Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Zaum halten könne. Die Richter waren in Verzweiflung; denn eine achtundfünfzig Mal Gefolterte freizusprechen, das ging doch nicht an, und sie ohne Geständniß zu verurtheilen, eben so wenig.

Dazu kam, daß die Kunde von der Standhaftigkeit der Hollin ins Volk gedrungen war und ihr viel verstohlene Theilnahme erweckt, auch ein leise anwachsendes Murren gegen die gefürchteten Hexenrichter erregt hatte. Bisher war Alles so glatt und nett abgelaufen. Zweiunddreißig Weiber waren angeklagt, gefoltert, überführt, verbrannt worden: keine hatte große Umstände gemacht. Höchstens daß man die Eine oder Andere einmal mit Fußgewichten so lange am Strick ausgerenkt mußte schweben lassen, bis die Richter gefrühstückt hatten. Kamen sie dann vom Frühstück zurück, so erfolgte allemal das offenste Geständniß. Und nun war durch die Halsstarrigkeit dieser Hollin der ganze schöne Rechtsgang auf einmal ins Stocken gerathen! Denn außer ihr war noch eine große Zahl verdächtiger Frauen eingesperrt. Bei dem wachsenden Mißvergnügen des Volkes wagte man aber nicht, neue Processe auf den Rocken zu stecken, bevor nicht der alte abgesponnen war.

Nun mußte gar noch obendrein der Scandal mit dem Muckenhuber aus blauer Luft herunterfallen!

Die Eine wollte ihre Schuld nicht bekennen, und man hätte sie doch so gern verurtheilt; den Andern hätte man so gern laufen lassen, aber selbst auf der

Zaum halten könne. Die Richter waren in Verzweiflung; denn eine achtundfünfzig Mal Gefolterte freizusprechen, das ging doch nicht an, und sie ohne Geständniß zu verurtheilen, eben so wenig.

Dazu kam, daß die Kunde von der Standhaftigkeit der Hollin ins Volk gedrungen war und ihr viel verstohlene Theilnahme erweckt, auch ein leise anwachsendes Murren gegen die gefürchteten Hexenrichter erregt hatte. Bisher war Alles so glatt und nett abgelaufen. Zweiunddreißig Weiber waren angeklagt, gefoltert, überführt, verbrannt worden: keine hatte große Umstände gemacht. Höchstens daß man die Eine oder Andere einmal mit Fußgewichten so lange am Strick ausgerenkt mußte schweben lassen, bis die Richter gefrühstückt hatten. Kamen sie dann vom Frühstück zurück, so erfolgte allemal das offenste Geständniß. Und nun war durch die Halsstarrigkeit dieser Hollin der ganze schöne Rechtsgang auf einmal ins Stocken gerathen! Denn außer ihr war noch eine große Zahl verdächtiger Frauen eingesperrt. Bei dem wachsenden Mißvergnügen des Volkes wagte man aber nicht, neue Processe auf den Rocken zu stecken, bevor nicht der alte abgesponnen war.

Nun mußte gar noch obendrein der Scandal mit dem Muckenhuber aus blauer Luft herunterfallen!

Die Eine wollte ihre Schuld nicht bekennen, und man hätte sie doch so gern verurtheilt; den Andern hätte man so gern laufen lassen, aber selbst auf der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0015"/>
Zaum halten könne. Die Richter waren in                Verzweiflung; denn eine achtundfünfzig Mal Gefolterte freizusprechen, das ging doch                nicht an, und sie ohne Geständniß zu verurtheilen, eben so wenig.</p><lb/>
        <p>Dazu kam, daß die Kunde von der Standhaftigkeit der Hollin ins Volk gedrungen war und                ihr viel verstohlene Theilnahme erweckt, auch ein leise anwachsendes Murren gegen die                gefürchteten Hexenrichter erregt hatte. Bisher war Alles so glatt und nett                abgelaufen. Zweiunddreißig Weiber waren angeklagt, gefoltert, überführt, verbrannt                worden: keine hatte große Umstände gemacht. Höchstens daß man die Eine oder Andere                einmal mit Fußgewichten so lange am Strick ausgerenkt mußte schweben lassen, bis die                Richter gefrühstückt hatten. Kamen sie dann vom Frühstück zurück, so erfolgte allemal                das offenste Geständniß. Und nun war durch die Halsstarrigkeit dieser Hollin der                ganze schöne Rechtsgang auf einmal ins Stocken gerathen! Denn außer ihr war noch eine                große Zahl verdächtiger Frauen eingesperrt. Bei dem wachsenden Mißvergnügen des                Volkes wagte man aber nicht, neue Processe auf den Rocken zu stecken, bevor nicht der                alte abgesponnen war.</p><lb/>
        <p>Nun mußte gar noch obendrein der Scandal mit dem Muckenhuber aus blauer Luft                herunterfallen!</p><lb/>
        <p>Die Eine wollte ihre Schuld nicht bekennen, und man hätte sie doch so gern                verurtheilt; den Andern hätte man so gern laufen lassen, aber selbst auf der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Zaum halten könne. Die Richter waren in Verzweiflung; denn eine achtundfünfzig Mal Gefolterte freizusprechen, das ging doch nicht an, und sie ohne Geständniß zu verurtheilen, eben so wenig. Dazu kam, daß die Kunde von der Standhaftigkeit der Hollin ins Volk gedrungen war und ihr viel verstohlene Theilnahme erweckt, auch ein leise anwachsendes Murren gegen die gefürchteten Hexenrichter erregt hatte. Bisher war Alles so glatt und nett abgelaufen. Zweiunddreißig Weiber waren angeklagt, gefoltert, überführt, verbrannt worden: keine hatte große Umstände gemacht. Höchstens daß man die Eine oder Andere einmal mit Fußgewichten so lange am Strick ausgerenkt mußte schweben lassen, bis die Richter gefrühstückt hatten. Kamen sie dann vom Frühstück zurück, so erfolgte allemal das offenste Geständniß. Und nun war durch die Halsstarrigkeit dieser Hollin der ganze schöne Rechtsgang auf einmal ins Stocken gerathen! Denn außer ihr war noch eine große Zahl verdächtiger Frauen eingesperrt. Bei dem wachsenden Mißvergnügen des Volkes wagte man aber nicht, neue Processe auf den Rocken zu stecken, bevor nicht der alte abgesponnen war. Nun mußte gar noch obendrein der Scandal mit dem Muckenhuber aus blauer Luft herunterfallen! Die Eine wollte ihre Schuld nicht bekennen, und man hätte sie doch so gern verurtheilt; den Andern hätte man so gern laufen lassen, aber selbst auf der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:09:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:09:41Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/15
Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/15>, abgerufen am 22.11.2024.