Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.Von seinem vielen Nachtaufsitzen und heimlichen Lesen, wie nicht weniger von vielfachen Arbeiten erwähnte er gleichfalls, und bezeigte völlige Selbstzufriedenheit mit den Graden seines erlernten Wissens. Während diesen Erzählungen hatte ich nur meist in Sylben geantwortet; und da er eine Pause damit machte, so gab ich ihm mein Befremden zu erkennen, in Rücksicht der abgeänderten Religionsgesinnungen, die er sonst hier richtig gefaßt hatte, ob schon nicht nach dem gewöhnlichen Schlendrian, auch wundere es mich, da wir ehedem mehrmalen darüber zu meiner Zufriedenheit gesprochen hatten, wie er so geschwind sich vom Gegentheil habe blenden lassen können. Ja, versetzte er, alles war damals bloße Verstellung bei mir, so wie ich ebenfalls die paar Jahre in meinem Schulauffenthalt alle darmit geäffet habe. Da Heuchelei nie in seinem Grundcharakter gekeimet hatte, und auch mein Erziehungsplan ihm just das Gegentheil eingepräget hatte; so stutzte ich zwar über seine Versicherung, zweifelte indessen doch an ihrer Richtigkeit, so wie an der, daß eine anhaltende Lesung von Voltairischen Schriften ihm Unglauben eingeprediget habe, ob schon er mir von beidem wiederhohlt die sichere Wahrheit behauptete. Wir kehrten zur Stadt zurück, mit der Abrede hierüber ferner uns zu unterhalten. Der Abend ging mit Kartenspiel und leichtem Essen gut vor- Von seinem vielen Nachtaufsitzen und heimlichen Lesen, wie nicht weniger von vielfachen Arbeiten erwaͤhnte er gleichfalls, und bezeigte voͤllige Selbstzufriedenheit mit den Graden seines erlernten Wissens. Waͤhrend diesen Erzaͤhlungen hatte ich nur meist in Sylben geantwortet; und da er eine Pause damit machte, so gab ich ihm mein Befremden zu erkennen, in Ruͤcksicht der abgeaͤnderten Religionsgesinnungen, die er sonst hier richtig gefaßt hatte, ob schon nicht nach dem gewoͤhnlichen Schlendrian, auch wundere es mich, da wir ehedem mehrmalen daruͤber zu meiner Zufriedenheit gesprochen hatten, wie er so geschwind sich vom Gegentheil habe blenden lassen koͤnnen. Ja, versetzte er, alles war damals bloße Verstellung bei mir, so wie ich ebenfalls die paar Jahre in meinem Schulauffenthalt alle darmit geaͤffet habe. Da Heuchelei nie in seinem Grundcharakter gekeimet hatte, und auch mein Erziehungsplan ihm just das Gegentheil eingepraͤget hatte; so stutzte ich zwar uͤber seine Versicherung, zweifelte indessen doch an ihrer Richtigkeit, so wie an der, daß eine anhaltende Lesung von Voltairischen Schriften ihm Unglauben eingeprediget habe, ob schon er mir von beidem wiederhohlt die sichere Wahrheit behauptete. Wir kehrten zur Stadt zuruͤck, mit der Abrede hieruͤber ferner uns zu unterhalten. Der Abend ging mit Kartenspiel und leichtem Essen gut vor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0024" n="24"/><lb/> <p>Von seinem vielen Nachtaufsitzen und heimlichen Lesen, wie nicht weniger von vielfachen Arbeiten erwaͤhnte er gleichfalls, und bezeigte voͤllige Selbstzufriedenheit mit den Graden seines erlernten Wissens. </p> <p>Waͤhrend diesen Erzaͤhlungen hatte ich nur meist in Sylben geantwortet; und da er eine Pause damit machte, so gab ich ihm mein Befremden zu erkennen, in Ruͤcksicht der abgeaͤnderten Religionsgesinnungen, die er sonst hier richtig gefaßt hatte, ob schon nicht nach dem gewoͤhnlichen Schlendrian, auch wundere es mich, da wir ehedem mehrmalen daruͤber zu meiner Zufriedenheit gesprochen hatten, wie er so geschwind sich vom Gegentheil habe blenden lassen koͤnnen. Ja, versetzte er, alles war damals bloße Verstellung bei mir, so wie ich ebenfalls die paar Jahre in meinem Schulauffenthalt alle darmit geaͤffet habe. </p> <p>Da Heuchelei nie in seinem Grundcharakter gekeimet hatte, und auch mein Erziehungsplan ihm just das Gegentheil eingepraͤget hatte; so stutzte ich zwar uͤber seine Versicherung, zweifelte indessen doch an ihrer Richtigkeit, so wie an der, daß eine anhaltende Lesung von Voltairischen Schriften ihm Unglauben eingeprediget habe, ob schon er mir von beidem wiederhohlt die sichere Wahrheit behauptete. </p> <p>Wir kehrten zur Stadt zuruͤck, mit der Abrede hieruͤber ferner uns zu unterhalten. Der Abend ging mit Kartenspiel und leichtem Essen gut vor-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0024]
Von seinem vielen Nachtaufsitzen und heimlichen Lesen, wie nicht weniger von vielfachen Arbeiten erwaͤhnte er gleichfalls, und bezeigte voͤllige Selbstzufriedenheit mit den Graden seines erlernten Wissens.
Waͤhrend diesen Erzaͤhlungen hatte ich nur meist in Sylben geantwortet; und da er eine Pause damit machte, so gab ich ihm mein Befremden zu erkennen, in Ruͤcksicht der abgeaͤnderten Religionsgesinnungen, die er sonst hier richtig gefaßt hatte, ob schon nicht nach dem gewoͤhnlichen Schlendrian, auch wundere es mich, da wir ehedem mehrmalen daruͤber zu meiner Zufriedenheit gesprochen hatten, wie er so geschwind sich vom Gegentheil habe blenden lassen koͤnnen. Ja, versetzte er, alles war damals bloße Verstellung bei mir, so wie ich ebenfalls die paar Jahre in meinem Schulauffenthalt alle darmit geaͤffet habe.
Da Heuchelei nie in seinem Grundcharakter gekeimet hatte, und auch mein Erziehungsplan ihm just das Gegentheil eingepraͤget hatte; so stutzte ich zwar uͤber seine Versicherung, zweifelte indessen doch an ihrer Richtigkeit, so wie an der, daß eine anhaltende Lesung von Voltairischen Schriften ihm Unglauben eingeprediget habe, ob schon er mir von beidem wiederhohlt die sichere Wahrheit behauptete.
Wir kehrten zur Stadt zuruͤck, mit der Abrede hieruͤber ferner uns zu unterhalten. Der Abend ging mit Kartenspiel und leichtem Essen gut vor-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0302_1785/24>, abgerufen am 16.07.2024. |