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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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finden soll, seh ich deutlich vor mir. Schwarze,
im Winde flatternde Todtengewänder mit tiefen
steifen Falten, Gräber und Todtengerippe stehn
vor meinen Augen, ohne daß ich mich, wie
sonst, davor entsetze: ist nicht alles um uns her
Tand und Spiel, womit wir uns so ernsthaft
beschäfftigen? Wie wir die Trümmern alter
Palläste besuchen und ausmessen, so sollten wir
mit Künstleraugen das Knochengebäude des Men-
schen betrachten, und das erhabene Kunstwerk
bewundern, von dem uns dort in nackter Ent-
blößung gleichsam die Latten und Grundlinien
hingelegt sind, wie die Contoure einer Zeich-
nung neben dem Menschen, dem vollendeten Ge-
mählde. Wie ein veraltetes Kleid legen wir
den Körper ab, Blumen, Gräser und Insekten
nähren sich von unserm Stoff, so wie wir von
der Pflanzennatur unser Daseyn erbetteln, aber
der Geist schwingt sich aufwärts, und sieht mit
Ruhe auf die Verwesung seines Körpers hinab.



O könnt' ich den raschen Jüngling, könnt'
ich Dich lieber Sohn nur einen Blick so in die
Welt und ihren durch einander gezogenen ver-

finden ſoll, ſeh ich deutlich vor mir. Schwarze,
im Winde flatternde Todtengewaͤnder mit tiefen
ſteifen Falten, Graͤber und Todtengerippe ſtehn
vor meinen Augen, ohne daß ich mich, wie
ſonſt, davor entſetze: iſt nicht alles um uns her
Tand und Spiel, womit wir uns ſo ernſthaft
beſchaͤfftigen? Wie wir die Truͤmmern alter
Pallaͤſte beſuchen und ausmeſſen, ſo ſollten wir
mit Kuͤnſtleraugen das Knochengebaͤude des Men-
ſchen betrachten, und das erhabene Kunſtwerk
bewundern, von dem uns dort in nackter Ent-
bloͤßung gleichſam die Latten und Grundlinien
hingelegt ſind, wie die Contoure einer Zeich-
nung neben dem Menſchen, dem vollendeten Ge-
maͤhlde. Wie ein veraltetes Kleid legen wir
den Koͤrper ab, Blumen, Graͤſer und Inſekten
naͤhren ſich von unſerm Stoff, ſo wie wir von
der Pflanzennatur unſer Daſeyn erbetteln, aber
der Geiſt ſchwingt ſich aufwaͤrts, und ſieht mit
Ruhe auf die Verweſung ſeines Koͤrpers hinab.



O koͤnnt’ ich den raſchen Juͤngling, koͤnnt’
ich Dich lieber Sohn nur einen Blick ſo in die
Welt und ihren durch einander gezogenen ver-

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[223/0229] finden ſoll, ſeh ich deutlich vor mir. Schwarze, im Winde flatternde Todtengewaͤnder mit tiefen ſteifen Falten, Graͤber und Todtengerippe ſtehn vor meinen Augen, ohne daß ich mich, wie ſonſt, davor entſetze: iſt nicht alles um uns her Tand und Spiel, womit wir uns ſo ernſthaft beſchaͤfftigen? Wie wir die Truͤmmern alter Pallaͤſte beſuchen und ausmeſſen, ſo ſollten wir mit Kuͤnſtleraugen das Knochengebaͤude des Men- ſchen betrachten, und das erhabene Kunſtwerk bewundern, von dem uns dort in nackter Ent- bloͤßung gleichſam die Latten und Grundlinien hingelegt ſind, wie die Contoure einer Zeich- nung neben dem Menſchen, dem vollendeten Ge- maͤhlde. Wie ein veraltetes Kleid legen wir den Koͤrper ab, Blumen, Graͤſer und Inſekten naͤhren ſich von unſerm Stoff, ſo wie wir von der Pflanzennatur unſer Daſeyn erbetteln, aber der Geiſt ſchwingt ſich aufwaͤrts, und ſieht mit Ruhe auf die Verweſung ſeines Koͤrpers hinab. O koͤnnt’ ich den raſchen Juͤngling, koͤnnt’ ich Dich lieber Sohn nur einen Blick ſo in die Welt und ihren durch einander gezogenen ver-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/229>, abgerufen am 24.11.2024.