Der Bosphorus ist von hoher militairischer Wichtig- keit für Konstantinopel. Der Nordwind, welcher den gan- zen Sommer hindurch weht, und die Strömung, welche constant aus dem Schwarzen in das Marmormeer geht, begünstigt im Vergleich mit den Dardanellen ungemein das Eindringen einer feindlichen Flotte in die Gewässer der Haupt- stadt. Dagegen ist aber der gewundene Lauf und die ge- ringere Breite des Bosphor wohl in Anschlag zu bringen, dessen Ufer an der schmalsten Stelle nur halb so weit aus- einander stehen, als die der Dardanellen an dem engsten Paß. Die beiden Leuchtthürme und ihre Batterien sind 4166 Schritte entfernt, bei Telli Tabia verengt sich die Straße aber schon auf 1497 Schritte, und zwischen den Hissaren so- gar auf 958 Schritte. Das Bassin zwischen Rumeli-Kawak und Madschiar-Kalessi ist von vier Batterien mit mehr als 250 Geschützen bestrichen, deren Schüsse von einem Ufer auf das andere reichen, und jedes Schiff zugleich der Länge nach und von der Seite fassen. Die Gewalt der Elemente wird eine Flotte ohne Zweifel hindurch führen, aber in wel- chem Zustande sie vor Konstantinopel ankommt, ist aus dem Gesagten zu ermessen.
Wie bei den Dardanellen wird der Angreifer wahr- scheinlich auch hier versuchen müssen, sich durch einen Ueber- fall von der Landseite der gefährlichsten Batterien zu bemei- stern. Die Ausschiffung der dazu erforderlichen Streitkräfte hat indeß ihre große Schwierigkeit; sie müßte sowohl in Asien als in Europa erfolgen, denn die Batterien jeder der beiden Küsten einzeln genommen reichen aus, die Durchfahrt einer Flotte äußerst mißlich zu machen. Riwa und Kilia, die zunächst gelegenen Buchten, welche sich für diesen Zweck eignen, sind durch Forts gesichert; die entferntern Punkte der felsigen Küste sind an sich schwierig, und der Anmarsch durch ein unwegsames Waldgebirge dann um so weiter. Dabei kommt endlich ganz besonders die unmittelbare Nähe einer Stadt wie Konstantinopel in Betracht, welche doch immer eine starke Besatzung haben wird; und endlich sind
Der Bosphorus iſt von hoher militairiſcher Wichtig- keit fuͤr Konſtantinopel. Der Nordwind, welcher den gan- zen Sommer hindurch weht, und die Stroͤmung, welche conſtant aus dem Schwarzen in das Marmormeer geht, beguͤnſtigt im Vergleich mit den Dardanellen ungemein das Eindringen einer feindlichen Flotte in die Gewaͤſſer der Haupt- ſtadt. Dagegen iſt aber der gewundene Lauf und die ge- ringere Breite des Bosphor wohl in Anſchlag zu bringen, deſſen Ufer an der ſchmalſten Stelle nur halb ſo weit aus- einander ſtehen, als die der Dardanellen an dem engſten Paß. Die beiden Leuchtthuͤrme und ihre Batterien ſind 4166 Schritte entfernt, bei Telli Tabia verengt ſich die Straße aber ſchon auf 1497 Schritte, und zwiſchen den Hiſſaren ſo- gar auf 958 Schritte. Das Baſſin zwiſchen Rumeli-Kawak und Madſchiar-Kaleſſi iſt von vier Batterien mit mehr als 250 Geſchuͤtzen beſtrichen, deren Schuͤſſe von einem Ufer auf das andere reichen, und jedes Schiff zugleich der Laͤnge nach und von der Seite faſſen. Die Gewalt der Elemente wird eine Flotte ohne Zweifel hindurch fuͤhren, aber in wel- chem Zuſtande ſie vor Konſtantinopel ankommt, iſt aus dem Geſagten zu ermeſſen.
Wie bei den Dardanellen wird der Angreifer wahr- ſcheinlich auch hier verſuchen muͤſſen, ſich durch einen Ueber- fall von der Landſeite der gefaͤhrlichſten Batterien zu bemei- ſtern. Die Ausſchiffung der dazu erforderlichen Streitkraͤfte hat indeß ihre große Schwierigkeit; ſie muͤßte ſowohl in Aſien als in Europa erfolgen, denn die Batterien jeder der beiden Kuͤſten einzeln genommen reichen aus, die Durchfahrt einer Flotte aͤußerſt mißlich zu machen. Riwa und Kilia, die zunaͤchſt gelegenen Buchten, welche ſich fuͤr dieſen Zweck eignen, ſind durch Forts geſichert; die entferntern Punkte der felſigen Kuͤſte ſind an ſich ſchwierig, und der Anmarſch durch ein unwegſames Waldgebirge dann um ſo weiter. Dabei kommt endlich ganz beſonders die unmittelbare Naͤhe einer Stadt wie Konſtantinopel in Betracht, welche doch immer eine ſtarke Beſatzung haben wird; und endlich ſind
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Der Bosphorus iſt von hoher militairiſcher Wichtig-
keit fuͤr Konſtantinopel. Der Nordwind, welcher den gan-
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conſtant aus dem Schwarzen in das Marmormeer geht,
beguͤnſtigt im Vergleich mit den Dardanellen ungemein das
Eindringen einer feindlichen Flotte in die Gewaͤſſer der Haupt-
ſtadt. Dagegen iſt aber der gewundene Lauf und die ge-
ringere Breite des Bosphor wohl in Anſchlag zu bringen,
deſſen Ufer an der ſchmalſten Stelle nur halb ſo weit aus-
einander ſtehen, als die der Dardanellen an dem engſten
Paß. Die beiden Leuchtthuͤrme und ihre Batterien ſind
4166 Schritte entfernt, bei Telli Tabia verengt ſich die Straße
aber ſchon auf 1497 Schritte, und zwiſchen den Hiſſaren ſo-
gar auf 958 Schritte. Das Baſſin zwiſchen Rumeli-Kawak
und Madſchiar-Kaleſſi iſt von vier Batterien mit mehr als
250 Geſchuͤtzen beſtrichen, deren Schuͤſſe von einem Ufer
auf das andere reichen, und jedes Schiff zugleich der Laͤnge
nach und von der Seite faſſen. Die Gewalt der Elemente
wird eine Flotte ohne Zweifel hindurch fuͤhren, aber in wel-
chem Zuſtande ſie vor Konſtantinopel ankommt, iſt aus dem
Geſagten zu ermeſſen.
Wie bei den Dardanellen wird der Angreifer wahr-
ſcheinlich auch hier verſuchen muͤſſen, ſich durch einen Ueber-
fall von der Landſeite der gefaͤhrlichſten Batterien zu bemei-
ſtern. Die Ausſchiffung der dazu erforderlichen Streitkraͤfte
hat indeß ihre große Schwierigkeit; ſie muͤßte ſowohl in
Aſien als in Europa erfolgen, denn die Batterien jeder der
beiden Kuͤſten einzeln genommen reichen aus, die Durchfahrt
einer Flotte aͤußerſt mißlich zu machen. Riwa und Kilia,
die zunaͤchſt gelegenen Buchten, welche ſich fuͤr dieſen Zweck
eignen, ſind durch Forts geſichert; die entferntern Punkte
der felſigen Kuͤſte ſind an ſich ſchwierig, und der Anmarſch
durch ein unwegſames Waldgebirge dann um ſo weiter.
Dabei kommt endlich ganz beſonders die unmittelbare Naͤhe
einer Stadt wie Konſtantinopel in Betracht, welche doch
immer eine ſtarke Beſatzung haben wird; und endlich ſind
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/92>, abgerufen am 23.11.2024.
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