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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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hohen Thürmen, Mauern und Zinnen, zwischen denen eine
köstliche Vegetation von Feigen und Lorbeerbäumen sich her-
vordrängt. Ungeheure Epheustämme steigen empor und schei-
nen mit tausend Armen das alte Gemäuer zusammenhalten
zu wollen. Es ist sonderbar, daß die Fabel sich nicht auch
einer eigenthümlichen Lokalität bemächtigt hat, welche die
Türken Top-tasch, den Kanonenfels, nennen. Dicht nörd-
lich von dem Schloß Karibsche bildet das schwarze Gestein
eine Kluft, die sich rückwärts trichterförmig zu einer Röhre
gestaltet, welche am Ende eine Oeffnung nach oben hat.
Bei hoher See wälzen sich die Wogen in diesen Spalt hin-
ein; sie schießen mit Ungestüm in den stets schmaler wer-
denden Raum vorwärts und spritzen mit lautem Getöse in
einer wohl 20 Fuß hohen Dampfsäule aus der engen Oeff-
nung hervor. Was hätten die Argonauten nicht von einer
solchen Oertlichkeit erzählen können? Jhre schwimmenden
Felsen, die Kyanäen, liegen dicht vor dem europäischen
Leuchtthurm an der Mündung des Bosphor und tragen
eine kleine Marmorsäule, welche dem Pompejus geweiht
sein soll. Jch bin mehrmals nach starken Nordost-Stür-
men ausdrücklich nach Rumeli-Fener geritten, um die ge-
waltigen Wogen sich gegen diese schwarzen Klippen brechen
zu sehen. Gegenüber, dicht neben dem asiatischen Thurm
oder Anadoli-Fener, stürzt eine prächtige Basaltwand senk-
recht zum Meere ab und bildet eine schöne Grotte, in welche
die Wogen hineinspülen. Jenseit dieser Pylen erhebt sich
der Euxin wie eine hohe dunkelblaue Wand. Der Blick
kehrt zurück, um die Einzelnheiten des schönen Prospekts zu
mustern, den mächtigen Schiffen mit ihren blendenden Baum-
wollen-Seegeln zu folgen, oder die Pyroscaphen zu bewun-
dern, welche stolz und unabhängig von Wind und Strömung
zwischen den hohen Felswänden durchbrausen, die von dem
Schlag ihrer Schaufeln wiederhallen. -- Das Alles siehst
und hörst Du von meinem kleinen Rohrschemel unter der
breiten schattigen Platane.

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hohen Thuͤrmen, Mauern und Zinnen, zwiſchen denen eine
koͤſtliche Vegetation von Feigen und Lorbeerbaͤumen ſich her-
vordraͤngt. Ungeheure Epheuſtaͤmme ſteigen empor und ſchei-
nen mit tauſend Armen das alte Gemaͤuer zuſammenhalten
zu wollen. Es iſt ſonderbar, daß die Fabel ſich nicht auch
einer eigenthuͤmlichen Lokalitaͤt bemaͤchtigt hat, welche die
Tuͤrken Top-taſch, den Kanonenfels, nennen. Dicht noͤrd-
lich von dem Schloß Karibſche bildet das ſchwarze Geſtein
eine Kluft, die ſich ruͤckwaͤrts trichterfoͤrmig zu einer Roͤhre
geſtaltet, welche am Ende eine Oeffnung nach oben hat.
Bei hoher See waͤlzen ſich die Wogen in dieſen Spalt hin-
ein; ſie ſchießen mit Ungeſtuͤm in den ſtets ſchmaler wer-
denden Raum vorwaͤrts und ſpritzen mit lautem Getoͤſe in
einer wohl 20 Fuß hohen Dampfſaͤule aus der engen Oeff-
nung hervor. Was haͤtten die Argonauten nicht von einer
ſolchen Oertlichkeit erzaͤhlen koͤnnen? Jhre ſchwimmenden
Felſen, die Kyanaͤen, liegen dicht vor dem europaͤiſchen
Leuchtthurm an der Muͤndung des Bosphor und tragen
eine kleine Marmorſaͤule, welche dem Pompejus geweiht
ſein ſoll. Jch bin mehrmals nach ſtarken Nordoſt-Stuͤr-
men ausdruͤcklich nach Rumeli-Fener geritten, um die ge-
waltigen Wogen ſich gegen dieſe ſchwarzen Klippen brechen
zu ſehen. Gegenuͤber, dicht neben dem aſiatiſchen Thurm
oder Anadoli-Fener, ſtuͤrzt eine praͤchtige Baſaltwand ſenk-
recht zum Meere ab und bildet eine ſchoͤne Grotte, in welche
die Wogen hineinſpuͤlen. Jenſeit dieſer Pylen erhebt ſich
der Euxin wie eine hohe dunkelblaue Wand. Der Blick
kehrt zuruͤck, um die Einzelnheiten des ſchoͤnen Proſpekts zu
muſtern, den maͤchtigen Schiffen mit ihren blendenden Baum-
wollen-Seegeln zu folgen, oder die Pyroscaphen zu bewun-
dern, welche ſtolz und unabhaͤngig von Wind und Stroͤmung
zwiſchen den hohen Felswaͤnden durchbrauſen, die von dem
Schlag ihrer Schaufeln wiederhallen. — Das Alles ſiehſt
und hoͤrſt Du von meinem kleinen Rohrſchemel unter der
breiten ſchattigen Platane.

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[81/0091] hohen Thuͤrmen, Mauern und Zinnen, zwiſchen denen eine koͤſtliche Vegetation von Feigen und Lorbeerbaͤumen ſich her- vordraͤngt. Ungeheure Epheuſtaͤmme ſteigen empor und ſchei- nen mit tauſend Armen das alte Gemaͤuer zuſammenhalten zu wollen. Es iſt ſonderbar, daß die Fabel ſich nicht auch einer eigenthuͤmlichen Lokalitaͤt bemaͤchtigt hat, welche die Tuͤrken Top-taſch, den Kanonenfels, nennen. Dicht noͤrd- lich von dem Schloß Karibſche bildet das ſchwarze Geſtein eine Kluft, die ſich ruͤckwaͤrts trichterfoͤrmig zu einer Roͤhre geſtaltet, welche am Ende eine Oeffnung nach oben hat. Bei hoher See waͤlzen ſich die Wogen in dieſen Spalt hin- ein; ſie ſchießen mit Ungeſtuͤm in den ſtets ſchmaler wer- denden Raum vorwaͤrts und ſpritzen mit lautem Getoͤſe in einer wohl 20 Fuß hohen Dampfſaͤule aus der engen Oeff- nung hervor. Was haͤtten die Argonauten nicht von einer ſolchen Oertlichkeit erzaͤhlen koͤnnen? Jhre ſchwimmenden Felſen, die Kyanaͤen, liegen dicht vor dem europaͤiſchen Leuchtthurm an der Muͤndung des Bosphor und tragen eine kleine Marmorſaͤule, welche dem Pompejus geweiht ſein ſoll. Jch bin mehrmals nach ſtarken Nordoſt-Stuͤr- men ausdruͤcklich nach Rumeli-Fener geritten, um die ge- waltigen Wogen ſich gegen dieſe ſchwarzen Klippen brechen zu ſehen. Gegenuͤber, dicht neben dem aſiatiſchen Thurm oder Anadoli-Fener, ſtuͤrzt eine praͤchtige Baſaltwand ſenk- recht zum Meere ab und bildet eine ſchoͤne Grotte, in welche die Wogen hineinſpuͤlen. Jenſeit dieſer Pylen erhebt ſich der Euxin wie eine hohe dunkelblaue Wand. Der Blick kehrt zuruͤck, um die Einzelnheiten des ſchoͤnen Proſpekts zu muſtern, den maͤchtigen Schiffen mit ihren blendenden Baum- wollen-Seegeln zu folgen, oder die Pyroscaphen zu bewun- dern, welche ſtolz und unabhaͤngig von Wind und Stroͤmung zwiſchen den hohen Felswaͤnden durchbrauſen, die von dem Schlag ihrer Schaufeln wiederhallen. — Das Alles ſiehſt und hoͤrſt Du von meinem kleinen Rohrſchemel unter der breiten ſchattigen Platane. 6

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/91>, abgerufen am 27.11.2024.