Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gründlich einzusehen. Die dritte, die Liebe (Ljubow), war von einer so beleidigenden Häßlichkeit, daß die Verführungen, welchen der Glaube und die Hoffnung ausgesetzt gewesen waren und denen sie nicht zu widerstehen vermocht hatten, an sie nie sich heranwagten. Doch ja, um eines Umstandes nicht zu vergessen, man sagt, daß, während die Franzosen Moskau einnahmen, ein unglücklicher französischer Zahlmeister auf den Einfall gerieth, Ljubow zu entführen. Sie blieben beide, Entführer und Entführte, buchstäblich im Schnee stecken, und der Franzose, der nicht die starke Natur seiner Dame hatte, kam ums Leben, während Ljubow bei den Flammen von Moskau zurückflüchtete, um als eine reumüthige Tochter an die Thür der Wohnung ihrer Tante zu klopfen. Als Niemand öffnete, aus dem natürlichen Grunde, weil Niemand mehr im Hause war, bemächtigte sich Ljubow eines kleinen Säckels mit gesparten Silberrubeln und entfloh. Nach einigen Jahren zwecklosen Herumirrens erschien Ljubow vor der Klosterpforte der heiligen Anna und begehrte Einlaß. Sie brachte einen Theil des zersprengten Waarenlagers ihres Vaters mit, eine Anzahl Flaschen mit Ocker und Berlinerblau, ein Säckchen Zinnober und eine Flasche Firniß. Man nahm sie an, und während Ljubow vor dem Altar kniete, um in die Hände des Priesters ihre Gelübde niederzulegen, fand man für nöthig, ein Quantum Räucherpulver mehr auf die Pfanne zu streuen, weil sich ein unerträglicher Duft von Knoblauch und Branntwein im heiligen Tempel zu verbreiten

gründlich einzusehen. Die dritte, die Liebe (Ljubow), war von einer so beleidigenden Häßlichkeit, daß die Verführungen, welchen der Glaube und die Hoffnung ausgesetzt gewesen waren und denen sie nicht zu widerstehen vermocht hatten, an sie nie sich heranwagten. Doch ja, um eines Umstandes nicht zu vergessen, man sagt, daß, während die Franzosen Moskau einnahmen, ein unglücklicher französischer Zahlmeister auf den Einfall gerieth, Ljubow zu entführen. Sie blieben beide, Entführer und Entführte, buchstäblich im Schnee stecken, und der Franzose, der nicht die starke Natur seiner Dame hatte, kam ums Leben, während Ljubow bei den Flammen von Moskau zurückflüchtete, um als eine reumüthige Tochter an die Thür der Wohnung ihrer Tante zu klopfen. Als Niemand öffnete, aus dem natürlichen Grunde, weil Niemand mehr im Hause war, bemächtigte sich Ljubow eines kleinen Säckels mit gesparten Silberrubeln und entfloh. Nach einigen Jahren zwecklosen Herumirrens erschien Ljubow vor der Klosterpforte der heiligen Anna und begehrte Einlaß. Sie brachte einen Theil des zersprengten Waarenlagers ihres Vaters mit, eine Anzahl Flaschen mit Ocker und Berlinerblau, ein Säckchen Zinnober und eine Flasche Firniß. Man nahm sie an, und während Ljubow vor dem Altar kniete, um in die Hände des Priesters ihre Gelübde niederzulegen, fand man für nöthig, ein Quantum Räucherpulver mehr auf die Pfanne zu streuen, weil sich ein unerträglicher Duft von Knoblauch und Branntwein im heiligen Tempel zu verbreiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029"/>
gründlich                einzusehen. Die dritte, die Liebe (Ljubow), war von einer so beleidigenden                Häßlichkeit, daß die Verführungen, welchen der Glaube und die Hoffnung ausgesetzt                gewesen waren und denen sie nicht zu widerstehen vermocht hatten, an sie nie sich                heranwagten. Doch ja, um eines Umstandes nicht zu vergessen, man sagt, daß, während                die Franzosen Moskau einnahmen, ein unglücklicher französischer Zahlmeister auf den                Einfall gerieth, Ljubow zu entführen. Sie blieben beide, Entführer und Entführte,                buchstäblich im Schnee stecken, und der Franzose, der nicht die starke Natur seiner                Dame hatte, kam ums Leben, während Ljubow bei den Flammen von Moskau zurückflüchtete,                um als eine reumüthige Tochter an die Thür der Wohnung ihrer Tante zu klopfen. Als                Niemand öffnete, aus dem natürlichen Grunde, weil Niemand mehr im Hause war,                bemächtigte sich Ljubow eines kleinen Säckels mit gesparten Silberrubeln und entfloh.                Nach einigen Jahren zwecklosen Herumirrens erschien Ljubow vor der Klosterpforte der                heiligen Anna und begehrte Einlaß. Sie brachte einen Theil des zersprengten                Waarenlagers ihres Vaters mit, eine Anzahl Flaschen mit Ocker und Berlinerblau, ein                Säckchen Zinnober und eine Flasche Firniß. Man nahm sie an, und während Ljubow vor                dem Altar kniete, um in die Hände des Priesters ihre Gelübde niederzulegen, fand man                für nöthig, ein Quantum Räucherpulver mehr auf die Pfanne zu streuen, weil sich ein                unerträglicher Duft von Knoblauch und Branntwein im heiligen Tempel zu verbreiten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] gründlich einzusehen. Die dritte, die Liebe (Ljubow), war von einer so beleidigenden Häßlichkeit, daß die Verführungen, welchen der Glaube und die Hoffnung ausgesetzt gewesen waren und denen sie nicht zu widerstehen vermocht hatten, an sie nie sich heranwagten. Doch ja, um eines Umstandes nicht zu vergessen, man sagt, daß, während die Franzosen Moskau einnahmen, ein unglücklicher französischer Zahlmeister auf den Einfall gerieth, Ljubow zu entführen. Sie blieben beide, Entführer und Entführte, buchstäblich im Schnee stecken, und der Franzose, der nicht die starke Natur seiner Dame hatte, kam ums Leben, während Ljubow bei den Flammen von Moskau zurückflüchtete, um als eine reumüthige Tochter an die Thür der Wohnung ihrer Tante zu klopfen. Als Niemand öffnete, aus dem natürlichen Grunde, weil Niemand mehr im Hause war, bemächtigte sich Ljubow eines kleinen Säckels mit gesparten Silberrubeln und entfloh. Nach einigen Jahren zwecklosen Herumirrens erschien Ljubow vor der Klosterpforte der heiligen Anna und begehrte Einlaß. Sie brachte einen Theil des zersprengten Waarenlagers ihres Vaters mit, eine Anzahl Flaschen mit Ocker und Berlinerblau, ein Säckchen Zinnober und eine Flasche Firniß. Man nahm sie an, und während Ljubow vor dem Altar kniete, um in die Hände des Priesters ihre Gelübde niederzulegen, fand man für nöthig, ein Quantum Räucherpulver mehr auf die Pfanne zu streuen, weil sich ein unerträglicher Duft von Knoblauch und Branntwein im heiligen Tempel zu verbreiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/29
Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/29>, abgerufen am 25.11.2024.