lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht mich ernsthafter, als ein lachendes Gesicht, als jene hohe Festtage im menschlichen Leben, wo man recht darauf sinnt, und sich zwingt, alles Gewöhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider veralten ebenfalls, und werden verächtlich in ei- nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen für Tropfen unmerklich und unaufhaltsam fort, und alles ist dann leer und vorüber, in den Wind zerstreut und verflogen, daß der Mensch sich wie berauscht umsieht, und nicht begreifen kann, wo alles ihm unter den Händen fortge- kommen ist, was er innig an sein Herz geheftet glaubte. -- Ein Bauer hat heute hier in mei- nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor meinem Hause vorüber, und ich mußte ihnen aus dem Fenster Glück wünschen, ja die freude- trunkenen Menschen ließen mir nicht eher Ruhe, bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um an dem Getümmel, an den Anstalten, die schon seit Wochen gemacht waren, und nun endlich, endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil zu nehmen. Für die beiden Neuvermählten war dieser Tag nun der wichtigste, seit die Welt steht; sie meynen, daß von diesem Tage ein
Lovell. 2r Bd. P
lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht mich ernſthafter, als ein lachendes Geſicht, als jene hohe Feſttage im menſchlichen Leben, wo man recht darauf ſinnt, und ſich zwingt, alles Gewoͤhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei- nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltſam fort, und alles iſt dann leer und voruͤber, in den Wind zerſtreut und verflogen, daß der Menſch ſich wie berauſcht umſieht, und nicht begreifen kann, wo alles ihm unter den Haͤnden fortge- kommen iſt, was er innig an ſein Herz geheftet glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei- nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor meinem Hauſe voruͤber, und ich mußte ihnen aus dem Fenſter Gluͤck wuͤnſchen, ja die freude- trunkenen Menſchen ließen mir nicht eher Ruhe, bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um an dem Getuͤmmel, an den Anſtalten, die ſchon ſeit Wochen gemacht waren, und nun endlich, endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war dieſer Tag nun der wichtigſte, ſeit die Welt ſteht; ſie meynen, daß von dieſem Tage ein
Lovell. 2r Bd. P
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0231"n="225"/>
lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht<lb/>
mich ernſthafter, als ein lachendes Geſicht, als<lb/>
jene hohe Feſttage im menſchlichen Leben, wo<lb/>
man recht darauf ſinnt, und ſich zwingt, alles<lb/>
Gewoͤhnliche abzulegen; aber die <choice><sic>alten</sic><corr>neuen</corr></choice> Kleider<lb/>
veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei-<lb/>
nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen<lb/>
fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltſam fort,<lb/>
und alles iſt dann leer und voruͤber, in den<lb/>
Wind zerſtreut und verflogen, daß der Menſch<lb/>ſich wie berauſcht umſieht, und nicht begreifen<lb/>
kann, wo alles ihm unter den <choice><sic>Haͤuden</sic><corr>Haͤnden</corr></choice> fortge-<lb/>
kommen iſt, was er innig an ſein Herz geheftet<lb/>
glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei-<lb/>
nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor<lb/>
meinem Hauſe voruͤber, und ich mußte ihnen<lb/>
aus dem Fenſter Gluͤck wuͤnſchen, ja die freude-<lb/>
trunkenen Menſchen ließen mir nicht eher Ruhe,<lb/>
bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um<lb/>
an dem Getuͤmmel, an den Anſtalten, die ſchon<lb/>ſeit Wochen gemacht waren, und nun endlich,<lb/>
endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil<lb/>
zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war<lb/>
dieſer Tag nun der wichtigſte, ſeit die Welt<lb/>ſteht; ſie meynen, daß von dieſem Tage ein<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Lovell. 2r Bd. P</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[225/0231]
lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht
mich ernſthafter, als ein lachendes Geſicht, als
jene hohe Feſttage im menſchlichen Leben, wo
man recht darauf ſinnt, und ſich zwingt, alles
Gewoͤhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider
veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei-
nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen
fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltſam fort,
und alles iſt dann leer und voruͤber, in den
Wind zerſtreut und verflogen, daß der Menſch
ſich wie berauſcht umſieht, und nicht begreifen
kann, wo alles ihm unter den Haͤnden fortge-
kommen iſt, was er innig an ſein Herz geheftet
glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei-
nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor
meinem Hauſe voruͤber, und ich mußte ihnen
aus dem Fenſter Gluͤck wuͤnſchen, ja die freude-
trunkenen Menſchen ließen mir nicht eher Ruhe,
bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um
an dem Getuͤmmel, an den Anſtalten, die ſchon
ſeit Wochen gemacht waren, und nun endlich,
endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil
zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war
dieſer Tag nun der wichtigſte, ſeit die Welt
ſteht; ſie meynen, daß von dieſem Tage ein
Lovell. 2r Bd. P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/231>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.