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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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Uhr zugebracht. Um fünf erwachte er schon wieder. Dieser 56ste Tag ward auch mürrisch verbracht, und wollte er gar nichts vornehmen; der folgende erschien heiter und blieb so. Heute ging er auch wieder viel auf und ab. Eben so verfloß der 57ste.

Am 58sten fiel ihm eine Schreibtafel ein, die er glaubte mitgebracht zu haben, da man sie aber nicht fand, auch ungewiß war, ob er sie bei dem Anfang der Krankheit nicht weggeschenkt hatte -- denn die ersten Wochen gab er alles an seine Wärter weg, und man mußte die Sachen verbergen -- argwohnte er, die Mama wolle sie ihm nur nicht geben, ward darüber äußerst verdrießlich und hernach gegen den Wärter sehr zornig; indessen ging auch dieß vorüber, und dieß war die erste Nacht, wo nur ein Wächter bei ihm blieb.

Den 59sten stand er schon gegen sieben Uhr auf, ging herum, beschäftigte sich mit Malen und Lesen, jedoch nicht glücklicher als vorher, schlief Nachmittags, und gegen Abend war er beim Besuch seines geistlichen Freundes gut, nur auf die letzt, als ihm derselbe einiges nicht in seinen Kram dienendes anrieth, schwärmte er etwas verdrießlich. Nach einem siebenstündigen Schlaf erwachte er mürrisch, sprach übel aufgeräumt, weinte über ein trauriges zukünftiges Schicksal, und mein Zureden griff wenig ein, denn auch mit meiner Begegnung war er unzufrieden.

So fing der 61ste Tag auch wieder an; er bat mich, ihn sich allein zu überlassen, setzte sich im Win-


Uhr zugebracht. Um fuͤnf erwachte er schon wieder. Dieser 56ste Tag ward auch muͤrrisch verbracht, und wollte er gar nichts vornehmen; der folgende erschien heiter und blieb so. Heute ging er auch wieder viel auf und ab. Eben so verfloß der 57ste.

Am 58sten fiel ihm eine Schreibtafel ein, die er glaubte mitgebracht zu haben, da man sie aber nicht fand, auch ungewiß war, ob er sie bei dem Anfang der Krankheit nicht weggeschenkt hatte — denn die ersten Wochen gab er alles an seine Waͤrter weg, und man mußte die Sachen verbergen — argwohnte er, die Mama wolle sie ihm nur nicht geben, ward daruͤber aͤußerst verdrießlich und hernach gegen den Waͤrter sehr zornig; indessen ging auch dieß voruͤber, und dieß war die erste Nacht, wo nur ein Waͤchter bei ihm blieb.

Den 59sten stand er schon gegen sieben Uhr auf, ging herum, beschaͤftigte sich mit Malen und Lesen, jedoch nicht gluͤcklicher als vorher, schlief Nachmittags, und gegen Abend war er beim Besuch seines geistlichen Freundes gut, nur auf die letzt, als ihm derselbe einiges nicht in seinen Kram dienendes anrieth, schwaͤrmte er etwas verdrießlich. Nach einem siebenstuͤndigen Schlaf erwachte er muͤrrisch, sprach uͤbel aufgeraͤumt, weinte uͤber ein trauriges zukuͤnftiges Schicksal, und mein Zureden griff wenig ein, denn auch mit meiner Begegnung war er unzufrieden.

So fing der 61ste Tag auch wieder an; er bat mich, ihn sich allein zu uͤberlassen, setzte sich im Win-

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[45/0045] Uhr zugebracht. Um fuͤnf erwachte er schon wieder. Dieser 56ste Tag ward auch muͤrrisch verbracht, und wollte er gar nichts vornehmen; der folgende erschien heiter und blieb so. Heute ging er auch wieder viel auf und ab. Eben so verfloß der 57ste. Am 58sten fiel ihm eine Schreibtafel ein, die er glaubte mitgebracht zu haben, da man sie aber nicht fand, auch ungewiß war, ob er sie bei dem Anfang der Krankheit nicht weggeschenkt hatte — denn die ersten Wochen gab er alles an seine Waͤrter weg, und man mußte die Sachen verbergen — argwohnte er, die Mama wolle sie ihm nur nicht geben, ward daruͤber aͤußerst verdrießlich und hernach gegen den Waͤrter sehr zornig; indessen ging auch dieß voruͤber, und dieß war die erste Nacht, wo nur ein Waͤchter bei ihm blieb. Den 59sten stand er schon gegen sieben Uhr auf, ging herum, beschaͤftigte sich mit Malen und Lesen, jedoch nicht gluͤcklicher als vorher, schlief Nachmittags, und gegen Abend war er beim Besuch seines geistlichen Freundes gut, nur auf die letzt, als ihm derselbe einiges nicht in seinen Kram dienendes anrieth, schwaͤrmte er etwas verdrießlich. Nach einem siebenstuͤndigen Schlaf erwachte er muͤrrisch, sprach uͤbel aufgeraͤumt, weinte uͤber ein trauriges zukuͤnftiges Schicksal, und mein Zureden griff wenig ein, denn auch mit meiner Begegnung war er unzufrieden. So fing der 61ste Tag auch wieder an; er bat mich, ihn sich allein zu uͤberlassen, setzte sich im Win-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/45>, abgerufen am 27.04.2024.