Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

dentlich stand und ich lachte über die andern
Menschen.

Auch die Vögel und die Thiere, die Berge
und die Felsen sind anders, als die Menschen
sich einbilden wollen es zu wissen. Es ist nur
zu weitläuftig, sonst könnt' ich hier viel davon
schreiben und es würde doch weder Dir noch
einem andern Menschen nützen, denn wer's
nicht schon vorher weiß, kann mich doch immer
nicht verstehn. So geht es mit allem Guten.
Jeder Mensch spielt sein eigenes Instrument
und hat einen andern Takt und ein anderes
Lied abzuspielen.

Da hab' ich hier in einem Felsen einen
Menschen gefunden, der alles so sehn kann, wie
ich. Daß sich die Klugen doch so gern aus
der Welt zurückziehn! Aber in der Einsamkeit
denkt und fühlt die Seele anders, sie wird
nicht durch das unordentliche Gezwitscher und
Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur
ist alles mit der Seele verwandt und auf einen
Ton gestimmt, in jedes Lied stimmt sie frey-
willig ein und ist das Echo und eben so oft
der Vorsänger von allem was ich denke: ein
kleiner Vogel kann mir vielen Verstand in mei-

dentlich ſtand und ich lachte uͤber die andern
Menſchen.

Auch die Voͤgel und die Thiere, die Berge
und die Felſen ſind anders, als die Menſchen
ſich einbilden wollen es zu wiſſen. Es iſt nur
zu weitlaͤuftig, ſonſt koͤnnt’ ich hier viel davon
ſchreiben und es wuͤrde doch weder Dir noch
einem andern Menſchen nuͤtzen, denn wer’s
nicht ſchon vorher weiß, kann mich doch immer
nicht verſtehn. So geht es mit allem Guten.
Jeder Menſch ſpielt ſein eigenes Inſtrument
und hat einen andern Takt und ein anderes
Lied abzuſpielen.

Da hab’ ich hier in einem Felſen einen
Menſchen gefunden, der alles ſo ſehn kann, wie
ich. Daß ſich die Klugen doch ſo gern aus
der Welt zuruͤckziehn! Aber in der Einſamkeit
denkt und fuͤhlt die Seele anders, ſie wird
nicht durch das unordentliche Gezwitſcher und
Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur
iſt alles mit der Seele verwandt und auf einen
Ton geſtimmt, in jedes Lied ſtimmt ſie frey-
willig ein und iſt das Echo und eben ſo oft
der Vorſaͤnger von allem was ich denke: ein
kleiner Vogel kann mir vielen Verſtand in mei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0354" n="348"/>
dentlich &#x017F;tand und ich lachte u&#x0364;ber die andern<lb/>
Men&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Auch die Vo&#x0364;gel und die Thiere, die Berge<lb/>
und die Fel&#x017F;en &#x017F;ind anders, als die Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ich einbilden wollen es zu wi&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t nur<lb/>
zu weitla&#x0364;uftig, &#x017F;on&#x017F;t ko&#x0364;nnt&#x2019; ich hier viel davon<lb/>
&#x017F;chreiben und es wu&#x0364;rde doch weder Dir noch<lb/>
einem andern Men&#x017F;chen nu&#x0364;tzen, denn wer&#x2019;s<lb/>
nicht &#x017F;chon vorher weiß, kann mich doch immer<lb/>
nicht ver&#x017F;tehn. So geht es mit allem Guten.<lb/>
Jeder Men&#x017F;ch &#x017F;pielt &#x017F;ein eigenes In&#x017F;trument<lb/>
und hat einen andern Takt und ein anderes<lb/>
Lied abzu&#x017F;pielen.</p><lb/>
          <p>Da hab&#x2019; ich hier in einem Fel&#x017F;en einen<lb/>
Men&#x017F;chen gefunden, der alles &#x017F;o &#x017F;ehn kann, wie<lb/>
ich. Daß &#x017F;ich die Klugen doch &#x017F;o gern aus<lb/>
der Welt zuru&#x0364;ckziehn! Aber in der Ein&#x017F;amkeit<lb/>
denkt und fu&#x0364;hlt die Seele anders, &#x017F;ie wird<lb/>
nicht durch das unordentliche Gezwit&#x017F;cher und<lb/>
Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur<lb/>
i&#x017F;t alles mit der Seele verwandt und auf einen<lb/>
Ton ge&#x017F;timmt, in jedes Lied &#x017F;timmt &#x017F;ie frey-<lb/>
willig ein und i&#x017F;t das Echo und eben &#x017F;o oft<lb/>
der Vor&#x017F;a&#x0364;nger von allem was ich denke: ein<lb/>
kleiner Vogel kann mir vielen Ver&#x017F;tand in mei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0354] dentlich ſtand und ich lachte uͤber die andern Menſchen. Auch die Voͤgel und die Thiere, die Berge und die Felſen ſind anders, als die Menſchen ſich einbilden wollen es zu wiſſen. Es iſt nur zu weitlaͤuftig, ſonſt koͤnnt’ ich hier viel davon ſchreiben und es wuͤrde doch weder Dir noch einem andern Menſchen nuͤtzen, denn wer’s nicht ſchon vorher weiß, kann mich doch immer nicht verſtehn. So geht es mit allem Guten. Jeder Menſch ſpielt ſein eigenes Inſtrument und hat einen andern Takt und ein anderes Lied abzuſpielen. Da hab’ ich hier in einem Felſen einen Menſchen gefunden, der alles ſo ſehn kann, wie ich. Daß ſich die Klugen doch ſo gern aus der Welt zuruͤckziehn! Aber in der Einſamkeit denkt und fuͤhlt die Seele anders, ſie wird nicht durch das unordentliche Gezwitſcher und Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur iſt alles mit der Seele verwandt und auf einen Ton geſtimmt, in jedes Lied ſtimmt ſie frey- willig ein und iſt das Echo und eben ſo oft der Vorſaͤnger von allem was ich denke: ein kleiner Vogel kann mir vielen Verſtand in mei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/354
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/354>, abgerufen am 22.05.2024.