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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Jch bin kein Mann aus vornehmen Geschlechte,
sondern eines Posamentiers oder Bordenwürckers
Sohn, aus einer mittelmäßigen Stadt, in der
Marck Brandenburg, mein Vater hatte zu seinem
nicht allzu überflüßigen Vermögen, 8. lebendige
Kinder, nemlich 3. Töchter, und 5. Söhne, unter
welchen ich der jüngste, ihm auch, weil er schon
ziemlich bey Jahren, der liebste war. Meine 4.
Brüder lerneten nach ihren Belieben, Handwer-
cke, ich aber, weil ich eine besondere Liebe zu den Bü-
chern zeigte, wurde fleißig zur Schule und privat-
Information
gehalten, und brachte es so weit, daß
in meinem 19. Jahre auf die Universität nach
Franckfurth an der Oder ziehen konte. Jch wolte
Jura, muste aber, auf expressen Befehl meines
Vaters, Medicinam studiren, ohne zweiffel weil
nicht mehr als 2. allbereit sehr alle Medici, oder
deutlicher zu sagen, privilegirte Lieferanten des To-
des in unserer Stadt waren, die vielleicht ein meh-
reres an den Verstorbenenen, als glücklich curirten
Patienten verdient haben mochten. Einem solchen
dachte mich nun etwa mein Vater mit guter ma-
nier
und zwar per genitivum zu substituiren,
weiln er eine eintzige Tochter hatte, welche die aller-
schönste unter den häßlichsten Jungfern, salvo erro-
re calculi,
war, und der die dentes sapientiae, oder
deutsch zu sagen, die letzten Zähne nur allererst schon
vor 12. biß 16. Jahren gewachsen waren.

Jch machte gute Progressen in meinen studiren
weiln alle Quartale nur 30. Thlr. zu verthun be-
kam, also wenig debauchen machen durffte, son-
dern fein zu Hause bleiben, und fleißig seyn muste.

Doch

Jch bin kein Mann aus vornehmen Geſchlechte,
ſondern eines Poſamentiers oder Bordenwuͤrckers
Sohn, aus einer mittelmaͤßigen Stadt, in der
Marck Brandenburg, mein Vater hatte zu ſeinem
nicht allzu uͤberfluͤßigen Vermoͤgen, 8. lebendige
Kinder, nemlich 3. Toͤchter, und 5. Soͤhne, unter
welchen ich der juͤngſte, ihm auch, weil er ſchon
ziemlich bey Jahren, der liebſte war. Meine 4.
Bruͤder lerneten nach ihren Belieben, Handwer-
cke, ich aber, weil ich eine beſondere Liebe zu den Buͤ-
chern zeigte, wurde fleißig zur Schule und privat-
Information
gehalten, und brachte es ſo weit, daß
in meinem 19. Jahre auf die Univerſitaͤt nach
Franckfurth an der Oder ziehen konte. Jch wolte
Jura, muſte aber, auf expreſſen Befehl meines
Vaters, Medicinam ſtudiren, ohne zweiffel weil
nicht mehr als 2. allbereit ſehr alle Medici, oder
deutlicher zu ſagen, privilegirte Lieferanten des To-
des in unſerer Stadt waren, die vielleicht ein meh-
reres an den Verſtorbenenen, als gluͤcklich curirten
Patienten verdient haben mochten. Einem ſolchen
dachte mich nun etwa mein Vater mit guter ma-
nier
und zwar per genitivum zu ſubſtituiren,
weiln er eine eintzige Tochter hatte, welche die aller-
ſchoͤnſte unter den haͤßlichſten Jungfern, ſalvo erro-
re calculi,
war, und der die dentes ſapientiæ, oder
deutſch zu ſagen, die letzten Zaͤhne nur allererſt ſchon
vor 12. biß 16. Jahren gewachſen waren.

Jch machte gute Progreſſen in meinen ſtudiren
weiln alle Quartale nur 30. Thlr. zu verthun be-
kam, alſo wenig debauchen machen durffte, ſon-
dern fein zu Hauſe bleiben, und fleißig ſeyn muſte.

Doch
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[30/0042] Jch bin kein Mann aus vornehmen Geſchlechte, ſondern eines Poſamentiers oder Bordenwuͤrckers Sohn, aus einer mittelmaͤßigen Stadt, in der Marck Brandenburg, mein Vater hatte zu ſeinem nicht allzu uͤberfluͤßigen Vermoͤgen, 8. lebendige Kinder, nemlich 3. Toͤchter, und 5. Soͤhne, unter welchen ich der juͤngſte, ihm auch, weil er ſchon ziemlich bey Jahren, der liebſte war. Meine 4. Bruͤder lerneten nach ihren Belieben, Handwer- cke, ich aber, weil ich eine beſondere Liebe zu den Buͤ- chern zeigte, wurde fleißig zur Schule und privat- Information gehalten, und brachte es ſo weit, daß in meinem 19. Jahre auf die Univerſitaͤt nach Franckfurth an der Oder ziehen konte. Jch wolte Jura, muſte aber, auf expreſſen Befehl meines Vaters, Medicinam ſtudiren, ohne zweiffel weil nicht mehr als 2. allbereit ſehr alle Medici, oder deutlicher zu ſagen, privilegirte Lieferanten des To- des in unſerer Stadt waren, die vielleicht ein meh- reres an den Verſtorbenenen, als gluͤcklich curirten Patienten verdient haben mochten. Einem ſolchen dachte mich nun etwa mein Vater mit guter ma- nier und zwar per genitivum zu ſubſtituiren, weiln er eine eintzige Tochter hatte, welche die aller- ſchoͤnſte unter den haͤßlichſten Jungfern, ſalvo erro- re calculi, war, und der die dentes ſapientiæ, oder deutſch zu ſagen, die letzten Zaͤhne nur allererſt ſchon vor 12. biß 16. Jahren gewachſen waren. Jch machte gute Progreſſen in meinen ſtudiren weiln alle Quartale nur 30. Thlr. zu verthun be- kam, alſo wenig debauchen machen durffte, ſon- dern fein zu Hauſe bleiben, und fleißig ſeyn muſte. Doch

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/42>, abgerufen am 28.03.2024.