Pocci, Franz von: Lustiges Komödienbüchlein. Bd. 4. München, 1871. Leonardo (tritt ein). Noch schlummert Alles im Palaste; aber mich trieb es vom Lager empor bei den ersten Strahlen des Morgens. Zu meiner holden Blume eilte ich, die gestern im Garten des Königs noch blühte. Aber wie erstaunt war ich? Sie war verwelkt, ihre Blätter abgefallen und verdorrt auf dem Boden umher, und mein närrischer Diener Casperl lag in tiefem Schlafe mitten darinnen. So komme ich denn zu dir, theures Bild, das ich mit Begeister- ung schuf, um mich in der Erinnerung an die Wirklichkeit in deinen Anblick zu vertiefen. Es ist so wunderbar, daß mir diese Blume, schon als ich sie das erstemal in der Oase sah, wie ein Wesen vorkam, das von einem menschlichen Geiste durch- weht ist. Aus ihrem weißen, reinen Blatte wehte es mich wie süßer Hauch an. Es war, als ob die Blume meine Geliebte, meine Braut wäre. Sanfter Harfenklang läßt sich vernehmen. Welch' zauberischer Klang! Kalasiris (spricht aus der Blume). Bist du von mir angezogen, Hat dein Herz dir nicht gelogen, Denn auch meines muß sich regen Dir dem Sehnenden entgegen. Leonardo (tritt ein). Noch ſchlummert Alles im Palaſte; aber mich trieb es vom Lager empor bei den erſten Strahlen des Morgens. Zu meiner holden Blume eilte ich, die geſtern im Garten des Königs noch blühte. Aber wie erſtaunt war ich? Sie war verwelkt, ihre Blätter abgefallen und verdorrt auf dem Boden umher, und mein närriſcher Diener Casperl lag in tiefem Schlafe mitten darinnen. So komme ich denn zu dir, theures Bild, das ich mit Begeiſter- ung ſchuf, um mich in der Erinnerung an die Wirklichkeit in deinen Anblick zu vertiefen. Es iſt ſo wunderbar, daß mir dieſe Blume, ſchon als ich ſie das erſtemal in der Oaſe ſah, wie ein Weſen vorkam, das von einem menſchlichen Geiſte durch- weht iſt. Aus ihrem weißen, reinen Blatte wehte es mich wie ſüßer Hauch an. Es war, als ob die Blume meine Geliebte, meine Braut wäre. Sanfter Harfenklang läßt ſich vernehmen. Welch’ zauberiſcher Klang! Kalaſiris (ſpricht aus der Blume). Biſt du von mir angezogen, Hat dein Herz dir nicht gelogen, Denn auch meines muß ſich regen Dir dem Sehnenden entgegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0044" n="38"/> <sp who="#LEO"> <speaker> <hi rendition="#b">Leonardo</hi> </speaker> <stage>(tritt ein).</stage><lb/> <p>Noch ſchlummert Alles im Palaſte; aber mich<lb/> trieb es vom Lager empor bei den erſten Strahlen<lb/> des Morgens. Zu meiner holden Blume eilte ich,<lb/> die geſtern im Garten des Königs noch blühte.<lb/> Aber wie erſtaunt war ich? Sie war verwelkt, ihre<lb/> Blätter abgefallen und verdorrt auf dem Boden<lb/> umher, und mein närriſcher Diener Casperl lag<lb/> in tiefem Schlafe mitten darinnen. So komme ich<lb/> denn zu dir, theures Bild, das ich mit Begeiſter-<lb/> ung ſchuf, um mich in der Erinnerung an die<lb/> Wirklichkeit in deinen Anblick zu vertiefen. Es iſt<lb/> ſo wunderbar, daß mir dieſe Blume, ſchon als ich<lb/> ſie das erſtemal in der Oaſe ſah, wie ein Weſen<lb/> vorkam, das von einem menſchlichen Geiſte durch-<lb/> weht iſt. Aus ihrem weißen, reinen Blatte wehte<lb/> es mich wie ſüßer Hauch an. Es war, als ob die<lb/> Blume meine Geliebte, meine Braut wäre.</p><lb/> <stage> <hi rendition="#c">Sanfter Harfenklang läßt ſich vernehmen.</hi> </stage><lb/> <p>Welch’ zauberiſcher Klang!</p> </sp><lb/> <sp who="#KAL"> <speaker> <hi rendition="#b">Kalaſiris</hi> </speaker> <stage>(ſpricht aus der Blume).</stage><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Biſt du von mir angezogen,</l><lb/> <l>Hat dein Herz dir nicht gelogen,</l><lb/> <l>Denn auch meines muß ſich regen</l><lb/> <l>Dir dem Sehnenden entgegen.</l> </lg> </lg> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0044]
Leonardo (tritt ein).
Noch ſchlummert Alles im Palaſte; aber mich
trieb es vom Lager empor bei den erſten Strahlen
des Morgens. Zu meiner holden Blume eilte ich,
die geſtern im Garten des Königs noch blühte.
Aber wie erſtaunt war ich? Sie war verwelkt, ihre
Blätter abgefallen und verdorrt auf dem Boden
umher, und mein närriſcher Diener Casperl lag
in tiefem Schlafe mitten darinnen. So komme ich
denn zu dir, theures Bild, das ich mit Begeiſter-
ung ſchuf, um mich in der Erinnerung an die
Wirklichkeit in deinen Anblick zu vertiefen. Es iſt
ſo wunderbar, daß mir dieſe Blume, ſchon als ich
ſie das erſtemal in der Oaſe ſah, wie ein Weſen
vorkam, das von einem menſchlichen Geiſte durch-
weht iſt. Aus ihrem weißen, reinen Blatte wehte
es mich wie ſüßer Hauch an. Es war, als ob die
Blume meine Geliebte, meine Braut wäre.
Sanfter Harfenklang läßt ſich vernehmen.
Welch’ zauberiſcher Klang!
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Hat dein Herz dir nicht gelogen,
Denn auch meines muß ſich regen
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Zitationshilfe: | Pocci, Franz von: Lustiges Komödienbüchlein. Bd. 4. München, 1871, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pocci_komoedienbuechlein04_1871/44>, abgerufen am 28.07.2024. |