Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.
Er schien den folgenden Tag nicht darauf zu merken, war zwar aufgeräumter, weil der Barbier das Heilungspflaster von den Waden nahm und zum letztenmale bei ihm war, sonst aber betrug er sich, ausgenommen gegen mich, vier Tage lang etwas spöttisch und achtungsloß gegen dieselbe. Am 72sten Tage schien helle Sonne bei ihm; der Arzt befreyete ihn vom Gurte, und nun zog Zufriedenheit, Folgsamkeit und anständiges Betragen gegen einen jeden bei ihm ein. So dauerte es fort, und die Munterkeit nebst richtiger Ueberlegung wuchsen sichtbar an. Der Gebrauch seiner zeitherigen auflösenden und abführenden Mittel endigte sich am 77sten Tage, wo er stärkende Tropfen erhielt, und Nachts und Tags viel und stärkend alle Tage schlief. Den folgenden Tag fuhr ich mit ihm zum erstenmal aus, Reden und Befragen blieb vollständig gut, und die Urtheilskraft hatte wieder Festigkeit bekommen. Herzlich vergnügt kamen wir nach Hause, und das Vesperbrodt war Nektar und Ambrosia für ihn. Seitdem blieben auch die verdrießlichen Unterredungen aus; auch die unzüchtigen Reden und Geberden waren weg, wovon er besonders die obscönesten vorgebracht hatte; obschon ich außer allem Zweifel
Er schien den folgenden Tag nicht darauf zu merken, war zwar aufgeraͤumter, weil der Barbier das Heilungspflaster von den Waden nahm und zum letztenmale bei ihm war, sonst aber betrug er sich, ausgenommen gegen mich, vier Tage lang etwas spoͤttisch und achtungsloß gegen dieselbe. Am 72sten Tage schien helle Sonne bei ihm; der Arzt befreyete ihn vom Gurte, und nun zog Zufriedenheit, Folgsamkeit und anstaͤndiges Betragen gegen einen jeden bei ihm ein. So dauerte es fort, und die Munterkeit nebst richtiger Ueberlegung wuchsen sichtbar an. Der Gebrauch seiner zeitherigen aufloͤsenden und abfuͤhrenden Mittel endigte sich am 77sten Tage, wo er staͤrkende Tropfen erhielt, und Nachts und Tags viel und staͤrkend alle Tage schlief. Den folgenden Tag fuhr ich mit ihm zum erstenmal aus, Reden und Befragen blieb vollstaͤndig gut, und die Urtheilskraft hatte wieder Festigkeit bekommen. Herzlich vergnuͤgt kamen wir nach Hause, und das Vesperbrodt war Nektar und Ambrosia fuͤr ihn. Seitdem blieben auch die verdrießlichen Unterredungen aus; auch die unzuͤchtigen Reden und Geberden waren weg, wovon er besonders die obscoͤnesten vorgebracht hatte; obschon ich außer allem Zweifel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0051" n="51"/><lb/> mir nachgebend als der Mutter, deren Belehrungen mit Unhoͤflichkeit erwiedert wurden; und sie beschloß daher, ihn nun ganz gehen zu lassen und gleichguͤltig sich zu bezeigen. </p> <p>Er schien den folgenden Tag nicht darauf zu merken, war zwar aufgeraͤumter, weil der Barbier das Heilungspflaster von den Waden nahm und zum letztenmale bei ihm war, sonst aber betrug er sich, ausgenommen gegen mich, vier Tage lang etwas spoͤttisch und achtungsloß gegen dieselbe. </p> <p>Am 72sten Tage schien helle Sonne bei ihm; der Arzt befreyete ihn vom Gurte, und nun zog Zufriedenheit, Folgsamkeit und anstaͤndiges Betragen gegen einen jeden bei ihm ein. So dauerte es fort, und die Munterkeit nebst richtiger Ueberlegung wuchsen sichtbar an. Der Gebrauch seiner zeitherigen aufloͤsenden und abfuͤhrenden Mittel endigte sich am 77sten Tage, wo er staͤrkende Tropfen erhielt, und Nachts und Tags viel und staͤrkend alle Tage schlief. Den folgenden Tag fuhr ich mit ihm zum erstenmal aus, Reden und Befragen blieb vollstaͤndig gut, und die Urtheilskraft hatte wieder Festigkeit bekommen. Herzlich vergnuͤgt kamen wir nach Hause, und das Vesperbrodt war Nektar und Ambrosia fuͤr ihn. </p> <p>Seitdem blieben auch die verdrießlichen Unterredungen aus; auch die unzuͤchtigen Reden und Geberden waren weg, wovon er besonders die obscoͤnesten vorgebracht hatte; obschon ich außer allem Zweifel<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0051]
mir nachgebend als der Mutter, deren Belehrungen mit Unhoͤflichkeit erwiedert wurden; und sie beschloß daher, ihn nun ganz gehen zu lassen und gleichguͤltig sich zu bezeigen.
Er schien den folgenden Tag nicht darauf zu merken, war zwar aufgeraͤumter, weil der Barbier das Heilungspflaster von den Waden nahm und zum letztenmale bei ihm war, sonst aber betrug er sich, ausgenommen gegen mich, vier Tage lang etwas spoͤttisch und achtungsloß gegen dieselbe.
Am 72sten Tage schien helle Sonne bei ihm; der Arzt befreyete ihn vom Gurte, und nun zog Zufriedenheit, Folgsamkeit und anstaͤndiges Betragen gegen einen jeden bei ihm ein. So dauerte es fort, und die Munterkeit nebst richtiger Ueberlegung wuchsen sichtbar an. Der Gebrauch seiner zeitherigen aufloͤsenden und abfuͤhrenden Mittel endigte sich am 77sten Tage, wo er staͤrkende Tropfen erhielt, und Nachts und Tags viel und staͤrkend alle Tage schlief. Den folgenden Tag fuhr ich mit ihm zum erstenmal aus, Reden und Befragen blieb vollstaͤndig gut, und die Urtheilskraft hatte wieder Festigkeit bekommen. Herzlich vergnuͤgt kamen wir nach Hause, und das Vesperbrodt war Nektar und Ambrosia fuͤr ihn.
Seitdem blieben auch die verdrießlichen Unterredungen aus; auch die unzuͤchtigen Reden und Geberden waren weg, wovon er besonders die obscoͤnesten vorgebracht hatte; obschon ich außer allem Zweifel
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/51>, abgerufen am 16.07.2024. |