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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Jch fiel nach Lesung dieses Briefs, als ein vom
Blitz gerührter, rückwarts auf mein Bette, und
habe länger als 2. Stunden ohne Empfindung ge-
legen. Selbigen gantzen Tag, und die darauf fol-
gende Nacht, wurde in gröster Desperation zuge-
bracht, ohne das geringste von Speise oder Geträn-
cke zu mir zu nehmen, da aber der Tag anbrach, be-
ruhigte sich das ungestüme Meer meiner Gedan-
cken einigermassen. Jch betete mein Morgen-Ge-
bet mit hertzlicher Andacht, sung nach einem Mor-
gen-Liede auch dieses: GOTT der wirds wohl
machen etc. schlug hernach die Bibel auf, in welcher
mir so gleich der 127. Psalm Davids in die Augen
fiel, welcher mich ungemein rührete. Nachdem
ich nun meine andächtigen, ungeheuchelten Penseen
darüber gehabt, schlug ich die Bibel nochmals
auf, und traf ohnverhofft die Worte Proverb. 10.
der Seegen des HERRN macht reich ohne
Mühe etc.

Hierbey traten mir die Thränen in die Augen,
mein Mund aber brach in folgende Worte ars:
Mein GOTT, ich verlange ja eben nicht reich an
zeitlichen Gütern zu seyn, ich gräme mich auch nicht
mehr um die verlohrnen, setze mich aber, wo es dir
gefällig ist, nur in einen solchen Stand, worinnen ich
deine Ehre befördern, meinen Nechsten nützen, mein
Gewissen rein erhalten, reputirlich leben, und seelig
sterben kan.

Gleich denselben Augenblick kam mir in die Ge-
dancken umzusatteln, und an statt der Jurispru-
denz
die Theologie zu erwehlen, weßwegen ich
meine Gelder eincassirte, zwey Theile davon auf

Zin-
A 4

Jch fiel nach Leſung dieſes Briefs, als ein vom
Blitz geruͤhrter, ruͤckwarts auf mein Bette, und
habe laͤnger als 2. Stunden ohne Empfindung ge-
legen. Selbigen gantzen Tag, und die darauf fol-
gende Nacht, wurde in groͤſter Deſperation zuge-
bracht, ohne das geringſte von Speiſe oder Getraͤn-
cke zu mir zu nehmen, da aber der Tag anbrach, be-
ruhigte ſich das ungeſtuͤme Meer meiner Gedan-
cken einigermaſſen. Jch betete mein Morgen-Ge-
bet mit hertzlicher Andacht, ſung nach einem Mor-
gen-Liede auch dieſes: GOTT der wirds wohl
machen ꝛc. ſchlug hernach die Bibel auf, in welcher
mir ſo gleich der 127. Pſalm Davids in die Augen
fiel, welcher mich ungemein ruͤhrete. Nachdem
ich nun meine andaͤchtigen, ungeheuchelten Penſeen
daruͤber gehabt, ſchlug ich die Bibel nochmals
auf, und traf ohnverhofft die Worte Proverb. 10.
der Seegen des HERRN macht reich ohne
Muͤhe ꝛc.

Hierbey traten mir die Thraͤnen in die Augen,
mein Mund aber brach in folgende Worte ars:
Mein GOTT, ich verlange ja eben nicht reich an
zeitlichen Guͤtern zu ſeyn, ich graͤme mich auch nicht
mehr um die verlohrnen, ſetze mich aber, wo es dir
gefaͤllig iſt, nur in einen ſolchen Stand, worinnen ich
deine Ehre befoͤrdern, meinen Nechſten nuͤtzen, mein
Gewiſſen rein erhalten, reputirlich leben, und ſeelig
ſterben kan.

Gleich denſelben Augenblick kam mir in die Ge-
dancken umzuſatteln, und an ſtatt der Jurispru-
denz
die Theologie zu erwehlen, weßwegen ich
meine Gelder eincaſſirte, zwey Theile davon auf

Zin-
A 4
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[7/0019] Jch fiel nach Leſung dieſes Briefs, als ein vom Blitz geruͤhrter, ruͤckwarts auf mein Bette, und habe laͤnger als 2. Stunden ohne Empfindung ge- legen. Selbigen gantzen Tag, und die darauf fol- gende Nacht, wurde in groͤſter Deſperation zuge- bracht, ohne das geringſte von Speiſe oder Getraͤn- cke zu mir zu nehmen, da aber der Tag anbrach, be- ruhigte ſich das ungeſtuͤme Meer meiner Gedan- cken einigermaſſen. Jch betete mein Morgen-Ge- bet mit hertzlicher Andacht, ſung nach einem Mor- gen-Liede auch dieſes: GOTT der wirds wohl machen ꝛc. ſchlug hernach die Bibel auf, in welcher mir ſo gleich der 127. Pſalm Davids in die Augen fiel, welcher mich ungemein ruͤhrete. Nachdem ich nun meine andaͤchtigen, ungeheuchelten Penſeen daruͤber gehabt, ſchlug ich die Bibel nochmals auf, und traf ohnverhofft die Worte Proverb. 10. der Seegen des HERRN macht reich ohne Muͤhe ꝛc. Hierbey traten mir die Thraͤnen in die Augen, mein Mund aber brach in folgende Worte ars: Mein GOTT, ich verlange ja eben nicht reich an zeitlichen Guͤtern zu ſeyn, ich graͤme mich auch nicht mehr um die verlohrnen, ſetze mich aber, wo es dir gefaͤllig iſt, nur in einen ſolchen Stand, worinnen ich deine Ehre befoͤrdern, meinen Nechſten nuͤtzen, mein Gewiſſen rein erhalten, reputirlich leben, und ſeelig ſterben kan. Gleich denſelben Augenblick kam mir in die Ge- dancken umzuſatteln, und an ſtatt der Jurispru- denz die Theologie zu erwehlen, weßwegen ich meine Gelder eincaſſirte, zwey Theile davon auf Zin- A 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/19>, abgerufen am 19.04.2024.