Geſchichte
des Herrn
William Lovell.
Erſtes Buch.
A 2
1.
Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Rom.
Gottes Seegen moͤge zu Dir kommen, lieber
Bruder, ſo wie er mich nun ganz verlaſſen hat.
Wenn Du in Deinem Herzen noch an den ar-
men Willy denkſt, ſo bete fuͤr mich, daß ich
bald unſer gutes Engliſches Ufer wiederſehe,
und Dich mitten drinn’ im ſchoͤnen gottesfuͤrch-
tigen Lande, wo alle Menſchen meinen frommen,
einfaͤltigen Glauben haben, und die ganze Chri-
ſtenheit einen ſtillen, eintraͤchtigen Wandel
fuͤhrt. Hier ſcheint zwar die Sonne ſchoͤner und
waͤrmer, weil es Gottes gnaͤdiger Wille iſt, daß
ſie auch uͤber die Gottloſen ſcheinen ſoll: aber
nach meiner Einſicht thut er daran gar nicht
ganz recht.
Du biſt noch immer beim alten Lord BnrtonBurton,
nicht wahr Thomas? — Der Garten in Bon-
ſtreet iſt noch ſchoͤn und friſch, und der Fiſcher
Peter ſpielt noch jeden Abend auf der Schall-
mey? — Ach mir iſt, als koͤnnt ich Dich jetzt
ſo mit Deinen uͤbereinandergeſchlagenen krum-
men Beinen vor dem Thor des Hofes ſitzen
ſehn, wo ich ſonſt immer ehemals ſaß und den
luſtigen Schallmeyklang anhoͤrte, der alle Bau-
ren und ſelbſt das liebe Vieh froͤhlich machte,
wenn es von der Weide zuruͤck kam: — hier
ſitz’ ich jetzt in meinem kleinen dunkeln Kaͤm-
merchen, und weine, daß ich nicht bei Dir bin.
Nun, Gott wird alles zum Beſten lenken.
Du wirſt mir abmerken, daß ich in der
Fremde gar nicht mehr ſo vergnuͤgt bin, wie
ehemals; Lachen hat ſeine Zeit und Weinen hat
ſeine Zeit. Freilich wohl! Aber es iſt doch
nicht Recht, daß man einen alten Mann ſo zur
Betruͤbniß zwingt, der ſich wegen der Seelen
anderer Menſchen abhaͤrmt, daß ihm kein Biſſen
Brod und kein Tropfen Wein mehr ſchmeckt.
Wir ſind hier jetzt ſo luſtig, Bruder, daß wir
ſogar auf dem Rande von Felſen tanzen und
ſpringen; — ich ſah einmal einen Jungen, der
aus purem liebem Muthwillen in einen tiefen
Brunnen fiel und elendiglich erſaufen mußte.
Ich kann nicht ſchwimmen, Thomas, ich bin
zu alt, um jemand wieder aus dem Waſſer ans
Tageslicht zu ziehn. Was Herr William denkt,
kann ich nicht wiſſen, aber Gott mag ihm bei-
ſtehn, wenn er ganz verlaſſen iſt.
Du wirſt aus meinen Jammerliedern nicht
recht klug werden koͤnnen, lieber Bruder! —
Ach, wohl dem Manne, dem das Elend eine
Walliſiſche Mundart ſpricht, und der nicht ſitzet,
wo die Spoͤtter ſitzen, noch wandelt den Weg
der Gottloſen, den ich jetzt alle Tage mit mei-
nem Herrn gehn muß. Er iſt nicht mehr derſelbe,
er iſt voͤllig ausgetauſcht, er bringt ſein Geld
durch, als wenn er die Schatzkammer haͤtte; —
aber das Geld iſt doch am Ende immer nur ein
irdiſches Gut, an dem Gott keinen Wohlgefal-
len hat, aber ſeine Seele, Tom, ſeine Seele,
die er von Gott geliehen bekommen hat, und
die er ihm dereinſt wieder bezahlen ſollte, ver-
ſchwendet er auch, als wenn Seelen nur ſo auf
allen Jahrmaͤrkten zum Kaufe ſtaͤnden. — Wenn
er ſich nicht bald wieder aͤndert, wird es mit
ſeiner Rechnung an dem großen Wechſeltage
uͤbel ausſehen. Doch richtet nicht, ſo werdet
ihr auch nicht gerichtet.
Ja, Bruder, unſre heilige Schrift iſt jetzt
noch mein einziger Troſt in meinen truͤben
Jammerſtunden; Du glaubſt gar nicht, was fuͤr
Kraft in dem Buche ſteckt. Ich packte es ſo
ſorgfaͤltig mit in meinen Koffer ein, und ich
ſitze nun oft ganze Stunden und leſe ſo andaͤch-
tig, als wenn ich bald vor Gott gefuͤhrt und
ein Engel aus mir gemacht werden ſollte. Man
kann nicht wiſſen, wie ſchnell ſich manchmal
etwas fuͤgt; es iſt noch nicht aller Tage Abend,
und ſollte ich den großen Schritt thun muͤſſen,
ſo denke ich in meinem Examen nicht ganz
ſchlecht zu beſtehen.
Sage mir einmahl, lieber Bruder, warum
manche Menſchen ſo dumm, und bei allem ih-
ren eingebildeten Verſtande vor Dummheit or-
dentlich wie vor den Kopf geſchlagen ſind? daß
ſie die große breite Heerſtraße des goͤttlichen
Worts durchaus nicht ſehn wollen, die ihnen
vor den Fuͤßen ſteht, und ſich lieber durch ei-
nen dichten wildverwachſenen Wald einen Weg
hauen, ſich immer in dem Geſtraͤuche reiſſen,
und ſtehen und ſich weiß machen, ſie haben die
ſchoͤnſte Chauſſee von der Welt vor ſich! Mein
Herr und Herr Roſa bilden ſich immer ein, ich
verſtehe ihre hohen freigeiſteriſchen Reden gar
nicht, die ſie manchmal fuͤhren, wenn ich dabey
bin. — Ach, ich verſtehe alles recht gut, wie
ſie es gerne moͤgen wollen; wenn man in ſeinem
dummen einfaͤltigen Herzen den Gedanken an
Gott, und den Glauben an ihn ſo recht warm
und kraͤftiglich fuͤhlt, ſo faßt man auch recht
gut den Sinn von all’ den irdiſchen Irrlehrern,
die in der Finſterniß wandeln, und da aus den
Haͤnden ihre Augen machen muͤſſen. — — Aber
wir ſind beſſer dran, Thomas, die wir vom
Herrn erleuchtet ſind, wir ſehn mit unſern ei-
genen Augen, wir fuͤhlen mit unſerm eigenen
Herzen, die Gott uns mit auf die Welt gab
und ſeinen Stempel drein ſetzte: ſie haben nach-
gemachte Herzen, die im Sturm und Ungewit-
ter nicht ausdauern, die in der Hitze zergehen
und in der Kaͤlte zuſammenſchrumpfen. Gott
hat mir einen Glauben gegeben, der fuͤr alle
Tage in der Woche aushaͤlt, und des Sonntags
ſchenkt er mir zuweilen noch eine fromme chriſt-
liche Erleuchtung, daß es mir wie ein Magnet
durch meine Seele geht und ſie wieder jung und
friſch macht: nicht ſolche Erſcheinungen, Tho-
mas, die bei uns manche naͤrriſche Leute haben;
ſo eine ſanfte, ſtille Waͤrme, wie das erſte Thau-
wetter im Fruͤhjahr. — Darum koͤnnt ich mich
auch immer noch troͤſten, wenn das ganze Un-
gluͤck nicht grade meinen Herrn betraͤfe, den ich
ſo auſſerordentlich von ganzer Seele lieb habe,
daß ich fuͤr ihn ſterben koͤnnte, wenn es ſeyn
muͤßte; aber er macht ſich aus dieſer Liebe gar
nichts mehr: ich wuͤrde gegen einen Hund, der
aus meiner Hand lieber, als von einem andern
ſein Stuͤckchen Brod aͤße, mehr Andaͤchtigkeit
haben. Die Maͤdchen und Weiber hier mit ih-
rem gezierten und hochfahrenden Weſen ſind
ihm lieber, ſo ein Herr Roſa, der nicht an Gott
und Ewigkeit glaubt, iſt ſein Herzensfreund,
ſolche Leute, die ihren Verſtand fuͤr thurmgroß
halten, wenn ſie den Himmel mit allen ſeinen
Sternen nicht ſehen wollen, und ſich einbilden,
ſie koͤnnten dies alles auch ſo und noch beſſer
machen, wenn ſie nur Zeit und Handwerkszeug
haͤtten. Gott mag ihnen vergeben und ein Ein-
ſehn in ihre Narrheit haben; die Hunde bellen
den Mond an, und wenn der Mond ſo denkt
wie ich, ſo nimmt er es ihnen gewiß nicht uͤbel.
Ein Traum, ſagt man freilich wohl, iſt nur
ein Schaum; aber ein Schiffer hat mir doch ein-
mal erzaͤhlt, daß es auf dem Meere einen ge-
wiſſen kurioſen Schaum gebe, der ordentlich
Sturm und Schiffbruch voraus prophezeihe! —
Koͤnnt’ es denn nicht auch mit manchen Traͤu-
men dieſelbe Bewandniß haben? — So hatt’
ich ſchon in Frankreich einen gar bedenklichen
Traum, damals, als der gute Herr Mortimer
von uns wieder nach England zuruͤckreiſte. Wir
alle ſtanden nehmlich unten an einem hohen, ho-
hen Berge, ich, mein Herr, Herr Mortimer,
Herr Balder und der Italiaͤner Roſa; oben
wollten ſie alle gerne hinauf, aber Herr Mor-
timer wurde muͤde und ſetzte ſich unten in einer
ſchoͤnen gruͤnen Stelle nieder. Mit einemmale
war ich weg und ich konnte gar nicht klug dar-
aus werden, wo ich geblieben waͤre; die drei
uͤbrigen gingen den Berg hinauf, und Herr
Balder hatte einen ſehr wunderlichen Gang; als
ſie faſt oben waren, fiel Herr Balder herunter,
und aus dem Italiaͤner ward ein ganz fremder,
unbekannter Menſch. Jetzt ging nun ein ſchwar-
zer, alter Pudel dicht hinter meinem Herrn,
hielt immer den Kopf dicht uͤber der Erde, und
ging ſo recht aufmerkſam und liebreich; Du
kennſt wohl die naͤrriſche Art an den Pudeln,
Thomas, wenn ſie ſo zutraulich und geſetzt hin-
ter einem hergehen. Oben ſtand Herr William
und ſah ſo recht dreiſt in den tiefen fuͤrchterli-
chen Abgrund hinein, als wenn er da in den
Steinklippen zu Hauſe gehoͤrte: ich kann es
nicht leiden, Thomas, wenn ein Menſch ſo recht
oben auf einer Felſenklippe nicht etwas ſchwind-
licht wird, denn es liegt in der Natur und es
iſt eine Art von Frechheit, ſich nicht da oben
ein bischen zu fuͤrchten. Nein, wie geſagt,
Herr William that das gar nicht, ſondern gra-
de umgekehrt, er buͤckte ſich noch ſo recht muth-
willig uͤber. Der Hund, der mein Gemuͤth
haben mußte, faßte ihn beim Rockſchooß, um
ihn feſt zu halten; Herr William ſah ſich ſo mit
ſeinen großen Augen um, und gab dem redlichen
Pudel, einen tuͤchtigen Stoß mit dem Fuße, daß
der Hund ſich zuſammenkruͤmmte, umkehrte und
mit einem recht klaͤglichen Gewinſel den Berg
hinunter trabte, ſo langſam, als wenn er zur
Leiche ginge. In der Mitte ſah ſich der Hund
noch einmal um, und ſo, wie ich es voraus ge-
dacht hatte, fiel der Herr William jetzt ploͤtzlich
in das Felſenthal hinunter. —
Nun, Thomas, moͤgt’ ich wohl ein groß
Stuͤck Geld darauf wetten, daß Niemand anders
als Ich der Pudel geweſen iſt? Herr Mortimer
wollte auf dieſen Traum damals gar nicht ach-
ten; aber er iſt mir heute wieder recht lebhaft
eingefallen. —
Wie geſagt, ich wollte, ich koͤnnte nach Eng-
land zuruͤckreiſen; gebe Gott, daß ſich bald dazu
eine Gelegenheit findet, denn es gefaͤllt mir nun
in den fremden Laͤndern hier gar nicht mehr. —
Vielleicht geht aber noch alles wieder gut: lebe
recht wohl, lieber Bruder, und bleibe Du mein
guter Freund, ich bin gewiß zeitlebens
der Deinige.
2.
William Lovell an ſeinen Freund
Eduard Burton.
Rom.
Dein Brief, lieber Freund, der mich troͤſten,
der mir den Zuſammenhang der Dinge im wah-
ren Geſichtspunkte zeigen ſollte, iſt zu ſpaͤt ge-
kommen. Ich war vielleicht ſchon ruhig, als
Du die Feder anſetzteſt, um mich zu beruhigen.
Es iſt ſo etwas Jaͤmmerliches in allen Bekuͤm-
merniſſen dieſer Sterblichkeit, daß der Gram
ſchon von ſelbſt verſchwindet, wenn man ihn nur
genauer ins Auge faßt. Sollt’ ich jammern und
klagen, weil nicht jeder meiner uͤbereilten Wuͤn-
ſche in Erfuͤllung geht? Da muͤßt’ ich mein
ganzes Leben verklagen und ich waͤre ein Thor.
Das Flehen der Sterblichen ſchlaͤgt gegen die
tauben Gewoͤlbe des Himmels, weil alles ſich in
einem nichtigen ſchwindelnden Zirkeltanz dreht,
nach Genuͤſſen greift, die nur der Wiederſchein
von wuͤrklichen Guͤtern ſind, und ſo jeder fuͤhlt,
wie ihm ſein getraͤumtes Gluͤck aus den Haͤnden
entſchwindet. Wer aber vorher weiß, welche
Gerichte er an dieſer Tafel findet, der waͤhlt
klug aus und koſtet von jedem, wenn die Nach-
barn hungrig vom Tiſche gehn, indem ſie auf ei-
ne Lieblingsſpeiſe warteten, die nicht aufgetra-
gen wurde. — Und iſt es nicht ſo leicht, den
Kuͤchenzettel von dieſem Leben zu erhalten?
Du wirſt mir ſchon nach dieſem Tone mei-
nes Briefes glauben, daß ich voͤllig getroͤſtet bin,
ich glaube jetzt, oder bilde mir es ein, alle Par-
thien dieſes Lebens uͤberblicken zu koͤnnen, daß
mich keine Anlage dieſes ſeltſam geordneten
Parks uͤberraſcht, daß ich es weiß, wenn ich
durch krumme Labyrinthe auf meine Fußſtapfen
zuruͤckgekehrt bin, und den Zaun recht gut be-
merke, der ſich hinter Gebuͤſche verſtecken ſoll.
Ich bin ſogar ſeitdem in eine muthwillige Lau-
ne gefallen, in einen gewiſſen humoriſtiſchen
Rauſch, in welchem mir die Freuden und Leiden
dieſes Lebens weder wuͤnſchenswuͤrdig noch ver-
abſcheuungswerth erſcheinen, es iſt alles um mich
her ein breiter, muͤhſam erfundener Scherz, der,
wenn man ihn zu genau beobachtet und anato-
mirt, nuͤchtern erſcheint: aber wenn man ſich
auf dieſer Maskerade dem Lachen und der gu-
ten Laune gutwillig hingiebt, ſo verfliegt der
Spleen, und wir fuͤhlen es, daß wir auch im
Lachen weiſe ſeyn koͤnnen.
Iſt denn uͤberhaupt nicht alles auf dieſer
Erde ein und eben daſſelbe? Wir druͤcken uns
ſelbſt die Augen feſt zu, um nur nicht dieſe
Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schran-
ken einfallen, die Menſchen von Menſchen tren-
nen. Ich koͤnnte hier viel wieder erzaͤhlen, was
ich vordem meinem guten Mortimer nicht glau-
ben wollte, denn bloß durch dieſen Eigenſinn
unterſcheiden ſich die Charaktere der Menſchen;
wir wuͤrden alle einen Glauben haben, wenn
wir uns nicht von Jugend auf ein Schema
machten, in das wir uns nach und nach muͤh-
ſam hineintragen, das Geruͤſt und Sparrwerk
eines Syſtems, und daraus unſere eingebildete
Wahrheit herausſchreien, und dem Nachbar ge-
genuͤber nicht glauben wollen, der in einem an-
dern Kaͤfig ſteckt und eine andre Lehre predigt.
Frei ſtehe der kuͤhnere Menſch, ohne Stangen
und Latten die ihn umgeben, in der hohen Na-
tur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth zie-
he er ſeine Philoſophie, und ſchreite wie ein
Rieſe uͤber die Zwerge hinweg, die wie Ameiſen
zwiſchen ſeinen Fuͤßen kriechen und ſich mit klaͤg-
licher
licher Emſigkeit mit Sandkoͤrnern ſchleppen, um
den gewaltigen Bau aufzufuͤhren, den ein einzi-
ger Fußtritt aus ſeinen Wurzeln hebt.
Was wollt ich nun mit mir ſelber, als ich
jene Briefe an Dich und an meinen Vater
ſchrieb, in welchem ich ſo flehentlich um Ama-
lien bat? — Bin ich denn in dieſem Namen,
in dieſem Laut eingekerkert, daß meine Seele
nach ihrem Beſitz und nach Freiheit ſchmachtet?
Denn was iſt unſre ſogenannte Liebe anders,
als dieſe nichtswuͤrdige Einbildung, daß wir ein
Weſen, das erſte beſte zu unſrer Gottheit ſtem-
peln, und alle Gebete und Gedanken nach ihm
hinrichten? — Kannte ich denn Amaliens See-
le hinglaͤnglich in den paar Wochen, in welchen
ich ſie ſah, um ihre Freundſchaft zu wuͤn-
ſchen? — Und wenn ich nun auch ihr Freund
bin, wenn mein Verſtand auch ihre Vorzuͤge er-
kannt, — welcher Unſinn, daß ich mit kindiſchen
Gefuͤhlen dieſe Achtung zu ſinnlicher Liebe aus-
dehne? — daß ich verlange, Amalie ſoll meine
Frau werden? —
Ich muß uͤber mich und meinen Zuſtand la-
chen, wenn ich laͤnger fortfahre, mir ihn deutlich
zu entwickeln. — Daß wir Sinnlichkeit haben,
Lovell. 2r Bd. B
iſt keineswegs veraͤchtlich und kann es nicht
ſeyn, — und doch ſtreben wir unaufhoͤrlich, ſie
uns ſelber abzuleugnen und ſie mit unſerer Ver-
nunft in eins zu ſchmelzen, um nur in jedem der
voruͤberfliegenden Gefuͤhle uns ſelbſt achten zu
koͤnnen. Denn freilich iſt nichts als Sinnlich-
keit das erſte bewegende Rad in unſerer Ma-
ſchine, ſie waͤlzt unſer Daſeyn von der Stelle,
und macht es froh und lebendig; ein Hebel,
der in uns hineinreicht, und mit kleinen Gewich-
ten große Laſten zieht. Alles, was wir als
Schoͤn und Edel traͤumen, greift hier hinein,
Sinnlichkeit und Wolluſt ſind der Geiſt der
Muſik, der Mahlerei und aller Kuͤnſte, alle
Wuͤnſche der Menſchen fliegen um dieſen Pol,
wie Muͤcken um das brennende Licht. Schoͤn-
heitsſinn und Kunſtgefuͤhl ſind nur andere Dia-
lekte und Ausſprachen, ſie bezeichnen nichts wei-
ter, als den Trieb des Menſchen zur Wolluſt;
an jeder reizenden Form, an jedem Bilde des
Dichters weidet ſich das trunkene Auge, die
Gemaͤhlde, vor denen der Entzuͤckte niederkniet,
ſind nichts als Einleitungen zum Sinnengenuß,
jeder Klang, jedes ſchoͤngeworfene Gewand winkt
ihn dorthin; daher ſind Boccaz und Arioſt
die groͤßten Dichter, und Titian und der muth-
willige Correggio ſtehen weit uͤber Domi-
nichino und den frommen Raphael.
Ich halte ſelbſt die Andacht nur fuͤr einen
abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes,
der ſich in tauſend mannichfaltigen Farben
bricht, und auf jede Stunde unſers Lebens Einen
Funken wirft. — Da mir die Augen nun dar-
uͤber geoͤfnet ſind, will ich mich geduldig in
mein Schickſal ergeben, ich darf kein Engel
ſeyn, aber ungeſtoͤrt will ich als Menſch da-
hin wandeln, ich will mich huͤten, mir ſelbſt um
mein Daſeyn aͤngſtigende Schranken zu ziehn. —
So iſt mir der Name Amalie fremd geworden;
war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe,
etwas anders, als das rohe Streben nach ih-
rem Beſitze? ein Gefuͤhl, das wir uns von Ju-
gend auf verkuͤnſteln, und uns das ſimple Ge-
maͤhlde unſers Lebens mit unſinnigen Arabesken
verderben. — Darum eben verachtet der Greis
dieſe jugendlichen Aufwallungen und wilden
Spruͤnge des Gefuͤhls, weil er zu gut erfahren
hat, wohin ſich alle dieſe glaͤnzende Meteore
am Ende ſenken; ſie fallen wieder wie Raketen
zur Erde und verloͤſchen. — Aber dieſe Greiſe
B 2
ſind zugleich fuͤr Kuͤnſte und Enthuſiasmus todt,
weil die Bluͤthe der Sinnlichkeit fuͤr ſie abge-
bluͤht iſt, die Seele iſt in ihnen ausgeloſchen,
und ſie ſind nur noch die matte Abbildung
eines Lebendigen.
Ich will dem Pfade folgen, der ſich vor mir
ausſtreckt, die Freuden begegnen uns, ſo lange
die Spitzen in unſern Sinnen noch ſcharf ſind.
Das ganze Leben iſt ein taumelnder Tanz;
ſchwenkt wild den Reigen herum, und laßt alle
Inſtrumente noch lauter durcheinander klingen!
Laßt das bunte Gewuͤhl nicht ermuͤden, damit
nnsuns nicht die Nuͤchternheit entgegen koͤmmt, die
hinter den Freuden lauert, und ſo immer wilder
und wilder im jauchzenden Schwunge, bis uns
Sinne und Athem ſtocken, die Welt ſich vor
unſern Augen in Millionen flimmernde Regen-
bogen zerſpaltet, und wir wie verbannte Geiſter
auf ſie von einem fernen Planeten herunterblik-
ken. Eine hohe bachantiſche Wuth entzuͤnde den
frechen Geiſt, daß er nie wieder in den Armſe-
ligkeiten der gewoͤhnlichen Welt einheimiſch werde!
3.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Warum ſchwaͤrmen Sie ſchon wieder in Nea-
pel herum und verlaſſen Ihren Freund? — Ich
mag nicht Ihr Begleiter ſeyn, weil ich Baldern
fuͤrchte, ſein Anblick und ſeine Art des Wahn-
ſinns ſchneiden durch mein Herz. Ich fuͤhle
mich hier in manchen Stunden auſſerordentlich
einſam, ich gehe aus, um Sie zu ſehen und ver-
geſſe, daß Sie nicht in Rom ſind. Ich habe
ſo eben einen Brief an meinen Freund Eduard
geſiegelt und die Thraͤnen ſtehen mir noch heiß
in den Augen; alles, was ich je empfand, kam
ungeſtuͤm, wie ein Waldſtrom in meine Seele
zuruͤck, ich unterdruͤckte dis Gefuͤhl, das immer
heftiger in mir emporquoll und ſchrieb endlich
in einer Angſt, die zur Wuth ward, ich trotzte
mir ſelber und ergab mich einer blinden Sucht
zu uͤbertreiben, mußte aber den Brief ploͤtzlich
abbrechen, weil die Thraͤnen endlich ihrer Feſ-
ſeln ledig wurden und ich laut ſchluchzend und
klagend in meinen Seſſel ſank. Wie aus den
Wolken ſchwindelte ich herunter, alles, was mich
aufrecht erhielt, verließ mich treulos; — der
Menſch iſt ein elendes Geſchoͤpf!
Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta-
ſie iſt jetzt von meinen Augen genommen, ich
habe mich uͤber meine Empfindungen belehrt, und
verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einſt
als ein Gott erſchien, — aber ach, Roſa, ich
wuͤnſche mir jetzt in manchen Stunden dis kin-
diſche Blendwerk zuruͤck. Was iſt aller Genuß
der Welt am Ende, und warum wollen wir die
Taͤuſchung nicht beibehalten, die uns auf jedem
Felſen einen Garten finden laͤßt? —
Und iſt denn meine jetzige Meinung nicht
vielleicht eben ſo wohl Taͤuſchung, als meine
vorhergehende? — Mir faͤllt es erſt jetzt ein,
daß beide Anſichten der Welt und ihrer Schaͤz-
ze einſeitig ſind und es ſeyn muͤſſen, — alles
liegt dunkel und raͤthſelhaft vor unſern Fuͤßen,
wer ſteht mir dafuͤr ein, daß ich nicht einen
weit groͤßeren Irrthum gegen einen kleineren
eingetauſcht habe?
Als ich mich ſo meiner vorigen Exiſtenz er-
innerte, als ich alle Scenen, die mich ſonſt ent-
zuͤckten, meinen Augen voruͤbergehen ließ, als
ich an die AnsſichtenAusſichten des Lebens dachte, wie ſie
damals vor mir lagen, — o Roſa, wie eine unter-
gehende Sonne beſchien mich der blaſſe Strahl,
ohne mich zu erwaͤrmen; es fiel eine ſeltſame,
raͤthſelhafte Ahndung meine ſchwankende Seele
an, — ich kann Ihnen meinen Zuſtand unmoͤg-
lich deutlich machen. — Mir war’s, als kaͤme
es wie eine goͤttliche Offenbarung auf mich her-
ab, es gingen die verſchloſſenen Thuͤren in mei-
nem Innerſten auf, und ich ſchaute in die ſelt-
ſame verworrene Werkſtatt meiner Seele. Wie
wuͤſt und ungeordnet lag alles umher, was ich
ſo ſchoͤn und zierlich aufgepackt glaubte, in al-
len Gedanken fand ich ungeheure Kluͤfte, die ich
aus trunknem Leichtſinn vorher uͤberſehen hatte,
das ganze Gebaͤude meiner Ideen fiel zuſammen,
und ich erſchrak vor der leeren Ebene, die ſich
durch mein Gehirn ausſtreckte. Nun ſtiegen al-
le Erinnerungen noch ſchoͤner und goldener in
mir auf, die Vergangenheit ſtand noch friſcher
und lebendiger vor mir, und ich ſah nur, wie
viel ich verloren hatte und konnte keinen Ge-
winn entdecken.
Iſt in jeglichem Lebenslaufe nicht vielleicht eine
ſchoͤne blumenreiche Stelle, aus der ſich ein Bach
ergießt, und dem Wanderer durch ſein ganzes
Daſeyn friſch und erquickend nachfolgt? Hier
muß er dann anfangen ſein Gluͤck zu gruͤnden;
Liebe, Freundſchaft und Wohlwollen wandeln in
dieſer ſchoͤnen Gegend, und warten nur darauf,
daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten.
Wenn nun der Menſch hindurchgeht und nicht
auf den Geſang der Voͤgel horcht, die ihn an-
rufen, daß er hier verweilen ſolle, — wenn er
wie ein nuͤchterner Traͤumer einen oͤden Pfad
ſucht, und der Quelle voruͤbergeht, — wenn ihm
Liebe und Freundſchaft, alle zarten Empfindun-
gen vergebens nachwinken, und er lieber nach
dem Gekraͤchze des heiſern Raben hinhorcht, —
ach, ſo verliert er ſich endlich in Wuͤſten von
Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; —
alles hinter ihm iſt zugefallen und er kann den
Ruͤckweg nicht entdecken; er erwacht endlich und
fuͤhlt die Einſamkeit um ſich her. — —
Lieber Roſa, was ſagen Sie zu dieſem Brie-
fe und zu Ihrem Freunde? — ſo weit hatte ich
geſchrieben, als ich unwillig die Feder nieder-
warf, und im rothen Abendſchein durch die
Straßen ging. Bald floß mein Blut ſchneller
durch meine Adern, als mir ſo manche von den
bekannten Geſichtern begegneten, als ich unſre
Donna Bianka an ihrem Fenſter ſah. Die
Einſamkeit, die engen Waͤnde ſind es, die uns
verdruͤßlich und melancholiſch machen; mit der
freieren Luft athmet der Menſch eine freiere
Seele ein, und fuͤhlt ſich wie der Adler, der
ſich mit regerem Fluͤgelſchlag uͤber die finſtern
Wolken hinaushebt. — Ich komme jetzt eben
von der ſchoͤnen Bianka zuruͤck, und mein
Brief iſt mir unverſtaͤndlich. Ich bin oft dar-
auf gefallen, daß man nur immer ſuchen ſollte,
recht viele Menſchen und ihre Gemuͤthsart und
Anſicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlie-
ren uns ſonſt gar zu leicht in klaͤgliche Traͤume-
reien: aber jedes neue Geſicht und jedes
fremde Wort eroͤfnet uns die Augen uͤber
unſre Irrthuͤmer. Ich kann oft einem ein-
faͤltigen Menſchen wie einem Orakel zuhoͤ-
ren, weil er mich durch ſeine Reden in einen
ganz neuen Geſichtspunkt ſtellt, weil ich mich ſo
in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich
meine eigene Gemuͤthsſtimmung vergleiche, daß
ich ſelbſt in ſeinem einfaͤltigſten Geſchwaͤtz einen
tiefen gedankenreichen Sinn entdecke. Bei Wei-
bern vorzuͤglich habe ich aus jedem geſproche-
nen Worte, ſelbſt aus dem unbedeutendſten etwas
gelernt.
Bianka laͤßt gruͤßen; ſie iſt ein liebenswuͤr-
diges Geſchoͤpf. Wir ſprachen heute lange dar-
uͤber, wie ich ſie zuerſt durch Sie haͤtte kennen
lernen; ich finde ſie jetzt noch ſchoͤner als da-
mals, ihr großes feuriges Auge hat einen Strahl
in ſeiner Gewalt, der bis ins Innerſte des Her-
zens dringt, ſie hat alle meine Sinne in Auf-
ruhr geſetzt, und ich habe ſie verlaſſen, auf die
ſchoͤnſte gluͤcklichſte Art beruhigt.
Ich werde von ihr und von Ihnen traͤumen;
antworten Sie mir bald.
4.
Roſa an William Lovell.
Neapel.
Ihr Brief hat mich ſehr amuͤſirt, lieber Freund;
er macht ſo ein wahres Gemaͤhlde des Menſchen
aus, daß ich ihn oft geleſen habe. — Vorzuͤg-
lich luſtig iſt die Schwermuth, mit der er an-
hebt; und der Uebergang aus dieſem Adagio
in das geſetzte und feſte Andante iſt ſo uͤberra-
ſchend und doch ſo natuͤrlich, daß mir alles ſo
deutlich war, als haͤtte ich es ſelbſt geſchrieben.
Ich denke, Sie werden noch oͤfter aͤhnliche Er-
fahrungen an ſich machen, und die Klagen wer-
den ſich, wenn Sie ſonſt wollen, eben ſo kalt
und philoſophiſch ſchließen, wie dieſer Brief es
thut. Es iſt leider eben ſo demuͤthigend als
wahr, daß bei Ihrer Melancholie nicht die phi-
loſophiſche, ſondern die mediciniſche Unterſu-
chung die richtigere war. Bianka hat ſie von ei-
ner Krankheit geheilt, die kein Weiſer, kein
Dichter, kein Spaziergang, kein Gemaͤhlde, kei-
ne Muſik heilen konnte.
Die klemmende unbekannte Sehnſucht, die
ſo oft den Buſen des Juͤnglings und des auf-
keimenden Maͤdchens zuſammenzieht, was iſt ſie
anders, als das Vorgefuͤhl der Liebe? Und was
iſt die Liebe mit allen ihren froͤhlichen Qualen
und ihren peinigenden Freuden weiter, als das
Draͤngen nach dem Genuſſe, dem Ziele, nach wel-
chem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen
Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in ſei-
ne Mutterſprache uͤberſetzte, ſeine langweiligen
Gedichte die luſtigſte Lektuͤr von der Welt ſeyn
muͤßten?
Gruͤßen Sie Bianka von mir und weihen
Sie ihr eine Ihrer feurigſten Oden, denn ſie
hat es um Sie verdient. Dieſe Maͤdchen ver-
dienen nicht nur mit dem Roſenkranze der Liebe,
ſondern auch mit der eichenlaubigen Buͤrgerkro-
ne geſchmuͤckt zu werden. Dante war gewiß
eben ſo enthaltſam, als Sie, ſonſt haͤtte er ſein
finſteres Gedicht nicht geſchrieben, an deſſen
Exiſtenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie
meinem Rathe, denn nur der Phlegmatiſche
wird nicht bei einer aͤhnlichen Art zu leben duͤ-
ſter und melancholiſch.
Ich ſehe die Gegenden um Neapel und die
Maͤdchen der Stadt mehr, als den finſtern Bal-
der, der wie eine Mumie in einer Katakombe
in ſeinem Zimmer liegt, und ſelbſt das Licht der
Sonne verachtet, weil es ihm ein Bild der
Froͤhlichkeit iſt. — Ich moͤchte, wenn ich ein
Dichter waͤre, nichts als lachende Satyren ſchrei-
ben, ohne Bitterkeit und ſchiefe Spitzen; wenn
man die Menſchen genauer anſieht, ſo giebt es
keinen, den man bemitleiden kann, ſie erſchuͤttern
nur das Zwergfell und die Thraͤnen ſind bei den
Menſchen nur eine andre Art zu lachen, eben ſo
wolluͤſtig, ohne traurig zu machen. Beides
Schwaͤche, aber liebenswuͤrdige Schwaͤche der
Muskeln, ein Krampf, ohne den die Geſichter
ganz ihre Mannichfaltigkeit verlieren wuͤrden.
Ihr Shakſpear hat nie ſo etwas wahres ge-
ſagt, als wenn er den Puck zum Oberon ſagen
laͤßt:
Lord, what fools these mortals be!
Leſen Sie die Stelle und den ganzen Zuſam-
menhang im ModMid summer — nights dream,
ſie iſt der beſte Kommentar uͤber meine Meinung.
5.
Balder an William Lovell.
Neapel.
Ich will Worte ſchreiben, William, Worte, —
das, was die Menſchen ſagen und denken, Freund-
ſchaft und Haß, Unſterblichkeit und Tod —
ſind auch nur Worte. — Wir leben jeder
einſam fuͤr ſich, und keiner vernimmt den an-
dern, antwortet aber wieder Zeichen aus ſich
heraus, die der Fragende eben ſo wenig ver-
ſteht; — aber ſo wie unſer ganzes Leben ein un-
nuͤtzes Treiben und Draͤngen iſt, das elendeſte
und veraͤchtlichſte Poſſenſpiel, ohne Sinn und
Bedeutung, ſo will ich Dir in einer ſchwermuͤ-
thig luſtigen Stimmung einen Brief ſchreiben,
uͤber den Du lachen ſollſt.
Ich weiß ſelbſt nicht, warum ich ſchreibe, —
aber eben ſo wenig weiß ich, warum ich Athem
ſchoͤpfe. — Es iſt alles nur um die Zeit aus-
zufuͤllen und etwas zu thun, die elende Sucht
das Leben mit ſogenannten Geſchaͤften auszufuͤl-
len, — Laͤnder erobern, Menſchen bekehren,
oder Seifenblaſen machen, eine Sucht, die bei
der Geburt unſerer Seele eingeimpft iſt, —
denn ſonſt wuͤrde ſchon der Knabe die Augen zu-
machen, ſich vom langweiligen Schauſpiel ent-
fernen und ſterben; dieſe Wuth alſo etwas zu
thun macht, daß ich Papier und Feder nehme
und Gedanken ſchreiben will, — das un-
ſinnigſte, was der Menſch ſich vorſetzen kann.
Ich wette Du lachſt ſchon jetzt, ſo wie ich
uͤber den Anfang meines Briefes gelacht habe,
daß mich die Bruſt ſchmerzt. — Du lieſeſt den
ganzen Brief nehmlich nur aus Dir heraus und
ich ſchreibe Dir im Grunde keinen Buchſtaben.
Aber mags ſeyn. Bin ich doch auch wohl ehe-
dem ein Thor geweſen, ganze Buͤcher mit Ver-
gnuͤgen durchzuleſen, und mir einzubilden, daß
ich den Geiſt des Verfaſſers dicht vor meinen
Augen habe. Mein Bedienter iſt gutwillig ge-
nug und ſo geſchaͤftig, mir Papier, Dinte, Fe-
der und alles uͤbrige zu beſorgen, als wenn von
dieſem meinem Schreiben das Heil ganzer Laͤn-
der abhinge. Daß es noch Menſchen giebt, die
das, was man Geſchaͤfte nennt, ernſthaft treiben
koͤnnen, iſt das wunderbarſte in der Welt: —
oder, ob ſie noch gar nicht darauf gefallen ſind,
ſich ſelbſt und andre naͤher zu betrachten, wie
laͤcherlich, poſſenhaft und weinerlich alles, alles,
ſelbſt Sterben und Verweſen iſt? —
Manche von den Menſchen, die mich beſu-
chen, geben ſich viele Muͤhe ſich zu meinem kran-
ken Verſtande herabzulaſſen, wenn ſie von ihren
wichtigen Armſeligkeiten ſprechen. Sie glau-
ben, ich verſtehe ſie nicht, wenn ich uͤber dem
duͤſtern Abgrunde meiner Seele bruͤte, und ſetzen
mir dann auf eine ekelhafte Art ihre Zwergge-
danken auseinander. Ich hoͤre ſie in meiner
Spannung zuweilen wie aus einer tiefen Ferne
in meine Seele hineinreden, wie ein unartiku-
lirter Waſſerfall, der gegen die Ufer ſchlaͤgt, ich
antworte ihnen mit Worten, ohne ſie zu uͤberle-
gen, und ſie verlaſſen mich mit tiefem Bedauern
und halten mich fuͤr hoͤchſt ungluͤckſelig, weil
ich ihre tiefen Ideen nicht verſtehe, wie ſie meinen.
Neulich war ich in einer Geſellſchaft von ei-
nigen Menſchen, die ſich untereinander Freunde
nannten. Es waren Kuͤnſtler, und zwei darun-
ter hielten ſich fuͤr Dichter. Man hatte mich
aus Mitleid gebeten, um mich zu zerſtreuen
und meinen truͤben Geiſt aufzuheitern. Ich ſaß
wie eine Statuͤe unter ihnen, und hoͤrte dabei
jedes Wort, das ſie ſprachen. Man machte ſich
gegen-
gegenſeitige Komplimente, einer ſprach von den
ungeheuern Talenten des andern, ließ aber da-
bei doch ſeinen Neid ziemlich deutlich hervor-
blicken. Der eine ſprach von ſeinen Idyllen,
die einer ſeiner Feinde in einer gelehrten Schrift
heruntergeſetzt habe, weil er ihm ſeinen großen
Ruhm beneide, er bat die andern Dichter eine
Satyre auf dieſe Zuruͤckſetzung zu ſchreiben, und
man ſprach mit einem Eifer und Feuer von der
ganzen Kinderei, als wenn das Wohl der Welt
darauf beruhe. Der Dichter ſprach immer lang-
ſam und accentuirte jedes Wort hart und feier-
lich; der andere bildete ſich wieder ein lebhafter
zu ſeyn, und ſchrie und ſprach ſchneller, jeder
hielt es fuͤr nothwendig, irgend etwas Charak-
teriſtiſches an ſich zu haben, damit nicht die
großen Seelen ſo leicht miteinander verwechſelt
wuͤrden. Ach das Brauſen von Muͤhlraͤdern iſt
verſtaͤndiger und angenehmer als das Klappern
der menſchlichen Kinnbacken, der Menſch ſteht
unter den Affen, eben deswegen, weil er die
Sprache hat, denn ſie iſt die klaͤglichſte und un-
ſinnigſte Spielerei; — mir gingen hundert wil-
de Gedanken mit harten Tritten durch den
Kopf, alle dieſe Menſchen wurden ploͤtzlich ſo
Lovell. 2. Bd. C
weit von mir weggeruͤckt, daß ich ſie nur noch
wie Larven in einem fernen Nebel daͤmmern
ſah, daß ich ihr Gekreiſch wie Sumſen von
Grillen hoͤrte, ich ſtand in einer fernen Welt
und gebot herrſchend uͤber die niedrigen Schwatz-
thiere, tief unter mir. — Ich ward begeiſtert
und ſtand prophetiſch auf und rief den Fleiſch-
maſſen zu: O ihr Armſeligen! — ihr Ver-
blendeten! — Merkt ihr denn nicht auf eure
Nichtigkeit und bedenkt nicht, was ihr ſeyd? —
Klumpen von todter Erde, die uͤber kurzem wie-
der in Staub verwehen; deren Andenken wie
Schatten von Wolken voruͤberfliegen, — euer
Leben faͤhrt wie ein Rauch dahin und euer
Ruhm iſt eine halbe Stunde, in der ein muͤſſiger
Schwaͤtzer von euch ſpricht und euch verachtet.
Und ihr ſteht, als wenuwenn ihr Erde und Himmel
beherrſchtet, du haͤltſt dich fuͤr Gott und beteſt
dich ſelber an, weil du jaͤmmerliche Verſe ge-
zimmert haſt! — Ihr werdet ſterben, ſter-
ben: — die Verweſung empfaͤngt euch und
fragt nicht nach eurem uͤberirdiſchen Genie!
Die Hunde wuͤhlen einſt eure Gebeine aus, und
fragen nicht darnach, ob daß derſelbe Kopf war,
der einſt Stanzen ſchrieb! — O Eitelkeit, du
nichtswuͤrdigſter Theil des Menſchen! — Thie-
re und Baͤume ſind in ihrer Unſchuld vereh-
rungswuͤrdiger, als die veraͤchtliche Sammlung
von Staub, die wir Menſch nennen!
Ich kann mich nicht erinnern, was ich ohn-
gefaͤhr weiter geſagt haben mag: aber ich ver-
achtete ſie ſo tief, daß ich ſie mit den Fuͤßen
haͤtte zertreten koͤnnen, daß ich es fuͤr eine
Wohlthat an ihnen ſelbſt hielt, ſie zu vernich-
ten. — Als ich zum gewoͤhnlichen Leben zu-
ruͤckkehrte, fand ich mich von ihren Armen feſt
gehalten, man hatte meine Wuth gefuͤrchtet und
man ſchafte den uͤberlaͤſtigen Redner nach Hauſe.
Koͤnnt’ ich nur Worte finden, um die Ver-
achtung zu bezeichnen, in der mir alles erſcheint,
was Menſch heißt! — Mein Arzt iſt ſehr fuͤr
meine Geſundheit beſorgt, weil es ſein Gewerbe
mit ſich bringt. Wenn ich nicht gern vom Wet-
ter mit ihm ſpreche, findet er meine Umſtaͤnde
bedenklicher, will es mich aber nie merken laſ-
ſen, daß er mich fuͤr wahnſinnig erklaͤrt. Er
giebt mir viele kuͤhlende Mittel nndund behandelt
mich wie eine todte Maſchine, ob er mir gleich
ſelber ſo erſcheint. Er ſchuͤttelt zu allen mei-
nen verwirrten Gedanken den Kopf, weil er ſie
C 2
nicht in ſeinen Buͤchern gefunden hat, und im
Grunde bin ich wahnſinnig, weil ich nicht dumm
und phlegmatiſch bin. Daß Gewohnheit und
Dummheit die Menſchen ſo wie ein dicker Ne-
bel umgeben kann, aus dem ſie nie herauszu-
ſchreiten vermoͤgen! Lag er nicht von Jugend
auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir
ſelbſt mit Armſeligkeiten verdeckte und mir log,
ich ſei froh? Kuͤndigte ſich nicht oft der innerſte
dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei-
genſinnig mein Ohr verſtopfte? — Ich verſtel-
le mich nicht mehr und bin wahnſinnig! —
Wie vernuͤnftig die Menſchen doch ſind!
O ich muß fort, fort, ich will in wilden
Waͤldern die Seelen ſuchen, die mich mehr ver-
ſtehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir ſym-
pathiſiren: es iſt nur nicht Mode ſo zu denken,
wie ich, weil es nicht eintraͤglich iſt.
Ich ſpiele mit den Menſchen, die zu mir
kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir
neulich die Muͤhe, mich zu dem dummen Ge-
ſchwaͤtze meines Arztes herunter zu laſſen; wir
ſprachen uͤber Stadtneuigkeiten, uͤber Anekdo-
ten, die er ungemein laͤcherlich fand; ich lieh
ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er
fand, daß ich mich ungemein beſſere. Mit Selbſt-
zufriedenheit verließ er mich und ich konnt’ es
nicht unterlaſſen, ihm nach unſrer feierlichen
Unterhaltung ein ſo lautes Gelaͤchter nachzu-
ſchicken, daß er ſich erblaſſend umſah und wie-
der alle Hofnung verloren gab.
Ich habe ehedem einen Menſchen gekannt,
der taub, ſtumm und blind war. Keine Seele
ſchien ſich in ihm zu offenbaren, und er war
vielleicht der Weiſeſte unter den Sterblichen.
Roſa haͤlt ſich fuͤr ſehr klug und ſieht mich
immer mit Mitleid an, und ich moͤchte nicht
er ſeyn; ein Narr, den jeder Blick eines Maͤd-
chens entzuͤckt, der immer, wenn er ſpricht, Epi-
gramme drechſelt und ſeine Worte nur fuͤr ein
dankbares Laͤcheln verkauft; deſſen Lebenslauf
kleine Zirkel ſind, die er unaufhoͤrlich von neuem
durchlaͤuft. Wenn er ſtirbt, wird ihm die
Schaam gewiß am meiſten weh thun, daß er
ordentlich verweſen muß.
Ich wohne jetzt in meinem Garten vor dem
Thore. Wie auf der See treiben meine Ge-
danken ungeſtuͤm hin und wieder, ich fuͤrchte
mich vor dem blauen gewoͤlbten Himmel uͤber
mir, der dort gebogen wie ein Schild uͤber der
Erde ſteht, unter welchem wir Gewuͤrme wie
gefangene Muͤcken ſumſen und nichts ſehen und
nichts kennen und fuͤhlen. — Ich mag auch
gar nichts mehr denken und erſinnen. — Es
geht ein Sturm durch die Woͤlbung und die
fernen Waͤlder zittern rauſchend, die See fuͤrch-
tet ſich und murmelt leiſe und verdroſſen, es
donnert fern ab im Himmel, als wenn ein Ge-
witter zurecht gelegt wird, und der Werkmeiſter
unachtſam den Donner zu fruͤh aus der Hand
fallen laͤßt. — —
Ich ſchreibe beim heftigſten Gewitter. — Es
brauſt mit Hagel und Regenguͤſſen und der
Sturmwind und Donner ſtimmen ſich, und einer
ſingt dem andern den tobenden Wechſelgeſang
nach. Wie fliehende Heere jagen Wolken Wol-
ken, und die Sonne flimmert bleich auf fernen
Bergen, die ganz weit weg wie goldene Kinder-
jahre in der Sturmfinſterniß daſtehen; das Meer
ſchlaͤgt hohe Wogen und donnert in ſeinem ei-
genthuͤmlichen Ton. — Ich lache und wuͤnſche
das Wetter immer lauter und lauter, und ſchreie
dazwiſchen und ſchelte den Donner furchtſam —
brauſe und ſtuͤrme wirbelnd, und reibereiße die Er-
de und ihre Gebilde zuſammen, damit ein an-
dres Geſchlecht aus ihren Ruinen hervorgehe!! —
Die Alltaͤglichkeit koͤmmt wieder und das
Wetter fliegt weiter. Wie eine reiſende Komoͤ-
diantentruppe ſpielen die Wolken in einer an-
dern Gegend nun daſſelbe Schauſpiel, dort zit-
tern andre Menſchen jetzt, wie vor kurzem hier
viele bebten, — und alles verfliegt und ver-
ſchwindet und kehrt wieder, ohne Abſicht und
Zuſammenhang. —
Ich fuͤrchte mich des Nachts nicht mehr. —
Als ich neulich allein um Mitternacht in mei-
nem Zimmer ſtand und aus dem Fenſter den
Zug der truͤben Wolken ſah, und mir alles wie
Menſchengedanken und Empfindungen am Him-
mel dahinzog, als ich ſichtbarlich in Dunſtgeſtalt
manche Erinnerung vor mir fliegen ſah, — und
ich zu ruhen und zu ſterben wuͤnſchte, — da
drehte ich mich ploͤtzlich leiſe um, wie wenn mich
ein Wind anders ſtellte. Und alle meine Vor-
fahren ſaßen, ſtill und in Maͤnteln eingehuͤllt
an meinem Tiſche, ſie bemerkten mich nicht und
aßen mit den nackten Gebiſſen von den Speiſen,
heimlich reckten ſie die duͤrren Todtenarme aus
den ſchwarzen Gewaͤndern hervor, um kein Ge-
raͤuſch zu machen und nickten gegenſeitig mit
den Schaͤdeln. Ich kannte ſie alle, aber ich weiß
nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte
und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vie-
len Verdruß ich ihm gemacht haͤtte, mußte ich
weinen, daß er jetzt ſo abgehaͤrmt und jaͤmmer-
lich ausſah, und verſchaͤmt das nackte Gerippe
mehr verdeckte als die andern. Sie hoͤrten mich
ſchluchzen und gingen ſtill wie mit boͤſem Ge-
wiſſen zur Thuͤr hinaus, aber doch ſo langſam
und geſetzt, daß ſie glauben mußten, ich haͤtte
ſie nicht bemerkt. — Wenn wir ohne Schau-
der unter unſern Moͤbeln ſitzen, warum wollen
wir uns denn vor Todtengerippen fuͤrchten? —
Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten ſich die
Menſchen Putz heraus, und entſetzen ſich vor
den naͤher verwandten Knochen.
Ich durchſtrich noch in derſelben Mitternacht
das todte Gefilde, und rief alle Geſpenſter her-
bei und gab ihnen Gewalt uͤber mich. Ich rief
es in alle Winde, aber ich ward nicht gehoͤrt. —
Die Klocken ſchlugen aus der Ferne und ſpra-
chen ſo langſam und feierlich wie betende Prie-
ſter, Waͤlder und Winde ſangen Grabgeſang,
und prophezeiten allem, was da lebt, den unaus-
bleiblichen Tod, aber alle Geſchoͤpfe ſchliefen feſt
und hoͤrten nichts davon, der Mond ſah weinend
in die verſchleierte Welt hinein; — es giebt
nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht
mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle
Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni-
ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur
ſehr wenige Toͤne.
Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich
iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen,
weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich
weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. — Ich habe
ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen
und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen-
ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln.
Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt,
noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun-
gen geantwortet: — es iſt graͤßlich, nichts mehr
zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, —
ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen
und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr-
zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.
6.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Die kleinen Bitterkeiten in Ihrem Briefe ha-
be ich recht gut verſtanden, und ich gebe zu,
daß Sie im Ganzen Recht haben moͤgen. Der
Scherz eines Freundes kann auf keine Weiſe
beleidigen.
Balder hat mitten in den Ausbruͤchen ſeines
Wahnſinns einen Brief an mich geſchrieben, in
dem mir manche Ideen dunkel ſind, er iſt ent-
weder ſeiner Heilung nahe, oder gefaͤhrlicher
krank, als je. Was ich in ſeinem Briefe ver-
ſtanden habe, hat mich betruͤbt. Laſſen Sie doch
ja etwas Acht auf ihn geben, er ſcheint die
Idee zu haben, ſich von Neapel zu entfernen.
Er gewinnt freilich wenig, wenn man ihm das
Leben erhaͤlt, — aber es ſollte mir leid um ihn
thun, wenn er ganz zu Grunde ginge. —
7.
Roſa an William Lovell.
Neapel.
Ihr Rath, lieber Freund, iſt zu ſpaͤt gekom-
men, Balder iſt fort, Niemand weiß wohin.
Ob er entflohen iſt, ob er ſich ermordet hat, al-
les iſt ungewiß. — Ich weiß nicht, ob Sie
ſich noch ſo wie ehemals fuͤr ihn intereſſiren;
wenn dis der Fall waͤre, ſo wuͤrde mir dieſe
Entfernung Ihrentwegen ſehr ſchmerzhaft ſeyn.
Er iſt in den letzten Tagen zuweilen bis auf die
hoͤchſte Stufe der Raſerei gekommen, in einer
Geſellſchaft von Fremden hat er neulich alle
mit den veraͤchtlichſten Reden beſchimpft, ge-
ſchaͤndet und endlich bewußtlos mit dem Meſſer
nach ihnen geſtochen. — Er iſt zu beklagen,
ſein Tod waͤre Gewinn fuͤr ihn. — Gruͤßen Sie
Bianka und Ihre uͤbrigen ſchoͤnen Freundinnen
von mir, nur keine von den ſproͤden Tugendhaf-
ten, die uns ſo oft zur Laſt gefallen ſind. — Le-
ben Sie recht wohl und vergeſſen Sie Balder.
8.
Karl Willmont an ſeinen Freund
Mortimer.
Bonſtreet.
Du wunderſt Dich gewiß uͤber dieſen Brief,
beſonders wenn Du bemerkſt, von wo aus er
datirt iſt. Wundre ich mich doch ſelbſt daruͤ-
ber, ich kann es Dir alſo nicht uͤbel nehmen.
Du haſt mich nun gewiß ſpaͤteſtens in dieſen
Tagen in London vermuthet, und ich ſelbſt war
feſt uͤberzeugt, daß ich morgen dort ſeyn wuͤrde,
und nun ſitz’ ich ploͤtzlich hier auf Burtons
Gut und fange einen Brief an Dich an, der
eine Entſchuldigung, Erzaͤhlung, wie es gekom-
men, und das Verſprechen, daß Du mich nun
eheſtens ſehen wirſt, enthalten ſoll.
Die Entſchuldigung, Mortimer, magſt Du
mir erlaſſen. — In Glasgow ſaß ich wochen-
lang in dem Hauſe eines alten Onkels, ohne zu
wiſſen, wie ich die Zeit hinbringen ſollte. —
Wie wir uns gewundert haben! Ich dachte un-
aufhoͤrlich an Emilien und an die Zukunft. Man
wollte mich gern luſtig haben, aber ich hatte al-
le Elektricitaͤt verlohren, und war dumm und
gefuͤhllos; ſelbſt der Wein konnte nur auf
einzelne Minuten meine frohe Laune zuruͤck-
bringen.
Langeweile iſt gewiß die Qual der Hoͤlle,
denn bis jetzt habe ich keine groͤßere kennen ge-
lernt; die Schmerzen des Koͤrpers und der See-
le beſchaͤftigen doch den Geiſt, der Ungluͤckliche
bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und
unter dem Gewuͤhl ſtuͤrmender Ideen verfliegen
die Stunden ſchnell und unbemerkt: aber ſo wie
ich daſitzen und die Naͤgel betrachten, im Zim-
mer auf und niedergehn, um ſich wieder hinzu-
ſetzen, die Augenbraunen reiben, um ſich auf ir-
gend etwas zu beſinnen, man weiß ſelbſt nicht
worauf; dann wieder einmal aus dem Fenſter zu
ſehen, um ſich nachher zur Abwechſelung aufs
Sopha werfen zu koͤnnen, — ach Mortimer,
nenne mir eine Pein, die dieſem Krebſe gleich
kaͤme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und
wo man Minute vor Minute mißt, wo die Ta-
ge ſo lang und der Stunden ſo viel ſind, und
man dann doch nach einem Monate uͤberraſcht
ausruft: Mein Gott, wie fluͤchtig iſt die Zeit!
Wo ſind denn dieſe vier Wochen geblieben?
Oft aͤrgerte ich mich, daß ich noch in Schott-
land war, und machte doch nicht die kleinſten
Anſtalten zur Abreiſe, ich fuͤhrte mit meinen
Verwandten das elendeſte und platteſte Leben
von der Welt; ein Viehverkaͤufer genießt es
auf eine geſundere Art, ja ein Menſch, der mit
einem armſeligen Schattenſpiel von einem Dor-
fe zum andern wandert und in jedem ſeine elen-
den Spaͤße wiederholt, beſchaͤftigt ſich geiſtrei-
cher, als ich in dieſer ganzen unermeßlichen lan-
gen Zeit gethan habe. Mein Blut war ſo traͤ-
ge und phlegmatiſch, daß ich manchmal meine
Finger gegen die Tiſchecke ſchlug, um mir nur
Schmerz zu machen, mich zu aͤrgern und zu er-
hitzen, denn nichts iſt niedriger, als wenn in der
Sanduhr unſers Koͤrpers ſo recht gemach ein
Tropfen nach dem andern langſam und zoͤgernd
unſer Leben abmißt, je mehr die Stroͤme des
Bluts durcheinander rauſchen, und freilich die
Maſchine etwas mehr abnutzen, um ſo heller und
deutlicher lebt der Menſch. — Ich wuͤnſche
oft in Glasgow mit Sehnſucht, daß ein Gezaͤnk
oder Schlaͤgerei auf der Gaſſe vorfallen moͤgte,
damit ich nur etwas haͤtte, wofuͤr ich mich in-
tereſſiren koͤnnte, es ward mir am Ende wichtig,
wenn der dicke Mann im benachbarten Hauſe
einen andern Rock als gewoͤhnlich trug. Ich
ſchaͤme mich noch jetzt dieſes Lebens, ſo qualvoll
und langſam, ſo ſchleichend und doch ſo ohne
Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ih-
ren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren
hat, und es im heißen Sonnenſchein wiederſucht.
Endlich dacht ich an Dich und an London,
an die Zerſtreuungen dort, an alle die philoſophi-
ſchen Geſpraͤche, die wir miteinander fuͤhren
koͤnnten: ich unterdruͤckte es gewaltſam, wenn
mir auch dieſe Ausſicht manchmal langweilig
vorkommen wollte. Ich entſchloß mich kurz,
nahm von allen meinen Freunden und Bekann-
ten zaͤrtlichen Abſchied, ſetzte mich zu Pferde,
und ritt mit friſchem Leben erfuͤllt davon.
Mein Herz ſchlug immer gewaltiger, je mehr
Meilen ich auf Engliſchem Boden zuruͤcklegte.
Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weni-
ger! und beſchloß dicht vor Bonſtreet voruͤber-
zureiten, aber ja niemand da zu beſuchen, es
koͤnne doch von ohngefaͤhr ſeyn, daß ich Emilien
durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar
keinen Plan, wie ich mich nehmen wuͤrde, wenn
dis der Fall ſeyn wuͤrde, denn ich handle ſehr
gern aus dem Stegereif und habe mich von je-
her beſſer dabei befunden, denn meine duͤmmſten
Streiche waren immer die, die aus einem weit-
laͤuftigen recht vernuͤnftigen Plan entſtanden.
Ich ritt ſo in Gedanken vertieft hin und naͤ-
herte mich dem Landhauſe Burtons fruͤher als
ich geglaubt hatte. Ein junger Menſch zu Fuß
fragt mich ploͤtzlich, wo der Weg nach Bon-
ſtreet gehe, er ſei bis zur naͤchſten Stadt ge-
fahren und habe ſich nun verirrt. Ich fuͤhrte
ihn auf den Weg und ritt gedankenvoll neben
ihm hin. Warum ſollt’ ich nicht den jungen
Burton auf einen halben Tag beſuchen duͤrfen?
ſagt’ ich zu mir ſelbſt. Am Ende ſieht mich
ſelbſt der Vater gern. Und koͤnnte mich nicht
jemand von ohngefaͤhr durch das Dorf reiten
ſehn, Emilie es erfahren und fuͤr die groͤßte
Gleichguͤltigkeit auslegen? — Ich koͤnnte uͤber-
dis zum Lord ſagen, daß ich deßwegen einen klei-
nen Umweg genommen haͤtte, um den Bothen,
der ihn ſprechen wollte, gewiß und ſicher nach
Bonſtreet zu bringen. — Ach ich hatte noch
hundert andre Vorſtellungen, tauſend Stimmen
in mir, die alle laut riefen: ich ſolle und muͤſſe
im Schloſſe abſteigen! — Ich gehorchte, denn
was
was thut man nicht alles, um nur eines ſolchen
Laͤrmens los zu werden?
Ich ſprach den jungen Burton, den Vater
und Emilien. — Sie iſt doch ſehr ſchoͤn, und
ſo gut, ſo liebenswuͤrdig! Iſt es hier Suͤnde,
wenn man wuͤnſcht? — Alle Federn meines
Weſens haben neue Spannkraft erhalten, ich
denke mit Schrecken an meinen Aufenthalt
in Schottland. Hier leb’ ich doch, noch hab’
ich nicht ein einzigmal gegaͤhnt; die Stunden
verfliegen mir wie Minuten, und ich erobre ein
Laͤcheln, einen freundlichen Blick nach dem an-
dern von Emilien! — O heiliger Lovell, ſtehe
mir in meiner Liebe bei! — Eduard hat mir
ſeltſame Sachen von ihm erzaͤhlt, er muß ſich
ſehr geaͤndert haben; indeß ich gebe auf dieſe
Aenderungen nicht viel, je mehr er auf der an-
dern Seite uͤbertreibt, um ſo eher kann er zu
derſelben Narrheit zuruͤck kommen, in der er
ehmals zu Hauſe war. — Ich kann mir aber
jetzt ſeinen ehmaligen Zuſtand recht lebhaft den-
ken, ich habe ihm damals doch etwas Unrecht
gethan.
Emilie ſcheint ſehr auf ſich Acht zu geben;
ich kann manchmal nicht klug daraus werden,
Lovell. 2r Bd. D
ob dieſe Kaͤlte und Zuruͤckgezogenheit erzwungen
oder natuͤrlich iſt.
Schreibe mir ja, denn ſonſt habe ich noch
einen Vorwand laͤnger hier zu bleiben, als ich
ſollte, weil ich dann noch auf Deinen Brief
warten wuͤrde. — EdnardEduard laͤßt Dich gruͤßen;
er iſt ein vortrefflicher, herzensguter Menſch, und
der Vater iſt wieder ganz freundlich gegen mich
und dann wieder ploͤtzlich fremde, abwechſelnd
wie Herbſtwetter; ich habe ſchon dieſe Geſichter
bei mehreren reichen Leuten gefunden, ſie ſetzen
mich leicht in Verlegenheit. — Lebe wohl und
antworte bald.
9.
Mortimer an ſeinen Freund Karl
Willmont.
London.
Wenn du noch nicht bald des ſeltſamen Her-
umtreibens uͤberdruͤßig biſt, ſo weiß ich nicht,
was ich von Dir denken ſoll. Ich habe Dich
ſchon ſehnlich erwartet, ſo ſehr, daß ich es erſt
jetzt erfahren habe, wie ſehr Du mein Freund
biſt. Ich kann nichts rechts thun und denken,
weil ich noch immer Deine Ankunft als einen
Abſchnitt anſehe, hinter welchem mein Leben
von neuem beginnen ſoll. Oft iſt es mir ſelt-
ſam, daß Du nach einer ſo langen Entfernung
nun wieder da ſeyn ſollſt; ich bin Dir ſchon vor
dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans
Fenſter, wenn ich den Trab eines Pferdes hoͤre.
Tauſend Ideen moͤcht’ ich Dir gern mittheilen
und Deine Meinung erfahren.
William Lovell iſt ſich ſelbſt kaum mehr aͤhn-
lich, und es iſt wuͤrklich ſeltſam, wenn man be-
denkt, daß ein Menſch nichts Fremdartiges in
ſich hineinnehmen kann, und daß dieſer Leicht-
D 2
ſinn, dieſe epikuriſche Freigeiſterei ſchon damals
in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kann-
ten. —
Manches ſtimmt mich oft recht melancholiſch,
ſo unrecht es auch ſeyn mag, wenn man es iſt:
der alte Melun iſt in Paris an einer Auszeh-
rung geſtorben, die Comteſſe mit ihrem Liebha-
ber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß ſo
viele von den Leuten, die ich gekannt habe, ſchon
begraben ſind! daß ſich ſchon ſo manche dem Ver-
derben in die Arme geworfen haben!
Was iſt es uͤberhaupt fuͤr ein armſeeliges
Ding um das, was man gewoͤhnlich Ausbil-
dung nennt. In den meiſten Faͤllen iſt es nur
Veraͤnderung. Wie weiſe habe ich mich ſo
oft in meinem zwanzigſten Jahre gefuͤhlt, daß
ich mich uͤber manche Narrheiten des Menſchen-
geſchlechts erhaben fuͤhlte: und jetzt ruͤcken mir
manche der Thorheiten ſo nahe, daß ſie ſich,
wenn das Verhaͤltniß ſo fortſchreitet, bald mit
meinem innerſten Selbſt vereinigen werden.
Du wirſt bemerken, daß ich hier vorzuͤglich
von meiner Liebe zu Amalien ſpreche. Eine
Liebe, die vielleicht noch gluͤhender iſt, als die,
mit der Lovell ſie einſt begluͤckte. Er hat ſie
vergeſſen, und fuͤhlt ſich groͤßer; ich habe meine
Unempfindlichkeit abgelegt, und fuͤhle mich edler.
Sie iſt mir weit ergebener als ehemals, aber es
thut mir ſehr leid, daß ſie fuͤr meinen Verſtand
Achtung, eine viel zu uͤbertriebene Achtung em-
pfindet. Alle Gefuͤhle, die ich ihr zeige, haͤlt
ſie nur fuͤr Spiele meines Witzes, und ſie
behaͤlt ſich daher beſtaͤndig in ihrer Gewalt. Auch
ſie hat den leichtſinnigen William etwas mehr
vergeſſen; nur ſeh’ ich, wie zuweilen die alten
Erinnerungen in ihrer Seele wieder aufwachen,
und ſie dann meinen Umgang ploͤtzlich fade und
abgeſchmackt findet.
Die Seelen ſind viel werth, die ſich noch
nicht ganz der Mode und der ſogenannten Le-
bensart zum Opfer gebracht haben. Sie ſind
ſehr ſelten, und man ſollte ſie darum koͤſtlich
achten.
Gruͤße Eduard Burton und komme bald nach
London.
10.
Der Lord Burton an den Advokaten
Jackſon.
Bonſtreet.
Ich bin Ew. Wohledlen fuͤr die Nachrichten,
die mir Dieſelben durch den jungen Fenton ha-
ben zukommen laſſen, außerordentlich verbunden.
Ich freue mich uͤber den Eifer und uͤber die Thaͤ-
tigkeit, mit welchem Sie unaufhoͤrlich zu mei-
nem Beſten beſchaͤftigt ſind, ich gebe Ihnen von
neuem die Verſicherung meiner ewigen unveraͤn-
derlichen Dankbarkeit. Ich bin uͤberzeugt, daß
Ihre Bemuͤhungen nun bald ſichtbarere Folgen
haben werden, die bis jetzt ein unguͤnſtiger Zu-
fall immer noch zuruͤckgehalten hat. Eilen Sie
aber, damit meine Hoffnungen nicht immer nur
Hoffnungen bleiben, damit ich endlich aufhoͤre,
mit jedem Tage wieder meinen Genuß auf viele
Tage aufzuſchieben. Ich bin alt, und nicht
mehr ſo fuͤr Hoffnungen gemacht, wie der juͤn-
gere Mann, die Unentſchiedenheit aͤngſtigt mich,
und je gewiſſer ich meiner Sache zu ſeyn glau-
be, um ſo mehr Einwuͤrfe und Zweifel fallen
mir wieder ein: alles dies beſchaͤftigt meine
Seele zu ſehr, und macht ſie unruhig. Das
Alter kann dieſe Wogen nicht ſo leicht in Ruhe
legen, als es der Juͤngling kann. Vor zwanzig
Jahren wuͤrde mich dieſer Prozeß beſchaͤftigt und
zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich
nur in dem entſcheidenden Moment einen freu-
digen Moment erblicken. Sie ſehen, wie feſt
ich darauf vertraue, daß ſich alles zu meinem
Vortheile entſcheiden wird, aber Sie ſehn auch
zugleich, wie noͤthig es iſt, daß Sie meinen
Beſorgniſſen ſo fruͤh als moͤglich ein Ziel ſetzen.
Denn ich finde es ſehr natuͤrlich und billig, daß
Sie in Ihrer Lage durch Aufſchub und Verlaͤn-
gerung meine Dankbarkeit verlaͤngern und meine
Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben,
daß ich jetzt in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit von
Ihnen exiſtire, bey der Sie unvermerkt einen
Theil meiner Schwaͤchen nach dem andern fuͤr
ſich erobern koͤnnen. Ich finde an dieſer Klug-
heit nichts zu tadeln, ſondern ſie iſt lobenswuͤr-
dig, und der iſt ein Thor, der in dem verwor-
renen Wechſel des Lebens nicht die wiederkeh-
rende Fluth geſchickt benutzt, um ſein Fahrzeug
flott zu machen. Sie ſehen, wie ſehr ich Ih-
ren Verſtand ſchaͤtze; nur muß ich Ihnen ſagen,
daß Ihre Klugheit bey mir unnuͤtz iſt, der ich
mich Ihnen außerordentlich verbunden erkenne,
wenn der Prozeß auch morgen geendigt iſt, und
der ich Sie grade eben ſo belohnen wuͤrde, als
wenn das Endurtheil noch einige Jahre hindurch
von einem Tage zum andern aufgeſchoben wuͤrde.
Sie koͤnnen auf die Art alle Intereſſen, die Sie
gewinnen wollen, auf eine weit ſchnellere und
entſchiedenere Art zuſammenziehn, als wenn Sie
auf ein langweiliges Sparen ausgingen das am
Ende denn doch ungewiß ſeyn duͤrfte. Fuͤr Ihre
Sorgfalt mir den jungen Fenton zu ſchicken,
muß ich Ihnen Dank ſagen; nur geſtehe ich
Ihnen zugleich, daß ich die Nothwendigkeit die-
ſer Abgeſandſchaft nicht eingeſehen habe. Durf-
ten Sie alle dieſe nicht außerordentlich bedeu-
tende Nachrichten keiner Poſt vertrauen? In
dieſem Falle treiben Sie die Beſorglichkeit zu
weit, und kein Mann handelt gut und richtig,
wenn er aͤngſtlich handelt. Sie duͤrfen alſo nur
kuͤnftig dreiſter verfahren, und nicht einen Mit-
wiſſer unſers Geheimniſſes erſchaffen, der uns
beiden auf jeden Fall zur Laſt faͤllt. Wenigſtens
kommt es meinem Verſtande ſo vor, und ich
denke, auch Sie werden mir darin vollkommen
recht geben, denn jeder andre, als ich, wuͤrde
dadurch in Ihrer Hand ſtehn, und einem ſo
billigen Manne, wie Sie, muß es weh thun,
wenn man auch nur auf einen Augenblick einen
ſolchen Gedanken von ihm hegen koͤnnte. Ich
wuͤrde mich aber auf keinen Fall abhalten laſ-
ſen, ſo zu handeln, wie ich mir zu handeln
vorgeſetzt habe. Ich habe ſchon oft mit meinen
Freunden uͤber den Satz geſtritten, daß es ſo
gut wie unmoͤglich ſey, einem Manne, dem ſeine
Plane ernſt ſind, das Kleinſte oder das Groͤßte
in den Weg zu legen, das er nicht wieder fort-
ſchaffen, oder ſelbſt zu ſeinem Vortheile brauchen
koͤnnte. Ich habe ſchon manchen meiner Ver-
folger mit ſeinen eigenen Waffen geſchlagen,
denn nichts iſt dem Manne von Kopf unertraͤg-
licher, als zu ſehn, wie jeder nach den Faͤden
greifen will, an denen er regiert wird, ich halte
es nicht fuͤr unmoͤglich, ſie alle durchzuſchnei-
den, ſo daß dann der Menſch frey und unge-
hindert ſeinen Weg fortgeht. Ew. Wohledlen
ſind mir auch noch den letzten meiner Briefe
ſchuldig, den Sie mir nach unſerm Ueberein-
kommen ſogleich haͤtten zuruͤckſchicken ſollen. Sie
verzeihen, daß ich Sie an dieſe Zerſtreuung er-
innert habe, eben ſo, daß ich Ihnen mit ei-
nem ſo weitlaͤuftigen Briefe zur Laſt gefallen bin.
Die Zeit eines jeden Geſchaͤfftmannes iſt edel und
faſt unbezahlbar, ich bitte um Vergebung, wenn
ich Ihre beſſere Gedanken mit meinen ſchlech-
tern unterbrochen habe; ſollte ich aber ſo gluͤck-
lich geweſen ſeyn, Ihren Eifer von neuem zur
Beſchleunigung des Prozeſſes etwas anzufeuren,
ſo haben wir beide bei dieſem kleinen Stillſtan-
de gewonnen, und in dieſer Hoffnung bin ich
Ihr
Goͤnner und Freund
Lord Burton.
11.
Roſa an Andrea Coſimo.
Rom.
Deine Meinung iſt auch vollkommen die mei-
nige. So ſonderbar das klingen mag, wenn
ein junger Menſch dies einem alten Manne ſagt,
ſo iſt es mir doch wahrſcheinlich, daß ich hierin
recht habe. Es iſt ſchwer, ſich in den Stand-
punkt zu ſtellen, aus welchem ein Greis die
Welt anſieht, allein gewiß nicht unmoͤglich. Ich
finde es ſo wahr, was Du in Deinem neulichen
Brief ſagſt, es iſt ſo ſchwer und wieder ſo
leicht, die Seelen der Menſchen zu beherrſchen,
wenn man nur etwas die Faͤhigkeit beſitzt, ſich
in die Geſinnungen anderer zu verſetzen, ihre
Verſchiedenheiten zu bemerken, und dann Faſ-
ſung und Gleichmuͤthigkeit genug zu behalten,
um in keinem Augenblicke ihnen ſein eignes
Selbſt darzuſtellen. So wie die Sprache nur
in konventionellen Zeichen beſteht, und jeder-
mann doch mit dem andern ſpricht, ob er gleich
recht gut weiß, daß jener durch ſeine Worte
vielleicht keinen Begriff ſo bekoͤmmt, wie er
es wuͤnſche: eben ſo ſollte aller unſer Umgang
beſchaffen ſeyn. Ich ſpreche mit dem Franzoſen
franzoͤſiſch und mit dem Italiaͤner ſeine Mutter-
ſprache; eben ſo rede ich mit jedermann nur die
Meinungen, die er verſteht, das heißt, die ich
ihm zutraue, ich ſuche mich ſelbſt ihm niemahls
aufzudraͤngen, ſondern ich locke ſeine Seele all-
gemach uͤber ſeine Lippen, und gebe ihm ſeine
eigne Worte anders gewandt in’s Ohr zuruͤck.
Welche Geſinnungen ſtehen dann in uns ſo feſt
und hell, um ſie fremden Gemuͤthern aufzudraͤn-
gen? Und wenn es der Fall ſeyn koͤnnte, wo
finde ich Bruͤcken, um ſie nach fremden Ufern
hinuͤberzuſchlagen? welchen Haken ſoll der Geiſt
auswerfen, um mit einer fremden Seele zu en-
tern? —
So ging ich lange Zeit mit Lovell um, ohne
daß er es wußte, ich ſprach mich ganz in ihn
hinuͤber, und er erſtaunte nicht wenig uͤber die
Sympathie unſrer Seelen, und traute mir nun
jeden ſeiner fluͤchtigſten Gedanken, jede ſeiner
ſeltſamen Empfindungen zu. Diejenigen, die er
nicht bey mir wahrzunehmen glaubte, hielt er
bald von ſelbſt fuͤr unreif und thoͤrigt, dagegen
fing er emſig einen hingeworfenen Wink von
mir auf, und dachte lange uͤber den darin lie-
genden Sinn. In kurzer Zeit taͤuſchte er ſich
ſelbſt ſo, daß er unſre Seelen fuͤr verſchwiſtert
hielt, nur daß ihm die meinige einige Jahre
voraus ſey.
Nichts iſt dem Menſchen ſo natuͤrlich, als
Nachahmungsſucht. Lovell ward in einigen Mo-
nathen eine bloße Kopie nach mir. Jeder Aus-
ſpruch, jedes Wort, das wir fuͤr klug nehmen,
ruͤckt an der Form unſrer Seele, und ſo hat
ſich Lovell ganz von ſelbſt die Philoſophie er-
ſchaffen, die ich gern fuͤr ihn bilden wollte. Er
iſt feurig und lebhaft, daher iſt es ihm nicht
moͤglich, ſo wie viele Menſchen thun, unent-
ſchieden zwiſchen zwey Meinungen zu ſtehn, und
ſich im Schwanken fuͤr keine zu intereſſiren.
Was er fuͤr Wahrheit nimmt, ergreift er mit
einem Eifer, wie der andaͤchtige Enthuſiaſt die
Bildſaͤule der Madonne umfaͤngt. Er verachtet
jetzt tief alle Meinungen, die ſeinen jetzigen wi-
derſprechen, und die beſte Art allen Ruͤckfaͤllen
vorzubeugen, ſcheint mir die, ihn mit allen moͤg-
lichen Einwuͤrfen ſelber bekannt zu machen; nur
ſtelle ich immer die guten und ſchlechten Ideen
ganz neben einander, und indem er dieſe uͤber-
ſieht, erſcheinen ihm auch jene geringfuͤgiger:
oder wenn wir zuweilen uͤber Gedanken und
Charaktere unintereſſanter oder ſtupider Men-
ſchen ſprechen, lege ich dieſen alles in den Mund,
was ihn vielleicht in manchen einſamen Stun-
den beunruhigen moͤchte. So kann ihn keine
Idee uͤberraſchen, und ſeine fruͤhern Gefuͤhle
ſtehn in einer zu großen Entfernung, als daß
ſie ihn wieder erreichen koͤnnten.
Die Eitelkeit iſt gewiß das Seil, an wel-
chem die Menſchen am leichteſten zu regieren
ſind; ſobald man es nur dahin bringen kann,
daß ſie ſich ihrer geſtrigen Empfindung ſchaͤmen,
handeln ſie morgen gewiß anders; ein Freund
oder Bekannter darf ihnen nur zu verſtehen ge-
ben, was er fuͤr groß haͤlt, und morgen ſuchen
ſie ſich ihm in dieſer Groͤße unvermerkt zu praͤ-
ſentiren. Die Sucht ſich auszubilden, iſt im
Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erſt
denen, die uns umgeben; ſo formt ſich der
Menſch wider ſeinen Willen, und ſteht am Ende
ſeiner Wanderſchaft ſchwer behangen mit einem
Troͤdelkram erlogner Meinungen und Gefuͤhle.
Ich habe Dir meine Auslegung uͤber Deine
Ideen zu geben geſucht, und uͤberreiche Dir er-
roͤthend meine Uebung; eine Verbeſſerung von
Dir wird mehr werth ſeyn, als mein ganzer
Brief, nur laß mich es wiſſen, wo ich Dich
vielleicht mißverſtanden habe.
12.
Andrea Coſimo an Roſa.
Neapel.
Dein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich
Dir gar nichts daruͤber ſagen. Nicht eben des-
wegen, weil ich ſo ganz Deiner Meinung bey-
trete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was
ich Dir neulich ſchrieb, ganz ſo, wie ich es
wuͤnſchte, gefaßt habeſt, ſondern weil ich in
dieſem Briefe Dich ſo ganz wieder finde. O ihr
Menſchenkenner! die ihr aus der Seele der
Menſchen ein Exempel macht, und dann mit
euren armſeeligen fuͤnf Specien hineinaddirt und
dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem
Gebaͤude machen, das Ihr nicht kennt. Ich
habe von je die freche Hand bewundert, die
mit dem Raͤthſelhafteſten und Unbegreiflichſten
gewoͤhnlich ſo umgeht, wie ein Bildhauer mit
ſeinem Marmor; er wird geſchlagen und ge-
ſchliffen, als wenn alle die heruntergeriſſenen
Stuͤcke nun wirklich von dem Weſen getrennt
waͤren, und am Ende ein Bild daraus entſtuͤn-
de, wie man es zu ſeinem Wohlgefallen, oder
zu
zu ſeiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn
nun ploͤtzlich eine lange zuruͤckgehaltene Empfin-
dung wie ein Waldſtrom in die Seele zuruͤck-
ſchießt? O biete denn einmahl im Moment der
Ueberraſchung deine Rednerkuͤnſte auf, ſuche die
Schleuſe, die ihn wieder zuruͤckdraͤngt! — Dankt
Gott, daß der Menſch die Konſequenz nicht
hat, auf die ihr eure Berechnungen gruͤndet,
denn dadurch allein trifft er oft zufaͤlliger Weiſe
mit euren Exempeln zuſammen.
Du ſprichſt uͤber die Eitelkeit gut und rich-
tig, weil Du uͤber Dich ſelbſt ſprichſt. Es iſt
gar nicht noͤthig, daß die Menſchen aufrichtig
ſind, man findet ihre Meinung doch unter dem
Wuſt von Luͤgen heraus. Aber glaube mir, daß
bey Dir nur ein Paar Zufaͤlle noͤthig waͤren,
um Dich aus Deiner Philoſophie, oder Ueber-
zeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du
willſt) herauszuwerfen. Die meiſten Menſchen
gehoͤren gern zu irgend einer Schule, alle Vor-
zuͤge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgaͤnger ziehn
ſie dann ſtillſchweigend auf ſich, weil ſie den
Nahmen ihrer Anhaͤnger tragen: ſie haben es
gern, wenn ſie alle Meinungen und Empfindun-
gen wie in einem Schema vor Augen haben,
Lovell. 2r Bd. E
daß ſie in vorkommenden Faͤllen nur unter den
gemachten Linien und Eintheilungen nachſuchen
duͤrfen, um nicht im Zweifel zu bleiben; daher
ſind ſie aber auch meiſtentheils ſo leicht aus ih-
ren Ueberzeugungen herauszuſchrecken.
Bey Lovell magſt Du uͤbrigens im Ganzen
Recht haben, aber er iſt auch unter den Men-
ſchen einer von denen, die ich die Scheidemuͤnze
nennen moͤchte. Er gehoͤrt nicht zu den freyen
Geiſtern, die jede Einſchraͤnkung der Seele
verachten, er verachtet nur die, die ihm grade
unbequem iſt, und ſeine Verachtung iſt dann
Haß. Er findet ſich und alles was er denkt,
viel zu wichtig, als daß es nicht ſehr leicht
ſeyn ſollte, auch ſeine innerſten Gedanken von
ihrem Throne zu ſtoßen. Wenn er die Menſchen
aber wie voruͤbergehende Bilder, und ihre Ge-
ſinnungen, wie das zufaͤllige Kolorit anſaͤhe,
dann ſollte es dir gewiß unmoͤglich werden, ir-
gend etwas auf ihn zu wirken.
Jeder Menſch iſt im Grunde geſcheidter wie
der andere, nur will dies keiner von ihnen glau-
ben. Die Ecke des einen greift in die Fuge
des andern, und ſo entſteht die ſeltſame Ma-
ſchinerie, die wir das menſchliche Leben nennen.
Verachtung und Verehrung, Stolz und Eitel-
keit, Demuth und Eigenſinn: alles eine blinde,
von Nothwendigkeiten umgetriebene Muͤhle, de-
ren Geſauſe in der Ferne wie artikulirte Toͤne
klingt. Vielleicht iſt es keinem Menſchen gege-
ben, alles aus dem wahren Standpunkte zu be-
trachten, weil er ſelbſt irgendwo als umgetrie-
benes und treibendes Rad ſteckt.
E 2
13.
Amalie Wilmont an ihre Freundinn
Emilie Burton.
London.
Sie ſind es ſchon gewohnt, liebe Emilie, mei-
ne unintereſſanten Briefe zu leſen, ich habe alſo
nicht viel zu beſorgen, wenn ich Ihnen noch
einmal ſchreibe. Es iſt gewiß nicht Eitelkeit
oder Stolz, wenn ich niemals von Neuigkeiten
oder wichtigen Vorfaͤllen, ſondern immer nur
von mir ſpreche, und von dem, was mir zu-
ſtoͤßt. Ich habe mich leider von Jugend auf
daran gewoͤhnt, mich nur mit mir ſelbſt und
mit dem kleinen Zirkel zu beſchaͤfftigen, der
mich umgiebt. Wenn mir eine Krankheit meiner
Eltern, eine Reiſe meines Bruders, oder das
Ungluͤck eines Freundes wichtig iſt; ſo vergeſſe
ich daruͤber die ganze uͤbrige Welt, und weine
oder freue mich, ganz fuͤr mich, wenn indeß
auch in einem entfernten Erdtheile vielleicht eine
ganze Nation untergeht.
Ach, liebe Freundinn, wenn ich doch bey
Ihnen waͤre, oder Sie bey mir ſeyn koͤnnten!
Das iſt die wiederholte Klage in allen meinen
Briefen; ich ſehne mich, wenn ich allein bin,
mit einem unbeſchreiblichen Gefuͤhle nach Ihrem
Garten hin, ich gehe in Gedanken durch alle
Gaͤnge ſpatzieren, und hoͤre Ihr angenehmes und
unterrichtendes Geſpraͤch. Ach, in Ihrer Ge-
ſellſchaft wuͤrde ich gewiß froͤhlicher ſeyn, denn
Sie wuͤrden mir zeigen, wie ungereimt mein
Schmerz iſt, es wuͤrde mir manches gleichguͤlti-
ger werden, was mir jetzt ſo außerordentlich
wichtig vorkoͤmmt: an Ihrer Seite habe ich im
vorigen Jahre ſo viel gelernt; ach, ich wuͤrde
gewiß ruhig werden, und Sie wuͤrden viele mei-
ner Zweifel aufloͤſen, die mich jetzt aͤngſtigen.
Lovell hat mich vergeſſen, ich muß es mit
jedem Tage mehr glauben, und alle Nachrich-
ten von ihm beſtaͤtigen es. Ach und es iſt auch
recht gut, daß ich nicht eine Urſache mehr wer-
de, ſeinem kranken Vater Kummer zu machen.
Er koͤmmt mir jetzt nur vor, wie ein Bild aus
einem Traume der Kindheit, ſchoͤn und glaͤn-
zend, aber entfernt und unkenntlich. —
Mortimer ſpricht oft uͤber alle dieſe Gegen-
ſtaͤnde ſehr klug, und uͤberredet mich manchmal
auf ganze Tage; nur ſagt er denn zuweilen wie-
der etwas, das meiner Seele ganz fremd und
zuwider iſt. In den recht verſtaͤndigen Men-
ſchen liegt zuweilen eine zuruͤckſtoßende Kaͤlte,
man ſchaͤmt ſich oft etwas zu ſagen, was man
fuͤr wahr haͤlt, weil man nicht gleich die paſ-
ſendſten Worte dazu findet. Ich glaube, daß
Mortimer mir nur in manchen Sachen recht giebt,
um mir nicht zu widerſprechen, weil er mich
fuͤr zu einfaͤltig haͤlt, ihn ganz zu verſtehen.
Sein Herz iſt nicht warm genug, er hat zu ſehr
die Welt und die Menſchen kennen gelernet.
Und doch fuͤhl ich mich ihm zuweilen ſo geneigt,
er koͤmmt mir oft wieder beſſer und edler als
Lovell vor, deſſen Enthuſiasmus ſo unſtaͤt und
ohne Ausdauer war; ich denke denn daruͤber
nach, wie ich mit Mortimer leben wuͤrde, und
gewoͤhne mich ordentlich an dieſe Vorſtellung.
Es kann auch ſeyn, daß er ſich ſehr nach mir
bequemte, wenigſtens thut er es jetzt auffallend,
und wir lebten ſo vielleicht recht gluͤcklich mit
einander. — Wenn mir nur nicht immer wieder
ſo manches von meinen vorigen Empfindungen
zuruͤckkaͤme! dann iſt mir, wie wenn man von
großen Schaͤtzen traͤumt, und ploͤtzlich in der
ſtillen duͤrftigen Nacht aufwacht: man ſucht
mit den Haͤnden nach den Perlen und Diaman-
ten, und ſtoͤßt ſich an der harten Wand.
Bin ich nicht thoͤrigt? Was ſagen Sie da-
zu, liebe, nachſichtige Freundinn? — Ich bin
ein Kind, nicht wahr, das iſt Ihre ganze Mei-
nung? —
14.
Emilie Burton an Amalie Willmont.
Bonſtreet.
Ihre Briefe, theuerſte Freundinn! ſind mir
um ſo lieber, je mehr Sie darin von ſich ſpre-
chen. Ich wollte, ich koͤnnte bey Ihnen ſeyn,
oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber
leider iſt mir beides unmoͤglich. Das Herz des
Menſchen liegt mit dem Verſtande ſo oft im
Kampfe, heute ſcheint uns das thoͤricht, was
uns geſtern edel vorkam, daß ich eben ſo wenig
ſagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen —
als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.
Ihr Bruder iſt jetzt hier, und will morgen
abreiſen, ich wuͤnſchte ich koͤnnte ihn begleiten,
ſtatt daß ich ihm jetzt nur dieſen unbedeutenden
Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih-
nen erzaͤhlen muͤſſen, viel von Ihren Kinderjah-
ren und Ihren fruͤhern Spielwerken; es giebt
nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau
kennen zu lernen, an denen ſich ſchoͤne Seelen
hinaufranken, um ſchoͤn zu wachſen. Mit Wohl-
gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen
ich mit meinem Bruder trieb, und welchen wich-
tigen Einfluß dieſe auf uns beide gehabt haben.
Schon in der Kindheit hatte mein Bruder den
ernſten feſten Blick, mit dem er jetzt in’s Leben
ſieht; ſchon als Kind war Ihr Karl ſo muth-
willig und liebenswuͤrdig, und Sie eben ſo weich,
als Sie beide jetzt ſind. — Ich hoffe, Ihr
Bruder wird auch ſo gut ſeyn, Ihnen von mir
vieles zu wiederholen, was ich mit ihm geſpro-
chen habe, und ſo kann ich mich eines weitlaͤuf-
tigen und ermuͤdenden Briefes uͤberheben, in
den ich doch nichts von der Herzlichkeit legen
kann, mit der ich Sie umarmen wuͤrde.
Mein Bruder laͤßt herzlich gruͤßen; o wir
ſehn uns gewiß und bald einmahl wieder! —
15.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Mir ſcheint es, als zoͤgen Sie ſich jetzt, wenn
Sie hier ſind, mehr von mir zuruͤck. Die Ur-
ſache davon kann ich nicht auffinden, und ich
wuͤnſche ſehr, daß es nur Schein ſeyn moͤge.
Ich lebe hier in einem Taumel von einem
Tage zum andern, ohne Ruhepunkt oder Still-
ſtand fort. Mein Gemuͤth iſt in einer ewigen
Empoͤrung, und alles vor meinen Augen hat
eine tanzende Bewegung. Durchſchwaͤrmte Naͤch-
te und wiederholte Trunkenheit machen, daß
mir die Welt ganz anders erſcheint, nicht froͤh-
licher oder betruͤbter, aber weit ſeltſamer und
unwichtiger. Man urtheilt nur denn uͤber das
Leben am richtigſten, wenn man im eigentlichen
Sinne recht viel lebt, nicht nur den Becher ei-
ner jeden Freude koſtet, ſondern ihn bis auf die
Hefen leert, und ſo durch alle Empfindungen
geht, deren der Menſch faͤhig iſt. — Mein
Blut fließt unbegreiflich leicht, und meine Ima-
gination iſt angefriſcht, und erſtreckt ſich auf
alle Ideen des menſchlichen Geiſtes.
Mit der erſten Gelegenheit denke ich meinen
Willy nach England zuruͤckzuſchicken; mit ſei-
nem altvaͤterſchen Weſen und ſeiner gutgemein-
ten Ueberklugheit faͤllt er mir zur Laſt. Er will
mit aller Gewalt mein Freund ſeyn, und es
moͤchte hingehn, wenn er nur nicht den Bedien-
ten ganz daruͤber vergaͤße. Als ich neulich ſpaͤt
in der Nacht, oder vielmehr fchonſchon gegen Mor-
gen mit dem froͤhlichſten Rauſche nach Hauſe
kam, hielt er mir eine pathetiſche Rede, und
verdarb mir meine Laune. Er will gern fort,
und ſein Wille ſoll geſchehn. —
Sie munterten mich ehedem auf, das Leben
zu genießen, und jetzt ſind Sie zuruͤckgezogener
als ich. Kommen Sie her, damit ich den ver-
worrenen Rauſch in Ihrer Geſellſchaft genieße,
und meine Sinne noch trunkener werden. Ich
bin eben bey unſrer Signora Bianca geweſen,
die das Muſter der Zaͤrtlichkeit iſt, ſie kann
den theuren Roſa immer noch nicht vergeſſen,
und ſpricht mit Enthuſiasmus von ihm; Sie
thun unrecht, das zaͤrtliche Geſchoͤpf ſo ganz zu
vernachlaͤſſigen, Ich habe noch viele andre Gruͤße
zu beſtellen, die Sie mir erlaſſen moͤgen, genug,
Sie ſtehn bey allen unſern ſchoͤnen Bekanntſchaf-
ten im beſten Angedenken. Ich bin auf heut
Abend zur ſchwarzaͤugigen wolluͤſtigen Laura hin-
beſtellt, die jetzt ſchon meine ganze Phantaſie
beſchaͤfftigt.
Wer kann biedie unbegreiflichen Launen zaͤhlen
und beſchreiben, die im Menſchen wohnen? Die
ſeit einigen Wochen in mir erwacht ſind, und
aus meinem Leben das bunteſte und wunder-
lichſte Gemaͤhlde bilden? Frohſinn und Melan-
cholie, ſeltſame Ideen in der ungeheuerſten Ver-
bindung, ſchweben und gaukeln vor meinen Au-
gen, ohne ſich meinem Kopfe oder Herzen zu
naͤhern. Man nenne doch die ſchoͤne Erweckung
der innerſten Gefuͤhle nicht Rauſch! Man
ſehe nicht mit Verachtung auf den Menſchen
hinab, dem ſich ploͤtzlich in der gluͤcklichſten Er-
hitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun,
dem neue Gedanken und Gefuͤhle wie ſchießende
Sterne durch die Seele fliegen, und einen blau-
goldnen Pfad hinter ſich machen.
O Wein! du herrliche Gabe des Himmels!
fließt nicht mit dir ein Goͤttergefuͤhl durch alle
unſre Adern? Flieht nicht dann alles zuruͤck,
was uns in ſo manchen unſrer kalten Stunden
demuͤthigt? Nie ſtehn wir in uns ſelbſt auf
einer ſo hoch erhabnen Stufe, als wenn die
Augen wie Sterne funkeln, und der Geiſt, wie
eine Maͤnade wild durch alle Regionen der
frechſten und wildeſten Gedanken ſchwaͤrmt.
Dann pochen wir auf unſre Groͤße, und ſind
unſer Seele und Unſterblichkeit gewiß, kein lahm-
kriechender Zweifel holt den fliegenden Geiſt ein;
wir durchſchauen wie mit Seherblicken die Welt,
wir bemerken die Kluͤfte in unſern Gedanken
und Meinungen, und fuͤhlen mit lachendem
Wohlbehagen, wie Denken und Fuͤhlen, Traͤu-
men und Philoſophiren, wie alle unſre Kraͤfte
und Neigungen, alle Triebe, Wuͤnſche und Ge-
nuͤſſe nur Eine, Eine glaͤnzende Sonne ausma-
chen, die nur in uns ſelbſt zuweilen ſo tief hin-
unterſinkt, daß wir ihre verſchiedene Strah-
lenbrechung fuͤr unterſchiedene getrennte Weſen
halten.
Spotten Sie nicht, Roſa, wenn ich Ihnen
ſage, daß jetzt eben dieſe Gluth des Weins aus
mir ſpricht: oder ſpotten Sie vielmehr, ſo viel
Sie wollen, denn auch das gehoͤrt zu den Vor-
trefflichkeiten des Menſchen. Ich fuͤhle es jetzt
lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in
Einem Range ſteht. — Der Wein laͤßt mich
ſo fuͤhlen und ſprechen, ein andres Nahrungs-
mittel, das dem Menſchen die ſogenannte Nuͤch-
ternheit laͤßt, aͤußert ſich in andern Ideen, und
der quaͤlende Hunger legt dem Menſchen wieder
andere Geſinnungen in den Mund. Wer von
allen hat nun Recht? —
Ha! welche Weſen ſind es, die das Thor
Der dunkeln Ahndungen entriegeln?
Was hebt den Geiſt auf goldbeſchwingten Flügeln
Zum ſternbeſäten Himmelplan empor? —
Es ſchlägt der ſchwarze Vorhang ſich zurücke,
Und wundervolle Scenen thun ſich auf,
Seltſame Gruppen meinem ſtarren Blicke:
Wie Traumerinnrung ſtehn ſie da! mit friſchem
Glücke
Beginn ich froh den neuen Lebenslauf!
Ich fühle mich von jeder Schmach entbunden,
Die uns vom ſchönen Taumel rückwärts hält,
Die jämmerlichen Ketten ſind rerſchwundenverſchwunden,
Mit Freudejauchzen ſtürzen goldne Stunden
Raſch auf mich ein, und ziehn mich tanzend
durch die Welt.
Es ſammlen ſich aus den verborgnen Klüften
Die Freuden, wie Mänaden um mich her,
Es klingen ungeſehne Lieder in den Lüften,
Es wogt um mich ein ungeſtümes Meer,
Und Töne, Jauchzen, Wonne ſchwebt auf Blu-
mendüften,
Und alles ſtürmt um mich, ſo wie ein wildes Heer.
Ich ſteh im glanzgewebten Feenlande,
Und ſehe nicht zur dürren Welt zurück,
Es feſſeln mich nicht irrdiſchſchwere Bande,
Entſprungen bin ich kühn dem meiſternden Ver-
ſtande,
Und taumelnd von dem neugefundnen Glück! —
Hinweg mit allen leeren Idealen,
Mit Kunſtgefühl und Schönheitsſinn,
Die Stümper quälen ſich zumahlen,
Und nagen an den dürren Schaalen
Und ſtolpern über alle Freuden hin.
Hinweg mit Kunſtgeſchwätz und allen Muſen,
Mit Bilderwerk, lebloſen Puppentand, —
Hinweg! ich greife nach der warmen Lebenshand,
Mich labt der ſchön geformte lebensvolle Buſen.
Ach, alles flieht wie trübe Nebelſchatten
Was ihr mit kargem Sinne ſchenken wollt;
Nur der beſucht Elyſiums ſchöne Matten,
Nur dem iſt jede Gottheit hold,
Der keinem Sinnentrug ſein Leben zollt.
Der nicht in Luſtgefilden ſchweift,
Und ſich an Dunſtphantomen weidet,
Durch kranke Wehmuth und Begeiſtrung ſtreift, —
Nein, der die ſchlanke Nymphe raſch ergreift,
Die ſich zum kühlen Bad’ entkleidet.
Ihm iſt’s vergönnt zum Himmel ſich zu ſchwingen.
Es ſinkt auf ihn der Götter Flammenſchein,
Er hört das Chor von tauſend Sphären klingen,
Er wagt es zum Olymp hinauf zu dringen,
Und wagt es nur, ein Menſch zu ſeyn.
Sie haben ſchon oft uͤber meine Verſe ge-
ſpottet, und hier gebe ich Ihnen eine neue und
noch beſſere Gelegenheit, denn ich habe die Syl-
ben und ihre Laͤngen und Kuͤrzen nicht nachzaͤh-
len moͤgen; ein ſo korrekter Kritiker, wie Sie,
findet alſo fuͤr ſeine Bemerkungen Stoff genug. —
Ich durchſchweife oft in meinen abentheuer-
lichen Stimmungen die Stadt, und labe mich
in der magiſchen Nacht an den wunderbaren und
raͤthſelhaften Bildern der aͤußern Gegenſtaͤnde.
Oft ſchwebt die Welt mit ihren Menſchen und
Zufaͤlligkeiten wie ein beſtandloſes Schattenſpiel
vor meinen Augen. — Oft erſchein ich mir
dann ſelbſt, wie ein mitſpielender Schatten, der
koͤmmt und geht, und ſich wunderlich geberdet,
ohne zu wiſſen warum. Die Straßen kommen
mir dann nur vor, wie Reihen von nachgemach-
ten Haͤuſern mit ihren naͤrriſchen Bewohnern,
die Menſchen vorſtellen; und der Mondſchein,
der ſich mit ſeinem wehmuͤthigen Schimmer
uͤber die Gaſſen ausſtreckt, iſt wie ein Licht,
das fuͤr andere Gegenſtaͤnde glaͤnzt, und durch
einen Zufall auch in dieſe elende laͤcherliche
Welt hineinfaͤllt.
Denn
Dann ſchweif ich im wundervollſten Genuß
der Phantaſie auf den freyen Plaͤtzen und zwi-
ſchen den Ruinen umher, und ergoͤtze mich an
den Geſtalten, die voruͤbergehn und mein Ge-
fuͤhl nicht kennen, und von mir nichts wiſſen. —
Am liebſten aber begleite ich irgend eines der
voruͤberſtreifenden Maͤdchen, oder beſuche eine
meiner Bekantinnen, und traͤume mir, wenn
mich ihre wolluͤſtigen Arme umfangen, ich liege
und ſchwelge an Amaliens Buſen. — Nichts
macht mir dann meine eingebildete, alte ſchwaͤr-
meriſche Liebe ſo abgeſchmackt und laͤcherlich,
als dieſer vorſaͤtzliche Betrug.
Wie ſeltſam wird mir oft, wenn ich einem
Maͤdchen nachfolge, die mich in ihre finſtre enge
Wohnung fuͤhrt, wo ein Krucifix uͤber dem
Bette haͤngt, und die Bilder der Madonne und
von Maͤrtyrern neben Schminktoͤpfen und ſchmutzi-
gen Glaͤſern mit Schoͤnheitswaſſern; oder wenn
ich im Gedraͤnge von Lazaroni’s und Handar-
beitern in einer Herberge hinter einer andern
ſtehe, und mit eben ſo vieler Andacht den poͤ-
belhaften Spaͤßen eines Pulicinello zuhoͤre, mit
der ich ehedem den Shakſpear ſah. — Das
Leben iſt nichts, wenn man es nicht auf die
Lovell. 2r Bd. F
ſinnlichroheſte Art genießt; der Widerſchein der
Wolluſt faͤllt auf alle Gegenſtaͤnde, und faͤrbt
auch die unintereſſanteſten mit einem goldenen
Schimmer. — Amalie iſt auch nur einer von
den wandelnden Schatten, die Zeit ergreift ſie
eben ſo, wie mich, und wirft das abgenutzte,
veraltete Bild in ihre dunkeln Tiefen, in die
kein Auge dringt, und wo die Marionetten von
tauſend Jahrhunderten in bunter Vermiſchung
aufgehaͤuft uͤbereinander liegen.
Leben Sie wohl, und kommen Sie nach Rom,
es iſt endlich Zeit, kommen Sie gleich nach
Empfang dieſes Briefes; ein wiederkehrender
Freund erregt eben die Empfindung in uns, wie
dem Kinde der wiederkehrende Fruͤhling.
16.
Willy an ſeinen Bruder Thoma’s.
Rom.
Jetzt muß ich fort, Thomas, ich muß nach
England, oder der Gram macht, daß ich mich
hier in dem fremden, fatalen Lande muß begra-
ben laſſeulaſſen. Ach, wer haͤtte das wohl noch vor
einem Jahre gedacht! Wer mir es geſagt haͤtte,
den haͤtte ich fuͤr einen Luͤgner geſcholten, oder
ihn wohl gar geſchlagen, wenn es ſich ſonſt
haͤtte thun laſſen. Aber kein Menſch kann auf
ſolche Sachen fallen, das iſt gewiß, weil bey
der ganzen Geſchichte der boͤſe Feind ſein Spiel
haben muß, das glaube ich nunmehr gewiß und
ganz feſtiglich. Ach Thomas, wenn man jetzt
noch nach Dir ſchlagen und ſtoßen wollte, Leu-
te, die Du haſt groß werden ſehn, es wuͤrde
mir wie kalt Waſſer durch die ganze Seele gehn,
ja, und ſo muß Dir nun auch als einem red-
lichen Bruder zu Muthe werden, wenn Du ſo
was von mir hoͤrſt, da ich noch aͤlter bin, als
Du biſt. — Mein Herr, — ach, denke Dir,
letzt kam er ganz betrunken nach Hauſe, wie er
F 2
faſt alle Tage oder Naͤchte thut, und ich hatte
die ganze lange kalte Nacht auf ihn wachen muͤſ-
ſen, ich dachte an ſeinen alten kranken Vater,
und die Thraͤnen kamen mir daruͤber in meine
beiden Augen. Ich ſtellte ihm alſo ſeinen gan-
zen Lebenswandel vor, und daß er ſich beſſern
und aͤndern ſolle, ich ſagte ihm alles ſo recht
aus meinem alten ehrlichen Herzen heraus, und
da, Thomas, lachte er mich aus, wie ein wah-
rer Heide. Da wurde ich denn auch hitzig,
denn ich bin auch nur ein Menſch, lieber Bru-
der, und jetzt ſchon alt und ſchwaͤchlich, gebrech-
lich und baufaͤllig, ich fuhr ſo mit etlichen gott-
ſeeligen Redensarten und Kernſpruͤchen heraus,
und da — lieber Bruder, ſeit der Zeit iſt mir,
wie einem armen Suͤnder zu Muthe, da ſchlug
er mit dem kleinen Stocke nach mir, den er
noch aus unſerm lieben England mitgenommen
hat, mit demſelben Stocke, den ich ihm noch in
London gekauft habe; haͤtt’ ich das wohl da-
mahls denken koͤnnen! —
Nun laͤßt es mir hier keine Ruhe mehr, ich
habe viel geweint, denn ich bin einmahl etwas
weibiſch, ich kann es immer nicht vergeſſen,
und der junge Lovell kommt mir nun ganz an-
ders vor; ich kann ihn nicht mehr mit derſel-
ben Liebe anſehn, ich bin ſo kleinmuͤthig und ſo
gedemuͤthigt, als wenn ich Jemand ermordet
haͤtte, welches Gott Zeit meines Lebens verhuͤ-
ten moͤge.
Und ſollt’ ich zu Fuße nach England gehn, ſo
muß ich jetzt fort, und ſollt’ ich heimlich wie
ein Schelm fortlaufen, ſo kann ich nicht hier
bleiben. Ach Bruder, ſtirb mir ja nicht vor-
her, denn ſonſt haͤtt’ ich ja gar keine Freunde
auf dieſer Erde mehr, ſondern lebe im Gegen-
theil recht wohl, bis Dich muͤndlich wiederſieht
Dein
armer Bruder
Willy.
17.
Andrea Coſimo an Roſa.
Neapel.
Du haͤtteſt immer noch hier bleiben koͤnnen,
und nicht mit der Eile die Bitte Deines Lovell
zu erfuͤllen noͤthig gehabt. Ich melde Dir nur,
daß ſich der junge Valois in England erſchoſ-
ſen hat. Man ſollte ſich mit ſolchen armſeeli-
gen Seelen gar nicht einlaſſen, die am Ende
nicht einmal Muth genug haben, ihr Daſeyn
zu ertragen. Das iſt wieder der Ausgang eines
Deiner klugen und fein erſonnenen Projekte;
entſchuldige Dich nun, oder geſtehe Deine Be-
ſchaͤmung, je nachdem Du es am natuͤrlichſten
findeſt.
18.
Eduard Burton an William Lovell.
Bonſtreet.
Deine Briefe, ſo wie der Gedanke an Dich
betruͤben mich ſeit einiger Zeit außerordentlich.
Ach William, ich moͤchte Dir alles ſchicken,
was Du mir ehemahls geſchrieben haſt, dann
ſollteſt Du Dich ſelbſt wie in einem Gemaͤhlde
betrachten, und Dich fragen: bin ich dieſem
Bilde noch aͤhnlich? Aber ich fuͤrchte, Du
wirfſt alles ungeleſen ins Feuer, obgleich die
That wahrlich, wenigſtens halb ſo ſtrafbar waͤre,
als wenn Du einen lebenden Zeugen Deiner
Thorheiten vernichteteſt.
Koͤnnt’ ich doch eben ſo warm ſprechen, und
die Feder mit eben der KnnſtKunſt der Ueberredung
fuͤhren, wie Du! Aber alle Talente, die auch
ehedem vielleicht in mir lagen, ſind jetzt durch
Deine Abtruͤnnigkeit von unſerm Bunde gede-
muͤthigt, ich fuͤhle mich wie verſtoßen und ent-
erbt, und ſeh, indem ich ſchreibe, uͤber die
Wieſe nach der mittaͤgigen fernen Gegend, als
wenn Du dort vom Huͤgel herunter kommen
muͤßteſt, als wenn dann die ganze ehemalige
Zeit wieder da waͤre. — Ich traͤume und phan-
taſire wie ein Kind, und weiß nicht, was ich
mit meiner uͤbeln Laune anfangen ſoll.
Sollten wir denn nun wirklich ganz von ein-
ander geriſſen ſeyn? Ach ja, es iſt, denn ich
erkenne in Deinem Briefe den Lovell nicht wie-
der, den ich ehemals liebte. Damals war
Dein Leben und Deine Art zu fuͤhlen, wie ein
ſanfter, leiſe murmelnder Bach, den meine Wel-
len mit einer ſtillern und unmuſikaliſchern Melo-
die begleiteten — jetzt erſcheinſt Du wie ein Waſ-
ſerſturz, dem ich erſchrocken aus dem Wege
trete. Ach, William, ich gebe Dir ja zu, daß
Du in manchen Ruͤckſichten jetzt kluͤger ſeyn
magſt, als vordem, aber ich beſchwoͤre Dich,
kehre, wenn es moͤglich iſt, zu jener kindlichen
Einfalt zuruͤck. Ach ja wohl, wenn es moͤg-
lich iſt!
Eine ſchwarze Ahndung geht mir durch die
Seele, daß Du vielleicht den altvaͤteriſchen lah-
men Ton in meinem Briefe belachſt, und mir
mit einer neuen, noch frechern Dithyrambe ant-
worteſt. Aber wenn Du es nun deutlich be-
merkt haſt, wie vieles, was man wahr und
groß nennt, in ſich ſelbſt zuſammen faͤllt, wenn
man den Grund des Gebaͤudes unterſuchen will;
ſo wage es nun auch, Dich ſelbſt wie ein Mann
anzuruͤhren, und den Stoff Deiner eigenen Ge-
danken naͤher zu betrachten. Sey aufrichtig ge-
gen Dich ſelbſt, und Du findeſt denn vielleicht,
daß Du in denſelben Fehler gefallen biſt, den
Du ſo hitzig vermeiden wollteſt, daß Du ein
eifriger Syſtematiker biſt, indem Du auf alle
Syſteme ſchimpfſt.
Haſt Du wohl den wahren Geſichtspunkt,
wenn Du jetzt mit ſo vielem Muthwillen, mit
ſolcher verachtenden Ereiferung uͤber Dein vori-
ges Weſen ſprichſt? Wir ſollten doch immer
daran denken, dußdaß jede unſrer jetzigen Meinun-
gen mit einer fruͤheren zuſammenhaͤngen muß,
daß die vorhergehende die ſpaͤtere erzeugt, und
daß aus unſern jetzigen Ideen wieder neue her-
vorgehen werden und muͤſſen, und daß wir uns
ſo durch unmerkliche Abſtufungen endlich wieder
einer laͤngſt veralteten Vorſtellungsart naͤhern
koͤnnen: — alles dies ſollte uns bewegen, nicht
immer aus den vorigen Wohnungen unſrer See-
len Ruinen zu ſchlagen, um aus dem jetzigen
Pallaſte mit lachendem Spotte auf ſie hindeuten
zu koͤnnen. Wie den Aufenthalt meiner Kind-
heit, wie meine alten Bilderbuͤcher liebe ich al-
les, was ich einſt dachte und empfand, und oft
draͤngt ſich eine Vorſtellung aus den fruͤhſten
Knabenjahren auf mich ein, und belehrt mich
uͤber meine jetzigen Ideen. Der Menſch iſt ſo
ſtolz, ſich fuͤr vollendet zu halten, wenn er
ſein ganzes voriges Leben fuͤr verworfen an-
ſieht, — und wie ungluͤckſeelig muͤßte der ſeyn,
der nicht mit jedem Tage etwas Neues an ſich
auszubeſſern faͤnde, der das ſchoͤnſte und intereſ-
ſanteſte Kunſtwerk gaͤnzlich aufgeben muͤßte, mit
dem ſich die menſchliche Seele nur immer be-
ſchaͤfftigen kann: die allmaͤhlige hoͤchſtmoͤgliche
Vollendung ihrer ſelbſt.
Was ſoll ich Dir ſagen, William? Ich fuͤhl’
es, daß alle Worte vergebens ſind, wenn ſich
der Gegner einer eigenſinnigen, rechthaberiſchen
Sophiſterey ergeben hat, die am Ende doch nur
einſeitig iſt. Dieſe mit der Leidenſchaft verbun-
den iſt der Syrenengeſang, dem vielleicht kein
Sterblicher widerſtehen kann, wenn er nicht wie
der griechiſche Held von der Unmoͤglichkeit zu-
ruͤckgehalten wird. Und es kann ſeyn, daß
auch dann die giftigen Toͤne durch das ganze
Leben nachklingen, daß die Seele beſtaͤndig wie
eine verſengte Aehre, ſelbſt im Wachsthume, die
Spur davon behaͤlt. — Dein Vater iſt ſehr
krank, und ich fuͤhle, daß ich es auch werden
kann, wenn ich recht lebhaft an Dich denke;
wir gewoͤhnen uns ſo leicht daran, das Ungluͤck,
das wir nicht wuͤrklich vor uns ſehen, als eine
poetiſche Fiktion zu betrachten, daß alle Jam-
mertoͤne gleichſam unbefiedert in uns anſchlagen.
Aber wenn ich mich dann zu Dir hinverſetze,
wenn mir die Buͤcher in die Hand fallen, die
wir ehemals zuſammen laſen, und ich noch ein-
zelne Papierzeichen finde, oder angeſtrichne Stel-
len von Dir entdecke. — — O komm zuruͤck,
komm zuruͤck, William! Gedenke der ſuͤßen Har-
monien, die Dich ſonſt umſchwebten, ein from-
mer kindlicher Sinn wohnte Dir im Buſen, Du
machteſt Dir das Kleinſte groß, und vergaßeſt
daruͤber das Große; eine Blume war fuͤr Dich
bedeutend, und ihr Verwelken merkwuͤrdig, in-
dem Dich politiſche Streitigkeiten und Parthey-
kaͤmpfe nicht kuͤmmerten: ach vergieb, daß ich
Dich damals ſo oft dieſes zarten Kunſtſinns
wegen ſchalt, ich ſehe jetzt mit Bedauern ein,
daß die Seelen feinere Fuͤhlfaͤden haben, die
ſich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbeha-
gen legen, als die ſich an Felſen anſaugen muͤſ-
ſen, um mit einer ungeheuren Maſſe Ein We-
ſen zu werden, damit ſie ſich ſelber intereſſiren.
Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu
ſtehen glaubte, und Du biſt nun, wie mit zu
ſtark gewachſenen Fluͤgeln unwiſſend uͤber das
Ziel hinausgeflogen, das ich Dir ſetzen wollte.
Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe ſo
abgeſchmackt erſcheint, in welchem Lichte muß
dann unſre Freundſchaft vor Dir ſtehn? War
ſie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeiſte-
rung, das Beduͤrfniß einer ſchoͤnen Eingeſchraͤnkt-
heit des Gemuͤthes? War ich nicht etwas ei-
ferſuͤchtig, als ich zuerſt Deine Neigung zu
Amalien bemerkte? Betruͤbte ich mich nicht in-
uerlichin-
nerlich, daß Deine Liebe zu einem andern We-
ſen ſich nun unendlich hoͤher hob, als zu mir? —
Ach Lieber, unterſuche doch ums Himmelswillen
nicht die kleinen Widerſpruͤche, die Kindereyen
und Albernheiten, die ſo oft in unſern edelſten
Neigungen und Gefuͤhlen liegen. Es iſt der
gruͤne duftloſe Stengel der Blume, aber beide
koͤnnen nur zuſammen exiſtiren. — Was iſt
der Menſch nach Deinen Ideen, die ſich doch
in ſich ſelber widerſprechen? Die nichtswuͤrdigſte
Verbindung ſeelenloſer Glieder, — was giebt
Dir denn nun dieſen feurigen Enthuſiasmus fuͤr
Deine Meinung, wenn Du nichts mehr, als
dieſe verworfene Maſchine biſt? Und koͤnnteſt
Du ihn ohne jene edlere Gefuͤhle haben; ſo
waͤrſt Du eben durch dieſe trunkene Schwaͤr-
merey das veraͤchtlichſte unter allen denkbaren
Weſen.
Ueberlege, daß das Leben eines ſo reizbaren
Geiſtes, als der Deinige iſt, nur einer magi-
ſchen Laterne gleicht, die an der Wand die bun-
ten Gegenſtaͤnde abſpiegelt, die ihr vorgehalten
werden: daß es nur Sinnenreiz iſt, was aus
Dir ſpricht, nicht die innere, durch Gefuͤhl und
Nachdenken gereifte Ueberzeugung. Gieb mir
wenigſtens zu, daß dies moͤglich ſeyn kann,
und unterſuche Dich genauer, und kehre zuruͤck,
wenn Du es ſo findeſt. — Ach es ſind viel-
leicht nur die wiederholten Spruͤche eines kal-
ten, verſchloſſenen Freundes, der mich aus
Deinem Herzen verdraͤngt hat, deſſen Philoſo-
phie nichts als ein blendendes Feuerwerk ſeyn
ſoll, das ſeine Eitelkeit ſeinen Freunden giebt,
und die Du, thoͤrichter Juͤngling, aus uͤbel-
verſtandener Anhaͤnglichkeit in Dein Herz auf-
nimmſt. — — O, vergieb mir, William, es iſt
wahrlich nicht Haͤrte, die aus mir ſpricht, nur
mein herzliches Gefuͤhl, das ich mir und Dir
unmoͤglich verbergen kann.
Gieb Deiner Seele einmahl das traurige
Feſt, laß die wehmuͤthigen tragiſchen Empfin-
dungen ungehindert zu Dir kommen, und denke
recht lebhaft mich, Deinen Vater und Ama-
lien! denke ſie mit der Fruͤhlingsempfindung
wieder, wenn Du jemals fuͤr ſie empfunden
haſt, und Deine ganze Liebe nicht Affektation
war. Mir ſchien es, als wuͤrde Dir in einem
Deiner letzten Briefe die Entſagung Amaliens
gar zu leicht, weil Du nun um ſo erlaubter
Deine neue Lebensbahn antreten konnteſt. — —
Wie komme ich zu dieſem Argwohn gegen mei-
nen William? — Ach, in manchen Augenblicken
tritt es, wie der boͤſe Feind, zwiſchen uns, und
will mein Herz ganz dem Deinigen abwendig
machen; aber es ſoll gewiß nicht geſchehn.
Waͤreſt Du mir nicht zu wichtig; ſo koͤnnte
ich Dir noch von meinem und Deinem Vater
manche Umſtaͤnde ſchreiben, Dich auf manches
vorbereiten, Dir zeigen, wie oft mit dem Un-
gluͤcke das Gluͤck des Menſchen zuſammenhaͤngen
koͤnne; aber ich will lieber ſchließen. Findeſt
Du noch einiges Intereſſe fuͤr Deine ehemali-
gen Wuͤnſche; ſo ſoll Dich der naͤchſte Brief
von mir weitlaͤuftig daruͤber unterrichten.
Lebe wohl, lebe wohl, theurer William! ant-
worte mir bald, und zeige mir, daß Du noch
etwas von Deinem ehemaligen Gefuͤhle fuͤr Dei-
nen Eduard uͤbrig haſt. — Es iſt mir aͤngſt-
lich den Brief zu ſchließen, weil ich nicht weiß,
ob ich Dich im mindeſten uͤberzeugt habe, aber
ich kann kein Wort mehr hinzuſetzen. In man-
chen Rechtshaͤndeln des Lebens kann nur das
Gefuͤhl allein das Wort fuͤhren, ein Haͤndedruck,
eine Thraͤne erſetzt eine ganze Abhandlung, —
ach und meine Thraͤnen kannſt Du ja nicht ſehn,
die Seufzer hab’ ich nicht niedergeſchrieben. —
Lebe wohl. —
19.
William Lovell an Eduard Burtou.
Rom.
Ja, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich
muß Dir antworten. — Welchen Eindruck hat
Dein Brief auf mich gemacht! — O wie ein
Gewitter iſt jedes Wort durch meinen Buſen
gegangen, und die Fruͤhlingsſonne iſt auf ein-
zelne Momente zwiſchen den Regenſchauern zu-
ruͤckgekehrt. — Ich wollte Dir ſo vieles ſagen,
und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin
beklemmt, die Angſt draͤngt mein Blut nach der
Kehle, — ach, ein Blutſturz wuͤrde mir Lin-
derung ſchaffen, und meinem Herzen ein Lab-
ſal ſeyn. — Und doch koͤnnt’ ich nicht froh ſeyn,
ich moͤchte mein ganzes Daſeyn in ſtuͤrzenden
Thraͤnenguͤſſen dahin weinen, um nur der druͤcken-
den Buͤrde des Lebens los zu werden. — Wenn
ich an mein voriges Gluͤck denke, und der ge-
ſtrige Taumel noch wie ein Dampf voll unge-
heurer Geſtalten vor meinen truͤben Augen zit-
tert, — Du haſt gewaltig an die Kette geriſſen,
die unſre Seelen an einander bindet, die Wunde,
die
die ſich geſpaltet hat, iſt ſchmerzhafter, als jene,
die Du haſt heilen wollen.
Ach Eduard, wenn ich nicht meinen Vater
fuͤrchtete, ſo floͤg ich jetzt nach England zuruͤck,
und ſtuͤrzte als reuiger und beſchaͤmter Suͤnder
vor Amaliens Fuͤßen nieder, daß ſie mir ver-
gaͤbe, oder ich den Tod von ihrer Hand em-
pfinge. —
Es iſt wie Wetterleuchten am Horizont mei-
nes Lebens, — wie Klocken, die aus der Ferne
den Goͤtterlaͤſterer zur Kirche und zur Strafe ru-
fen. — Vergieb Du mir zuerſt, mein Eduard, —
ach, weiß ich denn nicht, daß, wenn mein
Schickſal in Deiner Hand ſtaͤnde, ich der
Gluͤcklichſte der Menſchen waͤre!
Moͤcht’ ich wenigſtens nicht wieder von die-
ſem Taumel der Angſt erwachen, die mich all-
maͤchtig ergriffen hat, — ach ich fuͤhle ſchon
jetzt die duͤſtere entſetzliche Leere, die ihr folgen
wird. — Lebe wohl, Theureſter meiner Seele,
und erquicke mich durch Deine Briefe, ſo wie
Du mir durch dieſen den letzten Muth entriſſen
haſt.
Ich kann nicht weiter. —
Lovell. 2r Bd. G
20.
Der Advokat Jackſon an den Lord
Burton.
London.
Hochwohlgebohrner Herr,
Ich bin den Befehlen, die mir Ew. Gnaden
neulich zukommen ließen, auf das treullchſtetreulichſte ge-
folgt. So viel es von mir abhaͤngen konnte,
habe ich den Gang des Prozeſſes beſchleunigt,
und ich bin feſt uͤberzeuget, daß ich jetzt ſo viel
gethan habe, als nur in meinen Kraͤften ſtand.
Dieſelben werden auch Ihre neulichen Briefe
allbereits zuruͤck erhalten haben, ſo daß ich den
Befehlen, die Sie mir ertheilten, die genauſte
Folge geleiſtet habe.
Jetzt hat ſich nun ein Vorfall ereignet, der
den ganzen Prozeß in kurzer Zeit voͤllig beendi-
gen koͤnnte, aber leider zu Ew. Gnaden Nach-
theil. Neulich ſaß ich noch ſpaͤt in der Nacht
in einem Zimmer auf dem Lovellſchen Landgute,
das mir der Lord eingeraͤumt hat, um dort zu
arbeiten. Man hat mir die Erlaubniß gegeben,
alles zu durchſuchen, wo ich irgend nur Belege
und Papiere zur Aufklaͤrung der Sache zu fin-
den hoffte. Ich hatte ſchon ganz, ſo wie der
Lord, die Hoffnung aufgegeben, die bewußten
Dokumente, die die Beſcheinigung der Bezah-
lung enthalten, jemahls aufzufinden, ich hatte
ſchon alles durchforſcht, was mir zu meinem
Endzwecke nur irgend merkwuͤrdig ſchien. Jetzt
gerieth ich in der Nacht uͤber eine Schublade,
die ich ſchon oft aufgezogen habe, und entdecke
in dieſer einen verborgenen Kaſten, ich oͤffne
ihn mit zitternder Hand, und finde, daß mich
meine Ahndung nicht betrogen hatte. Die be-
wußten wichtigen Dokumente ſind nunmehr in
meiner Hand.
Ich wuͤrde es fuͤr Ungerechtigkeit halten,
wenn ich nunmehr ſogleich den Prozeß zu Lo-
vells Vortheil beendigte, wie es jetzt allerdings
nur eine Kleinigkeit waͤre. Ich glaubte, ich
ſey es Ew. Hochwohlgebohrn ſchuldig, Denen-
ſelben zuvor wenigſtens von dieſer Begebenheit
Nachricht zu ertheilen, um zu erfahren, ob Sie
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nicht noch vielleicht neue und wichtige Gruͤnde
vorzubringen haͤtten, die nachher etwas von ih-
rer Kraft verlieren moͤchten; oder ob Dieſelben
nicht uͤberhaupt zuvor die Dokumente in Au-
genſchein nehmen wollten, um ihre Rechtmaͤßig-
keit zu pruͤfen. Ich darf ſie aber auf keinen
Fall der Poſt anvertrauen, und Ew. Gnaden
haben mir, einen Bothen zu ſenden, ausdruͤck-
lich unterſagt: es bleibt mir alſo kein andrer
Weg uͤbrig, als Ew. Gnaden zu erſuchen, die
Reiſe hieher ſelber zu machen, oder mich nach
Bonſtreet kommen zu laſſen; oder ich koͤnnte
Ihnen auch auf dem halben Wege bis Not-
tingham entgegen kommen. Ganz, wie Sie
es befehlen.
Bis ich das Gluͤck gehabt habe, Ew. Gna-
den perſoͤnlich zu ſprechen, bleibt dieſer ganze
Vorfall uͤbrigens ein Geheimniß.
Daß ich es nicht am Dienſteifer habe fehlen
laſſen, wird ein ſo ſcharfſichtiger Beobachter,
als Ew. Herrlichkeiten ſind, gewiß nicht zu be-
merken unterlaſſen haben; wie ſehr ihn Die-
ſelben werden zu ſchaͤtzen wiſſen, dies zu erfah-
ren, haͤngt von der erſten muͤndlichen Unterre-
dung ab, der ich mit großen Erwartungen ent-
gegen ſehe. — In der tiefſten Verehrung habe
ich die Ehre mich zu nennen.
Ew. Herrlichkeiten
treuergebenſter Diener
Jackſon.
21.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Sie fragten mich geſtern, was mir fehle. —
Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrich-
tig bin. — Ich will es Ihnen geſtehen, daß ein
Brief des jungen Burton mir allen Muth und
alle Laune genommen hatte. Die Vergangen-
heit kam ſo freundlich auf mich zu, und war ſo
glaͤnzend, wie mit einem Heiligenſchein umge-
ben. Sie werden ſagen: Das iſt ſie immer,
und zwar aus keinem andern Grunde, als weil
ſie Vergangenheit iſt. Aber nein, es lag noch
etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht
beſchreiben kann, und das ich um alles nicht
noch einmahl fuͤhlen moͤchte.
Sie werden vielleicht die Erfahrung an ſich
gemacht haben, daß nichts uns ſo ſehr demuͤ-
thigt, als wenn uns ploͤtzlich uͤber irgend eine
Sache oder Perſon die Augen aufgethan wer-
den, die wir bis dahin mit Enthuſiasmus ver-
ehrt, ja faſt angebetet haben. Der nuͤchterne
Schwindel, der dann durch unſern Kopf faͤhrt,
die Nichtswuͤrdigkeit, in der wir uns ſelbſt er-
ſcheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen,
alle uͤble Launen in Einem truͤben Strome, al-
les ſtuͤrzte auf mich zu, und ergriff mich und riß
mich mit ſich fort. — Alles, was ich empfun-
den und gedacht hatte, gieng wie in einem al-
les verſchlingenden Chaos unter, alle Kennzei-
chen, an denen ich mich unter den gewoͤhnlichen
Menſchen heraushob, giengen wie Lichter aus
und ploͤtzlich verarmt, ploͤtzlich zur Selbſtverach-
tung hinabgeſunken, war ich mir ſelbſt zur Laſt,
und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern
eines engen Gefaͤngniſſes, um mich.
Ich erinnerte mich jetzt der truͤbſeligen Au-
genblicke, die mich ſo oft im heftigſten Taumel
der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Em-
pfindungen, die ſo oft ſchon mein Herz zuſam-
menzogen, ſo vieler Vorſtellungen, die mich un-
ablaͤßig wie Geſpenſter verfolgt hatten. — Wo-
zu bin ich ſo umſtaͤndlich? Blos um Ihnen zu
zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie
werden meine Schwaͤche verachten, aber dem
Freunde muß man keine Thorheit verbergen.
Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und
beweiſen Sie dadurch, daß ich Ihnen nicht ganz
gleichguͤltig bin.
Doch ich eile zu einer Begebenheit, die wich-
tiger iſt, und die mich im Grunde ſchon alles
hat vergeſſen laſſen. Ich verſuchte meinen Lieb-
lings, Zeitvertreib, der mich am erſten troͤſtet;
ich ſtreifte in der Daͤmmerung durch enge und
unbekannte Gaſſen; ergoͤtzte mich, wenn ich ei-
ner Kirche vorbeygieng, an dem Gedanken, daß
ich jetzt mitten in der Stadt gehe, deren Nahme
mir in den Knabenjahren ſo ſchoͤn und aben-
theuerlich geklungen hatte. Ich verirrte mich
endlich in den kreuzenden Straßen, und gerieth,
als es ſchon ziemlich ſpaͤt war, an die Porta
Capena. Ich gieng hindurch.
Sie kennen dort vor dem Thore die ſeltſa-
men und an manchen Stellen ſchauerlichen Rui-
nen. Es ward dunkler, und ich fuͤrchtete mich
endlich; ich erinnerte mich eines Menſchen, von
dem ich glaubte, ich weiß aber nicht warum,
daß ich ihn nothwendig hier treffen muͤßte. Ich
wollte umwenden, und ſah ſeitwaͤrts einige kleine
unbedeutende Huͤtten in einer ziemlichen Ent-
fernung; in einer von dieſen brannten die Fen-
ſter hell und freundlich. Ich hatte einen unwi-
derſtehlichen Trieb nach dieſem HanſeHauſe hin, und
fand nach vieler Muͤhe einen kleinen Fußſteig,
der mich dorthin fuͤhrte. — Die Toͤne einer
Laute kamen mir ſilbern durch die ſtille Nacht
entgegen, und ich wagte nicht, den Fuß hoͤrbar
aufzuſetzen. Baͤume fluͤſterten geheimnißvoll da-
zwiſchen, und vor dem Hauſe goß ſich ein gold-
ner Lichtſtreif durch das kleine Fenſter auf den
gruͤnen Raſen. Es war, als wenn ich mich ei-
nem Feenpallaſte naͤherte. Jetzt ſtand ich dicht
vor dem Fenſter, und ſah in eine kleine, nett
aufgeputzte Stube hinein. Eine alte Frau ſaß
in einem abgenutzten Lehnſtuhle, und ſchien zu
ſchlummern, ihr Kopf, mit einem reinen weißen
Tuche umwickelt, nickte von einer Seite zur an-
dern. Auf einem niedrigen Fußſchemmel ſaß ein
Maͤdchen mit einer Laute, ich konnte nur das
freundliche Geſicht ſehen, die kaſtanienbraune
Locken, die unter einer Kopfbinde zuruͤckgepreßt
waren, die freundlichen hellen Augen, die fri-
ſche Roͤthe der Lippen —
Ich ſtand wie bezaubert, und vergaß ganz,
wo ich war. Mein Ohr folgte den Toͤnen, und
mein Auge jeder, auch der unmerklichſten Be-
wegung des Maͤdchens. Ich ſah wie in eine
neue Welt hinein, und alles kam mir ſo ſchoͤn
und reizend vor, es ſchien mir das hoͤchſte Gluͤck
in dieſer Huͤtte zu leben, und dem Saitenſpiele
des Maͤdchens zuzuhoͤren, dem Geſchwaͤtze der
Alten und den kleinen Grillen in den Waͤn-
den. — Das Maͤdchen ſtand auf, das Licht zu
putzen, das heruntergebrennt war, und ich gieng
ſcheu zuruͤck, denn ſie trat dicht an’s Fenſter. —
Der ſchlankeſte Wuchs, die Umriſſe, wie von
dem Buſen der Grazien entlehnt, ſogar den
weißeſten Arm konnte ich noch auf meinem ſchnel-
len Ruͤckzuge bemerken. — Ich wagte es nicht,
naͤher zu kommen, und ſah nur Schatten hin
und her fahren und uͤber den Raſen hinzittern.
Ich ſtand da, wie ein Suͤnder im Orkus, der
ſich fuͤrchtet, jetzt vor den ernſten Minos geru-
fen zu werden.
Die Lautentoͤne waren jetzt verſtummt, und
als ich endlich wieder naͤher trat, ſah ich eben
die Alte durch eine kleine Thuͤr in die angraͤn-
zende Kammer wanken. Das Maͤdchen ſtand
mit herabrollenden Locken in der Mitte des Zim-
mers, und loͤſte halbſchlaͤfrig das Buſentuch
auf. — O Roſa, ich habe bis jetzt noch gar
kein Weib geſehn, ich habe nicht gewußt, was
Schoͤnheit iſt; gehen Sie mit Ihren Antiken
und Gemaͤhlden; dieſe lebendigen, ſchoͤngeſchlun-
genen zarten Umriſſe hat noch kein Mahler dar-
zuſtellen gewagt. — Ploͤtzlich ſah ſie auf, wie
aus einer Zerſtreuung erwachend, und trat an’s
Fenſter. In demſelben Augenblicke thaten ſich
Fenſterladen vor, und das Licht und die herr-
liche Scene, die es beleuchtet hatte, verſchwand.
Ich fuhr wie aus einem Traume auf; wie
man im Bette nach dem Gegenſtande faßt, von
dem man getraͤumet hat, ſo ſah ich mich be-
taͤubt nach allen Seiten um, ſie zu entdecken. —
Wie oͤde kam mir alles umher vor! Die Baͤu-
me erſchienen mir wie Ruinen, nur das kleine
Haus war fuͤr mich bewohnt und freundlich. —
Ich taumelte in die Stadt, und traͤumte die
ganze Nacht nur von dem ſchoͤnen unbekannten
Maͤdchen.
Heute am Morgen war mein erſter Weg
durch die Porta Capena. Es war mir ſchwer,
die Haͤuſer zu entdecken, ſo verdummt war ich
geſtern. Endlich fand ich ſie auf. — Aber es
war mir doch alles anders. Ein kleiner Gar-
ten, faſt nicht groͤßer, als mein Zimmer, iſt
neben dem Hauſe mit einem baͤueriſchen Staket
umgeben, darin ſtand das Maͤdchen, o ich kann-
te ſie gleich wieder, und mein Herz ſchlug ſchon,
noch ehe ſie mein Auge ſah. — Aber aller Ver-
ſtand und alle Ueberlegung verließ mich, ich
wagte es kaum, das goͤttliche Geſchoͤpf zu gruͤßen,
ſie dankte fremd, — warum laͤchelte ſie mich
nicht an? — Ihr Laͤcheln muß wohlthun, wie
die Fruͤhlingsſonne. — Ich habe tauſend Plane
im Kopfe. — Sie war fort, als ich wieder
umkehrte. — Ich habe keine Ruhe, ich werde
heut am Abend wieder dort ſeyn; wenn ich in
der Gegend ſtehe, iſt mir zu Muth, wie in
meiner Kindheit, wenn ich die ſchoͤnen und
abentheuerlichen Maͤrchen hoͤrte, die die jugend
liche Phantaſie gaͤnzlich aus dieſer Welt ent-
ruͤcken. —
22.
Emilie Burton an Amalie
Wilmont.
Bonſtreet.
Sie verlangen alſo durchaus und unbedingt
meine Meynung? — Nun gut, ſo kann ich
nichts weiter thun, als Ihnen ſagen, wie ich
an Ihrer Stelle handeln wuͤrde. Ich darf Sie
wohl nicht erſt daran erinnern, liebe Freundinn,
daß das im Grunde ſehr wenig geſagt iſt, denn
der wichtigſte Umſtand iſt eben der, daß Sie
nicht Emilie ſind. Indeß wir wollen den Ver-
ſuch wagen, da es Ihr Wille iſt.
Lovell hat Sie gaͤnzlich vergeſſen, und Mor-
timer liebt ſie: beides geſtehn Sie ſelber ein.
Mortimer kann durch Sie gluͤcklich werden, Lo-
vell nicht mehr: Sie ſchaͤtzen Lovell nicht mehr,
wie ehedem, ſondern lieben im Grunde Morti-
mer aufrichtiger, als ihn; — mich duͤnkt, hier
ſollte keine lange Unterſuchung der Frage ent-
ſtehen: Was zu thun ſey? Die Erinnerungen,
die Sie quaͤlen, ſollten Sie vielmehr durch Ihre
Vernunft unterdruͤcken, als ihnen nachhaͤngen;
denn alles, was uns und andern zur Laſt faͤllt,
ſollte man nie recht nahe auf ſich zukommen
laſſen. Wir verderben uns durch kraͤnkliche Ein-
bildungen ſo oft unſer Leben; ich habe es nur
gar zu oft bemerkt, wie jene ſogenannten fei-
nern Empfindungen nur eine Art von Eigenſinn
ſind, mit welchem man ſich auf gewiſſe Ideen
heftet, daß ich von je gewuͤnſcht habe, ich und
alle meine Freunde moͤchten von dieſer Krank-
heit verſchont bleiben.
Schelten Sie mich keine Vernunftſchwaͤtze-
rinn, liebſte Freundinn, ich ſage nur, wie ich
denke, und denke vielleicht nur ſo, weil ich die
Erfahrungen nicht gemacht habe, mit denen Sie
bekannt geworden ſind: ich bin auch vielleicht
weniger reizbar, ich habe vielleicht nie geliebt, —
kurz, ich kann am Ende nur meine bisher ge-
ſammelten Ideen vortragen, und das Laͤcherliche
liegt blos darin, daß ein Frauenzimmer ſo ernſt-
haft und zuſammenhaͤngend ſchreiben will. Meine
Amalie wird dieſes Vorurtheil nicht haben, und
Ihre herzlichſte Freundinn daher billiger beur-
theilen.
Aber wenn Sie nun einen ſchaͤtzbaren und
verſtaͤndigen Mann durch Ihre Hand wuͤrklich
gluͤcklich machen koͤnnten? Und wenn es nun
auch durch eine kleine Aufopferung geſchehen
muͤßte? — Wuͤrden Sie ſich wirklich ſo lange
bedenken? — Sie liebten vielleicht Lovell nur,
weil Ihr wohlwollendes zartes Gemuͤth einen
Gegenſtand noͤthig hatte, an dem es ſich aͤußern
konnte. Tragen Sie jetzt alle dieſe Gefuͤhle auf
Mortimer uͤber, und Sie werden beide gluͤck-
lich ſeyn.
Mein Vater hat eine Geſchaͤfftsreiſe nach
London gemacht, ich glaube, er wird Sie und
Ihren Bruder beſuchen.
Leben Sie recht wohl, und nehmen Sie
meinen Brief ja nicht wichtiger, als er ſeyn
ſoll. — Gruͤßen Sie Ihren Bruder.
23.
Mortimer an Karl Willmont.
London.
Mit Erſtaunen hab ich von Deiner Schweſter
gehoͤrt, daß Du ſchon wieder, und zwar von
neuem nach Bonſtreet gereiſ’t biſt! O du un-
ſteter Landſtreicher! Moͤchteſt Du doch auch erſt
einen Ort gefunden haben, wo Du Luſt bekaͤ-
meſt, Dich anzuſiedeln. So biſt Du mir nun
ſchon wieder entlaufen, ehe ich noch angefangen
habe, Dich recht zu genießen.
Wuͤnſche mir Gluͤck, Karl, denn alles was
ich wuͤnſchte, iſt nun in Erfuͤllung gegangen.
Deine Schweſter hat ſich ploͤtzlich entſchloſſen;
ſie will die Meinige werden. Ich danke Gott,
daß es endlich ſo weit gekommen iſt. — Die
Verlobung iſt bey Deinen Eltern geſtern ge-
feyert, und in einem Monathe ohngefaͤhr zieh
ich nach dem kleinen Landgute in der Naͤhe von
Southampton, und ſeyre dann meine Hochzeit
mit Amalien. — Ich verſetze mich ſchon ganz
in die ſtillen haͤuslichen Scenen, und ertraͤume
mir nicht das Gluͤck aus einem Feenlande, ſon-
dern
dern rechne nur auf ein kleines, irdiſches Gluͤck,
und das wird mir nun gewiß nicht fehlen.
Mein Landhaus liegt angenehm, und hat
umher die reizendſten Spatziergaͤnge, ich will
nun dort nach meinem Herumſtreifen den laͤnd-
lichen Freuden leben.
Was Deine Schweſter ſo ploͤtzlich beſtimmt
hat, weiß ich nicht. Meine ausdauernde Liebe,
mein Gefuͤhl, das ſich immer gleich blieb, ſcheint
ſie endlich uͤberzeugt zu haben, daß nur dies
die wahre Liebe ſey. — Ich habe Dir heute
nichts mehr zu ſagen. Lebe wohl.
Lovell. 2r Bd. H
24.
Karl Willmont an Mortimer.
Bonſtreet.
Ja wohl bin ich wieder Dir und der Stadt
entlaufen. Aber ich verdiente auch wahrhaftig
nicht den unbedeutendſten Blick von Emilien,
wenn ich eine ſo ſchoͤne Gelegenheit ungenutzt
gelaſſen haͤtte. — Du weißt, daß der alte Bur-
ton ſeines Prozeſſes wegen in London war: da
er grade einige Haͤuſer in der Nachbarſchaft be-
ſuchte, kam er auch zu uns. Er war außeror-
dentlich vergnuͤgt, und dann ſind die Menſchen
gewoͤhnlich hoͤflich und freundlich; er ließ ſich
mit mir in ein weitlaͤuftiges Geſpraͤch ein, und
da ich ihm unter andern erzaͤhlte, ich haͤtte
ſchon laͤngſt die ſchoͤnen Seen in Northumber-
land beſuchen wollen; ſo ſchlug er mir vor, es
jetzt beym ſchoͤnſten Fruͤhlingswetter zu thun,
und ihn bis Bonſtreet zu begleiten. Ich ver-
ſprach es, ohne mich zu bedenken, und mußte
Wort halten; und ſo rollte ich ſchon am fol-
genden Morgen mit leichtem Herzen durch das
Thor von London.
Und wie verguuͤgtvergnuͤgt bin ich daruͤber, daß ich
nicht ein ſo großer Narr geweſen bin, zuruͤck
zu bleiben. Emilie freute ſich ſehr, als ſie mich
ſo unerwartet wiederſah. Wir haben viel mit
einander geſprochen, wir ſind ſehr zaͤrtlich ge-
weſen, und es koͤmmt mir nun ganz naͤrriſch
vor, daß ich ordentlich wieder abreiſen ſoll.
Indeſſen darf ich doch nicht zu lange hier blei-
ben, um mir kein Dementi zu geben, ich muß
ſogar nach Northumberland reiſen, um dem
Lord und allen Menſchen nicht wie ein Narr
vorzukommen.
Wie manches in der Welt muß man nicht
blos andern Leuten zu Gefallen thun! — In-
deß mag auch dies unangenehme Geſchaͤfft noch
voruͤbergehn, wie ſo viele andere; es iſt hier
ſchoͤn, ich will die paar Tage, die ich hier zu-
bringe, recht geizig genießen, und fuͤr die Zu-
kunft den Himmel ſorgen laſſen. Denn wie es
am Ende noch mit meiner Liebſchaft ablaufen
ſoll, kann ich wahrhaftig nicht einſehn.
Wer weiß aber, wie wunderbar ſich manch-
mal alles fuͤgt! — Ich habe Leute gekannt,
H 2
die auf einen Gewinnſt, den ſie im Lotto hof-
ten, Schulden machten. Sie waren weiſe, und
ich will Ihnen nachahmen.
Aus den Bergen in Northumberland erhaͤltſt
Du wieder einen Brief von mir.
25.
Amalie Wilmont an Emilie
Burton.
London.
Ich bin Ihrem Rathe gefolgt, liebſte Freun-
dinn, um nur endlich der marternden Unruhe
los zu werden. Ich bin mit Mortimer verlobt,
und fuͤhle mich recht froh und leicht. — Sie
haben recht, es ſind meiſtentheils nur kraͤnkliche
Einbildungen, mit denen wir uns aͤngſtigen,
Sorgen, deren zehnter Theil nur aus Wirklich-
keit beſteht, das uͤbrige iſt Traumgeſtalt. Ich
denke mir jetzt mein zukuͤnftiges Leben recht
ſchoͤn und froh. Mortimer iſt weit herzlicher,
als ich je von ihm geglaubt haͤtte, denn er
freute ſich uͤber meine Einwilligung ſo ſehr, daß
es mich bey einem ſo geſcheuten Manne ordent-
lich uͤberraſchte. — Er findet mich gewiß viel
zu gut und verſtaͤndig, ich weiß es zu gut, daß
ich kindiſch und voller Thorheiten bin: ach,
wenn er ſich nur nicht ſo mit mir betrogen fin-
det, wie ich mich an Lovell geirrt habe.
Wir werden beide kuͤnftig recht einſam woh-
nen, in keiner großen Stadt, ſelbſt von einer
großen Heerſtraße abgelegen. Ach, ſo wird ja
nun endlich doch mein Lieblingswunſch erfuͤllt,
in der freyen Natur zu leben. Ich bedarf um
froh zu ſeyn keiner Zerſtreuung und keiner großen
Geſellſchaften; ich wuͤnſche, daß uns Niemand
beſuche, als gute Freunde, ſo wie Sie und Ihr
Bruder, dann wollten wir dort einmal das
ſchoͤne Leben von neuem fuͤhren, das ich bey
Ihnen im vorigen Fruͤhjahre genoß, als ich zu-
erſt Lovell kennen lernte.
Doch, ich wollte ja nicht mehr an ihn den-
ken. Ich ſoll mich ja mehr in meiner Gewalt
haben, wie Sie mir ſelbſt gerathen haben. Ich
finde auch, daß ich es ſo ziemlich gelernt habe; nur
manchmal widerſtreben mir thoͤrichte Erinnerun-
gen. — O ich werde gewiß, auch wenn ich zu-
weilen an Lovell denke, an Mortimers Seite
gluͤcklich ſeyn. — Er koͤmmt mir jetzt immer
vor, wie ein geſtorbener Bruder, und ich muß
noch manchmal weinen, aber es ſind nicht mehr
die brennenden Thraͤnen, die ich ehemals vergoß.
Sie ſehen, daß ich immer bleibe, wie ich
war. Ich habe Sie ſchon oft um dieſen ſchoͤ-
nen graden Sinn beneidet, den ich nie erlangen
werde. —
Mein Bruder hat Ihren Vater nach Bon-
ſtreet begleitet, und mich duͤnkt, ich habe die
Urſache errathen. — Sind Sie gar nicht be-
gierig, ſie zu wiſſen? — Doch ſtill, ich darf
wohl uͤber meine, aber nicht uͤber die Geheim-
niſſe andrer Leute ſchwatzen. Das letztere iſt
unerlaubt, wenn das erſte nur kindiſch iſt.
26.
Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Sie dauern mich mit Ihrer neuen Liebſchaft.
Roſaline mag nach Ihrer Beſchreibung ein ganz
huͤbſches Maͤdchen ſeyn, aber Sie ſind und blei-
ben doch wahrhaftig ein Schwaͤrmer. — Und
die Noth bekannt mit ihr, und von ihr erhoͤrt
zu werden! — Lieber Lovell, haben Sie denn
Ihren ganzen Curſum mit ſo geringem Nutzen
gemacht? — Es iſt hoͤchſt unrecht, daß Sie
noch von irgend einem Maͤdchen koͤnnen in Ver-
legenheit geſetzt werden!
Wenn Sie einmal ſo ſehr von ihr entzuͤckt
ſind, ſo muͤſſen Sie alles verſuchen, ihr naͤher
zu kommen. Es giebt nichts verdrießlichers,
als Leute zu ſehn, die ein Gut uͤber alles wuͤn-
ſchen, und nicht die kleinſten Mittel anwenden,
ſeiner habhaft zu werden. Ich wollte, ich koͤnn-
te Troclus ſeyn, um meinen armen Pandaͤus zu
beruhigen. Wenn gar nichts helfen ſollte (wor-
an ich zweifle) muͤſſen Sie ihr die Ehe verſpre-
chen; am dritten Tage glaubt ſie das Maͤhrchen,
und am vierten iſt ſie die Ihrige. Am zehnten
ſpaͤteſtens wird ſie Ihnen denn doch nicht mehr
wie eine Gottheit erſcheinen.
Nehmen Sie meinen Brief nicht uͤbel, ich
bin hier durch einen Zufall in eine Stimmung
verſetzt, in welcher mir Ihre Anbetung eines
kleinen unbedeutenden Maͤdchens nothwendig kin-
diſch erſcheinen muß.
Wenn mancher von unſern armſeligen Be-
kannten dies Billet ſaͤhe, wuͤrde er mich mit
hochweiſer Miene Ihren Verfuͤhrer nennen, und
Wunder meinen, wie viel er dabey daͤchte. Ich
hoͤre von ſo manchen Menſchen dies unſchuldige
Wort auf ſo unſchuldige Leute anwenden, daß
ich jetzt immer daruͤber lachen muß. Es giebt
keinen groͤßern Unſinn, als zu glauben, daß
der Verſtand auf unſre Gefuͤhle und Hand-
lungen Einfluß habe, und nun gar, daß eine
fremde Idee jemals die meinige werden koͤnne,
wenn ich ſie nicht ſchon vorher gehabt habe. —
Leben Sie wohl, und geben Sie mir von
Ihren Progreſſen Nachricht. Ich werde dieſes
Abentheuer als den guten oder ſchlechten Plan
einer Komoͤdie anſehn; zeigen Sie ſich daher im
dramatiſchen Fache, wenigſtens als ein eben ſo
guter, wo moͤglich noch beſſerer Dichter, als
Sie bis jetzt im Lyriſchen gethan haben.
27.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt alles vergebens. Ich bin mir in mei-
nem Leben noch nicht ſo einfaͤltig vorgekommen,
als ſeit einigen Tagen. — Oder ſollte das ſeltſame
Ding, was in einem Lande Schande, im andern
Ehre bringt, woran keiner glaubt, und wogegen
die ganze Natur ſich empoͤrt, — ſollte die ſo-
genannte weibiſche Tugend hier wirklich ein-
mal kein Vorurtheil ſeyn? Und doch iſt es nicht
moͤglich, mein Benehmen iſt nur linkiſch und
ungeſchickt. Das Maͤdchen mit dieſen glaͤnzen-
den Augen muß Temperament haben, nur ver-
ſteh ich nicht die Kunſt, Sinnlichkeit, Eigen-
liebe und Eigennutz bey ihr auf die wahre Art
in Bewegung zu ſetzen.
Spotten Sie uͤbrigens, wie Sie wollen, es
iſt gewiß ein himmliſches Geſchoͤpf!
28.
William Lovell an Eduard Burton.
Rom.
Ich bin Dir noch die Nachricht ſchuldig, daß
ich mich jetzt beſſer befinde, und daß ich nun-
mehr bey kaͤlterem Blute Deinen Brief gruͤnd-
licher zu verſtehen glaube. Was Du gegen mei-
ne Ideen ſagſt, iſt ſehr wahr und gegruͤndet;
allein jeder Menſch hat ſeine eigene Philoſophie,
und die langſamere oder ſchnellere Cirkulation
des Blutes macht im Grunde die Verſchieden-
heit in den Geſinnungen der Menſchen aus.
Daher haſt Du in Deiner Perſon voͤllig Recht,
und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das
iſt eben das Hohe in der menſchlichen Seele,
daß ſich ihr einfacher Strahl in ſo unendlich
mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe
Dir zu, daß keine von allen die wahre ſey, aber
eben ſo wenig kannſt Du behaupten, jene iſt
ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe
anders ſieht, und Du das vielleicht Blau nennſt,
was mir als Roth erſcheint.
Doch wir wollen daruͤber nicht weiter diſpu-
tiren. Du irrſt aber darin voͤllig, wenn Du
meinſt, daß meine Gedanken nur Wiederholun-
gen von fremden ſind. Von Jugend auf habe
ich die Menſchen gehaßt und verachtet, die nur
das Echo andrer ſind, denn ihnen fehlt das
Kennzeichen der Menſchen; in die Klaſſe dieſer
klaͤglichen Geſchoͤpfe wirſt Du mich hoffentlich
niemals geworfen haben; und dann ließe ſich
wohl immer noch die Frage aufwerfen, ob es
bey einem Menſchen von einigem Verſtande moͤg-
lich ſey, ihn zu einer andern Denkungs- oder
Handelsweiſe zu verleiten, bey der ſeine ſoge-
nannte Moralitaͤt litte.
Schilt mich nicht wieder einen Sophiſten,
denn ich will nun einmal recht kalt und ge-
maͤßigt ſprechen. — Denke Dir den Fall, daß
man einen guten unbefangenen Menſchen nach
und nach ſo betaͤubt, daß er unvermerkt in ir-
gend eine Handlung hineintaumelt, die unſere
ſtrengere Moral nicht gut heißen kann; bey die-
ſem Umſtande iſt nur zweyerley moͤglich. Ent-
weder er iſt nach begangener That eben ſo un-
ſchuldig, als vorher, er hat ſie, ohne den Vor-
ſatz Boͤſes thun zu wollen, ausgefuͤhrt: nun ſo
iſt er zwar im Angeſichte des buchſtaͤblichen Ge-
ſetzes ſchuldig, aber wahrlich nicht in den Au-
gen der Vernunft, die nicht blos die grobe
aͤußere, meiſtentheils nur zufaͤllige Erſcheinung,
ſondern den innern boshaften Sinn beſtraft, ſelbſt
wenn dieſer keine Handlungen hervorbringt. —
Der zweyte Fall iſt alſo nun dieſer: daß ſchaͤnd-
liche Handlungen aus einem ſchaͤndlichen Vor-
haben entſtehen. — Wie kann aber meine Seele
fremde Ueberzeugung wirklich als die ihrige
annehmen? Wo willſt Du den Punkt, den Mo-
ment auffinden, in welchem eine reine Seele
zu einer ſchlechten wird? Geſchieht es durch
einen Zufall: wie iſt es moͤglich, daß ſich da-
durch ein Flecken im Geiſte erzeugt, da er nur
immer gute Gedanken und Vorſaͤtze faſſen kann? —
Durch die Meinung eines andern? Er wird
mit reinem Sinne den fremden nicht begreifen,
und wenn er ihn begreift, ſo ſetzt dies ſchon
voraus, daß er ſelbſt verdorben ſey. — Du
wirſt Dich aus dieſem Labyrinthe von Wider-
ſpruͤchen nicht herausfinden koͤnnen; nimm alſo
meine Meinung an, und gieb mir zu, daß Deine
Furcht gaͤnzlich ungegruͤndet iſt.
Aber unmoͤglich kann mein verſtaͤndiger Eduard
zu den Thoren gehoͤren, die nur ihres Gleichen
lieben koͤnnen; ich weiß, wie entfernt er von
dieſem Sektirergeiſte iſt, daher brauch ich nicht
zu heucheln, wenn ich von ſeiner Meinung ab-
weiche, um nur ſeine Freundſchaft nicht zu ver-
lieren. Ich darf mich daher eben ſo dreiſt wie
ſonſt unterſchreiben, meines geliebten
Freundes
zaͤrtlicher Freund
William Lovell.
29.
Walter Lovell an ſeinen Sohn
William.
London.
Lieber Sohn,
Ich weiß nicht, ob Du noch immer auf Dei-
nen ungluͤcklichen Vater zuͤrneſt, Deine ſparſa-
men und wortkargen Briefe laſſen es mich be-
fuͤrchten. Ich habe Dir bis jetzt unausgeſetzt
das verlangte Geld geſchickt, ohne bisher ein
Wort daruͤber zu verlieren, ob Du gleich in je-
dem Vierteljahre mehr als im vorigen gebraucht
haſt. Du findeſt hierbey auch den Wechſel, den
Du ſo ungeſtuͤm gefordert haſt; nur zwingen
mich diesmal die aͤußern Umſtaͤnde, einige Wor-
te hinzuzufuͤgen, die Dir und mir gleich unan-
genehm ſeyn muͤſſen.
Ich habe ſeit mehrern Jahren nur in Dir
und in der Ausſicht einer ſchoͤnen Zukunft ge-
lebt: aber ſeit einem halben Jahre hat ſich Dein
Herz von Deinem Vater abwendig gemacht; ich
wuͤßte kaum, daß Du noch lebteſt, wenn Deine
Briefe, in denen Du mich, wie ein ungeſtuͤmer
Glaͤu-
Glaͤubiger um Geld mahneſt, mich nicht mittel-
bar davon benachrichtigt haͤtten. Ich gab Dir
alles gern, denn ich habe mein Vermoͤgen von
je als ein Mittel angeſehn, Dich gluͤcklich zu
machen; ich war dabey uͤberzeugt, daß ſich das
Herz meines William wieder erweichen wuͤrde,
und ſo ließ ich Deinen Thorheiten freyen Lauf.
Wenn Du aus dieſem Briefe ſchließeſt, daß
ich wieder krank bin, ſo irrſt Du nicht. Ich
bin es, und vielleicht gefaͤhrlicher, als je. Ich
fuͤhle die Lebenskraft gleichſam nur noch tro-
pfenweiſe durch meinen Koͤrper rinnen, darum
kehre bald nach England zuruͤck, theurer Sohn,
damit ich Dich noch wiederſehe, und mir we-
nigſtens noch Ein Gluͤck auf dieſer Erde uͤbrig
bleibt.
Ich kann nicht nmhinumhin, meine anfaͤngliche
Drohung zu erfuͤllen, denn Du mußt ja doch
einmal alles erfahren. Meine ſchoͤne ertraͤumte
Zukunft, der Glanz unſers Hauſes, Deine
Groͤße, — alle meine Hoffnungen ſind dahin,
und auf ewig zernichtet! — Ich habe meinen
Prozeß verlohren, und Burton iſt jetzt Herr
meiner Laͤndereyen. Wie es moͤglich geworden,
auf welchen Wegen er dahin gekommen iſt, das
Lovell. 2r Bd. J
alles kann ich nicht begreifen: aber genug, daß
es geſchehen iſt! — Mir bleibt nun nichts wei-
ter uͤbrig, als die kleinen beiden Guͤter in Hamp-
ſhire, wo ich in dem alten verfallenen Hauſe
freylich noch zum Sterben Raum genug finde. —
Ich ſehe es ſchon voraus, wie ſich alle meine
Bekannten, die mir bisher ſchmeichelten, zu-
ruͤckziehen werden. Man kuͤmmert ſich ſo wenig
um den Ungluͤcklichen, der ſich aus der großen
Welt verliert, alles iſt kalt und empfindungs-
los, wie die Lichter am Firmamente, wenn ein
Stern herunterſinkt. Dies iſt das paſſendſte
Bild meines Ungluͤcks.
Burton beſuchte mich ſchadenfroh einige Ta-
ge vorher, ehe das Urtheil meines Prozeſſes ge-
ſprochen ward. Er war ungewoͤhnlich freund-
lich, er betrachtete das Haus und den Garten
aufmerkſam, ſchon als ſein Eigenthum, — und
ich will ihm auch mein hieſiges Gut verkaufen,
um nicht in der Naͤhe von London zu leben.
Troͤſte Dich, mein Sohn, und wenn Du viel-
leicht von dieſem Schlage weniger getroffen ſeyn
ſollteſt, als ich, ſo verſuche Deinen Vater zu
troͤſten. Ich ziehe in zwey Wochen von hier
fort, Du weißt alſo, wohin Du Deinen Brief
zu addreſſiren haſt.
Daß Du jetzt weniger Aufwand machen mußt;
daß es das letztemal iſt, daß ich Dir einen ſo
anſehnlichen Wechſel ſchicke, brauche ich wohl
nicht erſt hinzuzufuͤgen. — Ach mein Sohn!
ſtaͤnde Dein Gluͤck in meiner Hand! — Doch
ich will abbrechen; ich befinde mich ſehr uͤbel. —
Lebe wohl.
J 2
30.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich habe mancherley Nachrichten aus Eng-
land, die mich intereſſiren ſollten, allein ich
kann einzig an die ſchoͤne Roſaline denken. Him-
mel! welch ein Maͤdchen! Ich ſehe unaufhoͤr-
lich die hellen braunen Augen vor mir, ich kann
nichts anders denken, als ihren Gang und ih-
ren ſchlanken Wuchs. Ich habe ſie ſeitdem
mehr als einmal geſprochen; aber alles iſt ver-
gebens. Sie hat eine Menſchenſcheu, die un-
uͤberwindlich iſt, ſie geht mir aus dem Wege,
und wenn ich vor ihr ſtehe, ſchlaͤgt ſie die Au-
gen zur Erde, und ſieht mich nicht einmal an. —
Es iſt, als wenn ich zu dem Maͤdchen hinge-
zaubert waͤre, ich habe noch njenie ein Geſchoͤpf
mit dieſer Heftigkeit, ich moͤchte ſagen, mit
dieſem Wahnſinne geliebt. So wie ich nur die
Augen ſchließe, ſteht ſie vor mir; ich bin ſeit
einigen Tagen wie verruͤckt.
Ich mag weder Bianka noch Laura ſehen;
jedes andre Maͤdchen erſcheint mir langweilig
und abgeſchmackt. — Ach Roſaline! Ich moͤchte
nach ihrem Hauſe hinuͤberfliegen, oder unſicht-
bar neben ihr ſeyn. — Sie ſpotten blos, weil
Sie kaͤlteres Blut haben, weil Sie ſie nicht
kennen.
Ich habe jetzt eine Idee, die ſich gewiß aus-
fuͤhren laͤßt, und die mir ganz ohne Zweifel
weiter hilft. — Naͤchſtens ein mehreres davon;
dann will ich Ihnen alles weitlaͤuftig auseinan-
der ſetzen. Ja es ſoll foͤrmlich der intriguante
Plan einer Komoͤdie werden.
O wie lebt man anders, wenn man ein We-
ſen kennt, fuͤr das man lebt! Alles ſteht in
meinem Kopfe in Bezug mit Roſalinen. — Die
menſchliche Seele iſt doch ein kleines, armſeli-
ges Ding: denn ganz daſſelbe ſagt der Dichter
und der religioͤſe Schwaͤrmer auch von ſeiner
Kunſt. Der Philoſoph findet allenthalben ſeine
Syſteme wieder, der Gelehrte zieht alles nach
ſeinem Mittelpunkte. — O, ſo will ich denn
einzig fuͤr ſie leben! Sie ſoll die Sonne ſeyn,
um die wie Planeten meine Gedanken und Sy-
ſteme laufen. — Leben Sie wohl.
31.
Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Rom.
Ich bin jetzt hier, Thomas, ſo Gott will, et-
was beſſer dran, darum werde ich auch wohl
noch eine Zeitlang hier bleiben. Mit meinem
Herrn ſteh ich wieder auf einem recht guten Fuß,
er hat mir alles ganz ordentlich abgebeten, und
er iſt ſeit etlichen Tagen weit freundlicher mit
mir, als er Zeit ſeines Lebens geweſen iſt. Es
iſt gar nicht moͤglich, Thomas, daß man auf
ihn recht boͤſe ſeyn kann, ich habe ſogleich alles
vergeſſen und vergeben. — Mir iſt wieder ganz
wohl und leicht, aber doch gar nicht ſo, wie
im vorigen Jahre, ich reiſe doch ſobald als
moͤglich fort, ich kann nicht hier bleiben.
Sieh, Thomas, die ganze Geſchichte hat,
ſo wie man zu ſagen pflegt, ihren Haken.
Mein Herr iſt da vor dem Thore einem Maͤd-
chen gut, da wohn ich jetzt, — ach, nein Tho-
mas, glaube nichts Boͤſes von mir. Ich kann
wahrhaftig nicht dafuͤr, daß ich es meinem
Herrn verſprochen habe, das ich mich ſo ſehr
weit eingelaſſen habe. Ich ſtellte ihm alles ganz
ordentlich und chriſtlich vor, aber da half kein
Reden und Ermahnen, er wußte mir auf alle
meine Worte ſehr ſchoͤn Beſcheid zu geben, ſo
daß ich am Ende gar nicht mehr wußte, was
ich ſagen ſollte, und wie ein alter Narre vor
ihm ſtand, ſo weichherzig hatte er mich gemacht.
Er ſagte, daß er dem Maͤdchen ſo ganz wun-
derſehr gut ſey, daß er ſterben wuͤrde, wenn
ich ihm nicht den Gefallen thaͤte, und, da
konnt’ ich’s denn nicht uͤber’s Herz bringen. Nun
war mir die Freude auch noch etwas Neues, daß
ich wieder gut Freund mit ihm war; das hat
denn auch viel dabey gethan.
Nun wohn’ ich hier vor dem einen Thore
recht huͤbſch, recht wie auf dem Lande, und
mir iſt manchmal, als wenn ich in Bonſtreet
waͤre. Aber ich weiß doch auch recht gut, daß
es nicht ganz recht iſt, und ich graͤme mich in
manchen Stunden recht ſehr daruͤber, daß ich
den Schritt gethan habe; aber der Menſch iſt
doch ein gar zu ſchwaches Geſchoͤpf, und denn
bin ich meinem HeernHerrn Lovell gar zu gut, als
daß ich ihm was abſchlagen koͤnnte, wenn er
mich ſo recht herzbrechend darum bittet. — Je
nun, Gott muß ja bey ſo vielen Sachen ein we-
nig durch die Finger ſehn, ſo mag er mir denn
auch einmal von ſeiner Gnade etwas zukommen
laſſen.
Lebe wohl, lieber Bruder. Du haſt mir
lange nicht geſchrieben, thu es doch naͤchſtens
einmal wieder, und ſage mir Deine Bedenklich-
keiten daruͤber, und wie man es aͤndern muͤßte. —
Bis dahin lebe wohl.
32.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich habe Ihnen ſeit einigen Tagen keine Nach-
richten gegeben, weil ich ſo vielerley einzurich-
ten und zu beſorgen hatte, daß mir wirklich kei-
ne Zeit uͤbrig blieb.
Ich habe nach vielen Umſtaͤnden meinen al-
ten Willy beredet, in die benachbarte leerſte-
hende Huͤtte neben Roſalinen einzuziehen; dort
gilt er fuͤr meinen Vater, einen alten Venetia-
ner, der hieher gekommen iſt, um in Rom ſein
duͤrftiges Auskommen zu finden. Ich heiße An-
tonio. — Ich bin nun den groͤßten Theil des
Tages in einer gemeinen Tracht, die mich recht
gut verſtellt, bey Willy. Wir haben ſchon mit
unſern Nachbarinnen Bekanntſchaft gemacht, die
gegen Leute, die, ſo arm wie ſie ſcheinen,
außerordentlich zuvorkommend ſind. So iſt al-
les im ſchoͤnſten Zuge, und ich verſpreche mir
den gluͤcklichſten Fortgang.
Was das Maͤdchen naͤrriſch iſt! Sie hat
nun ſchon viel mit mir geſprochen, und iſt außer-
ordentlich zutraulich und redſelig. Sie hat eine
bezaubernde lebhafte Laune, und hat mich, wenn
ich nicht ſehr irre, gern. Doch ich zweifle noch,
denn in nichts in der Welt irrt man ſo leicht.
Wenn ich ein Mahler waͤre, ſchickt’ ich Ih-
nen ihr Bild, und Sie ſollten dann ſelbſt ent-
ſcheiden, ob ich wohl zu viel von ihr ſpreche.
Wie verſteinert betracht’ ich oft die reizendſte
Form, die je aus den Haͤnden der ſchaffenden
Natur gieng, den ſanften, zartgewoͤlbten Bu-
ſen, der ſich manchmal bey einer haͤuslichen Be-
ſchaͤfftigung halb enthuͤllt, den ſchoͤnſten klei-
nen Fuß, der kaum im Gange die Erde be-
ruͤhrt. — O weh! ich bemerke, daß ich woͤrt-
lich wiederhole, was ſchon die abgeſchmackteſten
Dichter geſagt haben.
Ich lebe hier gewiß ſo romantiſch, als es
nur moͤglich iſt; es kommt mir oft gar nicht
vor, wie ein ordentliches Leben auf dieſer Erde.
Einen großen Theil des Tages bin ich in der
kleinen Huͤtte, und ſehe Roſalinen im kleinen
Garten arbeiten; ich ſehe in der Ferne Leute,
die ſtolz voruͤber fabren und reiten, und ich be-
daure ſie, denn ſie kennen Roſalinen nicht; ſie
jagen muͤhſam nach Vergnuͤgen, und denken nicht
daran, daß die hoͤchſte Seligkeit hier in einer
ſeitwaͤrts gelegenen Huͤtte wohnt. Mittags und
Abends eſſ’ ich bey Roſalinen, das haben wir
gleich am zweyten Tage mit einander richtig ge-
macht; wir ſparen, wie die Alte bemerkte, bei-
de dabey. — Ach, Roſa, wie wenig braucht
der Menſch, um gluͤcklich zu ſeyn! Ich gebe, ſeit-
dem ich hier wohne, nicht den hundertſten Theil
von meinem Gelde aus, und bin froh. — Dar-
an denkt man ſo ſelten in jenem Taumel; —
aber wie viel gehoͤrt auch wieder zum Gluͤcke! —
Wuͤrd’ ich dieſe dumpfe Eingeſchraͤnktheit ertra-
gen, wenn mir Roſaline nicht dieſe Huͤtte zum
Pallaſte machte? O jetzt verſteh’ ich erſt dieſen
ſo oft gebeauchten und gemißbrauchten Ausdruck.
Es thut mir leid, wenn ich fortgehen muß,
um zu thun, als wenn ich irgendwo arbeitete.
Einmal habe ich ſchon auf den einſamen Spatzier-
gaͤngen, die ich dann mache, die Alte getroffen,
die in einem Korbe duͤrre Reiſer ſammlete. Ich
muß mich alſo in Acht nehmen, und ich kleide
mich daher oft bey Willy um, und ſchleiche
mich nach der Stadt.
Mir iſt alles duͤrre und unangenehm, jedes
Geſicht widrig. Und warum liebt ſie mich nicht
ſo, wie ich ſie anbete? — Mein Leben iſt ein
raſtloſes Treiben ungeſtuͤmer Wuͤnſche, wie ein
Waſſerrad vom heftigen Strome umgewaͤlzt, jetzt
iſt das unten, was eben noch oben war, und
der Schaum der Wogen rauſcht und wirbelt
durch einander, und macht den Blick des Be-
trachtenden ſchwindlicht.
33.
Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Sie fangen an mit Ihrer Geſchichte recht amuͤ-
ſant zu werden. Es iſt ja alles ſo ſchoͤn, wie
man es nur im beſten Romane verlangen kann.
Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, denn es iſt gewiß,
daß nichts uns unſer trocknes, proſaiſches Le-
ben ſo poetiſch macht, als irgend eine ſeltſame
Situation, in die wir uns ſelber verſetzen. Im
Grunde beſteht unſer ganzes Leben nur aus ſol-
chen Situationen, und ich tadle Sie daher gar
nicht, wenn Sie ſich Ihre Empfindungen ſo
lebhaft als moͤglich machen. Fahren Sie nur
fort, eben ſo aufrichtig gegen mich zu ſeyn, als
bisher, ſo werden mir Ihre Nachrichten viel
Vergnuͤgen machen. Seyn Sie aber auch, wenn
es irgend moͤglich iſt, aufrichtig gegen ſich ſelbſt:
denn ſonſt entſteht am Ende eine gewiſſe fade
Leere, die man ſich mit Enthuſiasmus auszufuͤl-
len zwingt; dies ſind die widrigſten Epochen
des Lebens. Man quaͤlt ſich dann, das Intereſſe
noch an denſelben Gegenſtaͤnden zu finden, weil
es uns ſcheint, als machten ſie unſern Werth
aus. Jede Illuſion aber, die kein Vergnuͤgen
macht, muß man emſig vermeiden. Man ſollte
ſich uͤberhaupt von Jugend auf daran gewoͤhnen,
die aͤußern Gegenſtaͤnde um ſich nur als Spie-
gel zu betrachten, in denen man ſich ſelber wahr-
nimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens
von ihnen abzuhaͤngen. Je mehr alles um uns
her von uns abhaͤngt, um ſo ſklaviſcher es uns
gehorcht, um ſo hoͤher ſteht unſer Verſtand.
Denn darin kann die Vernunft des Menſchen
unmoͤglich beſtehen, ſeltſame Dinge zu erfinden,
oder zu begreifen, ſondern damit er durch ſie
ihm gleichgeſchaffne Weſen nach ſeiner Willkuͤhr
lenke. Auf die Art kann der kluge Menſch Al-
len gebieten, mit denen er nahe oder fern in
Verbindung ſieht. Die Herrſchaft des Verſtan-
des iſt die unumſchraͤnkteſte, und Roſaline wird
gewiß bald unter dem Gebote meines verſtaͤndi-
gen Freundes ſtehn, wenn er ſich nicht von ihr
beherrſchen laͤßt, und ſelbſt ſeine Vernunft un-
terdruͤckt. Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, um nie
in dieſen Fall zu kommen.
34.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt gewiß, daß man unter unſchuldigen
Menſchen ſelbſt wieder unſchuldig wird. Jetzt
kommen mir manche meiner Ideen zu gewagt
vor, die mir ſonſt ſo natuͤrlich ſchienen; ich bin
hier in der kleinen Huͤtte demuͤthiger, ja ich
fuͤhl’ es, daß ich ganz einer von den Menſchen
werden koͤnnte, die ich mir bisher gar nicht
deutlich denken konnte; die in einer engen dun-
keln Stube geboren, nur ſo weit ihre Wuͤnſche
richten, als ſie um ſich ſehen koͤnnen; die mit
einem Gebete erwachen und ſchlafen gehen, Maͤhr-
chen hoͤren und im Stillen uͤberdenken, mit ei-
nem dumpfen, langſamen Fleiße eine Handarbeit
lernen, und nichts ſo ſehnlich als den Abend
und die Schlafſtunde erwarten. O Roſa, wenn
man dies Leben naͤher kennen lernt, ſo verliert
es ſehr viel von ſeiner druͤckenden Beklemmung.
Wir machen aus unſerm Leben ſo gern Ein un-
unterbrochnes Vergnuͤgen, und ſuchen Unan-
nehmlichkeiten muͤhſam auf, um die Freude durch
den Kontraſt zu wuͤrzen: bey dieſen Menſchen
aber iſt jedes unerwartete Vergnuͤgen ein Weih-
nachtsfeſt, wie ein ploͤtzlicher Sonnenblick an ei-
nem kalten Regentage ſcheint es hell und friſch
in ihre Seele hinein. Ich werde mich kuͤnftig
huͤten, die Menſchen mit dumpferen Sinne ſo
ſehr zu verachten. Ich komme am Ende auf
den Gedanken, daß alle Menſchen im Grunde
gleich gluͤcklich ſind.
Wenn ich in meinem kleinen Beſitzthume jetzt
auf, und abgehe, uͤber das Feld und nach der
Stadt hinuͤber ſehe, Roſalinens Stimme von
neben an hoͤre, und ich mich ſo recht ruhig und
gluͤcklich fuͤhle, der Tag ohne Verdruß und Wi-
derwillen ſich ſchließt; ſo komme ich manchmal
auf den Gedanken, in dieſer Lage zu bleiben,
hier ein Bauer zu werden, und das reinſte, fri-
ſcheſte Gluͤck des Lebens zu genießen. — Viel-
leicht bliebe ich hier immer froh nndund zufriebenzufrieden, —
vielleicht! — ach, die Wuͤnſche, die Neigungen
des Menſchen! — Welcher boͤſe Genius hat
dieſem Bilde, als es vollendet war, ſo viel der
widerſprechenden Triebe beygemiſcht!
Doch hinweg davon. O Roſa, nennen Sie
mir ein Schauſpiel, das dem an Reiz gleich
kaͤme,
kaͤme, wenn ſich eine ſchoͤne, unbefangne Seele
mit jeder Stunde mehr entwickelt. Wir ſind
jetzt bekannter mit einander, ich und Roſaline,
ich habe ſie taͤglich geſehn und geſprochen, mein
anſcheinendes Ungluͤck hat ſie geruͤhrt. — Sie
iſt ſo das reine Bild einer Maͤdchenſeele, ohne
die feinere Ausbildung, die die Erſcheinung zu-
gleich verſchoͤnert und entſtellt. Da uns die
Verſchiedenheit des Standes kein Hinderniß in
den Weg gelegt hat, ſo ſind wir auf einem recht
vertrauten Fuße mit einander. — Wir ſitzen oft
im finſtern Winkel, und ſprechen uͤber unſer
Schickſal, ſie erzaͤhlt mir Familiengeſchichten,
oder wunderbare Maͤhrchen, die ſie mit außer-
ordentlicher Lebhaftigkeit vortraͤgt; dann ſingt
ſie wieder ein kleines Volkslied, und begleitet
es mit den Toͤnen der Laute. — Es giebt kei-
ne Muſik weiter, als dieſe kleinen, taͤndelnden,
faſt kindiſchen Lieder, die ſo gleichſam im ſim-
peln Gang des Geſanges das Herz auf der Zun-
ge tragen, und wo nicht Toͤne, wie ungeheure
Wogen ſteigen und fallen, und ſich in einen
wilden Zug miſchen, der kreiſchend ſich durch
alle Tonarten ſchleppt, und dann in ein Chor
aller ſtuͤrmenden Inſtrumente verſinkt. Das Herz
Lovell. 2r Bd. K
bleibt um ſo leerer, je voller das Ohr iſt; die
Seele kann nur dieſen ſtillen Geſang ſo recht
aus dem Grunde genießen, hier ſchwimmt ſie
mit dem ſilbernen Strome in ferne dunkle Ge-
genden hinunter, die leiſeſten Ahndungen erwa-
chen in den Winkeln, und gehn ſtill durch das
Herz und Ruͤckerinnerung eines fruͤhern Daſeyns,
wunderbares Vorgefuͤhl der Unſterblichkeit ruͤhrt
die Seele an.
Wenn ich ihr gegenuͤber ſitze, — o wie Feuer
weht mich ihr Athem an! Ich habe ihr ſchon
an den Buſen ſtuͤrzen wollen, und dieſe Reize
mit unzaͤhligen Kuͤſſen bedecken; ich traͤume oft
ſo lebhaft vor mir hin, daß ich nachher unge-
wiß bin, ob ich es nicht ſchon gethan habe.
Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr
hinuͤber, die Toͤne ihrer Laute klingen mir oft
ſchmerzhaft im Kopfe nach — und bald, bald
muß es ſich aͤndern, oder ich verliere den
Verſtand.
Der Arme, er merkt nicht, daß es ſchon
geſchehn iſt! werden Sie ausrufen. Sie ſehn,
daß ich Ihnen ſelhſt die Waffen gegen mich in
die Hand gebe. Ach ich mag an keine witzigen
Einfaͤlle denken, ich mag mir nicht meine heißen
Gefuͤhle zerlegen, um ihre Beſtandtheile kennen
zu lernen, — ich mag es nicht, und ſelbſt wenn
es wahr ſeyn ſollte. Und alles zugegeben, ſo
glaͤnzt in dieſer Sinnlichkeit ſo viel erhabner
Geiſt, daß ich keine andre platoniſche Liebe
brauche.
Als ihre Mutter neulich ſchlafen gegangen
war, und ich mit ihr vor der Thuͤre ſaß, ent-
deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt
und zaͤrtlich, und ſagte mir ſehr naiv, daß ſie
ſchon einen Braͤutigam habe, und mich daher
nicht lieben duͤrfe, wenn ſie auch herzlich gern
wolle. Es iſt ein armer Fiſcher, der jetzt einer
kleinen Erbſchaft wegen zu Fuße nach Calabrien
gegangen iſt; ſie beſchrieb ihn mir ſogleich, und
geſtand mir ganz unverholen, daß er ſo huͤbſch
nicht ſey, als ich. Daſſelbe Maͤdchen, das mich
vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes
wuͤrdigte! O ihr Menſchenkenner, wann wer-
det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen!
Sie ruͤhrte mich, als ſie mir die Einrich-
tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthſchaft be-
ſchrieb. Wie beſchraͤnkt ſind die Wuͤnſche die-
ſer Menſchen! Wenn ich an meine Verſchwen-
dung denke, wie ein weggeworfner oder verſpiel-
K 2
ter Theil meines Vermoͤgens dies herrliche Ge-
ſchoͤpf gluͤcklich machen wuͤrde! — Ich lerne
viel in dieſen Huͤtten, Roſa, ich glaube, ich
lerne hier mehr ein Menſch ſeyn, und mich
fuͤr das Ungluͤck der Menſchen intereſſiren. —
Und ſie ſollte hier fuͤr einen armſeligen Schiffer
aufgebluͤht ſeyn? Fuͤr einen Verworfenen, der
ſich vielleicht gluͤcklich ſchaͤtzen wuͤrde, wenn er
mein Bedienter werden koͤnnte? — Nimmer-
mehr! — Dagegen muß ich Vorkehrungen tref-
fen, und ich denke, das Beſte iſt ſchon geſchehen.
Wir nennen uns Du, und zuweilen, wenn ſie
ausgehen muß, oder ich in der Stadt bin, giebt
ſie bey meinem Willy Briefe fuͤr mich ab. —
Neulich ſaß ſie auf einem niedrigen Schemel,
und ſchaukelte ſich waͤhrend dem Erzaͤhlen ein
wenig, ploͤtzlich wollte ſie fallen, ich fing ſie
auf, und meine Hand kam durch eiueneinen Zufall
auf ihre ſchoͤne, feſte Bruſt zu liegen. Wir
ſprachen weiter, ich zog die Finger nicht zuruͤck,
ſondern ſpielte an dem Buſentuche wie in Ge-
danken, ſie ſah mich erroͤthend und halblaͤchelnd
an, und ließ es geſchehen, indem ſie in der
Rede fortfuhr.
Sie iſt ſich mit ihren dunkeln Trieben ſelbſt
ein Raͤthſel: ſie kommt mir in manchen Augen-
blicken mit ihrer Unſchuld wie eine heilige Prie-
ſterinn, oder wie eine unverletzliche Gottheit
vor; — und dann wieder die feurigen Augen!
Der muthwillige Zug um den Mund! —
Ich habe neulich in der Ferne fuͤr mich ein
paar ſchalkhafte italiaͤniſche Liedchen geſungen,
und ich ertappte ſie geſtern, wie ſie eben, wie
unwillkuͤhrlich, die erſten Takte griff, und den
Anfang ſang. — Ploͤtzlich hielt ſie inne, ward
ohne zu lachen roth, und legte die Laute fort,
gleichſam wie eine gefaͤhrliche, nicht genug ver-
ſchwiegene Freundinn. — Ich kenne nichts ſchoͤ-
ners, als dieſe ungeſchminkte Natur zu ſtudi-
ren; o ſie wird, ſie muß die Meinige werden! —
Stammelnd hab’ ich ihr die Ehe verſprochen,
und, das weiß Gott! wenigſtens halb im Ernſt. —
So eben ſeh ich ſie vor die Thuͤre treten,
ich gehe zu ihr; — leben Sie wohl.
35.
Roſaline au Anthonio.
Du biſt ſchon wieder fort, Lieber, und ich
glaubte Dich ſo gewiß zu treffen. Ich ließ Dich
geſtern gern die Laute mitnehmen, und that,
als merkt’ ich es nicht, weil ich ſie heut wieder
abholen wollte. — Du boͤſer Menſch! mich
vergebens kommen zu laſſen! — Dein Vater ſieht
immer ſo verdrießlich aus, ich glaube, es will
ihm noch gar nicht bey uns gefallen: ich ſcheue
mich vor ihm, weil er mich immer ſo ernſthaft
anſieht. — Komm doch ja heut Abend, ich
will Dir ein neues Lied ſpielen, das ganz wie
auf Dich gemacht iſt. Komm ja und bleib huͤbſch
lange. Die Abende ſind jetzt ſo ſchoͤn, und wir
wollen denn noch mit einander ſingen. Aber
Du mußt nicht wieder boͤſe werden, ich will
ja auch kein Wort wieder vom armen Pietro
ſprechen.
36.
Anthonio an Roſaline.
Nein, Liebe, ſprich nicht wieder von ihm,
denn ſein Nahme geht mir immer wie ein Dolch-
ſtoß durch’s Herz. Ich hoffe immer noch, daß
er nie wieder zuruͤck kommen wird; wer weiß
was ihm begegnet iſt, da er gar keine Nach-
richten von ſich giebt. — Thut es mir nicht
ſelber weh, daß ich ſo oft von Deiner Seite
muß? Du haͤtteſt mich aber gewiß getroffen,
wenn ich daran gedacht haͤtte, daß Du kommen
koͤnnteſt.
O Roſaline, laß die Geſaͤnge, die den kran-
ken Reſt meines Herzens zerſchmelzen, und mei-
ne Seele ganz mit ſich nehmen. Leb’ ich nicht
ſchon ganz bey Dir, nur allein in Deiner Ge-
genwart? Keine Arbeit will mir jetzt von der
Hand gehn, da ich immer nach der Gegend hin-
ſehe, in welcher Dein Haus ſteht. — Ach,
wenn Du mich doch ſo lieben koͤnnteſt, wie ich
Dich liebe! o Roſaline, welche Ausſicht wuͤrde
ſich mir eroͤffnen! — O ja, ja, ſinge das Lied-
chen, wenn es ſo wie auf mich gemacht iſt,
und wenn von einem weichherzigen Maͤdchen und
einem erhoͤrten Liebhaber darin die Rede iſt, o
ſo laß es auch denn noch auf mich paſſend wer-
den. Ich ſehe Dich gewiß heut Abend, ich blei-
be mit Dir vor der Thuͤre ſitzen, — ach, koͤnnt’
ich zeitlebens nur um Dich ſeyn, koͤnnt’ ich ewig
den ſuͤßen Ton Deiner Stimme hoͤren! Alles,
was ich vernehme, klingt mir wie Dein Geſang,
ſo tief bin ich in Traͤume verſunken, ich fahre
auf, wenn man meinen Namen nennt, wenn
jemand mich ruft. — O glaub’ es, glaub’ es
theures Maͤdchen, daß ich nie ohne Dich wuͤrde
leben koͤnnen: daß ich fuͤr Dich alles, ſelbſt das
Gewagteſte und Schrecklichſte ausfuͤhren koͤnnte.
37.
Roſaline an Anthonio.
Und warum wurdeſt Du denn nun doch ſo ver-
drießlich, als ich geſtern das Liedchen ſang? —
Was willſt Du von mir? — Seh ich Dich nicht
gern kommen und ungern fortgehen? Denk’ ich
nicht fleißig an Dich? Hab’ ich nicht geſtern
die verſprochenen Kuͤſſe gewiſſenhaft abbezahlt,
und ſogar noch einige, ich weiß nicht wie viel,
mehr gegeben? Was kannſt Du denn noch ver-
langen? — Aber Du machſt mich immer mit
traurig, und ich weiß gar nicht, was ich Dir
zu Gefallen thun kann; Dir iſt nichts recht,
und Du weißt gewiß ſelbſt nicht, was Du
willſt. — Siehſt Du, ich kann auch einmal
boͤſe werden, aber gewiß nur jetzt, nicht, wenn
ich Dich vor mir ſehe, dann hab’ ich alles ver-
geſſen, woruͤber ich klagen koͤnnte.
Meine Mutter hat heute ſchon ein ernſthaf-
tes Geſpraͤch mit mir gehabt, ich ſoll nicht ſo
viel bey Dir ſeyn, hat ſie geſagt. Ich ſeh aber
nicht, warum. Sie iſt alt und ein wenig ei-
genſinnig, faſt ſo ein Gemuͤth, wie Dein Va-
ter; Du gefaͤllſt ihr nicht recht, denn Du biſt
ihr etwas zu leichtſinnig. Du mußt daruͤber
nicht boͤſe werden, ſie iſt ſchon alt, und das
macht es, denn wer moͤgte Dich wohl ſonſt nicht
gern leiden? Jeder Menſch, der Dich ſieht,
muß Dein Freund ſeyn. Nur das ernſthafte,
finſtre Weſen kleidet Dich gar nicht, das kann
ich Dich verſichern, Du koͤmmſt mir dann mit
einemmal ganz fremd vor; ſchaff’ es ab.
Auch mit Deinem Vater biſt Du nicht recht
gut, der meint es mit ſeinen Ermahnungen doch
gewiß ſehr rechtſchaffen. Mach’ es, wie ich, ich
laſſe meine Mutter oft lange reden, und thu,
als hoͤr’ ich ihr zu, und denke unterdeſſen an
Dich.
Aber wie viel hab ich nun an Dir getadelt!
Ach glaube nur nichts davon, das iſt grade ſo,
als wenn ich ein Lied von boͤſen Menſchen ſinge,
ich kann immer nicht daran glauben. Ich habe
meine Altklugheit nur vom Hoͤrenſagen. — Noch
eins, ſey heut Abend etwas artiger, als geſtern,
denn ſonſt werd’ ich noch den Hund abrichten,
daß er Dich beißen ſoll. — Adieu, und komm
huͤbſch fruͤh.
38.
William Lovell an Roſa.
Rom.
O Roſa, warum bin ich nicht zufrieden und
gluͤcklich? Warum bleibt ein Wunſch nur ſo
lange Wunſch, bis er erfuͤllt iſt? Hab’ ich nicht
alles, wvswas ich verlangte? und dennoch werd ich
immer weiter vorgedraͤngt, und auch im hoͤch-
ſten Genuſſe lauert gewiß ſchon eine neue Be-
gierde, die ſich ſelbſt nicht kennt. Welcher boͤſe
Geiſt iſt es, der uns ſo durch alle Freuden an-
winkt? Er lockt uns von einem Tage zum an-
dern hinuͤber, wir folgen betaͤubt, ohne zu wiſ-
ſen, wohin wir treten, und ſinken ſo in einer
veraͤchtlichen Trunkenheit in unſer Grab. Ich
ſchwoͤre Ihnen, daß mir in manchen Momenten
aller Genuß der Sinne verabſcheunngswuͤrdigverabſcheuungswuͤrdig
erſcheint, daß ich mich vor mir ſelber ſchaͤme,
wenn ich dieſe holden Zuͤge betrachte, dieſe Un-
ſchuld, die ſich auf der weißen reinen Stirn
abſpiegelt; es iſt mir manchmal, als wenn mich
eine Gottheit durch ihre hellen Augen anſchaute,
und ich erroͤthe dann wie ein Knabe.
Neulich war ich in der hoͤchſten Verwirrung;
ſie hatte eines von den neuern Liedern gehoͤrt,
und ſpielte es mir in ihrer Unbefangenheit am
Abende vor, weil es ihr ſo paſſend auf mich
ſchien. Fuͤhlen Sie, wie mir zu Muthe ward,
wie gedemuͤthigt. Es war wirklich das Lied,
welches mich durch einen Zufall zuerſt auf die
Idee meiner Verkleidung fuͤhrte, und ansaus dem
ich ſogar meinen Nahmen Anthonio entlehnt
habe. Kann die bitterſte Satyre mich tiefer er-
niedrigen, als dieſes kindliche, fromme, un-
ſchuldige Weſen? Nie hab ich vor einem Men-
ſchen ſo in aller Nacktheit geſtanden, nie bin
ich ſo durch und durch beſchaͤmt worden. Bey
jedem andern Maͤdchen wuͤrd’ ich uͤberzeugt ſeyn,
ſie habe mich vollkommen errathen; allein ich
ſchwoͤre Ihnen, daß es hier nicht der Fall iſt.
Und was iſt denn nun von einer andern Sei-
te mein ganzes aͤngſtliches Gefuͤhl? Wozu alle
dieſe ſeltſamen Windungen? Ich liebe ſie, und
ſie liebt mich. Ich kann ja kein Gluͤck eines
fremden Weſens berechnen, oder mir vorſtellen;
folglich iſt das Aufſuchen meines eigenen Gluͤcks
die einzige Regel, die wir in dieſem Leben an-
wenden koͤnnen. Ich glaube, das Mißvergnuͤ-
gen, noch nicht ganz gluͤcklich zu ſeyn, iſt es,
was mir meine Lage verbittert: die Armſelig-
keit, nicht irgend einen Schluß recht lebhaft zu
faſſen, und ungeſtoͤrt nach ihm zu handeln.
Sie haben nie ein Weſen, wie dieſe Roſa-
line, gekannt, und Sie kennen daher auch die
ſchoͤnſte Bluͤthe des Vergnuͤgens nicht. Sie ſoll-
ten ſie ſehn, wie ſie mir entgegen laͤuft, und
denn wieder ſtille ſteht, und ploͤtzlich thut, als
habe ſie nur irgend einen Gegenſtand geſucht;
die Liſt, die ſie bey aller frommen Unſchuld
hat, und die jedem Maͤdchen mit auf die Welt
gegeben wird, und die, wenn ich ſo ſagen darf,
die Unſchuldigen noch unſchuldiger macht. Die
Mutter ſchlief neulich in ihrem Lehnſtuhle, und
ich kuͤßte ſie, indem ſie neben mir ſaß; von
ohngefaͤhr ſchallte der Kuß etwas ſtaͤrker, und
die Mutter wachte auf; in demſelben Augen-
blicke aber hatte ſie ihren kleinen Hund ſchon
ein wenig gezwickt, ſo daß er ſchreien mußte,
und die Mutter keinen Argwohn ſchoͤpfte.
Ich erhitze ſie oft lebhaft durch boshaft ge-
ſchlungene UmarmuugenUmarmungen und wolluͤſtige Kuͤſſe,
die ſie erwiedert, ohne zu wiſſen, was ſie thut.
Sie preßt ſich denn aͤngſtlich an meine Bruſt,
und ſtoͤßt beklemmte Seufzer aus. Ja, ich mache
ſie ſelbſt gluͤcklich, wenn ich ſie uͤber ihr eignes
Weſen aufklaͤre, ſie wird ſich ſelbſt im Kelche
der Wonne berauſchen, und mir noch fuͤr mein
hoͤchſtes Gluͤck Dank ſagen.
Werden Sie nicht bald nach Rom zuruͤck-
kehren? Ich vermlſſevermiſſe taͤglich Ihre Geſellſchaft,
vorzuͤglich, wenn ich nicht bey Roſalinen bin.
In Rom fang’ ich an, allen Leuten fremd zu
werden, ich mag Niemand beſuchen, ich mag
nichts thun: ſchon ſeit lange aͤngſtigt mich ein
Brief, den ich an meinen Vater ſchreiben muß,
ich kann nichts anders denken und ſprechen. —
39.
Walter Lovell an ſeinen Sohn
William.
Kenſea in Hampſhire.
Ich bekomme keine Antwort auf meinen Brief,
und ich werde mit jedem Tage ſchwaͤcher. Der
Arzt findet es jetzt bedenklich, und ich fuͤhl’ es,
daß die Uhr meines Lebens zu Ende gelaufen
iſt. — Alles wird mir gleichguͤltig, was mir
ſonſt wichtig war, meine ehemaligen Plane ha-
be ich voͤllig vergeſſen, komm alſo ohne alle Scheu
nach England zuruͤck, lieber Sohn, heirathe,
wenn Du durchaus willſt, Amalien, ich will
und kann nichts weiter dagegen einwenden, nur
brich Dein Schweigen und komm. Ach, wenn
Du willſt, muß ich Dich freilich auch noch we-
gen einer meiner Briefe um Vergebung bitten,
ich meinte es gut mit Dir, und damals war
auch die Lage der Sachen anders.
Wenn der Wind hier durch den Wald blaͤſ’t,
und die losgegangenen Tapeten im Nebenzimmer
rauſchen und klatſchen, o dann, lieber William,
fuͤhl’ ich mich ſo einſam, ſo heimathlos. Ich ſehe
troſtlos dem truͤben Beſchluß eines truͤben Le-
bens entgegen. Ich ſehe keine Freunde, keine
andre Geſichter, als die meiner Bedienten, alle
haben ſich von mir zuruͤckgezogen, und ich be-
finde mich wohl dabey. Nur Dich wuͤnſch’ ich
bey Tage und in der Nacht zu mir her; ich
war ein Thor, daß ich muͤhſam erſt ein Gebaͤu-
de meines Gluͤckes auffuͤhren wollte, und nicht
die Freuden annahm, die mir das Schickſal an
der Bruſt meines Sohnes, in den Armen einer
guten Tochter, vielleicht in einem Zirkel von
froͤhlichen Enkeln anbot. Jetzt iſt mir die Binde
geloͤſt, und es iſt vielleicht zu ſpaͤt. — Doch
nein, mein William giebt mir gewiß Freude
und Troſt zuruͤck; wer weiß, welche einſamen
Gegenden er ſchon durcheilt, um ſeinen alten
kranken Vater noch wieder zu ſehn! Wo Du
auch ſeyſt, Gott ſey mit Dir!
40.
40.
Roſaline an Anthonio.
Die ganze, ganze lange Nacht hab’ ich nicht
ſchlafen koͤnnen. Und daran biſt blos Du Schuld!
Immer war mir, als ſchliefeſt Du neben mir,
ich hatte Dich in meinen Armen, und wachte
von Deinen Kuͤſſen auf. Als der Mond durch
eine Ritze der Fenſterladen in meine Stube
ſchien, und der Strahl ſich ſo uͤber den Boden
goß und an der Decke ſchimmerte, hab’ ich recht
herzlich geweint, weil ich mich zum erſtenmal
im Leben ſo einſam fuͤhlte. O Du boͤſer Menſch
kannſt die Noth gar nicht verantworten, die Du
mir machſt. Mein Vater iſt todt und meine
Mutter ſtirbt auch vielleicht bald; wenn nun
Pietro nicht zuruͤck koͤmmt, ſo biſt Du der ein-
zige Menſch auf der Welt, der mir noch bey-
ſtehn kann. Aber wenn Du alle meine Liebe
nicht verdienteſt! Ach Anthonio, Du haſt Dich
ſo oft uͤber meine Luſtigkeit gefreut, ich bin
nur froͤlich, wenn ich Dich ſehe, Du ſiehſt, wie
betruͤbt ich werde, wenn ich allein bin. Drum
Lovell. 2r Bd. L
ſollten wir uns gar nicht trennen, dann wuͤr-
den wir beide immer recht vergnuͤgt ſeyn.
Du bleibſt jetzt oft viel laͤnger weg, als an-
fangs. Du freuſt Dich nicht mehr wie ſonſt
daruͤber, wenn ich Dir einen Kuß gebe; ſage
mir, was hab’ ich Dir gethan, du Unzufried-
ner? Oder iſt es die Sitte in Eurem Lande,
daß man immer ſo ernſt und verdrießlich iſt?
41.
Anthonio an Roſaline.
Was Du mir gethan haſt, liebſtes, beſtes Maͤd-
chen? Nichts, als daß Du mich nicht eben ſo
ſehr liebſt, wie ich Dich liebe. — Warum ver-
laͤßt Du mich oft ſo ploͤtzlich? Warum darf ich
nicht in der Nacht bey Dir bleiben, wenn Du
Dich ohne mich ſo einſam fuͤhlſt? Die wahre
Liebe iſt mit dieſem Eigenſinne unbekannt. Wenn
Du mich nur hier ſaͤheſt, wie ich oft in der
Nacht nach Deinem Hauſe hinuͤber blicke, wie
ich nicht ſchlafen kann, und mir ſchweigend
Deine Lieder wiederhole, um mich nur etwas
zu beruhigen, wie ich Dein Bild tauſend und
tauſendmal kuͤſſe, das ich neulich bey Dir zeich-
nete! Das Papier iſt von meinen Thraͤnen naß;
das Haus wird mir zu enge, und ich ſchweife
im truͤben Mondlichte dann zwiſchen den Rui-
nen umher, und Deine Geſtalt begleitet mich
allenthalben. O Roſaline, dieſes Zagen, dieſe
Angſt kennſt Du nicht, denn ſonſt wuͤrdeſt Du
meinen Zuſtand mehr bemitleiden. Nein, Hart-
herzige! Du kennſt die Liebe nicht, denn Du
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verhoͤhnſt meine Empfindung. Undankbare! Du
weideſt Deine Eitelkeit an meinem Gram, und
wirſt Dich uͤber meine Verzweiflung freuen! —
Stand ich nicht geſtern noch eine Stunde laͤn-
ger vor Deiner Thuͤre, und Du kamſt nicht wie-
der, wie Du mir verſprochen hatteſt? Spielteſt
Du nicht, um mich zu kraͤnken, dies verhaßte
Lied von dem Anthonio? — Nein, Du betruͤgſt
mich nur mit einem Schein von Liebe, Du
freuſt Dich daruͤber, daß Du mich gedehmuͤthigt
haſt, und alle Deine Kuͤſſe, Deine Umarmun-
gen ſind Heucheley. Labe Dich an meinem An-
blicke, wenn Du mich wahnſinnig gemacht haſt!
O vergieb mir, Theure, wenn ich Dir Un-
recht thue! Betruͤben moͤcht ich Dich nicht.
42.
Roſaline an Anthonio.
Du kannſt das Lied vom Anthonio nicht lei-
den? Mein liebſtes Lied, weil es Deinen Nah-
men fuͤhrt? Ach, Lieber, wie unrecht thuſt Du
mir! Dir zum Poſſen ſoll ich es ſingen, und
ich will mich dadurch troͤſten, weil ich nicht
wieder herausgehn konnte. Die Mutter war
boͤſe und hatte mir es ſtreng verboten, und ich
muß ihr doch gehorchen. Sie will nicht gern,
daß ich ſo viel bey Dir bin. Nein, wenn es
Dir nicht gefaͤllt, will ich das Lied nie mehr
ſpielen, ſo ſehr ich es auch liebe. Ich Dich
kraͤnken! Ach, Anthonio, wie ſollt ich das koͤn-
nen? — Wenn Du da biſt, ſchaͤm’ ich mich
nur immer zu ſagen, wie gut ich Dir bin: man
hat keine Worte dazu, ich muͤßte neue ausden-
ken, unbund das geht denn nicht. Aber wenn Du
ſo weggegangen biſt, und ich Dir nun nachſehe,
oder wenn ich einen Deiner Briefe leſe, ſieh,
ſo kehrt ſich mir das ganze Herz um, und ich
moͤchte Dir nachrennen, Dich vor der ganzen
Welt in meine Arme druͤcken, Dein liebes Ge-
ſicht kuͤſſen, und in Thraͤnen vergehn, und ru-
fen: Ja, Menſchen ſeht es, Baͤume und Berge
hoͤrt es, ſo, ſo lieb’ ich ihn; was kuͤmmert ihr
mich alle, wenn er mir nur, der einzig Theure
in der Welt, uͤbrig bleibt? Sieh, wenn Du
nichts nach mir fragteſt; ſo koͤnnt’ ich zu Dei-
nen Fuͤßen niederknien, und um Deine Liebe
bitten; ich koͤnnte meine Religion verlaſſen und
nicht mehr zur goͤttlichen Madonne beten, wenn
Du es wollteſt: ich koͤnnte mit Dir in fremde,
wuͤſte Laͤnder ziehn, wo man andre Sprachen
ſpricht, wo, wie man mir einſt erzaͤhlt hat, Eis
und Winter faſt immer die Luft zuſammen zieht;
o ich koͤnnte fuͤr Dich ſterben, — alles, alles,
nur Dich nicht vergeſſen, nur nicht Deinen
Tod, oder Deine Verachtung uͤberleben. —
Ach, kannſt Du mich noch unempfindlich und
undankbar ſchelten? Kannſt Du noch auf mein
liebes Lied boͤſe ſeyn?
43.
Anthonio an Roſaline.
Nein, ich will Dein Lied nicht mehr ſchelten,
liebe Roſaline. Ich habe Dir und ihm Unrecht
gethan, und ich will es ihm abbitten: Schicke
mir zur Verſoͤhnung die Abſchrift, die Du da-
von haſt, ich will es zu Deinen Briefen, zu
Deinem Bilde legen, neben Deiner Locke; mehr
kann ich ihm zur Ehre doch nicht thun. — Wie
hat mich Dein lieber Brief geruͤhrt! O, ich
habe ihn um Vergebung gebeten, und will es
muͤndlich bey Dir wiederholen. Bin ich Dir
wirklich ſo theuer, als Du da ſchreibſt? Ich
kann es nicht glauben, und glaub’ es doch ſo
gern. Deine Stimme klingt mir, wie ein Ton
aus einem Traume, der mir die Schaͤtze der
Erde verſpricht, und dem die wirkliche Natur
nicht Wort halten kann. Ach nein! die Liebe
macht das Unmoͤgliche leicht. Sie erſetzt uns
jedes Gluͤck der Erde. —
44.
Roſaline an Anthonio.
Siehſt Du nun wohl, daß ich Recht habe?
Dafuͤr will ich Dir nun auch das Lied ſo zier-
lich und ſchoͤn abſchreiben, als es mir nur im-
mer moͤglich iſt. —
Der Arme und die Liebe.
Es kam an einem Pilgerſtab
Wohl uͤber’s graue Meer
Ein Wandersmann in’s Thal hinab,
Von fremden Landen her.
Erbarmt euch meiner, rief er aus,
Ich komm aus fernem Land,
Verlohren hab’ ich Gut und Haus,
Anthonio genannt.
Die Eltern ſtarben mir ſchon lang’,
Ich war noch ſchwach und klein,
War ohne Gut, war ohne Rang,
Und Niemand dachte mein.
Da nahm ich dieſen Wanderſtab
Und trat die Reiſe an,
Stieg hier ins friſche Thal hinab,
Fleh’ euer Mitleid an. —
Da ging er wohl von Thuͤr zu Thuͤr,
Ging hier und wieder dort,
Ward abgewieſen dort und hier,
Und ſchlich ſich weinend fort.
»Was ſuchſt Du in der Fremde Gluͤck?
»Wir ſind Dir nicht verwandt!
»Geh, wo Du her koͤmmſt, nur zuruͤck,
»Biſt nicht aus unſerm Land. —
»Genug der Freunde leiden Noth,
»Der Landsmann ſucht hier Troſt,
»Fuͤr ſie waͤchſt unſer ſchoͤnes Brodt,
»Fuͤr ſteſie der ſuͤße Moſt.« —
Still und beſchaͤmt mit Ach und O!
Schlich er die Straße hin,
Da ruft es ſanft: Anthonio!
Ein Maͤdchen winkt ihn hin.
O nimm von meiner Armuth an,
Spricht ſie mit frommen Sinn,
Ich gebe was ich geben kann,
Nimm alles, alles hin.
Lucindes blaues Auge weint,
Er dankt mit heißem Kuß,
Und ſieh! die Liebenden vereint
Ein raſcher Thraͤnenguß.
Ach nein, Du biſt mir nicht verwandt,
Dennoch erbarm ich mich,
Und biſt Du gleich aus fremden Land’,
So lieb ich dennoch Dich.
Die Liebe kennt nicht Vaterland,
Sie macht uns alle gleich.
Ein jedes Herz iſt ihr verwandt,
Sie macht den Bettler reich!
Ich habe ſchon oft verſucht, ſtatt Lucinde
Roſaline zu ſingen, allein es will nicht in den
Takt paſſen, und das thut mir ſehr leid. —
Wir wollen heut Abend einmal verſuchen, ob
wir das Lied nicht noch ein wenig abaͤndern
koͤnnen. Du mußt mir helfen, denn Du weißt
ja damit Beſcheid. Ich leſe Deine Verſe alle
Tage, und verſteh ſie jedesmal etwas beſſer. —
O ich bin in manchen Stunden ordentlich ſtolz
auf Dich, und daß DnDu unter den tauſend, tau-
ſend Maͤdchen grade mich nur einzig und allein
liebſt. Und doch wieder nicht ſtolz, nur ſo froh,
daß ich dann dem Himmel mit weinenden Au-
gen danke, daß er es ſo gelenkt hat, daß Du
mich aufgefunden haſt. — — Warum meine
Mutter nicht ganz ſo denken will, wie ich? Ich
kann gar nicht begreifen, wie man etwas gegen
Dich haben kann. Alle MenfchenMenſchen ſollten ſo
ſeyn, wie Du, ſo waͤre das die ſchoͤnſte Welt. —
Adieu, und bleibe ja heut laͤnger.
45.
Anthonio an Roſaline.
Alſo heut, wuͤrklich nun heut! — So iſt
denn doch endlich die zoͤgernde Stunde herange-
ſchlichen, die mich vollkommen gluͤcklich machen
ſoll. — O wie dank ich Dir! Aber Du wirſt
doch Wort halten? —
46.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt wunderbar, wie lange ich in dem Vor-
hofe der Seeligkeit aufgehalten werde; tauſend
Zufaͤlle vereinigen ſich, um mich immer wieder
von der hoͤchſten Wonne zu entfernen. Roſaline
iſt mein, unbedingt mein. — Sie hatte ſich
neulich fuͤr meine Bitten erweicht, und mir
verſprochen, mich in der Nacht heimlich zu ſich
kommen zu laſſen, aber die Mutter wurde krank,
und ſie mußte bey ihrem Bette wachen. Welche
Nacht hatt’ ich! Die Sehnſucht regte ſich mit
allen ihren Gefuͤhlen in mir, ich kountekonnte nicht
eine Minute ſchlafen, und doch auch nicht wa-
chen. Ich lag in einer Art von Betaͤubung, in
der ſich Bilder auf Bilder draͤngten, und mein
kleines Zimmer zum Tummelplatze der verwor-
renſten Scenen machten. Es war eine Art von
Fieberzuſtand, in welchem mir hundert Sachen
einfielen, uͤber die ich noch lange werde denken
und traͤumen koͤnnen.
Sie hat ſich mir gaͤnzlich dahin gegeben, ſie
ſteht in meiner Willkuͤhr. — Aber verdammte
Kleinigkeiten, die ſich nicht berechnen laſſen,
werfen ſich immer wieder dazwiſchen. — Aber
ich muß den letzten und vollkommenen Sieg er-
fechten, oder ich verdiene es nicht, Ihr Freund
zu ſeyn.
47.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt um raſend zu werden! Alles iſt dahin!
Alle meine Ruhe, alle meine Liebe, iſt gaͤnzlich,
durchaus verlohren! Ich kenne mich kaum wie-
der, ich verachte und haſſe mich ſelbſt, ob ich
gleich nur auf den Zufall fluchen ſollte. Den-
ken Sie nur ſelbſt, alles war beſtimmt und feſt
gemacht, Roſaline war ſo zaͤrtlich gegen mich,
wie ſie noch nie geweſen iſt, ſie war voͤllig da-
von uͤberzeugt, daß ich ſie heirathen wollte, und
bey Gott ich haͤtt’ es auch gethan; ſie hatte
mir die geſtrige Nacht zugeſagt, und ich erwar-
tete mit Ungeduld die Adendroͤthe; tauſend Ideen
gingen durch meinen traͤumenden Sinn, ich
konnte mir meine Phantaſien und Hoffnungen
gar nicht als wuͤrklich denken, — o und ſie ſind
es auch nun nicht geworden! Ich ſtehe hier wie
ein Schulknabe, der ſeinen Lehrer fuͤrchtet, ich
bin beſchaͤmt und verworfen: geſtern kam noch
bey Tiſche ein alter Mann als Bothe, der Pie-
tro’s, des armſeligen Fiſchers, des Braͤutigams
Zuruͤckkunft anſagte. In wenigen Tagen wird
er hier ſeyn. Ich war wie vom Schlage
getroffen, alle meine Sinne waren gelaͤhmt,
bleich, und wie aus der Ferne hoͤrt’ ich nur die
genaueren Nachrichten, die der Schurke mit-
brachte. Schon das verdammte Geſicht des
Kerls, als er zur Thuͤre hereintrat, kuͤndigte
mir nichts Gutes an. Es war eine von den
Phyſiognomien, die dazu gemacht ſind, Un-
gluͤcksbothſchaften zu bringen.
UudUnd dann die Freude der Mutter! Die ſtille
Beſchaͤmung Roſalinens, die mir ploͤtzlich durch
die bloße Nachricht ganz abgewandt wurde! O
mich wundert, daß ich nicht den Verſtand ver-
lohren habe! Sie weicht mir ſeitdem aͤngſtlich
aus, ſie iſt kalt und fremde, und ich ſtehe auf
demſelben Punkte, auf dem ich mich am erſten
Tage unſrer Bekanntſchaft befand. — Ich koͤnn-
te den Kerl ermorden, der ſich ſo ungerufen
zwiſchen uns draͤngt, und all mein Gluͤck und
meine ſchoͤnen Traͤume vernichtet. — Warum
haͤngen wir ſo oft von nichtswuͤrdigen Zufaͤllig-
keiten ab! — Und nun jetzt, jetzt, da ſich ſo
eben alle meine Wuͤnſche kroͤnen wollten. —
Wenn ich ſie ſehe, mit all ihren Reizen, und
die
die Phantaſie mir die heiligen von keinem Blicke
entweihen vor die AngenAugen zaubert! Wenn ich
mich in ihre nackten Arme, an ihren entbloͤßten
Buſen denke, die keuſche Schaam im Streite
mit der wolluͤſtigen Begierde, alles mir ſo ganz
hingegeben, ich im hoͤchſten Taumel verſunken —
und nun geht ſie mir voruͤber, und kennt mich
nicht, und heut Abend war das letzte Ziel mei-
nes Gluͤcks! — Ich koͤnnte ſie ergreifen, und
im Gefuͤhle der Begierde erwuͤrgen, und wuͤ-
thend an ihrem Buſen ſterben. — Rathen Sie
mir, Roſa, was iſt zu thun? Ich habe allen
Verſtand, alle Beſinnung voͤllig verlohren.
Lovell. 2r Bd. M
48.
Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Ich kann Ihnen keinen Rath ertheilen, lieber
Freund, denn ich habe mich noch nie in einer aͤhn-
lichen Lage befunden; ich kann daher auch nicht
einmal wiſſen, wie ich an Ihrer Stelle handeln
wuͤrde. Freilich ſollte es nicht moͤglich ſeyn,
daß ein Zufall uns das ploͤtzlich naͤhme, was
wir fuͤr unſer hoͤchſtes Gluͤck halten, in deſſen
Beſitz wir ſchon ſind: indeſſen es geſchieht alle
Tage, und dies iſt der Inhalt der meiſten menſch-
lichen Klagen. Ihre Wuth gegen den Braͤuti-
gam, der ſo ploͤtzlich aus den Wolken faͤllt, iſt
ſehr verzeihlich. Aber Sie ſollten doch Mittel
dagegen verſuchen; unſer ganzes Leben erſcheint
mir immer als ein Kampf mit dem Schickſale,
es uͤberliſtet uns in jedem Augenblicke, aber
wir muͤſſen uns nicht ſogleich fuͤr uͤberwunden
erkennen, ſondern Liſt gegen Liſt ſetzen. Dieſer
Streit macht unſer Daſeyn intereſſant, er macht,
daß wir uns niche ſo demuͤthig abhaͤngig von
einer blinden unbekannten Macht fuͤhlen. —
Doch ich weiß, Sie haben zwar Staͤrke genug,
dieſe Ideen zu denken, aber nicht nach ihnen
zu handeln. Ihre Gefuͤhle bleiben immer nur
innerlich in Ihnen.
M 2
49.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ihren Brief habe ich erſt jetzt bey meiner Zu-
ruͤckkunft gefunden. Sie haben Recht, und ich
habe nach Ihrem Rathe gehandelt, ohne ihn zu
kennen.
Ich bin noch wie im Traume, es iſt Nacht,
indem ich Ihnen ſchreibe, und ich weiß noch
immer nicht, was morgen geſchehen wird. Seit
einer Stunde bin ich von einer kleinen Reiſe
zuruͤck gekommen, ich bin muͤde und kann doch
nicht ſchlafen. — Die Ankunft Pietro’s hatte
mir alle Laune verdorben; ich wußte den Weg,
den er kommen, und wann er anlangen wuͤrde.
Ich ritt auf die Straße nach Neapel; bey Ro-
ſalinen ſchuͤtzte ich eine nothwendige Arbeit vor,
die ich in der Stadt zu Ende bringen muͤßte.
Hinter Sezza liegt ein einzelnes einſames
Haus, dort erwartete ich den Boͤſewicht, den
ich ſchon im innerſten Herzen haßte, noch ehe
ich ihn geſehn hatte. Er wollte geſtern Abend
dort ankommen, und kam nicht. Endlich that
ſich nach Mitternacht die Thuͤr auf, und er
trat herein, er hatte noch gegenuͤber ein kleines
Dorf beſucht, und hatte ſich jetzt bey unruhi-
gem Wetter uͤber den Fluß ſetzen laſſen; dadurch
war er ſo lange aufgehalten. — Nun ich ihn
vor mir ſah, war er mir noch mehr zuwider. —
Ein ganz gemeiner Menſch, der kaum ſprechen
kann, verdruͤßlich oben drein, und zwar deswe-
gen, weil die gehoffte Erbſchaft nicht ſo anſehn-
lich iſt, als er erwartet hatte. Das widrigſte
Gemiſch von baͤuriſchem und ſchurkiſchem We-
ſen, ſchmutzig und gefraͤßig; dieſes Thier ging
jetzt dem Beſitze der goͤttlichen Roſaline entge-
gen, von der er in ſeinem ganzen Leben nicht
die kleinſte ihrer Vortrefflichkeiten verſtehen wird.
Er brach auf, weil er gern bald nach Rom
wollte; es war Mondſchein, und er fuͤhlte
ſich noch friſch. Ich ritt dieſelbe Straße, und
ſtieg vom Pferde, um mit ihm zu ſprechen. Der
Schaͤndliche ſprach von Roſalinen, wie er von
einem Mittagseſſen ſprach, ohne alle Theilnah-
me, er wolle ſie blos des ganz kleinen Vermoͤ-
gens wegen heirathen, das ihre Mutter beſitze. —
Ich weiß nicht, wie es kam, alles umher um-
gab mich, ſo wie ein Traum, ich zog ploͤtzlich
einen Dolch und ſtieß nach ihm, verfehlte aber,
und ſtreifte ihn bis zur Haͤlfte hinunter. —
Ich ſtieg wieder zu Pferbe und jagte davon,
indem ich immer noch ſeine Stimme hinter mir,
bald lauter, bald ſchwaͤcher hoͤrte. — Es war
ganz unwillkuͤhrlich geſchehn, und wie leicht
haͤtte es kommen koͤnnen, daß ich ihn ermordet
haͤtte! —
Die Nacht und der heutige Tag ſind mir
in einem ununterbrochenen Schwindel verfloſſen.
Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. —
Ich haͤtte vielleicht einen Handel mit ihm tref-
fen koͤnnen, daß er weiter keine Anſpruͤche auf
Roſalinen machen ſolle, wenn ich bey kaltem
Blute geweſen waͤre; ich weiß nun nicht, wie
alles ſich endigen wird. — O ich bin boͤſe auf
mich ſelbſt; ich muß es Ihnen geſtehn, Roſa,
ich freue mich inniglich, daß mir der toͤdtliche
Streich mißgluͤckte, ich fuͤhle es, daß ich ewig
dieſe raſche That bereuen wuͤrde. Sagen Sie
mir dagegen, was Sie wollen, es empoͤrt ſich
das Gefuͤhl, die Menſchen, ſo wie die lebloſen
Gegenſtaͤnde zu gebrauchen, und ſie nur fuͤr Mit-
tel anzuſehn, uns ſelbſt froh zu machen.
Waͤre Pietro nicht dazwiſchen gekommen, ſo
haͤtt’ ich Roſalinen geheirathet, waͤre mit ihr
nach England gezogen, und haͤtte ihr und der
Natur gelebt. —
Wenn ich es noch thun koͤnnte! Was hin-
dert mich, mich der Mutter zu entdecken? Aber
der Braͤutigam koͤnnte einen Verdacht auf mich
werfen: er wird nun vielleicht etwas laͤnger
bleiben, da ihn die Wunde wahrſcheinlich am
Gehen hindert, und dieſe paar Tage will ich
noch in Roſalinens Geſellſchaft genießen. — Ich
bin zu muͤde, leben Sie wohl.
50.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich habe mehrere Tage hindnrchhindurch in einer Ver-
worrenheit aller Begriffe und Empfindungen ge-
lebt; ich mochte Ihnen nicht ſchreiben, weil ich
zu traͤge war. Jetzt aber will ich Ihnen den
Verfolg meiner Liebſchaft melden, und ich bin
auf Ihre Antwort aͤußerſt begierig.
Ich habe ſo eben eine halbe Flaſche Cyper-
wein getrunken, und meine Hand zittert, in-
dem ich ſchreibe; ich bin aͤußerſt froh und zu-
frieden, und mir iſt ſo leicht, daß ich bey je-
dem Abſatze aus vollem Halſe lachen muß. Wil-
ly ſieht mich von der Seite mit mißtrauiſchen
Augen an, und ſcheint dabey halb eingeſchlafen.
Das Leben iſt das allerluſtigſte und laͤcherlichſte,
was man ſich denken kann; alle Menſchen tum-
meln ſich wie klappernde Marionetten durch ein-
ander, und werden an plumpen Draͤthen regiert,
und ſprechen von ihrem freyen Willen. — Heut
am Morgen kam die Nachricht von Pietro’s
Tode, man hatte den Leichnam an der Land-
ſtraße gefunden, und ein Voruͤbergehender hatte
ihn zufaͤlliger WeifeWeiſe erkannt. Sagen Sie, was
Sie wollen, es iſt nicht moͤglich, daß ich Schuld
an ſeinem Tode ſeyn ſollte, wenigſtens kann ich
es nicht glauben. Er iſt von Natur geſtorben,
und was kuͤmmert er mich nun weiter? An jener
unbedeutenden Streifwunde kann unmoͤglich ein
ſo rauher, eiſenfeſter Menſch verbluten: und
wenn es der Fall ſeyn koͤnnte, ſo wuͤrde ich es
wahrhaftig nur ſehr laͤcherlich finden, daß wir,
wie eine geſprungene Flaſche, auslaufen koͤnnen,
und mit den wenigen rothen Tropfen alle un-
ſere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft,
in der wir leben konnten, alles was wir noch
haͤtten thun koͤnnen. Aber wie geſagt, ich glau-
be es nicht, und kein Menſch wird mich davon
uͤberreden.
Es war ein groß Geheul im Hauſe, vorzuͤg-
lich von der Alten; Roſaline graͤmte ſich auch,
aber ich bemerkte deutlich, wie ſie ſich im Stil-
len von leiſen Gedanken troͤſten ließ. Ich ging
fort, weil mir die Scene zur Laſt fiel, und
fand Nachmittag Roſalinen allein, in Thraͤnen
gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam
vor dem Abende nicht wieder. O wie ſie ſchoͤn
war, als ſie auf dem Fußſchemel ſaß, und den
Kopf auf den weißen Arm auf dem Seſſel ſtuͤtz-
te! Wie ſich die Umriſſe aller Glieder an ein-
ander ſchmiegten, und das reizendſte Bild, wie
hingegoſſen, da lag! Ich vergaß alles, und
verſchlang die vereinigte Schoͤnheit mit gierigen
Blicken. Sie ſank weinend in meine Arme, und
ihre Thraͤnen lockten die meinigen hervor. Ich
fuͤhlte ihr Herz klopfen, ich kuͤßte ſie, ſie war
ganz Schmerz, und ließ mich alles thun, was
ich wollte. Meine Phantaſie war erhitzt, und
ich loͤſ’te leiſe und behende des Buſentuch ab,
ſie wehrte ſich nur halb, und verbarg ſich an
meiner Bruſt. Meine Augen verſchlangen die
Reize, meine Finger beruͤhrten den ſchoͤnſten
elaſtiſchen Buſen, und ſie ſah mich ſeufzend,
halb drohend und halb laͤchelnd, an. O Roſa,
ich werde von neuem trunken, wenn ich mich
nur dieſer Scene erinnre. — Wir ſprachen da-
bey immer von ihrem Ungluͤcke, und eben durch
die Thraͤnen war ſie weicher geworden, und ihre
Sinnlichkeit mehr als ſonſt gereizt. — Bald
wurden ihr meiuemeine Scherze zu dreiſt, ſie ſtand
auf und lief in ihre Kammer, ich folgte ihr
nach. Sie bat, ſie weinte von neuem, und
druͤckte mich dann heftig in ihre Arme, indeß
ich mich ungeſtoͤrt damit beſchaͤfftigte, ſie aus-
zukleiden. Welche himmliſche Reize entwickel-
ten ſich nach und nach unter meinen geſchaͤffti-
gen Haͤnden! Die letzte Huͤlle ſank, und ſie
ſtand nun nackt mit ſchamhafter Roͤthe und bren-
nendem Auge vor mir. — O Roſa, ich werde
es nie, nie vergeſſen; dieſen weißen Buſen und
dieſen zarten Lilienhals, die ſchlanken Seiten
und die blendend weißen Schenkel, alles im
ſchoͤnſten Ebenmaaße, in einer gruͤnen Daͤmme-
rung die mediceiſche Venus vor mir, indem vor
dem Fenſter das gruͤne Weinlaub zitterte, und
einen Flimmerſchein durch das Gemach warf.
Mein Buſen kochte, meine Haͤnde zitterten. —
In zwey Minuten war auch ich entkleidet, ſie
hatte ſich ganz vergeſſen, und flehte mein Mit-
leid an und ſtuͤrzte zu meinen Fuͤßen. Ich druͤck-
te ſie an mich, ſie zitterte, die zarten Muskeln
des Koͤrpers ſpielten wie die leiſeſten Wellen
eines Baches durcheinander. Unvermerkt ſank
ſie auf ihr Bette und ich mit ihr, und nun
verlohr ich alle Beſinnung, ich ſah nur den
ſchoͤnen Buſen, unter dem zum Halſe hinauf
die feinſten blauen Adern liefen, ich verſank in
ein Meer von Wolluſt, und dachte nichts, ich
empfand nur ſie, die holde, himmliſche Roſa-
line, ein jeder Pulsſchlag in mir jauchzte, wie
Geiſtergeſaͤnge klang es um mich her, und wie
ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl-
laut ſtuͤrmte es durch meinen Geiſt.
O mag alles um mich dunkel und ungewiß
liegen, kein ander Gefuͤhl giebt uns Befriedi-
gung, kein Genuß des Geiſtes erquickt uns.
Nur hier, hier verſammlet ſich alles, was durch
unſer ganzes Leben an Freuden und ſeeligen Em-
pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerſtreut
liegt. Nur dies iſt der einzige Genuß, in wel-
chem wir die kalte, wuͤſte Leere in unſerm In-
nern nicht bemerken, wir verſinken in Wolluſt,
und die hohen rauſchenden Wogen ſchlagen uͤber
uns zuſammen, dann liegen wir im Abgrunde
der Seeligkeit, von dieſer Welt und von uns
ſelber abgeriſſen. — Nein, nur fuͤr ſie, fuͤr
Roſalinen allein will ich jetzt leben; Pietro iſt
ausgeblieben, und ich nehme ſie mit mir, ich
hab’ es verſprochen, nur ihr zu leben, und ich
will ihr und mir mein Verſprechen halten.
Alles daͤmmert vor meinen Augen, und ich
ſehe ſie immer noch vor mir ſtehen, halb in ſich
geſchmiegt, halb an mich gedruͤckt. Nein, keine
andre Erinnerung verdient ſeit dieſem Augen-
blicke einen Platz in meiner Seele, — ich moͤch-
te zu ihr hinuͤber ſtuͤrzen, aber die Mutter iſt
jetzt dort. — Ueber die elende Narrheit! daß
es unſre ſogenannte Tugend, unſre Lebensweiſe
mit ſich bringt, daß wir nicht ſo gluͤcklich ſeyn
duͤrfen, als wir ſeyn koͤnnten! — Die Men-
ſchen haben ordentlich darauf ſtudiert, alle ihre
Freuden ſchon in der Geburt zu erſticken; da
muß erſt Hochzeit, Trauung gehalten werden,
tauſend unangenehme und widrige Sachen um
ſich her verſammlet, Gluͤckwuͤnſche von alten
Narren und Muhmen, damit ja das allerhoͤch-
ſte, der himmliſchſte Genuß im Menſchen zum
niedrigſten und langweiligſten Spaße herabgewuͤr-
digt werde, damit wir uns ja auf keinen Au-
genblick von dieſer jaͤmmerlichen Erde entfernen,
und aus ihrem Dunſtkreiſe von Armſeligkeiten
mit den Fluͤgeln der Wonne hinuͤber heben.
Sie haͤtten ſie ſehn ſollen, Roſa, wie Schaam
und Wonne in den hellen Augen kaͤmpften: wie
ſie mich zuruͤckſtoßen wollte, und doch nur feſter
an ſich druͤckte; wie ſie klagen wollte, und doch
ihren Mund meinen wolluͤſtigen Kuͤſſen darbot. —
Nein, bis jetzt hab ich noch nie dieſen Genuß
empfunden; das Vergnuͤgen an anderen Weibern
iſt nur wie ein Vorgefuͤhl, eine Ahndung dieſer
Seeligkeit. In den Armen der Blainville fuͤhlt’
ich nur den Anfang des Rauſches, und log mir
eine Entzuͤckung der Goͤtter; Reue und Ueber-
druß bemeiſterten ſich meiner ſehr bald. Laura,
Bianka und alle uͤbrigen dieſer Zunft ſind ver-
worfene Geſchoͤpfe, die ihre Entzuͤckungen heu-
cheln, und nach dem Preiſe erhoͤhn. — Roſa-
line, Roſaline iſt das einzige Weib in der Welt,
die uͤbrigen ſind ihr nur gleichſam nachgemacht. —
Ich fange jetzt wuͤrklich an, ſchlaͤfrig zu wer-
den; die Traumbilder, die mich begruͤßen wol-
len, tanzen ſchon jetzt um mich herum, und
necken mich. Alle haben die entkleidete Roſa-
line in ihrer Mitte. — Ich werfe mich aufs
Lager. Willy, ſey’ ich, iſt ſchon zu Bette gegan-
gen; in Rom ſchlaͤgt es drey Uhr. — Leben
Sie recht wohl, lieber Roſa; ich beneide jetzt
keinen Menſchen, ſondern bedaure ſie alle. Noch
nie hab’ ich mich ſo daruͤber gefreut, daß ich
Lovell hin. —
51.
Roſaline an Anthonio.
Ach, Anthonio, Anthonio! Komm doch ſo-
bald, als moͤglich. Ich getraue mich gar nicht,
meine Mutter anzuſehn; alles was ich ſonſt gern
that, iſt mir jetzt zur Laſt, mir iſt, als gehoͤrt
ich gar nicht mehr in dieſes Haus. — Ich
moͤchte einſam und unbemerkt im Winkel ſitzen,
und den ganzen Tag uͤber weinen. Ach, An-
thonio! was haſt Du aus mir gemacht? — Ich
lebte ſo ſtill vor mich hin, und war mit allem
zufrieden, und jetzt iſt mir das ganze Haus zu
enge, ich denke unaufhoͤrlich an Dich und an
geſtern, und mit einer quaͤlenden Unruhe; mein
Herz ſchlaͤgt ſchwer und gewaltſam. O komm
heut recht fruͤh, damit ich nur wieder ein paar
Augen finde, die ich anſehn darf, und die ich,
ach! ſo gern betrachte.
52.
Roſaline an Anthonio.
Und war das nun wohl recht geſtern auf dem
Spatziergange! Ich war in mir ſo froh und
heiter, recht ſtill und zufrieden, — und Du, —
ach, Anthonio, Du weißt es gar zu gut, daß
ich Dir nichts abſchlagen kann, und das macht
Dich ſo ſtark und dreiſt, weil ich nur zu ſchwach
bin. Aber habe Mitleid mit mir. — Ach, was
kann mir nun alles noch helfen? Meine Laute
macht mir keine Freude mehr, meine Mutter iſt
mir oft in der Seele zuwider; und doch moͤcht’ ich
ihr manchmal um den Hals fallen, und ihr al-
les, alles ſagen. Aber es haͤlt mir die Zunge
feſt, es draͤngt mir in der Kehle, daß mir die
Sprache verſagt. Ich weiueweine viel, und ſie meynt,
es ſey um den armen Pietro. — Ach Antho-
nio, halte nur Dein Verſprechen, ich beſchwoͤre
Dich bey der Mutter Gottes, denn ſonſt bin
ich gaͤnzlich verlohren.
53.
53.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Wenn man recht froh und zufrieden lebt, in
einer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit, den einen Tag, ſo
wie den andern, ſo ſchreibt man ungern, weil
man nichts zu ſchreiben hat. Ich habe mich
mit Roſalinen nun ganz gut eingerichtet, und
ich fuͤhle nach langer Zeit die ſchoͤne Behaglich-
keit wieder, die Erfuͤllung aller Wuͤnſche zu
ſehn, ohne jenen Sturm des Bluts, ohne jenes
aͤngſtliche Herzklopfen, das aus unſerm Leben
unangenehme Abſchnitte macht. Jetzt aber fließt
mir die Zeit ruhig voruͤber, und jeder Spazier-
gang, faſt jeder Beſuch bey Roſalinen macht
uns eine Gelegenheit, der Goͤttinn der Liebe
ein Opfer zu bringen. Ich waͤre ganz gluͤcklich,
wenn mich der Eigenſinn und die Launen Roſa-
linens nicht zuweilen ſtoͤrten. Daß ſich doch
keine von den Armſeligkeiten ihres Geſchlechtes
losmachen kann! Wir ſtreiten zuweilen, und
es iſt nichts widriger, als ein Zank mit einem
Maͤdchen, das man gern hat; alle wollen be-
Lovell. 2r Bd. N
lehren; alle, ſelbſt die unbedeutendſten, wollen
hofmeiſtern. Bald bin ich ihr zu ernſthaft, bald
zu vergnuͤgt, an meinem Willy hat ſie großen
Antheil genommen, ich ſoll mit ihm, als mei-
nem Vater, freundſchaftlicher umgehn. Indeß,
ich will mir meine angenehme Lage nicht ver-
bittern. — Leben Sie wohl.
54.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich habe nach langer Zeit wieder einmal Lau-
ra und die ſchoͤne Bianka beſucht. Mich wun-
dert ſehr, daß ich nicht ſchon eher darauf ge-
fallen bin, meine Ergoͤtzungen mannichfaltiger
zu machen. Warum mnßmuß der Menſch ſelbſt in
ſeinen Vergnuͤgungen einſeitig und eigenſinnig
ſeyn? — Roſaline dringt jetzt in mich, daß ich
ſie heirathen ſoll, und ich glaube, unter ſolchen
Umſtaͤnden kann einem ein jedes Maͤdchen zuwi-
der werden; dabey hat ſie ihr kindliches unbe-
fangenes Weſen verlohren, und ſpricht jetzt ſo
altklug und uͤberlegt. Lieber Freund! Wodurch
entſteht doch die Philoſophie unſrer Weiber? —
Mein Willy will nach England, und jetzt
waͤre die beſte Gelegenheit, ſeiner los zu wer-
den: einer meiner Bekannten reiſt dorthin, und
will ihn herzlich gerne mitnehmen. Aber frey-
lich wuͤrde denn mein ganzes Verhaͤltniß mit
Roſalinen geſtoͤrt! Ich weiß noch gar nicht,
wie ich das alles einrichten ſoll. — Kommen
Sie doch nach Rom, ich beſchwoͤre Sie, ich
vermiſſe Sie bey jeder Gelegenheit.
N 2
55.
Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Ja ich will nur endlich kommen, denn es
ſcheint mir ſelbſt, als wenn Sie meiner beduͤrf-
teubeduͤrf-
ten. Lieber Freund, Sie ſind in Ihren Brie-
fen nicht mehr ſo aufrichtig, als Sie es an-
fangs waren; Sie fangen an, ſich zu maskiren,
aber ich ſehe gar nicht warum. Schaͤmen Sie
ſich zu geſtehen, daß Ihre Leidenſchaft nun nach
dem Genuſſe nicht mehr jenes ſtuͤrmende, draͤn-
gende Gefuͤhl iſt, voller Ahndung und Ungewiß-
heit? Sagen Sie es nur dreiſt heraus, denn
die Schuld davon liegt nicht an Ihnen, ſon-
dern an der Einrichtung unſrer Natur, der wir
uns unbedingt unterwerfen muͤſſen. — Erinnern
Sie ſich, was ich Ihnen mit prophetiſchem
Geiſte ſchon in einem meiner fruͤhern Briefe
ſagte, daß man ſich nie zwingen muͤſſe, mit
Enthuſiasmus die Leere auszufuͤllen, die ſich oft
ploͤtzlich in alle unſre Gefuͤhle reißt, denn dies
iſt die hoͤchſte Quaal des Lebens, die wahre
Tortur der Seele. Geben Sie ſich und Ihren
Empfindungen nach, denudenn alle Ihre Schwuͤre,
alle Ihre poetiſchen Betheurungen haben Sie
im Grunde gar nicht gethan, ſondern es ſind
nur nothwendige Aeußerungen des Gefuͤhls, das
Sie damals hatten; Sie haben nicht geſprochen,
ſondern Ihre Leidenſchaft; dieſe iſt jetzt fort,
und mit ihr das Weſen, das Sie ſo ſprechen
ließ. — Doch muͤndlich ein Mehreres. In we-
nigen Tagen bin ich ſelbſt in Rom; dann will
ich doch auch Ihre Gottheit ſehn und ſprechen. —
56.
Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Rom.
Gottlob, Bruder, der Tag der Erloͤſung iſt
nun endlich da. Ach, mir iſt recht froh und
leicht, faſt ſo, wie wenn ich manchmal von ei-
nem recht ſchlimmen Traume aufwache, und
mich im warmen ſichern Bette wieder finde; ich
kann nun doch endlich nach England zuruͤck rei-
ſen. Ein Franzoſe, ein Bekannter meines Herrn,
auch ſo einer von den Herzensfreunden, reiſ’t
nach England; je nun, er iſt immer noch gut
genug, daß ich mit ihm reiſen kann, und doch
nun meinen lieben Bruder wiederſehe. Ich haͤt-
te auch hier das gotteslaͤſterliche Leben nicht
mehr aushalten koͤnnen, das kannſt Du mir
glauben, lieber Thomas; ich war hier ganz, wie
unter Heyden und Tuͤrken gerathen, und hatte
keinen einzigen frohen Augenblick. Mein Herr
iſt verlohren, der boͤſe Feind hat ihn gaͤnzlich
und ganz und gar eingenommen: lauter Ungluͤck
hat er angeſtiftet. Da iſt hier ein armes, blut-
armes und unſchuldiges Kind, ein huͤbſches
Maͤdchen, die hat er verfuͤhrt, das merk’ ich ſo
aus ihrem ſtillen, jammernden Weſen. Ich mag
Dir nur nicht alles ſchreiben, wie ich es denke,
und es iſt Unrecht von mir, daß ich ſo denke:
aber ich kann nicht dafuͤr, lieber Bruder, die
Gedanken kann man ſich nicht geben und nicht
nehmen, ſie kommen ganz ungerufen, und quaͤ-
len uns oft eben ſo, wie Muͤcken und Stechflie-
gen. Die ſind ſehr haͤufig, und auch ſo bey
mir die ſchlimmen Gedanken. — Nun ich den-
ke, Gott wird mich ſchon wieder zurecht brin-
gen, ſobald ich nur wieder auf unſerm from-
men, vaͤterlichen Boden ſtehe. O wie freue ich
mich, Dich und meinen alten Herrn, den gu-
ten Lord Lovell wieder zu ſehn! — Grade, wie
ſich ein Kind auf den heiligen Chriſt freut, ſo
iſt mir zu Muthe. — Lebe wohl bis dahin,
beſter Bruder.
57.
Roſaline an Anthonio.
Wo bleibſt Du doch, Anthonio, daß ich Dich
geſtern gar nicht geſehn habe? Willſt Du mich
denn ganz allein laſſen? — Ach, ich habe viel
zu Gott und ſeinen Engeln gebetet, aber mir
iſt keine Erhoͤrung geworden, recht ohne Troſt
bin ich vom Himmel, wie eine Suͤnderin, ab-
gewieſen. — Die Saiten auf meiner Laute
ſind geſprungeugeſprungen, und ich mag keine neue auf-
ziehn: meine Laute, die ich von Kindheit auf
kenne, die ich ſonſt ſo innig liebte. Siehſt Du,
ſo weit iſt es ſchon mit mir gekommen. Die
Thraͤnen ſind eine Gabe des Himmels, ich kann
manchmal ordentlich gar nicht weinen, wenn
ich es auch ſo gerne moͤchte. — O komm, komm,
Anthonio, ich bin ſonſt wie ein Kind, das ſich
im Walde verirrt hat. Alles erſchreckt mich,
aber wenn Du da biſt, iſt es wieder wie ein
Fruͤhlingsſchein um mich her. — Wenn ich
Dich heut nicht ſehe, kann ich wieder die ganze
Nacht nicht ſchlafen; mir faͤllt ſo mancherley
ein, wovor mir graut. — Ach, wohl dem ar-
men Pietro, daß er todt iſt! —
58.
Roſaline an Anthonio.
Ja wohl moͤcht’ ich ſterben, ſterben, Anthonio.
Du koͤmmſt alſo nicht und ſiehſt nach der kran-
ken Roſaline, der Du ſonſt ſo viel von Deiner
innigen Liebe vorgeſprochen haſt? — Ach, bleib
noch ein paar Tage laͤnger, und Du koͤmmſt
dann vergebens, um ſie zu ſuchen. — Wer iſt
nun treulos? Hab ich es nicht immer gefuͤrch-
tet, daß Du ſo ſeyn wuͤrdeſt? — Wenn ich
erſt todt bin, ſo will ich Dir erſcheinen, Dich
gewiß auffinden, und Deine Seele martern. —
Dein Vater iſt auch fort; Gott, wie mag das
alles zuſammenhaͤngen? — Ich will den Brief
zu Dir hinuͤbertragen, ich weiß nicht, ob Du
ihn erhalten wirſt. Ach, was kann es mir auch
helfen? — Mein Bild, das Du gezeichnet hat-
teſt, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte
ſchon darauf getreten, es war ganz unkenntlich,
ach, und es ſieht mir jetzt gewiß ſehr aͤhnlich. —
Siehſt Du, ſo iſt Deine Liebe! Ach Anthonio,
wenn Du ſchon ſo biſt, welche Ungeheuer muͤſ-
ſen dann die uͤbrigen Maͤnner ſeyn! — Ich
habe Dein Halstuch mitgenommen, und bewahr’
es wie ein Heiligthum. — Ach Du geliebter
Boͤſewicht, wohl verſteh’ ich es jetzt, was ich
ſonſt nicht begreifen konnte, wenn Menſchen
ſich vom Boͤſen verſuchen ließen; Deine Geſtalt,
Dein Weſen hat er dann angenommen. — Ich
kann nicht weiter, ich muß laut ſchluchzen; ſollt’
ich Dich denn auch heut nicht wieder ſehn?
59.
Roſaline an William Lovell.
Ja, ja, nun iſt mein Ungluͤck gewiß. — Gott,
ich werd’ es nicht uͤberleben. — Welche Oſtern
hab’ ich gefeyert! es ſind die letzten, das fuͤhl’
ich. — Du biſt alſo nicht der, fuͤr den Du
Dich ausgiebſt? O Himmel! Mein Anthonio
iſt ein Betruͤger! — Mein Anthonio? —
Nein, Du biſt nicht mein; Du biſt mir fremd,
Du biſt vornehm, Du kannſt nie der Meinige
werden. Und jetzt koͤnnt’ ich Dich auch nicht
mehr lieben. — Ach, wo iſt alles, alles ſo
ploͤtzlich hingekommen, was ich fuͤr Dich em-
pfand? — Haſt Du mich denn wirklich nicht
in dem Hofe der Peterskirche geſehn? O ge-
wiß, denn Deine Augen waren immer nach mir
hingerichtet. Aber Du ſchaͤmſt Dich jetzt mei-
ner, — Du, — ich ſollte Dich nichrnicht ſo nen-
nen, denn Du biſt nicht meines Gleichen, Du
liebſt mich nicht. — Mein Herz klopfte aͤngſt-
lich, — ich kannte Dich gleich am Ziehen der
rechten Augenbraune, an der Art zu laͤcheln, —
an dem kleinen Flecke am Munde, ich wollte
mich zu Dir draͤngen, ich konnte nicht; ich
dachte in Ohnmacht zu ſinken. — Ich konnte
nicht den heiligen Vater anſehn, als er den
Seegen ſprach, denn ich ſahe nur Dich, Dich
einzig und allein in der ungeheuren Volksver-
ſammlung; meine Mutter ſtand hinter mir, und
blieb zuruͤck, als ich mich vordraͤngte. — Ach
wohin wollt’ ich mich draͤngen? — Lebe wohl,
ich ſterbe bald, der Seegen des heiligen Vaters
iſt meine Einſeegnung zum Grabe geweſen. —
Und Du warſt ſo froh, — ach Anthonio, —
vergieb, daß ich Dich immer noch bey dieſem
ſchoͤnen Nahmen nenne, — Anthonio, — o was
kann ich ſagen! Mein Kopf ſchwindelt. — So
eben ſang meine Mutter ſtill vor ſich hin eins
von unſern alten Liedern. — Ach, dieſe Lieder
kennen mich nicht mehr, ſie wollen mich nicht
mehr troͤſten. — Nein, ich will auch nicht ge-
troͤſtet ſeyn, ich will verzweifeln, ich will wahn-
ſinnig werden, und ſo zu Dir rennen, ſo Dir
mit fliegenden Haaren wild vor die Augen tre-
ten, und Dich verlachen, wenn Du mich dann
nicht mehr kennſt. — Ich glaube, mir iſt im
Kopfe eine Ader geſprungen, ich blute heftig,
und bin wie betaͤubt. O Ungetreuer, mit die-
ſem Blatte empfaͤngſt Du zugleich meine Bluts-
tropfen; bald ſoll man meine Leiche vor
Dir voruͤber tragen; freue Dich dann Deines
Werks! —
60.
Roſaline an William Lovell.
Verwuͤnſchungen, Fluͤche hinter Dir her! —
Sie werden Dich ereilen und ergreifen. — Nein,
ich kann nicht laͤnger im Hauſe bey meiner Mut-
ter bleiben, ich kann nicht laͤnger in dieſer Welt
bleiben, wo jeder Baum, jeder Grashalm mich
an Dich erinnert. — Mir iſt ſeltſam, ich will
durch die Welt wandern, und Dich ſuchen, und
wenn ich ſterbe, ſieh! dann treff ich Dich doch
jenſeits, denn Du mußt auch ſterben; da kannſt
Du meinen Vorwuͤrfen nicht entlaufen. — O
weh Dir, Anthonio, daß Du ſterben mußt;
dann wird Dir das Verzeichniß Deiner Suͤn-
den, aller, von der kleinſten, bis zur groͤßten,
verleſen. Mir iſt der Tod ein Troſt, Dir wird
er wehe thun. — Ich hab’ es ſchon lange heim-
lich geglaubt, aber keinem Menſchen und auch
Dir nicht ſagen moͤgen, daß Du an Pietro’s
Tode Schuld biſt. — O wehe Dir, wenn es
ſo iſt! — Ich werde hingejagt vom unbekann-
ten Geiſte in Tod und Grab, es brennt in
meinen Eingeweiden, und die Fluthen der Ti-
ber ſollen dieſe Flammen loͤſchen. — Aber ich
muß Dich noch ſehn vorher, ich will Dir Deine
Briefe zuruͤck bringen; — ich will — ach, ich
weiß ſelbſt nicht, was ich will; ſterben gewiß.
61.
Leonore Silva an William Lovell.
Ach, gnaͤdiger Herr! Sie verzeihen es wohl
einer alten Frau, wenn ſie ſich unterſteht, Ih-
nen zur Laſt zu fallen. — Meine Tochter, die
letzte Stuͤtze meines Alters, iſt todt; Gott mag
ihrer Seele gnaͤdig ſeyn! Sie iſt in die Tiber
geſprungen, geſtern am Abend; vorher iſt ſie die
ganze Stadt durchlaufen, und hat immer nach
Ihnen gefragt. Auf der Bruͤcke nach St. An-
gelo ſtand ſie endlich ſtill, und ſah in’s Waſſer,
ſie deutete auf den Mondſchein, und ſagte: ſie
wolle jetzt in das goldene Paradies; ein Mann,
der dort ſtand, hat es ganz deutlich gehoͤrt: ſo
ſtuͤrzte ſie ſich vom Gelaͤnder hinunter. — Man
zog ſie todt ans Land. — Ach, lieber gnaͤdiger
Herr, nun bin ich ganz verlaſſen, erzeigen Sie
mir doch die Ehre, mich noch einmal zu be-
ſuchen, und eine arme, alte, verlaßne Frau et-
was zu unterſtuͤtzen. — Verzeihen Sie meine
Dreiſtigkeit, der Kummer hat mich ganz nieder-
gebeugt. Gott ſey Roſalinens Seele gnaͤdig; ich
bete fleißig einen Roſenkranz zu ihrem Heil.
William Lovell.
Zweytes Buch.
Lovell. 2r Bd. O
1.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Wenn man ſich noch einige Zeit nach dem ge-
endigten Schauſpiele verweilt, wie dann der
Vorhang wieder in die Hoͤhe geht, und einzelne
Stuͤcke von Dekorationen an den kahlen Waͤn-
den haͤngen, Waffen und Ruͤſtungen zerſtreut auf
dem Boden liegen, die emſigen Aufſeher die Lich-
ter ausloͤſchen und ſammeln, hin und wieder ein
ſchlechter Schauſpieler noch mit tragiſchem Schrit-
te auf- und niedergeht, und ſeine Rolle nicht
vergeſſen kann: ſo, Roſa, in dieſem armſeligen
Lichte erſcheint mir jetzt das Leben. Alles ſieht mir
ſo abgetragen und duͤrftig aus. Die Menſchen ſind
mir nichts als ſchlechte Komoͤdianten, Tugend-
helden oder witzige Koͤpfe, Liebhaber oder zaͤrt-
liche Vaͤter, nachdem es ihre Rolle mit ſich
bringt, die ſie ſo ſchlecht, wie es nur immer
O 2
eine wandernde Truppe thun kann, zu Ende
ſpielen. Auch ich bin unter dem Haufen einer
der Mitſpieler, und ſo wie ich die andern ver-
achte, werde ich wieder von ihnen verachtet.
Warum ſchlagen ſo oft die hoͤchſten Wogen
in unſrer Seele, und dann ſo ploͤtzlich ein traͤ-
ger dumpfer Stillſtand? So wie das mooſige,
ſchlammige Geſtade bey der Ebbe. — O ich
moͤchte mir wieder Stuͤrme in dieſe traͤge Blut-
maſſe wuͤnſchen, Gefuͤhle, die die Thraͤnen aus
ihren tiefen Kerkern reißen, Seufzer und Schmerz,
Quaal und Wolluſt, um wieder in den Kreis
der uͤbrigen Menſchen zu treten, den ich jetzt
aus der Ferne anſchaue und verachte.
Willy und ſein altes, gutmuͤthiges Geſicht
fehlt mir in jeder Stunde, er war ſehr froh,
daß er ſein Vaterland wieder ſehen ſollte. Wie
gern ſich der Menſch doch an Erinnerungen und
lebloſe Gegenſtaͤnde feſſelt, und jeden Berg und
einheimiſchen Baum fuͤr einen Freund und Wohl-
thaͤter anſieht!
Roſalinens Mutter iſt befriedigt, und alles
mit ihr abgethan, ich glaube, ſie wird nicht
lange leben, und alſo auch meiner Unterſtuͤtzung
nicht auf lange beduͤrfen, ſie war ſehr ſchwach,
als ich ſie ſah. — Wie die Faͤden eines We-
berſtuhls flimmert und zittert das menſchliche
Leben vor meinen Augen, ein ewiges Wechſeln
und Durcheinanderſchießen, und dabey doch das
langweilige, ewige Einerley!
2.
Roſa an William Lovell.
Rom.
Ja wohl, lieber Freund, es iſt um die Men-
ſchen ein ſeltſames Ding! Ein Raͤthſel, das
keiner je ganz aufloͤſen wird. Es quaͤlt und
aͤngſtigt den Geiſt; indeſſen muͤſſen wir wenig-
ſtens ſo viel zugeben, daß es ihn eben deswegen
auch beſchaͤfftigt und unterrichtet, wir muͤſſen
uns nur nie ſcheuen, einen Gedanken ganz zu
Ende zu denken, unbekuͤmmert, wohin er uns
fuͤhren koͤnnte. Sie fuͤhlen es jetzt recht leb-
haft, wie alles, was wir wiſſen und glauben,
Nichts ſey, aber bemerken Sie nur auch, wie
Ihre Zweifel und Ihre nuͤchternen Gefuͤhle, die
daraus entſtehen, ebenfalls nichts Feſtes, Un-
wandelbares ſind. — Alles geht und zieht durch
unſern Buſen, alle Eindruͤcke exiſtiren fuͤr uns
nur, in ſofern ſie ihre Spuren zuruͤck laſſen:
aber eben dies ſollte uns bewegen, nie ganz
und einzig in der Gegenwart zu leben; denn ſie
iſt in unſrer Exiſtenz das Unzuverlaͤßigſte.
Beſuchen Sie mich heut wieder vor dem
Thore in meinem Garten, wir wollen muͤndlich
ein Mehreres daruͤber ſprechen, ſeit ich neulich
Rom verlaſſen habe, habe ich vieles gelernt und
erfahren, und manches iſt in meiner Seele wan-
kend gemacht, was ich noch vor kurzem fuͤr fel-
ſenfeſt hielt.
Ich habe Ihnen noch einen kleinen Vorfall
nicht erzaͤhlt, den ich jetzt in der Eile nachho-
len will. Ich ſprach Roſalinen im heftigſten
Ausbruche ihres Kummers; ſie war wirklich
ſchoͤn: bald ward ſie zutraulicher, da ſie hoͤrte,
ich ſey Ihr Freund, und ſo gelang es mir un-
vermerkt, ſie von ihrem Kummer etwas abzu-
ziehn, und eben die Freuden bey ihr zu genießen,
die Sie mir damals ſo poetiſch beſchrieben ha-
ben. — Ich mag nichts weiter hinzuſetzen. Lie-
ber Freund, was iſt der Menſch? Auch davon
heut Abend ein Mehreres.
3.
Eduard Burton an William Lovell.
Bonſtreet.
Indem ich dieſen Brief anfange, William,
weiß ich nicht recht, was ich Dir ſagen will,
noch weniger, wie ich es Dir ſagen ſoll. In
meinem Sinn und Herzen liegt alles hell und
klar, meine Meinung iſt nicht Sophiſterey oder
Leidenſchaft, die mir der Moment eingiebt, ſon-
dern meine Ideen ſind gleichſam Ein Strom,
der in der fernſten Kindheit entſpringt, und ſo
in gerader Richtung durch mein Leben fließt.
Deine Gedanken ſind einzelne Fragmente, die
Dir vielleicht in der jedesmaligen Stimmung
unumſtoͤßlich ſcheinen, weil ſie eben durch dieſe
Stimmung hervorgebracht ſind, die Dir aber
vielleicht ſelbſt am folgenden Tage unverſtaͤnd-
lich ſind. Du verachteſt mich gewiß, wenn ich
von Grundſaͤtzen rede, nach denen man handeln
muͤſſe, aber ſeit ich Dich genauer kenne, iſt
dieſe Ueberzeugung eben durch Dich bey mir
um ſo lebendiger geworden: dieſe Grundſaͤtze
muͤſſen gleichſam der Faden ſeyn, an den wr
unſre uͤbrigen Gedanken und unſteten Empfin-
dungen reihen, und der ſie alle regiert. — Wi-
derlegen kann ich Dir Deinen Beweis nicht,
daß kein Menſch den andern verfuͤhren koͤnne,
aber, ſo wie mich duͤnkt, bedarf er auch keiner
Widerlegung. Der Menſch fuͤhlt den Einfluß
andrer, ja ſelbſt der lebloſen Natur auf ſein
Herz und ſeinen Verſtand viel zu ſehr, als daß
er ſich je dieſen Einfluß ablaͤugnen koͤnnte. Du
behaupteſt zwar, daß Alles, was der Menſch
denkt und empfindet, ſchon von je in ihm gele-
gen habe, und daß die aͤußern Gegenſtaͤnde nur
veraͤchtliche Zufaͤlligkeiten ſind, daß alles dies
grade jetzt, und zu keiner andern Zeit in ihm
geweckt werde: daß ein unſchuldiger Menſch nie
ſchuldig werden koͤnne, ſo wie der eigentliche
Boͤſewicht nie rein geweſen ſey: — biſt Du
wirklich gar nicht darauf gefallen, daß Du hier
mit Deiner ſophiſtiſchen Freygeiſterey die graͤß-
liche orthodoxe Praͤdetermination der Seelen
vertheidigeſt? Du geſtehſt immer, und es iſt
Dein Glaubensbekenntniß, daß der Menſch nichts
wiſſen koͤnne, und doch willſt Du dies ſo ge-
nau wiſſen? Wenn Du an allem zweifelſt, ſo
muͤſſen Dir eben deswegen auch Deine Zweifel
verdaͤchtig werden, und ſo kaͤmeſt Du denn viel-
leicht auf einem muͤhſeligern Wege zu demſelben
Punkte, auf welchem ich ſtehe: daß ſich der bloͤd-
ſichtige Menſch gewiſſen Geſetzen, die ihm ſein
Genius aus dem Herzen zurnft, blind unterwer-
fen muͤſſe. Glaube wenigſtens, daß der Menſch
unmoͤglich ſo ſeyn koͤnne, wie er Dir erſcheint,
wenn Du ihn mit Deinen Sophismen anato-
mirſt, Du ſiehſt dann zwar lauter wirkliche Be-
ſtandtheile, aber eben deswegen, weil Du ein
Ganzes in Theile zerlegt haſt, iſt es nicht das
Ganze mehr. Daher ſind alle Deine Folgerun-
gen gar nicht auf den Menſchen anwendbar, er
iſt nicht ſo, trotz dem, das Du behaupteſt, er
muͤſſe ſo ſeyn, und darum kann ich mich von
Deinem neulichen ſcharfſinnigen Beweiſe ſo we-
nig uͤberzeugen, daß ich Dich vielmehr vom
Gegentheile uͤberzeugen moͤchte.
Vergieb mir meine Weitſchweifigkeit, und
daß ich, um Dich zu uͤberfuͤhren, ſelbſt in den
ſpitzen getadelten Ton Deiner Briefe falle: ich
weiß, alles, was ich ſage, iſt unnoͤthig, denn
Du glaubſt Deine Behauptung nicht, ich ſage
alles dies blos, weil mich eben Dein neulicher
Brief von der Sache uͤberzeugt hat, die er wi-
derlegen ſollte, daß Deine Gedanken nur die
Wiederholung fremder ſind; ſchon daß Du uͤber
eine blos hingeworfene Idee einen eigenen Brief
ſchreibeſt, hat mich davon uͤberfuͤhrt. — Aber
vergieb mir, denn ich will Dir nicht gern wehe
thun.
Ach ich ſollte in einem ernſtern Tone, mit
tiefer Trauer ſprechen, denn welche Nachricht
hab’ ich Dir zu hinterbringen! — Dein Vater
iſt nicht mehr, Gram und Krankheit haben end-
lich ſeinem muͤrben Leben ein Ende gemacht,
das gleichſam nur noch an Einem Faden hing. —
Ach, William, ich kann Dir unmoͤglich alles
ſagen, was ich denke. — Mit weinenden Au-
gen habe ich die Papiere geſiegelt, die ich Dir
hierbey uͤberſchicke, halte ſie in Ehren, denn es
ſind die letzten Federzuͤge Deines Vaters, er
muß oft in ſeinen einſamen Stunden nach Dir
hinuͤbergedacht, nach Dir ſich hingeſehnt ha-
ben. — Auch mein Vater iſt jetzt krank, und
ich habe viel mit ſeiner Pflege zu thun; ach,
William, wenn man fuͤrchtet, daß jemand, den
wir ſo wohl kannten, nun von uns ſcheiden
will, nach einem unbekannten Lande hin, und
er ſelbſt uns dann fremde wird, — o dann ma-
chen wir unſre Liebe und Sorgfalt doppelt, wir
vergeſſen uns ſelbſt, und eben deswegen vieles,
was wir ehedem an ihm tadelten, — —
Amalie Wilmont iſt mit Deinem Freunde
Mortimer verheirathet. Ich weiß nicht, wie
Du dieſe Nachricht aufnehmen wirſt; mir iſt oft
wie einem melancholiſchen Zuſchauer zu Muthe,
der im Schauſpiele mit Widerwillen den Schluß
des Stuͤcks herannahen ſieht, wie ſich alles ver-
laͤuft, die Hauptperſonen ausbleiben, die mun-
tern Scherze ſchon erſtorben ſind, — endlich
faͤllt der Vorhang, und unſre Freuden, unſre
Theilnahme, unſer Leben, alles, was wir hat-
ten, iſt dahin! —
4.
Einlage des vorigen Briefes.
Die groͤßte Schwachheit des Menſchen iſt,
Plane fuͤr die Zukunft zu machen, und doch be-
ſteht darin das Leben: auf nichts ſollte man
vertrauen, denn nie entſpricht die Zukunft un-
ſern Erwartungen, wenn ſie zur Gegenwart wird,
und wir ſelbſt und unſre innerſten Empfindun-
gen ſind eben ſo gut dem Wechſel unterworfen,
wie alles, was uns umgiebt. Reut mich nicht
jetzt, was mir vordem Freude machte? Ach
mein Sohn, koͤnnt’ ich Dich nur in meine Ar-
me ſchließen, wie froh wollt’ ich denn daruͤber
ſeyn, daß ich von meinem Traume erwacht
bin! —
Wie alles von mir zuruͤck weicht, was mich
ſonſt aufrecht erhielt! Meine Haͤnde zittern,
mein Gedaͤchtniß wird ſchwach, und alle ſchoͤ-
nen Vorſtellungen verfliegen, wie die Duͤnſte ei-
nes Rauſches. Mein ganzes Leben liegt wie
ein dunkler Abgrund da, in den ich hineintau-
melte, ohne Beſinnung da lag, und mich jetzt
muͤhſam an den feuchten Waͤnden zum Lichte
empor arbeite.
Nein, ich kann den Tod nicht fuͤrchten, der
mir in jeder Stunde naͤher tritt, ich ſehe ihm
mit feſten Augen, ja mit einer Art von Sehn-
ſucht entgegen. Jeder Klang iſt verſunken, nur
eine innige Wehmuth ſchlaͤgt unermuͤdet ihre
Toͤne in mir an, ſo wie ſich jedes froͤhliche Ge-
raͤuſch in den ziehenden ernſten Kirchengeſang
verliert. Alle Gedanken ſind nach dem Grabe
hingerichtet, Sonnenaufgang und Untergang,
alle Erſcheinungen der Natur ſind mir Bothen,
die mich dorthin rufen. — Ich begreife die
Veraͤndrung nicht, die in mir vorgegangen iſt,
vieles ſteht verjuͤngt, wie in der Kindheit vor
mir, ja ich bin wieder zum Kinde geworden,
und gehe nun durch daſſelbe roſenrothe Thor
wieder aus dem Leben hinaus, durch welches
ich eintrat. So iſt mein ganzer Lebenslauf nur
ein Kreis geweſen, indem ich immer glaubte, in
gradetgrader Richtung fortzugehen. Die Welt mit
allen Freuden und Leiden liegt hinter mir, wie
ein weites Gebirge, das der Nebel unkenntlich
macht, nur das Thal, in welchem ich Ruhe
fiudtnfinden ſoll, ſeh ich deutlich vor mir. Schwarze,
im Winde flatternde Todtengewaͤnder mit tiefen
ſteifen Falten, Graͤber und Todtengerippe ſtehn
vor meinen Augen, ohne daß ich mich, wie
ſonſt, davor entſetze: iſt nicht alles um uns her
Tand und Spiel, womit wir uns ſo ernſthaft
beſchaͤfftigen? Wie wir die Truͤmmern alter
Pallaͤſte beſuchen und ausmeſſen, ſo ſollten wir
mit Kuͤnſtleraugen das Knochengebaͤude des Men-
ſchen betrachten, und das erhabene Kunſtwerk
bewundern, von dem uns dort in nackter Ent-
bloͤßung gleichſam die Latten und Grundlinien
hingelegt ſind, wie die Contoure einer Zeich-
nung neben dem Menſchen, dem vollendeten Ge-
maͤhlde. Wie ein veraltetes Kleid legen wir
den Koͤrper ab, Blumen, Graͤſer und Inſekten
naͤhren ſich von unſerm Stoff, ſo wie wir von
der Pflanzennatur unſer Daſeyn erbetteln, aber
der Geiſt ſchwingt ſich aufwaͤrts, und ſieht mit
Ruhe auf die Verweſung ſeines Koͤrpers hinab.
O koͤnnt’ ich den raſchen Juͤngling, koͤnnt’
ich Dich lieber Sohn nur einen Blick ſo in die
Welt und ihren durch einander gezogenen ver-
wirrten Wirbel hinein werfen laſſen, wie ich
jetzt alles ſehe. Der Kuͤnſtler wirft oft eine
wunderbare Erleuchtung in unſre Seele, indem
er laͤngſt bekannte und oft geſehene Gegenſtaͤnde
in ſeinem Gemaͤhlde ſo ordnet und zuſammen
ſtellt, ein eignes Kolorit und ſeltſame Zufaͤllig-
keiten hinzufuͤgt, daß ſeine Darſtellung eine neue
und wunderſame Bedeutung erhaͤlt. Aber fuͤr
meine Gefuͤhle und Ideen hat die gewoͤhnliche
Sprache, das fuͤhl’ ich, gar keine Worte, ich
muͤßte eine Art von Gedicht ſchreiben, um Dich
etwas naͤher in meine Atmosphaͤre zu ziehn, ſo
wie vielleicht alles recht Gute und Verſtaͤndige
immer ein Gedicht ſeyn muͤßte, weil das, was
den Menſchen ganz befriedigen ſoll, ſein Gefuͤhl
und ſeinen Verſtand zugleich ausfuͤllen muß.
Reine Saͤtze der Vernunft auf die gruͤndlichſte
Weiſe hintereinander geſtellt, laſſen die groͤßere
Haͤlfte im Menſchen leer, und noch Niemand
iſt auf dieſe Weiſe geaͤndert oder gebeſſert wor-
den. Koͤnnt’ ich Dir doch, wie durch tauſend
Hohlſpiegel, das Bild ſo zuwerfen, wie ich es
vor mir ſehe, o William, Du wuͤrdeſt es nicht
der Muͤhe werth finden zu leben, alles das tief
verachten, was die gewoͤhnlichen Menſchen Froͤh-
lichkeit
lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht
mich ernſthafter, als ein lachendes Geſicht, als
jene hohe Feſttage im menſchlichen Leben, wo
man recht darauf ſinnt, und ſich zwingt, alles
Gewoͤhnliche abzulegen; aber die altenneuen Kleider
veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei-
nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen
fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltſam fort,
und alles iſt dann leer und voruͤber, in den
Wind zerſtreut und verflogen, daß der Menſch
ſich wie berauſcht umſieht, und nicht begreifen
kann, wo alles ihm unter den HaͤudenHaͤnden fortge-
kommen iſt, was er innig an ſein Herz geheftet
glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei-
nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor
meinem Hauſe voruͤber, und ich mußte ihnen
aus dem Fenſter Gluͤck wuͤnſchen, ja die freude-
trunkenen Menſchen ließen mir nicht eher Ruhe,
bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um
an dem Getuͤmmel, an den Anſtalten, die ſchon
ſeit Wochen gemacht waren, und nun endlich,
endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil
zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war
dieſer Tag nun der wichtigſte, ſeit die Welt
ſteht; ſie meynen, daß von dieſem Tage ein
Lovell. 2r Bd. P
Abſchnitt durch die Zeit in ganz Europa gehe,
daß alles um ihre Hochzeit wiſſe, und jede Seele
ſie beneide: ſie geben ſich der ſtuͤrmenden Freude
und dem lauten Lachen Preis, ach! und beden-
ken nicht, daß ſich alle Empfindungen, frohe
und traurige, in uns, wie in einem Behaͤltniſſe
ſammlen, daß dies Vermoͤgen ihrer Froͤhlichkeit
in einigen Stunden verſchwendet wird, und daß
ſie dann in einer nuͤchternen Leerheit darben, und
froͤhliche Minuten erbetteln, die ſie jetzt wegwer-
fen. Wenn ihr bey der Feldarbeit ſchwitzt, und un-
ter dem Joche der Duͤrftigkeit ſeufzt, ach ſo
werdet ihr ſehr bald den heutigen Tag vergeſ-
ſen, eure Kinder werden euch nicht ſo entzuͤcken,
als an dem Tage ihrer Geburt, wenn ſich nach
und nach die Leiden entwickeln, die ihr um ih-
rentwillen duldet; die ſeidnen ſchoͤngeſchuͤrzten
Quaͤſte auf eurem Bette werden alt und un-
kenntlich, und den Kindern zum Spiele herun-
tergeriſſen werden, die die Braut geſtern mit
ſo emſiger Zierlichkeit aufſteckte, die neugeweißte
Stube wird von der Lampe und vom Feuer
ſchwarz geraͤuchert, eure glatten Geſichter legen
ſich in Falten, ZwietrvchtZwietracht und Zank, Krank-
heit und Gram hemmen den Strom eures Le-
bens, der euch jetzt ſo eben und glaͤnzend er-
ſcheint. — Ach William, ich dachte an den
frohen Tag zuruͤck, der mich mit Deiner Mut-
ter verband; wie alles ſich verwandelt hat, und
nichts in mir dem Lovell aͤhnlich ſieht, der ich
an jenem Tage war. Und doch, William, wenn
ich Dir nur die Anſtalten zu Deiner Hochzeit
haͤtte beſorgen helfen, ach ich waͤre gewiß ſchwach
genug geweſen, alles zu vergeſſen, und in der
Einfalt des menſchlichen Herzens zu glauben,
die Natur ſchließe uns von ihren harten Ge-
ſetzen aus, und alles werde ſo golden und freund-
lich bleiben. — Und iſt dies auf der andern
Seite nicht vielleicht die hoͤchſte Weisheit des
Menſchen? Muß ich nicht vielleicht alle Zirkel
um mich her aus meinem Mittelpunkte ziehen? —
Ich will immer anfangen einen Brief an
Dich zu ſchreiben, und nehme die Feder und
ſchreibe mancherley niebernieder, und vergeſſe Dich
dabey. Dann faͤllſt Du mir ploͤtzlich wieder ein,
und der ganze Brief wird dann durch einen Zu-
fall abgebrochen, und es iſt mir unmoͤglich den
Faden wieder zu finden. So habe ich ſchon ei-
nige Blaͤtter vollgeſchrieben, aber ich habe ſie
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vergebens geſucht. — Wenn ich die Augen zu-
mache, unterrede ich mich mit Dir und trage
Dir allen Gram und alle Sorgen vor. Ich
finde dabey nichts zu lachen, denn was thun
unſre Briefe denn anders? Vielleicht daß ſich
in einem andern Leben die entfernten Gedanken
ſchneller und edler zuſammenfinden, als durch
Sprache und todte Zeichen; vielleicht daß wir
dann erſt beſitzen, was wir jetzt nur zum Lehn
erhalten haben; vielleicht thut ſich uns dann
das Verſtaͤndniß auf, daß alle, alle Menſchen
das Gute wollten und hatten, aber daß die
grobe unbeholfene Außenſeite nicht gelenk genug
war; und ſo finde ich denn, William, daß Du
mir auch jetzt nicht entfremdet biſt. Der Ge-
danke beruhigt mich, und macht mich heiter. —
Keine Antwort von Dir! Kein Laut aus
der fernen Gegend heruͤber! — Wie ich mich
hinſehne, wie ſich oft mein Geiſt in mir aus-
ſtreckt, als wenn er zu Dir hinuͤberreichen woll-
te. Ich erinnre mich mancher Kindermaͤrchen,
und kann Stundenlang an das Wuͤnſchhuͤtchen
denken, das einen ploͤtzlich von einem Orte zum
andern verſetzt; dann koͤnnt’ ich Dich ſehn und
an Deinen Hals fliegen. Aber es iſt unrecht,
daß Du mir nicht ſchreibſt; wodurch hab’ ich
das um Dich verdient? — Kannſt Du noch
immer jenes Briefes wegen auf Deinen Vater
zuͤrnen? — Ich habe Dich ſchon um Verzei-
hung gebeten, und will es noch einmal thun. —
Mir ſind die Schilderungen der Schlachten
nicht fuͤrchterlich, die ſonſt ſo leicht unſre Phan-
taſie erſchrecken. Hier faͤllt ein Mann zur Rech-
ten, dort zur Linken, ſtreifende Kugeln quet-
ſchen ganze Glieder nieder, Koͤpfe und blutbe-
ſpruͤtzte Arme liegen umher, und der Soldat
marſchirt mit geradem Sinn den Gefahren ent-
gegen, ſieht nicht nach ſeinem Kameraden links,
nicht nach ſeinem gefallenen Bruder zur Rech-
ten, tritt auf den Leichnam, der vor ihm liegt. —
Ich kann dieſen Muth nicht bewundern, denn
thun wir alle etwas anders im gewoͤhnlichen
Leben? — Freunde ſterben zur Rechten und zur
Linken, und wir gehn dreiſt und grade fort,
als wuͤrde uns der Tod niemals ereilen: wir
erſchrecken nicht vor dem Gifte, das dieſen und
jenen wohl von uns Gekannten hinrichtete. Wir
haben nur unſre Plane und Entwuͤrfe im Auge,
ach und bemerken es nicht, daß die Zeit hinter
uns ſchleicht, und uns unvermerkt in Staub
und Aſche verwandelt. O wehe der menſchlichen
Eitelkeit! Wohl dem, der ſich aus dem Stru-
del rettet, der uns alle mit ſich fortwaͤlzt! —
Die hoͤchſte einzige Weisheit des Menſchen iſt:
nicht dieſem elenden Goͤtzen zu opfern, dem,
wie dem MolachMoloch, alle unſre Kinder in die gluͤhen-
den Arme gelegt werden. — Ach William, es
giebt kein einziges ernſthaftes Geſchaͤfft in die-
ſer Zeitlichkeit, als zu ſterben.
Ach ja wohl koͤnnte der Menſch viel beſſer
ſeyn, wenn er immer in ſich den kurzen Raum
des Lebens bedaͤchte. — Wie wuͤrden wir alles
mit Liebe umfangen, wie warm jedem Gegen-
ſtande, dem wir nahe ſind, die Hand druͤcken,
wenn wir immer bedaͤchten: ach, auch dieſes
Gebild zerfaͤllt in kurzem, und Du weißt dann
nicht, wohin es gekommen iſt; es ſehnt ſich
nach Deiner Liebe, o gieb ſie ihm, ſo lange
Du es noch vor Dir ſiehſt. — Mein Vater
ſteht jetzt vor mir, und mahnt mich an allen
Gram, den ich ihm ſo oft ohne Urſache machte,
wie wenig ihm mein Herz in ſo manchen Stun-
den entgegen kam. Auf ſeinem Sarge und jetzt
hab’ ich es recht lebhaft gefuͤhlt, wie viel ich
ihm haͤtte ſeyn koͤnnen. — Auch Du, William,
wirſt einſt nach wir in den Wind ſeufzen, und
meinen Grabhuͤgel fragen, ob ich Dir denn auch
ganz und aus vollem Herzen vergeben habe; ja,
ja, geliebter Sohn, laß keinen Seufzer der Reue
dann in Deinem Buſen aufſteigen; ach freylich
habe ich in manchen Stunden ſehr auf Dich ge-
zuͤrnt, aber alles, alles iſt jetzt fort, und mein
Herz iſt nur mit reiner Liebe angefuͤllt.
Ich habe einen Blick hinab ins Thal des
Todes gethan, und nun taumeln alle Weſen
dieſer Welt nuͤchtern und leer meinen Augen
voruͤber. Alles ſind nur Larven, die ſich ein-
ander ſelbſt nicht kennen, wo einer dem andern
voruͤbergeht, und ihm ein holes Wort giebt,
das jener durch ein unverſtaͤndliches Zeichen be-
antwortet. — Wie wuͤſt’ iſt mir ſeitdem, und
wie alles durch einander verworren! alles wie
truͤbe und unkenntliche Schatten eines veralte-
ten Gemaͤhldes. — Ich weiß mich kaum noch
des geſtrigen Tages zu erinnern, in der Zukunft
wandelt mein Geiſt, wie einen Fremden betrach-
te ich mich ſelbſt, und wuͤnſche den Augenblick
meines Todes.
Nur Dich, William, vermiß ich noch, ſonſt
nichts in der Welt, ich uͤberſehe mein Leben
und alle meine Erfahrungen gleichſam in einem
Regiſter. Unſre heftigen Begierden, unſre Ent-
zuͤckung und Verzweiflung entſteht nur daher,
weil wir uns ſelbſt und den kleinen Punkt un-
ſers Lebens, auf dem wir grade ſtehen, zu ſehr
vor Augen haben, uͤber unſer kleines Ungluͤck
denken wir nicht daran, daß in demſelben Mo-
mente viele Tauſende unendlich elender ſind,
als wir, daß ſich der Nachbar indeſſen freut,
und in dieſer Froͤlichkeit vielleicht ſchon unbe-
merkt die Quelle kuͤnftiger Truͤbſale ſprudelt. —
Alles iſt mir jetzt gleich, nur nach Dir ſehnt
ſich noch mein ſchwaches, vaͤterliches Herz. —
Du biſt krank, mein Sohn, es leidet keinen
Zweifel, ſonſt wuͤrdeſt Du ſchon vor mir ſtehen. —
Mein Herz arbeitet ſchwer in mir, — nur
unwillig thut es die letzten muͤhſeligen Schlaͤge,
der Tod hat es mit ſeiner kalten Hand beruͤhrt,
und die Lebenskraft hinweggenommen, — das
Licht des Tages flieht. — Lebe wohl. —
5.
William Lovell an Eduard Burton.
Rom.
Ja wohl verfliegt alles und geht hinweg, und
ich bin der betruͤbte Zuſchauer des Poſſenſpiels.
Mein Vater iſt alſo todt, und Amalie verhey-
rathet? — O moͤge es beyden gutgehen, das
iſt alles, was ich zu dieſer Nachricht ſagen
kann. — Was iſt es denn nun mehr? Iſt es nicht
ſo, und muß es nicht ſo ſeyn? — Der Tho-
ren, die ſich die Haare ausraufen, wenn ein
Vorfall eintrifft, der nothwendig iſt, und der
in der Natur der Dinge gegruͤndet liegt! Tod
koͤnnte nicht ohne Leben und Leben nicht ohne
Tod ſeyn. — Mag es dahin gehn, was mir
einſt ſo werth und theuer war, denn was koͤn-
nen wir in dieſer Welt unſern Beſitz nennen?
O ihr Menſchen mit euren geprieſenen Grund-
ſaͤtzen! den Pfeilern, an denen ihr euch lehnt,
und die ſogenannten ſchwaͤcheren Menſchen um
euch her verachtet! — Was iſt denn dieſe eure
geprieſene Vernunft? Dieſe Seelenſtaͤrke, mit
der ihr euch bruͤſtet? Alles iſt nur Feigheit,
weil ihr euch ſelbſt und euren Gefuͤhlen nicht
vertraut; oder vielmehr ihr habt kein Gefuͤhl,
aller menſchliche Inſtinkt iſt in euch untergegan-
gen, und ihr behelft euch nun mit elenden For-
meln, die ihr muͤhſam erfunden habt, um eure
Bloͤße zu deckeudecken!
Welcher Menſch iſt denn der edlere — derje-
nige, der ſtets nach dem Gefuͤhle handelt, das
ihn grade in dieſem Momente beſeelt und er-
greift, das ihn wie ein Gott im Buſen vor-
waͤrts treibt, und er nun geht, ohne mit feiger
Aengſtlichkeit hinter ſich zu blicken? Oder der,
der nur als ein Sklave nach einem Geſetze ſucht,
nach dem er handeln muͤſſe, weil es ihm laͤſtig
faͤllt, frey zu ſeyn, und er alſo auch die Frey-
heit nicht verdient? Der Menſch iſt nur denn
geadelt, wenn er aus ſtillen unbewußten Gefuͤh-
len auf die Art gut iſt, wie das Thier durch
Inſtinkt, Nahrung und Geſundheit erwirbt, wie
die Pflanze von innen herauswaͤchſt, wider ih-
ren Willen. —
Die Grundſaͤtze werden von den Menſchen
nur erfunden, um in einer traͤgen Bequemlich-
keit ihr Leben ſo vor ſich hin zu treiben, und
in jedem Moment das Ganze uͤberſehn zu koͤn-
nen. Sie haben es in irgend einem Augenblicke
ihres Daſeyns recht lebendig gefuͤhlt, daß kein
Gedanke und keine Vorſtellung feſt und uner-
ſchuͤtterlich in uns ſtehen, daß eine ſtroͤmende
Empfindung, die oft ploͤtzlich hereinbricht, das
niederreißt und hinwegfuͤhrt, was oft ſeit Jah-
ren muͤhſam aufgebaut wurde; darum haben ſie
etwas erfinden wollen, was die Gefuͤhle wie
mit eiſernen Klammern an einander haͤlt, ſie
haben die meiſten Saiten der Laute zerriſſen,
um alle Toͤne im Gedaͤchtniſſe zu behalten, und
ſich durch keinen Klang uͤberraſchen und verwir-
ren zu laſſen. — Aber wohl dem Menſchen,
der dieſe duͤrre Bahn verlaͤßt, auf der er ſich
erniedrigt fuͤhlen muß, der ſich vor keinem Ge-
fuͤhl und Gedanken in ſich ſelber entſetzt, der
alle Seegel ſeines Geiſtes anſpannt, und alle
Flaggen im Winde fliegen laͤßt, ihm allein iſt
es vergoͤnnt, ſich ſelber und ſeine geheimen
Wunder in der Bruſt kennen zu lernen; er fin-
det tanſendtauſend Widerſpruͤche in ſich ſelber, alle
Toͤne ſchlagen in ihm an, und er bildet aus
allen eine reiche Harmonie, die freylich dem
groͤberen Ohre unverſtaͤndlich iſt; er ſammlet
alle die Tauſend der ſeltſamen Erfahrungen, um
ſich endlich uͤber ſein eignes Weſen zu be-
ruhigen.
Ich habe mit Andacht die Blaͤtter von der
Hand meines Vaters geleſen; ſeine Stimme
toͤnt wie die Stimme eines unſichtbaren Geiſtes
jenſeit eines breiten Stromes zu mir heruͤber;
er ſagt in ſeiner Verklaͤrung mit andern Wor-
ten eben das, was ich ſo eben behauptet habe. —
O Du, der Du ſo ſicher ſtehſt, mit ſo vieler
Eitelkeit Dich ſelbſt und Deine Vollendung be-
trachteſt, bedenke, daß wir allgeſammt nur
ſchwache Sterbliche ſind, und ſo wie Du glaubſt,
daß ich endlich noch zu Deiner Meinung uͤber-
treten werde, ſo bin ich uͤberzeugt, daß Dich
nur Dein Eigenſinn hindert, meine Gedanken
fuͤr richtiger zu halten, als Du bisher gethan
haſt.
Ihr Edlen und Vollendeten! die ihr aus
dem verklaͤrten Himmel mit Hohn auf die Welt
hinunterſeht, und doch ſo ſehr den gefallenen
Engeln aͤhnlich ſeyd! — Glaubſt Du nicht, daß
ich Deinen ganzen Brief verſtanden habe, ſelbſt
die Stellen, von denen Du vielleicht glaubteſt,
ich wuͤrde den Sinn, der ſie niederſchrieb, nicht
entdecken? — Warum haſt Du mir keine Sylbe
von dem verlohrnen Prozeſſe meines Vaters ge-
ſchrieben? — Er iſt verlohren, und mein Va-
ter und Amalie ſind mir auch verlohren! —
Du konnteſt es aber nicht unterlaſſen, mir die
Krankheit Deines Vaters zu melden, weil Dir
die Hoffnung Deiner baldigen unumſchraͤnkten
Freyheit zu ſehr im Sinne lag; eine heimliche
Freude fuͤhrte bey dieſer Stelle Deine Feder,
das wirſt Du mir nie ablaͤugnen koͤnnen, wenn
Du aufrichtig biſt. Um Dich aber vor Dir
ſelbſt zu rechtfertigen, gebieten Dir Deine Grund-
ſaͤtze die Wartung des Kranken, die Liebe eines
Sohnes fuͤr ihn, — o mehr kannſt Du ja
gar nicht thun, Du beweinſt dann noch ſeinen
Tod, — und welch ein vortrefflicher Menſch
biſt Du nicht bey alle dem! — O hinweg mit
dieſen Grundſaͤtzen, mit allen aͤhnlich klingendem
Galimathias! — Larven, die den Eigennutz
verbergen ſollen, die der Duͤnkel erfunden hat,
um ſich zu verſchoͤnern. O glaube mir, man
kennt die Menſchen, wenn man ſich ſelbſt kennt. —
Und ich kann Dir auch dieſen Eigennutz, dieſe
heimliche Freude nicht veruͤbeln, nur hin ich ver-
druͤßlich, daß Du alles ſo abſichtlich zu verſtecken
ſuchſt, und mit glaͤnzendem Firniß anzuſtreichen.
Du ziehſt Dich von mir zuruͤck, ſeit unſre
Meinungen ſich getrennt haben, und Deine
Freundſchaft fuͤr mich entſtand vielleicht blos,
weil ich Deine Eitelkeit naͤhrte. Ich ſchien ein
ſo ſchoͤnes Echo von Dir zu werden, eine Kopie
von Dir, die das Original nur um ſo mehr he-
ben ſollte, Deine ganze Liebe aͤußerte ſich im
Hofmeiſtern, und eben darum wurdeſt Du ei-
ferſuͤchtig, weil Du in dem irrigen Wahne ſtan-
deſt, ich ſpreche jetzt die Worte eines andern
nach. — O welche Wuth hat die Menſchen
denn beſeſſen, daß ſie ſtets ihre Meinungen ver-
breiten wollen! — Daß ſie aus allen, mit de-
nen ſie umgehen, Spiegel zu ſchleifen ſuchen,
in denen ſich ihre eigne werthe Perſon praͤſen-
tirt! — Wo iſt denn hier die reine, geprieſene
Liebe? O ihr Prahler, die ihr euch ſelber ſo
augenſcheinlich widerſprecht!
Ach, wenn ich den truͤben Strom meiner
Erfahrungen hinuntergehe, und daran denke,
aus wie ſeltſamen Vorfaͤllen ſich ſo oft mein
Leben zuſammenfuͤgte! Wie gedemuͤthigt ſtehe
ich dann an denſelben Plaͤtzen, an denen ich
mich ehemals ſo groß und edel fuͤhlte, blos weil
ich mir ſelber meine innern Empfindungen ab-
ſtritt. — Eitelkeit, ſagt’ ich, verband uns viel-
leicht, und ich moͤchte jetzt hinzuſetzen, daß ich
nicht mehr daran zweifle.
Erinnerſt Du Dich noch des Tages, an wel-
chem zuerſt aus einer langweiligen Bekanntſchaft
unſre ſogeuannteſogenannte Freundſchaft entſtand? — Wir
waren auf einem Spatziergange, es war ein
ſchoͤner Tag, und wir beſtiegen den Berg, auf
welchem ſchauerlich und wild die Ruinen eines
alten Schloſſes liegen. — Du kletterteſt mir
mit jugendlichem Muthe voran, um mich in
der Kuͤhnheit zu uͤbertreffen, und mein Wettei-
fer vermehrte ſich mit Deiner Geſchicklichkeit.
Wir ſtanden oben, und ſahen mit Entzuͤcken in
die romantiſche Gegend hinab; ich hatte Dich
bewundert, aber Dir war es noch nicht genug,
Du ſtellteſt Dich jetzt auf den aͤußerſten Punkt
eines hervorragenden, zerbroͤckelten Geſteins, ſo
daß mir hinter Dir ſchwindelte. Ich ſah Dich
frey in der Luft ſchweben, und eine unbegreif-
liche Luſt ergriff mich, Dich von der Spitze des
Felſen in die Tiefe hinunterzuſtoßen; je mehr
ich mich dieſer Begierde erwehren wollte, deſto
heftiger ward ſie in mir; endlich um mich ſelbſt
zu uͤberwaͤltigen, riß ich Dich mit gewaltigen
Armen
Armen zuruͤck, und ſchloß Dich an meine Bruſt,
und weinte laut; Du weinteſt mit, denn Du
glaubteſt, meine Thraͤnen waͤren nur Zeugen
meiner Liebe, meiner Beſorglichkeit fuͤr Dich; —
und ſo band Dich ein bloßer, ſchrecklicher Irr-
thum an mich. Haͤtte ich Dir mein Gefuͤhl ge-
ſtanden; ſo haͤtteſt Du mich mit Abſcheu zu-
ruͤckgeſtoßen, und einen verworfenen Menſchen
genannt: Du waͤreſt von dem Augenblicke an
mein Feind geworden. — Aber jetzt geſteh ich
Dir dies Gefuͤhl, weil Du doch immer ſo ſtren-
ge Wahrheit verlangſt; wie ſich dieſer ganze
Brief in dem verkleinernden Glaſe Deiner Seele
abſpiegeln wird, kann ich nicht berechnen. —
Wer ſich ſelbſt etwas naͤher kennt, wird die
Menſchen fuͤr Ungeheuer halten. — Lebe wohl. —
Lovell. 2r. Bd. Q
6.
Mortimer an Eduard Burton.
Roger — place
in Hampſhire.
Ich vereinige meine mit Amaliens Bitten, um
Sie zu bewegen, uns mit Ihrer Schweſter hier
auf einige Tage zu beſuchen. Ich finde mich
hier außerordentlich gluͤcklich und froh. — Ach,
lieber Freund, folgen Sie meinem Beyſpiele,
verlieben Sie ſich, und heirathen Sie dann,
dies iſt die ſchoͤnſte Epoche, das fuͤhl’ ich jetzt
innig, die der Menſch erleben kann. Mag man
doch vom Genuſſe der Philoſophie und von den
wunderbaren Empfindungen, die uns das Stu-
dium der ſchoͤnen Wiſſenſchaften gewaͤhren ſoll,
ſprechen, was man will, es giebt immer Au-
genblicke im Leben, in denen der Menſch die
Leere fuͤhlt, die ihn dabey umgiebt, wie wenig
alle ſeine Beſchaͤfftigungen mit ihm ſelbſt zuſam-
menhaͤngen. Aber wenn zwey Seelen mit ein-
ander verbunden ſind, und der eine den andern
mit jedem Tage mehr verſteht, und ſich ihr
Band immer feſter ſchlingt, wenn man ſelbſt
neue Schwachheiten entdeckt, und dabey doch
ſieht, wie innig dieſe mit den Vortrefflichkeiten
zuſammenhaͤngen, — o ſo fuͤhlt man ſich feſt
an dieſe Erde gekettet, auf der man vorher nur
Gaſt und Fremdling war. Der Baum, der ſchon
verdorren will, und den der Gaͤrtner nun ploͤtz-
lich in andere fruchtbare Erde ſetzt, ſo daß ſich
ſeine Wurzeln mit neuer Kraft ausſtrecken und
durch den Boden ſchlagen, dieſem Baume muß
ohngefaͤhr ſo zu Muthe ſeyn, wie mir jetzt ge-
gen ehedem in meinem freyen Stande war, als
ich mich noch fuͤr nichts, als fuͤr mich ſelbſt
intereſſirte.
Laͤcheln Sie immerhin uͤber mich, was thut
es mir? Nennen Sie mich einen Schwaͤrmer,
und ich will Ihnen danken. Zeigen Sie mir
den Menſchen, der im Grunde nicht ſchwaͤrmt,
wenn er ſich froh und gluͤcklich fuͤhlt.
Ich weiß es ſelbſt recht gut, daß, ſo wenig
ich auch eigentlicher enthuſiaſtiſcher Verliebter
bin, ich doch ſelbſt nach einigen Monathen noch
etwas kaͤlter ſprechen werde, als jetzt; aber wahr-
lich blos darum, weil ich mich dann an mein
Gluͤck ſchon etwas gewoͤhnt habe, nicht, weil ich
es weniger innig fuͤhlen werde. — Ach, wir wol-
Q 2
len lieber die ganze Unterſuchung fahren laſſen,
ſo ſehr der Menſch auch dahin neigt, alle ſeine
Empfindungen zu zergliedern, ob ſie es gleich
nicht vertragen wollen.
Daß die meiſten Leute in einem bejammerns-
wuͤrdigen Irrthume ihre Sinnlichkeit fuͤr hohe
Liebe und fuͤr das Ebenbild der Gottheit hal-
ten, iſt gewiß, und hat mir ſelbſt ehedem zu
manchen witzigen Einfaͤllen Gelegenheit gegeben:
aber die Zeit iſt jetzt voruͤber, wo mir der hoͤ-
here Menſch nicht denkbar war, der beide Em-
pfindungen in eine verbindet, und eben dadurch
beyde veredelt. Wenn der Menſch ſich in kei-
ner Stunde durch dieſe Verbindung geſtoͤhrt
fuͤhlt, dann glaub’ ich hat er ſeine ſchoͤnſte Vol-
lendung als Mann erhalten, er iſt uͤber niedri-
ger Wolluſt und uͤber ſchaaler, fein ausgeſpon-
nener und langweiliger Zaͤrtlichkeit gleich weit
erhaben.
Mein Landſitz begruͤßte uns mit einem der
ſchoͤnſten Tage, als wir hieher zogen, und das
Wetter iſt ſich ſeitdem faſt gleich geblieben.
Ich lerne mich jetzt in die Reize des Landlebens
und einer ſchoͤnen Einfoͤrmigkeit ein, die in der
Ferne oft ſo langweilig ausſieht, aber nur des-
wegen, weil ſie nicht wie eine Weyhnachtspy-
ramide mit Freuden ausgeputzt iſt, die ins Au-
ge fallen; aber der ſtille, leiſe Genuß, der un-
ſer Herz ausfuͤllt, ohne daß es ſelbſt der Ge-
genſtand unſerer Liebe weiß, dies iſt eigentlich
die reinſte Freude dieſer Erde, durch keine Wor-
te und durch kein Klapperwerk entweiht. Can-
daules fuͤhlte ſich gewiß nicht gluͤcklich, als er
durchaus einen Zeugen ſeines Gluͤckes haben
wollte: in den meiſten Faͤllen iſt eine ſolche ſtuͤr-
mende Prunkgluͤckſeligkeit nur Eitelkeit; wir ſind
nur gluͤcklich, damit uns andere beneiden ſol-
len. — Hinweg damit, und hinweg mit aller
Deklamation daruͤber! —
Kommen Sie und ſehn Sie mich ſelbſt und
mein kleines Paradies um mich her; Neid, mehr
zu beſitzen, Widerſtreben gegen eine Eingeſchraͤnkt-
heit, die uns doch ſo wohlthaͤtig und noͤthig iſt,
dieſe Laſter ſind es, die jeden Menſchen aus
ſeinem Paradieſe vertreiben, das er ſonſt unge-
ſtoͤrt genießen koͤnnte: ach, und wer einmal uͤber
die gluͤckliche Graͤnze gekommen iſt, dem ſtellt
ſich auch ein Engel mit einem feurigen Schwerdte
entgegen, daß er nicht zuruͤck kann. Unſere vo-
rige Seeligkeit ſieht dann in der Ferne ſo duͤrf-
tig aus, wie mit entblaͤtterten Baͤumen und
verdorrten Gebuͤſchen. — Leben Sie wohl,
Sie ſehn ſchon, daß ich zum Poeten gewor-
den bin.
7.
Amalie Wilmont an Emilie
Burton.
Roger — place.
Mortimer ſchreibt nach Bonſtreet, und ich
will alſo einen Brief an Sie, liebſte Freundin,
mit einlegen. Ich bin hier außerordentlich froh
und geſund, ich wuͤnſche, daß Sie uns hier be-
ſuchten, und mit uns die friſche Luft und an-
genehme Gegend genoͤſſen. Kommen Sie, ſo-
bald Sie koͤnnen. — Ich bin in große Ver-
ſuchung gekommen, Ihnen meinen hieſigen Auf-
enthalt zu beſchreiben, weil ich gern ſchwatze,
wenn ich mich ſo recht gluͤcklich fuͤhle. —
Sehn Sie, vor unſerm Hauſe iſt eine große
Allee von ſchoͤnen Baͤumen, die weit hinunter
gehn, bis ſie ſich in ein angenehmes Waͤldchen
verlieren; unter den Baͤumen trinken wir des
Morgens Thee, und gehn dann ſpazieren. Auf
der andern Seite des Hauſes hat man eine
ſchoͤne weite Ausſicht uͤber Wieſen und Ebenen,
die alle ſo friſch, wie hingegoſſen da liegen: ich
kenne ſchon alle Doͤrfer in der Naͤhe, und ſo
weit mein Auge ſieht, bin ich nun zu Hauſe.
Bey unſrer Wohnung iſt zugleich ein ſehr ſchoͤ-
ner Garten mit Teichen und niedlichen Bruͤcken,
alles ſo huͤbſch hell und natuͤrlich, nicht mit
Felſen vollgepackt, oder voll aͤngſtlicher dunkler
Alleen bergauf und ab, die einen nur ermuͤden
und aͤngſtigen, und aus denen man ſich oft gar
nicht wieder herausfinden kann; nein, dieſer
Garten ſieht recht aus wie das Leben eines gluͤck-
lichen Menſchen; dunkle Alleen mit hohen Baͤu-
men, die ſich oben wie das Dach einer Kirche
woͤlben, die wie ſeine ernſten ſchoͤnen Tage da-
ſtehu, in denen er ſich und die Zukunft jenſeits
des Grabes denkt; Blumenſtuͤcke, in denen ſich
immer die Winde jagen, und blaue und rothe
Schmetterlinge mit ihren breiten Fluͤgeln ſich
herumtreiben, das Bild ſeiner launigen Stun-
den, in denen ohne Zuſammenhang Eine frohe
Empfindung die andre draͤngt; kleine Gebuͤſche,
die zerſtreut wie die heitern Tage umher ſtehen,
wo man ſich ſchon im voraus auf einen andern
freut, der ſo nahe iſt, daß man ihn und viele
andre bequem mit den Augen abreichen kann.
Und denn die Menſchen hier! — Ich gehe
Sonntags mit großer Andacht in die Kirche,
was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte.
Dort war mir immer, als wenn ich von Einem
Gefaͤngniſſe in das andre ginge. — Aber hier
iſt alles, ſelbſt die Art, wie man zu Gott be-
tet und ihm dankt, weit natuͤrlicher; man kann
ſich hier die alten Erzaͤhlungen von der großen
Froͤmmigkeit, von der hohen Liebe der Men-
ſchen zu Gott und unter einander recht lebhaft
denken. — O liebe Freundinn! ich fuͤhle, daß
ich hier nach und nach weit beſſer werde, als
ich ſonſt war, ich lerne die Menſchen mehr ken-
nen, und liebe ſie mehr, ich bin nicht ſo eitel
auf mich, wie wohl ſonſt in manchen Stunden,
weil man ſich gar zu leicht von ſeinen Bekann-
tinnen drehen und verdrehen laͤßt, aber ich ach-
te mich hier in der freyen Natur mehr, und
bin, wenn ich ſo ſagen darf, manchmal ordent-
lich wie ſtolz auf mich. — Ich ſollte meynen,
der gluͤckliche Menſch muͤßte ſich immer ſo fuͤh-
len. — In den erſten Tagen war mir alles
hier ſo einſam, von Eltern und vom Bruder
entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß
vor. — Mortimer, der viel gereiſt iſt, und
ſich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man
das Haus hat, wo man gebohren iſt, laͤchelte
uͤber mich, und dies truͤbſelige Gefuͤhl verlohr
ſich auch ſehr bald.
Was mich am meiſten froh macht, iſt, daß
ich nun doch oft Gelegenheit habe, manchen
Armen zu troͤſten, und auf Tage gluͤcklich zu
machen. — Ach, wie viel hab’ ich oft in Lon-
don gelitten, wenn ich aus dem Fenſter, aus
dem warmen Zimmer das Elend der Menſchen
ſah, und gern helfen wollte und nicht konnte.
Ich verſchenkte oft alles, was ich hatte, und
ſchaͤmte mich innerlich, wenn ich berechnete,
wie viel mir mein unnuͤtzer Putz, Tapeten,
Spitzen und dergleichen Kindereyen koſteten, die
ich noch alle haͤtte entbehren koͤnnen. Ich wein-
te oft, wenn ich nichts mehr wegzugeben hatte,
und gelobte kindiſch, wie viel ich einſt thun
wollte, wenn ich einmal durch einen Zufall
reicher wuͤrde. — Jetzt ſind mir die Gemaͤhlde
des Jammers aus den Augen geruͤckt, und ich
bilde mir ein, daß ploͤtzlich alle getroͤſtet ſind,
und im Ueberfluſſe leben, weil ich ſie nicht mehr
vor mir ſehe. Hier hab’ ich freyere Hand, weil
ich mehr dazu anwenden darf, und weniger Ge-
genſtaͤnde meines Mitleids finde. Es iſt das
ſchoͤnſte Gefuͤhl, einen Armen wieder auf einen
Tag beruhigt zu haben, der wie eine lange
Wuͤſte vor ihm lag, durch die er noch wandern
muͤſtemuͤßte. Die Maͤnner ſind doch ſeltſame Weſen!
Mein Mortimer gehoͤrt nicht zu den haͤrteſten,
und doch ſcheint er in manchen Stunden fuͤr
die kleinern Empfindungen ganz gefuͤhllos. Ich
hatte neulich einen ordentlichen Streit mit ihm.
Schon ſeit einigen Wochen trieb ſich hier eine
arme Franzoͤſinn herum, ſie ſchien aus einem
guten buͤrgerlichen Hauſe, und erzaͤhlte viel von
ihren Eltern, die ihr fruͤh in der Jugend ge-
ſtorben waren, und von mancherley Ungluͤcksfaͤl-
len, die ſie ſeitdem erduldet hatte. Ich will
gerne glauben, daß manches davon erdichtet
war; aber verdient ein Ungluͤcklicher darum we-
niger unſer Mitleid, weil er es nicht jedem
Fremden vertrauen will, durch welche Schwaͤ-
chen er ſo ungluͤcklich ward? Ich dachte mich
in die Lage der Frau hinein, und wollte ſie in
meine Dienſte nehmen, aber Mortimer ſetzte
ſich dagegen, und zwar aus keinem beſſern Grun-
de, als weil ſie ausgezeichnet haͤßlich und dabey
einaͤugig ſey, er ſagte, daß er einem ſolchen
Weſen nie trauen koͤnne. — Bedenken Sie,
liebe Emilie, blos weil ſie haͤßlich war! — Aber
ich gab mich nicht eher zufrieden, bis mein klei-
ner Eigenſinn die Oberhand behalten hatte; und
ſo iſt jetzt die Duͤpuͤis, oder Charlotte, wie wir
ſie auch nennen, Aufwaͤrterinn in meinem Hau-
ſe. — Wollten wir alle Phyſiognomien, die
uns nicht anziehen, als fremde, widerwaͤrtige
Weſen betrachten, wie oft wuͤrden wir da un-
gerecht ſeyn! — Aber ich muß aufhoͤren zu
ſchwatzen; leben Sie wohl, theure Freundinn. —
8.
Eduard Burton an Mortimer.
Bonſtreet.
Ich beneide Ihnen Ihr ruhiges, anſpruchloſes
Gluͤck, und wuͤnſchte, ich koͤnnte ein Zeuge da-
von ſeyn, aber die Krankheit meines Vaters,
die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernich-
tet alle aͤhnliche Plaͤne und Entwuͤrfe. Sein
muͤrriſches Weſen, mit ſeiner Schwachheit ver-
bunden, der Groll, den er auf die ganze Welt
geworfen hat, verderben mir alle Laune; indeſ-
ſen trag’ ich dieſe Schwaͤchen des Alters gern,
und ſehe alles nur als eine nothwendige Aeuße-
rung ſeiner Krankheit an. — Aber dann hat
mir noch ein Brief von Lovell ſo alle Munter-
keit, alle Energie des Herzens genommen, daß
ich mich recht innig bedraͤngt fuͤhle, von tau-
ſend Empfindungen angefallen, die ich bisher
gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerſt einen
ungeheuren Irrthum, der mich durch mein gan-
zes Leben begleitet hat, der jetzt zum erſtenmale
in ſeiner ganzen Graͤßlichkeit auf mich zutritt;
ich fuͤhle es, daß ich bisher einſam gelebt habe,
und meinen Schatten fuͤr meinen Freund hielt,
und ihn liebte; ſind wir denn alle nicht vor die-
ſer Selbſttaͤuſchung geſichert, daß wir unſere
Empfindungen in andre uͤbertragen, und ſo uns
nur ſelbſt aus ihnen herausleſen? — Ich lege
Ihnen Lovells Brief bey; bis jetzt konnte ich
mir ihn bey jedem Briefe recht lebhaft vorſtel-
len, ich ſah im Geiſte alle den jugendlichen
Leichtſinn, gepaart mit der Reue und einer in-
nern Langeweile, wie er dann von neuem noch
lauter in ſeine Harfe ſchlug, und mir noch poe-
tiſcher ſchrieb, um ſich ſelbſt zu betaͤuben; ich
ſah jede Mine und Geberde, und nahm darum
nicht alles ganz ſo ernſthaft, wie es auf dem
Papiere ſtand. Aber ploͤtzlich iſt mir Lovell ganz
fremd geworden, er hat gleichſam die ganze Lar-
ve abgenommen, und erſcheint nun in ſeiner na-
tuͤrlichen Geſtalt: dieſer Menſchenhaß, dieſe Ver-
achtung ſeiner Selbſt, die nur aus BewnßtſeynBewußtſeyn
der Verworfenheit entſtehen kann, dies Geſtaͤnd-
niß — o ſagen Sie, wuͤrden Sie fuͤr einen ſol-
chen Menſchen je einen freundſchaftlichen Zug
empfinden koͤnnen? Dieſen Brief kann ich
unmoͤglich beantworten, denn ich wuͤrde keine
Worte finden koͤnnen; und wozu auch die Ant-
wort, da ich es innig fuͤhle, daß er mich ganz
und auf ewig von Eduard getrennt hat? Eine
Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den
Scheidebrief nicht mit einer tieferen Ruͤhrung
betrachten, als mit der ich dieſen Brief an-
ſehe. — Oder, ſagen Sie, Mortimer, ſollte es
moͤglich ſeyn, daß dies nur ein Gemaͤhlde des
Menſchen ſey, und daß jeder nur die Seiten
zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben
hat? — Aber nein, es iſt nicht moͤglich, koͤnnt’
ich mich davon uͤberzeugen, o ſo wuͤrd’ ich mich
ſtill und beſchaͤmt niederſetzen, und heiße Thraͤ-
nen daruͤber vergießen, daß ich ein Menſch bin,
und dann ſterben. Aber nein, es iſt nicht moͤg-
lich, kein aͤhnliches Gefuͤhl hat ſich je in mir
geregt, nein, die Menſchen ſind beſſer, denn
ich bin beſſer, und welche Anmaßung, daß ich
eine Ausnahme vom Geſchlechte ſeyn ſollte? —
Und doch will immer noch die Liebe gegen Lo-
vell wieder zu mir zuruͤck! — Ich bin voller
Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl;
den beſten Gruß an Ihre Gattinn.
9.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Sie haben Recht, Roſa, daß uns das Unge-
woͤhnliche und Seltſame ſehr oft naͤher liegt, als
wir gemeiniglich glauben, ja, daß es oft mit dem
Gewoͤhnlichen ganz daſſelbe iſt, nur daß es ſich hier
in einer andern Beziehung zeigt, als dort. Ich
habe ſo eben den Brief Balders vor mir, und ver-
gleiche ihn mit einigen Ideen meines Vaters, die
er kurz vor ſeinem Tode niederſchrieb, und ich
finde, daß beide daſſelbe nur mit andern Worten
ſagen, daß ich alles ſelbſt ſchon außerordentlich
oft gedacht, nur niemals ausgedruͤckt habe. Die
verſchiedenartigſten Meinungen der Menſchen,
zwiſchen denen ungeheure Kluͤfte befeſtigt ſchei-
nen, vereinigen ſich wieder im Gefuͤhle, die
Worte, die aͤußern Kleider der Seele, ſind es
nur, die ſie verſchieden erſcheinen laſſen. Unſre
kuͤhnſten GedaukenGedanken, unſre frechſten Zweifel, die
alles vertilgen, und gleichſam durch eine unge-
heure Leere ſtreifen, durch ein Land, das ſie
ſelbſt entvoͤlkert haben, beugen ſich wieder unter
einem
einem Gefuͤhle, das die verlaßne Wuͤſte wieder
anbaut. Die verſchiedenen Gedankenſyſteme der
Menſchen ſind nur zufaͤllige Kunſtwerke, die je-
der ſich ſo oder ſo aufbaut, und mit dieſen oder
jenen Zierrathen aufputzt, je nachdem es ihm
gutduͤnkt. So wie dieſer die Tragoͤdie, jener
die Komoͤdie liebt, ein andrer das lyriſche, ein
andrer das didaktiſche Gedicht; ſo macht ſich
der eine die ſtoiſche, der andre die akademiſche
oder epikuriſche Philoſophie zu eigen; aber alles
ſind nur die Außenwerke des Menſchen, das
Gefuͤhl iſt er ſelbſt, das Gefuͤhl iſt die Seele,
der Geiſt, die Philoſophie der Buchſtabe die-
ſes Geiſtes; todte Zeichenſchrift, wenn der
Menſch ſich nicht am Ende uͤber alle Philoſo-
phie und Syſteme, ſelbſt uͤber das Syſtem der
Syſtemloſigkeit erhebt. Dieſes Gefuͤhl ſtoͤßt ſo
Zweifel als Gewißheit um, es ſucht und bedarf
keiner Worte, ſondern befriedigt ſich in ſich ſelbſt,
und der Menſch, der auf dieſen Punkt gekom-
men iſt, kehrt zu irgend einem Glauben zuruͤck,
denn Glaube und Gefuͤhl iſt eins: ſo wird ſelbſt
der wildeſte Freygeiſt am Ende religioͤs, ja er
kann ſelbſt das werden, was die Menſchen ge-
woͤhnlich einen Schwaͤrmer nennen, und wobey
Lovell. 2r Bd. R
ſich die meiſten, die das Wort ausſprechen,
nichts denken. Irgend ein Glaube draͤngt ſich
der Seele auf, bey allen Menſchen ein und
eben derſelbe, nur erſcheint er verſchieden, weil
ihn die grobe, unbeholfene Sprache entſtellt. —
Und wenn es kein Gefuͤhl in uns geben kann,
das uns nicht auf Wirklichkeit hinweiſt, das
nicht mit dem wirklichen Dinge gleichſam kor-
reſpondirt, ſo laͤßt ſich aus dem Hange zum
Wunderbaren gewiß weit mehr folgern, als man
bißher gethan hat. Das Bewußtſeyn unſrer
Seele und der tiefe innige Wunſch nach Un-
ſterblichkeit, das Gefuͤhl, das uns in ferne un-
bekannte Regionen hinuͤber draͤngt, ſo daß wir
uns eine Nichtexiſtenz gar nicht denken koͤnnen,
dieſe Gefuͤhle ſprechen am lauteſten und innig-
ſten fuͤr das Daſeyn der Seele, ſo wie fuͤr ihre
Fortdauer. — Aber wenn ich nun dieſen uͤber-
zeugendſten von allen Beweiſen auch auf die
Exiſtenz der Geſpenſter, auf das Daſeyn von
ungeheuren Wundern und Schrecklichkeiten an-
wenden wollte? Und laſſe ich ihn hier fallen,
ſo faͤllt er dort von ſelbſt. — Und was nennen
wir denn Wunder? Die Menſchen bezeichnen
damit blos das Ungewoͤhnliche, nicht das an
ſich Wunderbare, denn in manchen Stunden
koͤnnt’ ich mich vor einem Baume, einem Thie-
re, ja vor mir ſelbſt innerlich entſetzen. — Wer
ſind die fremden Geſtalten, die mich umgeben
und ſo bekannt mit mir thun? Mein Auge hat
ſich von meiner Kindheit an ſie gewoͤhnt, und
mein Sinn ſich vertraulich an ihre Formen ge-
ſchmiegt; aber wenn ich dieſe Bekanntſchaft auf-
hebe, und ſie mir als neu und zum erſtenmale ge-
funden vorſtelle? — O und wer bin ich ſelbſt? —
Wer iſt das Weſen, das aus mir heraus ſpricht?
Wer das Unbegreifliche, das die Glieder mei-
nes Koͤrpers regiert? Oft kommt mir mein Arm,
wie der eines Fremden entgegen; ich erſchrak
neulich heftig, als ich uͤber eine Sache denken
wollte, und ploͤtzlich meine kalte Hand an mei-
ner heißen Stirn fuͤhlte. — Ich erinnre mich
aus meiner Kindheit, daß uns die weite Natur
mit ihren Bergen in der Ferne, mit dem ho-
hen gewoͤlbten blauen Himmel, mit den tauſend
belebten Gegenſtaͤnden wie mit einem gewalti-
gen Entſetzen ergreifen kann; dann ſtreift der
Geiſt der Natur unſerm Geiſte voruͤber, und
ruͤhrt ihn mit ſeltſamen Gefuͤhlen an, die wan-
kenden Baͤume ſprechen in verſtaͤndlichen Toͤnen
R 2
zu uns, und es iſt, als wollte ſich das ganze
Gemaͤhlde ploͤtzlich zuſammen rollen, und das
Weſen unverkleidet hervortreten und ſich zeigen,
das unter der Maſſe liegt und ſie belebt; wir
wagen es nicht den großen Moment abzuwarten,
ſondern entfliehn, ohne hinter uns zu ſehen,
und halten uns an einer von den tauſend Kin-
dereyen feſt, die uns in den gewoͤhnlichen Stun-
den intereſſiren. — Oft iſt mir jetzt, als woll-
te das Gewand der Gegenſtaͤnde entfliehen wie
von einem Sturmwinde ergriffen und ohnmaͤch-
tig faͤllt mein Geiſt zu Boden, und die Gewoͤhn-
lichkeit kehrt an ihre Stelle zuruͤck. In uns
ſelber ſind wir gefangen und mit Ketten zuruͤck-
gehalten; der Tod zerreißt vielleicht die Feſſeln,
und die Seele des Menſchen wird gebohren. —
Aber ſagen Sie mir, Roſa, warum mir
ſonſt dieſe Gedanken fern blieben, ob ſie gleich
in mir lagen? Warum ich Balders Worte da-
mals nicht verſtand, ob ſie ihm gleich im Stil-
len mein Geiſt nachſprach, ſo wie er ſie ſchon
lange vor ihm ſo geſprochen hatte? Warum
ſind wir uns ſelbſt oft ſo fremd, und das Naͤchſte
in uns ſo fern? Wir ſehn oft in uns hinein,
wie durch ein kuͤnſtlich verkleinerndes Glas, das
die Hand, die ich mir vorhalte, tauſendmal
kleiner macht, und wie auf hundert Fuß von
mir entruͤckt. —
10.
Roſa an William Lovell.
Rom.
Ich kann Ihre Frage nicht ſo beantworten,
lieber Freund, daß Sie mit meiner Antwort
zufrieden ſeyn werden. Die Gedanken und Em-
pfindungen drehen ſich im Menſchen wie zwey
Zirkel herum, die ſich in Einem Punkte beruͤh-
ren, an dieſem wiſſen wir nicht zu unterſchei-
den, was Idee und Gefuͤhl iſt, und wir halten
uns dann fuͤr vollendet. Die Zirkel drehn ſich
weiter, und wir glauben uns dann wieder ver-
ſtaͤndiger, weil wir beydes zu ſondern wiſſen.
Der Menſch iſt ſich ſelbſt ſo raͤthſelhaft, daß er
entweder gar nicht uͤber ſich nachdenken, oder
aus dieſem Nachdenken ſein Hauptſtudium ma-
chen muß: wer in der Mitte ſtehen bleibt, fuͤhlt
ſich unbefriedigt und ungluͤcklich. — Ich ſinne
oft dem Gange meiner Ideen nach, und ver-
wickele mich nur um ſo tiefer in dieſe Labyrin-
the, je mehr ich nachſinne. So viel iſt gewiß,
daß wir gewoͤhnlich viel zu ſehr den gegenwaͤr-
tigen Moment vor Augen haben, und daruͤber
unſer ganzes voriges Leben außer Acht laſſen;
die gegenwaͤrtige Empfindung verſchlingt alle
fruͤheren, und die jetzige Idee macht, daß uns
alle vorhergehenden nicht mehr als Ideen, ſon-
dern als kindiſche ungeſchickt entworfene Skitzen
erſcheinen. Daher laͤugnen wir uns ſo oft un-
ſre innerſte Ueberzeugung ab; und ſo wie der
Moͤrder den noch halbbelebten Leichnam aͤngſt-
lich mit Erde bedeckt, ſo verſcharren wir muth-
willig Empfindungen, die ſich in uns zum Be-
wuſtſeyn empor arbeiten wollen. — O, wenn
wir doch Teleskope erfinden koͤnnten, um in
das tiefe Firmament unſrer Seele zu ſchauen,
die Milchſtraße der Ahndungen zu beobachten,
die nie unſerm eigentlichen Geiſte naͤher ruͤcken,
ſondern wie Nebelflor die Sonne in uns ver-
dunkeln, ohne daß man ſagen kann: jetzt ge-
ſchieht es!
Die Traͤume ſind vielleicht unſre hoͤchſte Phi-
loſophie, die Schluͤſſe der Schwaͤrmer ſind fuͤr
uns deswegen vielleicht unverſtaͤndlich und luͤcken-
voll, weil wir es nicht begreifen, wie in ihnen
Vernunft und Gefuͤhl vereinigt iſt. So koͤmmt
mir das jetzt ehrwuͤrdig vor, was ich noch vor
einem halben Jahre belachte, und ich moͤchte
jetzt manchmal uͤber das laͤcheln, was mir da-
mals ſo wichtig erſchien. — Es iſt nichts in
uns Feſtes, lieber William, mit unſrer veraͤn-
derten Nahrung werden wir andere Menſchen;
je nachdem unſer Blut ſchnell oder langſam
fließt, ſind wir ernſthaft oder luſtig; ſollten alle
dieſe Erſcheinungen von gar keinem Geſetze in
oder außer uns abhaͤngen, wie wenig Werth
haͤtten dann die jedesmaligen Reſultate! — Doch
oft ſcheint das aͤußerlich Zufall, was eine lange
berechnete innerliche Nothwendigkeit war; und
ſo gleicht der Menſch vielleicht den Trauerſpie-
len ihres Shackſpear, wo, wie Sie mir ſelber
oft geſagt haben, der Schluß ſo oft von einem
ploͤtzlich eintretenden Vorfalle abzuhaͤngen ſcheint,
da er doch ſchon in den erſten Verſen des Stuͤcks,
in allen Kombinationen gegruͤndet liegt, und
daher nothwendig war.
Wir uͤberſehn immer nur die Stelle unſers
Lebens, auf der wir ſtehn, und alle unſre Ge-
danken, Empfindungen und Handlungen ſind nur
auf dieſer Stelle einheimiſch, jeder ſteht anders,
alle Geſinnungen brechen ſich in verſchiedenen
Richtungen, und laufen nur fuͤr den gerade aus,
in dem ſie ſind; daher wollen wir, wenn wir
nichts anders ſeyn koͤnnen, nachſichtig ſeyn, und
nicht den Nachbar beurtheilen und tadeln, der
uns von unſerm Standpunkte vielleicht in einer
ſeltſamen Verkuͤrzung erſcheint. —
11.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es muͤßte nichts ſchoͤner ſeyn, als ſich ſelbſt
recht genau kennen zu lernen, und, lieber FrenndFreund,
wenn man ſich recht fleißig beobachtet, warum
ſollte es der Menſch nicht auch hierin zu einer
gewiſſen mechaniſchen Fertigkeit bringen koͤnnen,
wie in ſo manchen andern Sachen, die uns
doch ſo durchaus geiſtig vorkommen? ſo daß
wir am Ende eine Feſtigkeit des Blickes erhal-
ten, der die ungewiſſen, flatternden Geſtalten
feſt und ſtehend werden laͤßt. Mir ſind wenig-
ſtens ſeit einiger Zeit tauſend Sachen aus den
fernſten Jahren, aus den verworrenſten Gemuͤths-
ſtimmungen eingefallen, an die ich bisher ent-
weder gar nicht dachte, oder ſie mir doch nicht
ſo deutlich aus einander ſetzen konnte. Man
ſteigt vielleicht immer hoͤher, alles erſcheint dann
immer mehr als Zufaͤlligkeit, was wir jetzt als
unſer Weſen betrachten, bis wir uns unſerm
eigentlichen Selbſt immer mehr naͤhern, je mehr
wir unſer jetziges Selbſt aus den Augen ver-
liehren. — Wenn ich manchmal in der Abend-
daͤmmerung ſitze und uͤber mich ſinne, da iſt es
manchmal, als ſchwingt ſich mir etwas im Her-
zen empor, ein Gefuͤhl, das mich uͤberraſcht
und erſchreckt und dabey doch ſo ſtill und ſee-
lig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedaͤcht-
niß, wie mit einer Hand darnach, um es mir
ſelber aufzubewahren. Aber ſonderbar, Roſa,
es iſt in mir, und verſchwindet mir dann doch
gaͤnzlich wieder, ſo daß ich ſeiner nicht habhaft
werden kann. Alle meine Gedanken ſtehn mir
zu Gebot, alle meine Erinnerungen und An-
ſchauungen; aber dies iſt ein Gefuͤhl, das fei-
ner und geiſtiger iſt, als alles uͤbrige; aber was
iſt es und woher koͤmmt es und wohin geht es,
wenn es nicht mehr in mir bleibt? — Sollten
dieſe Zuſtaͤnde vielleicht eben ſo in uns ſeyn,
wie das Sonnenlicht in einer glaͤſernen Flaſche,
das koͤmmt und geht, ſo wie die Wolken ziehn;
ſie kann nichts dazu thun, und bildet ſich doch
vielleicht ein, alles waͤren nur Erleuchtungen,
die ſie willkuͤhrlich in ſich ſelbſt hervorbraͤchte.
Wie mag es uͤberhaupt wohl um unſre Will-
kuͤhr ſtehn? Wer weiß, was es iſt, was uns
regelt und regiert, welcher Geiſt, der außer uns
wohnt, und nur allmaͤchtig und unwiderſtehlich
in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren
fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhoͤr-
lich etwas Graͤuliches und Entſetzliches denken
mußte, wo ich ſtatt meinem ſtillen Gebete Gott
mit den graͤßlichſten Fluͤchen laͤſterte und daruͤber
weinte, und es doch nicht unterlaſſen konnte,
wo es mich unwiderſtehlich draͤngte, meine Ge-
ſpielen zu ermorden, und ich mich oft ſchlafen
legte, blos um es nicht zu thun, — nun Roſa,
damals war ich gewiß unſchuldig und unverdor-
ben, und doch war dieſe Entſetzlichkeit in mir
einheimiſch, — was war es denn nun, das
mich trieb, und mit graͤßlicher Hand in mei-
nem Herzen wuͤhlte? — Mein Wille und mei-
ne EmpflndungEmpfindung ſtraͤubten ſich dagegen, und
doch gewaͤhrte mir dieſer Zuſtand wieder innige
Wolluſt. —
O wir ſollten uͤberhaupt zu unſern Kinder-
jahren in die Schule gehn, und das lernen,
was wir ſo gern verlernen, und es dann mit
nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unſerer Seele
nennen. Es iſt, als wenn noch ein fluͤchtiger
Schein einer fruͤheren Exiſtenz in die zarten
Kinderjahre hineinſpiegelte, wie der Widerſchein
eines Glanzes, bedeutend und doch raͤthſelhaft;
wie Toͤne klingt es heruͤber, durch die der Wind
faͤhrt, die einzeln ſchallen, und in denen man
doch Zuſammenhang wahrnimmt.
Als Kind traͤumt’ ich einſt, die ganze Welt
ginge unter, und aus allen den ungeheuren Maſ-
ſen ſchmolzen einzelne Toͤne heraus, die ſich
nun durch den leeren Raum ſpielend bewegten
und um einander gaukelten, und ſich verſchlan-
gen und bunt durch einander wuͤhlten. Bald
verſank der helle Ton in den tiefern, und denn
erklang ein wunderbares Gemiſch; bald ſpaltete
ſich ein dumpfer tiefer Klang, wie ein Farben-
ſtrahl in viele helle Streifen, die wie Sonnen-
ſtrahlen hochklingend ausfuhren, und wieder in
den muͤtterlichen Ton zuruͤckfielen. Ich hoͤrte
das wunderbarſte Konzert, das mich in der un-
geheuren Leere mit Schwindel erfuͤllte, ſo daß
ich bald nichts mehr hoͤrte, und in einen tiefen
bewußtloſen Schlaf verſank.
Ich weiß, daß dies fuͤr die meiſten Men-
ſchen Unſinn iſt, aber vielleicht ließe ſich in die-
ſer Ahndung der Wahrheit (denn das ſind ge-
wiß immer dieſe Spiele der Phantaſie) ein ſehr
tiefer Sinn erforſchen, wenn meine Beobach-
tung eben ſo fein waͤre, als der Sinn, der dieſe
Erſcheinung hervorbrachte, wenn ich nicht von
den Armen des Irdiſchen zu feſt gehalten wuͤr-
de, und ſich immer wieder neue Bilder zwiſchen
mein Auge und den beobachteten Gegenſtand
ſchoͤben: kurz, wenn ich mich in einer eben ſo
gluͤcklichen Himmelsverklaͤrung, in einem aͤhn-
lichen Traume kommentiren koͤnnte.
12.
Karl Willmont an Emilie Burton.
Roger—place.
Erſchrecken Sie nicht, ums Himmels willen
nicht, theuerſte Freundinn, wenn Sie dieſen
Brief eroͤffnen und die Unterſchrift gewahr wer-
den; leſen Sie ihn lieber zu Ende, und thun
Sie, als wuͤßten Sie nicht von wem er kaͤme;
o erſtaunen Sie wenigſtens ſo ſehr, daß Sie in
Gedanken immer weiter leſen, und ſich nur
beym Schluſſe von Ihrer Verwunderung erho-
len koͤnnen. Hoͤren Sie mich wider Ihren Wil-
len, ſo wie ich wider meinen Willen unaufhoͤr-
lich an Sie denken muß. — Und doch, —
was werde ich Ihnen nun ſagen? — Meine
Feder und mein Kopf ſtockt; ich hatte keine
Ruhe, ich wurde hin- und hergetrieben, und
eine unbekannte Gewalt mahnte mich, an Sie
zu ſchreiben, — nun gut, und hier ſitze ich,
und weiß wahrhaftig nicht eine Sylbe, nach-
dem ich den Anfang niedergeſchrieben habe. —
Meine Gedanken wandern von Oſten nach
Weſten und von Suͤden nach Norden, und gehn
nach allen Richtungen, und kommen aus allen
Richtungen, wie die Ameiſen in den Stock
meines Kopfes zuruͤck, und alle ſchleppen ſo
ſchwer und muͤhſam, ich denke wunder welche
neue Syſteme und Erfindung, welche unendliche
Rechnungen und Aufloͤſungen von algebraiſchen
Raͤthſeln ſie mit ſich fuͤhren, die Entdeckung
vielleicht, die Meereslaͤnge zu meſſen, oder den
Luftball zu dirigiren, — und wenn ich ſie nun
am Eingange muſtere, ſo ſchleppt ſich dieſer
mit ihrem Bilde, dieſer mit einer lahmen Son-
nette, jener mit einem kuͤnſtlichen Seufzer, die-
ſer mit einer Anekdote, die Sie irgend einmal
erzaͤhlt haben, — ach, und koͤnnen Sie mir et-
was ſchoͤners bringen? Ich lege alles auf den
Winter und die theure Zeit hin, und denke
mich in der Einſamkeit daran zu erquicken. Ach,
eine bitterſuͤße Erquickung!
Ich moͤchte manchmal alle Leute, die das
Ungluͤck und unſre verdammten Verhaͤltniſſe er-
funden haben, zum Henker wuͤnſchen! Muͤſſen
wir denn in dieſer oͤden lumpigen Welt noch ſo
thun, als wenn wir wunder wie viel gewonnen
haͤtten, wenn man uns die ſchwarzen Brand-
ſtellen zeigt, an denen vorher ſo herrliche Baͤume
ſtanden?
ſtanden? Es iſt jetzt in der ganzen Welt ein
ungluͤckliches Jahr, ein Mißwachs an Gluͤck,
das Unkraut, das zwar auch Bluͤthen hat, hat
den Weitzen verdraͤngt, — und keiner von den
Arbeitern will es merken, und wenn einer hie
und da uͤber die herrliche Erndte die Achſeln
zuckt, ſo wird er noch obenein fuͤr einen Feld-
dieb erklaͤrt, und mit Hunden gehetzt und mit
Verwuͤnſchungen verfolgt.
Ich reiſte von London hieher, um ruhiger
zu werden, und ich bin nun unzufriedener, als
je. O Emilie, yerzeihenverzeihen Sie den rauhen Ton
meines Briefes, verzeihen Sie den ganzen
Brief, ach verzeihen Sie mir, daß ich ſo un-
beſchreiblich an Ihnen hange. —
Wir ſprechen taͤglich von Ihnen und von
Ihrem lieben Bruder, wir erſetzen uns durch
haͤufige Erzaͤhlungen von Ihnen Ihre Gegen-
wart, ſo gut wir es koͤnnen: aber ich denke
leider nur deſto oͤfter an Sie, je mehr von Ih-
nen geſprochen wird, um ſo mehr fuͤhl’ ich Ihre
Entfernung. —
Wir pflanzen und ſaͤen im Garten, und ha-
ben alle eine gluͤckliche Hand. Meine Schwe-
ſter wird hier ganz zur Baͤuerinn, und lebt in
Lovell. 2r Bd. S
ihren Stauden und Blumen, und pflegt jeder
mit einer muͤtterlichen Sorgfalt; ich ſuche in-
deß von einem Ende des Gartens zum andern,
im Felde und im berachbarten Walde ein Et-
was, das ich ſelbſt nicht kenne; ich ſtrebe Sie
zu vergeſſen, und mich Ihrer recht lebhaft zu
erinnern. — Neulich ſaͤeten wir alle Kreſſe, und
recht zierlich die Nahmen unſrer ganzen Fami-
lie; ich ſaͤete ein E, und gab vor, es ſey Ihr
Bruder Eduard, Ihnen aber will ich geſtehn,
daß es Emilie war, und ſehn Sie meine Freu-
de: mein E ſteckte zuerſt ſeine kleinen gruͤnen
Koͤpfchen aus der lockern Erde hervor, und ſah
ſich nach mir um, und nun ſteht es in voller
friſcher Gruͤne, ſchoͤn geſchlungen und ſanft; ich
werde ſchon ſorgen, daß es nicht abgeſchnitten
werde, ſondern mir einbilden, die kleinen Stau-
den lernen Ihren Nahmen ſaͤuſeln, wenn ſie
groͤßer werden. —
Wie kindiſch Ihnen mein ganzer Brief vor-
kommen mag! Ich ſchaͤme mich, denn es iſt
gewiß der ſchlechteſte, den ich in meinem Leben
geſchrieben habrhabe, und daß der nun gerade in
Ihre Haͤnde gerathen muß!
Es wird Abend, und mein Truͤbſinn nimmt
zu, je mehr die Sonne hinuntergeht; o noch
eine Bitte, theuerſte Freundinn, wenn Sie die-
ſeudie-
ſen Brief zu Ende geleſen haben, ſo wuͤrdigen
Sie mich einer kleinen Antwort, wenn es auch
nur einige Worte ſind, die Sie meiner Schwe-
ſter einlegen, damit ich doch ſo ſtolz ſeyn kann,
daß ich etwas von Ihrer Hand beſitze, das ein-
zig und allein an mich gerichtet iſt.
Ich ſiegle ſchnell, und ſchicke den Brief fort,
damit ich mich nicht von neuem ſchaͤme.
S 2
13.
Emilie Burton an Karl Willmont.
Bonſtreet.
Ich fuͤhle es zwar recht gut, daß ich nicht
ſchreiben ſollte, allein es iſt derſelbe Fall, wie
mit Ihnen, ich thu’ es wider meinen Willen.
Lieber, ſeltſamer Freund, warum machen Sie
ſich muthwillig Ihr Leben ſo unruhig und freu-
denleer? Wenn ich Sie uͤberfuͤhren koͤnnte, daß
Sie unrecht haben, ſo ſollte mich ein ſehr lan-
ger Brief gar nicht gereuen, aber ich glaube,
daß Sie ſich ſelbſt alles eben ſo gut und noch
beſſer ſagen, was ich Ihnen ſagen koͤnnte, da-
her iſt meine Weisheit uͤberfluͤßig. Es iſt zwar
ſchon eine alte Bemerkung, daß die Menſchen
nie ſo ſind, wie ſie ſeyn ſollten und koͤnnten;
allein verſuchen Sie es einmal, dieſe Bemer-
kung durch Ihre Handlungen zu widerlegen, und
Sie werden finden, daß es weit leichter iſt,
als man gemeiniglich glaubt. Wenn ich muͤnd-
lich mit Ihnen ſprach, waren Sie oft gutmuͤ-
thig genug, mir Recht zu geben und zu thun,
als hielten Sie ſich fuͤr uͤberzeugt, aber ich
wette, daß Sie jetzt, indem ich Sie nicht ſehe,
die Achſeln uͤber mich zucken. — So ſind die
Maͤnner, ihre Freundſchaft iſt Galanterie, und
dieſe Galanterie verbietet ihnen, offenherzig zu
ſeyn, weil ſie uns fuͤr ſo thoͤrigt und ſchwach
halten, daß wir nur Schmeicheleyen und Kom-
plimente ertragen koͤnneakoͤnnen. —
Mein Vater iſt ſehr ſchwach, und ich bin
ſehr um ihn beſorgt: dieſer Kummer hat mir
alle gute Laune geraubt.
Sehn Sie, wie freygebig ich bin! Sie ver-
langten nur einige Worte, nndund ich ſchicke Ih-
nen einen ganzen Brief, der noch uͤberdies mo-
raliſchen Inhalts iſt. — Gruͤßen Sie Ihre lie-
be Schweſter, und leben Sie recht wohl.
14.
Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Paris.
Lieber Bruder, mir koͤmmt nun unſer liebes
England ſchon ganz nahe vor, ſo weit es mir
auch bey meiner erſten Reiſe war. Ich bin jetzt
ſchon wieder in Paris, und meine uͤbrige Reiſe
iſt mir nur noch wie ein Traum. Ach lieber
Bruder, es war mir alles recht ſonderbar, als
ich wieder durch dieſelben Gegenden und Stein-
gebirge reiſte, durch die ich mir meinem Herrn
Lovell gefahren bin; oft war ich ſo in Gedan-
ken, daß ich meinte, ich reiſe noch mit ihm,
und dann war ich ſo zutraulich und behende mit
dem Franzoſen, wie mit meines gleichen. Ich
wurde recht betruͤbt, wenn ich dann beym hel-
len Scheine der Lichter das fremde Geſicht ſah,
und ich hatte dann ein ordentliches Heimweh
nach meinem Herrn, wenn er mich auch nicht
mehr liebt.
Sey nicht boͤſe uͤber mich, lieber Bruder,
wenn ich mich ſo gar ſehr darauf freue, Dich
wieder zu ſehn; ich kann es eben ſo wenig lei-
den, wie Du, wenn alte Leute ſich wie die
Kinder gebaͤrden, es iſt auch gar nicht mein
Fall, und ich mache immer nur ſo viel unnuͤtzes
Geſchwaͤtz, weil ich zu dem Rechten, was ich
Dir ſagen will, die Worte nicht finden kann.
Es iſt doch mit dem Menſchen eine kurioſe Ein-
richtung! Ich kann uͤberhaupt mit dem Spre-
chen und Schreiben noch immer nicht recht ins
Reine kommen, es laufen mir immer tauſend
Worte aus dem Munde heraus, die ich nicht
haben wollte, und das ſind die unnuͤtzen Wor-
te, die ich ſo wenig wie ein andrer Menſch ge-
brauchen kann, die aͤchten und gediegenen aber
ſitzen mir inwendig feſt, und wollen ſich nicht
los arbeiten. Noch naͤrriſcher iſt es, daß ich
manchmal wohl auch ſo einen recht vernuͤnfti-
gen Brocken herausbringen koͤnnte, aber dann
iſt mir, als wenn ich mich ordentlich ſchaͤmte,
ſo geſcheut wie andre Menſchen zu ſeyn, und
ich rede denn lieber dumm, um nur die Laſt
wieder los zu werden. Ich glaube, Thomas,
es giebt mehr ſolche Leute, wie ich bin, und
die Anzahl der Dummen iſt nicht ſo groß, als
man gewoͤhnlich glaubt, drum hab’ ich auch
immer einen ordentlichen Reſpekt vor jedem ein-
faͤltigen Menſchen, weil ich immer meyne, er
traͤgt unter ſeinem ſchlechten Ueberrocke ein koſt-
bares Unterfutter.
Wenn ich erſt zu Hauſe bin, und Dich be-
ſuche, will ich Dir ſehr viel von meiner Reiſe
erzaͤhlen. Das iſt denn doch am Ende meine
ganze Freude, die ich in der langen Zeit ge-
habt habe.
Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hau-
ſe, ſo bekannt iſt mir noch alles, und alles iſt
noch gerade ſo, wie damals, als ich hier war.
Es iſt eine naͤrriſche Gotteswelt, in der wir le-
ben, und ſie koͤnnte gewiß beſſer ſeyn, wenn
alle Menſchen ſich nur fuͤr Arbeiter in dem
Weinberge hielten, aber alle wollen eſſen, und
viele thun doch gar nichts, ſondern verderben
noch im Gegentheile die Reben, und ſtoͤren an-
dre Menſchen in der Arbeit; und das ſoll denn
heißen, daß ſie den ganzen Weinberg regieren
und in Ordnung halten.
In mehr die Menſchen nach obenhin klettern,
je mehr vergeſſen ſie, daß ſie auch nur Men-
ſchen ſind, ſie kennen dann ihre armen Bruͤder
nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got
tesfurcht wohnt uͤberhaupt nur bey den armen
und geringen Leuten, die haben ſie als ein or-
dentliches Privilegium und wie ein Schmerzen-
geld, weil ſie viel irdiſche Uebel zu leiden ha-
ben; ſie duͤrfen ſich auch in ihrem Stande der
Furcht des Herrn nicht ſchaͤmen; ſie iſt ihr ein-
ziger Hausrath und beſtes Einkommen. — Ich
denke an alle die Sachen, weil ich Dir ſchon
damals ſchrieb, lieber Bruder, daß es mir hier
nicht gefalle. Jetzt geh ich nun in keine Komoͤ-
die, aber es thut mir auch gar nicht leid. Wenn
die Leute, die da ſo mit Bequemlichkeit uͤber
eine Prinzeſſinn weinen, die ihren Galan nicht
heirathen ſoll, nur wuͤßten, wie viel und groͤße-
res Elend es in der Welt giebt. Aber darum
wollen ſie ſich nicht bekuͤmmern, und es ruͤhrt
keinen, weil die armen Menſchen nicht ſo ge-
putzt ſind, und ſich nicht mit ſo ſchoͤnen Reden
ausſteuern koͤnnen.
In die Kirchen darf ich nicht allzugut hin-
eingehn, ſonſt wuͤrd’ ich es oͤfter thun; aber
ich koͤnnte mir bey Gott eine Verantwortung
zuziehn, und die Muſik, das Meſſeleſen und die
abgoͤttiſchen Gebraͤuche koͤnnten auch meinem
Glauben einen heimlichen Schaden beybringen;
denn welcher Menſch kann ſo ganz und gar fuͤr
ſich gut ſagen? Meidet das Boͤſe, ſo werdet
ihr mit ihm in keine Bekanntſchaft gerathen;
und ſo haͤtte mein Herr William nur immer
denken ſollen, ſo waͤre er gewiß noch derſelbe
fromme Herr, der er war. Sieh, lieber Bru-
der, da haſt Du nun wieder ſolch weitlaͤuftiges
und einfaͤltiges Geſchwaͤtz von mir, wie ich es
nicht beſſer habe machen koͤnnen. Gott ſegne
Dich und erhalte Dich geſund, denn in einigen
Wochen bin ich bey Dir!
Willy, Dein Bruder.
15.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich war durch unſer geſtriges Geſpraͤch außer-
ordentlich erhitzt, und ging, wie berauſcht, nach
Hauſe. Es waren ſo viele der fernſten Erinne-
rungen in mir geweckt, die noch immer in wie-
derholten Gaͤngen durch meinen Buſen zogen.
Es iſt manchmal, als wollte ſich das Raͤthſel
in uns ſelber aufſchließen, als ſollten wir ploͤtz-
lich die Anwendung aller unſrer Empfindungen
und ſeltſamen Erfahrungen kennen lernen. Die
Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern,
der monderhellte durchſichtige Himmel woͤlbte
ſich wie ein Kryſtall uͤber mir, und ſpiegelte
die ſeltſamſten Empfindungen wie Schatten in
dieſe Welt hinein. — Roſalinens wehmuͤthige
Geſtalt war mit unter den bunten Schatten, ſie
ging neben mir, und verlohr ſich im krauſen
Dunkel jedes Baums, und ſtand im hellen
Mondſcheine wieder da: wie Tapeten voll ſelt-
ſamer Geſchichten gewirkt, hing die ganze Na-
tur um mich her. Vergangenheit und Zukunft
waren auf eine wnuderbarewunderbare Weiſe dargeſtellt,
ich ahndete eine Menge von truͤben und froͤh-
lichen Empfindungen gleichſam im voraus.
Es faͤllt mir oft ein, warum ich gerade ſo
und nicht anders empfinde, und warum ich vor-
zuͤglich auf dieſe Frage gefuͤhrt bin, die mir ge-
wiß in keiner andern Seelenſtimmung beyfallen
wuͤrde. Die Vorſtellung unſrer Individualitaͤt
iſt die ſeltſamſte, die uns uͤberraſchen kann.
Ich bin aͤußerſt begierig, nun endlich den
wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem
wir faſt taͤglich geſprochen haben. Ich kann
mir ſehr gut einen Menſchen vorſtellen, der ei-
ne unumſchraͤnkte Gewalt uͤber alle Gemuͤther
hat, die ihn umgeben; aber es muß das inter-
eſſanteſte Studium ſeyn, einen ſolchen naͤher
kennen zu lernen, ſelbſt zu fuͤhlen, auf welche
Art er an unſern Ideen und Gefuͤhlen reiſt,
und ſich ſo gleichſam zu ihm hinaufzuheben, in
dem wir lernen, wie er auf uns wuͤrkt, und er
begreift, wie er auf uns wuͤrken kann. Ich
wuͤnſche ſeine Bekanntſchaft, und fuͤrchte mich
doch vor unſrer erſten Unterredung. Sie haben
gewiß viel zu freundſchaftlich das Wort gefuͤhrt,
und er findet mich vielleicht einfaͤltig und abge
ſchmackt, denn ſo ſehr ich auch eine Zeitlang
die hoͤhere Achtung vor allen Menſchen hatte,
ſo war es mir doch leichter, mit ihnen umzu-
gehn, und mein Benehmen freyer, als jetzt, da
ich die meiſten verachte. Wenn ich einen Mann
von Verſtand zum erſtenmale ſehe, bin ich leicht
in Verlegenheit, ich fuͤhle mich ſo entfernt von
ihm, die fremde Art, dieſelben Gedanken, die
ich habe, zwar auch zu denken, aber in ſeinen
Begriffen anders zu ordnen, macht mich ver-
wirrt, und durch die Bemuͤhung, mich ihm
recht verſtaͤndlich zu machen und naͤher zu brin-
gen, werd’ ich immer weiter von ihm entfernt,
vorzuͤglich aber, wenn ich noch obenein bemerke,
daß er ſich nach mir bequemen will. — Ich
wollte, man koͤnnte ſich immer erſt nach eini-
gen Vorreden kennen lerneu, ſo wie man manche
Schriftſteller nur nach einigen vorausgeſchickten,
allgemeinen Ideen verſtehen kann. — Leben
Sie wohl.
16.
Roſa an William Lovell.
Ihre Beſorgniſſe, lieber Freund, ſind unge-
gruͤndet; der Mann, von dem wir geſprochen
haben, gehoͤrt nicht zu jenen verſtaͤndigen Leu-
ten, die mit dem Fragmente ihrer Vernunft ſo
ungeſchickt umgehn, es ſo linkiſch handhaben
und widerwaͤrtig regieren, daß man von ih-
rer Aufklaͤrung keinen Genuß empfaͤngt, ſondern
nur Verworrenheit der Begriffe, und Reſultate,
die fremd und unpaſſend unter den eigenen Mo-
bilien unſers Gehirnes ſtehen. Dieſem Manne
wird es leicht, ſich alle Gedanken, ſelbſt die
entfernteſten, zu vergegenwaͤrtigen, und ſie zu
ſeinen eigenen zu machen, fuͤr ihn giebt es keine
fremde Seele, und darum behandelt er keine
mit der Verachtung, die wir ſo oft an andern
ſogenannten verſtaͤndigen Menſchen, mit ſo tie-
fem innerlichen Widerſtreben gewahr werden.
Wenn ich Ihnen ſage, daß er Sie vielleicht
ſchon beſſer kennt, als Sie glauben, ſo iſt da-
durch wahrſcheinlich alle Ihre Furcht gehoben, und
damit Ihre Bekanntſchaft nicht beym erſtenmale
jene ſteife, widerwaͤrtige Art erhalte, mit der
man nach hergebrachten Formeln, wie in einem
Spiele, ſich ſeltſam genug die gegenſeitige Ver-
traulichkeit abgewinnen will, ſo ſollen Sie ihn
auf einem Spatziergange treffen, wenn Sie heut
Abend nach Sonnenuntergange die Ruinen vor
dem Kapeniſchen Thore beſuchen.
Leben Sie wohl.
17.
William Lovell an Roſa.
O Freund, welche ſeltſame Nacht hab’ ich ge-
habt! welche Empfindungen hab’ ich kennen ge-
lernt! — Wie verhuͤllte Spiegel hing es in
meinem Innern, heut iſt der Vorhang hinun-
tergezogen, und ich erblicke mich ſelbſt in ver-
aͤnderter Geſtalt, und tauſend ſeltſame Gegen-
ſtaͤnde um mich her.
Ich kann immer noch nicht zur Ruhe und
zur Beſinnung kommen; ich weiß noch immer
nicht, was ich denke oder ſchreibe; ich liege
noch wie in einem Traume, und hefte mein
Auge auf das Papier und die hingeſchriebenen
Worte, um zu erwachen.
Ein andermal, morgen will ich Ihnen er-
zaͤhlen, wenn ich etwas beruhigter bin. Ich
werfe mich ins Bette, um mich vor dem Grauen
zu verbergen, das mir nachſchleicht.
18.
18.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich habe zu Ihnen geſchickt, und vom Bothen
leider vernehmen muͤſſen, daß ſie ſchon wieder
nach Tivoli abgereiſt ſind, ich haͤtte Sie ſo
gern geſprochen und Ihren Rath und Beyſtand
erbeten.
Ich habe in dieſer Nacht nur wenig geſchla-
fen, und bin im Schlafe von unangenehmen
Traͤumen verfolgt. Ach Freund, ich kann Ih-
nen unmoͤglich ſagen, was ich alles empfunden
und gelitten habe, mir iſt, als wenn ſich vom
geſtrigen Abende eine Epoche durch mein ganzes
kuͤnftiges Leben ausſtrecken wuͤrde, viele Ahn-
dungen ſind mir naͤher getreten, und tauſend
ungewiſſe Zweifel haben ſich inniger mit meiuermeiner
Natur verbnndenverbunden.
Ich gieng vor das Kapeniſche Thor. Der
letzte Schimmer der Abendroͤthe glaͤnzte in dem
durchſichtigen Mooſe, das an den Ecken der
Gebaͤude haͤngt, alles umher vereinigte ſich zu
großen Maſſen, und die Schatten kamen immer
Lovell. 2r Bd. T
groͤßer von Oſten her, ich wandelte mit ſtillem
Erſtaunen und vorbereitender Furcht unter den
Ruinen, und dachte an meinen Vater und Ro-
ſalinen, und an jene Zeit, als dieſe Truͤmmern
hier ſtattliche Landhaͤuſer waren. — O ich bin
heut ruhig genug, um Ihnen alles weitlaͤuſtig
zu beſchreiben, das helle Morgenlicht glaͤnzt
uͤber mein Papier, und ich ſchildere Ihnen mei-
ne geſtrige Empfindung nur wie eine poetiſche
Fiktion.
Ach iſt nicht alles nur Erfindung und Ge-
dicht, was vergangen iſt? Die Gegenwart iſt
nur ein Traum, die Vergangenheit dunkle Er-
innerungen aus dem Traume, die Zukunft eine
Schattenwelt, deren wir uns einſt auch nur
mit Muͤhe erinnern werden.
In Roſalinens Fenſtern brannte kein Licht,
keine Lautentoͤne erklangen durch die Nacht, kei-
ne Schatten bewegten ſich auf dem gruͤnen Ra-
ſen. Ich konnte es nicht unterlaſſen, dicht zum
verlaſſenen Hauſe hinzugehn, und meine Arme,
wie in Gedanken, nach dem veroͤdeten Gebaͤude
auszuſtrecken: ich konnte es nicht begreifen, war-
um die Huͤtte jetzt unbewohnt war, alles in
meinen Erinnerungen war ſo ungewiß und doch
ſo quaͤlend, ich trat ſchnell vom Hauſe hinweg,
und die Welt lag ſo duͤrr und ausgeſtorben
da, ich hoͤrte Menſchenſchritte, die dumpf und
unerquicklich in der Einſamkeit wiederhallten,
Voͤgel mit ziehenden Geſaͤngen und rauſchende
Baͤume, alles, alles umher, wie muͤhſam zu-
ſammengebracht, um die Todtenſtille zu unter-
brechen. Jeder Ton hatte ſeinen Klang verloh-
ren, der uns entzuͤckt und begeiſtert, jeder Ge-
genſtand die Bedeutung, die ihm unſre erhitzte
Phantaſie beylegt. Die Berge ſtanden fern hin-
auf wie Todtenhuͤgel, das ganze Menſchenge-
ſchlecht kam mir arm und bejammernswuͤrdig
vor, wie ſie alle mit den Fuͤßen ſchon in ihren
Graͤbern wandeln, und immer tiefer und tiefer
unterſinken, nach Huͤlfe ſchreyen, und klaͤglich
die Haͤnde ausſtrecken, aber kein Voruͤbergehen-
der ſie hoͤrt und keiner ſich der armen Verlaſſe-
nen erbarmt. — Keine Daͤmmerung und Mor-
genroͤthe wollte ſich an meinem Horizonte em-
porringen, unermuͤdet lag die melancholiſche
Nacht mit ihren Fluͤgeln uͤber mir, ach und
ich konnte nicht weinen und ſchluchzen, ich konn-
te meinen heißen duͤrren Jammer nicht in Thraͤ-
nen und Toͤne aufloͤſen, kein Mitleid mit mir
T 2
ſelbſt ſtieg wie eine Blume in meinem Herzen
auf, um mich mit ihrem poetiſchen Dufte zu
laben, keine goldene Taͤuſchung kam meinen
muͤden Sinnen zu Huͤlfe; ich fuͤhlte mich wie in
einem Gefaͤngniſſe unter Millionen Elenden ver-
riegelt, duͤrr und kalt die Mauern um uns her,
ach ich glaubte nicht der einzig Verſtoßene zu
ſeyn, und konnte mich darum nicht troͤſten.
Ich hatte vergeſſen, wen ich erwartete, als
mir eine ſchreckliche, ach nur zu bekannte Geſtalt
naͤher trat. Die Furchtbarkeit meiner Em-
pfindung kam in ſichtbarer Bildung auf mich zu,
und ich entſetzte mich innig. — Was ſoll ich
hier von kindiſchen Traͤumereyen reden, an die
ich ſelbſt nicht glauben kann, warum ſoll ich
mich wie ein Knabe geberden, wenn mich ein
ſeltſamer oder auch nicht ſeltſamer Zufall uͤber-
raſcht? — Aber es mag ſeyn, mir iſt als habe
mein Vater ſchon dieſen wundervollen Andrea
gekannt, den ich nun zum drittenmale mit in-
nigem Entſetzen und in immer naͤhern Beziehun-
gen auf mich geſehen habe.
Ich weiß nicht, was ich geſprochen haben
mag, ich weiß eben ſo wenig, was jener ſagte,
und was mich umgab. Wie wenn alle meine
ſeltſamſten Traͤume wirklich wuͤrden, wie wenn
ich jetzt zum eigentlichſten Leben erwachen woll-
te, wie wenn die ganze Natur mich ploͤtzlich
feſthielte, und jeder Baum und jeder Stern mit
geheimnißvollen Winken auf mich hindeutete, —
wie wenn ſich jetzt jedes Raͤthſel von der Kette,
die es lange zuruͤckhielt, losreißen wollte, — ſo
Roſa, — o ich habe keine Worte fuͤr dies Ge-
fuͤhl, — ſo wie einem Verbrecher, der ſich
ploͤtzlich in ſeinen widerſprechenden Luͤgen gefan-
gen fuͤhlt, und dem nun das Wort im Munde
erſtarrt, — ſo war mir in meinem Innern.
Im innerſten Grauſen ſprach ich beherzt, ja
frech, ſo wie im Rauſche; der Alte ſchien ver-
wnndertver-
wundert. Ich ſagte tauſend Dinge, die ich nie
gedacht habe, und die ich auch nur in dieſen
Augenblicken zur Haͤlfte dachte; ich war mir
meiner ſelbſt nur dunkel und ungewiß bewuſt,
und es ſtand kein fremder Mann vor mir; ich
ſprach nur zu mir ſelber, und wie Wolken, Lich-
ter und Schatten flatterten Gedanken durch mei-
nen Kopf, wie wunderbare Toͤne von fremden
ziehenden Voͤgeln erſcholl es in meinem Innern,
wie Mondſchein, mit dem der Glanz der Mor-
genroͤthe kaͤmpft, und beide ihre ſtrahlenden Ge-
webe durch einander ſpinnen, ſo ſeltſam erleuch-
tet war mein Gemuͤth.
Wir gingen auf und ab, und ich hoͤrte ihn
ſprechen wie einen fernen Waſſerfall, wie raͤth-
ſelhafte Donner, die beym Sonnenſchein aus
der Ferne den gerundeten Himmel hinan-
klimmen. — Wir verließen die Ruinen, und
ich folgte ihm ſchweigend nach ſeiner Wohnung.
Ein blaſſes Licht erhellte ſein altes, abge-
zehrtes Geſicht, in dem jede Falte und jeder
Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn
ſich ploͤtzlich der wohlbekannte Bruder an der
Seite des Bruders in einen alten Mann um-
wandelt, ſo muͤßte jener die Empfindungen ha-
ben, die mich peinigten. Er ward mir ſo be-
kannt, und blieb mir doch ſo fremd, ich mußte
ihn lieben und haſſen, o ich haͤtt’ ihn erwuͤrgen
moͤgen, um nur des Kampfes, um nur der Zwei-
fel los zu werden. — Und ich kannte ihn den-
noch, und ſein Bild war von Jugend auf tief
meiner Phantaſie eingepraͤgt!
Es iſt ein muͤhſames Geſchaͤfft zu leben, un-
aufhoͤrliche Zweifel und Furcht, Pein und Angſt,
das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen
uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir
in jedem dunklern Gange, in jeder neuen Kruͤm-
mung ein ſeltſames und grauenvolles Unding er-
warten, wir haben nicht Zeit zu uͤberlegen,
nicht Zeit, vor uns zu ſehn, nicht Athem, um
zu klagen, — bis wir niederſtuͤrzen, und alle
Furchtbarkeiten zugleich uͤber uns herfallen, und
das ereilte Wild zerfleiſchen. Bis man erwacht,
heißen unſre Phantaſien Traͤume, bis dahin un-
ſer Daſeyn Leben.
Ich trat ans Fenſter. Ein kleiner Raſen-
platz und Roſalinens Huͤtte gerade vor mir; ich
ſah in dem kleinen Garten deutlich die wanken-
den Malven ſtehn, und der Mond ſtieg jetzt
dunkelroth herauf, und ſah zuerſt in ihr Fenſter
hinein, und fand ſie nicht. — Der Alte muß
mich hier oft geſehn haben, wie ein Geiſt hat
er mich umgeben, ich ſchaͤmte mich nicht vor
ihm, ſondern ſah ihm nur um ſo unbefangener
ins Auge. Dann flog ich mit meinen Gedan-
ken zu Roſalinen hinuͤber, und ich ſah ſie ſitzen,
und ſtumm und zwecklos in die Saiten der Laute
ſchlagen, ich troͤſtete ſie uͤber ihren Tod, und
ſah ein bitteres Laͤcheln auf ihrem Geſichte;
dann hoͤrt’ ich mich von meinem Vater rufen,
mit denſelben Toͤnen, mit denen er mich in der
Kindheit zu ſich lockte, ich hoͤrte den großen
Hund, den treuſten Freund meiner Knabenjahre,
bellen, — und alles verſchwand dann, und ich
ſaß dem alten freundlich melancholiſchen An-
drea und ſeinem gruͤbelnden Auge gegenuͤber. —
Und jetzt ſitz ich hier und bin einſam, und
ſehe ihn doch im nebenſtehenden Stuhle ſitzen.
Ich werde ihn wiederſehn und werde anders
fuͤhlen, und er wird vergehen, ſo wie ich, und
keiner wird nnſrerunſrer denken. —
19.
Bianca an Lovell den Liebling ihrer
Seele.
Rom.
Iſt es Dir denn moͤglich, mich ſo ganz zu ver-
geſſen? Unſere munteren Geſellſchaften haben an
Dir ihre Seele verlohren, und jede Freude iſt
ſtumm und ſitzt verlaſſen im Winkel. Denkſt
Du gar nicht mehr an unſere heiligen Bachana-
le zuruͤck und an die ſtuͤrmende Froͤhlichkeit, die
uns ſo wild und goͤttergleich begeiſtert? Sind
Dir Deine ſchwermuͤthige Traͤumereyen und dein
leeres Nachſinnen lieber als das Maͤdchen das
Dich ſo innig liebt? — Schenke uns wenigſtens
den heutigen Abend, den wir allen Scherzen
gewidmet haben und laß mich durch ein paar
Worte die Du mit dem Boten zuruͤckſchicken
kannſt Deinen Entſchluß erfahren. —
Bianca.
Ich komme.
W. Lovell.
20.
Roſa an Andrea Coſimo.
Tivoli.
Daß meine Reiſe hieher eine Art von Ver-
bannung iſt, faͤllt mir immer ſchwerer auf das
Herz, je mehrere Tage ich von Rom entfernt
bin. Daß ich gerade in dieſem Zeitpunkte Dei-
nen Umgang entbehren muß! Zu einer Zeit, wo
ich mich immer mehr zu Dir hingedraͤngt fuͤhle,
wo ſich gleichſam die Fluͤgel meiner Seele von
einander falten, um mich deſto inniger an Dein
Herz zu ſchließen. Du haſt mich ſeit einiger
Zeit mit neuen Ideen und Gefuͤhlen uͤberſchuͤt-
tet und eine neue Welt hat ſich in mir eroͤff-
net, eine Schaubuͤhne, die unaufhoͤrlich mit
den wunderbarſten Scenen wechſelt. Ich be-
trachte mein Leben ſeit jenem merkwuͤrdigen
Abende als ein neues, es hat ſich mir ein
Weg zu deiner Seele gebahnt, den ich weiter
zu verfolgen brenne. Aber warum verwirfſt Du
mich und wuͤrdigſt mich nicht Deines fernern
Vertrauens? Darf ich den Argwohn ſchoͤpfen,
daß Du Dich dem jugendlichen Lovell inniger
hingiebſt? Was kannſt du jezt noch ferner mit
ihm wollen, da ſein Vater todt iſt? Iſt es mir
uͤberhaupt erlaubt, zuweilen uͤber Deine Plane
im Stillen nachzugruͤbeln, und zuweilen einen
wuͤrklichen Eigenſinn und weitlaͤuftige mir un-
nuͤtz ſcheinende Maſchinerie anzutreffen? Doch
ich will ſchweigen, um mir nicht Dein Mißfal-
len zuzuziehn.
21.
Andrea Coſimo an Roſa.
Rom.
Es kann und ſoll nicht anders ſeyn als es iſt,
uͤberlaß es mir meine Plane zu erſinnen und zu
regieren, wenn ſie Dir gleich noch wunderlicher
erſcheinen ſollten. Was kuͤmmert es Dich, wenn
ich mir ein ſeltſames Spielwerk erleſe, das mir
die Zeit ausfuͤllt und auf meine eigene Art
meinen Geiſt beſchaͤftigt? Wenn ich bemerke,
auf welche ſonderbare Art die eine Seele auf
die andere wirken kann? Du haſt wohl mehre-
re Naͤchte unter Karten und Wuͤrfeln hinge-
bracht; ſo vergoͤnne mir, daß ich mir aus Men-
ſchen ein Gluͤcksſpiel und ernſthaft laͤcherliches
Lotto bilde, daß ich ihre Seelen gleichſam ent-
koͤrpert vor mir ſpielen laſſe, und ihre Ver-
nunft und ihr Gefuͤhl wie Affen an Ketten hin-
ter mir fuͤhle, und danke dann dem Himmel,
daß ich Dich als Freund und nicht als Spiel
zeug gebrauche.
22.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Sie fragen mich: wie ich lebe. Ich bin ſeit
langer Zeit in einer Verfaſſung, daß ich nicht
ohne Sie leben kann. Ich habe Sie immer
noͤthig, um jeden Gedanken und jedes Gefuͤhl
in Ihren Buſen auszuſchuͤtten. — Mir iſt
jetzt oft zu Muthe als waͤren Fluͤgel an mei-
ne Bruſt gewachſen die mich immer hoͤher und
hoͤher heben und durch die ich bald die Erde
mit ihren Armſeligkeiten aus den Augen ver-
lieren werde.
Ich ſehe jetzt den alten Andrea taͤglich; ich
habe noch nie einen Menſchen mit dieſer hohen
Bewunderung betrachtet, ich habe aber auch
noch nie eine Seele angetroffen, die alles, was
ſonſt ſchon einzeln die Menſchen vortreflich
macht, ſo in ſich vereinigte. Die Erinnerung
macht mir jetzt eine ſeltſame Empfindung, daß
ich ehedem vor ſeiner Geſtalt zuruͤckſchauder-
dertete; und doch will ſich noch zuweilen ein
quaͤlendes dunkles Andenken in mir empor ar-
beiten. — O Roſa, koͤnnte man ſich doch in
manchen Stunden vor ſich ſelber verbergen! Ach
was kann uns nicht betruͤben, und uns mit
ſcharfen Empfindungen anfallen, da wir alle ſo
nackt und wehrlos ſind? Je mehr man die
Menſchen lieben moͤchte, um ſo mehr wird man
mißtrauiſch ſeyn, ob ſie es auch verdienen; kei-
ner kennt den andern, jede Geſinnung geht ver-
larvt durch unſern eigenen Buſen: wer ver-
mag es, das Edle vom Unedlen zu ſondern?
Schon ſeit lange hatte mir Andrea verſpro-
chen mich in eine Geſellſchaft von Maͤnnern zu
fuͤhren, die ſich um ihn, wie um einen Mittel-
punkt verſammelt haben, und ſo gleichſam eine
Schule bilden; ich brannte, um ſie kennen zu
lernen. Geſtern wurde ich dort eingefuͤhrt.
Mir war waͤhrend der Zeit manches durch
den Sinn gegangen, der Argwohn als wenn
Andrea das Haupt irgend einer geheimen Ge-
ſellſchaft ſey, da man ſagt, daß unſer Zeitalter
von der Wuth beſeſſen ſey, auf dieſe Art ſelt-
ſam und geheimnißvoll zu wirken. Ich hatte ſo
manches von abentheuerlichen und unſinnigen Ce-
remonien ſogar in Buͤchern geleſen, und alles
war mir immer als aͤußerſt abgeſchmackt erſchie-
nen; ich machte mich daher gegen Gebraͤuche
und Einweihungsfeyerlichkeiten gleichſam feſt,
und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das
Gefuͤhl ſehr gegenwaͤrtig, daß nichts auf mich
wirken wuͤrde, was ſonſt unſre Phantaſie ſo
leicht in Aufruhr ſetzt. Ich erſtaunte und
ſchaͤmte mich zu gleicher Zeit als ich ohne wei-
tere Umſtaͤnde in ein Haus und dann in einen
geraͤumigen Saal gefuͤhrt ward, in welchem ſich
die Geſellſchaft ſchon verſammelt hatte. Ich
hatte mich gegen Abentheuerlichkeiten gewaffnet
und doch uͤberlief mich nun ein feyerliches
Grauen als mir jeder von ihnen auf eine ſimple
Art die Hand gab und mich als Freund und
Bruder begruͤßte. Ich ſtand verſteinert unter
ihnen wie damals, als ich das erſte große Ra-
phaelſche Gemaͤhlde betrachtete, denn noch nie
habe ich ſo viele charaktervolle Koͤpfe neben ein-
ander geſehn, noch nie hab’ ich in einer großen
Geſellſchaft ein ſo ruhiges und gedankenreiches
Geſpraͤch gehoͤrt.
Als ich mich etwas genauer umſah, entdeck-
te ich bald mehrere Bekannte, die mit mir
Naͤchte durchſchwaͤrmt, oder beym Spiele durch-
wacht hatten. Sie kennen ja auch den launi-
gen witzigen Francesco, der uns mit ſeinen
Einfaͤllen ſo oft unterhalten hat, aber in dieſer
Geſellſchaft war es mir nicht moͤglich, uͤber ihn
zu lachen, oder einen Spaß von ihm zu fordern,
ſo ernſt und ehrwuͤrdig ſaß er unter den uͤbri-
gen, vouvon denen manche ihm aufmerkſam zuhoͤr-
ten. Adriano, an deſſen Einfalt wir uns ſo
oft beluſtigt haben, hatte einen großen Zirkel
um ſich her verſammelt und ſprach mit großem
Enthuſiasmus und eben ſo vielem Verſtande;
ich konnte nicht muͤde werden ihn anzuhoͤren,
und mich uͤber meinen bisherigen Irrthum zu
verwundern. Es war mir, als waͤre ich ploͤtz-
lich in die Geſellſchaft von abgeſchiedenen Gei-
ſtern entruͤckt, die im Tode alles Irrdiſche von
ſich werfen, und ſelbſt ihren Bruͤdern unkennt-
lich ſind. — Alle begegneten dem alten Andrea
mit der ausgezeichnetſten Achtung, alle beugten
ſich vor ihm, wie vor einem hoͤheren Weſen,
und meine Ehrfurcht vor meinem alten Freun-
de ward dadurch nur um ſo groͤßer.
Es
Es iſt, als wenn uns in der ſtillen Nacht
tiefere Gedanken und ernſtere Betrachtungen be-
gruͤßten, denn mit jeder Stunde ward die Ge-
ſellſchaft feyerlicher, der Gegenſtand ihres Ge-
ſpraͤchs erhabener. Ich habe nie mit dieſer An-
dacht in einem Tempel geſtanden, noch in kei-
nem Buche habe ich dieſe Gedanken gefunden,
die mich hier durchdrangen. In ſolchen Stun-
den vergißt man ſeine vorige Exiſtenz gaͤnzlich,
und nur die Gegenwart iſt deutlich in unſerer
Seele. Ich werde dieſe Nacht nie vergeſſen.
Wir gingen erſt am Morgen auseinander.
Ein gluͤhendes Roth ſtreckte ſich am Horizont
empor und faͤrbte Daͤcher und Baumwipfel; die
freye Morgenluft und der helle Himmel kontra-
ſtirten ſeltſam mit dem dunklen naͤchtlichem Zim-
mer. Schaaren von Voͤgeln durchflatterten die
Luft mit muntern Toͤnen, die Bewohner der
Stadt ſchliefen faſt noch alle und unſere Schrit-
te hallten die Straßen hinab. — Koͤnnt’ ich
begreifen warum dieſe ſinnlichen Eindruͤcke mich
ſtets ſo innig ruͤhren! Der friſche Morgen iſt
mir immer das Bild eines frohen und thaͤtigen
Lebens, die Luft iſt geſtaͤrkt und theilt uns ih-
Lovell. 2r Bd. U
re Staͤrke mit, das wunderbare Morgenroth
ſtroͤmt eine Erinnerung der fruͤheſten Kindheit
herauf und faͤllt in unſer Leben und unſere ge-
woͤhnlichen Empfindungen hinein, wie wenn ein
rother Strahl an den eiſernen Staͤben eines
Kerkers zittert, in dem ein Gefangener nach
Freyheit ſeufzt.
23.
Roſa an William Lovell.
Tivoli.
Auch ich, lieber Lovell, fuͤhle mich jetzt, ohne
ihre Geſellſchaft, einſam. Die Freundſchaft wird
unſerer Seele ſchon darum ein unentbehrliches
Beduͤrfniß, weil ſie immer ein Herz ſucht, dem
ſie ſich ganz und in jeder Stunde mittheilen
darf. Die Trennung unterbricht dieſe ſchoͤne
Harmonie, denn die Briefe ſind nur lahme und
ungeſchickte Boten, ſie wiſſen die Stimmung
nicht, in der ſie uns antreffen, wenn ſich im
muͤndlichen Geſpraͤche die Seelen faſt unmittel-
bar beruͤhren. Ich kann mir Sie und den al-
ten Andrea recht lebhaft bey einander denken,
ich ſehe Ihren Enthuſiasmus, denn ich weiß es
aus eigener Erfahrung, wie viel dieſer Greis
nur durch einige Worte auf unſere Seele ver-
mag. Ich kenne auch das Raͤthſelhafte und faſt
Furchtbare das ihn umgiebt, er erſcheint uns in
jeder Stunde in einer veraͤnderten Geſtalt und
es koſtet ihn nichts, ſich und eine ganze Ge-
U 2
ſellſchaft ploͤtzlich in einen andern Ton zu ſtim-
men; alle Ideen des menſchlichen Geiſtes ſtehen
ihm auſſerordentlich behende zu Gebote, er kann
ſich in jede Meynung kleiden, und es iſt daher
ſchwer, ja beynahe unmoͤglich, ſeine wahre von
ſeinen erborgten abzuſondern. Ich habe ſchon
oft den Argwohn gehegt, daß er fuͤr jeden Men-
ſchen mit dem er umgeht, eine eigne Maske
hat, er iſt alle Ideen und Stimmungen des
Menſchen durchlaufen, ein jeder findet ſich daher
in ihm ſelber wieder. Seltſam aber iſt es,
daß ein ſolcher Mann alles, nur nicht einen ge-
wiſſen Eigenſinn verbergen kann, den zu mas-
kiren ſelbſt dem Unerfahrenſten nur wenig koſtet,
er verachtet die Menſchen im Allgemeinen und
jeden insbeſondere, und in manchen Stunden
iſt er ſchwach genug, daß er ſich dieſe Verach-
tung merken laͤßt, um einen recht vollkomme-
nen Triumph zu genießen. Ich glaube, auch
Sie werden bald dieſe Bemerkungen an ihm
machen, und dies wuͤrde mir dann um ſo mehr
eine Beſtaͤtigung ſeyn, daß ich mich nicht ge-
irrt haͤtte. Es klingt freylich etwas anmaßend,
daß ich einen ſo tiefen Menſchen durchſchauen
und beurtheilen will, indeß kann ich es viel-
leicht eben darum, weil ich ſeine Vortreflichkei-
ten verſtehe und bewundere, und wie Sie in
Ihrem Briefe ſagen: man iſt vielleicht um ſo
argwoͤhniſcher, je mehr man wuͤnſcht, die Men-
ſchen zu lieben.
24.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Soll ich es Ihnen geſtehen, Roſa, daß mir
Ihr Brief gewiſſermaßen wehe gethan hat?
Denn es iſt einmal eine Schwaͤche der menſch-
lichen Seele die ſie vielleicht nie ablegen kann,
daß ihr gewiſſe Bemerkungen Schmerzen ma-
chen. Beim Anblicke aller Vortreflichkeiten
ſcheint das menſchliche Herz mit der Bewundrung
zugleich einen gewiſſen Neid zu fuͤhlen: iſt der
Eifer, irgend einem Muſter aͤhnlich zu werden,
wohl etwas anders? Wir ſuchen daher gern bey
vorzuͤglichen Menſchen eine Seite heraus, die
unſerm Tadel unterworfen ſeyn koͤnnte, bloß
um uns ſelbſt als beſſer zu achten. Dieſer
Neid iſt der Quell von allem, was wir in den
gewoͤhnlichen Bedeutungen im Menſchen Gut
und Schlecht nennen, und eben darum, weil ich
dies einſehe, ſollte mich Ihr Brief auf keine
Weiſe unzufrieden gemacht haben. Ich kann
uͤber meinen alten Freund durchaus nicht Ihrer
Meynung ſeyn, am wenigſten kann ich jene
Schwaͤche an ihm finden, die Sie bemerkt ha-
ben wollen. Er iſt fuͤr mich eine Koloſſalſtatue
unter den gewoͤhnlichen Menſchenbildern, ich
finde ſtets in ihm einen Hauptgedanken und die-
ſelbe erhabene Gemuͤthsſtimmung; er verſetzt
mich jedesmal, oft wider meinen Willen in die
ſeltſamſten Empfindungen, wie es ſonſt zuweilen
wohl nur wunderbare Toͤne koͤnnen, die unſre
Seele gewaltſam nach dunklen, ſeltſamen Ge-
genden entfuͤhren.
Wenn ich mich oft betrachte und mich ſtumm
in Gedanken verliere, ſo moͤcht’ ich ihn in man-
chen Stunden fuͤr ein fremdes, uͤbermenſchliches
Weſen halten, ich habe mir im Stillen manche
wunderbare Traͤume ausgeſponnen, die ich mich
ſchaͤmen wuͤrde, Ihnen ſo mit kaltem Blute
niederzuſchreiben, ſo ſehr ſie auch meine Phan-
taſie gefangen halten. Er begegnet oft auf eine
unbegreifliche Weiſe meinen Schwaͤrmereyen
mit einem einzigen Worte, das ſie mir deutli-
cher macht, und in ein helleres Licht ſtellt.
Neulich war ich durch ſeine Reden in eine
ungewoͤhnlich feyerliche Stimmung verſetzt, er
ſprach von meinem geſtorbenen Vater und ſchil-
derte ihn genau nach ſeiner Geſichtsbildung und
Sprache. Ich war geruͤhrt und er fuhr fort,
ja er ſprach endlich ganz mit ſeinem Tone und
ſagte einige Worte, die ſich mein Vater ange-
woͤhnt hatte, und die ich unendlich oft von
ihm gehoͤrt habe. Ich fuhr auf, weil ich dach-
te, mein Vater ſey wirklich zugegen, ich frag-
te ihn, ob er ihn gekannt habe und er betheu-
erte das Gegentheil; ich war in die Jahre mei-
ner Kindheit entruͤckt und ſah ſtarr auf die
Wand, um nicht in meiner Taͤuſchung geſtoͤrt
zu werden. Ploͤtzlich fuhr wie ein Blitz ein
Schatten uͤber die Wand hinweg, der ganz die
Bildung meines Vaters hatte, ich erkannte ihn
und er war verſchwunden, ſeltſame Toͤne, wie
ich ſie nie gehoͤrt habe, klangen ihm nach, das
ganze Gemach ward finſter und der alte Andrea
ſaß gleichguͤltig neben mir, als wenn er nichts
bemerkt haͤtte.
Ein gewaltiger Schauder zog meine Seele
heftig zuſammen, alle meine Nerven zuckten
maͤchtig, und mein ganzes Weſen kruͤmmte ſich
erſchrocken, als wenn ich unvorſichtig an die
Thore einer fremden Welt geklopft haͤtte, und ſich
zu meiner Vernichtung die Fluͤgel oͤffneten und
tauſend Gefuͤhle auf mich einſtuͤrzten, die der
gewoͤhnliche Menſch zu tragen zu ſchwach iſt. —
Andrea erſcheint mir jetzt als ein Thuͤrhuͤter zu
jenem unbekannten Hauſe, als ein Uebergang al-
les Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht
loͤſt Ein Aufſchluß alle Raͤthſel in und auſſer
uns, unſer Gefuͤhl und unſre Phantaſie reichen
vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein,
wo unſre Vernunft ſchier zuruͤckbleibt; am En-
de verſchwindet alle Taͤuſchung, wenn wir auf
einen Gipfel gelangen, der der uͤbrigen Welt
die hoͤchſte und unſinnigſte Taͤuſchung ſcheint.
Balder koͤmmt mit ſeinen Erſcheinungen in mei-
ne Seele zuruͤck, — o Roſa, was iſt Unſinn
und was Vernunft? Alles Sichtbare haͤngt wie
Teppiche mit gaukelnden Farben und nachge-
ahmten Figuren um uns her, was dahinter
liegt wiſſen wir nicht, und wir nennen den
Raum, den wir fuͤr leer halten, das Gebiet
der Traͤume und der Schwaͤrmerey, keiner wagt
den dreiſten Schritt naͤher, um die Tapeten
wegzuheben, hinter den Couliſſen zu blicken und
das Kunſtwerk der aͤuſſern Sinne ſo zu zerſtoͤ-
ren, — aber wenn, — o Roſa, nein ich ſchwin-
dele, es iſt mir innerlich alles ſo deutlich und
ich kann keine Worte finden; aber ich mag ſie
auch nicht ſuchen. Sie werden ebenfalls dieſe
Gefuͤhle kennen und mir alles uͤbrige erlaſſen.
25.
Roſa an William Lopell.
Tivoli.
Sie haben zum Theil recht, lieber Freund.
Ihre Gefuͤhle kann ich auf keine Weiſe tadeln,
denn ich bin zu gut mit dieſen bekannt, aber
lieber Freund, kann denn der große Menſch
nicht das Groͤſte und Kleinſte in ſich vereinigen
und liegt nicht eben darinn ſeine hoͤchſte Groͤße?
Doch ich will lieber abbrechen, denn wir ſtrei-
ten beyde am Ende nur uͤber Worte.
Manche Ihrer Gedanken uͤber Andrea ſind
mir aus der Seele geſchrieben, in ſeiner Ge-
genwart fuͤhle ich mich immer wie in der Naͤhe
eines Ueberirrdiſchen. Auch manches iſt mir be-
gegnet, was ich mir auf keine Art zu erklaͤren
weiß. Als ich neulich mit ihm hier in Tivoli
war, waren wir faſt taͤglich zuſammen und un-
ſer Geſpraͤch fiel vorzuͤglich auf den Aberglau-
ben und die wunderbare Welt, vor der unſer
Geiſt ſo oft ſteht, und dringend Einlaß begehrt.
Meine Phantaſie ward mit jedem Tage mehr
erhitzt, alle meine bisherigen Zweifel verlohren
immer mehr von ihrem Gewicht; Sie koͤnnen ſich
vorſtellen, welchen ſeltſamen Eindruck Ihre
Briefe damals auf mich machen mußten, in
denen Sie immer mit ſo vielem Eifer von Ro-
ſalinen ſprachen. An einem ſchoͤnen Abende
ſchweiften wir vor den Thoren umher, unſre
Geſpraͤche wurden immer ernſthafter und ich
vergaß es daruͤber ganz, zur engen unange-
nehmen Stadt zuruͤckzukehren. Es war indeß
dunkle Nacht geworden und wir trennten uns.
Alle meine Begriffe waren verwirrt, die Fin-
ſterniß ward noch dichter und ich naͤherte mich,
wie es ſchien, immer noch nicht der Stadt.
Ich verſuchte einen neuen Weg, weil ich glaub-
te, ich habe mich verirrt, und ſo ward
ich immer ungewiſſer. Die Einſamkeit und die
Todtenſtille umher, erregte mir eine gewiſſe
Bangigkeit; ich ſtrengte mein Auge noch mehr
an, um ein Licht von der Stadt her zu ent-
decken, aber vergebens. Endlich bemerkt’ ich,
daß ich einen Huͤgel hinanſtiege und nach eini-
ger Zeit befand mich oben, neben der Kirche
des heiligen Georgs. Der Wind zitterte in den
Fenſtern und pfiff durch die gegenuͤberliegenden
Ruinen, ich glaubte in der Kirche gehn zu hoͤ-
ren und ich irrte mich nicht; mit hallenden
Tritten kamen zwey unbekannte Maͤnner aus
dem Gewoͤlbe und fragten mich, was ich ſuche.
Ihre unbekannte Geſtalt, der feyerliche Ton ih-
rer Stimme und eine kleine Blendlaterne, die
nur mich und den einen von ihnen beleuchtete,
machte mich ſchaudern. Ich fragte furchtſam
nach dem Wege zur Stadt, und der eine von
ihnen erbot ſich, mich bis an das Thor zu
bringen, der andre verſprach ſo lange bey der
Kirche zu warten.
Die kleine Laterne erhellte ſparſam unſermunſern
Weg und BaͤnmeBaͤume und Stauden glitten uns,
mit einem durchſichtigen Gruͤn bekleidet, voruͤber,
mein Begleiter war ſtumm und ich ging wie
im Traume hinter ihm. Jetzt waren wir nahe
am Thore und der Mann mit der Laterne ſtand
ſtill; wir nahmen mit wenigen Worten Abſchied
nnd ein breiter Schimmer fiel auf ſein Geſicht.
Ich fuhr zuſammen, denn es war ganz das blei-
che Antlitz einer Leiche, die Augen waren wie
weit hervorgetrieben, die Lippen blaß und wie
in einem Todtenkrampfe verzerrt: ich glaubte ein
Geſpenſt zu ſehn, und erſchrak nur noch inni-
ger, als ich nach einigen Augenblicken die Zuͤge
Andrea’s erkannte. Jetzt wandte er ſich um,
und ging zuruͤck, ich ſtand noch wie verſteinert,
und rief endlich laut und halb wahnſinnig:
Andrea! — In demſelben Augenblicke ver-
ſchwand die Geſtalt und das Licht, und betaͤubt
und zitternd ging ich in die Stadt.
Aber wie fuhr ich zuſammen, als mir
Andrea vor meiner Wohnung entgegentrat
und mich fragte, wo ich ſo lange geblieben ſey.
Ich konnte ihm nur wenige Worte ſagen und
die ganze Nacht hindurch lag ich in einem ab-
wechſelnden Fieber.
Und war es nicht eben die Geſtalt unſers
Andrea, mit Schrecken denke ich daran, die
der ungluͤckliche Balder ſo oft in den Exaltatio-
nen ſeiner Phantaſie beſchrieb? — Und doch
hatte er ihn niemals geſehen. — Wer weiß,
ob er mich nicht jetzt umgiebt, indem ich die-
ſen Brief ſchrieb, und jeden Gedanken kennt,
den ich denke! —
26.
Andrea Coſimo an Roſa.
Rom.
Warum hab’ ich von Dir Argwoͤhniſchen,
nicht ſchon einen zweiten Brief erhalten? Ich
bin auf Nachrichten von Dir begierig, weil ich
mich von je fuͤr Dich intereſſirt habe. Ob Du
es in dem Grade, wie ich Dich ſchaͤtze und lie-
be, verdienſt, iſt eine andre Frage; indeſſen muß
man ſich darum bey den Menſchen nie bekuͤm-
mern; mein Eigenſinn, den Du an mir neulich
getadelt haſt, beſteht bloß darin, daß ich nie
einen Gegenſtand wieder fahren laſſe, den mei-
ne Zuneigung einmal ergriffen hat; nur unter-
laß die Forderung, daß ich Dir, wie ein Kind,
von meinen Gedanken Rechenſchaft ablegen ſoll.
Erwarte erſt das Ende jeder Pruͤfung, um mei-
nes ganzen Vertrauens werth zu ſeyn und be-
gnuͤge Dich jetzt damit, daß Du von allen der
Erſte biſt, der Anſpruͤche darauf machen kann.
Wenn Dir alſo meine Liebe oder Achtung noch
irgend etwas werth iſt, ſo verſchone mich mit
aͤhnlichen Briefen, als Dein letzter war.
27.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich habe nie, Roſa, mit dieſem Blicke ins Le-
ben geſehn; wie voruͤbereilendes Schattenwerk,
wie wandelnder Rauch, der uͤber die Heide
ſchreitet, ſo nichtig fliegt alles durcheinander.
Ich weiß nicht, ob ich wache oder traͤume, den-
ke oder raſe, die widerwaͤrtigſten Gedanken und
Geſtalten haben ſich innig mit einander ver-
knuͤpft, und tauſend Zweifel und Irrthuͤmer,
Schrecken und Truggeſtalten haͤngen wie ein
Netz um mich her, das mich nicht wieder frey
giebt.
Mein Herz iſt die Hoͤle des Aeolus gewor-
den, in dem alle Stuͤrme durch einander mur-
ren und ſich mit wildem Grimme von ihren Ket-
ten losreißen wollen. O, laſſen Sie mich die-
ſen Andrea begreifen, und ich will mich zu-
frieden geben und ich will alles uͤbrige ver-
geſſen.
Iſt die Welt nicht ein großes Gefaͤngniß,
in dem wir alle wie elende Miſſethaͤter ſitzen,
und
und aͤngſtlich auf unſer Todesurtheil warten?
O wohl den Verworfenen, die bey Karten oder
Wein, bey einer Dirne oder einem langweili-
gen Buche ſich und ihr Schickſal vergeſſen
koͤnnen!
Doch der ſchwarze Tag bricht endlich, end-
lich herein. Er kann nicht ausbleiben. Alle
vorhergehenden Tage waren nur Vorbereitungen
zum letzten ſchrecklichen. Die finſtre Parze fin-
det endlich die Stelle, wo ſie den Faden zer-
reißt. — O wehe uns, Roſa, daß wir geboren
wurden!
O des klagenden Thoren! mit ohnmaͤchtiger
Kraft ſperrt ſich das arme Thier, in den Stall
zu gehn, wo das ſchlachtende Meſſer ſeiner war-
tet. Die Zeit, dieſer unbarmherzige Henkers-
knecht, ſchleppt Dich hinein, das Thor ſchlaͤgt
hinter Dir zu und Du ſtehſt einſam unter dei-
nen Moͤrdern.
Was kann der Menſch wollen und vollbrin-
gen? Was iſt ſein Thun und Streben? —
O daß wir wandern koͤnnten in ein frem-
des, andres Land; ausziehn aus der Knecht-
ſchaft, in der uns unſre Menſchheit gefangen
haͤlt!
Lovell. 2r Bd. X
Graͤßlich werden wir zuruͤckgehalten, und die
Kette wird immer kuͤrzer und kuͤrzer. Alle taͤu-
ſchenden Freuden ſchlagen rauſchend die Fluͤgel
aus einander und ſind im Umſehn entflogen.
Der Putz des Lebens veraltet und zerfaͤllt in
Lumpen; alle Gebrechen werden ſichtbar.
Einſam ſteh ich, mir ſelbſt meine Qual und
mein Henker, in der Ferne hoͤr’ ich die Ketten
der andern raſſeln. — Schauder ſtehn vor un-
ſerm Gefaͤngniſſe zur Wacht. — Da laͤßt ſich
keiner beſtechen, — eiſenfeſt und unwandelbar
ſtehn ſie da. — —
Ich habe den Ruf vom jenſeitigen Ufer ge-
hoͤrt; ich habe den ſeltſamen Wink verſtanden,
und das Boot eilt ſchon heruͤber, mich abzu-
holen; ich trage meine Suͤnden in meiner Hand
und gebe ſie als Faͤhrgeld ab. — — Die Wo-
gen rauſchen, es ſchwankt das Boot, das
Steuer aͤchzt, und bald tret ich an das duͤſtre
fremde Geſtade, und in doppelter Vereinigung
kommen mir alle meine Schmerzen entgegen.
Geſtern war ich bey Andrea und ſeiner Ge-
ſellſchaft. Sie ſprachen viel durcheinander und
ſaßen in Reihen hinab, wie gefuͤllte Bilder aus
Erde. Alle waren mir fremd und armſeelig,
mit allen, ſelbſt mit dem wunderbaren Andrea
hatt’ ich ein inniges Mitleiden. Sie waren ernſt
und feierlich, und mir war, als muͤßt’ ich la-
chen. — Daß Gedanken und Vorſtellungen den
ſogenannten Frohſinn aus unſerm Geſichte ver-
jagen koͤnnen, iſt bejammernswuͤrdig.
Ich ſtreckte meine Hand aus und beruͤhrte
den naͤchſtſitzenden; und wie ins Reich der Ver-
nichtung griff ich hinein und war ein Glied der
zerbroͤckelnden Kette. Ich gehoͤrte nun mit
zum Haufen, und war mir ſelber fremd und
armſeelig, ſo wie die uͤbrigen.
Aller Augen waren ſtarr auf die Wand ge-
heftet, in allen ſpiegelte ſich der Widerſchein
des Todes. Die Kerzen brannten dunkler, die
Vorhaͤnge rauſchten geheimnißvoll, das Blut
in meinen Adern wollte aufſieden und erſtarrte.
Toͤne ſchlugen das Ohr mit ſeltſamer Be-
deutung, wie Arabeskengebilde fuhr es durch
meinen Sinn; ich erwartete etwas Fremdgeſtal-
tetes und lechzte nach etwas Ungeheuerm. Und
ich vergaß hinter mir zu ſehn und ſtand unter
meinen Freunden einſam, wie in einem Walde
von verdorrten Baͤumen.
Schatten fielen von oben herunter und ſan-
X 2
ken in den Boden. Daͤmpfe ſtanden wie Saͤu-
len im Gemache, Daͤmmerung wankte hin und
wieder wie ein Vorhang. Die Seele vergaß
ſich ſelbſt und ward ein Bild von dem, was
ſie umgab.
Es kreiſte und wogte gewaltig durch einan-
der, wie ein Unding das zum Entſtehen reif
wird, ſo kaͤmpfte die Maſſe gegen ſich ſelbſt. —
Es ſchritt naͤher und glich einer Nebelgeſtalt;
vor mir voruͤber wie ein pfeifender Wind, —
und o, — Roſaline!
Sie war es, ganz, wie ſie lebte. Sie warf
einen Blick auf mich und wie ein Meſſer traf
er meine Augen, wie ein Berg mein Herz. Ich
ſtraͤubte mich gegen meine innerliche Empfin-
dung und es zog mich ihr nach; — ich ſtuͤrzte
laut ſchreiend nach ihrem Gewande und ſtieß
mit dem Kopfe an die Mauer.
Ich erſchrak nicht, verwunderte mich nicht
und erwachte auch nicht. Wie andre Elemente
umgab mich alles, ich ſah die Freunde wieder,
ich hoͤrte wieder die Baͤume und Waſſer, die
ganze Muͤhle der gewoͤhnlichen Welt, mit allen
ihren Gaͤngen.
Andrea und die uͤbrigen waren ſtumm und
kalt, aber ſie ſtanden fern, fern von mir hinun-
ter, ich kannte ſie alle und verſtand ſie nicht,
ich kam zuruͤck und war nicht unter ihnen.
Man oͤffnete die Fenſter; die Morgenluft
brach herein, der Himmel war wie eine Platte
buntgeſtreifter Marmor, die Waͤnde der Welt
waren wie immer mit ihren ſeltſamen Gewaͤch-
ſen ausgelegt, und wie ein wildes Thier, ſo fiel
eine nuͤchterne Empfindung mein Herz an.
Wo ſteht die letzte Empfindung, daß ich zu
ihr gehe? Wo wandeln die ſeltſamſten Gefuͤhle,
daß ich mich unter ſie miſche? Daß ich von
dieſem Traume erwache und einen andern noch
feſter traͤume!
Wolken fliehn und kommen wieder, das ſelt-
ſamſte Morgenroth wird Tagesſchein. — So
wird es mit dieſem Herzen gehn. — Leider,
daß ich das ſchon jetzt empfinde!
28.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Wie alles mich immer beſtimmter zu jenen
Schrecken hinwinkt, denen ich entfliehen wollte!
Wie es mich verfolgt und draͤngt, und doch
die graͤßliche Leere in mir nicht ausfuͤllt! —
Wie in einem Ocean ſchwimm ich mit unnuͤtzer
Anſtrengung umher; kein Schiff, kein Geſtade,
ſo weit das Auge reicht! unerbittlich ſtreckt ſich
das wilde Meer vor mir aus, und Nebel ſtrei-
chen verſpottend wie Ufer herum, und ver-
ſchwinden dann wieder.
Nebelbaͤnke ſind unſer Wiſſen und alles,
was unſere Seele zu beſitzen glaubt; der Zwei-
fel rauft das Unkraut zuſammt dem Getraide
aus, und in der leeren Wuͤſte ſchießen andre
Pflanzen mit friſcher Kraft hervor, deren Far-
ben noch ſchoͤner und glaͤnzender ſpielen. Der
Menſch muß denken und eben darum glauben,
ſchlafen und alſo traͤumen; es iſt moͤglich, daß
alle Geſtalten nur in mir wandeln, alles zie-
hende Schattenbilder in der Hoͤlung meines Au-
ges, Schwingungen meiner Gehirnfibern, die
ich nach dem allgemeinen Uebereinkommen die
aͤußern Gegenſtaͤnde benenne.
Der Wechſel der Jahreszeiten zerſtoͤrt die
Berge und Felſen, die ewigen Pfeiler der Erde
zerbroͤckeln ſich durch Regenguͤſſe, der Menſch
durch den Lauf ſeines Bluts, ein Todtenwurm
in ihm, der ihn von innen heraus zernagt. Je-
des Ding iſt Bild und Gegenbild zugleich, es
erklaͤrt ſich ſelbſt und man ſollte nie fragen:
Wie haͤngt dieſe Erſcheinung mit jener zuſam-
men? — Der Geiſt des Forſchens iſt die Erb-
ſuͤnde, die uns von unſern erſten gefallenen
Eltern angeſtammt iſt.
Alles, was ich ſonſt meine Gefuͤhle nannte,
liegt todt und geſchlachtet um mich her, zer-
pfluͤcktes Spielzeug meiner unreifen Jugend,
die zerſchlagene magiſche Laterne, mit der ich
meine Zeit vertaͤndelte; bunte Farben und
Schattenſpielwerk!
Ich nenne mir manchmal den Nahmen
Amalte oder Roſaline, um alles, wie mit
einem Zauberſpruche, wieder zum Leben zu er-
wecken, aber auch die Erinnerung iſt abgebluͤht,
und wenn ich mein ganzes Leben hinunterſehe,
ſo iſt mir, als wenn ich uͤber ein abgemaͤhtes
Stoppelfeld blicke; ein truͤber Herbſt wandelt
naͤher, der Nebel wird dichter, und der letzte
Sonnenſchein erliſcht auf den fernen Bergen.
Ich moͤchte in manchen Stunden von hier
reiſen und eine ſeltſame Natur mit ihren Wun-
dern aufſuchen, ſteile Felſen erklettern, und in
ſchwindelnde Abgruͤnde hinunterkriechen, mich
in Hoͤlen verirren, und das dumpfe Rauſchen
unterirrdiſcher Waſſer vernehmen, ich moͤchte
Indiens ſeltſame Geſtraͤuche beſehen, und aus
den Fluͤſſen Waſſer ſchoͤpfen, deren Nahme mich
ſchon in den Kindermaͤrchen erquickte, Stuͤrme
moͤcht’ ich auf dem Meere erleben, und die
Aegyptiſchen Pyramiden beſuchen; — o Roſa,
wohin mit dieſer Ungenuͤgſamkeit? und wuͤrde
ſie mir nicht ſelbſt zum Orkus und in Elyſium
folgen? —
Und lern’ und erfahr’ ich denn nicht hier in
Rom genug? Genuͤgt mir nicht dies tiefe wun-
derbare Leben, in dem die Wunder mit den
Stunden wechſeln? Wohin von hier? Das Ge-
wand der ganzen Erde iſt kahl und duͤrftig, —
o Balder, ich moͤchte dich in den tiefen Ge-
birgen aufſuchen, um von Dir zu lernen und
mit Dir zu leben.
Sollte es moͤglich ſeyn, daß ich ſchon hin-
ter dem Vorhang ſtaͤnde, der die jenſeitige Welt
von den hieſigen Menſchen ſondert? Es iſt viel-
leicht und ich erſchrecke nicht mehr vor dem
Gedanken. —
Mein Geiſt knuͤpfet ſich immer vertrauter
an Andrea, ich verſtehe ihn, ſo viel ſich zwey
Menſchen verſtehen koͤnnen, die immer das
Nehmliche meynen und ganz etwas anders ſpre-
chen; in jedem Koͤrper liegt die Seele, wie ein
armer Gequaͤlter in dem Stiere des Phalaris,
ſie will ihren Jammer und ihre Schmerzen aus-
druͤcken, und die Toͤne verwandeln ſich und die-
nen zur Beluſtigung der umgebenden Menge. —
Sein feiner Sinn vermiſcht ſtets die Vernunft
mit ſeinem innerſten Gefuͤhle, er baut ſich kei-
ne Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu
wohnen, er ſucht nichts in ſich zu veraͤndern
und auszurotten. —
Doch ich vergeſſe ganz, was ich erzaͤhlen
wollte. Man vergißt uͤber Worte ſich und al-
les uͤbrige, wir ſprechen ſelten von uns ſelbſt,
ſondern meiſt nur daruͤber, wie wir von uns
ſprechen koͤnnten, jeder Brief iſt eine Abhand-
lung voll erlogener Saͤtze mit einem falſchen
Titel uͤberſchrieben, und ſo moͤcht’ ich denn gern
fortfahren zu ſchwatzen, wenn mich mein Gefuͤhl
nicht zu ſehr aͤngſtigte und zur Erzaͤhlung einer
ſeltſamen Begebenheit hinriſſe.
Es war vorgeſtern, als ich witmit einer großen
Geſellſchaft zu einem praͤchtigen maskirten Bal-
le fuhr. Ich liebe dieſe Maskeraden, weil ſie
mich ſtets in eine froͤlich wehmuͤthige Stim-
mung verſetzen. Das Rauſchen der ſeltſamen
Geſtalten durch die Saͤle und auf den Treppen,
das raͤthſelhafte Geziſche und Gefluͤſter, die
Unbekanntſchaft mit allen Menſchen umher, al-
les iſt fuͤr mich ein ſtilles Gedicht uͤber das
menſchliche Leben, ein Schauſpiel, worin die
Schauſpieler ſelbſt ihre Rollen nicht verſtehn,
und ſie dennoch meiſterhaft darſtellen. — Ich
ſah hier Pantalons und Pierrot’s durcheinander
ſpringen, die Muſik klang verworren in das
bunte Geraͤuſch hinein, die Kerzen flimmerten
durch die Saͤle und glaͤnzten gegen den Putz
von ſchoͤnkoeffirten Damen, ich ſtand an einen
Pfeiler gelehnt und ſah ohne Sehnſucht und
ohne Ruhe in das große Findelhaus der menſch-
lichen Narrheiten hinein. Von je hat mich die
Maske, die mich nach und nach erhitzt, die
gezwungene Art, aus den ausgeſchnittenen Au-
gen hervorzuſehn, in eine Art von Trunkenheit
verſetzt; es waͤhrte daher nicht lange, ſo ſpielte
alles nur, wie eine Traumgeſtalt um mich her-
um, und ich fuhr manchmal heftig auf, um
mich nur wach zu erhalten; ich konnte in man-
chen Momenten gar nicht glauben, daß ich
wirklich lebe, ſo ſeltſam umgab mich alles; wie
den Kindern war mir, die durch einen rothen
geſchliffenen Stein die Sonne und die wunder-
bar geſpaltene Welt umher betrachten. Es war
als ſaͤhe ich in einen ſchiefhaͤngenden Spiegel
hinein, der mir eine andere weit entfernte
Welt darſtellte, die unſer Geiſt nur zuweilen
fluͤchtig beſucht, wenn unſer Koͤrper in tiefen
Traͤumen liegt.
Eine weibliche Geſtalt ſtrich kokettirend zu
wiederholtenmalen bey mir voruͤber. Ich hatte
ſchon oft das Rauſchen ihres ſeidnen Gewandes
gehoͤrt und ward jetzt erſt aufmerkſamer. Mir
war, als wenn ſie mich recht gefliſſentlich vor
allen uͤbrigen Masken auszeichnete und eine
Bekanntſchaft mit mir ſuchte. Wir naͤherten
uns mit den gewoͤhnlichen Formeln, und mir
ward es wunderbar leicht, recht abgeſchmackt
zu ſeyn; es ſammleten ſich daher bald mehrere
Karrikaturmasken, die mich ungemein witzig
fanden. Die Eitelkeit, (die gewiß wie ein
elektriſcher Drath bis in das tiefſte Fundament
der Seele geht) ward in mir wach, und die
Gegenſtaͤnde umher erhielten eine beſtimmtere
Form, ich bemuͤhte mich nun, die Lobſpruͤche
meiner Bewunderer zu verdienen und mir die
Zuneigung der unbekannten ſchoͤnen Maske zu
erhalten. Das Gelaͤrm umher war lauter, mir
aber bedeutender als bis jetzt, ich ſah wieder
mit freyen Blicken umher und fand mich willig
in die Thorheiten der bunten Bilder, die wie
ein belebtes magiſches Kartenſpiel um mich
ſprangen.
O was iſt der Menſch mit ſeinen Empfln-
dungen, die ſo oft an den letzten Grundſtein
ſeines Gebaͤudes ruͤhren und dann wieder ver-
ſchwinden und ſich vielleicht nie wieder anmel-
den? Meine Sinnlichkeit erwachte und ich ver-
folgte die unbekannte Maske bald durch das
dickſte Gedraͤnge, ich begleitete ſie, als ſie in
eins der Zimmer ging, um ſich mit Eis zu er-
quicken.
Hier ſah ich den ſchoͤnen WnchsWuchs genauer
und die zarten Arme, ich bat und flehte, aber
ſie wollte um keinen Preis die Maske vom Ge-
ſichte nehmen. —
Ich verlohr ſie im Saale wieder aus den
Augen, deſſen Getoͤn und Gebrauſe mir jetzt
nach der augenblicklichen Ruhe, nach der ſtil-
lern Erleuchtung des Zimmers innig zuwider
war. Ich ging noch ein paarmal auf und ab,
verlohr mich wieder in Traͤumereyen, und ging
dann fort, um in meinen Wagen zu ſteigen.
Zu meinem Erſtaunen finde ich die oft geſuchte
Maske vor der Thuͤr, ſie vermißt ihren Wagen
ich biete ihr den meinigen an, und, o welche
Freude! ſie ſchlaͤgt das Anerbieten nicht
aus. —
Nun waren wir allein im Wagen, und ich
wandte alle meine Beredſamkeit an, um ſie zu
bewegen, die entſtellende Maske abzunehmen.
Sie thut es endlich mit einer kaltbluͤtigen Be-
wegung, — und o, — die Haare richten ſich
mir noch empor, — — Roſaline ſitzt ne-
ben mir!
Sie warf mir einen drohenden Blick zu, und
wie ein lauter Donnerſchlag warf es ſich in
in den Wagen hinein. — Nun hoͤrt ich bloß
das Raſſeln der Raͤder, wie eine ganz ferne
Kaskade, — ich fand mich am Morgen in mei-
nem Zimmer wieder. —
Alles iſt Trug und Schein um uns her, aber
warum wir uns ſelbſt Phantaſien erſchaffen, die
unſer Inneres ſo gewaltig umruͤtteln, o wer
kann das ergruͤnden? —
Meine Haͤnde zittern noch, wenn ich daran
denke, und doch iſt es voruͤber und ich zweifle
jetzt ſelbſt daran, daß es war. Weiß ich doch
kaum, was ich jetzt thue und denke. —
29.
William Lovell an Andrea Coſimo.
Rom.
In manchen Stunden, wenn ich ſo recht in-
nig fuͤhle, wie alles umher und in uns nur
Dunſt und Rauch iſt, moͤcht’ ich Dich fragen:
aber was iſt denn der Menſch und ſein eigentli-
ches Selbſt? Was koͤnnen wir in ihm gut und
boͤſe, thoͤricht und verſtaͤndig nennen? — Alles
iſt ein voruͤberaehend Raͤthſel, fades Wortſpiel
und langweiliger Zeitvertreib.
30.
Andrea Coſimo an William Lovell.
Rom.
Jedermann hat ſeine eigene Stimme und nur
wenige wiſſen, was ſie mit dieſer ſagen wollen.
Die ganze Welt iſt nichts als ein Gemaͤhlde,
wo jedes Auge die Farben anders ſieht. Auch
meine Worte gehoͤren nur mir zu und paſſen
im Munde keines andern. —
Warum ſuchen wir immer nur Unterſchiede
zu machen? Alles in der Natur hat ſeinen na-
hen und fernen Endzweck, wenn wir ihn auch
nicht gewahr werden, weil wir Menſchen ſind,
und immer wider unſern Willen uns ſelbſt zur
Axe des Univerſums machen und machen muͤſ-
ſen. Eben ſo iſt es in uns ſelber. — Die
Unterſchiede erfand nur der bloͤdere Sinn, um
die Menſchen in Reihen zu ſtellen; welcher Edle
hatte nicht dieſelben Neigungen und Triebe,
dieſelben Vorſaͤtze, die der faßte, den wir ei-
nen Boͤſewicht nennen? Der Menſch kann nur
unterſcheiden nach den Erſcheinungen, die aͤu-
ßer-
ßerlich und zufaͤllig aus ſeinem Bruder heraus-
treten. Ich moͤchte keinen verdammen und kei-
nen vergoͤttern, es iſt alles Ein Gefolge, in
dieſelben Gewaͤnder eingehuͤllt, mir alle gleich
unkenntlich und gleich gut, ein Trauerzug, der
auf Bergeswegen dahin geht, und hinter einem
dunkeln Walde verſchwindet.
Lovell. 2r Bd. Y
31.
Andrea Coſimo an William Lovell.
Rom.
Freylich, lieber William, taͤuſcht uns alles in
und außer uns, aber eben deswegen ſollte uns
auch nichts hintergehen koͤnnen. Wo ſind denn
nun die Quaalen, von denen ich ſo oft muß re-
den hoͤren, die unſre Irrthuͤmer, unſre Zwei-
felſucht, der erſte Sonnenſtrahl unſerer Ver-
nunft uns erſchaffen? Es iſt die Zeit, die auf
ihrem Wege durch die große weite Welt auch
durch unſer Inneres zieht, und dort alles auf
eine wunderbare Weiſe veraͤndert. Veraͤnderung
iſt die einzige Art, wie wir die Zeit bemerken,
und weil wir die Faͤhigkeit haben zu denken,
haben wir auch zugleich die Fertigkeit verſchie-
denartige Gedanken hervorzubringen. Weil ei-
ne Gedankenfolge uns ermuͤdet und am Ende
nicht mehr beſchaͤftigt, ſo macht eben dies eine
andere nothwendig; und dies nennen die Men-
ſchen gewoͤhnlich eine Veraͤnderung ihres Cha-
rakters und ihrer Seele, weil ſie ſich immer
viel zu wichtig finden, und ſich gern uͤber und
uͤber ſo mit Lichtern beſtecken moͤchten, daß man
ſie aus dem Glanze gar nicht heraus finden
kann. Kann ſich denn aber das Weſen veraͤn-
dern, das wir unſre Seele nennen? Hat es
Theile, die von ihm losgeriſſen, oder die ihm
angeſetzt werden? Wechſelt es ſich mit einem
andern aus? — O Freund, wir wechſeln mit
den Federn mit denen wir ſchreiben, die Seele
mit ihrem Spielzeuge, den Gedanken, die von
ihr ſelbſt ganz unabhaͤngig und nur ein feineres
Spiel der Sinne ſind.
Alles, was wir in uns kennen, iſt Sinn-
lichkeit, dorthin fuͤhren alle Fußtapfen, die wir
in der einſamen Wuͤſte entdecken, zu dieſer ein-
zigen Hoͤle werden wir immer wieder zuruͤckge-
fuͤhrt, ſo ſeltſam ſich der Weg auch kruͤmmen
mag. Nur in der Sinnlichkeit koͤnnen wir uns
begreifen, und ſie regiert und ordnet das Ge-
webe, das wir immer von unſerm Geiſte ge-
trieben glauben. Bloß hierauf koͤnnen ſich alle
Plane und Entwuͤrfe, Wuͤnſche und ſtille Ahn-
dungen gruͤnden; in dieſer Koͤrperwelt bin ich
mir ſelbſt nur mein erſtes und letztes Ziel, denn
der Koͤrper ordnet alles nur fuͤr ſeinen Koͤrper
an, er findet bloß Koͤrper in ſeinem Wege, und
Y 2
eine Verbindung zwiſchen ihm und dem Geiſte
iſt fuͤr unſer Faſſungsvermoͤgen unbegreiflich.
Die Seele ſtehet tief hinab in einem dunkeln
Hintergrunde und lebt im weiten Gebaͤude fuͤr
ſich, wie ein eingekerkerter Engel: ſie haͤngt
mit dem Koͤrper und ſeinen vielfachen Theilen
eben ſo wenig zuſammen, wie der Verbrecher
mit der Stadt in der er gefangen ſitzt; wie
man eben ſo wenig glauben wuͤrde, daß alle
Straßen mit den Thoren und Thuͤrmen umher
bloß fuͤr den Gefangenen angelegt waͤren.
Was kann ich alſo fuͤr meine Seele thun,
die wie ein unaufgeloͤſtes Raͤthſel in mir wohnt?
die dem ſichtbaren Menſchen die groͤßte Will-
kuͤhr laͤßt, weil ſie ihn auf keine Weiſe beherr-
ſchen kann? und wie kann ein Koͤrper gut oder
boͤſe ſeyn? — Er iſt, das iſt ſein Verbrechen
und ſeine Tugend, ſein Daſeyn iſt ſeine Stra-
fe, und ſeine Wohlthat, und wer hat dies nicht
ſchon in ſich ſelber empfunden?
Damit die veraͤchtlichen Maſchinen ſich bruͤ-
ſten koͤnnen, haben ſie Nahmen und Unterſchie-
de wie bunte, klaͤgliche Ordenszeichen erfun-
den; nur der Poͤbel hat die tiefe Achtung vor
dieſen.
Was bleibt uns uͤbrig, William, wenn wir
alle leere Nahmen verbannen wollen? — Frei-
lich nichts zu philoſophiren und mit Enthuſias-
mus fuͤr die Tugend und gegen das Laſter zu
reden, kein Stolz, kein Gepraͤnge mit Redens-
arten, aber immer noch eben ſo viel Raum um
zu leben.
Die Empfindung geht daher einen kuͤrzern
und richtigern Weg, als der gruͤbelnde Ver-
ſtand; denn das Gefuͤhl iſt der Haushofmeiſter
unſerer Maſchine, der erſte Oberaufſeher, der
dem alten pedantiſchen Verſtande alles uͤberlie-
fert, der es weitlaͤuftig und auf ſeine ihm ei-
gene Art bearbeitet. Gefuͤhl und Verſtand ſind
zwey nebeneinander laufende Seiltaͤnzer, die ſich
ewig ihre Kunſtſtuͤcke nachahmen, einer ver-
achtet den andern und will ihn uͤbertreffen.
Wenn wir nicht bloße Maſchinen ſind, ſo
reißt ſich die Seele einſt gewiß von allem los,
was ſie ſo laͤſtig gefangen haͤlt, ſie wird nicht
ſchließen und unterſcheiden, nicht ahnden und
glauben, ſondern im raſchen, reißenden Fluge
nach ihrem ungekannten Vaterlande eilen, wo
ſie wirken und ungefeſſelt dauern kann.
Wenigen wundervollen Menſchen war es
vielleicht gegoͤnnt, ſich ſchon hier, von den
Gauklern, ihren Sinnen, noch umgeben, ken-
nen zu lernen, und in ihre innerſte, verbor-
genſte Tiefe zu ſchauen. Aber die Natur wi-
derſtrebt mit allen ihren Kraͤften, ſie ſind ſelt-
ſame Wunderdinge, die ſich vor ſich ſelber ent-
ſetzen; die Fugen ſind geriſſen, der Geiſt ſieht
unmittelbar, ohne Sinne und ohne das Mittel-
glas des Verſtandes, in das Daſeyn und die
Gegenſtaͤnde hinein und der Koͤrper ſchaudert
unter heftigen Zuckungen.
32.
Balder an William Lovell.
Heut ſcheint die Sonne freundlich und ich den-
ke an Deinen Nahmen, denn er iſt wie blauer
Himmel. Da war mir, als hoͤrt’ ich Deinen
Gang hinter mir in den Gebuͤſchen und ich ſah
mich um. Aber der Wind kletterte nur in den
Baͤumen umher, und pfluͤckte einige reife Blaͤt-
ter, die er der Erde, ſeiner Mutter, zum Ver-
zehren hinlegte. Nun hab’ ich noch in meiner
Schreibtafel ein Blatt Papier und ich will es
nehmen, und jetzt mit Dir ſprechen; vielleicht
findet ſich einſt ein Mann, der es zu Dir hin-
uͤbertraͤgt.
Wechſelnd gehn des Baches Wogen
Und er fließet immer zu,
Ohne Raſt und ohne Ruh,
Fühlt er ſich hinabgezogen,
Seinem dunkeln Abgrund zu.
Alſo auch des Menſchen Leben,
Liebe, Tanz und Saft der Reben
Sind die Wellenmelodie,
Sie verſtummt ſpaͤt oder früh.
Ewig gehn die Sterne unter,
Ewig geht die Sonne auf,
Taucht ſich roth ins Meer hinunter,
Roth beginnt ihr Tages-Lauf.
Nicht alſo des Menſchen Leben,
Seine Freuden bleiben aus,
Iſt er nur dem Tod gegeben,
Er behält ihn dort im dunkeln Haus. —
So werd’ ich jetzt gezwungen, nach einem
gewiſſen Klange zu reden, der wie ein Waſſer-
fall in meiner Seele auf- und niederſteigt. Mich
beſuchen oft Leute in meiner einſamen Wald-
wohnung, und ſagen es ganz laut, ſo daß ich
es hoͤre, ich ſey ein Prophet von Gott geſandt.
Die guten Leute meinen es aber in ihrem Sin
ne recht gut, nur ſchieben ſie das meiſte auf
meinen Bart, der mir wider meinen Willen ſo
lang gewachſen iſt.
Die Sonne ſpielt froͤhlich zwiſchen den dun-
kelgruͤnen Zweigen herab und ich ſehe, wie je
des Thier ſich in ihr goldnes Netz ſo gern und
willig faͤngt. Die ganze Natur iſt begeiſtert
und die Waldvoͤgel ſingen lange und ſchoͤne Lie-
der, und die Baͤume ſtimmen drein mit lautem
ehrwuͤrdigem Rauſchen und wie Harfenſaiten
zittert und klingt alles nmum mich her, und ich
ſinge innerlich Geſaͤnge, ohne daß ich es weiß.
Alte graue Helden treten
So vertraulich zu mir her,
Ehrfurchtsvolle Prieſter beten,
Und es rauſcht das griech’ſche Meer.
Circe’s Weberſtühle ſauſen,
Die Charybdis ſtrudelt wild,
Pan erwacht, die Wälder brauſen,
Jäger ſtarren und es flieht das Wild.
Lanzenkämpfer taumeln rüſtig,
Sich auf Roſſen auf und her,
Und Arioſt erſinnet liſtig,
Seine wundervolle Mähr
Vom Orlando, Rodomant,
Ach in ſeinen Liedern ſonnt
Sich der Dichter, plötzlich bricht er ab
Ihn verſchlingt das offne Grab.
Ach und keine Verſe ſprechen
Sanften Troſt dem Armen zu,
Alle Harfenſaiten brechen
Um ihn her die fürchterlichſte Ruh.
Ich denke noch daran, daß wir oft uͤber al-
les ſprachen, was ich jetzt immer wirklich vor
mir ſehe.
Alle dieſe Leute ſind nicht todt, ſondern
nur verdunkelt, ſie kommen, wenn ich ſie rufe,
und vertragen ſich bruͤderlich mit mir.
Denkſt Du noch zuweilen an mich, wie ich
an Dich und Deine Thorheiten denke? Es iſt
mir jetzt ein neues ruhiges Leben angegangen,
ich weiß es nicht zu ſagen, wie ſehr ich inner-
lich froh bin. Eine andere ſtillere Seele iſt in
mich eingegangen, und die hat uͤber mich eine
beſſere Herrſchaft angefangen.
Ich weiß nicht in welchem Waldgebirge ich
wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach
Nahmen. Es ſieht um meine Wohnung wun-
derlich und doch ſchoͤn aus. Felſen ſtehn hoch
und ernſthaft da, und Ulmen und Pappeln, und
an den ſenkrechten Waͤnden haͤngt der Epheu
dick wie Rieſenlocken herunter. Es iſt alles
hier um mich lebendig und voll Freundſchaft,
die Baͤume gruͤßen mich, wenn ich aufwache,
der Himmel zieht purpurroth uͤber meinen Kopf
weg und ſeine bunten Lichter ſpielen um mich
herum und necken mich. — Ach Freund, wenn
man die Blumen und Pflanzen naͤher kennen
lernt, was ſie dann anders ſind, als man ge-
woͤhnlich glaubt, ſie ſind kluͤger als die Leute
denken, und haben auch mehr Gewalt, als man
meint. Die Menſchenwiſſenſchaft kennt nur ei-
nen Theil ihrer geheimen Kraft.
Blumen ſind uns nah befreundet,
Pflanzen unſerm Blut verwandt,
Und ſie werden angefeindet,
Und wir thun ſo unbekannt.
Unſer Kopf lenkt ſich zum Denken
Und die Blume nach dem Licht,
Und wenn Nacht und Thau einbricht
Sieht man ſich die Blätter ſenken.
Wie der Menſch zum Schlaf’ einnickt,
Schlummert ſie in ſich gebückt.
Schmetterlinge fahren nieder,
Summen hier und ſummen dort,
Summen ihre träge Lieder,
Kommen her und ſchwirren fort,
Und wenn Morgenroth den Himmel ſäumt,
Wacht die Blum’ und ſagt, ſie hat geträumt,
Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen
Alle Blätter ihres Kopfes hingen.
O was wuͤrden die Menſchen in der Nacht
erblicken, wenn ſie ploͤtzlich in ihren Traͤumen
aufwachen koͤnnten. Der Traum ſteht vor ih-
nen und weiß wenn der Menſch nicht mehr
ſchlaͤft, der gewoͤhnliche Betrug giebt auf den
erſten Wink Acht und rennt wieder an ſeine
Stelle. — Aber ich war einmal krank und ſah
alles mit Augen, und griff es mit dieſen Haͤn-
den, mit denen ich jetzt ſchreibe, ich weiß ſelbſt
nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or-
dentlich ſtand und ich lachte uͤber die andern
Menſchen.
Auch die Voͤgel und die Thiere, die Berge
und die Felſen ſind anders, als die Menſchen
ſich einbilden wollen es zu wiſſen. Es iſt nur
zu weitlaͤuftig, ſonſt koͤnnt’ ich hier viel davon
ſchreiben und es wuͤrde doch weder Dir noch
einem andern Menſchen nuͤtzen, denn wer’s
nicht ſchon vorher weiß, kann mich doch immer
nicht verſtehn. So geht es mit allem Guten.
Jeder Menſch ſpielt ſein eigenes Inſtrument
und hat einen andern Takt und ein anderes
Lied abzuſpielen.
Da hab’ ich hier in einem Felſen einen
Menſchen gefunden, der alles ſo ſehn kann, wie
ich. Daß ſich die Klugen doch ſo gern aus
der Welt zuruͤckziehn! Aber in der Einſamkeit
denkt und fuͤhlt die Seele anders, ſie wird
nicht durch das unordentliche Gezwitſcher und
Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur
iſt alles mit der Seele verwandt und auf einen
Ton geſtimmt, in jedes Lied ſtimmt ſie frey-
willig ein und iſt das Echo und eben ſo oft
der Vorſaͤnger von allem was ich denke: ein
kleiner Vogel kann mir vielen Verſtand in mei-
nen Kopf hereinlocken. Der Menſch iſt taub
und kann mich nicht reden hoͤren; aber wozu
brauchen Menſchen die Sprache? Sie iſt unnuͤtz
und eine ſeltſame Erfindung. Sie iſt erfunden,
um zu luͤgen, nicht um die Wahrheit zu reden,
denn ſonſt waͤre ſie beſſer und verſtaͤndlicher;
ein boshafter Luͤgner weiß alles damit zu ma-
chen, dem Verſtaͤndigen faͤllt ſie zur Laſt.
Wir leben wie Bruͤder bey einander und er
hat gar kluge Einfaͤlle. Uns beiden kommt die
Welt anders vor, wie den uͤbrigen Leuten, und
doch iſt die Kunſt nur ſo klein und einfach.
Ich halte mir auch Tauben, die ganz zahm
geworden ſind und doch ihren natuͤrlichen Muth
und Verſtand behalten haben. Ich habe ſehr viel
von ihnen gelernt, wenn ſie manchmal ſo unter
ſich mit dem Kopfe nickten und girrten und ſich
ihre Zeichen machten, mit denen ſie manchmal
uͤber den Menſchen ſpotten. Dieſe und die
Laͤmmer, die mit mir eſſen, ſind die unſchul-
digſten und beſten Geſchoͤpfe von der Welt, und
wenn ſie Dich kennten, wuͤrden ſie Dich gruͤßen
laſſen. Es iſt nur um die Reiſe zu thun, ſo
koͤnnteſt du hier mit mir leben.
Von den großen Dingen, die ich weiß, kann
und darf ich Dir nichts ſchreiben. Es iſt bloß
darum ein Geheimniß, weil Du es nicht ver
ſtehn wuͤrdeſt.
Den Nahmen Gottes denen nennen,
Die ihn nicht mit dem Herzen kennen,
Iſt Miſſethat.
Es hängen um mich Geiſterchöre,
Und ſprechen laut, daß ich es höre; —
Sie halten Rath.
»Laß Menſch jetzt deine Zunge ſchweigen,
»Bis ſich die runden Jahre neigen,«
So tönt’s herab;
»Was willſt du vor der Zeit enthüllen?
»Den Durſt nach dieſer Weisheit ſtillen
»Ja Tod und Grab!«
Und ſo will ich denn lieber enden, um mir
kein Mißfallen zuzuziehn.
Lebe wohl, William, ſo ſchreibe ich hier in
meinen Bergen. — Die Stauden winken mir,
zu ihnen zu kommen, und ein Wort mit ihnen
zu ſprechen, denn ſie halten alle viel von mir;
meinen Roſen muß ich noch Waſſer zu trinken
geben, und dann muß ich die kranke Pappel
beſuchen, die der Wind eingeknickt hat. Es
iſt ganz mein freyer Wille, aber ich habe es
mir ſelbſt zum Geſetze gemacht; ich helfe ihnen
in vielen Sachen, und die Blumen und Baͤu-
me hier wuͤrden ſich ſehr graͤmen, wenn ich
einmal fortzoͤge.
Die Laͤmmer wundern ſich, weil ich ſchrei-
be, was ſie von mir noch nicht geſehn haben.
Die unſchuldigen Thiere koͤnnen nur auf ihre
Art ſprechen, und es iſt auch eben ſo gut.
Lebe recht wohl, ich will das Blatt einem
fremden Manne geben.
33.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Wohin ſoll ich mich mit meinen Gedanken
und Empfindungen wenden? Ueberall bin ich
mir fremd, und uͤberall find’ ich mit meinen
Ideen einen wundervollen Zuſammenhang. Der
hoͤchſte Klang des Schmerzes und der Quaal
fließt wieder in den ſanften Wohllaut der Freu-
de ein, das Veraͤchtliche ſteht erhaben und die
Erhabenheit faͤllt zu Boden. Wie im Abgrunde
der See Geſchmeide und Koſtbarkeiten unter
Schlamm und neben verweſeten Gerippen glaͤn-
zen, ſo ſeltſam liegt alles in meinem Innern
durcheinander.
Es funkelt Gold in wilden Trümmern,
Tief im verborgenen Geſtein,
Ich ſehe ferne Schätze ſchimmern,
Mich lockt der räthſelhafte Schein.
Und hinter mir fällt es zuſammen,
Ha! um mich her ein enges Grab,
Die Welt, der Tag entflieht, die Flammen
Der Kerzen ſinken, ſterben ab.
Die
Die Hand klopft zitternd an die Wände,
Der unterirrd’ſche Wandrer ſchaut
Nach Licht und Rettung, ohne Ende
Das Dunkel! — Ihn erquickt kein Laut.
Er hämmert in den Felsgemächern
Mit einer dumpfen Lebensgier,
Gefangen von den dunkeln Rächern,
Zur Strafe ſeiner Wißbegier.
Da äugelt aus der fernſten Ritze
Ein blaues Lichtchen nach mir hin,
Ich krieche zu der ſchroffen Spitze,
Und taſte mit entzücktem Sinn,
Und ach, es iſt das Goldgeſtein,
Das mich zuerſt hieher verſucht,
Nun labt mich nicht der Flimmerſchein,
Der boshaft mich zuerſt verſucht.
Es ſehnt der Geiſt ſich nach dem Bande,
Das ihn mit zarter Feſſel hielt,
Als er ſich wie im Vaterlande
In ſeiner ſtillen Bruſt gefühlt.
Doch fern ach! liegt das heimiſche Geſtade,
Am wilden Taurien verirrt,
Kniet er umſonſt und flehet Gnade,
Das blut’ge Opfermeſſer klirrt!
Doch Blumen blühn in dieſen Schrecken,
Die hell mit rothem Purpur glühn,
Die Todesſchatten, die ihn decken,
Sie laſſen prächt’ge Funken ſprühn.
Lovell. 2r. Bd. Z
Liegt alles nur im Sinnenglücke?
Vereint ſich jeder Ton zum Chor?
Für tauſend Ströme eine Brücke?
Gehn alle Pilger durch daſſelbe Thor?
So öffnet mir die dunkeln Reiche,
Daß ich ein Wandrer drinnen geh,
Daß ich nur einſt das Ziel erreiche
Und jedes Wunder ſchnell verſteh.
Eröffnet mir die finſtern Pforten,
An denen ſchwarze Wächter ſtehn,
Laßt alle gräßlichen Kohorten,
Mit mir durch jene Pfade gehn!
Je wildre Schrecken mich ergreifen,
Je höher mich der Wahnſinn hebt,
So lauter alle Stürme pfeifen,
Je ängſtlicher mein Buſen bebt,
So inniger heiß ich willkommen
Was gräßlich ſich mir näher ſchleift,
Dem irrd’ſchen Leben abgenommen,
Zum Geiſterumgang nun gereift.
Alles Wilde, was ich je gedacht,
Alle Schrecken, die ich je empfunden,
Rückerinn’rung aus der trübſten Nacht,
Grauen meiner ſchwärzſten Stunden,
O vereinigt euch mit meinen Freuden,
Stürmet alle um mich her,
Schlinget euch an alle meine Leiden,
Fluthet um mich gleich dem wilden Meer,
Daß das Morgenroth ſich in dem Abgrund ſpiegle,
Graun und Schrecken meine Heymath ſey,
Daß der Wahnſinn immer raſcher mich beflügle,
Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle,
Nur Erynnen! giebt mich von den Zweifeln frey!
O Roſa, hier haͤtten Sie nun von neuem
Gelegenheit, uͤber mich zu ſpotten, aber ich fin-
de immer mehr, daß man manches nur in Ver-
ſen und in einer Art von Wahuſinn ſagen koͤn-
ne, die proſaiſche Sprache widerſpricht dieſem
Unſinn in jeder Zeile.
Leſen Sie doch aufmerkſam Balders wun-
derbaren Brief, der wie der Geſang eines frem-
den, verirrten Vogels zu uns heruͤbertoͤnt.
Ich moͤchte Ihnen gern noch ſo vieles ſchrei-
ben und kann keine Worte und keine Begriffe
finden, es iſt alles in mir wuͤſt und verlaſſen,
wie eine Gegend nach einem Erdbeben. —
Ich kann in mir ſelber keine Ruhe finden.
Geben Sie mir nur Eine Ueberzeugung und ich
bin zufrieden. Dieſer Zweifel iſt der Henker,
der unſre Seele auf die Folter legt. Andrea
mag mir dagegen ſagen, was er will: es iſt die
Arbeit der Danaiden in der Unterwelt, immer
wieder von neuem und ſtets von neuem dieſelben
Gedanken ohne Erfolg durch unſern Kopf rin-
nen zu laſſen.
Z 2
34.
Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Kenſen.
Lieber Bruder.
Ich habe Dich alſo doch nun wirklich endlich
geſehen, und ich bin nun wieder umgekehrt, und
ſitze und denke hier in Kenſea wieder an Dich, wo
ich nach dem Willen meines lieben verſtorbenen
Herrn als ein Verwalter bleiben ſoll, bis mein
Herr William aus Italien zuruͤckkoͤmmt. Wie
iſt die Zeit und das menſchliche Leben doch ſo
gar fluͤchtig! Es iſt nicht anders, als wenn
wir nur ſolche Bilder waͤren, die auf den
Schießplaͤtzen den Schuͤtzen oft vorbeygezogen
werden, man ſieht ſie kaum, ſo ſind ſie auch
ſchon wieder weg.
Hier leb’ ich nun recht ruhig und von der
ganzen Welt abgeſondert. Ich denke oft an den
guten alten Lord Lovell, der nun auch geſtor-
ben iſt, und an alles, was ich ſo Zeit meines
Lebens erfahren habe. Ich bin innerlich recht
zur Ruhe gekommen und es iſt mir, als wenn
ich mich immerfort im Stillen graͤmte. Das
iſt nun hier daſſelbe Haus, in das ich als ein
junger Burſche ſo munter und flink eintrat und
mir alles in der Welt ſo herrlich und wie an-
geputzt vorkam; ich dachte immer: Ey, Willy,
du biſt jung, wie vieles Gluͤck kann Dir noch
begegnen, nur friſch und munter! Ich ſchrieb
Dir damals auch einen langen und recht uͤber-
muͤthigen Brief, denn ich bildete mir auf die
blanken Treſſen auf meinem Rocke nicht wenig
ein; es war mir mein Blut ſo warm, daß ich
ordentlich glaubte, die ganze Welt ſey nur mir
zu Gefallen erſchaffen. — Und nun, lieber Bru-
der, wenn ich daran denke, wie manche ſchwe-
re Krankheit ich ſeitdem uͤberſtanden habe, wie
oft es Dir ſo recht ſchlecht gegangen iſt, daß
ich herzlich weinen mußte, was alles der gute
Lord Lovell gelitten hat, wie wir uns beyde
nur im Grunde wenig geſehn hatten, wie ich
mit der Herrſchaft bald hier und bald da ge-
wohnt habe, und wie ich nun als ein alter ab-
gelebter Mann wieder uͤber dieſelbe Schwelle
ſchritt, uͤber die ich als ein junger Burſche
ſprang, — o lieber Bruder, ſo kann ich Dir
gar nicht ſagen, wie ſeltſam mir dabey zu Mu-
the wird. Ich moͤchte ſagen, ich haͤtte mich
damals bloß in einen jungen Menſchen verklei-
det, oder mich nur jung angeſtellt, ſo unnatuͤr-
lich koͤmmt es mir von damals vor. Herr Mor-
timer und ſeine Frau iſt einmal hier durchge-
fahren und er hat mich bey der Gelegenheit be-
ſucht. Er iſt munter und geſund und dabey
recht freundlich gegen mich.
Ich gehe fleißig in die Kirche und halte
mich jetzt mit meinen Gedanken mehr zu Gott,
als jemals. Alles uͤbrige iſt doch nur eitel und
vergaͤnglich.
Der Garten hier iſt gegen ehemals recht
verwildert und ich kann ihn mit dem Gaͤrtner
unmoͤglich wieder recht in Ordnung bringen;
das liebe Unkraut hat ſich allenthalben einge-
ſchlichen und tiefe Wurzel gefaßt; wir thun bei-
de was wir koͤnnen, aber es will immer nichts
fruchten.
Bleib ja geſund, lieber Bruder, daß wir
uns vor unſerm Tode noch einmal ſehn koͤnnen,
endlich muß es doch an’s Sterben gehn, da
hilft kein Widerſtreben und dann wollen wir
ſanft und geruhig in dem Herrn entſchlafen.
35.
Thomas an ſeinen Bruder Willy.
Bonſtreet.
Deine Briefe, lieber Willy, ſind mir jetzt
immer gar zu fromm. Es iſt freylich wohl
wahr, daß man ſich in Deinem Alter von dem
Irrdiſchen etwas abziehen kann, und man thut
ganz recht und wohl daran, aber alles Ding,
Willy, hat auch ſein Maaß und Ziel. Wir
ſind in der Welt, um zu arbeiten, und etwas
zu thun und dazu moͤchte man alle Kourage
verliehren, wenn man immer nur an die Ver-
gaͤnglichkeit der Dinge denken wollte, darum
bilde ich mir manchmal ein, daß manches, was
ich thue und verfertige, ewig dauern wuͤrde,
und mir iſt ganz wohl dabey zu Muthe.
Was du mir von Deinem Garten ſchreibſt,
will ich gar gern glauben, weil Du und der
Gaͤrtner vielleicht nicht mit dem Dinge umzu-
gehen wiſſen. Auch gehoͤren zu ſolchem Werke
viele Arbeiter und Gartenknechte, wie du wohl
auch hier an meinem Garten in Bonſtreet wirſt
geſehn haben; die Natur haͤngt einmal nach
dem Verwildern hin, und darum muß man Tag
und Nacht dagegen arbeiten.
Der alte Lord Burton iſt recht gefaͤhrlich
krank und ich glaube, daß er ſchon zum Grabe
reif iſt. Die Unterthanen ſind alle vergnuͤgt,
und ſeine Kinder ſind die einzigen, die ich wei-
nen ſehe. Es iſt ihre Pflicht, als Kinder,
ſonſt hat er von den andern nicht leicht eine
Thraͤne verdient; er bekehrt ſich vielleicht noch
in ſeinen letzten Stunden, welches ich von Her-
zen wuͤnſchen will. Auf den Sohn hoffen wir
aber alle recht mit Sehnſucht, und ich denke,
es ſoll denn auch mit meinem Garten hier ein
ander Anſehn gewinnen. Ich habe mit allen
meinen Herrſchaften bisher immer Ungluͤck ge-
habt; die alte Dame in Waterhall ließ den
Garten faſt ganz verwildern, und der alte Lord
Burton hat gar keinen recht guten Geſchmack,
und man darf ihm nichts einmal dagegen ſagen,
ſonſt wird er noch obendrein boͤſe. So alt ich
bin, ſo hoͤr’ ich es doch gerne, wenn fremde
Herrſchaften ſo den Garten und den Fleiß des
Gaͤrtners loben, und der Sohn, der junge Herr,
hat auch ſchon manchmal mit mir daruͤber ge-
ſprochen, auſſer ſeit ſein Vater ſo krank iſt, wo
er ordentlich melancholiſch geworden iſt. Man
ſoll den hieſigen Garten gewiß weit und breit
loben, die Leute ſollen weit hieher reiſen, um
ihn zu ſehn. Siehſt Du, Willy, noch in mei-
nen alten Tagen denke ich Ehre einzulegen, ich
thue nicht ſo verzagt wie du. Lebe wohl und
bleibe nur geſund.
36.
Andrea Coſimo an William Lovell.
Rom.
Iſt denn Dein umherſchweifendes, unruhiges
Gemuͤth nun endlich zur Ruhe gebracht? Deine
wilden Zweifel ſind aufgeloͤſt und Du wirſt Dich
und die Welt wieder unbefangener betrachten
koͤnnen. Ich habe alles fuͤr Dich gethan, was
ich thun konnte, und der ungeſtuͤmſte Zweifler
haͤtte dadurch befriedigt werden muͤſſen.
37.
William Lovell an Andrea Coſimo.
Ich danke Dir, daß Du mich endlich aus den
verworrenen Labyrinthen wieder zum Lichte des
Tages gefuͤhrt haſt, denn meine Seele erlag
allen den ungeduldigen Zweifeln. Aber jetzt ord-
net ſich alles Unſtaͤte und Umherſchweifende in
meinem Gemuͤthe wie an Faͤden die alle in Ei-
nem Mittelpunkte zuſammentreffen. Du haſt
mich von der Wirklichkeit einer wunderbaren
Welt uͤberzeugt und alles hat ſich in mir zu-
frieden gegeben, alle Ideen und Empfindungen
nehmen wieder ihre natuͤrliche Stelle ein und
die Harmonie mit mir ſelbſt iſt hergeſtellt.
38.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Endlich, Freund, bin ich beruhigt, ich habe
die hoͤchſten Spannungen der Phantaſie uͤber-
ſtanden und ein gewoͤhnlicheres Leben nimmt
ſeinen Anfang. Andrea hat mich endlich von
ſeiner Lehre uͤberzeugt und ich fuͤhle mich inner-
lich beruhigt, ich bin an eine ſtille ruhige In-
ſel nach einem wilden Sturme verſchlagen. Fol-
gen Sie meinem Beyſpiele, Roſa, und werfen
Sie ſich einer Ueberzeugung in die Arme, um
beruhigt zu werden. Ueberzeugungen muß der
Menſch haben, um ſein Daſeyn ertragen zu
koͤnnen, um nicht vor ſich ſelbſt und dem Ab-
grunde den er in ſeinem Innern entdeckt zuruͤck-
zuſchaudern. Ich mag dieſe Nothwendigkeit
keine Schwaͤche nennen, denn durch Glaube
und Ueberzeugung fuͤhlt ſich der Menſch ſtark;
ſeine Zweifel waren nur ziehende Wogen die
ihn an das feſte Geſtade trugen.
39.
Mortimer an Eduard Burton.
Roger—place.
Ich habe ſeit lange, theurer Freund, keine
Nachrichten von Ihnen erhalten, und ich gera-
the faſt in die Beſorgniß, daß Sie ebenfalls
krank ſind. Mit Ihrem Vater hat es ſich wahr-
ſcheinlich nicht gebeſſert, denn ſonſt wuͤrden Sie
mir wohl einige Nachricht davon gegeben ha-
ben.
Ich fuͤhle mich in der Einfoͤrmigkeit des
Landlebens noch immer ſehr gluͤcklich; es ſchei-
nen mir lauter Mißverſtaͤndniſſe zu ſeyn, wenn
die Menſchen ſo aͤmſig nach ihrem Gluͤcke ſu-
chen, ſelten denkt man ſich bey dem Worte
Gluͤck etwas deutliches, und die Wandrer gehn
nun oft auf wunderbaren Wegen um das Ziel
herum. Amalia iſt eben ſo froh und geſund,
als ich bin, und ich moͤchte ſagen, daß ſie mit
jedem Tage heiterer wird.
Ich habe mich jetzt daran gewoͤhnt, eine
eigeueeigene Haushaltung zu fuͤhren, und ich und
meine Frau haben uns noch nie geſtritten, ein
paar recht freundſchaftliche Zaͤnkereyen abgerech-
net, die uͤber ein haͤsliches Weib entſtanden,
die Amalia aus zu großer Gutherzigkeit in ihre
Dienſte genommen hat. Dies Weſen hat ganz
das Anſehen einer verzauberten Fee, wenigſtens
habe ich noch in keinem Maͤhrchen eine Be-
ſchreibung von einer haͤßlichern gefunden, ihre
Phyſiognomie iſt mir im hoͤchſten Grade zuwi-
der, es iſt nicht meine Schuld, wenn ich ſie
zugleich fuͤr boshaft halten muß.
Leben Sie recht wohl und antworten Sie
mir bald.
40.
Eduard Burton an Mortimer.
Bonſtreet.
Ich konnte Ihnen bisher nicht ſchreiben, theu-
rer Freund, weil die Krankheit meines Vaters,
die mit jedem Tage zunahm, mich zu ſehr be-
ſchaͤſtigtebe-
ſchaͤftigte und zerſtreute. Sie ahnden es viel-
leicht aus dieſem Anfange, daß er nicht mehr
iſt, und dieſe Nachricht war es, die der Inn-
halt meines Briefes werden ſollte. Ja Morti-
mer, er hat endlich alle Schmerzen die ihn fol-
terten uͤberſtanden, und auch ich bin nun ruhi-
ger. Seine Seele ſchied ſchwer von ihrem Koͤr-
per, der ſie doch nicht mehr zuruͤckhalten konn-
te; ich kann es nicht unterlaſſen, ihn ſtets von
neuem zu beweinen, wenn es mir wieder lebhaft
einfaͤllt, daß er nicht mehr iſt, ſo viel ich auch
in manchen Stunden von ihm habe leiden muͤſ-
ſen. Ach, ich habe alles, alles vergeſſen, denn
er war in ſeinen letzten Stunden ſo freundlich
und zaͤrtlich gegen mich; er haͤtte ſich mit der
ganzen Welt ſo gern verſoͤhnt, und ſprach oft
mit vieler Ruͤhrung von Lovell, ſeinem geſtorbe-
nen Feinde. — Vor ſeinem Tode hat er noch
viele Papiere verbrannt, die er mit naſſen Au-
gen betrachtete.
Leben Sie recht wohl und gluͤcklich, ich wer-
de Sie auf einige Tage beſuchen, um mich zu
zerſtreuen. Morgen iſt das Begraͤbniß.