wohnt, und nur allmächtig und unwiderstehlich in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhör- lich etwas Gräuliches und Entsetzliches denken mußte, wo ich statt meinem stillen Gebete Gott mit den gräßlichsten Flüchen lästerte und darüber weinte, und es doch nicht unterlassen konnte, wo es mich unwiderstehlich drängte, meine Ge- spielen zu ermorden, und ich mich oft schlafen legte, blos um es nicht zu thun, -- nun Rosa, damals war ich gewiß unschuldig und unverdor- ben, und doch war diese Entsetzlichkeit in mir einheimisch, -- was war es denn nun, das mich trieb, und mit gräßlicher Hand in mei- nem Herzen wühlte? -- Mein Wille und mei- ne Empfindung sträubten sich dagegen, und doch gewährte mir dieser Zustand wieder innige Wollust. --
O wir sollten überhaupt zu unsern Kinder- jahren in die Schule gehn, und das lernen, was wir so gern verlernen, und es dann mit nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unserer Seele nennen. Es ist, als wenn noch ein flüchtiger Schein einer früheren Existenz in die zarten Kinderjahre hineinspiegelte, wie der Widerschein
wohnt, und nur allmaͤchtig und unwiderſtehlich in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhoͤr- lich etwas Graͤuliches und Entſetzliches denken mußte, wo ich ſtatt meinem ſtillen Gebete Gott mit den graͤßlichſten Fluͤchen laͤſterte und daruͤber weinte, und es doch nicht unterlaſſen konnte, wo es mich unwiderſtehlich draͤngte, meine Ge- ſpielen zu ermorden, und ich mich oft ſchlafen legte, blos um es nicht zu thun, — nun Roſa, damals war ich gewiß unſchuldig und unverdor- ben, und doch war dieſe Entſetzlichkeit in mir einheimiſch, — was war es denn nun, das mich trieb, und mit graͤßlicher Hand in mei- nem Herzen wuͤhlte? — Mein Wille und mei- ne Empfindung ſtraͤubten ſich dagegen, und doch gewaͤhrte mir dieſer Zuſtand wieder innige Wolluſt. —
O wir ſollten uͤberhaupt zu unſern Kinder- jahren in die Schule gehn, und das lernen, was wir ſo gern verlernen, und es dann mit nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unſerer Seele nennen. Es iſt, als wenn noch ein fluͤchtiger Schein einer fruͤheren Exiſtenz in die zarten Kinderjahre hineinſpiegelte, wie der Widerſchein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0274"n="268"/>
wohnt, und nur allmaͤchtig und unwiderſtehlich<lb/>
in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren<lb/>
fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhoͤr-<lb/>
lich etwas Graͤuliches und Entſetzliches denken<lb/>
mußte, wo ich ſtatt meinem ſtillen Gebete Gott<lb/>
mit den graͤßlichſten Fluͤchen laͤſterte und daruͤber<lb/>
weinte, und es doch nicht unterlaſſen konnte,<lb/>
wo es mich unwiderſtehlich draͤngte, meine Ge-<lb/>ſpielen zu ermorden, und ich mich oft ſchlafen<lb/>
legte, blos um es nicht zu thun, — nun Roſa,<lb/>
damals war ich gewiß unſchuldig und unverdor-<lb/>
ben, und doch war dieſe Entſetzlichkeit in mir<lb/>
einheimiſch, —<hirendition="#g">was</hi> war es denn nun, das<lb/>
mich trieb, und mit graͤßlicher Hand in mei-<lb/>
nem Herzen wuͤhlte? — Mein Wille und mei-<lb/>
ne <choice><sic>Empflndung</sic><corr>Empfindung</corr></choice>ſtraͤubten ſich dagegen, und<lb/>
doch gewaͤhrte mir dieſer Zuſtand wieder innige<lb/>
Wolluſt. —</p><lb/><p>O wir ſollten uͤberhaupt zu unſern Kinder-<lb/>
jahren in die Schule gehn, und das lernen,<lb/>
was wir ſo gern verlernen, und es dann mit<lb/>
nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unſerer Seele<lb/>
nennen. Es iſt, als wenn noch ein fluͤchtiger<lb/>
Schein einer fruͤheren Exiſtenz in die zarten<lb/>
Kinderjahre hineinſpiegelte, wie der Widerſchein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[268/0274]
wohnt, und nur allmaͤchtig und unwiderſtehlich
in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren
fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhoͤr-
lich etwas Graͤuliches und Entſetzliches denken
mußte, wo ich ſtatt meinem ſtillen Gebete Gott
mit den graͤßlichſten Fluͤchen laͤſterte und daruͤber
weinte, und es doch nicht unterlaſſen konnte,
wo es mich unwiderſtehlich draͤngte, meine Ge-
ſpielen zu ermorden, und ich mich oft ſchlafen
legte, blos um es nicht zu thun, — nun Roſa,
damals war ich gewiß unſchuldig und unverdor-
ben, und doch war dieſe Entſetzlichkeit in mir
einheimiſch, — was war es denn nun, das
mich trieb, und mit graͤßlicher Hand in mei-
nem Herzen wuͤhlte? — Mein Wille und mei-
ne Empfindung ſtraͤubten ſich dagegen, und
doch gewaͤhrte mir dieſer Zuſtand wieder innige
Wolluſt. —
O wir ſollten uͤberhaupt zu unſern Kinder-
jahren in die Schule gehn, und das lernen,
was wir ſo gern verlernen, und es dann mit
nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unſerer Seele
nennen. Es iſt, als wenn noch ein fluͤchtiger
Schein einer fruͤheren Exiſtenz in die zarten
Kinderjahre hineinſpiegelte, wie der Widerſchein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/274>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.