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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Begierde bey ersehener Gelegenheit die Gedan-
cken ein euren seligen Mann von der Klippe her-
unter zu stürtzen. - - - Concordia wolte bey
Anhörung dieser Beichte ohnmächtig werden, je-
doch der wenige Rest einer bey sich habenden balsa-
mi
schen Artzeney, stärckte sie nebst meinem zwar
ängstlichen doch kräfftigen Zureden dermassen daß
sie das Ende dieser jämmerlichen und erschrecklichen
Geschicht mit ziemlicher Gelassenheit vollends ab-
warten konte.

Lemelie fuhr demnach im reden also fort: Euer
Ehe-[M]ann, Concodia! kam, indem er ein schönes
Morgen Lied sang, die Klippe hinauf gestiegen, und
erblickte mich seitwärts mit der Flinte im Anschlage
liegen. Er erschrack hefftig, ohngeacht ich nicht
auf ihn sondern nach einem gegen mir über sitzen-
den Vogel zielete, den er mit seiner Ankunfft ver-
jagte. Wiewohl mir nun der Teuffel gleich in die
Ohren bließ diese schöne Gelegenheit ihn umzubrin-
gen nicht vorbey streichen zu lassen so war doch ich
noch listiger als hitzig, warff meine Flinte zur Er-
den eilete und umarmete den van Leuven und sag-
te: Mein edler Freund, ich spüre daß ihr vielleicht ei-
nen bösen Verdacht habt als ob ich nach eurem Le-
ben stünde; Allein entweder lasset selbigen fahren,
oder erschiesset mich auf der Stelle, denn was ist
mir mein verdrießliches Leben ohne eure Freund-
schafft auf dieser einsamen Jnsul sonsten nütze. Van
Leuven
umarmete und küssete mich hierauff gleich-
falls, versicherte mich seiner aufrichtigen und ge-
treuen Freundschafft setzte auch viele gute Vermah-
nungen hinzu, vermöge deren ich mich in Zukunfft

tugend-

Begierde bey erſehener Gelegenheit die Gedan-
cken ein euren ſeligen Mann von der Klippe her-
unter zu ſtuͤrtzen. ‒ ‒ ‒ Concordia wolte bey
Anhoͤrung dieſer Beichte ohnmaͤchtig werden, je-
doch der wenige Reſt einer bey ſich habenden balſa-
mi
ſchen Artzeney, ſtaͤrckte ſie nebſt meinem zwar
aͤngſtlichen doch kraͤfftigen Zureden dermaſſen daß
ſie das Ende dieſer jaͤmmerlichen und erſchrecklichen
Geſchicht mit ziemlicher Gelaſſenheit vollends ab-
warten konte.

Lemelie fuhr demnach im reden alſo fort: Euer
Ehe-[M]ann, Concodia! kam, indem er ein ſchoͤnes
Morgen Lied ſang, die Klippe hinauf geſtiegen, und
erblickte mich ſeitwaͤrts mit der Flinte im Anſchlage
liegen. Er erſchrack hefftig, ohngeacht ich nicht
auf ihn ſondern nach einem gegen mir uͤber ſitzen-
den Vogel zielete, den er mit ſeiner Ankunfft ver-
jagte. Wiewohl mir nun der Teuffel gleich in die
Ohren bließ dieſe ſchoͤne Gelegenheit ihn umzubrin-
gen nicht vorbey ſtreichen zu laſſen ſo war doch ich
noch liſtiger als hitzig, warff meine Flinte zur Er-
den eilete und umarmete den van Leuven und ſag-
te: Mein edler Freund, ich ſpuͤre daß ihr vielleicht ei-
nen boͤſen Verdacht habt als ob ich nach eurem Le-
ben ſtuͤnde; Allein entweder laſſet ſelbigen fahren,
oder erſchieſſet mich auf der Stelle, denn was iſt
mir mein verdrießliches Leben ohne eure Freund-
ſchafft auf dieſer einſamen Jnſul ſonſten nuͤtze. Van
Leuven
umarmete und kuͤſſete mich hierauff gleich-
falls, verſicherte mich ſeiner aufrichtigen und ge-
treuen Freundſchafft ſetzte auch viele gute Vermah-
nungen hinzu, vermoͤge deren ich mich in Zukunfft

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[216/0230] Begierde bey erſehener Gelegenheit die Gedan- cken ein euren ſeligen Mann von der Klippe her- unter zu ſtuͤrtzen. ‒ ‒ ‒ Concordia wolte bey Anhoͤrung dieſer Beichte ohnmaͤchtig werden, je- doch der wenige Reſt einer bey ſich habenden balſa- miſchen Artzeney, ſtaͤrckte ſie nebſt meinem zwar aͤngſtlichen doch kraͤfftigen Zureden dermaſſen daß ſie das Ende dieſer jaͤmmerlichen und erſchrecklichen Geſchicht mit ziemlicher Gelaſſenheit vollends ab- warten konte. Lemelie fuhr demnach im reden alſo fort: Euer Ehe-Mann, Concodia! kam, indem er ein ſchoͤnes Morgen Lied ſang, die Klippe hinauf geſtiegen, und erblickte mich ſeitwaͤrts mit der Flinte im Anſchlage liegen. Er erſchrack hefftig, ohngeacht ich nicht auf ihn ſondern nach einem gegen mir uͤber ſitzen- den Vogel zielete, den er mit ſeiner Ankunfft ver- jagte. Wiewohl mir nun der Teuffel gleich in die Ohren bließ dieſe ſchoͤne Gelegenheit ihn umzubrin- gen nicht vorbey ſtreichen zu laſſen ſo war doch ich noch liſtiger als hitzig, warff meine Flinte zur Er- den eilete und umarmete den van Leuven und ſag- te: Mein edler Freund, ich ſpuͤre daß ihr vielleicht ei- nen boͤſen Verdacht habt als ob ich nach eurem Le- ben ſtuͤnde; Allein entweder laſſet ſelbigen fahren, oder erſchieſſet mich auf der Stelle, denn was iſt mir mein verdrießliches Leben ohne eure Freund- ſchafft auf dieſer einſamen Jnſul ſonſten nuͤtze. Van Leuven umarmete und kuͤſſete mich hierauff gleich- falls, verſicherte mich ſeiner aufrichtigen und ge- treuen Freundſchafft ſetzte auch viele gute Vermah- nungen hinzu, vermoͤge deren ich mich in Zukunfft tugend-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/230>, abgerufen am 03.05.2024.