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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Sarg gegeben hatte, mit frölichen Gebärden über-
lieferte, hernach zurücke gieng, und Sophien an mei-
ner Seiten stehen ließ. Hierüber erwachte ich zum
andern mahle, und weil die Morgen-Röthe bereits
durch mein von durchsichtigen Fisch-Häuten ge-
machtes Fenster schimmerte, stund ich, ohne den Alt-
vater zu erwecken, sachte auf, spatzierete in dessen
grossen Lust-Garten, und setzte mich auf eine zwi-
schen den Bäumen gemachte Rasen-Banck, verrich-
tete mein Morgen-Gebeth, sung etliche geistliche Lie-
der, zohe nach diesem meine Schreib-Tafel, die mir
nebst andern Kleinigkeiten von meinen Verräthern
annoch in Kleidern gelassen worden, hervor, und
schrieb folgendes Lied hinein.

1.
UNverhoffte Liebes-Netze
Haben meinen Geist bestrickt,
Das, woran ich mich ergötze,
Hat mein Auge kaum erblickt;
Kaum, ja kaum ein wenig Stunden,
Da der güldnen Freyheit Pracht
Ferner keinen Platz gefunden,
Darum nimmt sie gute Nacht.
2.
Holder Himmel! darff ich fragen:
Wilst du mich im Ernst erfreun?
Soll, nach vielen schweren Plagen,
Hier mein ruhigs Eden seyn?
O! so macht dein Wunder-Fügen
Und die süsse Sclaverey,
Mich von allen Mißvergnügen,
Sorgen, Noth und Kummer frey.
3. Nun
E e 4

Sarg gegeben hatte, mit froͤlichen Gebaͤrden uͤber-
lieferte, hernach zuruͤcke gieng, und Sophien an mei-
ner Seiten ſtehen ließ. Hieruͤber erwachte ich zum
andern mahle, und weil die Morgen-Roͤthe bereits
durch mein von durchſichtigen Fiſch-Haͤuten ge-
machtes Fenſter ſchimmerte, ſtund ich, ohne den Alt-
vater zu erwecken, ſachte auf, ſpatzierete in deſſen
groſſen Luſt-Garten, und ſetzte mich auf eine zwi-
ſchen den Baͤumen gemachte Raſen-Banck, verrich-
tete mein Morgen-Gebeth, ſung etliche geiſtliche Lie-
der, zohe nach dieſem meine Schreib-Tafel, die mir
nebſt andern Kleinigkeiten von meinen Verraͤthern
annoch in Kleidern gelaſſen worden, hervor, und
ſchrieb folgendes Lied hinein.

1.
UNverhoffte Liebes-Netze
Haben meinen Geiſt beſtrickt,
Das, woran ich mich ergoͤtze,
Hat mein Auge kaum erblickt;
Kaum, ja kaum ein wenig Stunden,
Da der guͤldnen Freyheit Pracht
Ferner keinen Platz gefunden,
Darum nimmt ſie gute Nacht.
2.
Holder Himmel! darff ich fragen:
Wilſt du mich im Ernſt erfreun?
Soll, nach vielen ſchweren Plagen,
Hier mein ruhigs Eden ſeyn?
O! ſo macht dein Wunder-Fuͤgen
Und die ſuͤſſe Sclaverey,
Mich von allen Mißvergnuͤgen,
Sorgen, Noth und Kummer frey.
3. Nun
E e 4
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[439/0453] Sarg gegeben hatte, mit froͤlichen Gebaͤrden uͤber- lieferte, hernach zuruͤcke gieng, und Sophien an mei- ner Seiten ſtehen ließ. Hieruͤber erwachte ich zum andern mahle, und weil die Morgen-Roͤthe bereits durch mein von durchſichtigen Fiſch-Haͤuten ge- machtes Fenſter ſchimmerte, ſtund ich, ohne den Alt- vater zu erwecken, ſachte auf, ſpatzierete in deſſen groſſen Luſt-Garten, und ſetzte mich auf eine zwi- ſchen den Baͤumen gemachte Raſen-Banck, verrich- tete mein Morgen-Gebeth, ſung etliche geiſtliche Lie- der, zohe nach dieſem meine Schreib-Tafel, die mir nebſt andern Kleinigkeiten von meinen Verraͤthern annoch in Kleidern gelaſſen worden, hervor, und ſchrieb folgendes Lied hinein. 1. UNverhoffte Liebes-Netze Haben meinen Geiſt beſtrickt, Das, woran ich mich ergoͤtze, Hat mein Auge kaum erblickt; Kaum, ja kaum ein wenig Stunden, Da der guͤldnen Freyheit Pracht Ferner keinen Platz gefunden, Darum nimmt ſie gute Nacht. 2. Holder Himmel! darff ich fragen: Wilſt du mich im Ernſt erfreun? Soll, nach vielen ſchweren Plagen, Hier mein ruhigs Eden ſeyn? O! ſo macht dein Wunder-Fuͤgen Und die ſuͤſſe Sclaverey, Mich von allen Mißvergnuͤgen, Sorgen, Noth und Kummer frey. 3. Nun E e 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/453>, abgerufen am 22.11.2024.