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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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sich die meisten, die das Wort aussprechen,
nichts denken. Irgend ein Glaube drängt sich
der Seele auf, bey allen Menschen ein und
eben derselbe, nur erscheint er verschieden, weil
ihn die grobe, unbeholfene Sprache entstellt. --
Und wenn es kein Gefühl in uns geben kann,
das uns nicht auf Wirklichkeit hinweist, das
nicht mit dem wirklichen Dinge gleichsam kor-
respondirt, so läßt sich aus dem Hange zum
Wunderbaren gewiß weit mehr folgern, als man
bißher gethan hat. Das Bewußtseyn unsrer
Seele und der tiefe innige Wunsch nach Un-
sterblichkeit, das Gefühl, das uns in ferne un-
bekannte Regionen hinüber drängt, so daß wir
uns eine Nichtexistenz gar nicht denken können,
diese Gefühle sprechen am lautesten und innig-
sten für das Daseyn der Seele, so wie für ihre
Fortdauer. -- Aber wenn ich nun diesen über-
zeugendsten von allen Beweisen auch auf die
Existenz der Gespenster, auf das Daseyn von
ungeheuren Wundern und Schrecklichkeiten an-
wenden wollte? Und lasse ich ihn hier fallen,
so fällt er dort von selbst. -- Und was nennen
wir denn Wunder? Die Menschen bezeichnen
damit blos das Ungewöhnliche, nicht das an

ſich die meiſten, die das Wort ausſprechen,
nichts denken. Irgend ein Glaube draͤngt ſich
der Seele auf, bey allen Menſchen ein und
eben derſelbe, nur erſcheint er verſchieden, weil
ihn die grobe, unbeholfene Sprache entſtellt. —
Und wenn es kein Gefuͤhl in uns geben kann,
das uns nicht auf Wirklichkeit hinweiſt, das
nicht mit dem wirklichen Dinge gleichſam kor-
reſpondirt, ſo laͤßt ſich aus dem Hange zum
Wunderbaren gewiß weit mehr folgern, als man
bißher gethan hat. Das Bewußtſeyn unſrer
Seele und der tiefe innige Wunſch nach Un-
ſterblichkeit, das Gefuͤhl, das uns in ferne un-
bekannte Regionen hinuͤber draͤngt, ſo daß wir
uns eine Nichtexiſtenz gar nicht denken koͤnnen,
dieſe Gefuͤhle ſprechen am lauteſten und innig-
ſten fuͤr das Daſeyn der Seele, ſo wie fuͤr ihre
Fortdauer. — Aber wenn ich nun dieſen uͤber-
zeugendſten von allen Beweiſen auch auf die
Exiſtenz der Geſpenſter, auf das Daſeyn von
ungeheuren Wundern und Schrecklichkeiten an-
wenden wollte? Und laſſe ich ihn hier fallen,
ſo faͤllt er dort von ſelbſt. — Und was nennen
wir denn Wunder? Die Menſchen bezeichnen
damit blos das Ungewoͤhnliche, nicht das an

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[258/0264] ſich die meiſten, die das Wort ausſprechen, nichts denken. Irgend ein Glaube draͤngt ſich der Seele auf, bey allen Menſchen ein und eben derſelbe, nur erſcheint er verſchieden, weil ihn die grobe, unbeholfene Sprache entſtellt. — Und wenn es kein Gefuͤhl in uns geben kann, das uns nicht auf Wirklichkeit hinweiſt, das nicht mit dem wirklichen Dinge gleichſam kor- reſpondirt, ſo laͤßt ſich aus dem Hange zum Wunderbaren gewiß weit mehr folgern, als man bißher gethan hat. Das Bewußtſeyn unſrer Seele und der tiefe innige Wunſch nach Un- ſterblichkeit, das Gefuͤhl, das uns in ferne un- bekannte Regionen hinuͤber draͤngt, ſo daß wir uns eine Nichtexiſtenz gar nicht denken koͤnnen, dieſe Gefuͤhle ſprechen am lauteſten und innig- ſten fuͤr das Daſeyn der Seele, ſo wie fuͤr ihre Fortdauer. — Aber wenn ich nun dieſen uͤber- zeugendſten von allen Beweiſen auch auf die Exiſtenz der Geſpenſter, auf das Daſeyn von ungeheuren Wundern und Schrecklichkeiten an- wenden wollte? Und laſſe ich ihn hier fallen, ſo faͤllt er dort von ſelbſt. — Und was nennen wir denn Wunder? Die Menſchen bezeichnen damit blos das Ungewoͤhnliche, nicht das an

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/264>, abgerufen am 18.05.2024.