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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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eines Glanzes, bedeutend und doch räthselhaft;
wie Töne klingt es herüber, durch die der Wind
fährt, die einzeln schallen, und in denen man
doch Zusammenhang wahrnimmt.

Als Kind träumt' ich einst, die ganze Welt
ginge unter, und aus allen den ungeheuren Mas-
sen schmolzen einzelne Töne heraus, die sich
nun durch den leeren Raum spielend bewegten
und um einander gaukelten, und sich verschlan-
gen und bunt durch einander wühlten. Bald
versank der helle Ton in den tiefern, und denn
erklang ein wunderbares Gemisch; bald spaltete
sich ein dumpfer tiefer Klang, wie ein Farben-
strahl in viele helle Streifen, die wie Sonnen-
strahlen hochklingend ausfuhren, und wieder in
den mütterlichen Ton zurückfielen. Ich hörte
das wunderbarste Konzert, das mich in der un-
geheuren Leere mit Schwindel erfüllte, so daß
ich bald nichts mehr hörte, und in einen tiefen
bewußtlosen Schlaf versank.

Ich weiß, daß dies für die meisten Men-
schen Unsinn ist, aber vielleicht ließe sich in die-
ser Ahndung der Wahrheit (denn das sind ge-
wiß immer diese Spiele der Phantasie) ein sehr
tiefer Sinn erforschen, wenn meine Beobach-

eines Glanzes, bedeutend und doch raͤthſelhaft;
wie Toͤne klingt es heruͤber, durch die der Wind
faͤhrt, die einzeln ſchallen, und in denen man
doch Zuſammenhang wahrnimmt.

Als Kind traͤumt’ ich einſt, die ganze Welt
ginge unter, und aus allen den ungeheuren Maſ-
ſen ſchmolzen einzelne Toͤne heraus, die ſich
nun durch den leeren Raum ſpielend bewegten
und um einander gaukelten, und ſich verſchlan-
gen und bunt durch einander wuͤhlten. Bald
verſank der helle Ton in den tiefern, und denn
erklang ein wunderbares Gemiſch; bald ſpaltete
ſich ein dumpfer tiefer Klang, wie ein Farben-
ſtrahl in viele helle Streifen, die wie Sonnen-
ſtrahlen hochklingend ausfuhren, und wieder in
den muͤtterlichen Ton zuruͤckfielen. Ich hoͤrte
das wunderbarſte Konzert, das mich in der un-
geheuren Leere mit Schwindel erfuͤllte, ſo daß
ich bald nichts mehr hoͤrte, und in einen tiefen
bewußtloſen Schlaf verſank.

Ich weiß, daß dies fuͤr die meiſten Men-
ſchen Unſinn iſt, aber vielleicht ließe ſich in die-
ſer Ahndung der Wahrheit (denn das ſind ge-
wiß immer dieſe Spiele der Phantaſie) ein ſehr
tiefer Sinn erforſchen, wenn meine Beobach-

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[269/0275] eines Glanzes, bedeutend und doch raͤthſelhaft; wie Toͤne klingt es heruͤber, durch die der Wind faͤhrt, die einzeln ſchallen, und in denen man doch Zuſammenhang wahrnimmt. Als Kind traͤumt’ ich einſt, die ganze Welt ginge unter, und aus allen den ungeheuren Maſ- ſen ſchmolzen einzelne Toͤne heraus, die ſich nun durch den leeren Raum ſpielend bewegten und um einander gaukelten, und ſich verſchlan- gen und bunt durch einander wuͤhlten. Bald verſank der helle Ton in den tiefern, und denn erklang ein wunderbares Gemiſch; bald ſpaltete ſich ein dumpfer tiefer Klang, wie ein Farben- ſtrahl in viele helle Streifen, die wie Sonnen- ſtrahlen hochklingend ausfuhren, und wieder in den muͤtterlichen Ton zuruͤckfielen. Ich hoͤrte das wunderbarſte Konzert, das mich in der un- geheuren Leere mit Schwindel erfuͤllte, ſo daß ich bald nichts mehr hoͤrte, und in einen tiefen bewußtloſen Schlaf verſank. Ich weiß, daß dies fuͤr die meiſten Men- ſchen Unſinn iſt, aber vielleicht ließe ſich in die- ſer Ahndung der Wahrheit (denn das ſind ge- wiß immer dieſe Spiele der Phantaſie) ein ſehr tiefer Sinn erforſchen, wenn meine Beobach-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/275>, abgerufen am 22.11.2024.