Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Folter gab er seine Unschuld nicht zu! Der Stadtschreiber meinte, wenn nur der Jörg Muckenhuber auch ein Weibsbild wäre, dann könnte man durch einen kühnen Mißgriff jenen als Hollin verbrennen und diese als Muckenhuber laufen lassen, so hätte ein Jedes seinen Willen und das Gericht sein Recht. Das Aergerlichste drohte aber dem Rath zu alle Diesem von fernher. Am südöstlichen Horizont, von Regensburg herüber, stieg nämlich ein schweres diplomatisches Unwetter auf. Maria Hollin war nicht von der Gasse aufgelesen, sondern eines Ulmer Amtmannes Tochter, und ihre angesehene Verwandtschaft in jener Reichsstadt, von der Unschuld der Beklagten überzeugt, hatte den Ulmer Magistrat vermocht, beim Nördlinger Rathe Fürsprach einzulegen. Doch das half nicht viel. Denn der Stadtschreiber meinte, es sei gefährlich für die Reputation eines Gerichtes, Jemand achtundfünfzig Mal zu foltern und ihn schließlich nicht einmal etwas anbraten, geschweige verbrennen zu dürfen. Die Ulmer gaben aber keine Ruhe. Zu Regensburg war im selbigen Jahre ein wichtiger Reichstag und Kaiser Rudolf II. in Person gegenwärtig; der Gesandte von Ulm erhielt von seiner Stadt den Auftrag, bei dem Gesandten von Nördlingen zu Gunsten der Hollin zu intercediren, und da er auch hier anfangs abfuhr, so drohte er, Kaiser und Reich gegen die Nördlinger Rechtspflege in Harnisch zu setzen. Kannte die Hollin diesen Stand der Sache auch Folter gab er seine Unschuld nicht zu! Der Stadtschreiber meinte, wenn nur der Jörg Muckenhuber auch ein Weibsbild wäre, dann könnte man durch einen kühnen Mißgriff jenen als Hollin verbrennen und diese als Muckenhuber laufen lassen, so hätte ein Jedes seinen Willen und das Gericht sein Recht. Das Aergerlichste drohte aber dem Rath zu alle Diesem von fernher. Am südöstlichen Horizont, von Regensburg herüber, stieg nämlich ein schweres diplomatisches Unwetter auf. Maria Hollin war nicht von der Gasse aufgelesen, sondern eines Ulmer Amtmannes Tochter, und ihre angesehene Verwandtschaft in jener Reichsstadt, von der Unschuld der Beklagten überzeugt, hatte den Ulmer Magistrat vermocht, beim Nördlinger Rathe Fürsprach einzulegen. Doch das half nicht viel. Denn der Stadtschreiber meinte, es sei gefährlich für die Reputation eines Gerichtes, Jemand achtundfünfzig Mal zu foltern und ihn schließlich nicht einmal etwas anbraten, geschweige verbrennen zu dürfen. Die Ulmer gaben aber keine Ruhe. Zu Regensburg war im selbigen Jahre ein wichtiger Reichstag und Kaiser Rudolf II. in Person gegenwärtig; der Gesandte von Ulm erhielt von seiner Stadt den Auftrag, bei dem Gesandten von Nördlingen zu Gunsten der Hollin zu intercediren, und da er auch hier anfangs abfuhr, so drohte er, Kaiser und Reich gegen die Nördlinger Rechtspflege in Harnisch zu setzen. Kannte die Hollin diesen Stand der Sache auch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0016"/> Folter gab er seine Unschuld nicht zu! Der Stadtschreiber meinte, wenn nur der Jörg Muckenhuber auch ein Weibsbild wäre, dann könnte man durch einen kühnen Mißgriff jenen als Hollin verbrennen und diese als Muckenhuber laufen lassen, so hätte ein Jedes seinen Willen und das Gericht sein Recht.</p><lb/> <p>Das Aergerlichste drohte aber dem Rath zu alle Diesem von fernher. Am südöstlichen Horizont, von Regensburg herüber, stieg nämlich ein schweres diplomatisches Unwetter auf. Maria Hollin war nicht von der Gasse aufgelesen, sondern eines Ulmer Amtmannes Tochter, und ihre angesehene Verwandtschaft in jener Reichsstadt, von der Unschuld der Beklagten überzeugt, hatte den Ulmer Magistrat vermocht, beim Nördlinger Rathe Fürsprach einzulegen. Doch das half nicht viel. Denn der Stadtschreiber meinte, es sei gefährlich für die Reputation eines Gerichtes, Jemand achtundfünfzig Mal zu foltern und ihn schließlich nicht einmal etwas anbraten, geschweige verbrennen zu dürfen. Die Ulmer gaben aber keine Ruhe. Zu Regensburg war im selbigen Jahre ein wichtiger Reichstag und Kaiser Rudolf II. in Person gegenwärtig; der Gesandte von Ulm erhielt von seiner Stadt den Auftrag, bei dem Gesandten von Nördlingen zu Gunsten der Hollin zu intercediren, und da er auch hier anfangs abfuhr, so drohte er, Kaiser und Reich gegen die Nördlinger Rechtspflege in Harnisch zu setzen.</p><lb/> <p>Kannte die Hollin diesen Stand der Sache auch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
Folter gab er seine Unschuld nicht zu! Der Stadtschreiber meinte, wenn nur der Jörg Muckenhuber auch ein Weibsbild wäre, dann könnte man durch einen kühnen Mißgriff jenen als Hollin verbrennen und diese als Muckenhuber laufen lassen, so hätte ein Jedes seinen Willen und das Gericht sein Recht.
Das Aergerlichste drohte aber dem Rath zu alle Diesem von fernher. Am südöstlichen Horizont, von Regensburg herüber, stieg nämlich ein schweres diplomatisches Unwetter auf. Maria Hollin war nicht von der Gasse aufgelesen, sondern eines Ulmer Amtmannes Tochter, und ihre angesehene Verwandtschaft in jener Reichsstadt, von der Unschuld der Beklagten überzeugt, hatte den Ulmer Magistrat vermocht, beim Nördlinger Rathe Fürsprach einzulegen. Doch das half nicht viel. Denn der Stadtschreiber meinte, es sei gefährlich für die Reputation eines Gerichtes, Jemand achtundfünfzig Mal zu foltern und ihn schließlich nicht einmal etwas anbraten, geschweige verbrennen zu dürfen. Die Ulmer gaben aber keine Ruhe. Zu Regensburg war im selbigen Jahre ein wichtiger Reichstag und Kaiser Rudolf II. in Person gegenwärtig; der Gesandte von Ulm erhielt von seiner Stadt den Auftrag, bei dem Gesandten von Nördlingen zu Gunsten der Hollin zu intercediren, und da er auch hier anfangs abfuhr, so drohte er, Kaiser und Reich gegen die Nördlinger Rechtspflege in Harnisch zu setzen.
Kannte die Hollin diesen Stand der Sache auch
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Zitationshilfe: | Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/16>, abgerufen am 16.02.2025. |