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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785.

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schaffenheit unserer Begriffe selbst gelegt hat, indem sie jedem Sinne sein eigenes Gebiet von Begriffen anwieß, die, so nahe sie auch oft aneinander zu gränzen scheinen, doch sich nicht leicht miteinander verwirren lassen.

2) Das Kind weiß gemeiniglich schon eine große Anzahl von Substantiven auszudrücken, ehe es Verben auszusprechen pflegt, und unter diesen lernt es wiederum die am ersten, welche eine starke in die Sinne fallende Handlung, oder ein nahes Bedürfniß anzeigen, z.B. reiten, schlagen, fahren, fallen, gehen, donnern, essen, trinken u.s.w. Zuerst drücken Kinder nur immer den Jnfinitiv solcher Verben aus; ihr Verbum wird anfangs gar nicht conjugirt, und die Personen bezeichnen sie gemeiniglich auf eine erfinderische Art durch Gesten. Nach und nach lernen sie das Vergangene; am spätesten aber das Zukünftige ausdrücken; wahrscheinlich weil in ihnen die Jdee davon immer noch etwas dunkel ist. -- Wir bilden offenbar diesen Begrif erst durch einiges Nachdenken, und durch eine wiederhohlte Erfahrung, daß etwas Vorhergehendes etwas Nachfolgendes nach sich ziehen mußte, oder nach sich zu ziehen pflegte; oder daß eine gewisse Ursache unter den nehmlichen Umständen immer wieder die nehmliche Wirkung nach einer gewissen Zeitfolge hervorbringt. Durch solche wiederhohlte Beobachtungen bilden wir uns den Begrif von Zeit überhaupt,


schaffenheit unserer Begriffe selbst gelegt hat, indem sie jedem Sinne sein eigenes Gebiet von Begriffen anwieß, die, so nahe sie auch oft aneinander zu graͤnzen scheinen, doch sich nicht leicht miteinander verwirren lassen.

2) Das Kind weiß gemeiniglich schon eine große Anzahl von Substantiven auszudruͤcken, ehe es Verben auszusprechen pflegt, und unter diesen lernt es wiederum die am ersten, welche eine starke in die Sinne fallende Handlung, oder ein nahes Beduͤrfniß anzeigen, z.B. reiten, schlagen, fahren, fallen, gehen, donnern, essen, trinken u.s.w. Zuerst druͤcken Kinder nur immer den Jnfinitiv solcher Verben aus; ihr Verbum wird anfangs gar nicht conjugirt, und die Personen bezeichnen sie gemeiniglich auf eine erfinderische Art durch Gesten. Nach und nach lernen sie das Vergangene; am spaͤtesten aber das Zukuͤnftige ausdruͤcken; wahrscheinlich weil in ihnen die Jdee davon immer noch etwas dunkel ist. — Wir bilden offenbar diesen Begrif erst durch einiges Nachdenken, und durch eine wiederhohlte Erfahrung, daß etwas Vorhergehendes etwas Nachfolgendes nach sich ziehen mußte, oder nach sich zu ziehen pflegte; oder daß eine gewisse Ursache unter den nehmlichen Umstaͤnden immer wieder die nehmliche Wirkung nach einer gewissen Zeitfolge hervorbringt. Durch solche wiederhohlte Beobachtungen bilden wir uns den Begrif von Zeit uͤberhaupt,

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[82/0084] schaffenheit unserer Begriffe selbst gelegt hat, indem sie jedem Sinne sein eigenes Gebiet von Begriffen anwieß, die, so nahe sie auch oft aneinander zu graͤnzen scheinen, doch sich nicht leicht miteinander verwirren lassen. 2) Das Kind weiß gemeiniglich schon eine große Anzahl von Substantiven auszudruͤcken, ehe es Verben auszusprechen pflegt, und unter diesen lernt es wiederum die am ersten, welche eine starke in die Sinne fallende Handlung, oder ein nahes Beduͤrfniß anzeigen, z.B. reiten, schlagen, fahren, fallen, gehen, donnern, essen, trinken u.s.w. Zuerst druͤcken Kinder nur immer den Jnfinitiv solcher Verben aus; ihr Verbum wird anfangs gar nicht conjugirt, und die Personen bezeichnen sie gemeiniglich auf eine erfinderische Art durch Gesten. Nach und nach lernen sie das Vergangene; am spaͤtesten aber das Zukuͤnftige ausdruͤcken; wahrscheinlich weil in ihnen die Jdee davon immer noch etwas dunkel ist. — Wir bilden offenbar diesen Begrif erst durch einiges Nachdenken, und durch eine wiederhohlte Erfahrung, daß etwas Vorhergehendes etwas Nachfolgendes nach sich ziehen mußte, oder nach sich zu ziehen pflegte; oder daß eine gewisse Ursache unter den nehmlichen Umstaͤnden immer wieder die nehmliche Wirkung nach einer gewissen Zeitfolge hervorbringt. Durch solche wiederhohlte Beobachtungen bilden wir uns den Begrif von Zeit uͤberhaupt,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 1. Berlin, 1785, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0301_1785/84>, abgerufen am 30.04.2024.