Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


drige Wendung seiner sonstigen Gesinnungen gegen die Stiefmutter anmerke, die er immer geachtet und geliebt. Diese widrige Gesinnung hatte sich während der Krankheit so fest eingewurzelt, daß es mir Ueberredungskunst und wirklich Mühe gekostet hat, ihn nach und nach ins alte Geleise gegen selbige zu leiten; und lange Zeit erst nach der völligen Wiedergenesung ist es mir gelungen, das alte Zutrauen wieder zu erregen und zu bevestigen.

Der 67ste Tag war wieder mit trüben Wolken umzogen. Noch mußte er auf Anrathen des Arztes den Gurt um den Leib behalten, und des Nachts zu mehrerer Sicherheit an der Bettstelle mit dem Strick bevestiget werden: dieß war ihm schon seit einigen Wochen ein Hauptanstoß gewesen, und da die Fliegenpflaster hinwegwaren, wollte er auch diesen nicht mehr dulden. Oft satyrisirte er über diese Vorsicht lachend, oft aber murrte er auch bitter und wehmüthig darüber; indessen kamen wir der Vorschrift des einsichtsvollen und sicher handelnden Arztes nach. Heut war er gleich des Morgens so gestimmt; Sanftmuth und Ernst vermochten von meiner Seite nichts zu bewirken, theils klagte er laut, theils weinend über diese ihm anscheinende Härte, und als am Abend der Geistliche ihn besuchte, machte selbiger auch mit seinen mancherlei Vorstellungen keinen Eindruck auf ihn, seine Gedanken dünkten ihm die richtigsten; so blieb er, und verließ uns unzufrieden, immer doch mehr


drige Wendung seiner sonstigen Gesinnungen gegen die Stiefmutter anmerke, die er immer geachtet und geliebt. Diese widrige Gesinnung hatte sich waͤhrend der Krankheit so fest eingewurzelt, daß es mir Ueberredungskunst und wirklich Muͤhe gekostet hat, ihn nach und nach ins alte Geleise gegen selbige zu leiten; und lange Zeit erst nach der voͤlligen Wiedergenesung ist es mir gelungen, das alte Zutrauen wieder zu erregen und zu bevestigen.

Der 67ste Tag war wieder mit truͤben Wolken umzogen. Noch mußte er auf Anrathen des Arztes den Gurt um den Leib behalten, und des Nachts zu mehrerer Sicherheit an der Bettstelle mit dem Strick bevestiget werden: dieß war ihm schon seit einigen Wochen ein Hauptanstoß gewesen, und da die Fliegenpflaster hinwegwaren, wollte er auch diesen nicht mehr dulden. Oft satyrisirte er uͤber diese Vorsicht lachend, oft aber murrte er auch bitter und wehmuͤthig daruͤber; indessen kamen wir der Vorschrift des einsichtsvollen und sicher handelnden Arztes nach. Heut war er gleich des Morgens so gestimmt; Sanftmuth und Ernst vermochten von meiner Seite nichts zu bewirken, theils klagte er laut, theils weinend uͤber diese ihm anscheinende Haͤrte, und als am Abend der Geistliche ihn besuchte, machte selbiger auch mit seinen mancherlei Vorstellungen keinen Eindruck auf ihn, seine Gedanken duͤnkten ihm die richtigsten; so blieb er, und verließ uns unzufrieden, immer doch mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0050" n="50"/><lb/>
drige                   Wendung seiner sonstigen Gesinnungen gegen die Stiefmutter anmerke, die er immer                   geachtet und geliebt. Diese widrige Gesinnung hatte sich wa&#x0364;hrend der Krankheit so                   fest eingewurzelt, daß es mir Ueberredungskunst und wirklich Mu&#x0364;he gekostet hat,                   ihn nach und nach ins alte Geleise gegen selbige zu leiten; und lange Zeit erst                   nach der vo&#x0364;lligen Wiedergenesung ist es mir gelungen, das alte Zutrauen wieder zu                   erregen und zu bevestigen. </p>
            <p>Der 67ste Tag war wieder mit tru&#x0364;ben Wolken umzogen. Noch mußte er auf Anrathen des                   Arztes den Gurt um den Leib behalten, und des Nachts zu mehrerer Sicherheit an der                   Bettstelle mit dem Strick bevestiget werden: dieß war ihm schon seit einigen                   Wochen ein Hauptanstoß gewesen, und da die Fliegenpflaster hinwegwaren, wollte er                   auch diesen nicht mehr dulden. Oft satyrisirte er u&#x0364;ber diese Vorsicht lachend, oft                   aber murrte er auch bitter und wehmu&#x0364;thig daru&#x0364;ber; indessen kamen wir der                   Vorschrift des einsichtsvollen und sicher handelnden Arztes nach. Heut war er                   gleich des Morgens so gestimmt; Sanftmuth und Ernst vermochten von meiner Seite                   nichts zu bewirken, theils klagte er laut, theils weinend u&#x0364;ber diese ihm                   anscheinende Ha&#x0364;rte, und als am Abend der Geistliche ihn besuchte, machte selbiger                   auch mit seinen mancherlei Vorstellungen keinen Eindruck auf ihn, seine Gedanken                   du&#x0364;nkten ihm die richtigsten; so blieb er, und verließ uns unzufrieden, immer doch                   mehr<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0050] drige Wendung seiner sonstigen Gesinnungen gegen die Stiefmutter anmerke, die er immer geachtet und geliebt. Diese widrige Gesinnung hatte sich waͤhrend der Krankheit so fest eingewurzelt, daß es mir Ueberredungskunst und wirklich Muͤhe gekostet hat, ihn nach und nach ins alte Geleise gegen selbige zu leiten; und lange Zeit erst nach der voͤlligen Wiedergenesung ist es mir gelungen, das alte Zutrauen wieder zu erregen und zu bevestigen. Der 67ste Tag war wieder mit truͤben Wolken umzogen. Noch mußte er auf Anrathen des Arztes den Gurt um den Leib behalten, und des Nachts zu mehrerer Sicherheit an der Bettstelle mit dem Strick bevestiget werden: dieß war ihm schon seit einigen Wochen ein Hauptanstoß gewesen, und da die Fliegenpflaster hinwegwaren, wollte er auch diesen nicht mehr dulden. Oft satyrisirte er uͤber diese Vorsicht lachend, oft aber murrte er auch bitter und wehmuͤthig daruͤber; indessen kamen wir der Vorschrift des einsichtsvollen und sicher handelnden Arztes nach. Heut war er gleich des Morgens so gestimmt; Sanftmuth und Ernst vermochten von meiner Seite nichts zu bewirken, theils klagte er laut, theils weinend uͤber diese ihm anscheinende Haͤrte, und als am Abend der Geistliche ihn besuchte, machte selbiger auch mit seinen mancherlei Vorstellungen keinen Eindruck auf ihn, seine Gedanken duͤnkten ihm die richtigsten; so blieb er, und verließ uns unzufrieden, immer doch mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/50
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/50>, abgerufen am 18.04.2024.