Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

echte Bildniß der heiligen Jungfrau und Mutter, vom Apostel Lucas gemalt, noch vorhanden sei, und wie nach diesem Bilde alle die übrigen Copien gefertigt worden. Was die ersten Märtyrer und Wunderthäter der Kirche betrifft, so sind ihre Bildnisse von inspirirten Männern gemalt worden, nicht durch irdische Mittel, sondern durch Einwirkung der himmlischen Mächte. Es wäre demnach Verbrechen, an jenen Formen etwas zu ändern. Daß sie einander ähnlich sehen, wäre eine natürliche Folge der Heiligung, die sie alle auf gleiche Weise durchdrungen. Auch die Liebe macht die Geschöpfe Gottes untereinander ähnlich, und ohne Zweifel lieben sich die Heiligen mit der festesten und unzerstörbarsten Liebe.

O dann muß auch ich dir ähnlich werden! rief Feodora und schlang ihre Arme fest um den schlanken Leib der Nonne. Ich liebe dich so sehr.

Scholastika neigte sich herab und küßte die Stirn ihrer jüngern Genossin. Seit dieser Zeit, fuhr sie fort, haben Gebet und die strenge Regel des Klosters jene Versuchungen fern gehalten. Ueber meiner Staffelei schwebt nicht mehr jener gefährliche Geist eignen Schaffens und Bildens; ich finde Ruhe und Seligkeit darin, das Werk mit knechtischem Sinne zu fördern. Ich male so, wie ihr Alle malt.

Nein, nein! rief Feodora lebhaft, nicht so -- nicht ganz so wenigstens. Deine Bilder haben etwas Durchscheinendes, ich möchte sagen, Geistiges. Die Form ist dieselbe, aber du legst einen fremdartigen Ausdruck hinein.

echte Bildniß der heiligen Jungfrau und Mutter, vom Apostel Lucas gemalt, noch vorhanden sei, und wie nach diesem Bilde alle die übrigen Copien gefertigt worden. Was die ersten Märtyrer und Wunderthäter der Kirche betrifft, so sind ihre Bildnisse von inspirirten Männern gemalt worden, nicht durch irdische Mittel, sondern durch Einwirkung der himmlischen Mächte. Es wäre demnach Verbrechen, an jenen Formen etwas zu ändern. Daß sie einander ähnlich sehen, wäre eine natürliche Folge der Heiligung, die sie alle auf gleiche Weise durchdrungen. Auch die Liebe macht die Geschöpfe Gottes untereinander ähnlich, und ohne Zweifel lieben sich die Heiligen mit der festesten und unzerstörbarsten Liebe.

O dann muß auch ich dir ähnlich werden! rief Feodora und schlang ihre Arme fest um den schlanken Leib der Nonne. Ich liebe dich so sehr.

Scholastika neigte sich herab und küßte die Stirn ihrer jüngern Genossin. Seit dieser Zeit, fuhr sie fort, haben Gebet und die strenge Regel des Klosters jene Versuchungen fern gehalten. Ueber meiner Staffelei schwebt nicht mehr jener gefährliche Geist eignen Schaffens und Bildens; ich finde Ruhe und Seligkeit darin, das Werk mit knechtischem Sinne zu fördern. Ich male so, wie ihr Alle malt.

Nein, nein! rief Feodora lebhaft, nicht so — nicht ganz so wenigstens. Deine Bilder haben etwas Durchscheinendes, ich möchte sagen, Geistiges. Die Form ist dieselbe, aber du legst einen fremdartigen Ausdruck hinein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025"/>
echte Bildniß der heiligen Jungfrau und Mutter, vom Apostel Lucas                gemalt, noch vorhanden sei, und wie nach diesem Bilde alle die übrigen Copien                gefertigt worden. Was die ersten Märtyrer und Wunderthäter der Kirche betrifft, so                sind ihre Bildnisse von inspirirten Männern gemalt worden, nicht durch irdische                Mittel, sondern durch Einwirkung der himmlischen Mächte. Es wäre demnach Verbrechen,                an jenen Formen etwas zu ändern. Daß sie einander ähnlich sehen, wäre eine natürliche                Folge der Heiligung, die sie alle auf gleiche Weise durchdrungen. Auch die Liebe                macht die Geschöpfe Gottes untereinander ähnlich, und ohne Zweifel lieben sich die                Heiligen mit der festesten und unzerstörbarsten Liebe.</p><lb/>
        <p>O dann muß auch ich dir ähnlich werden! rief Feodora und schlang ihre Arme fest um                den schlanken Leib der Nonne. Ich liebe dich so sehr.</p><lb/>
        <p>Scholastika neigte sich herab und küßte die Stirn ihrer jüngern Genossin. Seit dieser                Zeit, fuhr sie fort, haben Gebet und die strenge Regel des Klosters jene Versuchungen                fern gehalten. Ueber meiner Staffelei schwebt nicht mehr jener gefährliche Geist                eignen Schaffens und Bildens; ich finde Ruhe und Seligkeit darin, das Werk mit                knechtischem Sinne zu fördern. Ich male so, wie ihr Alle malt.</p><lb/>
        <p>Nein, nein! rief Feodora lebhaft, nicht so &#x2014; nicht ganz so wenigstens. Deine Bilder                haben etwas Durchscheinendes, ich möchte sagen, Geistiges. Die Form ist dieselbe,                aber du legst einen fremdartigen Ausdruck hinein.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] echte Bildniß der heiligen Jungfrau und Mutter, vom Apostel Lucas gemalt, noch vorhanden sei, und wie nach diesem Bilde alle die übrigen Copien gefertigt worden. Was die ersten Märtyrer und Wunderthäter der Kirche betrifft, so sind ihre Bildnisse von inspirirten Männern gemalt worden, nicht durch irdische Mittel, sondern durch Einwirkung der himmlischen Mächte. Es wäre demnach Verbrechen, an jenen Formen etwas zu ändern. Daß sie einander ähnlich sehen, wäre eine natürliche Folge der Heiligung, die sie alle auf gleiche Weise durchdrungen. Auch die Liebe macht die Geschöpfe Gottes untereinander ähnlich, und ohne Zweifel lieben sich die Heiligen mit der festesten und unzerstörbarsten Liebe. O dann muß auch ich dir ähnlich werden! rief Feodora und schlang ihre Arme fest um den schlanken Leib der Nonne. Ich liebe dich so sehr. Scholastika neigte sich herab und küßte die Stirn ihrer jüngern Genossin. Seit dieser Zeit, fuhr sie fort, haben Gebet und die strenge Regel des Klosters jene Versuchungen fern gehalten. Ueber meiner Staffelei schwebt nicht mehr jener gefährliche Geist eignen Schaffens und Bildens; ich finde Ruhe und Seligkeit darin, das Werk mit knechtischem Sinne zu fördern. Ich male so, wie ihr Alle malt. Nein, nein! rief Feodora lebhaft, nicht so — nicht ganz so wenigstens. Deine Bilder haben etwas Durchscheinendes, ich möchte sagen, Geistiges. Die Form ist dieselbe, aber du legst einen fremdartigen Ausdruck hinein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/25
Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/25>, abgerufen am 24.11.2024.