Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Eckel gegen fernere Lust gefasset, zu gute, aber
mit mir hatte es eine gantz andere Beschaffenheit.
Und was habe ich eben Ursath, meine damahligen
natürlichen Affecten zu verleugnen: Jch war ein
junger, starcker und fast 20. jähriger Mensch, der
Geld, Gold, Edelgesteine und andere Güter im grö-
sten Uberfluß besaß, also gar wohl eine Frau erneh-
ren konte, allein, der Concordia hatte ich einen
würcklichen Eyd geschworen, ihr mit Vorstellung
meiner verliebten Begierden keinen Verdruß zu er-
wecken, verspürete über dieses die stärcksten Merck-
mahle, daß sie ihren seel. Ehe-Mann noch nach des-
sen Tode hertzlich liebte, auf die kleine Concordia a-
ber zu warten, schien mir gar zu langweilig, obgleich
dieselbe ihrer schönen Mutter vollkommenes Eben-
bild vorstellete. Wer kan mich also verdencken, daß
meine Sehnsucht so hefftig nach der Gesellschafft an-
derer ehrlichen Leute anckerte, um mich unter ihnen
in guten Stand zu setzen, und eine tugendhaffte Ehe-
gattin auszulesen.

Es verging mir demnach damahls fast alle Lust
zur Arbeit, verrichtete auch die allernöthigste, so zu
sagen, gezwungener Weise, hergegen brachte
ich täglich die meisten Stunden auf der Felsen-Hö-
he gegen Norden zu, machte daselbst ein Feuer
an, welches bey Tage starck rauchen und des
Nachts helle brennen muste, damit ein oder an-
deres vorbey fahrendes Schiff bey uns anzuländen
gereitzet würde, wandte dabey meine Augen bestän-
dig auf die offenbare See, und versuchte zum Zeit-
vertreibe, ob ich auf der von Lemelie hinterlasse-
nen Zitter von mir selbst ein oder ander Lied könte

spielen
Q 5

nen Eckel gegen fernere Luſt gefaſſet, zu gute, aber
mit mir hatte es eine gantz andere Beſchaffenheit.
Und was habe ich eben Urſath, meine damahligen
natuͤrlichen Affecten zu verleugnen: Jch war ein
junger, ſtarcker und faſt 20. jaͤhriger Menſch, der
Geld, Gold, Edelgeſteine und andere Guͤter im groͤ-
ſten Uberfluß beſaß, alſo gar wohl eine Frau erneh-
ren konte, allein, der Concordia hatte ich einen
wuͤrcklichen Eyd geſchworen, ihr mit Vorſtellung
meiner verliebten Begierden keinen Verdruß zu er-
wecken, verſpuͤrete uͤber dieſes die ſtaͤrckſten Merck-
mahle, daß ſie ihren ſeel. Ehe-Mann noch nach deſ-
ſen Tode hertzlich liebte, auf die kleine Concordia a-
ber zu warten, ſchien mir gar zu langweilig, obgleich
dieſelbe ihrer ſchoͤnen Mutter vollkommenes Eben-
bild vorſtellete. Wer kan mich alſo verdencken, daß
meine Sehnſucht ſo hefftig nach der Geſellſchafft an-
derer ehrlichen Leute anckerte, um mich unter ihnen
in guten Stand zu ſetzen, und eine tugendhaffte Ehe-
gattin auszuleſen.

Es verging mir demnach damahls faſt alle Luſt
zur Arbeit, verrichtete auch die allernoͤthigſte, ſo zu
ſagen, gezwungener Weiſe, hergegen brachte
ich taͤglich die meiſten Stunden auf der Felſen-Hoͤ-
he gegen Norden zu, machte daſelbſt ein Feuer
an, welches bey Tage ſtarck rauchen und des
Nachts helle brennen muſte, damit ein oder an-
deres vorbey fahrendes Schiff bey uns anzulaͤnden
gereitzet wuͤrde, wandte dabey meine Augen beſtaͤn-
dig auf die offenbare See, und verſuchte zum Zeit-
vertreibe, ob ich auf der von Lemelie hinterlaſſe-
nen Zitter von mir ſelbſt ein oder ander Lied koͤnte

ſpielen
Q 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="249"/>
nen Eckel gegen fernere Lu&#x017F;t gefa&#x017F;&#x017F;et, zu gute, aber<lb/>
mit mir hatte es eine gantz andere Be&#x017F;chaffenheit.<lb/>
Und was habe ich eben Ur&#x017F;ath, meine damahligen<lb/>
natu&#x0364;rlichen <hi rendition="#aq">Affect</hi>en zu verleugnen: Jch war ein<lb/>
junger, &#x017F;tarcker und fa&#x017F;t 20. ja&#x0364;hriger Men&#x017F;ch, der<lb/>
Geld, Gold, Edelge&#x017F;teine und andere Gu&#x0364;ter im gro&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ten Uberfluß be&#x017F;aß, al&#x017F;o gar wohl eine Frau erneh-<lb/>
ren konte, allein, der <hi rendition="#aq">Concordia</hi> hatte ich einen<lb/>
wu&#x0364;rcklichen Eyd ge&#x017F;chworen, ihr mit Vor&#x017F;tellung<lb/>
meiner verliebten Begierden keinen Verdruß zu er-<lb/>
wecken, ver&#x017F;pu&#x0364;rete u&#x0364;ber die&#x017F;es die &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;ten Merck-<lb/>
mahle, daß &#x017F;ie ihren &#x017F;eel. Ehe-Mann noch nach de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Tode hertzlich liebte, auf die kleine <hi rendition="#aq">Concordia</hi> a-<lb/>
ber zu warten, &#x017F;chien mir gar zu langweilig, obgleich<lb/>
die&#x017F;elbe ihrer &#x017F;cho&#x0364;nen Mutter vollkommenes Eben-<lb/>
bild vor&#x017F;tellete. Wer kan mich al&#x017F;o verdencken, daß<lb/>
meine Sehn&#x017F;ucht &#x017F;o hefftig nach der Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft an-<lb/>
derer ehrlichen Leute anckerte, um mich unter ihnen<lb/>
in guten Stand zu &#x017F;etzen, und eine tugendhaffte Ehe-<lb/>
gattin auszule&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Es verging mir demnach damahls fa&#x017F;t alle Lu&#x017F;t<lb/>
zur Arbeit, verrichtete auch die allerno&#x0364;thig&#x017F;te, &#x017F;o zu<lb/>
&#x017F;agen, gezwungener Wei&#x017F;e, hergegen brachte<lb/>
ich ta&#x0364;glich die mei&#x017F;ten Stunden auf der Fel&#x017F;en-Ho&#x0364;-<lb/>
he gegen Norden zu, machte da&#x017F;elb&#x017F;t ein Feuer<lb/>
an, welches bey Tage &#x017F;tarck rauchen und des<lb/>
Nachts helle brennen mu&#x017F;te, damit ein oder an-<lb/>
deres vorbey fahrendes Schiff bey uns anzula&#x0364;nden<lb/>
gereitzet wu&#x0364;rde, wandte dabey meine Augen be&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
dig auf die offenbare See, und ver&#x017F;uchte zum Zeit-<lb/>
vertreibe, ob ich auf der von <hi rendition="#aq">Lemelie</hi> hinterla&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
nen Zitter von mir &#x017F;elb&#x017F;t ein oder ander Lied ko&#x0364;nte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;pielen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0263] nen Eckel gegen fernere Luſt gefaſſet, zu gute, aber mit mir hatte es eine gantz andere Beſchaffenheit. Und was habe ich eben Urſath, meine damahligen natuͤrlichen Affecten zu verleugnen: Jch war ein junger, ſtarcker und faſt 20. jaͤhriger Menſch, der Geld, Gold, Edelgeſteine und andere Guͤter im groͤ- ſten Uberfluß beſaß, alſo gar wohl eine Frau erneh- ren konte, allein, der Concordia hatte ich einen wuͤrcklichen Eyd geſchworen, ihr mit Vorſtellung meiner verliebten Begierden keinen Verdruß zu er- wecken, verſpuͤrete uͤber dieſes die ſtaͤrckſten Merck- mahle, daß ſie ihren ſeel. Ehe-Mann noch nach deſ- ſen Tode hertzlich liebte, auf die kleine Concordia a- ber zu warten, ſchien mir gar zu langweilig, obgleich dieſelbe ihrer ſchoͤnen Mutter vollkommenes Eben- bild vorſtellete. Wer kan mich alſo verdencken, daß meine Sehnſucht ſo hefftig nach der Geſellſchafft an- derer ehrlichen Leute anckerte, um mich unter ihnen in guten Stand zu ſetzen, und eine tugendhaffte Ehe- gattin auszuleſen. Es verging mir demnach damahls faſt alle Luſt zur Arbeit, verrichtete auch die allernoͤthigſte, ſo zu ſagen, gezwungener Weiſe, hergegen brachte ich taͤglich die meiſten Stunden auf der Felſen-Hoͤ- he gegen Norden zu, machte daſelbſt ein Feuer an, welches bey Tage ſtarck rauchen und des Nachts helle brennen muſte, damit ein oder an- deres vorbey fahrendes Schiff bey uns anzulaͤnden gereitzet wuͤrde, wandte dabey meine Augen beſtaͤn- dig auf die offenbare See, und verſuchte zum Zeit- vertreibe, ob ich auf der von Lemelie hinterlaſſe- nen Zitter von mir ſelbſt ein oder ander Lied koͤnte ſpielen Q 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/263
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/263>, abgerufen am 17.05.2024.