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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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meines Traumes seufzend wie hinter den Gitterstäben des Kerkers sich krümmte und wand, und setzte es glänzend in Befreiung. Damals lebte noch unsere fromme Aebtissin. Sie wußte etwas von der Kunst. Als sie in meine Zelle trat und jenes Bild sah, sprach sie zum erstenmal zornige und drohende Worte zu mir. Du sollst eine Heilige malen, sagte sie, und du hast eine Sünderin gemalt. Wie darfst du ein Gesicht wie dieses mit der Glorie unsers Herrn umkleiden? Vernichte das Bild; ich dulde es nicht in meinem Hause.

Getroffen von ihrem Zorn, erbebte ich und weinte. Ich vernichtete das Bild. Gerührt von meinem Gehorsam, schloß sie mich in ihre Arme, drückte sie mich an ihren mütterlichen Busen. Mein Kind, sagte sie, die Welt hat der Verführungen eine große Zahl; eine der listigsten und verderblichsten ist die, daß sie die Kunst, die wir üben, mit dem falschen Glanz und Schimmer der Augenlust bekleidet. Jene Gestalt, die du gesehen, ist eine Anfechtung dieser Art. Möge sie dir zum letztenmal in deinem Leben erschienen sein. Wache, bete und arbeite.

Ich verstehe dies nicht recht, nahm Feodora das Wort, indem sie ihr Köpfchen auf den Arm stützte und fragend der Freundin ins Auge sah; sollten denn die Heiligen wirklich so ausgesehen haben, wie wir sie malen? Alsdann hatten sie ohne Zweifel eine ungemein große Familienähnlichkeit unter einander.

Meine fromme Mutter, sagte Scholastika, belehrte mich auch hierüber. Sie zeigte mir, wie das wahre und

meines Traumes seufzend wie hinter den Gitterstäben des Kerkers sich krümmte und wand, und setzte es glänzend in Befreiung. Damals lebte noch unsere fromme Aebtissin. Sie wußte etwas von der Kunst. Als sie in meine Zelle trat und jenes Bild sah, sprach sie zum erstenmal zornige und drohende Worte zu mir. Du sollst eine Heilige malen, sagte sie, und du hast eine Sünderin gemalt. Wie darfst du ein Gesicht wie dieses mit der Glorie unsers Herrn umkleiden? Vernichte das Bild; ich dulde es nicht in meinem Hause.

Getroffen von ihrem Zorn, erbebte ich und weinte. Ich vernichtete das Bild. Gerührt von meinem Gehorsam, schloß sie mich in ihre Arme, drückte sie mich an ihren mütterlichen Busen. Mein Kind, sagte sie, die Welt hat der Verführungen eine große Zahl; eine der listigsten und verderblichsten ist die, daß sie die Kunst, die wir üben, mit dem falschen Glanz und Schimmer der Augenlust bekleidet. Jene Gestalt, die du gesehen, ist eine Anfechtung dieser Art. Möge sie dir zum letztenmal in deinem Leben erschienen sein. Wache, bete und arbeite.

Ich verstehe dies nicht recht, nahm Feodora das Wort, indem sie ihr Köpfchen auf den Arm stützte und fragend der Freundin ins Auge sah; sollten denn die Heiligen wirklich so ausgesehen haben, wie wir sie malen? Alsdann hatten sie ohne Zweifel eine ungemein große Familienähnlichkeit unter einander.

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[0024] meines Traumes seufzend wie hinter den Gitterstäben des Kerkers sich krümmte und wand, und setzte es glänzend in Befreiung. Damals lebte noch unsere fromme Aebtissin. Sie wußte etwas von der Kunst. Als sie in meine Zelle trat und jenes Bild sah, sprach sie zum erstenmal zornige und drohende Worte zu mir. Du sollst eine Heilige malen, sagte sie, und du hast eine Sünderin gemalt. Wie darfst du ein Gesicht wie dieses mit der Glorie unsers Herrn umkleiden? Vernichte das Bild; ich dulde es nicht in meinem Hause. Getroffen von ihrem Zorn, erbebte ich und weinte. Ich vernichtete das Bild. Gerührt von meinem Gehorsam, schloß sie mich in ihre Arme, drückte sie mich an ihren mütterlichen Busen. Mein Kind, sagte sie, die Welt hat der Verführungen eine große Zahl; eine der listigsten und verderblichsten ist die, daß sie die Kunst, die wir üben, mit dem falschen Glanz und Schimmer der Augenlust bekleidet. Jene Gestalt, die du gesehen, ist eine Anfechtung dieser Art. Möge sie dir zum letztenmal in deinem Leben erschienen sein. Wache, bete und arbeite. Ich verstehe dies nicht recht, nahm Feodora das Wort, indem sie ihr Köpfchen auf den Arm stützte und fragend der Freundin ins Auge sah; sollten denn die Heiligen wirklich so ausgesehen haben, wie wir sie malen? Alsdann hatten sie ohne Zweifel eine ungemein große Familienähnlichkeit unter einander. Meine fromme Mutter, sagte Scholastika, belehrte mich auch hierüber. Sie zeigte mir, wie das wahre und

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/24>, abgerufen am 26.04.2024.