihrem Wohnort zu ertheilen und sie inmitten dieser Flammenwände,
dieser goldglühenden Sessel und dieser funkensprühenden Draperien ihre Lust am Glanze büßen zu lassen während die Hartherzigen, die das Elend ihrer Brüder nie hatten mildern wollen, jetzt in den engen, dumpfen, modernden Gruben, die sie selbst hatten aushöhlen helfen, schmachteten. Die Wälle und Plätze dieser Stadt wurden von Phantomen von grausiger Gestalt bewacht. Einige von ihnen trugen feurigglühende Panzer, und Flammenbüschel brannten über ihren Häuptern, andere sahen wie Steingeröll aus, wie verwitterte Thurmzinnen, wieder andere hatten die Gestalt von Thieren und hoben Elephantenrüssel in die Lüfte. Die Steine des Pflasters bildeten Menschenschädel, in denen ein weißes Feuer noch zuckend brannte, jene verdammten und gotteslästerlichen Gedanken veranschaulichend, die einst in diesen Köpfen gewüthet. Die Plätze und Straßen der Stadt waren mit Monumenten geziert, auf denen mit brennender Schrift irgend eine fluchwerthe That eingegraben war. Um diese Denksteine herum schwebten die Seelen der Verdammten in ewiger gräßlicher Klage. Ich betrat einen der Paläste und hatte Mühe, nicht auszugleiten auf dem Marmorboden, der in Blut schwamm. Eine Tafel war bereitet, aber in den goldnen Schüsseln schwammen die ekelerregendsten Speisen; in Gift gekochte Menschenherzen, Kindergehirn mit Schwefelflammen durchzuckt, Schlangen und Vipern in Blut ertränkt, und an diesen Speisen sättigten sich Söhne, die einst Gift gaben ihrem eignen Vater, um in sein Erbe zu treten, Mütter
die ihre Kinder tödteten, weil sie ihrer Verbindung mit dem Buhlen entgegen waren, Brüder, die durch heimlichen oder gleißnerischen Mord ihre Mitgebornen bei Seite schafften. O, und mit welcher Gier verschlangen sie ihre eignen Thaten! Prachtvolle Blumenvasen standen auf dem Tisch, doch jede Rose zeigte ein blasses Todtenantlitz, aus dem Kelche der Lilien starrten im Todeskampf gebrochene Augen, aus dem Grün der Blätter fuhren kleine zuckende Hände. Ich betrat einen andern Palast, da saßen die Selbstmörder beisammen. Alle Gifte der Erde waren vor ihnen aufgethürmt und in zierliche Schüsseln geordnet; sie verschlangen sie, wanden sich unter Todesqualen, starben und erwachten neu zum Leben, um wiederum das scheußliche Werk der Selbstvernichtung vorzunehmen. So war ihre Pein eine ewige. — Ich betrat den Palast, wo die Unkeuschen für die kurzen Thorheiten ihres Erdenlebens büßten. Sie hingen mit gierigen Lippen an den Gegenständen ihrer Glut, und diese verwandelten sich während der feurigen Küsse in gräßliche Larven, in Todtenköpfe, in Thiergestalten, und die Lippen, die sich einmal ans Scheusal geschlossen, konnten nicht wieder fort. Endlich betrat ich den Saal, wo jene Unseligen versammelt waren, die gebrochene Schwüre abzubüßen hatten. Es waren Gestalten darunter, die das Mitleid in der Brust des Beschauers bis zur Folter anspannten, Gesichter, so thränenschwer, so gramgebeugt, so hoffnungsleer — wie sie hienieden nicht zu erschauen. Unsere Trostlosigkeit ist ein rosiges
Kind gegen das magere, hohläugige Greisenskelett, das dort so heißt.
Halt ein! schrie Scholastika athemlos. Erkanntest du mich unter diesen Gestalten?
Wie sollt' ich? entgegnete die Kranke, da du noch unter den Lebendigen weilst; aber fürchte die dunkle Stunde, wenn sie kommt, den Schleier von deinem Haupte zu nehmen. Sie fuhr in ihrer Erzählung fort: Als ich noch dastand und die Stadt des Jammers betrachtete, schlugen alle Glocken zusammen eine furchtbare Mitternachtstunde an. Das gelbe, zitternde Feuer, das bis jetzt das Gewölbe der Finsterniß erleuchtet hatte, floß in Millionen kleinen spitzen Flämmchen zur Erde nieder, und nun entzündete sich jenes schwarzfarbige Feuer, das man nur in diesen Gründen des Elends und der Verzweiflung kennt und dessen peinigende Kraft weit die farbigen Gluten übertrifft. Die Stadt schwamm jetzt in einem schwarzen zitternden Flor, der unmerkbar hin und her wogte und das schwarze Feuer bildete. Es war von einer Macht, daß die in tausenden von Meilen entfernte Kruste des Gewölbes in Risse sprang und an einzelnen Stellen zerbröckelte. Nur wenig Minuten kann diese grausenvolle Glut dauern, sonst verzehrte sie die Grundfesten des Weltbaues. Ein Schmerzgeheul aus hundert Millionen Kehlen zerriß jetzt mit einem Sturmwindstoße die Luft, dann war Alles stille, und diese Stille, während die Flamme wüthete, war noch um vieles entsetzenvoller als jener Schrei, der Herz und Ohren zerriß. Ich
schaute nieder, dort war der Tod, ich schaute aufwärts, dort war die ewige Nacht, ich schaute zur Seite, ich sah zu meiner Rechten wie zu meiner Linken die Verzweiflung und die ewige Pein sitzen, da erhob ich meine Hände und warf einen ewig theuern Namen an die Gewölbe der Decke, es gab einen klingenden Schall, die Felsen wichen, und rasch wie eine befreite Taube aus dem Felsspalt, in den der Geier sie geschleppt, schwang ich mich in die helle Bläue des Himmels hinauf. Dort angelangt, that ich einen langen, frischen Athemzug. Meine Arme waren verdorrt, mein Antlitz entzündet von der Glut, ich badete mich in den Wellen des Aethers, ich ging, um meine brennenden Füße zu kühlen, auf feuchten Morgenwolken lobsingend auf und nieder. Ich hörte die Harfen der Engel, und ihr süßer Gesang wehte mich an wie der Morgenwind, der über den Kelch der Rose daherweht. Es kamen Wolken dahergeschwommen, ich ließ ihren weißen, kalten Duft an meiner brennenden Stirn branden und sich zertheilen und hielt dem frischen Bade meine offene Brust entgegen; dann warf ich mich auf das weiche Bette einer Wolke nieder und ließ die Nacht herankommen und ließ über mich hin den Mond wandeln. Er kam durch die krystallenen Gemächer der Nacht und ging leise, wie ein Freund, der seine Freundin aus dem Schlummer nicht wecken will, an meinem Haupte vorüber. Ich sah ihm nach und drückte mich tiefer in die weiche Wolke hinein, selig lächelnd und von allem Schmerz und aller Pein befreit. So glitt ich auf meiner Wolke
in die Nacht hin. Als ich aus einem leichten Schlummer erwachte, flogen eben die purpurnen Thore der Morgenröthe auf und ein Gewimmel von weißbekleideten Engeln stürzte sich aus der Pforte hervor; Posaunenklang und süßes Singen wurde durch die Weite des Himmels gehört. Da kam aus der Lichtfülle hervorbrechend, wie eine Blume aus der Knospe, eine Heilige aus der geöffneten Pforte hervor. Es war Anna, die Patronin dieses Hauses. Sie begrüßte mich mit so holdseligem Lächeln ihres Mundes, daß Thränen des Entzückens mein Antlitz sogleich stromweise überfluteten. Was sie sprach, ich vermag es nicht zu sagen. Wenn hienieden im kühlen Frühlingshaine Baumwipfel rauschen, wenn der Gesang der Vögel sich erhebt und zwischendurch eine ferne Glocke läutet, so war in Wohllaut und Frieden getaucht das Klingen, das über ihre Lippen ging. Der Spruch selbst war eine Ermahnung zum Hoffen und zum Gebet. Als sie durch den Himmel dahinschwand, sah ich ihr flatterndes Gewand, ihre kleinen silbernen Füße, die auf den Wellen der Luft dahintanzten, mit Schmerz und Wonne nah. Auf meinen Knieen liegend, mit weit vorgebeugtem Oberkörper, sog ich den Glanz ein, der von ihren rückschauenden Blicken ausging. Die Herrliche! sie sah sich nach mir um; zu viel Gnade, zu viel Güte! Es wurde mir nun angezeigt, daß ich zur Erde zurück solle. Zwei Engel nahmen mich, einer unter diesen, einer unter jenen Arm, und schnell wie der Blitz fuhren sie mit mir in die Tiefe
hinab. Ich fühlte und sah die Nebel der Erde mir entgegenbrodeln und emporwirbeln; so eilig es ging, so konnte ich doch gewahren, daß mir andere Engel entgegenkamen, die vollendete und den Kampf ausgerungen habende Seelen aufwärts in das Haus des Himmels brachten. Die Antlitze dieser Vollendeten trieften so von Glanz und Seligkeitsschimmer, daß ich ihre irdischen Züge nicht erkennen konnte, doch schienen mir Einige bekannt. Siebzigtausend fliegende Posten kamen an mir vorüber; so viele konnte ich wenigstens zählen. Auf den Felsspitzen, in den Klüften schwarzen Basaltgerölls sah ich andere, aber unselige Gestalten; es waren gebrochene Leiber, gesenkte Köpfe, deren triefendes Haar von Angstschweiß übergossen war. Sie saßen und warteten der Boten, die sie hinabtragen sollten in den Aufenthalt der Verdammten. Wie ich sie sah, zitterte ich, denn ich fürchtete auch hier Bekannte zu finden, allein die Gesichter der Armen waren verdeckt durch das niederfallende Haar. So betrat ich denn die Erde von Neuem, und als mir die Binde von den Augen genommen wurde, fand ich mich hier auf meinem Lager liegend. Zugleich ward mir die innere Kunde, daß ich nicht lange mehr hier weilen würde. Ich schrie nach dir, Scholastika; mein Herz war um dich und deine kommenden Tage besorgt. Versprich mir, daß du diese heiligen Mauern nie verlassen willst, daß du nie in die Welt hinaustreten werdest, wo deine Seele könnte zu Schaden kommen. Gieb mir deine Hand darauf.
Scholastika warf sich zitternd an dem Lager nieder, sie ergriff die abgemagerten Hände der Sterbenden und preßte sie unter Thränen an ihre Lippen. In diesem Augenblick erscholl an der Mauer des Klostergebäudes das verabredete Zeichen. Die arme gepeinigte Nonne, der es galt, sprang auf und sah mit einem wilden, verzweifelten Blicke vor sich hin.
Gieb mir die Hand zum Zeichen deines heiligen Versprechens! rief die Kranke.
Scholastika stand wie eine Gerichtete da. Das Zeichen ließ sich noch einmal hören, und mit einem lauten Ausruf: Zu ihm, zu ihm! stürzte die Unglückliche aus dem Gemach. Ein Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung tönte ihr nach.
In ihre dunkeln Schleier gehüllt, stahl sich die Fliehende aus der kleinen Klosterpforte nach der Gartenseite zu. Die Nacht war stürmisch geworden. Oben aus den Zellen Marfa's und Feodora's blickte noch Lichtschein. Scholastika winkte den Zurückbleibenden ein Lebewohl zu und durchdrang die schwarzen, nächtlich rauschenden Gebüsche mit eilendem Schritte. Als sie auf eine kleine Anhöhe gelangt war, sah sie die dunkle Gestalt eines Mannes, der riesig erschien, weil sich der Schattenumriß scharf gegen den Himmel abzeichnete. Als sie näher hinzueilte, kam ihr Dimitri entgegen, umschloß sie und drückte feurige Küsse ihr auf Stirn und Wangen. Ohne ein Wort zu wechseln, eilten Beide rasch vorwärts. Bald erkannte sich an einem kühleren Zugwinde
und an einem leisen Silberschimmer durch die Nacht die Fläche des Sees. Wie sie eben um eine Baumgruppe wendeten, erblickten sie auf einem der schroffen Ufer des Sees zwei Gestalten, die wunderlich hüpfend sich bewegten und die der aufgehende Mond nur unstät und unvollkommen beleuchtete. Wie die Fliehenden näher kamen, erkannte Scholastika die alte Nonne Ljubow, die eine Ziege an beiden Vorderfüßen hielt und sich mit ihr unter lautem Lachen und Singen tanzend herumschwenkte. Die Nonne und die Ziege, auf der Felsspitze im Mondschein um Mitternacht tanzend, gab einen zu wunderlichen, aufregenden Anblick, als daß unser Paar, trotz der Eile, die es hatte, nicht einige Secunden stille gestanden hätte, um zuzusehen. Die alte Nonne ließ sich nicht stören, sie sang schmetternd ihre Lieder ab, und sobald eine Strophe vollendet war, wirbelte sie sich von neuem mit der Ziege herum, so daß ihre Schleier im Nachtwinde flatterten und ihre Röcke im Kreise herumflogen. — Dimitri! scholl es durch die Nacht. Ich komme! entgegnete der junge Mann und zog seine schöne Beute rasch nach sich. Als sie in die Postkutsche stiegen, auf dessen Kutschersitz Gregor Platz genommen hatte, hörten sie noch den Gesang der Nonne, unterbrochen von dem Plätschern der Wogen des Sees und den einzelnen Stößen des Sturmwindes. Der Wagen fuhr eilig über die schlechten Holzbrücken eines Nebenweges, und unter Flüchen und Einpeitschen auf die Pferde erreichte man
die Landstraße, auf der es nun flüchtig dahinging, wie auf Flügeln des Sturmwindes.
Man machte erst jenseit Kiew Halt. Dimitri und Gregor mußten sich bei der Militärbehörde melden. Scholastika war allein in dem Gasthause zurückgeblieben. Sie saß einsam in ihrem Zimmer, als die Thür sich öffnete und ein junger Offizier in glänzender Uniform, mit militärischen Ehrenzeichen bekleidet, zu ihr eintrat. Entsetzt fuhr sie in die Höhe, und gleich darauf stieß sie einen Schrei des freudigsten Staunens aus, als sie Dimitri erkannte. Gleich darauf trat Gregor herein, ebenfalls als Offizier. Er näherte sich dem jungen Mädchen und sagte mit einem Lächeln und einer ehrfurchtsvollen Verbeugung: Hier mein Fräulein, stelle ich Ihnen den Fürsten Gluboff vor, Capitän der Garde Sr. Majestät, und in mir, verehrungswerthes Fräulein, erkennen Sie Ihren treuesten Diener, Ihren ergebensten Knecht, und wenn Sie und der Fürst es gestatten, Ihren aufrichtigen Bewunderer und Anbeter, Gregor Milowitsch, leider nur Lieutenant bei demselben Regiment, aber mit der Hoffnung, bald dem Fürsten, meinem erhabenen Freund, in Allem, so auch im Range gleich zu sein.
Genug der Possen! rief Dimitri. Ich wiederhole, ob Fürst, ob Bauer, es entscheidet hier nichts. Du bist jetzt mein, Scholastika. Lege die lüstern Gewänder, die dich an eine trübe Zeit der Unterdrückung und Geistesknechtschaft mahnen, ab, lege die Kleider an, die die
Putzmacherin dir gebracht hat, sei, wozu du geschaffen wurdest, eine hübsche, junge Frau, voll Phantasie, Geist und Leben, und laß uns in die Welt hinausziehen, in eine Welt, die dich fortan bewundern und lieben soll!
Amen! sagte Gregor und neigte in verstellter Demuth und spöttisch lächelnd das Haupt. Dimitri schloß seine Braut mit stürmischer Zärtlichkeit in die Arme.
Wir übergehen einen Zeitraum von zehn Jahren und führen den Leser nach Paris in die Straße Vivienne vor ein elegantes Hotel. Es ist elf Uhr Morgens; ein junger Mann, den sein Aeußeres als Künstler bezeichnet, tritt eben in die Portierloge und fragt, ob Madame Dorval zu sprechen. Sie ist ausgefahren, mein Herr, und noch nicht heimgekehrt, giebt der Gefragte zur Antwort; allein sie hat den Befehl zurückgelassen, daß man Sie ins Atelier einlasse; wollen Sie mir daher folgen. Der junge Mann empfängt diese Weisung mit sichtlichem Vergnügen. Während er die breite Stiege hinaufsteigt, ordnet er die Locken seines üppig blonden Haares und betrachtet mit Wohlgefallen die Umgebungen der Treppe und des Vorsaales, wie es Einer thun mag, dem Nichts gering und unbedeutend erscheint, was den Raum einschließt, den ein geliebtes Wesen bewohnt. Eine hohe, eichene Thür zu einem großen, lichthellen Saale wird geöffnet, und der Eintretende sieht sich in dem Heilig-
thume der Kunst eingeschlossen. Man läßt ihn allein, und er wendet diese ihn so beglückende Muße an, um die Gemälde zu betrachten, die, theils angefangen, theils der Vollendung nahe, einige bereits vollendet, auf Staffeleien und Gerüsten stehen. Es sind darunter Meisterwerke, die die Bewunderung von ganz Paris auf sich gezogen haben. Der junge Künstler giebt sich ganz dem Triebe seines Gefühls hin, er verweilt in Betrachtung und Entzücken bald vor diesem, bald vor jenem Bilde, und endlich fesselt ihn auf längere Zeit eine Gruppe, die mit großer Vollendung eine Scene aus dem Leben der Semiramis darstellt. Es droht eine Empörung unter dem Heere auszubrechen, und um diese im Keim zu ersticken, sieht man die Königin in der Halle der versammelten Heerführer erscheinen und sie an ihre Pflicht mahnen. Einer der Empörer, ein junger Häuptling, hat zugleich verrätherisch an dem Herzen der Fürstin, das sich ihm zugewendet, gehandelt. Die Frauen- und Herrschergröße der kriegerischen Heldin zeigt sich in Blick und Haltung, den Männern gegenüber, in siegreicher Glorie.
Indem der junge Künstler noch vertieft in das Anschauen dieser Gruppe verweilte, fühlte er einen leisen Schlag auf seine Schulter, und wie er sich umschaute, stand die schöne, königliche Gestalt aus dem Bilde leibhaftig vor ihm; eine Frau, nahe an Dreißig, groß, mit schönen, edeln Formen, durchgeistigt und in ihrem Antlitz Züge schmerzlicher Melancholie zeigend. Ihre Blicke,
indem sie niederwärts sahen, nahmen eine einschmeichelnde Sanftmuth, eine an Zärtlichkeit grenzende Weichheit an. Sind Sie da, lieber Emil, rief sie. Warum, wenn ich fragen darf, haben Sie sich die ganze Woche hindurch vergebens erwarten lassen? Was hat Sie von Ihrer Freundin fern gehalten? — Meine theuere Adele, entgegnete der junge Mann, werden Sie's glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß es der Neid, die Eifersucht, nennen Sie's, wie Sie es wollen — kurz, ein gehässiges Gefühl war, daß mich in diesen Tagen in meinem einsamen Zimmer zurückhielt. Ganz Paris strömte zu Ihnen, da wollte ich gerade nicht kommen. Sie vermißt dich nicht, rief eine Stimme in mir. Unter den Lobpsalmen, die ihr der Ruhm vorsingt und vorkreischt, ist ein Lobspruch, wie du ihr zollen kannst, ein kärglich Ding, das sich erst gar nicht aus der verschwiegenen Kammer der Brust hervorzustehlen braucht, um draußen von der Menge überhört oder verspottet zu werden.
Also Sie sind auf das bischen Ruhm, das ich eingeerntet, eifersüchtig? sagte Adele.
Ja, ich bin's; entgegnete er rasch.
Adele setzte sich. Das Lächeln, mit dem sie ihren jungen Freund ansah, ging nach und nach in Ernst und Nachdenken über. Den Arm auf den Marmortisch gestützt, legte sie die schöngeformte Hand an die Stirne, und es war, als beschwichtigte sie die Geister vergangener Stunden, die sich zürnend regten. Ihr Busen hob sich, und ein Seufzer machte dem gepreßten Herzen Luft.
Eine lange Pause herrschte; endlich fragte Adele: Wie weit sind Sie mit Ihrem Bilde, Emil?
Wie weit? wiederholte der junge Künstler spottend. So unendlich weit, als ich selber von der Hoffnung und der Lebenslust abstehe. Er setzte in etwas milderem Tone hinzu: Wahrlich, ich hätte meinem guten Oheim gehorsamen, ich hätte diese undankbare Kunst nicht zu meinem Lebensberuf wählen sollen. Wer sich ihr widmet, den will sie ganz, mit allen seinen Gedanken und Kräften haben.
Ja, das will sie! rief Adele mit starker Betonung.
Jetzt wäre ich Advocat, fuhr Emil fort. Ich wäre glücklich. In einer nützlichen, mit Hunderttausenden gemeinsamen Thätigkeit kann solch ein verzehrender Durst nach Ruhm nicht aufkeimen. Ich kann nicht albern und toll mich geberden, weil ich nicht genannt werde, weil in irgend einer Kunstausstellung mein Lob nicht gesungen wird.
Nein, Emil! rief die schöne Frau lebhaft; Sie sind Künstler und müssen's bleiben.
Wer sagt mir dies?
Ich! entgegnete Adele, und in ihrer Miene und ihrer Haltung lag Stolz und Sicherheit. Der Jüngling blickte in ihr Auge, dessen Strahlen Begeisterung und Feuer in seine Seele sandten, er warf sich zu ihren Füßen, ergriff ihre Hände und rief: Ja, Sie sind meine Muse! Meine Freundin, meine Geliebte! O so lange ich in Ihr Auge schauen darf, so lange bleibt Verzweiflung und Muthlosigkeit mir ferne. Sagen Sie
noch einmal das schöne, stolze Wort, daß Sie mich sich ebenbürtig halten.
Sie sind noch jung, rief Adele schmeichelnd. Ihre ganze Zukunft liegt noch vor Ihnen.
Sagen Sie das nicht, rief der Jüngling lebhaft. Ich zähle achtzehn Jahre. Man erzählt von Rafael, daß er schon mit dem fünfzehnten Jahre der Welt Meisterwerke schenkte.
Sie sind zu stolz. Nicht jeder Hand ist's vergönnt, sich nach dem höchsten Kranze auszustrecken.
Und dann die Arbeit, die Mühen, die Qualen, die der widerspenstige Stoff verursacht! rief Emil. Ich möchte so leicht, so glücklich, so spielend die Höhe erklimmen, wie Sie es gethan haben, Adele.
Wer sagt Ihnen, daß ich dies thun durfte? Wissen Sie etwas von meiner Prüfungszeit. Hat man Ihnen sagen können, daß ich den strengen Musen, die keine Gabe umsonst geben, meine Schuld nicht zu zahlen brauchte?
Nein, nein! rief der Jüngling; wahrhaftig, ich weiß von alle dem nichts. Ich sah Sie nur schön und unberührt, wie die jungfräuliche Muse selbst, vor mir stehen, und so muß ich wohl glauben, daß die derbe Faust des Lebens an so reine Form nicht tasten durfte. Hab' ich Unrecht?
Der schwermüthige Zug im Antlitze Adelens nahm jetzt eine düstere Färbung an; es war der gewaltsam und aus dem Innersten der Seele sich empordrängende
Schmerz, der sich auf einem Antlitze, das rein und spiegelhell erschaffen wurde, malte. Sie legte, wie von einem weiten Wege ermüdet, ihren Arm auf die Schulter ihres jungen Freundes, und ihr Haupt sank auf dessen Brust. Es ist die Stunde gekommen, begann sie mit schwankender Stimme, wo ich Ihre schöne Freundestreue, Ihre Sorge um mein Wohl und meine Ruhe Ihnen vergelten kann, durch ein Vertrauen vergelten kann, dessen ich Sie für vollkommen würdig halte. Sie sollen in Kenntniß gesetzt werden von meinen frühern Lebensschicksalen, Sie sollen mich auf einem rauhen Pfade wandeln sehen, und was ich aller Welt zu verheimlichen Grund in meinem zerrissenen und betrogenen Herzen finde, Ihnen soll es kein Geheimniß sein. Nehmen Sie, mein theurer Emil, das Vermächtniß dieser Stunde als einen schützenden Talisman in den Kämpfen des Lebens, die auch Ihnen bevorstehen; denn wer rühmte sich, gelebt und gestrebt zu haben, ohne dem Feinde gestanden zu haben!
Sprechen Sie! rief der Jünglng und drückte die Hand der schönen Frau mit noch größerer Innigkeit an sein Herz.
Adele erhob sich, öffnete ein Kästchen und nahm daraus ein sorgsam verschleiertes Bild hervor. Sie lüftete die Umhüllung und reichte dann die Tafel ihrem Freunde. Dieser betrachtete aufmerksam das Gemälde und sagte dann: Hier seh' ich eine Nonne vor einer Staffelei sitzend
und malend. Hat dies Bild irgend eine Beziehung auf Ihre Geschichte, meine Freundin?
Eine sehr nahe, entgegnete die Künstlerin. Ich bin es selbst, die Sie dort sitzen sehen.
Wie? Eine Nonne?
Ich war's.
O wie wundersam ist das! Wenn Paris wüßte, daß es in einer seiner elegantesten und schönsten Frauen, in einer seiner ersten Kunsttalente — eine Nonne verehrte! —
Hören Sie mich, Emil. Mein Klostername heißt Scholastika. Ich war eine arme Waise, die von ihren habgierigen Verwandten in ein russisches Kloster in der Nähe von Kiew eingekerkert wurde. In die Einsamkeit meines Zufluchtsortes drängte sich einer jener Weltmenschen, die räuberische Excursionen auszuführen lieben in jedes stille Revier, wo Friede und Frömmigkeit herrscht. Lassen Sie mich, junger Freund, über diesen Theil meiner Geschichte einen Schleier werfen. Der Mann, der mich dem Kloster entführte, war ein reicher, junger Russe von vornehmer Familie. Er brachte mich hieher nach Paris. Ich liebte ihn, ich hatte meine Hoffnung, mein ganzes Lebensglück auf sein Herz gesetzt, er täuschte meine arme gläubige Seele, er zerriß mein Herz. Schön, jung, reich, von der Welt bewundert, konnte eine Liebe wie die meinige, ein inniges und fortwährendes Anrufen der starken und edeln Kräfte in einem Männerbusen ihn nicht gewinnen und fesseln. Er gab mir das, was die
Welt Liebe nennt, und verlangte das, was man im Himmel Liebe nennt. Der Zögling der Welt verstand mich nicht. Er hatte mich eben von meinem Heimatsboden losgerissen, wie man eine Feldblume der Luft und der Erde, die ihr angewiesen, entrafft, um sie nach einem Augenblicke des Genießens fortzuschleudern. Wir kamen hier in Paris an und hier entdeckte er mir, daß ich nicht seine Gemahlin werden könne, daß ich aber fortfahren möge, ihn als meinen Freund zu betrachten. Voll Unmuth schied ich von ihm; aber wo nun hin in dieser Häuserwüste, in diesem kolossalen, unermeßlichen Paris? Ohne Obdach, ohne Schutz, irrte ich einige Tage, dem Wahnsinn nahe, umher. Zu ihm, der mich verrathen, den ich haßte, wollte ich nicht zurückkehren, lieber wählte ich den Tod. Es war nahe daran, daß ich diesen fand. Die Entbehrungen, die ich mir auferlegt hatte, um mit einer kleinen Summe, die ich als mein Eigenthum betrachten durfte, so lange als möglich auszureichen, die Zerrüttung, in welcher sich, in Folge des Kummers und der Hoffnungslosigkeit, mein Gemüth befand, alles dieses zusammen beugte meine Seele und raubte ihr allen Muth. Ich hatte nie eine Ahnung von den Schrecken eines solchen Lebens gehabt. Die Klostermauern, hatten sie mir den Glanz und die Schönheit dieser Welt auch entzogen, so waren sie doch auch zugleich schützende Vorhänge gewesen vor den Gemälden der Entsittlichung und des Elends, die ich jetzt schaudernd anschauen mußte. Es kam so weit, daß ich vor jeder menschlichen Berüh-
rung zusammenbebte, weil ich in jeder das Antasten der besudelten Hand des Lasters argwöhnte. Endlich sendete mir der Himmel Rettung, sie kam, als ich schon mit gebrochenem Auge, durchwühlt von den Qualen des Hungers, auf den Treppenstufen der prachtvollen Kirchen lag, die ihre Kuppeln und Thürme triumphirend über dieses Häuserfeld emporstrecken. Ein ältlicher Mann, feine, gebildete Züge unter dem Schatten dichter, grauer Locken zeigend, erhob mich durch den milden Zuspruch seines Trostwortes. Ich kränkte auch ihn durch Mißtrauen und abweisende Kälte, allein sein warmes Herz blickte durch die starre Rinde des meinigen hindurch. Ich mußte ihm in seine Wohnung folgen. Er war Künstler. Was seine Worte, seine Bitten nicht vermochten, das bewirkten seine Bilder. Ich fühlte mich bei ihm einheimisch. Wie soll ich Ihnen, theurer Freund, erzählen, was Güte und Liebe vermögen? Kann ich's überhaupt? Wie läßt sich beschreiben, was im Innern der Pflanze vorgeht, wenn der lang abgehaltene Sonnenstrahl sie mit den wonnigen Schauern der Kraft und Wärme durchdringt? So legte und sammelte ein edler Mensch ganze Schätze der Freundlichkeit und Liebestreue auf mein Herz. Er und die Kunst, beide wirkten zusammen, um mein Dasein aus den Trümmern zu heben, um die verblaßte Gestalt des Gottes, dem ich einst in Demuth diente, wieder neu aufzufrischen. Mit dem ersten Bilde, das ich malte, drang auch das erste Gebet wieder aus meinem Herzen. Ich hatte die Wüste durchschritten und befand mich gegenüber
einem Palmeneiland mit Quellengerausche. Mein Vater, so nannte ich den Trefflichen, Barmherzigen, den Guten, hatte aus den Stürmen der Revolution sein kleines Besitzthum gerettet; seine Frau und eine geliebte Tochter, die sich schon den Rang einer Künstlerin erworben hatte, waren ihm aber von dem Tode geraubt worden, er stand jetzt allein, und in den Pausen, wo die Kunst ihn nicht erwärmte, durfte meine Liebe es. Mein Arbeitsstübchen grenzte dicht an das seine. Es wirkten und strebten zwei einsame Wesen in gleichem Beruf, es arbeiteten sich zwei kleine Lichtgeister mit Mühe empor auf der Leiter der Geschöpfe, die in ewigem Aufwärtssteigen begriffen sind. Nur wenige Zoll, aber wir kamen doch vorwärts. Ich hatte einen schweren Weg. Meine Seele lag zerrissen und zertreten am Wege, sie mußte sich aufrichten und zugleich ihr Gewand, den Körper, neu in Regung und Gesundheit bringen. Wochen, ja Monde lang sah ich keinen Menschen, außer meinen Vater, ich mußte wieder mich mit dem Menschenantlitz aussöhnen, ich mußte wieder Glauben gewinnen, daß darauf auch edle Züge ihre Lichtspiele halten konnten, nicht bloß die dämonischen Schatten, die ich mit gräßlichem Entsetzen in der Zeit meiner Erniedrigung darauf hatte hingleiten sehen. Ach, ich glaubte an kein klares Auge mehr; ich hatte verlernt, auf die Süßigkeit eines unschuldvollen Lächelns meine Zuversicht zu setzen; alles das mußte ich mühsam wieder erobern. Ich that's, indem ich malte, und meine Bilder waren meine Welt. Mein ehrwürdiger Vater sah, was
ich leistete, und es freute ihn. Durch seinen Unterricht gewann ich Festigkeit; sein Wort und Beispiel brachten mich mit der Welt und den künstlerischen Erscheinungen in Einklang, er gab mir ein Ziel, und ich wußte nun, wohin ich die maßlos aufgeregte Begier meines innern Kunstdranges richten sollte. So vergingen Jahre; endlich wagte ich es mit meinen Leistungen vors Publikum zu treten; ich wurde über Erwarten günstig aufgenommen. Meine äußere Lage verbesserte sich schnell und erreichte bald den Grad von Glück und Reichthum, in dessen Besitz Sie mich jetzt erblicken. Was bedarf es hier noch weiterer Zusätze? Dem, der an äußern Erfolgen hängt, dem diese Bürgschaft sind des innern Genügens, für den bin ich die Glückliche, die Beneidenswerthe. Gewiß bin ich dem Geschick dankbar, wenn ich auch erkenne, wie viel Antheil die Laune des Tags, die Willkür eines in der Irre umtreibenden Willens und die Thorheit einer großen, müßigen Hauptstadt an dem Ruhme haben, dessen Palme mir zuerkannt wurde.
Erschöpft und von innerer Pein aufgerieben, sank der Athem und die Stimme der Sprechenden in eine schmerzliche Ermüdung. Ihr Auge füllte sich mit Thränen, ihre Hand preßte sich wieder auf die Stirn, als bewältige sie einen physischen Schmerz. Emil blickte mit der Theilnahme und der besorgten Aengstlichkeit eines Liebenden zu ihr hinauf. Er hatte auf einer Bank zu ihren Füßen Platz genommen.
O dieser Schmerz! seufzte die Erkrankte, dieses Wühlen im Kopfe! Diese Bangigkeit und dieses Beben im Herzen! Will denn diese Pein nie enden? — Sie warf sich in die Polster des Lehnsessels zurück und schloß die Augen.
Soll ich den Arzt rufen? Adele, theure Adele! rief Emil.
Nein; doch gönnen Sie mir einige Minuten Ruhe, mein Freund. Die heftige Migräne, die mich befallen, wird durch Stille und Einsamkeit gehoben. Bleiben Sie hier, bald vielleicht bin ich wieder bei Ihnen. — Sie entfernte sich, und Emil verweilte in trübem Nachdenken vor dem kleinen Bilde, das die malende Nonne darstellte. Das Leben der merkwürdigen Frau schien ihm jetzt von einer wundersamen Tiefe und Innigkeit, es ward vom Hineinströmen einer ungewöhnlichen Romantik ausgefüllt. Eine Nonne, verführt, dem Kloster entzogen, dann in Glanz und Fülle in der Welt lebend, und trotz dem, daß Liebe und Glück sie umgab, dennoch unglücklich, dennoch vom Stachel einer verborgenen Qual, eines unerklärlichen Leidens verwundet, diese wundersame Erscheinung trat jetzt vor seine Seele, und noch mehr als sein feuriges Herz fühlte sich seine jugendliche Eitelkeit befriedigt durch den Gedanken, daß er dieser Frau angehören dürfe, daß sie ihn ihren Freund genannt, daß in ihrem Auge Zärtlichkeit und Mitgefühl für ihn geleuchtet hatten. Er blieb ein paar Stunden; als die Künstlerin nicht wieder erschien, entfernte er sich mit dem
Vorsatz, morgen mit dem Frühesten wieder in diesen Räumen sich einzufinden.
Während Emil sich fortbegab, verließ zu gleicher Zeit eine verschleierte Dame das Haus und verschwand, in eine Seitengasse einbiegend, mit flüchtigen Schritten. Sie bestieg einen Miethwagen und ließ ihn vor einem Hause in dem entfernten Stadtviertel halten. In einer Mansardenwohnung angelangt, trat sie an das Krankenbette eines alten Mannes, der sie mit Zeichen der Ueberraschung und Freude willkommen hieß. Das ist nicht hübsch von Ihnen, liebe Tochter, daß Sie jetzt zu mir kommen, da es noch hell ist und Sie die Stunden zum Malen benutzen können, sagte der Greis. Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie in der Dämmerstunde erschienen wären.
O mein Vater! rief die Eintretende; diesmal führt mich ein besonderer Umstand hierher. Ich bin krank zum Tode krank; seien Sie mein Arzt, mein Retter!
Der Greis blickte sie mit schmerzenvoller Rührung an und sagte dann: So sprechen Sie, Adele!
Nicht diesen Namen! Nennen Sie mich Scholastika, mein Vater. So hieß ich, als ich noch glücklich, noch schuldlos war. So hieß ich, als der kühle, weiße Schleier noch dieses brennende Haupt bedeckte — ach, mit diesem Namen muß ich die Liebe, die Barmherzigkeit rufen, wenn sie will, daß ihre segnende Stimme mein armes Herz berühren soll.
Nun denn, Scholastika! rief der Greis.
O dieser süße, heilige Name! seufzte mit verklärtem Lächeln die schöne, junge Frau, und ihre Blicke und Hände wandten sich dem Himmel zu. Dann plötzlich gingen die Schatten des Todes über ihr Antlitz, und sie sagte dumpf: Ich bin verstoßen, mein Vater! das Urtheil ist über mein Haupt gesprochen! Ich bin verloren, ich bin verdammt!
Um Gotteswillen, mein theures Kind! hüten Sie sich, so schlimme Worte auszustoßen, während die Geister des Friedens, der Liebe und des Erbarmens an dem Sterbebette eines alten Mannes stehen und Sie hören. Warum immer nur dieser jammervolle Rückfall in Trübsinn und Mißmuth? Kann der blühende Geist der Kunst, dieses süße, frische Herz der Schönheit Sie nicht muthvoll und wacker erhalten? Haben wir nicht Beide an dem Altare gestanden, auf den Himmelsflammen zum Opfer niederwehen, und sah ich Sie, meine Tochter, nicht vor allen Priesterinnen begnadigt und auserlesen? O, was kommen Sie jetzt, die letzten Stunden eines armen Alten, der Sie liebt, mit Bitterkeit zu füllen!
Wenn ich's verhindern könnte! rief Scholastika mit einem Schmerzensschrei; wie viel lieber vergösse ich mein Blut. Aber es ist aus mit mir! Ich bin besiegt und getödtet.
Hat man Sie angefeindet? Hat man Ihre Werke getadelt und herabgesetzt?
Nein, o nein! Dies wäre Balsam für mein Herz! rief die Weinende. Je mehr diese falsche Welt bewundert,
je lauter dieser leichtfertige Ruhm seine Schwingen um mein Haupt schlägt, um desto brennender spaltet sich die Wunde in meinem Innern; um so lauter klagt mich die Schuld des eigenen Geistes und Herzens an. So hören Sie, mein Vater: es ist mir versagt, ich darf keine Heiligenbilder mehr malen! Der Himmel ist mir verschlossen. Seitdem ich meinen Schwur gebrochen, ist die Einfalt und Unschuld der Kunst von mir genommen. Gott läßt nicht mit sich spielen! Er will ein reines Herz; ich brachte ihm ein entweihtes; und so hat er mich hinausgestoßen in die Welt, in das freche, buhlerische, lügnerische Treiben voll Unwahrheit und Selbstsucht, und hier im Strudel geh' ich unter!
Der Greis richtete sich auf und sagte lächelnd: Das sind Nachwirkungen jener Eindrücke, die die Visionen der kranken Nonne bei Ihnen erzeugten. Doch jene Gebilde waren nichts mehr, als dunkle, abergläubische Vorstellungen. Glauben Sie in der That, daß wir auf eine so grell sinnliche Weise Thorheiten und Verbrechen büßen werden, die in der Desorganisation der feinen und subtilen Materie ihren Grund hatten, die wir Seele, Geist, Urtheil, Herz nennen? Oder halten Sie dafür, daß die Kunst, um Gott wohlgefällig und den Menschen wahrhaft dienlich zu sein, sich nicht von den dürren Linien, in die sie der fromme Glaube, vereint mit dem Barbarismus der Darstellungsmittel, sowie des Mangels künstlerischer Auffassung in jenen frühern Zeiten bannten, befreien müsse?
Nein, mein väterlicher Freund! entgegnete Scholastika. Weder das Eine noch das Andre ist in diesem Maße und in dieser Gestalt, wie Sie es hier aufführen, Gegenstand der aufregenden Zweifel und Bewegungen meiner Seele. Ich verabscheue jene grause Höllenphantasie, obgleich ihre poetischen Schrecken meinen Geist oft in Erschütterung bringen. Die Atmosphäre des Klosters umgiebt mich noch bisweilen. Ebenso wenig achte ich die trüben, ungefälligen und trocknen Anfänge der Kunst von großem Werthe, wie sie in meinen Heimaträumen Gegenstand der Fabrikation geworden ist. Dennoch — ich wiederhole mein erstes Wort — der Himmel ist mir verschlossen. Die religiöse Begeisterung — einst empfand ich ihren entzückenden Strom durch mein Herz quellen — ist todt und erstorben in meinem Busen.
Die Zeit selbst, sagte der Greis mit ernstem Tone, ist der Schöpfung rein kirchlicher Bilder abhold.
O nicht diesen Glauben, mein Vater! Keine Zeit ist leer an Offenbarungen; keine, die nicht den Athem Gottes an sich heranströmen fühlt. Auch unsre Zeit ist dem Heiligen nicht entfremdet, nicht abgewendet, aber es bedarf nur der Gemüther, die das innere Feuer wach erhalten, die Ernst und Liebe mitbringen und vor allen Demuth. Als ich in meiner einsamen Zelle saß und um mich her die starre, leblose, einsame Wüste, Schnee, Sturm, Winternacht — da lebte und webte in mir das, was den ursprünglichen Nerv aller Kunstschöpfung machen soll, das innige, unaufhörliche Horchen, Lauschen, Hin-
spähen und Aufmerken auf die innere, von Gott beschwingte und getragene Stimme. Seitdem ich in der Welt lebte, seitdem diese brausenden Wogen mit ihrer betäubenden Brandung fortwährend an mein Ohr schlagen, seitdem ist jede innerliche Kenntniß verschlossen und versiegelt.
Meine Tochter, nahm der Greis das Wort, ich kann nicht dulden, daß du dich selbst ungerecht anklagst. Vieles, auch in dem ernsten und großen Stile ist dir gelungen. Hat nicht das Opfer Abraham's, das du vor einem Jahre der Beurtheilung der Kenner ausstelltest, Lob und Bewunderung derselben geerntet?
Weil es weltlich und sinnlich aufgefaßt war, entgegnete Scholastika; weil ich den Schmerz des Vaters vor dem heiligen Glaubenseifer des frommen Helden vorgehoben hatte. Und was lobten sie? Gruppirung, Vertheilung von Licht und Schatten, Effekte — wie ist dies Alles unwürdig und klein gegen die Schöpfungen einer Seele, die berufen ist, der Welt mit irdischen Mitteln göttliche Geheimnisse zu enthüllen.
So kehre in dein Kloster zurück! rief der Greis. Male wieder Heiligenbilder, male sie, wie du sie damals maltest.
Ich kann's nicht, mein Vater. Daß ich's eben nicht kann, ist mein Unglück. Die vollendetste Kunst hält nicht schadlos für ein entweihtes Herz. Könnte ich mit den Thränen meiner Kummernächte zurückkaufen, was ich hingab, könnte ich wieder die Unschuld des Sinnes
erobern, den Glauben und die Liebe, dann würde ich auch von Neuem Bilder malen können, wie ich sie damals malte.
Mit der Erkenntniß, sagte der Greis, geht die Unschuld verloren. Wir müssen uns entschließen, entweder vollendete, den Forderungen der Schönheit, des Geistes entsprechende Werke zu schaffen, oder in jenes Alter der fast noch kindischen Kunst zurückzukehren, wo diese Unschuld eine natürliche, durch die Einsamkeit der Künstler bedingte, durch Entfernung aller Bildungsmittel hervorgerufen war. Bei uns würde diese Unschuld nur eine erkünstelte und erzwungene sein.
Dies bestreite ich! rief Scholastika. Könnte ich Ihnen, mein Vater, einige jener Bilder zeigen, die unsere Nonnen malen, Sie würden mit nur geringer Nachhülfe weltlicher Kunst in ihnen die schönen Zeugnisse der noch vorhandenen Möglichkeit sehen, auch in unserer Zeit christliche Bilder zu schaffen. Jene Kindlichkeit und Seeleninnigkeit ist unumgänglich zur Darstellung unserer christlichen Glaubensgestalten nothwendig, und ein Grad von Ascetik und Weltentfremdung ist ebenfalls Bedingniß. Mit dem Schatze gelehrten Wissens beladen, mit den Bekenntnissen der Bekenner sowie der Zweifler zugleich vertraut, ausgerüstet mit den Waffen geistvollen Spottes und mit dem Bewußtsein der durch Jahrhunderte fortgebauten Skepsis — wie wollen Sie, daß ein Künstler heutzutage, in der Welt und mit der Welt lebend, jene süßen Urkunden der Demuth und Gottesliebe, wie sie
sichtbar in den Gestalten der ersten Bekenner und Blutzeugen wandeln, diese Wunder und Mysterien, die ein fortgesetztes Leben in Einsamkeit und Beschauung erfordern, wie wollen Sie, daß er sie in Bildern wiedergebe? Nein. Wenn sie Alle, die innerlich leer und ertödtet sich fühlen, so aufrichtig zu Werke gingen, wie ich, daß sie den Geist nicht zwingen, Gestalten zu schaffen, die er nicht geschaut, so würden diese hohlen, nichtssagenden, das Heilige verhöhnenden Zerrbilder, die wir jetzt als kirchliche bezeichnen, aus unsern Galerien, unsern Gemächern, unsern Kirchen verschwinden. Warum, wenn es verboten ist, mit Worten zu lügen, warum es gestatten, mit Farben? Ist ein Heiligenbild, das wir lachend und mit Unglauben malen, nicht ein falscher Eid?
Die junge Künstlerin war zu erschüttert, um weiter sprechen zu können. Sie barg ihr Haupt an der Brust des Greises, der ihr schmeichelnd die langen dunkeln Locken mit segnender Hand berührte. Laß dir das Zwitterwesen unserer Zeit nicht allzusehr zu Herzen gehen, mein Kind, flüsterte er.
Es kostet mich das Leben! rief Scholastika mit Heftigkeit. Ich kann, da ich einmal das Heilige empfunden und mit Bewußtsein in mir bewahrt, nicht fürder ohne den Himmel leben. Segnen Sie mich, mein Vater, ich verlasse Paris.
Wie? rief der Greis; du willst Glück, Ruhm, Reichthum von dir weisen?
Ich gebe sie hin, entgegnete die gewesene Nonne, für eine einzige Stunde des Friedens! — Eine lange Pause herrschte, man hörte nur das schmerzlich erschütterte Athemholen der jungen Frau und das leise Gebet des Greises.
Es stürmte über die Haide. Die lange Winternacht hatte schon um die vierte Nachmittagstunde angefangen. Der Schnee fiel in dichten Flocken vom Himmel und fuhr in wirbelnden Massen über die Ebene hin, bald hier, bald dort Hügel bildend, durch die der Schlitten des Reisenden und der Fuß des Wanderers sich nur mit Mühe Bahn brach. Der Wind war kalt und schnitt empfindlich und verletzend auf die Haut ein, denn er führte eine Menge kleiner, schneidender Eiskrystalle mit sich, die wie Nadelstiche wirkten. Dabei machte die Dunkelheit und die fallende Schneelage es unmöglich, den Weg inne zu halten, oder dessen kaum erkennbare Spuren mit Genauigkeit zu verfolgen. Die Reisenden, die sich um diese Stunde unterwegs befanden, sorgten dafür, daß ihre Schlitten sich so nahe wie möglich zusammenfanden, damit der Schall der Glöckchen am Geschirr der Pferde gegenseitig als Warnungs- und Erkennungsstimme diene. Ein kleiner Zug solcher Schlitten bewegte sich eben über den Klostersee, den wir aus dem Anfang unserer Erzählung kennen, und nahm die
Richtung auf die Poststation jenseit des Waldes. Ein einzelner Reiter suchte durch seinen wiederholten Anruf den letzten der Schlitten zu bewegen, anzuhalten, allein vergebens. Entweder wollte der Eigenthümer des ärmlichen Fahrzeugs nicht hören, oder er konnte nicht bei den Stößen des Sturmwindes, der über die Fläche des Sees mit besonderem Getöse dahinbraus'te. Der Reiter, nachdem er noch ein paar Mal vergebens gerufen, wandte sein Pferd und kehrte zu dem umbuschten Ufer zurück, wo im Schutz einiger mit dichter Schneelage bedeckter Weiden zwei dunkle Gestalten zusammengekauert seiner warteten.
Beim Blut Christi! rief die Stimme des Reiters, es bleibt euch kein anderes Mittel, das Kloster ungefährdet zu erreichen, als daß das Dämchen hinter mir auf dem Pferde Platz nimmt und das Herrchen, so gut es geht, unserer Fährte folgt.
Nein, entgegnete die Frau, das darf nicht sein. Mein Gefährte ist in dieser Gegend, überhaupt in diesem Lande fremd; er könnte verunglücken. Wenn es Euch recht ist, so laßt ihn aufs Pferd steigen, ich gehe.
Das kann mir gleichgültig sein! rief der Reiter mürrisch. Nur macht schnell! Ihr begreift, lieben Leutchen, daß ich euretwillen nicht eine halbe Stunde später meine Farben im Kloster abliefern werde, und daß ich ferner dem großen, schwarzen Ofen in der Halle lieber Stand halten möchte, als euch.
Der junge Mann wollte den ihm zugewiesenen Platz nicht einnehmen. Sie sind krank, theure Freundin, sagte er in einer Sprache, die der Reiter nicht verstand, Ihre Kräfte verlassen Sie; ich muß das Schlimmste fürchten, wenn Sie so nah dem Ziele nicht die Hülfe annehmen, die uns der Himmel sendet. Besteigen Sie das Pferd; ich beschwöre Sie, ich bitte auf meinen Knieen darum.
Halten Sie ein, Emil, sagte die Dame mit wankender Stimme. Sie wissen, daß das Gelübde mich bindet, daß ich einen Eid geschworen, zu Fuß, als Büßende, den Weg in meine Heimat zurückzulegen. Soll ich jetzt, so nahe dem Hafen, treubrüchig werden?
Wohlan; ich weiche nicht von Ihnen! rief der junge Mann. Er gab dem Reiter einen Wink, der diesem anzeigte, daß er sich entfernen könne und daß man sein Anerbieten nicht annehme. Der Kosak — denn der Leser wird schon erkannt haben, wer dieser einsame Reiter war — hatte sich bei den Worten der Dame im Sattel aufgerichtet, wie aufmerksam lauschend; jetzt schüttelte die alte Nonne den Kopf, sprang vom Pferde ab und lief auf die Reisende zu. Sie ergriff, ohne sich Erlaubniß zu erbitten, die Hand, brachte sie dicht ans Auge und suchte ein Muttermaal; als sie es fand, schrie sie, wie in Wahnsinn ausbrechend und hohe Sprünge machend: Sie ist's! — Beim heiligen Alexander Newsky! Es ist Schwester Scholastika. Keine Andere, als sie, kann es sein! Ach, mein goldnes Kätzchen, kommst du endlich nach Hause!
Kommst du, weil die alte Annuschka die Heiligen bat, daß sie dich zurückführen möchten, oder kommst du, weil du eben weiter keine Lust hast, in der Welt umherzuschwärmen? Gleichviel; tritt ein in deine Kammer; du findest sie noch, wie du sie verlassen, und ich bringe dir grade das schönste Blau, das du nur wünschen kannst, in meinem Sacke mit. Gleich setze dich hin und male, wie du früher maltest. Feodora und Marfa, die beide unterdessen etwas älter und klüger geworden sind, werden sich nicht genug freuen können, dich wiederzusehen. Wir haben auch sechs neue Nonnen bekommen, die eine ist sogar mit mir verwandt, aber ich habe ihr die Geschichte mit Jermack nicht erzählt. Der arme Jermack, er hat sich zu Tode getrunken. Noch bis auf die letzte Stunde hat er behauptet, daß ich seine Braut sei; er ist auch mit diesem Glauben aus der Welt gegangen. Aber du siehst blaß und abgefallen aus, Schwesterchen. Du schließest die Augen. Willst du einen Schluck aus meiner Flasche thun? Bei meiner Seele, das arme Ding sieht zum Erbarmen aus.
Der Kosak schwatzte und lärmte noch, als Emil in der lebhaftesten Sorge um die schwer Erkrankte sich anschickte, das Pferd zu besteigen und seine Gefährtin, wenn nicht anders, so mit Gewalt auf den Sattel zu heben. Aber die arme Unglückliche widersetzte sich diesem Ansinnen mit dem Rest ihrer Kräfte; es blieb demnach nichts anders übrig, als daß sich die Drei zu Fuß auf den Weg machten, Annuschka und Emil die Kranke
führend und die Erstere zugleich ihr Pferd hintennach ziehend. So kämpften sie gegen die Gewalt des Schneesturmes, der von Minute zu Minute stärker und tobender wurde. Erde und Himmel waren in eine einzige Wolke Schnees gehüllt, der Weg völlig unsichtbar, und immer von Neuem bildeten sich Hügel und Abgründe zu den Füßen der langsam Vordringenden. Wäre Annuschka nicht gewesen, das Unternehmen hätte durchaus mißglücken müssen; durch ihren Rath und ihre Ortskenntniß geleitet, erreichte jedoch die mühselige Karavane endlich nach stundenlangem Umherirren das Ziel. Schon hallte die Klosterglocke über die Fläche herüber, schon bemerkte der alten Nonne scharfes Auge Licht in der untern Halle, da — verließen die arme Wallerin Besinnung und Kraft. Sie sank zwischen ihren zwei Führern zusammen, und Todesnacht lagerte sich auf ihre Augen. Sobald diese bedrohlichen Zeichen sich kundgaben, machte Annuschka sich sofort von der Gruppe frei und stürzte, eilig sich auf ihr Pferd schwingend, ins nahe Kloster, um Hülfe herbeizurufen. Während sie fort war, kam die Sterbende von neuem zum Bewußtsein. Sie sah das in Kummer und Verzweiflung über sie gebeugte Antlitz ihres jungen Gefährten, sie fühlte dessen heiße Thränen auf ihren erstorbenen Wangen. Dank, Dank für so viel Liebe und Treue! flüsterte sie. Kehre heim, mein edler Freund! Ich habe, was ich wollte, ein Grab bei den Meinen, in der Heimat! Der Himmel sei gelobt! — Sie hatte diese Worte noch nicht geendet, als man Lichter vom
Kloster rasch herüberkommen sah. Die Hülfe kam zu spät. Die Leidende hatte ihre irdische Laufbahn beschlossen. Angesichts des Hauses ihrer Jugend, im Arm des Freundes und angeweht von dem Frieden des versöhnten Himmels waren ihrer Seele Fesseln gelös't worden. Die Nonnen trugen die Leiche ihrer einstigen Schwester in die Klostermauern heim.
Emil kehrte nach Frankreich zurück. Er brachte sein Leben einsam und in Erinnerung an die edelste Freundschaft, an die uneigennützigste, keuscheste Liebe hin. Sein Name glänzt noch jetzt als der eines der würdigsten Priester der Kunst.