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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Wittenberg vorgenommenen Reise nichts werden
solte. Denn als ich etliche Tage nach meinen ge-
haltenen Kirch-Gange und erster Ausflucht mein
Morgen-Gebeth annoch verrichtete; klopffte der
Brief-Träger von der Post an meine Thür, und
nach Eröffnung derselben, wurde mir von ihm ein
Brief eingehändiget, welchen ich mit zitterenden
Händen erbrach, und also gesetzt befand:


Monsieur,

JHnen werden diese Zeilen, so von einer ih-
rer
Familie gantz unbekannten Hand ge-
schrieben sind, ohnfehlbar viele Verwunde-
rung verursachen. Allein als ein
Studirender,
werden sie vielleicht besser, als andere Ungelehr-
te, zu begreiffen wissen, wie unbegreiflich zu-
weilen der Himmel das Schicksal der sterblichen
Menschen
disponiret. Jch Endes unterschriebe-
ner bin zwar ein Teutscher von Geburt, stehe
aber voritzo als Schiffs-
Capitain in Holländi-
schen Diensten, u. bin vor wenig Tagen alhier in
ihrer Geburts-Stadtangelanget, in Meinung
dero Herrn Vater anzutreffen, dem ich eine der
aller
profitablesten Zeitungen von der Welt per-
sönlichüberbringen wolte; Allein ich habe zu
meinem allergrösten Mißvergnügen nicht al-
lein sein gehabtes Unglück, sondernüber dieses
noch vernehmen müssen: daß er allbereit vor
Monats-Frist zu Schiffe nach West-Jndien
gegangen. Diesem aber ohngeachtet, verbin-
det mich ein geleisteter cörperlicher Evd:
Jhnen,
Monsieur Eherhard Julius, als dessen

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Wittenberg vorgenommenen Reiſe nichts werden
ſolte. Denn als ich etliche Tage nach meinen ge-
haltenen Kirch-Gange und erſter Ausflucht mein
Morgen-Gebeth annoch verrichtete; klopffte der
Brief-Traͤger von der Poſt an meine Thuͤr, und
nach Eroͤffnung derſelben, wurde mir von ihm ein
Brief eingehaͤndiget, welchen ich mit zitterenden
Haͤnden erbrach, und alſo geſetzt befand:


Monſieur,

JHnen werden dieſe Zeilen, ſo von einer ih-
rer
Familie gantz unbekannten Hand ge-
ſchrieben ſind, ohnfehlbar viele Verwunde-
rung verurſachen. Allein als ein
Studirender,
werdẽ ſie vielleicht beſſer, als andeꝛe Ungelehꝛ-
te, zu begreiffen wiſſen, wie unbegreiflich zu-
weilen der Him̃el das Schickſal der ſterblichen
Menſchẽ
diſponiret. Jch Endes unteꝛſchꝛiebe-
ner bin zwar ein Teutſcher von Geburt, ſtehe
aber voritzo als Schiffs-
Capitain in Hollaͤndi-
ſchen Dienſten, u. bin vor wenig Tagẽ alhieꝛ in
ihrer Geburts-Stadtangelanget, in Meinung
dero Herrn Vater anzutreffen, dem ich eine der
aller
profitableſten Zeitungẽ von der Welt peꝛ-
ſoͤnlichuͤberbringen wolte; Allein ich habe zu
meinem allergroͤſten Mißvergnuͤgen nicht al-
lein ſein gehabtes Ungluͤck, ſondernuͤber dieſes
noch vernehmen muͤſſen: daß er allbereit vor
Monats-Friſt zu Schiffe nach Weſt-Jndien
gegangen. Dieſem aber ohngeachtet, verbin-
det mich ein geleiſteter coͤrperlicher Evd:
Jhnen,
Monſieur Eherhard Julius, als deſſen

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[9/0021] Wittenberg vorgenommenen Reiſe nichts werden ſolte. Denn als ich etliche Tage nach meinen ge- haltenen Kirch-Gange und erſter Ausflucht mein Morgen-Gebeth annoch verrichtete; klopffte der Brief-Traͤger von der Poſt an meine Thuͤr, und nach Eroͤffnung derſelben, wurde mir von ihm ein Brief eingehaͤndiget, welchen ich mit zitterenden Haͤnden erbrach, und alſo geſetzt befand: D. d. 21. May 1725. Monſieur, JHnen werden dieſe Zeilen, ſo von einer ih- rer Familie gantz unbekannten Hand ge- ſchrieben ſind, ohnfehlbar viele Verwunde- rung verurſachen. Allein als ein Studirender, werdẽ ſie vielleicht beſſer, als andeꝛe Ungelehꝛ- te, zu begreiffen wiſſen, wie unbegreiflich zu- weilen der Him̃el das Schickſal der ſterblichen Menſchẽ diſponiret. Jch Endes unteꝛſchꝛiebe- ner bin zwar ein Teutſcher von Geburt, ſtehe aber voritzo als Schiffs-Capitain in Hollaͤndi- ſchen Dienſten, u. bin vor wenig Tagẽ alhieꝛ in ihrer Geburts-Stadtangelanget, in Meinung dero Herrn Vater anzutreffen, dem ich eine der aller profitableſten Zeitungẽ von der Welt peꝛ- ſoͤnlichuͤberbringen wolte; Allein ich habe zu meinem allergroͤſten Mißvergnuͤgen nicht al- lein ſein gehabtes Ungluͤck, ſondernuͤber dieſes noch vernehmen muͤſſen: daß er allbereit vor Monats-Friſt zu Schiffe nach Weſt-Jndien gegangen. Dieſem aber ohngeachtet, verbin- det mich ein geleiſteter coͤrperlicher Evd: Jhnen, Monſieur Eherhard Julius, als deſſen eintzi- A 5

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/21>, abgerufen am 21.11.2024.