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Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und er werde seine gelogenen zwei Mordthaten aufrecht halten. Diese gehörten ihm jetzt eigen, sie seien sein unantastbarer Besitz, den er mit seinen Schmerzen gekauft und bezahlt habe.

Die Hollin hielt dem Jörg hierauf eine fürchterliche Bußpredigt. Er glaubte nach dem Ton ihrer Stimme, sie müsse jetzt wie der Engel mit dem feurigen Schwert in ihrer dunkeln Zelle stehen. Trotzdem rührte ihn diese Predigt nicht besonders. Viel tiefer zerknirschte es ihn, wenn er in der schweigenden Nacht den Heldenmuth der Hollin und ihre Todesverachtung mit seiner eigenen Geschichte verglich, denn sein starrer Trotz dünkte ihm dann nur die Fratze jenes edeln Muthes. Darum gab er auch der Frau Nachbarin in allen Stücken Recht, wenn sie ihm mit derber Hand am Gewissen rüttelte; nur den anderen Leuten konnte er nicht Recht geben. Und wenn ihn die Hollin verdammte, so schreckte ihn dies fast, als ob er beim jüngsten Gericht verdammt werde; allein vor dem jüngsten Tag wollte er doch erst noch den Nördlingern den Possen spielen und an ihrem Galgen gehenkt sein.

Inzwischen verstrichen Monate. Die beiden Nachbarn kamen sich ungesehen immer näher. Jörg hatte nie einen Menschen so lieb gehabt wie Frau Hollin, vor der er sich doch so tief schämte, und die ihn so erbärmlich abkanzeln konnte, und die alte Frau entdeckte so manch vergrabene Tugend in dem Gemüth des wilden Naturburschen, daß es ihr fast Gewissensangst

und er werde seine gelogenen zwei Mordthaten aufrecht halten. Diese gehörten ihm jetzt eigen, sie seien sein unantastbarer Besitz, den er mit seinen Schmerzen gekauft und bezahlt habe.

Die Hollin hielt dem Jörg hierauf eine fürchterliche Bußpredigt. Er glaubte nach dem Ton ihrer Stimme, sie müsse jetzt wie der Engel mit dem feurigen Schwert in ihrer dunkeln Zelle stehen. Trotzdem rührte ihn diese Predigt nicht besonders. Viel tiefer zerknirschte es ihn, wenn er in der schweigenden Nacht den Heldenmuth der Hollin und ihre Todesverachtung mit seiner eigenen Geschichte verglich, denn sein starrer Trotz dünkte ihm dann nur die Fratze jenes edeln Muthes. Darum gab er auch der Frau Nachbarin in allen Stücken Recht, wenn sie ihm mit derber Hand am Gewissen rüttelte; nur den anderen Leuten konnte er nicht Recht geben. Und wenn ihn die Hollin verdammte, so schreckte ihn dies fast, als ob er beim jüngsten Gericht verdammt werde; allein vor dem jüngsten Tag wollte er doch erst noch den Nördlingern den Possen spielen und an ihrem Galgen gehenkt sein.

Inzwischen verstrichen Monate. Die beiden Nachbarn kamen sich ungesehen immer näher. Jörg hatte nie einen Menschen so lieb gehabt wie Frau Hollin, vor der er sich doch so tief schämte, und die ihn so erbärmlich abkanzeln konnte, und die alte Frau entdeckte so manch vergrabene Tugend in dem Gemüth des wilden Naturburschen, daß es ihr fast Gewissensangst

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:09:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:09:41Z)

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Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/20>, abgerufen am 25.04.2024.