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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mich ernst und nachdenklich gemacht hat. Warum spielst du jetzt die Unwissende?

Ein Traum! rief Feodora.

Still! unterbrach sie die Nonne. Marfa könnte uns hören; und für die ist dergleichen nicht.

Aber hörst du nicht, wie sie Athem zieht? Sie schläft so tief und sicher. Laß uns von deinem Traume sprechen. Ich höre dergleichen in so stürmischer Nacht so gerne. Es kommen Engel und Teufel in deinem Traume vor, nicht wahr? O wie schön ist das!

Scholastika war in Nachdenken versunken, sie hatte ihr Haupt gesenkt, eine ungewöhnliche Blässe hatte Stirn und Wangen überzogen. Doch wie eine Blume ihre schwere, thaubeperlte Krone aus den Schatten der Nacht hebt, so gewann das Haupt und der Nacken der schönen, stolzgewachsenen Jungfrau nach und nach seine erhabene Haltung wieder. Sie öffnete die Augen weit, und ein Feuer, wie es die erregte Seele in ihrem ersten Aufwallen spendet, strahlte aus diesen großen dunkeln Kreisen hervor. Es war, als wenn der Engel der Begeisterung seine Fittiche um die Gestalt der einsamen Nonne schlüge und jede ihrer Seelenkräfte um das Zweifache erhöhte. Die Trauer, die Anstrengung und die Kümmerniß der langen Arbeitsstunden glitten plötzlich wie ein Schatten vor der Gestalt hinweg, und die ewige Liebe, die süße, verzehrende Sehnsucht, die strebende Glut der Andacht, Alles zusammen hob und umglänzte die Priesterin.

mich ernst und nachdenklich gemacht hat. Warum spielst du jetzt die Unwissende?

Ein Traum! rief Feodora.

Still! unterbrach sie die Nonne. Marfa könnte uns hören; und für die ist dergleichen nicht.

Aber hörst du nicht, wie sie Athem zieht? Sie schläft so tief und sicher. Laß uns von deinem Traume sprechen. Ich höre dergleichen in so stürmischer Nacht so gerne. Es kommen Engel und Teufel in deinem Traume vor, nicht wahr? O wie schön ist das!

Scholastika war in Nachdenken versunken, sie hatte ihr Haupt gesenkt, eine ungewöhnliche Blässe hatte Stirn und Wangen überzogen. Doch wie eine Blume ihre schwere, thaubeperlte Krone aus den Schatten der Nacht hebt, so gewann das Haupt und der Nacken der schönen, stolzgewachsenen Jungfrau nach und nach seine erhabene Haltung wieder. Sie öffnete die Augen weit, und ein Feuer, wie es die erregte Seele in ihrem ersten Aufwallen spendet, strahlte aus diesen großen dunkeln Kreisen hervor. Es war, als wenn der Engel der Begeisterung seine Fittiche um die Gestalt der einsamen Nonne schlüge und jede ihrer Seelenkräfte um das Zweifache erhöhte. Die Trauer, die Anstrengung und die Kümmerniß der langen Arbeitsstunden glitten plötzlich wie ein Schatten vor der Gestalt hinweg, und die ewige Liebe, die süße, verzehrende Sehnsucht, die strebende Glut der Andacht, Alles zusammen hob und umglänzte die Priesterin.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/20>, abgerufen am 16.04.2024.