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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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Jn dem Augenblicke, wenn wir davon unwillkürlich überrascht werden, z.B. wenn jemand auf eine lächerliche Art hinfällt, ist es uns nicht leicht möglich, die bizarren Jdeen, die sich uns zudrängen, und die schnell auf einander folgenden Bilder unsrer spielenden Phantasie, wegzuschaffen, welches gemeiniglich nicht eher geschieht, als bis wir ausgelacht haben, und die Vorstellungen von dem Schaden des andern, und das daher entstehende Mitleid, mehr Stärke in uns erhalten. -- Ausserdem sind oft die Leiden andrer von einer so besondern Art, das Betragen der Leidenden selbst so albern, und ihre Denkungsart von der unsrigen, die wir nach unsrer Meinung in gleichen Fällen an den Tag legen würden, so verschieden, daß wir oft mit Mühe, oft auch gar nicht an ihren Schiksalen Theil nehmen können. Wer einen Don Quixote würklich leiden sähe, würde sich eben so wenig des Lachens enthalten können, als wenn er die Geschichte seiner lächerlichen Unglücksfälle in dem meisterhaften Romane des Cervantes lieset.

Es ist nicht zu läugnen, daß sich alle jene verschiednen Arten des Lachens aus einer einzigen Quelle, nehmlich aus einer lebhaften Stimmung der Freude über das Neue und Auffallende gewisser Dinge, und Ausdrücke erklären lassen, obgleich die individuellen Veranlassungen dazu unendlich verschieden seyn können, und sich ohnmöglich alle angeben lassen. Wir haben noch keinen


Jn dem Augenblicke, wenn wir davon unwillkuͤrlich uͤberrascht werden, z.B. wenn jemand auf eine laͤcherliche Art hinfaͤllt, ist es uns nicht leicht moͤglich, die bizarren Jdeen, die sich uns zudraͤngen, und die schnell auf einander folgenden Bilder unsrer spielenden Phantasie, wegzuschaffen, welches gemeiniglich nicht eher geschieht, als bis wir ausgelacht haben, und die Vorstellungen von dem Schaden des andern, und das daher entstehende Mitleid, mehr Staͤrke in uns erhalten. — Ausserdem sind oft die Leiden andrer von einer so besondern Art, das Betragen der Leidenden selbst so albern, und ihre Denkungsart von der unsrigen, die wir nach unsrer Meinung in gleichen Faͤllen an den Tag legen wuͤrden, so verschieden, daß wir oft mit Muͤhe, oft auch gar nicht an ihren Schiksalen Theil nehmen koͤnnen. Wer einen Don Quixote wuͤrklich leiden saͤhe, wuͤrde sich eben so wenig des Lachens enthalten koͤnnen, als wenn er die Geschichte seiner laͤcherlichen Ungluͤcksfaͤlle in dem meisterhaften Romane des Cervantes lieset.

Es ist nicht zu laͤugnen, daß sich alle jene verschiednen Arten des Lachens aus einer einzigen Quelle, nehmlich aus einer lebhaften Stimmung der Freude uͤber das Neue und Auffallende gewisser Dinge, und Ausdruͤcke erklaͤren lassen, obgleich die individuellen Veranlassungen dazu unendlich verschieden seyn koͤnnen, und sich ohnmoͤglich alle angeben lassen. Wir haben noch keinen

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[94/0096] Jn dem Augenblicke, wenn wir davon unwillkuͤrlich uͤberrascht werden, z.B. wenn jemand auf eine laͤcherliche Art hinfaͤllt, ist es uns nicht leicht moͤglich, die bizarren Jdeen, die sich uns zudraͤngen, und die schnell auf einander folgenden Bilder unsrer spielenden Phantasie, wegzuschaffen, welches gemeiniglich nicht eher geschieht, als bis wir ausgelacht haben, und die Vorstellungen von dem Schaden des andern, und das daher entstehende Mitleid, mehr Staͤrke in uns erhalten. — Ausserdem sind oft die Leiden andrer von einer so besondern Art, das Betragen der Leidenden selbst so albern, und ihre Denkungsart von der unsrigen, die wir nach unsrer Meinung in gleichen Faͤllen an den Tag legen wuͤrden, so verschieden, daß wir oft mit Muͤhe, oft auch gar nicht an ihren Schiksalen Theil nehmen koͤnnen. Wer einen Don Quixote wuͤrklich leiden saͤhe, wuͤrde sich eben so wenig des Lachens enthalten koͤnnen, als wenn er die Geschichte seiner laͤcherlichen Ungluͤcksfaͤlle in dem meisterhaften Romane des Cervantes lieset. Es ist nicht zu laͤugnen, daß sich alle jene verschiednen Arten des Lachens aus einer einzigen Quelle, nehmlich aus einer lebhaften Stimmung der Freude uͤber das Neue und Auffallende gewisser Dinge, und Ausdruͤcke erklaͤren lassen, obgleich die individuellen Veranlassungen dazu unendlich verschieden seyn koͤnnen, und sich ohnmoͤglich alle angeben lassen. Wir haben noch keinen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/96>, abgerufen am 30.04.2024.