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Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Die vorher verhöhnte Zwiesprach mit der Unbekannten ward ihm zum süßen Bedürfniß. Drei Dinge begannen ihm das harte Herz zu bewegen: die Stille des Kerkers, in welcher er sich selber fand, die Stimme der Natur, tief unten herauf von den Fröschen im Graben, die ihm manchmal wie ein Lockruf zur verlorenen Waldesfreiheit des Landstreichers klang, und die Stimme nebenan aus mitfühlender Menschenbrust.

Doch blieb er fest bei seinem Satze, daß er auf Nördlinger Grund und Boden gehenkt werden wolle.

Nach etlichen Tagen kannte Jörg schon haarklein die Schicksale seiner Nachbarin, doch schwieg er immer noch hartnäckig über sein eigenes.

Die Alte war die reiche, kinderlose Wittwe des Kronenwirths, Maria Hollin. Mit sechzig Jahren mußte sie den Jammer erleben, als Hexe angeklagt zu werden. Eine reiche Hexe ist eine Rarität. Man hatte aber in Nördlingen seit fünf Jahren fast alle häßlichen und armen Weiber weggebrannt, und da jede Hexe Mitschuldige angeben mußte und der Eifer der Hexenrichter mit der Zahl der Scheiterhaufen wuchs, so kam die Reihe zuletzt auch an die schönen, jungen und reichen Frauen. Unglückliche Frauen gab es da genug, aber so unglücklich und so heldenhaft zugleich, wie Maria Hollin, war keine zweite. Sie hatte achtundfünfzig Mal auf der Folterbank gelegen und doch nichts gestanden! Wohl hatte Jörg Muckenhuber aus dem Ton ihres Gebetes richtig herausgehört, daß sie zehn Männer im

Die vorher verhöhnte Zwiesprach mit der Unbekannten ward ihm zum süßen Bedürfniß. Drei Dinge begannen ihm das harte Herz zu bewegen: die Stille des Kerkers, in welcher er sich selber fand, die Stimme der Natur, tief unten herauf von den Fröschen im Graben, die ihm manchmal wie ein Lockruf zur verlorenen Waldesfreiheit des Landstreichers klang, und die Stimme nebenan aus mitfühlender Menschenbrust.

Doch blieb er fest bei seinem Satze, daß er auf Nördlinger Grund und Boden gehenkt werden wolle.

Nach etlichen Tagen kannte Jörg schon haarklein die Schicksale seiner Nachbarin, doch schwieg er immer noch hartnäckig über sein eigenes.

Die Alte war die reiche, kinderlose Wittwe des Kronenwirths, Maria Hollin. Mit sechzig Jahren mußte sie den Jammer erleben, als Hexe angeklagt zu werden. Eine reiche Hexe ist eine Rarität. Man hatte aber in Nördlingen seit fünf Jahren fast alle häßlichen und armen Weiber weggebrannt, und da jede Hexe Mitschuldige angeben mußte und der Eifer der Hexenrichter mit der Zahl der Scheiterhaufen wuchs, so kam die Reihe zuletzt auch an die schönen, jungen und reichen Frauen. Unglückliche Frauen gab es da genug, aber so unglücklich und so heldenhaft zugleich, wie Maria Hollin, war keine zweite. Sie hatte achtundfünfzig Mal auf der Folterbank gelegen und doch nichts gestanden! Wohl hatte Jörg Muckenhuber aus dem Ton ihres Gebetes richtig herausgehört, daß sie zehn Männer im

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:09:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/14>, abgerufen am 29.03.2024.