Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Blumen sind uns nah befreundet,
Pflanzen unserm Blut verwandt,
Und sie werden angefeindet,
Und wir thun so unbekannt.
Unser Kopf lenkt sich zum Denken
Und die Blume nach dem Licht,
Und wenn Nacht und Thau einbricht
Sieht man sich die Blätter senken.
Wie der Mensch zum Schlaf' einnickt,
Schlummert sie in sich gebückt.
Schmetterlinge fahren nieder,
Summen hier und summen dort,
Summen ihre träge Lieder,
Kommen her und schwirren fort,
Und wenn Morgenroth den Himmel säumt,
Wacht die Blum' und sagt, sie hat geträumt,
Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen
Alle Blätter ihres Kopfes hingen.

O was würden die Menschen in der Nacht
erblicken, wenn sie plötzlich in ihren Träumen
aufwachen könnten. Der Traum steht vor ih-
nen und weiß wenn der Mensch nicht mehr
schläft, der gewöhnliche Betrug giebt auf den
ersten Wink Acht und rennt wieder an seine
Stelle. -- Aber ich war einmal krank und sah
alles mit Augen, und griff es mit diesen Hän-
den, mit denen ich jetzt schreibe, ich weiß selbst
nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or-

Blumen ſind uns nah befreundet,
Pflanzen unſerm Blut verwandt,
Und ſie werden angefeindet,
Und wir thun ſo unbekannt.
Unſer Kopf lenkt ſich zum Denken
Und die Blume nach dem Licht,
Und wenn Nacht und Thau einbricht
Sieht man ſich die Blätter ſenken.
Wie der Menſch zum Schlaf’ einnickt,
Schlummert ſie in ſich gebückt.
Schmetterlinge fahren nieder,
Summen hier und ſummen dort,
Summen ihre träge Lieder,
Kommen her und ſchwirren fort,
Und wenn Morgenroth den Himmel ſäumt,
Wacht die Blum’ und ſagt, ſie hat geträumt,
Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen
Alle Blätter ihres Kopfes hingen.

O was wuͤrden die Menſchen in der Nacht
erblicken, wenn ſie ploͤtzlich in ihren Traͤumen
aufwachen koͤnnten. Der Traum ſteht vor ih-
nen und weiß wenn der Menſch nicht mehr
ſchlaͤft, der gewoͤhnliche Betrug giebt auf den
erſten Wink Acht und rennt wieder an ſeine
Stelle. — Aber ich war einmal krank und ſah
alles mit Augen, und griff es mit dieſen Haͤn-
den, mit denen ich jetzt ſchreibe, ich weiß ſelbſt
nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0353" n="347"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Blumen &#x017F;ind uns nah befreundet,</l><lb/>
              <l>Pflanzen un&#x017F;erm Blut verwandt,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ie werden angefeindet,</l><lb/>
              <l>Und wir thun &#x017F;o unbekannt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Un&#x017F;er Kopf lenkt &#x017F;ich zum Denken</l><lb/>
              <l>Und die Blume nach dem Licht,</l><lb/>
              <l>Und wenn Nacht und Thau einbricht</l><lb/>
              <l>Sieht man &#x017F;ich die Blätter &#x017F;enken.</l><lb/>
              <l>Wie der Men&#x017F;ch zum Schlaf&#x2019; einnickt,</l><lb/>
              <l>Schlummert &#x017F;ie in &#x017F;ich gebückt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Schmetterlinge fahren nieder,</l><lb/>
              <l>Summen hier und &#x017F;ummen dort,</l><lb/>
              <l>Summen ihre träge Lieder,</l><lb/>
              <l>Kommen her und &#x017F;chwirren fort,</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Und wenn Morgenroth den Himmel &#x017F;äumt,</l><lb/>
              <l>Wacht die Blum&#x2019; und &#x017F;agt, &#x017F;ie hat geträumt,</l><lb/>
              <l>Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen</l><lb/>
              <l>Alle Blätter ihres Kopfes hingen.</l>
            </lg>
          </lg><lb/>
          <p>O was wu&#x0364;rden die Men&#x017F;chen in der Nacht<lb/>
erblicken, wenn &#x017F;ie plo&#x0364;tzlich in ihren Tra&#x0364;umen<lb/>
aufwachen ko&#x0364;nnten. Der Traum &#x017F;teht vor ih-<lb/>
nen und weiß wenn der Men&#x017F;ch nicht mehr<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;ft, der gewo&#x0364;hnliche Betrug giebt auf den<lb/>
er&#x017F;ten Wink Acht und rennt wieder an &#x017F;eine<lb/>
Stelle. &#x2014; Aber ich war einmal krank und &#x017F;ah<lb/>
alles mit Augen, und griff es mit die&#x017F;en Ha&#x0364;n-<lb/>
den, mit denen ich jetzt &#x017F;chreibe, ich weiß &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0353] Blumen ſind uns nah befreundet, Pflanzen unſerm Blut verwandt, Und ſie werden angefeindet, Und wir thun ſo unbekannt. Unſer Kopf lenkt ſich zum Denken Und die Blume nach dem Licht, Und wenn Nacht und Thau einbricht Sieht man ſich die Blätter ſenken. Wie der Menſch zum Schlaf’ einnickt, Schlummert ſie in ſich gebückt. Schmetterlinge fahren nieder, Summen hier und ſummen dort, Summen ihre träge Lieder, Kommen her und ſchwirren fort, Und wenn Morgenroth den Himmel ſäumt, Wacht die Blum’ und ſagt, ſie hat geträumt, Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen Alle Blätter ihres Kopfes hingen. O was wuͤrden die Menſchen in der Nacht erblicken, wenn ſie ploͤtzlich in ihren Traͤumen aufwachen koͤnnten. Der Traum ſteht vor ih- nen und weiß wenn der Menſch nicht mehr ſchlaͤft, der gewoͤhnliche Betrug giebt auf den erſten Wink Acht und rennt wieder an ſeine Stelle. — Aber ich war einmal krank und ſah alles mit Augen, und griff es mit dieſen Haͤn- den, mit denen ich jetzt ſchreibe, ich weiß ſelbſt nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/353
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/353>, abgerufen am 22.05.2024.