Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
3.
Nun so fülle, die ich liebe,
Bald mit Glut und Flammen an,
Bringe sie durch reine Triebe
Auf die keusche Liebes-Bahn,
Und ersetze meinem Hertzen,
Was es ehmals eingebüßt;
Denn so werden dessen Schmertzen
Durch erneute Lust versüßt.

Kaum hatte ich diesen meinen poetischen Einfall
zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten
weltlichen Melodey abzusingen etliche mahl probir-
te, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Alt-
Vater einen aufmercksamen Zuhörer bekommen,
biß er mich sanfft auf die Schulter klopffte und sag-
te: Jsts möglich mein Freund, daß ihr in meine
Aufrichtigkeit einigen Zweiffel setzen, und mir euer
Liebes-Geheimniß verschweigen könnet, welches
doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde
ruhet? Jch fand mich solchergestalt nicht wenig be-
troffen, entschuldigte meine bißherige Verschwie-
genheit mit solchen Worten, die der Wahrheit ge-
mäß wären, und offenbarete ihm hierauf mein gan-
tzes Hertze. Es ist gut, mein Freund, versetzte der
werthe Altvater dargegen, Sophia soll euch nicht
vorenthalten werden, allein übereilet euch nicht, son-
dern machet vorhero weitere Bekanntschafft mit
derselben, untersuchet so wohl ihre als eure selbst ei-
gene Gemüths-Neigungen, wann ihr so dann vor
thunlich befindet, eure Lebens-Zeit auf dieser
Jnsul mit einander zuzubringen, soll euch er-

laubt
3.
Nun ſo fuͤlle, die ich liebe,
Bald mit Glut und Flammen an,
Bringe ſie durch reine Triebe
Auf die keuſche Liebes-Bahn,
Und erſetze meinem Hertzen,
Was es ehmals eingebuͤßt;
Denn ſo werden deſſen Schmertzen
Durch erneute Luſt verſuͤßt.

Kaum hatte ich dieſen meinen poëtiſchen Einfall
zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten
weltlichen Melodey abzuſingen etliche mahl probir-
te, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Alt-
Vater einen aufmerckſamen Zuhoͤrer bekommen,
biß er mich ſanfft auf die Schulter klopffte und ſag-
te: Jſts moͤglich mein Freund, daß ihr in meine
Aufrichtigkeit einigen Zweiffel ſetzen, und mir euer
Liebes-Geheimniß verſchweigen koͤnnet, welches
doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde
ruhet? Jch fand mich ſolchergeſtalt nicht wenig be-
troffen, entſchuldigte meine bißherige Verſchwie-
genheit mit ſolchen Worten, die der Wahrheit ge-
maͤß waͤren, und offenbarete ihm hierauf mein gan-
tzes Hertze. Es iſt gut, mein Freund, verſetzte der
werthe Altvater dargegen, Sophia ſoll euch nicht
vorenthalten werden, allein uͤbereilet euch nicht, ſon-
dern machet vorhero weitere Bekanntſchafft mit
derſelben, unterſuchet ſo wohl ihre als eure ſelbſt ei-
gene Gemuͤths-Neigungen, wann ihr ſo dann vor
thunlich befindet, eure Lebens-Zeit auf dieſer
Jnſul mit einander zuzubringen, ſoll euch er-

laubt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0454" n="440"/>
          <lg n="3">
            <head> <hi rendition="#c">3.</hi> </head><lb/>
            <l>Nun &#x017F;o fu&#x0364;lle, die ich liebe,</l><lb/>
            <l>Bald mit Glut und Flammen an,</l><lb/>
            <l>Bringe &#x017F;ie durch reine Triebe</l><lb/>
            <l>Auf die keu&#x017F;che Liebes-Bahn,</l><lb/>
            <l>Und er&#x017F;etze meinem Hertzen,</l><lb/>
            <l>Was es ehmals eingebu&#x0364;ßt;</l><lb/>
            <l>Denn &#x017F;o werden de&#x017F;&#x017F;en Schmertzen</l><lb/>
            <l>Durch erneute Lu&#x017F;t ver&#x017F;u&#x0364;ßt.</l>
          </lg>
        </lg><lb/>
        <p>Kaum hatte ich die&#x017F;en meinen <hi rendition="#aq">poëti</hi>&#x017F;chen Einfall<lb/>
zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten<lb/>
weltlichen Melodey abzu&#x017F;ingen etliche mahl <hi rendition="#aq">probir-</hi><lb/>
te, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Alt-<lb/>
Vater einen aufmerck&#x017F;amen Zuho&#x0364;rer bekommen,<lb/>
biß er mich &#x017F;anfft auf die Schulter klopffte und &#x017F;ag-<lb/>
te: J&#x017F;ts mo&#x0364;glich mein Freund, daß ihr in meine<lb/>
Aufrichtigkeit einigen Zweiffel &#x017F;etzen, und mir euer<lb/>
Liebes-Geheimniß ver&#x017F;chweigen ko&#x0364;nnet, welches<lb/>
doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde<lb/>
ruhet? Jch fand mich &#x017F;olcherge&#x017F;talt nicht wenig be-<lb/>
troffen, ent&#x017F;chuldigte meine bißherige Ver&#x017F;chwie-<lb/>
genheit mit &#x017F;olchen Worten, die der Wahrheit ge-<lb/>
ma&#x0364;ß wa&#x0364;ren, und offenbarete ihm hierauf mein gan-<lb/>
tzes Hertze. Es i&#x017F;t gut, mein Freund, ver&#x017F;etzte der<lb/>
werthe Altvater dargegen, <hi rendition="#aq">Sophia</hi> &#x017F;oll euch nicht<lb/>
vorenthalten werden, allein u&#x0364;bereilet euch nicht, &#x017F;on-<lb/>
dern machet vorhero weitere Bekannt&#x017F;chafft mit<lb/>
der&#x017F;elben, unter&#x017F;uchet &#x017F;o wohl ihre als eure &#x017F;elb&#x017F;t ei-<lb/>
gene Gemu&#x0364;ths-Neigungen, wann ihr &#x017F;o dann vor<lb/>
thunlich befindet, eure Lebens-Zeit auf die&#x017F;er<lb/>
Jn&#x017F;ul mit einander zuzubringen, &#x017F;oll euch er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">laubt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[440/0454] 3. Nun ſo fuͤlle, die ich liebe, Bald mit Glut und Flammen an, Bringe ſie durch reine Triebe Auf die keuſche Liebes-Bahn, Und erſetze meinem Hertzen, Was es ehmals eingebuͤßt; Denn ſo werden deſſen Schmertzen Durch erneute Luſt verſuͤßt. Kaum hatte ich dieſen meinen poëtiſchen Einfall zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten weltlichen Melodey abzuſingen etliche mahl probir- te, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Alt- Vater einen aufmerckſamen Zuhoͤrer bekommen, biß er mich ſanfft auf die Schulter klopffte und ſag- te: Jſts moͤglich mein Freund, daß ihr in meine Aufrichtigkeit einigen Zweiffel ſetzen, und mir euer Liebes-Geheimniß verſchweigen koͤnnet, welches doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde ruhet? Jch fand mich ſolchergeſtalt nicht wenig be- troffen, entſchuldigte meine bißherige Verſchwie- genheit mit ſolchen Worten, die der Wahrheit ge- maͤß waͤren, und offenbarete ihm hierauf mein gan- tzes Hertze. Es iſt gut, mein Freund, verſetzte der werthe Altvater dargegen, Sophia ſoll euch nicht vorenthalten werden, allein uͤbereilet euch nicht, ſon- dern machet vorhero weitere Bekanntſchafft mit derſelben, unterſuchet ſo wohl ihre als eure ſelbſt ei- gene Gemuͤths-Neigungen, wann ihr ſo dann vor thunlich befindet, eure Lebens-Zeit auf dieſer Jnſul mit einander zuzubringen, ſoll euch er- laubt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/454
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/454>, abgerufen am 25.11.2024.