Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Mantel trug, durch den Felsen-Gang an die See
spatzieren, wohin wir seit etlichen Monaten nicht ge-
kommen, erblickten aber mit nicht geringer Verwun-
derung, daß uns die Wellen einen starcken Vorrath
von allerhand eingepackten Waaren und zerschei-
terten Schiffs-Stücken zugeführet hatten. Jch
fassete sogleich den Vorsatz, alles auf unsere Jnsul
zu schaffen, allein, da mir ohnverhofft ein in ziemli-
cher Weite vorbey fahrendes Schiff in die Augen
kam, gerieth ich auf einmahl gantz ausser mir selbst, so
bald aber mein Geist sich wieder erholte, fing ich an
zu schreyen, zu schiessen, und mit einem Tuche zu win-
cken, trieb auch solche mühsame wiewohl vergebliche
Bemühung so lange, biß sich gegen Abend so wohl
das vorbey fahrende Schiff als die Sonne aus un-
serm Gesichte verlohr, da ich denn meines Theils
gantz verdrüßlich und betrübt zurück kehrete, in lan-
ter verwirrten Gedancken aber unterweges mit
Concordien kein Wort redete, biß wir wieder in un-
serer Behausung anlangten, allwo sich die 5. Affen
als Wächter vor die Thür' gelagert hatten.

Concordia bereitete die Abend-Mahlzeit, wir
speiseten, und hielten hierauf zusammen ein Ge-
spräch, in welchem ich vermerckte, daß sich dieselbe
wenig oder nichts um das vorbey gefahrne Schiff
bekümmerte, auch grössere Lust auf dieser Jnsul zu
sterben bezeugte, als sich in den Schutz srembder
und vielleicht barbarischer Leute zu begeben. Jch
hielte ihr zwar dergleichen Gedancken, als einer
furchtsamen und schwachen Weibs-Person, die
zumahlen ihres unglücklichen Schicksals halber ei-

nen

Mantel trug, durch den Felſen-Gang an die See
ſpatzieren, wohin wir ſeit etlichen Monaten nicht ge-
kommen, erblickten aber mit nicht geringer Verwun-
derung, daß uns die Wellen einen ſtarcken Vorrath
von allerhand eingepackten Waaren und zerſchei-
terten Schiffs-Stuͤcken zugefuͤhret hatten. Jch
faſſete ſogleich den Vorſatz, alles auf unſere Jnſul
zu ſchaffen, allein, da mir ohnverhofft ein in ziemli-
cher Weite vorbey fahrendes Schiff in die Augen
kam, gerieth ich auf einmahl gantz auſſer mir ſelbſt, ſo
bald aber mein Geiſt ſich wieder erholte, fing ich an
zu ſchreyen, zu ſchieſſen, und mit einem Tuche zu win-
cken, trieb auch ſolche muͤhſame wiewohl vergebliche
Bemuͤhung ſo lange, biß ſich gegen Abend ſo wohl
das vorbey fahrende Schiff als die Sonne aus un-
ſerm Geſichte verlohr, da ich denn meines Theils
gantz verdruͤßlich und betruͤbt zuruͤck kehrete, in lan-
ter verwirrten Gedancken aber unterweges mit
Concordien kein Wort redete, biß wir wieder in un-
ſerer Behauſung anlangten, allwo ſich die 5. Affen
als Waͤchter vor die Thuͤr’ gelagert hatten.

Concordia bereitete die Abend-Mahlzeit, wir
ſpeiſeten, und hielten hierauf zuſammen ein Ge-
ſpraͤch, in welchem ich vermerckte, daß ſich dieſelbe
wenig oder nichts um das vorbey gefahrne Schiff
bekuͤmmerte, auch groͤſſere Luſt auf dieſer Jnſul zu
ſterben bezeugte, als ſich in den Schutz ſrembder
und vielleicht barbariſcher Leute zu begeben. Jch
hielte ihr zwar dergleichen Gedancken, als einer
furchtſamen und ſchwachen Weibs-Perſon, die
zumahlen ihres ungluͤcklichen Schickſals halber ei-

nen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0262" n="248"/>
Mantel trug, durch den Fel&#x017F;en-Gang an die See<lb/>
&#x017F;patzieren, wohin wir &#x017F;eit etlichen Monaten nicht ge-<lb/>
kommen, erblickten aber mit nicht geringer Verwun-<lb/>
derung, daß uns die Wellen einen &#x017F;tarcken Vorrath<lb/>
von allerhand eingepackten Waaren und zer&#x017F;chei-<lb/>
terten Schiffs-Stu&#x0364;cken zugefu&#x0364;hret hatten. Jch<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ete &#x017F;ogleich den Vor&#x017F;atz, alles auf un&#x017F;ere Jn&#x017F;ul<lb/>
zu &#x017F;chaffen, allein, da mir ohnverhofft ein in ziemli-<lb/>
cher Weite vorbey fahrendes Schiff in die Augen<lb/>
kam, gerieth ich auf einmahl gantz au&#x017F;&#x017F;er mir &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
bald aber mein Gei&#x017F;t &#x017F;ich wieder erholte, fing ich an<lb/>
zu &#x017F;chreyen, zu &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en, und mit einem Tuche zu win-<lb/>
cken, trieb auch &#x017F;olche mu&#x0364;h&#x017F;ame wiewohl vergebliche<lb/>
Bemu&#x0364;hung &#x017F;o lange, biß &#x017F;ich gegen Abend &#x017F;o wohl<lb/>
das vorbey fahrende Schiff als die Sonne aus un-<lb/>
&#x017F;erm Ge&#x017F;ichte verlohr, da ich denn meines Theils<lb/>
gantz verdru&#x0364;ßlich und betru&#x0364;bt zuru&#x0364;ck kehrete, in lan-<lb/>
ter verwirrten Gedancken aber unterweges mit<lb/><hi rendition="#aq">Concordien</hi> kein Wort redete, biß wir wieder in un-<lb/>
&#x017F;erer Behau&#x017F;ung anlangten, allwo &#x017F;ich die 5. Affen<lb/>
als Wa&#x0364;chter vor die Thu&#x0364;r&#x2019; gelagert hatten.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">Concordia</hi> bereitete die Abend-Mahlzeit, wir<lb/>
&#x017F;pei&#x017F;eten, und hielten hierauf zu&#x017F;ammen ein Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;ch, in welchem ich vermerckte, daß &#x017F;ich die&#x017F;elbe<lb/>
wenig oder nichts um das vorbey gefahrne Schiff<lb/>
beku&#x0364;mmerte, auch gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Lu&#x017F;t auf die&#x017F;er Jn&#x017F;ul zu<lb/>
&#x017F;terben bezeugte, als &#x017F;ich in den Schutz &#x017F;rembder<lb/>
und vielleicht barbari&#x017F;cher Leute zu begeben. Jch<lb/>
hielte ihr zwar dergleichen Gedancken, als einer<lb/>
furcht&#x017F;amen und &#x017F;chwachen Weibs-Per&#x017F;on, die<lb/>
zumahlen ihres unglu&#x0364;cklichen Schick&#x017F;als halber ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0262] Mantel trug, durch den Felſen-Gang an die See ſpatzieren, wohin wir ſeit etlichen Monaten nicht ge- kommen, erblickten aber mit nicht geringer Verwun- derung, daß uns die Wellen einen ſtarcken Vorrath von allerhand eingepackten Waaren und zerſchei- terten Schiffs-Stuͤcken zugefuͤhret hatten. Jch faſſete ſogleich den Vorſatz, alles auf unſere Jnſul zu ſchaffen, allein, da mir ohnverhofft ein in ziemli- cher Weite vorbey fahrendes Schiff in die Augen kam, gerieth ich auf einmahl gantz auſſer mir ſelbſt, ſo bald aber mein Geiſt ſich wieder erholte, fing ich an zu ſchreyen, zu ſchieſſen, und mit einem Tuche zu win- cken, trieb auch ſolche muͤhſame wiewohl vergebliche Bemuͤhung ſo lange, biß ſich gegen Abend ſo wohl das vorbey fahrende Schiff als die Sonne aus un- ſerm Geſichte verlohr, da ich denn meines Theils gantz verdruͤßlich und betruͤbt zuruͤck kehrete, in lan- ter verwirrten Gedancken aber unterweges mit Concordien kein Wort redete, biß wir wieder in un- ſerer Behauſung anlangten, allwo ſich die 5. Affen als Waͤchter vor die Thuͤr’ gelagert hatten. Concordia bereitete die Abend-Mahlzeit, wir ſpeiſeten, und hielten hierauf zuſammen ein Ge- ſpraͤch, in welchem ich vermerckte, daß ſich dieſelbe wenig oder nichts um das vorbey gefahrne Schiff bekuͤmmerte, auch groͤſſere Luſt auf dieſer Jnſul zu ſterben bezeugte, als ſich in den Schutz ſrembder und vielleicht barbariſcher Leute zu begeben. Jch hielte ihr zwar dergleichen Gedancken, als einer furchtſamen und ſchwachen Weibs-Perſon, die zumahlen ihres ungluͤcklichen Schickſals halber ei- nen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/262
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/262>, abgerufen am 27.11.2024.