Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


versichert war und bin, weder dergleichen That noch Worte sind je von ihm in seinem natürlichen Zustande vorgenommen worden: gegentheils ist er für seine Jahre noch sehr schamhaft. Gegen uns äußerte er nichts mehr von der Neigung zum Soldatenstand; allein gegen die Wächter und übrigen Leute versicherte er es noch, und wünsche er nur, es mir schon vorgetragen zu haben.

Am 86sten Tage gingen die Wächter ab, und ich legte mich in seine Stube, wo auch die Nacht von nun an alles ruhig ablief, so wie der gute Schlaf die Kräfte merklich stärkte.

Den 89sten Tag ging ich mit ihm zu Fuß spatzieren, und am 92sten that er es in der Stadt allein, ohne daß Furcht oder Blödigkeit nach so langwieriger Stubenhütung bemerkt wurde. Den 94sten ging er mit dem Großvater zufrieden auf den Jahrmarkt, kam mit Beängstigungen nach Hause, die sich aber den folgenden Tag verloren hatten, und so fuhr er fort, seine alten Freunde zu besuchen, die nichts verändertes an ihm verspürten; und endlich wurde er den 107ten Tag von aller Arzenei freigesprochen, mit der Erlaubniß, mit uns die gewöhnlichen Speisen zu genießen, und seine alte Lebensart wieder anzufangen, doch zu ernste Beschäftigungen noch zu vermeiden.

So hatte also dieser schaudervolle Zustand über drei Monate hier gedauret, und wenn ich den vorhergegangenen Tiefsinn in seinem Schulort hinzu-


versichert war und bin, weder dergleichen That noch Worte sind je von ihm in seinem natuͤrlichen Zustande vorgenommen worden: gegentheils ist er fuͤr seine Jahre noch sehr schamhaft. Gegen uns aͤußerte er nichts mehr von der Neigung zum Soldatenstand; allein gegen die Waͤchter und uͤbrigen Leute versicherte er es noch, und wuͤnsche er nur, es mir schon vorgetragen zu haben.

Am 86sten Tage gingen die Waͤchter ab, und ich legte mich in seine Stube, wo auch die Nacht von nun an alles ruhig ablief, so wie der gute Schlaf die Kraͤfte merklich staͤrkte.

Den 89sten Tag ging ich mit ihm zu Fuß spatzieren, und am 92sten that er es in der Stadt allein, ohne daß Furcht oder Bloͤdigkeit nach so langwieriger Stubenhuͤtung bemerkt wurde. Den 94sten ging er mit dem Großvater zufrieden auf den Jahrmarkt, kam mit Beaͤngstigungen nach Hause, die sich aber den folgenden Tag verloren hatten, und so fuhr er fort, seine alten Freunde zu besuchen, die nichts veraͤndertes an ihm verspuͤrten; und endlich wurde er den 107ten Tag von aller Arzenei freigesprochen, mit der Erlaubniß, mit uns die gewoͤhnlichen Speisen zu genießen, und seine alte Lebensart wieder anzufangen, doch zu ernste Beschaͤftigungen noch zu vermeiden.

So hatte also dieser schaudervolle Zustand uͤber drei Monate hier gedauret, und wenn ich den vorhergegangenen Tiefsinn in seinem Schulort hinzu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0052" n="52"/><lb/>
versichert war und                   bin, weder dergleichen That noch Worte sind je von ihm in seinem natu&#x0364;rlichen                   Zustande vorgenommen worden: gegentheils ist er fu&#x0364;r seine Jahre noch sehr                   schamhaft. Gegen uns a&#x0364;ußerte er nichts mehr von der Neigung zum Soldatenstand;                   allein gegen die Wa&#x0364;chter und u&#x0364;brigen Leute versicherte er es noch, und wu&#x0364;nsche er                   nur, es mir schon vorgetragen zu haben. </p>
            <p>Am 86sten Tage gingen die Wa&#x0364;chter ab, und ich legte mich in seine Stube, wo auch                   die Nacht von nun an alles ruhig ablief, so wie der gute Schlaf die Kra&#x0364;fte                   merklich sta&#x0364;rkte. </p>
            <p>Den 89sten Tag ging ich mit ihm zu Fuß spatzieren, und am 92sten that er es in der                   Stadt allein, ohne daß Furcht oder Blo&#x0364;digkeit nach so langwieriger Stubenhu&#x0364;tung                   bemerkt wurde. Den 94sten ging er mit dem Großvater zufrieden auf den Jahrmarkt,                   kam mit Bea&#x0364;ngstigungen nach Hause, die sich aber den folgenden Tag verloren                   hatten, und so fuhr er fort, seine alten Freunde zu besuchen, die nichts                   vera&#x0364;ndertes an ihm verspu&#x0364;rten; und endlich wurde er den 107ten Tag von aller                   Arzenei freigesprochen, mit der Erlaubniß, mit uns die gewo&#x0364;hnlichen Speisen zu                   genießen, und seine alte Lebensart wieder anzufangen, doch zu ernste                   Bescha&#x0364;ftigungen noch zu vermeiden. </p>
            <p>So hatte also dieser schaudervolle Zustand u&#x0364;ber drei Monate hier gedauret, und                   wenn ich den vorhergegangenen Tiefsinn in seinem Schulort hinzu-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0052] versichert war und bin, weder dergleichen That noch Worte sind je von ihm in seinem natuͤrlichen Zustande vorgenommen worden: gegentheils ist er fuͤr seine Jahre noch sehr schamhaft. Gegen uns aͤußerte er nichts mehr von der Neigung zum Soldatenstand; allein gegen die Waͤchter und uͤbrigen Leute versicherte er es noch, und wuͤnsche er nur, es mir schon vorgetragen zu haben. Am 86sten Tage gingen die Waͤchter ab, und ich legte mich in seine Stube, wo auch die Nacht von nun an alles ruhig ablief, so wie der gute Schlaf die Kraͤfte merklich staͤrkte. Den 89sten Tag ging ich mit ihm zu Fuß spatzieren, und am 92sten that er es in der Stadt allein, ohne daß Furcht oder Bloͤdigkeit nach so langwieriger Stubenhuͤtung bemerkt wurde. Den 94sten ging er mit dem Großvater zufrieden auf den Jahrmarkt, kam mit Beaͤngstigungen nach Hause, die sich aber den folgenden Tag verloren hatten, und so fuhr er fort, seine alten Freunde zu besuchen, die nichts veraͤndertes an ihm verspuͤrten; und endlich wurde er den 107ten Tag von aller Arzenei freigesprochen, mit der Erlaubniß, mit uns die gewoͤhnlichen Speisen zu genießen, und seine alte Lebensart wieder anzufangen, doch zu ernste Beschaͤftigungen noch zu vermeiden. So hatte also dieser schaudervolle Zustand uͤber drei Monate hier gedauret, und wenn ich den vorhergegangenen Tiefsinn in seinem Schulort hinzu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/52
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/52>, abgerufen am 17.05.2024.