Vorſpiel.
Gemach auf Ritter Eckart’s Burg. Morgendämmer-
ung. Siglind liegt auf einem Ruhebette. Eine Lampe
brennt neben ihr. Man hört die Thurmwächter den
Morgengruß blaſen.
Siglind (fährt vom Schlafe auf.)
Es graut der Tag, der Wächter grüßt den Morgen.
Weh mir, daß ich erwach’ zu Leid und Sorgen!
War auch gebannt der Schmerz durch Schlummers
Nacht,
Des Tages Grau’n hat wieder ihn geweckt.
Allmählig wird die Bühne vom Morgenroth erhellt. Die Lampe erliſcht.
Was glüh’ſt du mir in mein Gemach herein
Verhaßtes Licht? Dein Schimmer iſt mir Pein;
Du kündeſt des Bewußtſeins klare Helle,
Daß immer ſtröme meines Unheils Quelle.
(Wirſt ſich wieder auf’s Lager.)
Ritter Eckart tritt ein,
Eckart.
Noch ſchläft ſie. Jhr zur Ruhe, mir zum Troſt
Denn wahrlich kaum ertrag’ ich ihren Wahn.
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Siglind (auffahrend.)
Nein! ſie ſchläft nicht! Vermöchte ſie’s für immer!
Dann wäre aller Gram mit ihr begraben.
Eckart.
Der Gram? O ſage lieber doch Verblendung.
Siglind.
Dir freilich ſcheint Verblendung Weibes Leid.
Wie ſollte auch in Männerbruſt ein Herz
Sich regen zarter Art und feinen Sinnes?
Dem Mann genügt’s, ſieht er ſein eigen Leben
Erneut in Söhnen, die ihn rings umgeben.
Was kümmert’s ihn, daß ſeinem treuen Weibe
Die Tochter fehlt, in der ſie ſich erkennt?
Eckart.
Wie? alſo ſollt’ ich mich der ſieben Söhne,
Die Gott durch dich mir hat geſchickt, nicht freu’n?
Jch ſollte ſchmählich jammern, daß nicht auch
Ein Mägdlein mir geboren ward? Ei was!
Gott wollt’ es ſo, drum laß’ dein ewig Klagen,
Das mir die Luſt vergällt am eig’nen Leben.
Siglind.
Jch laſſe gern die Luſt dir an den Söhnen;
Wie lange währet die? ſie ſtürmen fort!
Leer wird das Haus. Jetzt ſind ſie wohl noch Kinder;
Der Jahre raſcher Flug macht ſie zu Männern.
Dir mag’s gefallen; aber ich, dein Weib,
Soll leben alle Zeit in Einſamkeit?
Mir gönneſt du kein Kind, das mir verbleibe —
Kein Weſen, daß ſich innig an mich ranket —
Die Tochter nicht, der Mutter Herzensfreude?
Eckart.
Was ſollt’ ich’s nicht? Doch habe nur Geduld;
Wer weiß, ob nicht dein Wunſch ſich noch erfülle?
Siglind.
Nein! nimmermehr! Schon längſt wär’s Zeit ge-
weſen,
Daß ich von einem Töchterlein geneſen;
Ein bös Geſchick verfolgt mich —
Eckart.
Laß die Thorheit!
Der Himmel könnte, deines Jammers müde,
Wohl dich und mich in unſ’ren Söhnen ſtrafen,
Die er uns gnädig gab. Drum danke lieber,
Statt durch der Klage Ungeſtüm zu freveln.
Siglind (immer heftiger.)
Und Spott noch, Hohn des armen Weibes Kummer?
Dieß iſt ſo Mannes Art! O könnt’ ich Alle
7*
Verwünſchen, die doch nur an Frauenſchwäche
Sich weiden.
Eckart.
Schweige thöricht Weib! Genug
Hab ich an deinem Wahn.
Siglind.
Und ich genug
An deines Herzens Härte und der Selbſtſucht,
Die deiner Söhne Mutter von ſich ſtoßt.
Fürwahr — Gott hör’ es! — Dieſe ſieben Buben
Gäb’ ich um Eine Tochter hin. Jn Raben
Verwandelt dürften ſie des Schloſſes Zinnen
Umſchwirren, läg’ ein Mägdlein in der Wiege,
Das mir mit holden Aeuglein lieblich winkte.
Jch ſag’s: in Raben ſeien ſie verwünſcht,
Wenn — —
Donnerſchlag. Die Fee Hulda erſcheint.
Hulda.
Sie ſind es! Mutterfluch iſt Zaubermacht.
Sie ſind’s! Blick’ auf: Dein Wort iſt dir erfüllt.
Aus ihren Bettlein ſchweben ſie, nun höre
Den Flügelſchlag der ſieben ſchwarzen Vögel:
Die eig’nen Kinder ſind’s die du verwünſcht!
Sieben Raben fliegen in’s Gemach, kreiſen einige Male umher und ver-
ſchwinden. Siglind und Eckart ſinken zu Boden.
Hulda.
Doch wie dein Fluch erfüllt, ſei auch gewährt
Dein Wunſch und binnen eines Jahres Friſt
Wird dir ein Töchterlein am Buſen liegen.
O pfleg’ es gut und wahr’ es wohl! Die Brüder
Vielleicht vermag’s einmal durch Schweſterliebe
Vom böſen Zauber wieder zu befrei’n.
Du aber trage zur erfüllten Luſt
Den Schmerz auch in zerfleiſchter Mutterbruſt,
Daß du die eig’nen Söhne Preis gegeben
Um eines Töchterleins erſehntes Leben.
(Verſchwindet.)
Eckart.
Weh dir, o Weib!
Siglind.
Weh mir! Mein kühnes Wort
Hat ſich erfüllt. O meine theuren Söhne!
Fort ſeid ihr! fort! Nun bin ich ja fürwahr
Die Rabenmutter, die ſich ſelbſt verflucht!
(Der Vorhang fällt.)
Ende des Vorſpieles.I. Aufzug.
Waldestiefe. Jm Hintergrund eine ſchlechte Holzhütte.
Casperl liegt auf einem Sitze im Vordergrund, reckt und dehnt ſich
gähnend aus dem Schlafe.
Casperl.
Das heißt einmal g’ſchlafen! aus lauter Mü-
digkeit vom Faulenzen. Aber nein. Jſt das nicht
eine bedeutende Arbeit? Jn der Fruh ſpät auf-
ſtehen, bis man ſich bald wieder legt zum Mittags-
ſchlummer, aus dem man ſich wieder erhebt, um
ſich Abends abermals niederzulegen, damit man
Nachts beſſer ſchlaft? Jſt das kein Geſchäft, ein
ſchönes junges Fräulein zu bewachen, damit ihm
nichts Uebles geſchieht in dieſer langweiligen Wild-
niß, in der man ſich zwiſchen Nachteulen und Bä-
ren bufindet und in der wir nun einſiedleriſch oder
vielmehr zweiſiedleriſch ſchon einige Zeit hauſen?
(Geht an die Hütte und ſchaut durch’s Fenſterchen hinein.) Da ſitzt ſie
wieder und ſpinnt und näht drauf los, wie eine
Nahderin auf der Stör. Jch muß ſie nur ein bißl
aufhören machen. Sie wird mir ja noch ganz
krum und bukelt vor lauter Näh’n.
(Klopft an’s Fenſter.)
Lieb’s Fräulein! ſetzen S’ doch a bißl aus. Preſ-
ſirt’s denn gar ſo? Kommen S’ a wenig heraus
an die friſche Luſt. Es wird ohnedieß ſchon Abend
und ’s iſt Zeit, daß Sie Feierabend machen. Es
iſt außerordentlich kühl und angenehm.
Elsbeth (von Jnnen.)
Jch komme ſchon. Nur noch ein paar Stiche am
ſiebenten Hemdlein. Gleich, gleich komm ich!
Casperl.
Am ſiebenten Hemd! Jetzt hat ſie ſchon
ſechs Hemdeln geſponnen und genäht. Kein Menſch
weiß warum und für wen. Für mich können’s
nicht gehören; ich bin etwas zu corpulent für das
Maas. Für den ſchönen Jäger, der bisweilen
vorbeikommt und immer zuſpricht, werden’s wohl
auch nicht gehören — oder vielleicht hat er’s doch
bei ihr beſtellt? Ueberhaupt, die ganze Geſchicht iſt
ſehr curios: die Raben, die alleweil aus- und ein-
fliegen und die das Fräulein herzt und ſtreichelt.
Kurz, ich kenn mich gar nicht aus. Ah, jetzt kommt
ſie heraus.
Elsbeth in einfach grauem Gewande tritt aus dem Hüttchen. Zugleich
ſchweben ſieben Raben aus dem Fenſter.
Elsbeth.
Welch’ ſchöner Abend! Wie herrlich dort die
Abendſonne die Bäume vergoldet.
Casperl.
Vergoldet? Das muß eine galvaniſche Vergold-
ung ſein. Das Gold wird über Nacht immer
wieder weggewiſcht und ich hab’ noch nicht Einen
Ducaten g’funden von dem Abendgold.
Elsbeth.
Wie du wieder ſchwatzeſt, Casperl!
Casperl.
Da heißt’s immer, ich ſchwatz dummes Zeug.
Was hätt’ ich denn in der Waldwildniß, wo man
ſich bei jedem Schritt die Naſen an en Baum an-
rennt, für einen Diskurs, wenn ich nicht mit mir
ſelbſt a bißl reden könnt? Sie reden ja manchen
Tag kein Sterbenswörtl, höchſtens nur was grad
ſein muß:
(mit feiner Stimme ein Frauenorgan nachäffend.) „Cas-
perl, hol’ mir Waſſer an der Quelle!‟ — „Cas-
perl, putz’ mir die Schuhe!‟ — „Casperl ſei ſtill!‟
(Mit gewöhnlicher Stimme.) Anders hör’ ich Nichts aus
Jhrem holden Munde; bisweilen machen S’ en
rechten Herzensſeufzer, und nachher ſteh’ ich halt
da und kann Fliegen fangen. Bin ich denn nicht
Jhr getreuer Leibknappe, der mit Jhnen in die
Einſamkeit geflohen iſt?
Elsbeth.
Jch weiß es wohl, guter Casperl. Sollt’ ich
je vergeſſen, daß du es warſt, der mich aus der
brennenden Burg gerettet hat, in deren Flammen
meine unglücklichen Eltern, mein guter Vater Eckart
und meine liebe Mutter Siglind ihren Tod gefun-
den haben.
Casperl.
Ja, damals, als der Blitz eingeſchlagen hat und
Alles zu Grund gegangen iſt, waren Sie ein klei-
nes Wuzerl von 10 Jahren.
Elsbeth.
Biſt nicht du mir treu hieher gefolgt? Du biſt
es, der mich hier bewacht und kümmerlich mit mir
lebt. Jch werde dir mein Leben lang dankbar ſein.
Casperl.
Was das kümmerliche Leben anbelangt, ſo kann
ich mich wirklich nicht darüber beſchweren, denn das
Hungerleiden hab’ ich gelernt. Mich wundert’s
nur, daß ich nicht die Abzehrung krieg’. Gebratene
Nußhäher ſind noch unſere delikateſten Biſſen. Hätt’
ich nicht aus dem brennenden Schloſſe mit Lebens-
gefahr noch ein Kaſtl voll Goldſtückeln gerettet, ſo
wären wir ſchon lang alle zwei verhungert. Und
da muß ich zwei Stunden weit ganz heimlich in
die Stadt laufen und Brod und Eier holen. Näch-
ſtens ſperren s’ mich aber doch amal ein, weil die
Polizei mich als ein verdächtiges Subjekt, als ein
verloffenes Weiſel oder einen Vagabunden anſieht.
Jch muß immer meinen rothen Spenſer umgekehrt
tragen, damit ich in einer Art Verkleidung die
Commiſſionen mach’; denn der Casperl Larifari iſt
ja überall bekannt, wie’s ſchlechte Geld.
Elsbeth.
Geduld, Geduld, Casperl! Der Tag iſt viel-
leicht nicht mehr ferne, daß wir beide erlöſt werden.
Casperl.
Aha! Jch merk’ was.
(Jn erhabenem Tone.) Sollte
dieſer oder jöner ruthſelhafte Jägersmann etwa als
Befreier auftröten? Sollte unſere Oinſamkeit durch
eine brillante Entführungsſcene mit Dſchindſchin
Pumdadara ihr Ende finden? Ha! —
(Jn Poſitur.)
Welche Jdee! Sollte die Vurwirkelung zwoier Her-
zen ſich in der ſtillen Oinſamkeit dieſer Waldpar-
zelle — —
Elsbeth.
Jch bitte dich, ſchweige. Sprich’ nicht ſo tolles
Zeug.
Casperl.
Was? tolles Zeug? Bin ich nicht Jhr Wäch-
ter? Jhr Buſchützer? Wenn ſich der unbekannte
Forſtgehilfe, und wenn er auch Revierförſter iſt,
nicht bald erklärt, ſo werde ich mir dieſe Viſiten,
im bayeriſchen Alpenlande „Fenſterln‟ genannt,
ernſtlich verbieten und mit einem Prügel Schild-
wacht ſtehen.
Elsbeth.
Beruhige dich, Casperl. Du haſt Nichts zu
fürchten und bald wird dir Alles klar werden.
Casperl (hat in die Ceuliffe geblickt.)
Da haben wir ihn ſchon wieder! Wird der
Wolf genennt, ſo kommt er gerennt. G’rad ſteigt
er ab von ſeinem ſchönen Schimmel und bind’t die
Zügel an die große Buche. Er kommt ſchon.
Albert (in ritterlicher Jägertracht, eilt herein.)
Meine Elsbeth!
Elsbeth.
Mein Albert!
(Sie reichen ſich die Hände.)
Casperl.
Jetzt kommt das bekannte Duett, bei dem ein
Dritter immer unnöthig iſt. Alſo entferne ich mich
und ſchlaf’ zur Abwechslung ein halbes Stünd’l
in meinem Kammerl.
[Ab in die Hütte.]
Albert (zu Elsbeth.)
Gott grüße dich! heut iſt’s das letzte Mal,
Daß ich dir nahe hier im Waldesthal.
Elsbeth.
Das letzte Mal? Ach, wie mag mir geſcheh’n?
Dich, Theuren, ſoll ich nimmer wieder ſehen?!
Albert.
Nicht treulos bin ich. Nein! es kam die Stunde,
Jn der ich heim dich führ’ zum heiligen Bunde.
Elsbeth.
O liebe Seele! Mich, die arme Maid
Soll zieren nun das bräutliche Geſchmeid?
Du willſt mich mit dem Blumenkranze ſchmücken?
O nein! mir nicht gebühret ſolch’ Beglücken.
Wie du mir haſt bekannt, in dieſen Gauen
Herrſcht deine Mutter. Sollte ich vertrauen,
Daß du, der Herzogsſohn, ſich ſein Gemahl
Erwähl’ aus dunklen Waldes ſtillem Thal?
Albert.
Frei bin ich, glaub’ es. Du, nur du allein
Sollſt die Gefährtin meines Lebens ſein.
Doch, da ich dich gewählt und dich gefreit,
O ſage: naht nicht heute doch die Zeit,
Daß du dein Schweigen brächſt, mit holdem Mund
Mir endlich Stamm und Abkunft gäbeſt kund?
Elsbeth.
O frage nimmer! Noch iſt nicht gekommen
Der Tag, an dem den Lippen wird genommen
Des Eides herbe Pflicht. Noch muß ich ſchweigen.
Albert.
Und dennoch muß mein Herz ſich treu dir neigen,
Wer du auch ſei’ſt, du biſt der Engel mein
Und deine Heimath muß der Himmel ſein!
[Umarmt ſie.]
Elsbeth.
Noch kurze Zeit — und ich darf dir mich nennen,
Weß’ Stammes ich. Dann magſt du mich erkennen.
Albert.
So ſchweige immerhin. — Doch fort! Beſteige
Mein Rößlein nun, daß wir bei Tages Neige
Jn Sternenpracht und Mondenſilberſchein
Jns herzogliche Schloß noch ziehen ein.
Casperl
[der, aus der Thüre tretend, die letzten Worte gehört hat.]
Wie? was? Herzogliches Schloß! hab’ ich recht
gehört?
Albert.
Du haſt recht gehört. Folge deiner Herrin.
[Albert führt Elsbeth hinaus.]
Es iſt mittlerweile Nacht geworden. Sterne und Mond ſtehen am Himmel.
Casperl [auf- und ablaufend.]
Da möcht’ Einer ja närriſch werden. Der
Jäger iſt alſo ein Herzog. Ah, natürlich, er iſt
ja alleweil hergezogen. Das iſt aber ſo viel,
wie ein Prinz, eine ſogenannte Durchlaucht. Und
mein liebes Fräulein wird Prinzeſſin. Und ich bei
dieſer Gelegenheit nicht viel mehr und nicht viel
weniger als Hoflakai! Da heißt’s aufpacken!
G’ſchwind hinein!
[Ab in die Hütte.]
Albert tritt ein, am Zügel den Schimmel führend, auf welchen Elsbeth ſitzt.
Elsbeth.
Leb wohl nun, liebe Einſamkeit,
Wo ich gelebt in ſtillem Leid!
Lebt wohl, all ihr Waldvögelein,
Jch laß’ euch hier im Grün allein.
Jch ziehe fort. Mög’ allerwegen
Mich ſchützen Gottes heil’ger Segen!
[Albert und Elsbeth ziehen hinaus.]
Casperl
[mit einem Schiebkarren, auf welchen verſchiedene Gegenſtände geladen ſind:
Caffemaſchine, Keſſel ꝛc. ꝛc.
Leb wohl, du ſtille Einſamkeit;
Jch ziehe fort, weiß nicht wie weit!
Leb wohl, o du Langweiligkeit,
Jch hoff’ ’s kommt eine beſſ’re Zeit!
[Ab.]
Nun wird der Wald magiſch erleuchtet; Waldblüthen und Blumen
in Transparentlicht.
[Die Fee Hulda erſcheint.]
Hulda.
So fahre hin, du holde Maid!
Es harret dein ſo manches Leid.
Nur kurze Zeit bleib noch verſchwiegen
Und dann wird deine Treue ſiegen.
Die ſieben Jahr’ ſind bald zu Ende,
Geſponnen haben deine Hände
Die Hemdlein all’ mit Liebesfleiß
Wie es des Zaubers war Geheiß.
Bald ſollen deine Brüderlein
Nicht mehr die ſchwarzen Raben ſein!
Sie werden in die Hemdlein weiß
Sich kleiden dir zum Siegespreis.
Sie werden ihr lieb’ Schweſterlein
Aus Noth und Jammer dann befrei’n.
Drum ziehe hin, du holde Maid
Bald iſt vergangen alles Leid!
(Der Vorhang fällt langſam.)II. Aufzug.
Feſtlich geſchmückter Saal in der herzoglichen Burg.
Herzogin Kunigunde, Albert (im kurzen Herzogs-
mantel), Elsbeth (im Brautgewande) treten ein,
während hinter der Scene Trompetenfanfaren erſchal-
len und das Geläute der Kirchenglocke allmählig
verhallt.
Herzogin Kunigunde.
Nun, Elsbeth, biſt du meinem Sohne angetraut
und Tochter biſt du mir; komm’ an mein Herz!
Elsbeth [vor Kunigunde niederknieend.]
Es iſt der Gruß der Liebe und der Demuth.
Sieh’ mich zu deinen Füßen, Herzogin!
Kunigunde.
Steh’ auf, mein Kind!
Elsbeth.
Wie könnt’ ich dir es danken, edle Frau, daß
du mich ſo huldreich aufgenommen haſt? Mich
die Unbekannte, die dein Sohn wie ein einſam
ſtillblühend Blümlein im Walde gefunden. Mich
die Arme, Verlaſſene!
Kunigunde.
Jch weiß es, daß mein Albert nicht im Stande
wäre, ungefüge Wahl zu treffen, eine Gemahlin
heimzuführen. Sein Herz, ſein edler Sinn bür-
gen dafür. Aus deinem Weſen aber, Eliſabeth,
ſpricht nur Edles und Gutes. Und darum auch
kamſt du mir willkommen.
Elsbeth.
Wahrlich, du ſollſt in deinem Vertrauen nicht
getäuſcht werden. Nicht gereuen ſoll es dich, daß
du alſo gehandelt.
Albert.
O deſſen bin ich gewiß. Wie ein Sternblüm-
lein habe ich dich in grüner Heimath gefunden
und als mein Lebensſtern biſt du, mein Weib,
hier eingezogen.
Elsbeth.
Noch ſchließt ein wunderbar Verhängniß meine
Lippen. Verzeiht mir! Aber mein Mund wird
ſich aufthun, wenn ein Gelöbniß erfüllt iſt. Ver-
künden werd’ ich meines Stammes Reinheit. Gott
gebe, daß es bald geſchehen darf.
Kunigunde.
Wohl hatte ich vor eurer Trauung viel der
herben Worte zu hören von meinem Schwager, dem
8
Grafen Wolfram. Allein mein Mutterherz war ge-
wappnet gegen alle Einſprüche. Sollte ich denn
grauſam dem Glücke meines Sohnes entge-
gentreten? Nimmermehr!
(zu Albert.) Jſt es nicht
deine eigene Sache, Albert, zu deinem Glücke
dir ein Eh’gemahl zu wählen. Ebenſo aber wäre
es auch deine eigene Sache, hätteſt du nicht
ſo gewählt, wie es ſich geziemt. Du trügeſt zu-
nächſt die Folgen, mir bliebe alle Verantwortung
fern.
Elsbeth.
Mein Herz iſt reinen Bewußtſeins; mein feſter
Wille, Albert glücklich zu machen.
Albert.
Theure Elsbeth! wie könnt’ ich jemals daran
zweifeln? Eine Seele und ein Herz ſind wir.
Kunigunde.
Dort kommt mein Schwager durch den Säu-
lengang herauf. Entfernt Euch Beide. Jn Zornes-
muth wollte er Eurer Trauung nicht anwohnen.
Geh’t; zuvor ſoll er mich allein treffen.
(Elsbeth und Albert ab.)
Graf Wolfram tritt heftigen Schrittes ein.
Wolfram (höhniſch.)
Nun denn! ſo iſt das Glück begründet. Der
Bund iſt geſchloßen.
Kunigunde.
Allerdings. Elsbeth iſt meines Sohnes Ge-
mahl.
Wolfram (ſpottend.)
Glück auf! Jetzt tragt eine fahrende Dirne,
eine unbekannte Magd den herzoglichen Purpur.
Kunigunde.
Die Frage bleibt immer, ob der Purpur den
Menſchen ſchmückt, oder ob nicht der Menſch
den Purpur ziert.
Wolfram.
Auf ſolchen Schultern könnte der weiße reine
Hermelin, den Eure Ahnen trugen, doch vergilben.
Wer kennt denn die holde Unbekannte? Kam ſie
etwa aus einem Zauberlande? Ward ſie von Sil-
berſchwänen hergetragen? — Vielleicht eine Wald-
fei? Nein, nein! Sie iſt wohl eines Köhlers Kind.
Das junge Herrlein fand ſie ja im tiefen Walde?
Gut, daß ſie ſich noch vor der Hochzeit den Ruß
des Kohlenmeilers abgewaſchen. Nun hat ſie wohl
eine ſchöne weiße Haut? Ha, ha, ha!
(Lacht höhniſch.)
Es iſt ein wahrer Jammer, dieſe Herzogshochzeit!
Kunigunde.
Kein Spott! kein Hohn, Graf Wolfram! Els-
beth iſt nun meines Sohnes Weib, ſie iſt meine
8*
Tochter. Vor des jungen Herzogs Gemahl habt
Jhr Eure Knie zu beugen.
Wolfram.
Das werd’ ich nicht thun; denn ſie wird mich
nie erblicken. Doch — um ihretwillen, um der
fremden Dirne willen — —
(die Herzogin macht eine ſtra-
fende Bewegung.) verzeiht, ſie war es, jetzt iſt ſie
freilich Herzogin — um ihretwillen habt Jhr euer
Wort gebrochen; das Verſprechen habt Jhr mir
gegeben, daß Euer Sohn, Herzog Albert, meine
Tochter heimführen ſollte. So war’s beſchloſſen
unter uns Beiden, ſo war’s abgemacht! Habt
Jhr das vergeſſen, Frau Herzogin?
Kunigunde.
Nein, Graf Wolfram. Nicht vergeſſen hab,
ich’s. Allein das Gelöbniß, daß mein Sohn Eure
Tochter als Gemahl heimführe, galt nur die Zeit
ſeiner Minderjährigkeit und da Jhr noch ſein
Vormund geweſen. Da konnt’ ich Einſprache
thun gegen jedes andere Verlöbniß; jetzt aber, da
Albert ſeit zwei Monden mündig, iſt er ſein
eigener Herr in allen Dingen. Er iſt der regie-
rende Herzog und ich habe keine Macht, kein Recht
gegen ſeine Wahl Einſpruch zu thun.
Wolfram.
Wahrlich, an Euch iſt eine Anwalt verloren.
Jhr ſprechet trefflich für eine ſchlechte Sache. Jmmer
wär’ es noch an Euch, der Mutter geweſen, den
Sohn durch mütterlichen Rath zu recht zu weiſen;
Euch hätt’s geziemt, Alles aufzubieten, daß Albert
das Verſprechen erfülle, welches Jhr für ihn ge-
geben hattet.
Kunigunde.
Des Mannes Herz iſt frei; frei die Wahl der
Gemahlin.
Wolfram.
Frei, ſagt Jhr? Dießmal nicht, mein’ ich;
denn er ward behext: das nennt Jhr eine freie
Wahl, wenn Liebeszauber des Mannes Sinne
feſſelt?
Kunigunde.
Verläumdung! ſchmachvolle Lüge! Aus Euch,
Graf Wolfram, ſprechen nur Unmuth und Haß.
Wolfram.
Nun denn! mög’ das Ehebündniß Euch zu Nutz
und Frommen ſein. Jch lache dazu, wie’s noch
kommen mag.
Kunigunde (in eblem Zorne.)
Lebt wohl, Graf Wolfram! Jch habe Nichts
mehr mit Euch zu reden. Wir ſtreiten um Nichts;
drum laßt uns enden.
(Geht raſch ab.)
Wolfram (allein.)
Um Nichts? Das wird ſich zeigen. Geh’
nur, bethörtes Weib! Die Strafe bleibt nicht aus
und dazu ſoll meine Rache das Feuer ſchüren.
(Ruft hinaus.) Heda, Etzel, herein!
Etzel tritt ein.
Wolfram.
Sind die Roſſe geſattelt? Jch will aufbrechen;
Gleich, gleich will ich heimreiten.
Etzel.
Die Gäule ſteh’n bereit. Aber ich möcht Euch
rathen, noch zu verweilen. Hab’ Allerhand ſchon
erlauſcht und gehört.
Wolfram.
Was gibt’s? Jch will aber fort. Mein iſt
des Bleibens hier nicht länger.
Etzel.
Wartet, wartet nur eine kleine Friſt noch. Hört:
Kaum iſt die ſchöne junge Herzogin im Schloße,
munkelt’s ſchon mancher Seiten, es ſei nicht rich-
tig mit ihr.
Wolfram (überraſcht.)
Still, daß dich Niemand höre! ſprich leiſe.
Etzel (geheimnißvoll.)
Laßt Euch nur ſagen, gnädiger Herr Graf:
Primo oder zum Erſten: Der Burgwart, dem ich
einen Trunk bezahlt, erzählte mir ganz insgeheim:
Als die Braut auf dem Schimmel des jungen
Herzogs, der ihn ſäuberlich am Zügel führte, über
die Zugbrücke ſtattlich einritt, ſei eine Schaar kohl-
ſchwarzer Raben hinter ihr drein geſchwebt und als-
bald in ihr Kemenat durch’s offene Fenſter eingeflogen.
Wolfram.
Wie? was? eine Schaar Raben, ſagſt du?
hinter Elsbeth geflogen? Mit ihr eingezogen?
Etzel.
So war’s, Der Burgwart hat’s mit eigenen
Augen geſeh’n.
Wolfram.
Galgenvögel? Unglücksvögel? Hexengethier?
Etzel.
Ein paar Söldner, die am Thore Wache ſtan-
den haben’s auch geſeh’n. Sie ſchwören darauf,
wenn Jhr wollt.
Wolfram.
Wichtige Botſchaft. Aber, weiter, weiter — —
Etzel.
Secundus oder zum Zweiten: Jſt ein verdäch-
tiger Burſch, angeblich der Knapp und Diener der
jungen Herzogin, mit eingefahren. Ein Schalk,
wie ich noch keinen ſah; ein feiger Hund, ein
ſchlauer Hallunk abſonderlicher Art, ſo ein Teufels-
kerl. Wie geſagt, ’s iſt nicht richtig mit der jun-
gen Herzogin. Mit Verlaub geſprochen: es ſieht
verdammt hexenhaft her. Wär’s denn unmöglich,
daß ſie den guten jungen Herrn bezaubert hat?
Wolfram.
Er ritt oft in den Wald — ohne Zweifel zu
ihr; denn er wollte nie einen Waidknecht mitneh-
men oder wenn er Jäger bei ſich hatte, entfernte
er ſich vom Troß und kehrte oft ſpät in der Nacht
allein zurück, wie ſinnverwirrt. Das weiß ich von
ſeinen Knappen.
Etzel.
Wie wär’s, wenn Jhr — ich ſag’ das Alles
um Euer verlaſſen lieb Fräulein willen — wie wär’s,
wenn Jhr dem tollen Burſchen etwas auf den
Zahn fühlen wolltet? Jch bring ihn Euch herein.
Er trinkt gleich da draußen auf der Türnitz mit
den Knechten.
Wolfram.
Du biſt ein kluger Diener. Thu’ das, ruf’
ihn herein.
Etzel.
Soll gleich geſcheh’n.
(Ab.)
Wolfram (allein).
So ſcheint der Rache Weg gebahnt. Meine
verlaſſene Tochter! du ſollſt gerächt werden. Els-
beth muß fallen.
(Casperl tritt unter Verbeugungen mit Etzel ein.)
Wolfram.
Da biſt du ja. Jch muß doch mit den Leib-
knappen der jungen Frau Herzogin, meines theuren
Neffen geliebter Gemahlin, Bekanntſchaft machen.
Du gehörſt jetzt in’s Haus.
Casperl (als ob er taub wäre.)
Ja, unterthänigſt zu melden, ich bin wirklich
wie eine Maus daherein gekommen.
Wolfram.
Wie lange biſt du ſchon bei deiner Gebieterin
Knappe?
Casperl.
Mit Vergunſt gehorſamſt aufzuwarten, es war
kein Rappe, ein Schimmel war’s, auf dem
wir eingeritten ſind und zwar der Schimmel des
jungen Herzogs.
Wolfram.
Verſtehe recht: Jch fragte um deine Dienſtzeit:
wie lange du — —?
Casperl (ihn unterbrecheud.)
O ich bitte, eigentlich iſt mir gar nicht bang
um mich; ich hab hier mein gut’s Eſſen, und trin-
ken kann ich, ſo viel ich mag. Das iſt bei mir
immer die Hauptſach’.
Wolfram (zu Etzel bei Seite.)
Jſt er taub, der Burſch? oder thut er nur ſo?
Er ſcheint mir ein arger Schalk.
Casperl.
Ja, einen Talken hat mich mein Fräulein —
jetzt unſ’re Frau Herzogin — ſchon oft genannt.
Etzel.
Mit etwas Geld wird’s mit dem Hören beſſer
gehen.
Wolfram (zu Casperl.)
Armer Burſch! Du biſt ja taub.
Casperl.
Ja, wenn das Laub abfallt, da wird’s bald
Winter werden.
Wolfram.
Nun, es ſoll mich freuen, wenn der Winter
Gutes bringt. Vor der Hand macht der Sommer
die Kehlen trocken.
(Wirft ihm eine Börſe zu.) Da haſt
du Etwas zu einem guten Trunk auf das Wohl
des jungen Ehepaares. Magſt nach Herzensluſt
deinen Durſt löſchen.
Casperl.
Unterthänigſt aufzuwarten — eine Wurſt iſt
immerhin gern mitzunehmen, wenn ſie nur vorn
und hinten zugebunden iſt. Mach meine gehorſamſte
Dankſagung.
Wolfram (zu Etzel.)
Der Kerl iſt unerträglich.
(laut zu Casperl.) Nun,
im Vertrauen, ich gehöre ja zur Sippſchaft; denn
ich bin der alten Frau Herzogin leiblicher Bruder
— im Vertrauen: wo iſt denn eigentlich der Her-
zogin Elsbeth Heimath?
Casperl (großartig.)
Ha! woher? — Dieſes Gehoimniß iſt öben
die Frage, die in dem Dunkel des Waldes neben
jöner ſtillen Hütte bei der Dämmerung des blin-
kenden letzten Mondviertels nach dem Aufgang der
untergehenden Sonne des erſten halben Jahres in
dem Buſen der Natur begraben bloiben muß; kurz:
ich woiß es nicht, und wenn ich es woißte,
ſo — —
Wolfram.
Du biſt ein Narr!
(raſch ab.)
Etzel.
Du haſt meinen Ritter durch dein Benehmen
ſehr aufgebracht und beleidigt.
Casperl.
Beleidigt oder beluidigt — ich bin und bleib’
der Casperl Larifari und laß’ mich nicht aus-
fratſcheln.
Etzel.
Aber du kannſt dir doch denken, daß meinem
Herrn daran liegt, zu erfahren, wer die junge Her-
zogin iſt.
Casperl.
Ob’s ihm daranliegt, ober ob ſie ihm nicht
daranliegt, mir iſt es einerlei. Jetzt bin ich amal
da und bleib da und weißt was, Bruder? Jetzt
gehen wir zum Jmbiß, wie die Herren Ritter zu
ſagen pflegen, wenn ſie in Etwas beißen
wollen.
(Trollt lachend ab.)
Etzel (allein.)
Was iſt da zu machen? Mit dem Schalk läßt
ſich Nichts anfangen.
(Ab.)
Verwandlung.
Burghof in Mondbeleuchtung. An dem Fenſter eines
von Jnnen erleuchteten Erkers, welches offenſteht, iſt
Elsbeth. Unten geht, Wache haltend, der Knappe
Ralf, einen Spieß in der Hand, auf und ab.
Elsbeth (ſingt oder ſpricht.)
Sei gegrüßt du ſtille Nacht,
Seid gegrüßet Mond und Sterne!
Leuchtend ſchaut ihr aus der Ferne,
Elsbeth harrend, hoffend wacht.
Kommt, ihr lieben Brüderlein!
Eure Hemdlein ſind geſponnen,
Sind gebleichet an der Sonnen;
Kommet, holt ſie euch; fliegt ein!
Ralf.
Ei, die junge Herzogin wacht noch. Was doch
die böſen Leute ſchwatzen! Die ſchöne, liebe Frau
ſollt’ eine Zauberin ſein, die den Herzog behext
habe? Das kann nicht ſein; für die ſtünd’ ich ein.
Elsbeth [fährt fort.]
Bald vorbei ſind ſieben Jahr,
Schweſterlein hat treu geſchwiegen.
Brüder, nicht als Raben fliegen
Sollt ihr mehr. Komm’ liebe Schaar!
Ralf.
Was ſingt (ſpricht) ſie da? Was hör’ ich von
Raben? Wär’s doch ſo, wie ſie mir ſagten, daß
ſie mit ſolchen Galgenvögeln heimlich verkehrt? Da
muß ich aufpaſſen. Und wenn ich ſo was ſäh’,
wär’s ja meine Schuldigkeit, es zu melden.
Rauſchen in der Luft; die ſieben Raben ſchweben herbei und fliegen in Els-
beths Fenſter hinein, das ſich ſchließt.
Ei, die Peſt! da haben wir’s. Da darf ich
nicht mehr ſchweigen. Der Etzel ſitzt noch da drin-
nen bei den andern Knechten in der Trinkſtube.
[Klopft an ein Fenſter unten im Hofe.] Heda! heraus! — Macht
aber keinen Lärm. Da gibt’s was zu ſeh’n.
Etzel,
[der durch eine kleine Pforte herauskommt.]
Was gibt’s? Sind Diebe im Schloß?
Ralf.
Die Raben! die Raben!
Etzel.
Haſt du ſie geſehen?
Ralf.
Mit eig’nen Augen im Mondenlicht. Da oben
ſind ſie eingeflogen.
Etzel.
Wie? zur jungen Herzogin?
Ralf.
Freilich, freilich.
Etzel.
So? — Da muß ich gleich meinen Herren
holen.
[Ab.]
Ralf.
Das iſt wohl Teufelszeug. Gott ſei bei uns!
Mich jammert nur der gute Herzog. Eine Zau-
berin zum Weib zu haben! eine Dirne, die ihn
behext hat!
[Graf Wolfram und Etzel eilen herein.]
Wolfram [zu Ralf.]
Jſt’s wirklich ſo? Haſt du’s geſehen?
Ralf.
Wahrhaftig, es iſt ſo, gnädiger Graf. Teufels-
raben! Jch kann’s beſchwören. Wartet nur, ſie
werden wohl wieder herausfliegen.
Wolfram.
Nur ſtill! ruhig!
Sie ziehen ſich unter den Erker zurück und lauſchen. Nach einer kleinen
Pauſe öffnet ſich das Erkerfenſter. Elsbeth zeigt ſich.
Elsbeth.
Nun flieget aus, zu bergen euch im nahen Flieder;
Der Zauber iſt gelöst, ſeh’ ich euch morgen wieder.
Lebt wohl! lebt wohl! Auf Wiederſeh’n!
Nun laßt die weißen Hemdlein weh’n!
Die ſieben Raben fliegen aus dem Fenſter, jeder ein Hemdlein im Schnabel,
kreiſen einmal umher und ſchweben hinaus. Elsbeth hat ſich zurückgezogen
und im Erker wird es dunkel.
[Wolfram, Etzel und Ralf treten vor.]
Wolfram.
Bei Gott! ſie iſt eine Hexe. Jhr habt’s
geſeh’n! Jhr könnt einen Eid darauf leiſten.
Nicht wahr? Jhr ſeid mir Zeugen in der
Sache.
Etzel und Ralf.
Ja! wir können’s beſchwören.
Wolfram.
Nun, Lärm gemacht!
[Ruft.] Hallo! hallo! aus
den Betten! Licht herbei! — Wacht auf! Wacht
Alle auf in der Herzogsburg! Hört’s Alle: Die
Herzogin Elsbeth iſt eine Hexe!
Die Fenſter erhellen ſich; der Hof belebt ſich.
Wolfram.
Folgt mir zum Herzog und zur Herzogin Mut-
ter! Auf und Elsbeth nehmt gefangen. Legt die
Zauberin in Feſſeln.
[Stürzt ab.]
(Der Vorhang fällt raſch)III. Aufzug.
Kerker. Strohlager.
Elsbeth [in fchwarzem Gewande und gefoſſelt.]
Nun lieg’ ich im Kerker und ſie werden mich
zum Tode führen. Jn jener fürchterlichen Nacht,
als der Blitz meine väterliche Burg vernichtete und
meine unglücklichen Eltern untergingen, floh ich,
gerettet und beſchützt von dem treuen Knappen
Caspar. Als ich erſchöpft in dem Walde auf
Moos hinſank und in Verzweiflung in die Nacht
hinausſchaute, da erſchienſt du mir, Hulda und
gabſt dich mir als meine Beſchützerin zu erkennen.
Durch dich erfuhr ich den unſeligen Fluch, den
meine Mutter über ihre Söhne ausgeſtoßen hatte;
du ſagteſt mir, daß ich meine armen Brüder aus
dem Zauber zu erlöſen im Stande wäre durch
ſiebenjahrelanges Schweigen über meine Herkunft
und wenn ich ſieben Hemdlein ſpänne, die meine
Schweſterliebe geſegnet. Heute lauft die Zeit ab.
9
Heute iſt der letzte Tag des verhängnißvollen Jah-
res — und heute ſoll ich als fälſchlich angeklagte
Zauberin ſterben?! — O mein theurer Albert!
Auch du, auch du willſt meine Unſchuld nicht glau-
ben? Und du, meine Beſchützerin! Hulda, du
haſt mich verlaſſen!
Harfenklänge. Geiſterchor von weiblichen Stimmen hinter der Scene.
Geduld, Geduld in deiner Noth!
Noch nahte nicht das Abendroth.
Harr’ aus und ſchweige, ſchweige ſtill,
Wie das Gebot der Fee es will.
Geduld, Geduld! Die Liebe ſiegt
Und aller Jammer bald entfliegt.
Elsbeth.
Möget ihr wahr ſprechen, ihr geheimnißvollen
Stimmen! Jch will treu ausharren.
Die Kerkerpforte wird von Außen geöffnet; Albert tritt ein und ſtürzt auf
Elsbeth.
Albert.
Meine Elsbeth! mein armes Weib!
Elsbeth.
Mein Albert! —
[Pauſe.] So glaubſt denn auch
du das Verbrechen, deſſen ſie mich zeihen?
Albert.
Mein Herz iſt zerriſſen, zerfleiſcht. Alle ſind
gegen dich. Sie ſagen, du hätteſt mich mit Zau-
bermitteln freventlich an dich gefeßelt. Die ſchwar-
zen Raben, mit welchen du Umgang pflegſt, ſeien
böſe Geiſter. Ach! was ſagen ſie nicht noch Alles?!
Und ich — ich will, ich kann es nicht glauben;
aber ich beſchwöre dich: Löſe mir das geheimniß-
volle Räthſel! Mir, mir deinem Gatten vertraue
dich an und ich trete im Kampfe des Gottesgerich-
tes auf Leben und Tod gegen deine Ankläger für
deine Unſchuld in die Schranken.
Elsbeth.
Ein einzig Wort würde mich befreien, ein
einzig Wort meine Reinheit beweiſen. Aber noch
muß ich ſchweigen — nur wenige Stunden; denn
zu dieſer Stunde iſt die Friſt noch nicht abgelau-
fen, bis zu der ich Schweigen gelobt habe. O
mein theurer Gemahl! Hätteſt du mich in meiner
ſtillen Waldeinſamkeit gelaſſen! Jetzt — es iſt
fürchterlich — jetzt werden ſie mich tödten, ehe ich
zu meiner Befreiung reden darf.
Albert.
Nur mir eröffne dich, ich beſchwöre dich!
Elsbeth.
Jch darf nicht, ich kann nicht. Aber Gott
weiß es, ſchuldlos bin ich!
9*
Albert.
Jch glaube es; ich zweifle nicht an deiner
Unſchuld, aber das Gericht hat geſprochen. Du
biſt verurtheilt.
Elsbeth.
So möge mich der Himmel beſchützen! Gehe,
mein theurer Albert; verlaſſe mich. Was willſt
du noch bei mir? Willſt du deine und meine
Schmerzensſtunde verlängern? Es muß ſein. Laß
uns ſcheiden.
Albert (ihr zu Füſſen ſtürzend.)
Meine Elsbeth!
Elsbeth.
Lebe wohl! Auch im Tode bin und bleib ich
dein!
(Man pocht dreimal an die Kerkerthüre.) Hörſt du? ſie
nahen.
Albert.
Leb wohl! Gott mag mir beiſtehen!
(Stürzt ab.)
Der Scharfrichter in blutrother Kleidung tritt mit zwei Knechten ein.
Scharfrichter.
Elsbeth, ſeid Jhr bereit? Der Stab iſt ge-
brochen.
Elsbeth.
Jch bin bereit.
Scharfrichter.
Meines Amtes iſt’s, Euch nun auf den Holz-
ſtoß zu führen. Alſo will’s das Geſetz und der
Spruch der Richter.
Elsbeth.
Das Geſetz ſoll ſeinen Lauf haben.
(Trauermarſch hinter der Scene.)
Scharfrichter.
Man erwartet Euch; folgt mir.
Elsbeth.
Jch folg’ Euch und vertraue dem Himmel.
(Alle ab)
Verwandlung.
Freier Platz. Jm Hintergrunde ein Scheiterhaufen.
Reiſige und Knechte umgeben ihn.
Casperl
(mit einem großen, we ßen Sacktuche tritt ſchluchzend und heulend ein.)
Jetzt iſt Alles aus! Alles iſt aus! Sie wollen
meine gute, ſchöne liebe Elsbeth verbrennen. Aus
den Flammen der brennenden Burg hab’ ich ſie
gerettet und jetzt ſoll ich zuſehen, wie man ſie auf
einem elenden Schoiterhaufen verbrennt. Die ver-
dammten Raben ſind aber ihr Unglück! Hätt’ ſie
ſich lieber a Zeiſerl oder einen Gimpel gezogen.
Mich hat’s ja ohnehin gehabt. Der Teufel weiß
aber auch, was dahinter ſteckt. Wenn ſie reden
wollt’, wenn ſie ſich nur declamiren wollt! —
Aber nein! Sonſt können die Frauenzimmer ’s
Maul nit halten; wenn’s aber ſein ſoll, nacher
machen ſie’s extra nit auf.
Etzel (tritt mit zwei Knechten ein.)
Aha! Da iſt der Burſch. Packt ihn nur gleich.
Casperl.
Oho! was wär’ denn das? Was wollt ihr
denn von mir?
Etzel.
Du biſt der Hexe Elsbeth Diener und Gehilfe,
haſt alſo auch den Tod verdient.
Casperl (zittornd.)
Wa—wa—wa—was hab’ ich verdient?
Etzel.
Das Gericht hat über dich als Hexenlehrling ge-
ſprochen.
Casperl.
Ueber mich — als, als — Lexenhäring?
Da weiß ich aber gar nichts davon.
Etzel.
Du wirſt zwar nicht verbrannt — —
Casperl.
Alſo nicht verbrannt?
Etzel.
Du wirſt in ein Faß geſteckt —
Casperl.
Jn ein Bierfaß oder in ein Weinfaß?
Etzel.
Jn ein leeres Faß, zugenagelt, den Berg hi-
nunter bis in den Fluß gerollt, wo du dann ein-
geſperrt bis ins Meer fortſchwimmen kannſt. Alſo
fort! Mache nur keine Umſtände. Wachen, führt
ihn ab.
Casperl.
Was? abführen auch noch? Jch brauch’ keine
Medizin. Jch bin ein kerngeſunder junger Menſch.
Etzel.
Nur nicht Spaß gemacht. Packt ihn!
Casperl.
Laßt’s mich aus!
(Wehrt ſich. Balgerei. Er macht ſich
frei; läuft fort; die Andern hinter ihm drein, einigemal um die Bühne
herum, dann hinaus. Alle ab.)
Trompetenſtoß, dann Trauermarſch.
Reiſige und Knappen eröffnen den Zug. Der Scharfrichter. Frauen in Trauer-
kleidern, brennende Fakeln tragend. Elsbeth; ihr zur Seite ein Mönch.
Herzog Albert, Herzogin Kunigunde, Graf Wolfram. Knappen und Gefolge.
Der Scharfrichter führt Elsbeth auf den Scheiterhaufen.
Drei Trompetenſtöße.
Graf Wolfram. (feierlich.)
Alſo hat das Geſetz durch Richterſpruch ge-
ſprochen, daß Elsbeth, des Herzogs Albert Gemahl,
als Zauberin auf dem Scheiterhaufen ſterben ſoll,
zur wohlverdienten Strafe.
(Trompetenſtoß.) Wir müſſen
es beklagen, vermögen aber den Vollzug des ge-
rechten Urtheils nicht zu hemmen.
Albert (vortretend.)
Und alſo rede ich, als der Verurtheilten Herr
und Gemahl, daß ich Einſprache thue und eintrete
für ihre Unſchuld in heiligem Gottesgerichtskampfe.
Euch, Graf Wolfram, meiner Frau Mutter Bruder
und meinem Ohm, Euch dem Ankläger meiner
Gemahlin werfe ich den Handſchuh hin zum Kampfe
mit mir auf Leben und Tod!
Wolfram.
Was ſollte ich mit Euch auf Leben und Tod
kämpfen um eine Hexe?! Dafür iſt mir mein
Schwert zu heilig. Das Urtheil iſt geſprochen und
mit Fug und Recht iſt Elsbeth verurtheilt. Fiat
justitia.
Albert.
Jhr müßt mit mir kämpfen, wenn Jhr ein
ehrenhafter Ritter ſeid.
Wolfram.
Ja! wenn ich ein Narr wäre!
Kunigunde.
Mein Sohn! zieh’ dein Schwert nicht für die
Unſelige, die dich bethört hat! Sie iſt’s nicht werth.
Wolfram.
Jm Namen des Gerichtes, deſſen Vorſitzender
ich bin: Zündet den Holzſtoß an!
Der Scheiterbaufen flammt auf.
Donnerſchlag. Die ſieben Raben fliegen herbei, verſchwinden hinter dem Holz-
ſtoße und es tauchen ſieben in weiße Hemden gekleidete Knaben und Jünglinge
hervor, welche Elsbeth befreien. Zugleich erlöſchen die Flammen und der
Holzſtoß ſtürzt zuſammen.
Elsbeth.
Meine Brüder! Meine lieben Brüder!
Die Fee Hulda erſcheint.
Hulda.
Erlöſchet ihr Flammen
Und brechet zuſammen!
Unſchuldig iſt Elsbeth und rein;
Albert, die Befreite iſt nun dein.
Verſchwindet Lug und Trug,
Geſühnt iſt Mutterfluch. (Verſchwindet.)
Elsbeth eilt herab und ſtürzt Albert in die Arme.
Elsbeth.
Jetzt darf ich reden. Der Zauber iſt gelöst.
Meine Brüder ſind es, die durch unſeligen Mutter-
fluch in Rabengeſtalt gebannt waren. Sieben Jahre
mußt’ ich ſchweigen und ihnen ſieben weiße Hemd-
lein weben. Unſchuldig bin ich, kein Mackel be-
fleckt mich.
Albert.
Jch wußt’ es ja! Mein Herz hatte mich nicht
getäuſcht.
Alle.
Heil Elsbeth unſerer Herzogin! Heil der edlen
reinen Frau!
(Wolfram ſtürzt hinaus.)
Kunigunde.
Geſegnet ſeiſt du, theure Tochter.
Casperl (ſtürzt herein.)
Jetzt darf auch ich reden, aber ich hab’ zuvor
eigentlich Nichts g’wußt! Und jetzt iſt die Comödi
aus, denn die Tugend ward bulohnt.
(An das Publikum:)
Sie haben nun geſeh’n das Mährlein der ſieben
Raben,
Ein andersmal führen wir auf die G’ſchicht von
den ſieben Schwaben.
(Der Vorhang fällt.)
Ende des Stückes.