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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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und nach zur Höhe hinauf, zohe auch die Axt, etli-
che spitz gemachte Pfähle, und die übrigen Sachen
von einem Absatz zum andern hinter mir her. An
der auswendigen Seite muste ich mich aber viel
grösserer Gefahr unterwerffen/ weil daselbst die
Felsen weit steiler, und an vielen Orten gar nicht zu
beklettern waren, weßwegen ich an drey Orten in
die Felsen-Ritzen Pfähle einschlagen, ein langes
Seil dran binden, und mich 3. mahl 8. 10. biß 12.
Elen tief, an selbigen herunter lassen muste. Sol-
chergestalt gelangete ich endlich zu meines lieben
Herrn van Leuven jämmerlich zerschmetterten
Cörper, der weil ihm das Gesichte sehr mit Blut un-
terlauffen war, seine vorige Gestalt gäntzlich ver-
lohren hatte/ und allbereit wegen der grossen Hitze,
einen übeln Geruch von sich gab, jedoch ich hielt mich
nicht lange dabey auf, sondern wickelte ihn eiligst in
das bey mir habende Tuch, bewunde dasselbe mit
Stricken, band ein Seil daran, und zohe diese Last
nach und nach hinauf. Zu meinem Glücke hatte
ich in die vom Felsen herab hangenden Seile, ver-
schiedener Weite nach, Knoten gebunden, sonst wä-
re fast unmöglich gewesen, wieder hinauf zu kom-
men, doch der Himmel bewahrete mich in dieser be-
sondern Gefahr vor allem Unfall, und ich gelangte
nach etwa 6. oder 7. Stunden Verlauff, ohnbescha-
det, doch sehr schwer beladen und ermüdet, wieder-
um bey Concordien an. Durch vieles Bitten
und vernünfftige Vorstellungen, erhielt ich endlich
so viel von selbiger, daß sie sonst nichts als ihres seel.
Ehe-Mannes Gesichte und die Hand, woran er an-
noch seinen Siegel-Ring stecken hatte, zu sehen be-

gehrete.

und nach zur Hoͤhe hinauf, zohe auch die Axt, etli-
che ſpitz gemachte Pfaͤhle, und die uͤbrigen Sachen
von einem Abſatz zum andern hinter mir her. An
der auswendigen Seite muſte ich mich aber viel
groͤſſerer Gefahr unterwerffen/ weil daſelbſt die
Felſen weit ſteiler, und an vielen Orten gar nicht zu
beklettern waren, weßwegen ich an drey Orten in
die Felſen-Ritzen Pfaͤhle einſchlagen, ein langes
Seil dran binden, und mich 3. mahl 8. 10. biß 12.
Elen tief, an ſelbigen herunter laſſen muſte. Sol-
chergeſtalt gelangete ich endlich zu meines lieben
Herrn van Leuven jaͤmmerlich zerſchmetterten
Coͤrper, der weil ihm das Geſichte ſehr mit Blut un-
terlauffen war, ſeine vorige Geſtalt gaͤntzlich ver-
lohren hatte/ und allbereit wegen der groſſen Hitze,
einen uͤbeln Geruch von ſich gab, jedoch ich hielt mich
nicht lange dabey auf, ſondern wickelte ihn eiligſt in
das bey mir habende Tuch, bewunde daſſelbe mit
Stricken, band ein Seil daran, und zohe dieſe Laſt
nach und nach hinauf. Zu meinem Gluͤcke hatte
ich in die vom Felſen herab hangenden Seile, ver-
ſchiedener Weite nach, Knoten gebunden, ſonſt waͤ-
re faſt unmoͤglich geweſen, wieder hinauf zu kom-
men, doch der Himmel bewahrete mich in dieſer be-
ſondern Gefahr vor allem Unfall, und ich gelangte
nach etwa 6. oder 7. Stunden Verlauff, ohnbeſcha-
det, doch ſehr ſchwer beladen und ermuͤdet, wieder-
um bey Concordien an. Durch vieles Bitten
und vernuͤnfftige Vorſtellungen, erhielt ich endlich
ſo viel von ſelbiger, daß ſie ſonſt nichts als ihres ſeel.
Ehe-Mannes Geſichte und die Hand, woran er an-
noch ſeinen Siegel-Ring ſtecken hatte, zu ſehen be-

gehrete.
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[205/0219] und nach zur Hoͤhe hinauf, zohe auch die Axt, etli- che ſpitz gemachte Pfaͤhle, und die uͤbrigen Sachen von einem Abſatz zum andern hinter mir her. An der auswendigen Seite muſte ich mich aber viel groͤſſerer Gefahr unterwerffen/ weil daſelbſt die Felſen weit ſteiler, und an vielen Orten gar nicht zu beklettern waren, weßwegen ich an drey Orten in die Felſen-Ritzen Pfaͤhle einſchlagen, ein langes Seil dran binden, und mich 3. mahl 8. 10. biß 12. Elen tief, an ſelbigen herunter laſſen muſte. Sol- chergeſtalt gelangete ich endlich zu meines lieben Herrn van Leuven jaͤmmerlich zerſchmetterten Coͤrper, der weil ihm das Geſichte ſehr mit Blut un- terlauffen war, ſeine vorige Geſtalt gaͤntzlich ver- lohren hatte/ und allbereit wegen der groſſen Hitze, einen uͤbeln Geruch von ſich gab, jedoch ich hielt mich nicht lange dabey auf, ſondern wickelte ihn eiligſt in das bey mir habende Tuch, bewunde daſſelbe mit Stricken, band ein Seil daran, und zohe dieſe Laſt nach und nach hinauf. Zu meinem Gluͤcke hatte ich in die vom Felſen herab hangenden Seile, ver- ſchiedener Weite nach, Knoten gebunden, ſonſt waͤ- re faſt unmoͤglich geweſen, wieder hinauf zu kom- men, doch der Himmel bewahrete mich in dieſer be- ſondern Gefahr vor allem Unfall, und ich gelangte nach etwa 6. oder 7. Stunden Verlauff, ohnbeſcha- det, doch ſehr ſchwer beladen und ermuͤdet, wieder- um bey Concordien an. Durch vieles Bitten und vernuͤnfftige Vorſtellungen, erhielt ich endlich ſo viel von ſelbiger, daß ſie ſonſt nichts als ihres ſeel. Ehe-Mannes Geſichte und die Hand, woran er an- noch ſeinen Siegel-Ring ſtecken hatte, zu ſehen be- gehrete.

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/219>, abgerufen am 03.05.2024.