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Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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machte, sie höre des Guten zu viel aus dem bösen Buben heraus. Zum Trost gelang es ihr, der verstockten Hexe, ihm, dem vor Gericht sich selbst anklagenden Büßer, wenigstens ein klein Stück Christenthum beizubringen, so viel nämlich durch zwei schmale vergitterte Kerkerfenster sich hindurchzuzwängen vermag. Jörg nahm alle Glaubensartikel willig an, blieb aber auch bei seinem eigenen Glaubensartikel, daß er auf Nördlinger Grund und Boden gehenkt werden müsse.

Drittes Kapitel.

Jörg hatte sich mit dem Rathe verbissen und der Rath mit Jörg: aber der Rath hatte sich auch in sich selbst über den Jörg verbissen.

Es bestanden zwei Parteien, die sich dermaßen stritten, daß der Gegenstand des Streites über dem Streit als solchem ganz vergessen ward. Die Einen wollten, wie schon oben erwähnt, den Jörg hängen, weil er gemordet, die Anderen, weil er nicht gemordet habe. Nur der Stadtschreiber bildete -- aber ganz im Stillen und für sich allein -- eine dritte, vermittelnde Partei. Er wollte den Jörg laufen lassen. Denn, so sprach er zu sich selber, hätte man den Inquisiten gleich am ersten Tage torquirt, so wäre wohl die

machte, sie höre des Guten zu viel aus dem bösen Buben heraus. Zum Trost gelang es ihr, der verstockten Hexe, ihm, dem vor Gericht sich selbst anklagenden Büßer, wenigstens ein klein Stück Christenthum beizubringen, so viel nämlich durch zwei schmale vergitterte Kerkerfenster sich hindurchzuzwängen vermag. Jörg nahm alle Glaubensartikel willig an, blieb aber auch bei seinem eigenen Glaubensartikel, daß er auf Nördlinger Grund und Boden gehenkt werden müsse.

Drittes Kapitel.

Jörg hatte sich mit dem Rathe verbissen und der Rath mit Jörg: aber der Rath hatte sich auch in sich selbst über den Jörg verbissen.

Es bestanden zwei Parteien, die sich dermaßen stritten, daß der Gegenstand des Streites über dem Streit als solchem ganz vergessen ward. Die Einen wollten, wie schon oben erwähnt, den Jörg hängen, weil er gemordet, die Anderen, weil er nicht gemordet habe. Nur der Stadtschreiber bildete — aber ganz im Stillen und für sich allein — eine dritte, vermittelnde Partei. Er wollte den Jörg laufen lassen. Denn, so sprach er zu sich selber, hätte man den Inquisiten gleich am ersten Tage torquirt, so wäre wohl die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:09:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/21>, abgerufen am 19.04.2024.