Briefe
uͤber
Zuſtände und Begebenheiten
in der
Türkei
aus
den Jahren 1835 bis 1839 .
Briefe
uͤber
Zuſtände und Begebenheiten
in der
Türkei
aus
den Jahren 1835 bis 1839 .
Berlin , Poſen und Bromberg .
Druck und Verlag von Ernſt Siegfried Mittler .
1841 .
Vorwort .
D ie hier vorliegenden Briefe , aus den Jahren 1835
bis 1839 , uͤber einen ſo wenig bekannten und durch
die Zeitverhaͤltniſſe doppelt intereſſant gewordenen Theil
des tuͤrkiſchen Orients , enthalten ſo viel ganz neue Be-
obachtung und friſcheſte Darſtellung von Land und Volk ,
ſo wie des merkwuͤrdig ſelbſt Erlebten , daß ihre Ver-
oͤffentlichung nur als eine ſehr erfreuliche Erſcheinung
betrachtet werden kann . Sie waren zwar keineswegs
fuͤr eine oͤffentliche Mittheilung , ſondern nur an ver-
ſchiedene theilnehmende Freunde , im Drange des Her-
zens und in Folge einer ſeltenen Reihe uͤberraſchender
Situationen und merkwuͤrdiger Begebenheiten geſchrie-
ben , in welche der unternehmende Verfaſſer nach und
nach verwickelt wurde ; um ſo groͤßern Werth haben
ſie bei einer ſo lebendigen als treuen und geiſtreichen
Auffaſſung und Abſpiegelung nach innen und außen ,
und deſto groͤßern Dank iſt man der wohlwollenden
Mittheilung derſelben ſchuldig .
Man ſieht , wie der Herr Verf. , von einer ab-
ſichtslos unternommenen Wanderung zu ſeiner Beleh-
rung an den herrlichen Bosporus , dort , durch die
Zeitumſtaͤnde und ſeine eigene militairiſche Ausbildung
beguͤnſtigt , eine einflußreiche Stellung fuͤr die innere
Organiſation des Heeres im Orient gewinnt , und in
Folge dieſer eine ſeltene Gelegenheit zu Beobachtungen
und Erfahrungen , zu Entdeckungen und Unternehmun-
gen der mannichfaltigſten Art findet , zumal in den Laͤn-
dern der Tuͤrken , Turkmanen , Araber und Kurden , am
obern Euphrat und Tigris , welche wohl nicht ſobald
ein zweites Mal ſich wiederholen moͤchte .
Da dieſe Landſchaften nicht bloß zu den weniger
bekannten , ſondern zum Theil zu den noch gaͤnzlich un-
bekannt gebliebenen gehoͤren , und die Reiſen durch die-
ſelben mit eigentlichen Recognoſcirungen und theilwei-
ſen Aufnahmen derſelben , zu Entwerfung von Plaͤnen
und Karten , verbunden waren , ſo geht daraus ein um
ſo reicherer Gewinn auch fuͤr die geographiſche Wiſ-
ſenſchaft hervor . Wir brauchen in dieſer Hinſicht nur
auf die erſte von dem Herrn Verfaſſer gewagte Be-
ſchiffung und Recognoſcirung des obern Euphratlaufes ,
in der Terra incognita ſeines Taurusdurchbruches ,
von Palu bis Samſat , wie an die nicht weniger bis-
her unbekannt gebliebene , auf dem Tigris , von Diar-
bekir bis Moßul , zu erinnern , um zu zeigen , welche
Erweiterung dadurch der Geographie zu Theil wird , da
dieſe Stromlaͤufe bisher nur etwa erſt unterhalb der
genannten Orte , Samſat und Moßul , einigermaßen ge-
nauer bekannt , im obern aber ganz irrig auf unſern
Karten verzeichnet waren . Aehnliches laͤßt ſich von
den kriegeriſchen Expeditionen gegen die Kurdenſchloͤſſer ,
auf dem Norduferlande des Tigris gegen Kurdiſtan ,
und von den Tigrisquellen ſelbſt ſagen . Man koͤnnte
nur etwa bedauern , daß die charakteriſtiſchen Bericht-
erſtattungen zuweilen zu gedraͤngt und aphoriſtiſch mit-
getheilt ſind , dagegen ſie aber deſto tiefer und farbiger
ſich dem Gemuͤthe des Leſers aufdraͤngen .
Erſt ſpaͤter folgte dem Herrn Verf. die bekannte ,
amtliche , militairiſche Expedition ſeiner Landsleute in den
Orient nach , welcher auch ſeine Arbeiten , bei kuͤnftig zu
hoffender Herausgabe ihrer allgemeinern , rein geogra-
phiſchen und cartographiſchen Reſultate , ſich , nach un-
ſerer gewonnenen Einſicht und Ueberzeugung , zu wahr-
haft glaͤnzender Erweiterung und Fortſchritt , fuͤr die
geographiſche Wiſſenſchaft , anſchließen werden .
Von beſonderm politiſchen Zeitintereſſe werden aber
dieſe ausgezeichneten Mittheilungen , weil ſie einen tie-
fern Blick in die innere Organiſation der Osmanen-
Verwaltung geſtatten , und noch obenein dadurch , daß
ſie unmittelbar vom tuͤrkiſchen Hauptquartier des juͤng-
ſten Kriegstheaters , am obern Euphrat ſelbſt , aus-
gingen , welches zu einer eben ſo uͤberraſchenden wie
wichtigen Wendung der orientaliſchen Angelegenheiten ,
die zugleich die europaͤiſchen geworden ſind , die Wege
bahnte .
Da uns Schreiber und Empfaͤnger dieſer trefflichen
Mittheilungen , wie zugehoͤriger Arbeiten , und auch die
Verhaͤltniſſe , aus denen ſie hervorgingen , genauer be-
kannt geworden ſind : ſo hielten wir es fuͤr Pflicht , uns
dem Wunſche der Befreundeten , mit dem Vorworte die-
ſer geringen Zeilen die anſpruchsloſe aber gehaltreiche
Schrift in das groͤßere , allgemeinere Publicum einzufuͤh-
ren , nicht entziehen zu duͤrfen .
Berlin , den 5. Januar 1841.
C. Ritter .
Briefe
uͤber
Zuſtände und Begebenheiten
in der
Türkei .
1.
Beſuch beim Paſcha von Neu-Orſowa . Reiſe durch
die Wallachei — Bukareſt .
Bukareſt , den 25. Oktober 1835 .
D icht unterhalb Alt-Orſowa taucht aus den Fluthen des
Donauſtroms ein Eiland empor , welches eine tuͤrkiſche Fe-
ſtung traͤgt . Die Oeſterreicher , die ſie erbaut , tauften ſie
Neu-Orſowa ; die Tuͤrken eroberten den Platz , und obwohl
ſeitdem ihre Grenzen von den Karpathen bis zum Balkan
zuruͤckgedraͤngt wurden , hauſet noch heute ein Paſcha in
Ada-Kaleſſi , der Jnſelfeſtung . Weit hinaus geſchoben zwi-
ſchen chriſtliche Laͤnder ragt hier ein letztes Minareh em-
por , von welchem die Verehrung des Propheten verkuͤndet
wird , und die Tuͤrken , die von ihrem eigenen Grund und
Boden , aus Serbien und Wallachei verbannt ſind , finden
auf jener Jnſel eine Zuflucht .
Jn Begleitung eines Zoll- und eines Geſundheits-Be-
amten wurde meinem Reiſegefaͤhrten , dem Baron von B. ,
und mir erlaubt , Sr. tuͤrkiſchen Excellence einen Beſuch ab-
zuſtatten . Jn funfzehn Minuten waren wir da , aber nur
in funfzehn Tagen konnten wir auf oͤſterreichiſchen Grund
zuruͤckkehren , wenn wir in die geringſte Beruͤhrung mit
Perſonen oder Stoffen geriethen , die fuͤr peſtfangend gel-
ten . Dieſe Drohung war indeß weniger ſchrecklich fuͤr
uns , die wir nach der Tuͤrkei wollten , als fuͤr die beiden
Beamten , welche wieder zuruͤck mußten . Auch hatte der
eine von ihnen waͤhrend unſerer Audienz vollauf zu thun ,
1
um mit ſeinem langen Stock eine Feder zu pariren , welche
der Zugwind an der Erde hin und her bewegte .
Osman Paſcha empfing mit vieler Freundlichkeit zwei
Fremde , die aus dem fernen Lande „ Trandeburg “ kamen .
Er ließ uns Kaffee reichen und Pfeifen , und geſtattete uns
ſeine Feſtung zu beſehen . Der Paſcha iſt ein ſtattlicher
Herr mit dickem rothen Bart , aber ſo unbeſchreiblich ſchlecht
logirt , wie bei uns kein Dorfſchulze . Sein Pallaſt iſt ein
Bretterſchuppen , der an ein detachirtes Baſtion angeklebt
iſt . Trotz der empfindlichſten Kaͤlte ſaßen wir in einem
halboffenen Gemach ohne Fenſterſcheiben . Sehr unnoͤthiger-
weiſe hatten wir uns in Frack geſetzt , waͤhrend Se. Excel-
lence in zwei bis drei Pelzen , einen groͤßer und weiter als
den andern , ganz à son aise erſchienen .
Jn der Stadt uͤberraſchte uns die Unreinlichkeit der
engen Straßen . Die Anzuͤge der Maͤnner waren roth ,
gelb , blau , kurz von den ſchreiendſten Farben , aber alle
zerlumpt . Die Frauen ſchlichen tief verhuͤllt wie Geſpen-
ſter umher . Alle Wohnungen trugen Spuren des Zerfalls ,
und an der Feſtung iſt , glaub' ich , ſeit der Beſitznahme
kein Ziegel ausgebeſſert .
Am 31. Oktober ſetzten wir unſere Reiſe durch die
Wallachei fort . Wenn mein Urtheil uͤber dies Land nicht
ſehr guͤnſtig ausfaͤllt , ſo muß ich zur Steuer der Wahrheit
bemerken , daß ich nur den noch in dem letzten Feldzuge
furchtbar verwuͤſteten Theil geſehen . Vielleicht ſind die
noͤrdlichen Gegenden beſſer . Dabei durchzogen wir dieſe
Einoͤde waͤhrend eines mehrtaͤgigen unausgeſetzten Regens ,
und es war ein Gluͤck fuͤr mich , die muͤhevolle Reiſe we-
nigſtens in angenehmer Geſellſchaft zu machen .
Wir hatten uns in Orſowa einen Leiterwagen gekauft ,
denn die wallachiſchen Fuhrwerke ſind wie Kinderwagen ,
nicht uͤber 2 Fuß 4 Zoll hoch , und ſo kurz und eng , daß
kaum ein Menſch darin ſitzen kann , fuͤhrte er auch ſo we-
nig Gepaͤck mit ſich , wie wir . An dem ganzen Wagen iſt
nicht das kleinſte Stuͤck Eiſen ; Nabe , Achſe , Alles von
Holz . Eben ſo wenig darf man irgend eine Art Metall
an dem Pferdegeſchirr ſuchen . Wir fanden nachmals die
Fluͤſſe ſo angeſchwollen , daß das Waſſer bis in unſern
großen Wagen trat , und gratulirten uns , nicht noch zwei
Schuhe niedriger zu ſitzen . Unſere Karoſſe galt aber fuͤr
eine voiture monstre in der Wallachei ; man ſpannte uns
acht Pferde vor , und an ſchwierigen Stellen noch einige
Buͤffel . Wo es indeß der Weg geſtattete , da ging es in
ſchnellem Galop und unter lautem Schreien der Poſtillone
davon , die ohne Sattel auf den kleinen Pferden ſaßen und
faſt die Erde mit den Beinen beruͤhrten . Das Rufen be-
nachrichtigt ſchon von weitem die Poſt , und wenn man in
den umzaͤunten Hof faͤhrt , ſtehen die neuen Pferde bereit .
Der Regen goß unaufhoͤrlich vom Himmel , und mein
Hut war ſo durchweicht , daß ich ihn aus dem Wagen
warf . Zu Crajowa mußten wir , um unſere Pelze zu trock-
nen , zum Baͤcker ſchicken , und erhielten ſie , wie eine Art
Backwerk , halb verbrannt zuruͤck . Jn den Doͤrfern fand
man nichts , weder Eſſen , noch Trinken , noch Nachtquar-
tier . Selbſt die Poſtaͤmter ſind elende Huͤtten oder eigent-
lich Hoͤhlen in der Erde , mit einem Dach aus Zweigen
uͤberdeckt . Von einer ſolchen Armuth habe ich mir bisher
keine Vorſtellung zu machen gewußt .
Nicht wenig erfreut waren wir , in Bukareſt ein Gaſt-
haus zu finden . Seit Orſowa hatten wir keins geſehen .
Durch unſern Conſul wurden wir dem Fuͤrſten Alexan-
der Ghika vorgeſtellt und in mehrere Bojaren-Familien
eingefuͤhrt . Der Fuͤrſt gab uns ein Diner und befahl ein
Exerziren , welches letztere aber wegen heftigen Schnee-
geſtoͤbers abbeſtellt werden mußte .
Obwohl wir uns faſt unter dem naͤmlichen Breiten-
grade mit Genua befinden , wo ich mich vorigen Jahrs um
dieſe Zeit des ſchoͤnſten Sommers erfreute , ſo iſt hier doch
ſchon Alles in tiefem Winter erſtarrt . Wir durchſtreifen
indeß die Stadt , die Kaſernen und die Salons , und ruͤſten
uns zur Reiſe nach Konſtantinopel .
Jn Bukareſt erblickt man die elendeſten Huͤtten neben
Pallaͤſten im neueſten Styl und alten Kirchen von byzan-
tiniſcher Bauart ; die bitterſte Armuth zeigt ſich neben dem
uͤppigſten Luxus , und Aſien und Europa ſcheinen ſich in
dieſer Stadt zu beruͤhren .
2.
Zuſtand der Wallachei . — Die Spuren langer Knecht-
ſchaft . — Conſulate . — Geringe Einwirkung der Re-
gierung auf das Land . — Vergleich mit Serbien .
Die Wallachei iſt ſeit fuͤnf Jahren erſt in die Reihe
chriſtlicher Laͤnder getreten , und wenn dies zwar unter der
Bedingung einer doppelten Abhaͤngigkeit geſchah , ſo hat ſie
doch das Recht erlangt , ihre innere Verwaltung nach eige-
nem Ermeſſen zu regeln . Mit Erwartung blickt daher Eu-
ropa auf die Anfaͤnge eines beſſeren Zuſtandes , welcher ſich
in einem kleinem Zeitraume zwar , aber nach großen Um-
waͤlzungen entwickelt haben moͤchte .
Die Phyſiognomie dieſes Landes traͤgt die furchtbar-
ſten Spuren einer langen Knechtſchaft . Zur Haͤlfte noch
in Truͤmmern und Schutthaufen liegen die Staͤdte ohne
Mauern , ohne Thore , denn jede Gegenwehr war bisher
Verbrechen geweſen . Nachdem der Widerſtand ſich ſo oft
fruchtlos gezeigt , nachdem er ſo oft verderblich geworden
war , dachte der Wallache an keine andere Rettung mehr ,
als an die Flucht . Sobald eine tuͤrkiſche Schaar uͤber die
Donau herangezogen kam , entwich wer etwas zu verlieren
hatte in die Waͤlder nach Ungarn oder nach Siebenbuͤrgen .
Die Bojaren gingen ſtets mit dieſem Beiſpiele voran , und
in vierzig Jahren hatte die wallachiſche Bevoͤlkerung ſieben-
mal die Flucht ergriffen .
Die Ortſchaften dieſes Landes liegen in Thaͤlern , gleich-
ſam im Verſteck , denn wer zuruͤckblieb , ſuchte Schutz in
ſeiner Armuth , ſeinem Elend und in der Verborgenheit .
Welchen Anblick gewaͤhren noch heute jene Doͤrfer ohne
Gaͤrten , ohne Obſtbaͤume , ohne Kirchen , und man moͤchte
ſagen ohne Haͤuſer , denn dieſe ſind in die Erde verſenkt
und nur mit einem Dach aus Zweigen eingedeckt . Vor-
werke , Muͤhlen , Wirthſchaftshaͤuſer , Alleen , Anpflanzungen ,
Bruͤcken oder Schloͤſſer erblickt man waͤhrend ganzer Tage-
reiſen nicht .
Das flache Land iſt vollkommen baumlos , obſchon ein
Drittel deſſelben mit Eichengeſtripp uͤberdeckt iſt . An An-
pflanzen dachte hier natuͤrlich Niemand , und die ſchoͤnen
Waldungen , welche die Natur geſchenkt , ſind auf eine Art
verwuͤſtet , daß man kaum begreift , wie Bosheit , Nachlaͤſ-
ſigkeit , Muthwille , wie Menſchenkraͤfte in ihrer verderb-
lichen Richtung uͤberhaupt zu ſolchen Verheerungen aus-
reichten . Es wird eben ſo ſchwer ſein , dieſe großen Flaͤ-
chen in Forſt- als in Getreide-Land umzuwandeln . Von
dem zum Ackerbau faͤhigen Boden iſt kaum der fuͤnfte Theil
beſtellt , und ſo gleicht denn dieſes Land in der That nur
einer weiten Wuͤſtenei , einer Wuͤſtenei freilich , die nur auf
fleißige Menſchenhaͤnde wartet , um jede Muͤhe uͤberſchweng-
lich zu lohnen . Nur ſehr wenige Bojaren bewirthſchaften
ihre großen Guͤter ſelbſt , die mehrſten haben ihre Haͤuſer
in den Staͤdten , wo auch die Kirchen zuſammengedraͤngt
ſind , die auf dem Lande fehlen . Dieſer Adel hat ſeit den
letzten Umwaͤlzungen viel verloren ; er iſt zu Grunde gerich-
tet , nicht deshalb , weil der Druck , unter welchem der Land-
mann ſeufzte , gemindert iſt ( denn der Preis der Grund-
ſtuͤcke iſt außerordentlich geſtiegen ) , aber die Bojaren lebten
fruͤher von den Aemtern , die ſie verhandelten , oder ſelbſt
ausbeuteten , und dieſe ſind nun durch Beamte mit feſter
Beſoldung verwaltet . Welche Wohlthat ſchon , daß die erſte
Stelle des Landes , die des Hospodaren , nicht mehr ver-
kauft wird . Die Wallachei hat in ſiebzig Jahren vierzig
Fuͤrſten gehabt ; jetzt iſt die Hospodaren- Wuͤrde lebenslaͤng-
lich ; daß ſie aber nicht erblich geworden , darin liegt wohl
ein Hauptgrund des langſamen Emporbluͤhens dieſes Landes .
Die Willkuͤhr der Grundherren iſt beſchraͤnkt ; es giebt
Gerichtshoͤfe , bei denen der Unterthan ſein Recht verfolgen
kann . Durch die Begrenzung der Frohndienſte hat er an
Zeit und an Kraͤften gewonnen ; aber Kraͤfte , Zeit und
Freiheit ſind Schaͤtze , die fuͤr ihn keinen Werth haben ,
und die er auch wirklich nicht gebraucht , um in dem Zu-
ſtande fortzuleben , in welchem er aufgewachſen , und der
ihm lieb geworden iſt . Der Wallache hat von ſeinem Va-
ter gelernt , nie mehr zu bauen , als gerade ausreicht , ſein
Leben kuͤmmerlich zu friſten ; ein Mehr waͤre nur die Beute
ſeiner Machthaber oder ſeiner Feinde geweſen . Gewohnt ,
ſich mit dem Allergeringſten zu begnuͤgen , kennt er keine
der tauſend Beduͤrfniſſe anderer Nationen , ſcheut die Duͤrf-
tigkeit nicht ſo ſehr , wie die Arbeit , den Zwang der Geſit-
tung mehr , als das Elend der Barbarei . Die Wallachen
ſind ein auffallend ſchoͤner , großer Menſchenſchlag ; ihre
Sprache iſt eine Tochter der roͤmiſchen und noch heute der
italieniſchen aͤhnlich . Aber das tuͤrkiſche Joch hat dies
Volk voͤllig geknechtet . Die Waffen ſind ihm lange ſchon
fremd geworden , es ergiebt ſich in jede Forderung . Jeder
wohlgekleidete Mann imponirt dem Wallachen , er haͤlt ihn
fuͤr voͤllig berechtigt , ihm zu befehlen und Dienſtleiſtungen
von ihm zu verlangen . Nie wird man einen Wallachen
danken ſehen , ſelbſt wenn ein Geſchenk alle ſeine Erwar-
tungen uͤberſteigt , aber eben ſo ſtillſchweigend nimmt er
auch Mißhandlungen hin ; er haͤlt es fuͤr unklug , ſeine
Freude , fuͤr fruchtlos , ſeinen Schmerz zu verrathen . Da-
gegen findet man ihn ſtets heiter , wenn er in einer elenden
Erdhoͤhle am maͤchtigen Feuer ſeine durchnaͤßten Lumpen
trocknen , eine Kuckrutz-Aehre roͤſten , oder gar eine Pfeife
rauchen kann . Uebrigens giebt es in dieſen Wohnungen
weder Brot noch andere Lebensmittel , weder Topf , noch
Keſſel , noch irgend ein Geraͤth . Der Wallache fuͤhrt ſein
Meſſer , ſeine Pfeife und ſeinen Tabacksbeutel am Guͤrtel ,
und wenn er aus dem Hauſe geht , ſo laͤßt er nichts zu-
ruͤck , was zu wahren der Muͤhe lohnte . Von dieſer Ge-
neration iſt alſo wenig zu erwarten .
So viele unſerer Landsleute wandern aus , um ſich in
fremden Welttheilen ein beſſeres Daſein zu gruͤnden , und
ſo wenige verſuchen es , aus dieſes reichen Landes Quellen
zu ſchoͤpfen , wo jede Arbeit ihren Lohn finden muͤßte , wenn
nur Schutz und Sicherheit des Eigenthums vorhanden
waͤre . Die wenige Aufmunterung , welche den Einwande-
rern angedeiht , gruͤndet ſich wohl auf das Conſular-Ver-
haͤltniß , welches alle Fremden zu einer Laſt fuͤr die Regie-
rung macht . Diejenigen , welche ſich unter den Schutz
eines Conſuls geſtellt , ſind den Geſetzen des Landes nicht
unterworfen . Die Regierung kann ſie weder direkt beſteu-
ern , noch richten oder ſtrafen , und ſelbſt wegen Polizei-
Verbrechen muß ſie ſich an die Reſidenten wenden . Das
oͤſterreichiſche Conſulat zu Bukareſt ſoll allein 5000 Schutz-
befohlne zaͤhlen . Oft ſtehen auch Deutſche unter engliſchem ,
Franzoſen unter deutſchem Schutz , ja ſogar wallachiſche
Unterthanen finden Mittel , ſich auf ſolchem Wege ihrer
eigenen Regierung zu entziehen . Rußland hat dieſem Miß-
brauche entſagt , aber freilich uͤbt es einen indirekten , maͤch-
tigen Schutz im ganzen Lande .
Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich , daß die Wallachei große
Schaͤtze an edlen , wie an andern Metallen beſitzt . Die
Stroͤme fuͤhren ſo bedeutend viel Goldkoͤrner , daß die Zi-
geuner damit ihre Steuern an die Regierung bezahlen ;
das Queckſilber perlt an einigen Stellen aus dem Erd-
boden hervor , und das Salz , welches hier zu Tage liegt ,
bildet eine Haupteinnahme der Regierung . Nirgends iſt
aber etwas geſchehen , was dem Anfange eines metalliſchen
Bergbaues aͤhnlich ſaͤhe . Man hat dieſen Mangel an Un-
ternehmungsgeiſt aus geheimen Traktaten erklaͤren wollen ,
aber der wahre Grund iſt wohl , daß der Bergbau uͤber-
haupt ſehr große Kapitalien erfordert , die erſt mit der Zeit
rentiren . Ein erblicher Fuͤrſt wuͤrde Auslagen nicht ſcheuen ,
welche ſich ſo reichlich verzinſen muͤßten , aber iſt woh
Alexander Ghika in demſelben Fall ?
Man hat in den Hauptrichtungen durch das Land Poſt-
verbindungen hergeſtellt , und der Reiſende wird in der guͤn-
ſtigſten Jahreszeit aͤußerſt ſchnell , aber auch aͤußerſt unbe-
quem befoͤrdert . Allein , da fuͤr Straßen und Bruͤcken bis
jetzt auch noch nicht das allermindeſte geſchehen iſt , ſo
grenzt es faſt an Unmoͤglichkeit , ſich nach anhaltendem Re-
gen in dieſem ſchweren Lehmboden von einem Ort zum an-
dern zu bewegen . Die Fluͤſſe , welche von den Karpathen
herabſtuͤrzen , fuͤllen dann ihre breiten Betten in der Ebene
und unterbrechen jeden Verkehr . Mit der Wegbarkeit ſieht
es in dieſem Lande noch ſehr ſchlecht aus ; Straßen giebt
es nicht , die Donau zieht nur an der Grenze entlang , und
die Fluͤſſe , welche ihr zuſtroͤmen , ſind nicht ſchiffbar und
auch kaum ſchiffbar zu machen . Die Donau iſt daher fuͤr
die Wallachei wenig mehr , als eine Abſperrungslinie ge-
gen die tuͤrkiſche Peſt . Die Quarantaine-Anſtalten ſind
aber bis jetzt ſo , daß jeder Reiſende wohl thun wird , ſie
zu vermeiden . Sie floͤßen uͤberdies ſo wenig Vertrauen
ein , daß Oeſterreich ſeine Contumaz-Anſtalten an der wal-
lachiſchen Grenze fortbeſtehen laͤßt .
Man erſtaunt , in dieſer Wuͤſtenei eine Stadt wie Bu-
kareſt mit faſt 100,000 Einwohnern zu treffen . Jn Buka-
reſt giebt es Palais , Geſellſchaften und Viſiten , Theater ,
marchandes de mode , Zeitungen und Equipagen ; aber ſo
wie man den Fuß vor das Thor ſetzt , verſinkt man in
Barbarei . Man hat eine Geſellſchaft von Naturforſchern
und eine Muſterwirtſchaft gegruͤndet , aber ſelbſt der An-
bau der Kartoffel iſt in der Wallachei noch nicht eingefuͤhrt .
Jn der Stadt ſieht man den Hof , aber im Lande die Re-
gierung nicht . Die Verbeſſerungen , welche bisher in dem
Zuſtande der Wallachei bewirkt wurden , die Befreiung des
Bauern , die Ermaͤßigung ſeiner Laſten , die Beſchraͤnkung
und Feſtſtellung der Abgaben , die Errichtung von Poſten
und Schutzlinien gegen die Peſt , die Pflaſterlegung in der
Stadt , die Errichtung und Ausbildung von 6000 Mann
Milizen , ſind faſt ganz das Werk der ruſſiſchen Occupation
unter dem General Kiſſeleff . Es iſt aber gerecht zu ſa-
gen , daß der ruſſiſche General Manches thun durfte , was
der wallachiſche Fuͤrſt nicht darf , auch iſt die Zeit noch zu
kurz , als daß in einem ſo lange und ſo ſchwer bedraͤngten
Lande ein befriedigender Zuſtand gedeihen konnte .
Serbien bildet in vielen Beziehungen das Gegenſtuͤck
zur Wallachei . Jn Serbien giebt es weder Bojaren noch
andern Adel , weder große Staͤdte , noch einen Hof , ſondern
nur Volk und Fuͤrſt . Miloſch , dieſer außerordentliche
Mann , hat mit dem Schwert die Freiheit ſeiner Landsleute
erkaͤmpft , aber er hat es verſchmaͤht , ihren buͤrgerlichen
Zuſtand zu begruͤnden . Gewiß that er recht , das Anſin-
nen derer von der Hand zu weiſen , welche Kammern , Wah-
len und Abſtimmungen , kurz eine neue Copie der Charte
vérité von der Seine an die Morawa verſetzt wiſſen woll-
ten ; aber was dem Lande unſtreitig noth that , waren Ge-
ſetze . Der Fuͤrſt hat ſich allein die ganze Fuͤlle der Macht
vorbehalten und die Ordnung eines Feldlagers in die Staats-
verwaltung uͤbertragen . Er ſieht ſich als alleinigen Grund-
herrn im ganzen Umfang ſeines Fuͤrſtenthums an , weil , als
die Tuͤrken dieſe Gegenden unterwarfen , das Eigenthums-
recht der Serben erloſch und auf den Sultan uͤberging .
Miloſch betrachtet die jetzigen Beſitzer von Laͤndereien nur
als Lehnsmaͤnner , nicht als Eigenthuͤmer . Jhre Soͤhne
erben das Gut , allein ſie koͤnnen es nicht an Nebenver-
wandte vermachen . Die Serben glauben aber , mit ihrem
Blut das Recht ihrer Vaͤter wieder erkauft zu haben .
Endlich ſcheint es , daß Miloſch allen Handelsverkehr an
ſich geriſſen hat , namentlich den fuͤr Serbien ſo wichtigen
und eintraͤglichen Schweinehandel , in welchem Geſchaͤft die-
ſer Fuͤrſt aufgewachſen iſt . Er hat dadurch unermeßliche
Reichthuͤmer angehaͤuft , und dies Monopol hat weit mehr
als gewiſſe blutige Rechtsentſcheidungen Reactionen herbei-
gefuͤhrt .
Miloſch Obrenowitſch war waͤhrend ſeiner Anwe-
ſenheit zu Konſtantinopel mit ſeltener Auszeichnung em-
pfangen worden , und iſt der Pforte noch wahrhaft erge-
ben , denn er iſt klug genug , einzuſehen , daß nur durch ſie
ſein Fuͤrſtenthum beſtehe . Jm Jnnern ſeines Landes herrſcht
er durch das Andenken an große Verdienſte , durch die Ver-
einigung aller materiellen Gewalt in ſeinen Haͤnden und durch
den Einfluß eines ungeheuern Reichthums . Nach Außen
iſt er ſtark durch den kriegeriſchen , tuͤchtigen Charakter des
ſerbiſchen Volkes , denn obwohl ſeine Miliz nicht zahlreich ,
ſo weiß doch jeder Serbe die Waffen zu fuͤhren , fuͤr deren
Beſitz er ſo lange gekaͤmpft hat .
3.
Wallachiſche Schlitten . — Gjurgew . — Ruſtſchuk . —
Reiſe mit dem Tartaren . — Schumla . — Tuͤrkiſche
Baͤder . — Der Balkan . — Adrianopel . —
Ankunft in Konſtantinopel .
Konſtantinopel , den 29. November 1835 .
Nach achttaͤgigem Aufenthalt zu Bukareſt ſetzten wir
unſere Reiſe zu Schlitten fort , wenn man dieſe ſchmeichel-
hafte Benennung fuͤr ein Fuhrwerk brauchen will , das ei-
gentlich nichts war als eine mit vier Pferden beſpannte
Schleife , und dieſe noch dazu ſo eng und kurz , daß die
Beine uͤber den Rand hervorragten , und man bei der ſchnel-
len Bewegung ſich nur mit der aͤußerſten Anſtrengung im
Sitz erhielt . Auch hatten wir die erſte Poſt noch nicht
erreicht , als unſer Poſtillon geſtuͤrzt und ich zweimal aus
dem Schlitten gefallen war . Der Fuͤhrer des Miniatur-
Fahrzeugs nahm davon nicht die mindeſte Kenntniß ; er
jagte mit ſeinen kleinen Pferden weiter , und man hatte die
aͤußerſte Muͤhe , ihn durch Rufen darauf aufmerkſam zu
machen , daß er ein weſentliches Stuͤck ſeiner Fracht ver-
loren habe . Die Baͤche waren in den Thaͤlern uͤber die
Wege getreten , und wie man in ſolchem einen Fuß hohen
Schlitten durch drei Fuß tiefe Ueberſchwemmungen faͤhrt ,
magſt Du Dir denken . Man wurde eben in vollem Ren-
nen durchgeſchleift .
Das Schlimmſte fuͤr den europaͤiſchen Reiſenden in die-
ſen Laͤndern iſt der gaͤnzliche Mangel an Gaſthoͤfen . Wenn
man hungrig , durchnaͤßt und halb erſtarrt Abends in eine
Stadt kommt , ſo findet man fuͤr Geld weder eine warme
Stube , noch ein Bett , noch ein Abendeſſen . Es bedurfte
eines Schreibens des Fuͤrſten , um uns zu Gjurgew Auf-
nahme in eine Privatwohnung zu verſchaffen .
Man ſieht in dieſer Stadt noch deutlich genug die
Spuren der Verwuͤſtung aus den letzten Kriegen . Die
Feſtungswerke nach der Landſeite ſind geſchleift , an der
Donau ſind dagegen einige revetirte Bollwerke ſtehen ge-
blieben . Die Lage an dem ſchiffbaren Strom wird aber
gewiß den Ort bald wieder heben , und ſchon jetzt ſteigen
außer den Kirchen mit ihren byzantiniſchen Kuppelthuͤrmen
einzelne ſtattliche ſteinerne Gebaͤude empor .
Am folgenden Morgen ſetzten wir uͤber den hier ſehr
breiten Strom , welcher an dieſer Stelle mehrere Jnſeln
bildet . Der Wind half uns gegen die ſtarke Stroͤmung
hinauf , denn Gjurgew liegt etwas unterhalb Ruſtſchuk .
Dort betraten wir den tuͤrkiſchen Boden , und waren nach
der Quarantainen-Sprache „ vermiſcht “ .
Alles in dieſer Stadt erſchien uns neu und außeror-
dentlich . Wir ſahen mit eben ſo viel Erſtaunen um uns ,
als wir von den Einwohnern mit Erſtaunen angeſehen wur-
den . Unſer Weg fuͤhrte uns am Pallaſt des Paſcha's vor-
uͤber , einem großen baufaͤlligen Hauſe aus Fachwerk mit
vergitterten Fenſtern und weit hervorragendem Dach . Ge-
genuͤber , auf einem freien Platz , ſtanden einige Kanonen .
Hierauf durchwanderten wir den Baſar , eine lange Straße
zwiſchen zwei Reihen von Buden , deren Daͤcher faſt zu-
ſammenſtießen , ſo daß man einigermaßen gegen Sonne oder
Regen geſchuͤtzt geht . Pfeifen , Pferdegeſchirr , baumwollene
und halbſeidene Gewebe , Fruͤchte , Stiefel und Pantoffeln
waren die einzigen Gegenſtaͤnde , welche dieſer Markt bot .
Endlich erreichten wir das Hann oder den tuͤrkiſchen Gaſt-
hof . Dieſer gewaͤhrt den Reiſenden ein Obdach , aber auch
durchaus weiter nichts . Jrgend ein reicher Paſcha erbaut
ein ſolches Hotel als eine Art fromme Stiftung , aber Nie-
mand denkt daran , es zu moͤbliren , oder nur in baulichem
Stande zu erhalten . Jedes Hann hat ſeine Fontaine , die
reicheren zugleich eine Moſchee und ein Bad , aber der Rei-
ſende muß ſein Lager wie ſeine Mahlzeit ſelbſt mitbringen .
Mir fiel es beſonders auf , daß in einer Stadt , die einen
ſo rauhen Winter hat , wie hier an den Ufern der Donau ,
nicht einmal Fenſterſcheiben zu finden waren . Die Fenſter
waren entweder ganz offen , oder hoͤchſtens mit Papier
verklebt .
Wir hatten aus Bukareſt eine Empfehlung an einen
griechiſchen Kaufmann , der ſich in dem Hann foͤrmlich ein-
gerichtet hatte , und ſeine Strohmatte , ſeine Kiſſen und ſeine
Mahlzeit mit uns theilte . Er ſchloß auch den Handel mit
einem Tartaren ab , welcher es fuͤr nicht ganz 100 Thaler
uͤbernahm , uns mit unſerm Gepaͤck nach Konſtantinopel zu
ſchaffen , wobei er zugleich fuͤr die Zehrung zu ſorgen hatte .
Es iſt mir noch ein Raͤthſel , wie es uns gelang , uns uͤber
alle dieſe Dinge zu verſtaͤndigen , denn unſer griechiſcher
Wirth wußte gerade ſo viel Deutſch oder Franzoͤſiſch , wie
wir Tuͤrkiſch oder Griechiſch .
Mit Tagesanbruch trabten wir uͤber das holperige
Steinpflaſter zum Thor hinaus . Unſere kleine Caravane
beſtand aus fuͤnf Reitern und ſieben Pferden . Vorauf ritt
mit einem Handpferd der Wegweiſer , ein Araber , deſſen
ſchwarzes Geſicht in der weißen Winterlandſchaft etwas
deplacirt ausſah . Der Sohn der Sandwuͤſte verſank oft
bis zu den Buͤgeln im Schnee . Jhm folgte der Surudſchi
mit dem Packpferde an der Hand , und dann wir mit dem
Tartaren . Alle waren bewaffnet , und fuͤhrten in der Rech-
ten den Kamtſchik , eine lange Peitſche mit kurzem Stiel .
Die Straße erſteigt ſogleich eine betraͤchtliche Anhoͤhe ,
von welcher man die Stadt uͤberſieht . Jch konnte nicht
ohne Erſtaunen auf dieſe tuͤrkiſche Hauptfeſtung blicken ,
die mit ihren langen , dominirten und enfilirten Linien ohne
Außenwerke , bei halber Armirung und ſchwachem Profil ,
doch ſo kraͤftigen Widerſtand geleiſtet hatte . Entweder
mußte die Vertheidigung ſehr hartnaͤckig , oder der Angriff
ſehr matt ſein , oder Beides zuſammen .
Anhaltender Regen hatte , ehe der Froſt eintrat , den
ſchweren Lehmboden ſehr aufgeweicht . Jetzt waren alle
dieſe Unebenheiten feſt gefroren , und durch hohen , aber lok-
kern Schnee verdeckt . Es war daher ein halsbrechendes
und langwieriges Reiten .
Die Tartaren , wenn ſie auch noch ſo fruͤh ausreiten ,
halten erſt des Abends an . Die Pferde gehen oft zwoͤlf
bis vierzehn Stunden ohne Futter . Bergauf reitet man
Schritt , in der Ebene einen kurzen Zuckeltrab , der den
Reiter ſchrecklich ermuͤdet ; bergab aber , ſelbſt auf den ab-
ſcheulichſten Wegen , geht es Galop . Sobald man das
Nachtquartier nur aus der Ferne ſieht , ſetzt ſich Alles in
Carrière , und nun geht es in vollem Rennen und mit lau-
tem Allah-Ruf uͤber halsbrechendes Steinpflaſter , durch
enge abſchuͤſſige Straßen bis an den Hof des Hann oder
Caravanſeraj . Der Surudſchi fuͤhrt dann die dampfenden
Pferde wohl eine Stunde lang noch herum ; der Reiter
aber zieht ſogleich die weiten Stiefel aus und ſtreckt ſich
auf das Kiſſen am Kaminfeuer . Man bringt die Kanne
und das Waſchbecken ( Jbrik Lehenn ) und reicht gleich dar-
auf eine winzige Taſſe ( Fildſchan ) ohne Unterſchaale , aber
auf einem kleinen Meſſingfuß ( Sarf ) mit Kaffee ohne Zuk-
ker und ohne Milch , den Kaffeeſatz in der Taſſe . Dann
kommt die Pfeife zum Vorſchein , und endlich breitet man
ein Leder vor Dir aus , auf welches eine Schuͤſſel Pillaw
geſetzt wird , und unmittelbar darauf legt ſich Jeder ſchla-
fen , angezogen , wie er iſt . Wer nicht an Reiſen zu Pferde
gewoͤhnt und uͤberhaupt ziemlich ruͤſtig iſt , dem kann ich
einen Ritt im Winter mit dem Tartaren durch Bulgarien
und Rumelien nicht empfehlen .
Am Abend des zweiten Tages erreichten wir Schumla .
Nachdem man die Hoͤhe , auf welcher das Fort Strandſcha
liegt , erſtiegen , hat man einen praͤchtigen Anblick auf die
Stadt mit ihren zierlichen Minarehs und großen Kaſernen ,
auf die ſteilen Berge , welche hinter ihr emporſteigen , und
die weite Ebene , die von dem Fuß derſelben bis zur Do-
nau reicht . Die Vorberge des Balkan umfaſſen Schumla
in Form eines Hufeiſens , und die offene Seite iſt durch
Verſchanzungen geſchuͤtzt . Die Stadt iſt weit freundlicher
und beſſer gebaut , als Ruſtſchuk , und die Hauptmoſchee
ſehr zierlich und ſchoͤn .
Hunger , Kaͤlte und Ermuͤdung nach vierzehnſtuͤndigem
Ritt ſchuͤttelten mir die Glieder mit Fieberfroſt , als ich im
Caravanſeraj abſtieg , und die kurzen Steigbuͤgel des Tar-
taren-Sattels hatten meine Beine faſt gelaͤhmt . Man
ſchlug mir vor , ins Hamamm oder tuͤrkiſche Bad zu gehen .
Da ich von dieſem Bade noch keine Vorſtellung hatte , ſo
ſchleppte ich mich muͤhſam dahin , um es wenigſtens zu
ſehen . Wir traten in ein weites hohes Gewoͤlbe , in deſſen
Mitte ein Springbrunnen plaͤtſcherte , der mir die Kaͤlte ,
ſo zu ſagen , anſchaulich machte , welche in dieſen Raͤumen
herrſchte . Jch verſpuͤrte nicht die geringſte Verſuchung ,
nur das kleinſte Stuͤck meiner Toilette abzulegen ; uͤberdies
ſah ich durchaus keine Badewanne und dachte nur mit
Schrecken an den Springbrunnen und ſeine Eiszapfen .
Mit Erſtaunen erblickte ich auf der hoͤlzernen Eſtrade , welche
rings das Gemach umgab , mehrere Maͤnner auf Teppichen
und Matratzen liegen , bloß mit einem duͤnnen Leintuch zu-
gedeckt , behaglich die Pfeife rauchend , und ſich wie an
einem ſchwuͤlen Sommertage an der Kuͤhle labend , die mir
in dieſem Augenblick ſo entſetzlich ſchien .
Der Badewaͤrter , der in unſern bedenklichen Mienen
las , fuͤhrte uns in ein zweites Gewoͤlbe , in welchem ſchon
eine ganz anſtaͤndige Hitze war . Hier bedeutete man uns
durch Zeichen , daß wir uns entkleiden moͤchten ; man wik-
kelt ſich ein halbſeidenes blaues Tuch um die Huͤften und
bekommt ein Handtuch als Turban um den Kopf , von
welchem angenommen wird , daß er nur aus Verſehen nicht
geſchoren iſt . Nach dieſer Einkleidung ſchob man uns in
eine dritte gewoͤlbte Halle hinein , deren marmorner Fuß-
boden ſo ſtark geheizt war , daß man ihn nur auf hoͤlzer-
nen Patinen ( Galendſchi ) betreten konnte . Unter der Mitte
der Kuppel , durch deren ſternfoͤrmige , mit dickem Glas ge-
ſchloſſene Oeffnungen das Tageslicht eindringt , erhebt ſich
ein zwei Schuhe hohes Plateau mit Marmor , Jaspis ,
Porphyr und Agat reich ausgelegt , und auf welches man
ſich behaglich hinſtreckt . Der Telektſchi oder Badewaͤrter
ſchreitet nun zu einer ganz eigenthuͤmlichen Procedur . Der
ganze Koͤrper wird gerieben und alle Muskeln gereckt und
gedruͤckt . Der Mann kniet einem auf die Bruſt , oder faͤhrt
mit dem Knoͤchel des Daumens den Ruͤckgrat herab ; alle
Glieder , die Finger und ſelbſt das Genick bringt er durch
eine leichte Manipulation zum Knacken . Wir mußten oft
laut auflachen , aber der Schmerz nach dem langen muͤh-
ſeligen Ritt war verſchwunden . Durch Klatſchen in die
Haͤnde giebt der Telektſchi das Zeichen , daß er mit ſeiner
Operation fertig ſei . Man begiebt ſich nun in die kleinen
noch ſtaͤrker erwaͤrmten Zellen , welche die große Halle um-
geben . Hier ſprudelt klares Waſſer in Marmorbecken , und
zwar nach Belieben , aus zwei Haͤhnen , warmes und kaltes .
Patient wird nun demſelben Verfahren unterworfen , wie
die tuͤrkiſchen Pferde beim Striegeln , indem naͤmlich der
Waͤrter einen kleinen Sack aus Ziegenhaar ( Gebrek ) uͤber
die rechte Hand zieht und damit den ganzen Koͤrper an-
haltend uͤberfaͤhrt . Dies iſt allerdings eine gruͤndliche Rei-
nigung , und man moͤchte ſagen , daß man noch nie gewa-
ſchen geweſen iſt , bevor man nicht ein tuͤrkiſches Bad ge-
nommen . Der Telektſchi erſcheint nun aufs Neue mit einer
großen Schuͤſſel mit wohlriechendem Seifenſchaum . Mit-
telſt eines großen Quaſtes aus den Faſern der Palmrinde
ſeift er ſeinen Mann vom Scheitel bis zur Fußſohle , Haare ,
Geſicht , Alles ein , und mit wahrem Vergnuͤgen gießt man
ſich dann das kalte Waſſer uͤber Kopf , Bruſt und Leib .
Jetzt iſt man fertig ; ſtatt der durchnaͤßten Tuͤcher er-
haͤlt man trockene , uͤber dem Feuer erwaͤrmte , umgewik-
kelt , einen Turban auf den Kopf und ein Laken uͤber die
Schultern , denn die groͤßte Dezenz wird beobachtet . B.
und ich erkannten uns in dieſer Maskerade kaum wieder
und mußten Einer uͤber den Andern lachen . Wir ſtreckten
uns nun in der Eingangshalle ſo behaglich hin , wie wir
es von den Tuͤrken geſehen . Man ſchluͤrft einen Scher-
bet , Kaffee oder die Pfeife , und empfindet die Kaͤlte nur
als angenehme Erfriſchung , ſo innerlich durchwaͤrmt iſt der
Koͤrper . Die Haut fuͤhlt ſich aͤußerſt glatt und geſchmei-
dig an , und es iſt gar nicht zu beſchreiben , wie erquickend
und wohlthaͤtig ein ſolches Bad auf große Ermuͤdung wirkt .
Nach einem koͤſtlichen Schlaf ſetzten wir am folgenden Mor-
gen unſern Ritt ſo friſch fort , als ob wir noch keine An-
ſtrengung gehabt haͤtten .
Da alle Baͤche und Fluͤſſe ausgetreten waren , ſo muß-
ten wir uns von Schumla zu einem weiten Umweg uͤber
Eski-Schumna und Osman-baſary entſchließen . Von
dort erſtiegen wir ganz allmaͤhlig und auf breiten Schnee-
flaͤchen den Balkan , und nachdem wir einen felſigen Grat
uͤberſchritten , ſahen wir das tiefe Thal von Kaſann vor
uns , in welches die Straße ſich ſehr ſteil hinabſenkt . Die
Stadt Kaſann ( Keſſel ) erblickt man erſt in einer letzten
Schlucht , tief begraben zwiſchen den ſchroffen hohen Fels-
waͤnden . Jenſeits windet ſich der nur fuͤr Reiter prakti-
cable Pfad wieder ſehr ſteil empor . Der Weg wird nun
dadurch , daß er uͤber mehrere kleine Ruͤcken und durch tiefe
Thaͤler zieht , aͤußerſt beſchwerlich . Endlich erreicht man
die letzte Hoͤhe , von welcher man weit uͤber das rumeliſche
Huͤgelland hinſchaut . Hier wehte uns eine mildere Luft
entgegen ; der Schnee verſchwand , die Baͤume trugen noch
Laub und zahlloſe Krokos bluͤhten auf den gruͤnen Wieſen .
Laͤngs einer Schlucht , deren Tiefe durch Wolkennebel
verhuͤllt war , gings nun in vollem Rennen durch Frucht-
und Oliven-Gaͤrten dem Staͤdtchen Jslenije ( Selimnia ) zu .
Wo ich den Balkan geſehen , ſind alle Suͤdabfaͤlle ſtei-
ler , ſchroffer und felſiger als der Nordhang . Von Jsle-
nije gewaͤhrte das hohe zackige Gebirge einen prachtvollen
Anblick . Wolken hingen an den Gipfeln , waͤhrend die Sonne
die kahlen Steinwaͤnde beſchien , welche die kuͤhnſten und ma-
leriſchſten Formen zeigen . Vor uns lag eine weite Ebene ,
uͤber welche wir mit friſchen Pferden in vollem Rennen
durch ellenhohes Gras und zwiſchen einem aͤußerſt dorni-
gen Strauchwerk hinjagten .
Ehe wir das Nachtquartier erreichten , war es Abend
geworden , und wir bemerkten , daß unſer Tartar , mit dem
wir keine Silbe reden konnten , ſich verirrt hatte . Wir be-
fanden uns auf einer weiten Wieſe , und von den Ueber-
ſchwemmungen der Tundſcha nach allen Richtungen um-
geben . Dabei war es ſo finſter , daß man nicht drei Schritte
vor ſich ſah , und wir alle Muͤhe hatten , nicht von unſerm
Fuͤhrer abzukommen . Wir ſtießen auf große Heerden von
Kuͤhen und Ziegen , aber alles Rufen nach den Hirten war
vergebens ; ſie mochten wohl wiſſen , daß der Beſuch eines
Tartaren ihnen Dienſtleiſtungen ohne Lohn verhieße . Die-
ſer erwiſchte indeß , Gott weiß wie , einen kleinen Ziegen-
hirten , knebelte ihn ſogleich , band ihn mit dem Kamtſchik
an ſein Pferd und zwang ihn , durch Dick und Duͤnn vor
uns herzutraben . Der kleine Bulgare wehrte ſich herzhaft ,
ſchrie als ob er geſpießt wuͤrde , und ich erwartete jeden
Augenblick ein paar Flintenſchuͤſſe von ſeinen Angehoͤrigen .
Es war ein widriges Gefuͤhl , dies Unrecht dulden zu muͤſſen ,
aber wir konnten uns weder verſtaͤndigen , noch der Huͤlfe des
Knaben entbehren . Als ob der Himmel die Unbilde raͤchen
wollte , ſtroͤmte der Regen auf uns herab , und nur einzelne
Blitze erhellten die Gegend vor uns . So zogen wir wohl
eine halbe Stunde fort , bis unſer kleiner Fuͤhrer vor einer
elenden Huͤtte Halt machte , von der wir ſogleich Beſitz nah-
2
men . Nur mit Muͤhe gelang es , aus gruͤnen Tannenzwei-
gen ein Feuer mitten auf dem Fußboden anzufachen und der
Rauch wurde bald ſo unertraͤglich , daß man es nur an der
Erde liegend aushalten konnte . Zu eſſen gab es hier nichts ,
und wir mußten uns , bis auf die Haut durchnaͤßt , ſchlafen
legen , denn ſelbſt die Mantelſaͤcke trieften von Regen .
Jch ſuchte mir den trockenſten Platz in der Huͤtte auf
und ſchlief aus Ermuͤdung ſehr bald feſt ein . Als ich am
folgenden Morgen aufwachte , fuͤhlte ich jedoch , daß ich
kein ganz bequemes Lager gehabt hatte . Jch befand mich
auf einer Art Schleife , deren ganze Flaͤche mit ſcharfen Feuer-
ſteinen beſetzt war . Man driſcht naͤmlich hier das Korn nicht
wie bei uns , ſondern legt es im Freien auf eine Art Tenne
„ Harman “ und faͤhrt dann mit dem beſchriebenen Schlit-
ten im Kreiſe darauf herum . Das Stroh wird dabei zu-
gleich zermalmt und den Pferden genießbarer gemacht .
Nachdem wir unſern kleinen Fuͤhrer reichlich beſchenkt ,
ſetzten wir bei fortwaͤhrendem Regen die Reiſe weiter fort .
Aber ſchon Mittags mußten wir in einem elenden Dorfe
liegen bleiben , weil es keine Moͤglichkeit war , einen der
Zuflußbaͤche zur Tundſcha zu paſſiren . Als am folgenden
Morgen das Waſſer etwas gefallen , furtheten wir durch ;
das Packpferd aber ſtuͤrzte mit unſern Sachen in den Fluß
und waͤre beinah davon geſchwommen . Die Wege waren
bodenlos aufgeweicht , und unſere Caravane gewaͤhrte den
traurigſten Anblick , als wir endlich in Adrianopel einzogen .
Wie alle tuͤrkiſchen Staͤdte iſt auch Adrianopel von
Außen geſehen ſehr ſchoͤn . Jn einem weiten Wieſenthal ,
zwiſchen maͤchtigen Baumgruppen und ſchlaͤngelnden Fluß-
armen erheben ſich die Kuppeln und Minarehs , die Mau-
ern und Thuͤrme uͤber ein Gewirr von flachen rothen Daͤ-
chern , zwiſchen denen lichtgruͤne Straͤucher und hohe
ſchwarze Cypreſſen hervorleuchten . Die maͤchtige Moſchee
Sultan Selims mit ihren vier ſchlanken Minarehs ragt
auf dem hoͤchſten Huͤgel uͤber die ganze Stadt empor ,
welche von Weinbergen , Gaͤrten und Ackerfeldern rings um-
ſchloſſen iſt .
Unſer Tartar trieb indeß zur Eile , und am zehnten
Morgen , ſeit wir aus Ruſtſchuk ausgeritten , ſahen wir die
Sonne hinter einem fernen Gebirge emporſteigen , an deſſen
Fuß ein Silberſtreif hinzog : — es war Aſien , die Wiege
der Voͤlker , es war der ſcheebedeckte Olymp und der klare
Propontis , auf deſſen tiefem Blau einzelne Segel wie
Schwaͤne ſchimmerten . Bald leuchtete aus dem Meer ein
Wald von Minarehs , von Maſten und Cypreſſen empor —
es war Konſtantinopel .
4.
Fahrt von Konſtantinopel auf dem Bosphorus nach
Bujukdere .
Konſtantinopel , den 3. Dezember 1835 .
Nachdem wir eine Nacht in Pera geruht , ſetzten wir
uns in einen der aͤußerſt zierlichen leichten Nachen ( Kaik ) ,
welche zu Hunderten im Hafen , dem goldenen Horn , her-
umfahren . Die Ruderer ſitzen ſchon fertig und warten ;
„ buirun captan . Hekim baschi . St ! “ rufen die Tuͤrken ,
die von Jemand , der den Hut traͤgt , vorausſetzen , daß er
ein Schiffskapitain oder ein Arzt ſein muͤſſe ; „ ellado tsche-
leby ! “ — hierher , gnaͤdiger Herr ! — die Griechen . So-
bald man ſich entſchieden , wem man den Vorzug geben
will , und unten auf dem Boden des ſchwankenden Fahr-
zeugs Platz genommen , verſetzen ein paar Ruderſchlaͤge den
Nachen aus dem Getuͤmmel der Wartenden hinaus ins Freie .
Aber , wie ſoll ich Dir den Zauber ſchildern , welcher
uns jetzt umfing . Aus dem rauhen Winter waren wir in
den mildeſten Sommer , aus einer Einoͤde in das regſte
Leben verſetzt . Die Sonne funkelte hell und warm am
Himmel , und nur ein duͤnner Nebel umhuͤllte durchſichtig
den feenhaften Anblick . Zur Rechten hatten wir Konſtan-
tinopel mit ſeiner bunten Haͤuſermaſſe , uͤber welche zahl-
loſe Kuppeln , die kuͤhnen Bogen einer Waſſerleitung , große
ſteinerne Hanns mit Bleidaͤchern , vor allen aber die him-
melhohen Minarehs emporſteigen , welche die ſieben rieſen-
großen Moſcheen Selims , Mehmets , Suleimans , Bajaſids ,
Balideh , Achmets und Sophia umſtehen . Das alte Seraj
ſtreckt ſich weit hinaus ins Meer mit ſeinen phantaſtiſchen
Kiosken und Kuppeln mit ſchwarzen Cypreſſen und maͤch-
tigen Platanen . Der Bosphor waͤlzt gerade auf dieſe Spitze
zu ſeine Fluthen , welche ſich ſchaͤumend am Fuß der alten
Mauer brechen . Dahinter breitet ſich der Propontis mit
ſeinen Jnſelgruppen und felſigen Kuͤſten aus . Der Blick
kehrt aus dieſer duftigen Ferne zuruͤck und heftet ſich auf
die ſchoͤnen Moſcheen von Skutari ( Ueskuͤdar , fruͤher Chry-
ſopolis ) , der aſiatiſchen Vorſtadt ; auf den Maͤdchenthurm
( Kiskaleſſi ) , welcher zwiſchen Europa und Aſien aus der
tiefen Fluth auftaucht ; auf die Hoͤhen , welche noch mit
friſchem Gruͤn prangen , und auf die weiten Begraͤbnißplaͤtze
im Dunkel der Cypreſſenwaͤlder .
Wir eilten zwiſchen großen Kauffahrern mit den Wim-
peln aller Nationen und rieſenhaften Linienſchiffen hindurch
aus dem goldenen Horn in den Bosphorus . Zahlloſe Kaiks
glitten in allen Richtungen uͤber das unbeſchreiblich klare ,
tiefe Waſſer ; jetzt wendeten wir uns links um das Vor-
gebirge , welches Pera , die Frankenſtadt , und Galata mit
ſeinen alten Mauern und dem gewaltigen runden Thurm
traͤgt , von welchem einſt die Genueſer der Eroberung Kon-
ſtantinopels theilnahmlos zuſchauten .
Wegen der heftigen Stroͤmung halten ſich die Nachen
beim Hinauffahren ganz dicht an das europaͤiſche Ufer , und
wir betrachteten mit Vergnuͤgen die Einzelheiten der Som-
merwohnungen ( Jalys ) , welche von den Wellen beſpuͤlt
werden . Die Fenſter ſind mit dichten Rohrgittern geſchloſ-
ſen , und die Gaͤrten von Lorbeer- und Granat-Baͤumen
beſchattet und mit zahlloſen Blumentoͤpfen beſetzt . Eine
Menge bluͤhender Roſen lachte den Voruͤberfahrenden aus
den Gitterfenſtern der Gartenmauern entgegen , und Del-
phine ſprangen ſchnaubend dicht neben dem Kahn uͤber die
glatte Flaͤche empor . Auf beiden Ufern des Bosphorus
reiht ſich eine Wohnung an die andere , eine Ortſchaft folgt
der andern , und die ganze , drei Meilen weite Strecke von
Konſtantinopel bis Bujukdere bildet eine fortgeſetzte Stadt
aus zierlichen Landhaͤuſern und großherrlichen Pallaͤſten , aus
Fiſcherhuͤtten , Moſcheen , Kaffees , alten Schloͤſſern und rei-
zenden Kiosken .
Beſonders ſchoͤn liegt Therapia , wo die Botſchafter
Englands und Frankreichs wohnen . Der Ort ſchaut aus
den , von jetzt an felſigen und unbebauten , Bergwaͤnden des
Bosphorus hinaus ins Schwarze Meer . Links um eine
weite Bucht reihen ſich die Haͤuſer von Bujukdere mit den
Hotels der oͤſterreichiſchen , ruſſiſchen , preußiſchen und an-
deren Geſandtſchaften .
Wir ſtiegen in Bujudere ans Land und ſtellten uns
unſerem Geſandten vor , welcher uns mit der ausgezeich-
netſten Guͤte und Freundlichkeit empfing , und uns ſogar
eine Wohnung in ſeinem reizend gelegenen Hotel einraͤumte .
5.
Beſuch beim Seraskier Paſcha .
Konſtantinopel , den 24. Dezember 1835 .
Vor einigen Tagen begleiteten wir unſern Geſandten zu
einer Audienz bei Mehmet Chosref Paſcha , dem all-
gewaltigen Seraskier .
Dicht neben der Moſchee Sultan Bajaſids findet ſich
auf dem Gipfel eines der ſieben Huͤgel ein weiter , durch
hohe Mauern umſchloſſener Raum . Dorthin verlegte Me-
hemet Gaſi , der Eroberer , ſeine Reſidenz ; ſpaͤter , als , ich
glaube unter Suleiman dem Geſetzgeber , ſich die Groß-
herren in das Seraj auf der aͤußerſten Landſpitze Europa's
einſchloſſen , diente jener Raum den Wittwen der verſtorbe-
nen Herrſcher zur Wohnung ; heute iſt er das Seraskeriat .
Ein hoher , ſeltſam geformter , aber kuͤhn erbauter Thurm
( Giangen-Kuleſſi , der Feuerthurm ) bezeichnet den Wohnort
des Befehlshabers der osmaniſchen Heere , und gewaͤhrt von
fern den Anblick einer in die Erde gepflanzten koloſſalen Lanze .
Nachdem das 14-ruderige Kaik der Geſandtſchaft bei
Bagtſche-Kapu , dem Gartenthor , gelandet , beſtiegen wir
die reich gezaͤumten Pferde des Seraskiers , und ritten , ge-
folgt von ſeinen Kawaſſen oder Polizeiſoldaten , durch enge
ſteile Straßen zwiſchen hoͤlzernen Haͤuſern , Kauflaͤden , gro-
ßen ſteinernen Hanns und durch ein ſchoͤnes Portal in den
weiten Hof des Seraskeriats , wo die Wachen ins Gewehr
traten .
Nach alt-morgenlaͤndiſcher Sitte wurden alle oͤffent-
lichen Geſchaͤfte unter dem Thor der Wohnung abgemacht ,
welches auf arabiſch Bab , auf tuͤrkiſch Kapu heißt , auch
haben dieſe Portale ihre fruͤhere , dieſem Zweck entſprechende
Bauart beibehalten . Gewoͤhnlich ſind ſie mit einer Kuppel
gedeckt , auf welcher der goldene Halbmond blitzt , und von
einem weit vorgreifenden Dache umgeben , welches den Har-
renden Schatten und Schutz gewaͤhrt . Solcher Thore ſind
zu Konſtantinopel , namentlich das Paſcha-Kapuſſi oder die
eigentliche „ Hohe Pforte “ vor dem Eingang zum Pallaſt der
Großveziere ; das Baba-Humajun oder Kaiſerthor im Seraj ;
Aga-Kapuſſi , das Thor der Janitſcharen-Aga 's , wo jetzt der
Scheich uͤl Jslam wohnt , das Seraskier-Kapu u. a. m .
Die Wohnung dieſes Wuͤrdentraͤgers iſt ein ausge-
dehntes hoͤlzernes Gebaͤude , welches einen ſchoͤnen Blick
auf das Marmor-Meer gewaͤhrt . Ein geraͤumiger Exer-
zierplatz befindet ſich vor , eine Kaſerne fuͤr zwei Jnfanterie-
Regimenter hinter demſelben . Der Seraskier empfing den
Geſandten ſtehend in einem ſehr großen Saal mit vielen
Fenſtern . Außer dem breiten Divan befinden ſich Sopha's ,
Stuͤhle , Tafeluhren und Tiſche im Zimmer , eben ſo viel
Dokumente von der Europaͤiſirung des tuͤrkiſchen Generals .
Ein ſchoͤner Teppich bedeckte den Fußboden , und ein gro-
ßes bronzenes Mangall oder Kohlenbecken gluͤhte in der
Mitte des Saals . Nachdem man ſich geſetzt , waren wohl
zwanzig bis dreißig Aga 's beſchaͤftigt , die Pfeifen und den
Kaffee zu reichen , denn je mehr man ſeinen Gaſt ehren
will , je mehr Diener muͤſſen erſcheinen . Dieſe Schaar zog
ſich dann in tiefer Stille , die Haͤnde als Zeichen der Ehr-
furcht vor den Leib gekreuzt , ruͤckwaͤrts nach der Thuͤr und
verſchwand auf einen Wink des Gebieters .
Der Seraskier fuͤhrte die Unterhaltung durch das Me-
dium eines Dragomans mit vieler Jovialitaͤt und Unge-
bundenheit . Er richtete auch einige Fragen an mich uͤber
das Preußiſche Landwehrſyſtem , welche zeigten , daß er ſich
wohl mit dieſem Gegenſtand beſchaͤftigt hatte , und ruͤhmte
ſehr die Vortrefflichkeit unſerer Militair-Einrichtungen . Jm
Laufe des Geſpraͤchs kam die Rede auf das Kriegsſpiel ,
von welchem er ein Exemplar beſaß . Der Paſcha ſchien
ſehr erfreut , zu erfahren , daß ich im Stande ſein wuͤrde ,
ihm den Gebrauch deſſelben zu erklaͤren .
Du weißt , daß meine Abſicht war , nur etwa drei Wo-
chen in Konſtantinopel zu verweilen und dann uͤber Athen
und Neapel zuruͤckzukehren . Nun hat aber der Seraskier
mich durch die Geſandtſchaft foͤrmlich auffordern laſſen , die
Abreiſe zu verſchieben , was meinen ganzen Reiſeplan aͤndert .
Jch muß meinen Gefaͤhrten , den Baron B. , allein ziehen
laſſen , was mir in jeder Beziehung aͤußerſt leid iſt .
6.
Spaziergang durch Tophane . — Oeffentliche Brief-
ſchreiber . — Galata .
Konſtantinopel , den 4. Januar 1836 .
Jch ſchrieb Dir in meinem letzten Brief , daß mein
Aufenthalt ſich hier unerwartet verlaͤngert . Der Seras-
kier laͤßt mich alle Woche ein paarmal rufen ; da die Tuͤr-
ken aber jetzt den Ramaſan feiern , wo alle Geſchaͤfte des
Tages uͤber ruhen , ſo finden die Beſuche des Nachts ſtatt .
Das 10-ruderige Kaik des Seraskiers erwartet mich zu
Galata , und am jenſeitigen Ufer des Hafens finde ich ſeine
Pferde . Eben ſo geht es zuruͤck . Voraus ſchreitet ein
Kawaß oder Polizei-Soldat , der mit ſeinem langen Stock
unbarmherzig auf Alles losſchlaͤgt , was nicht aus dem
Wege geht ; dann folgt der Jmrohor oder Stallmeiſter des
Paſcha und zwei Fackeltraͤger zu Fuß ; dann ich auf einem
ſchoͤnen tuͤrkiſchen Hengſt mit Tigerdecken und goldenen
Zuͤgeln , begleitet von den Dolmetſch . Die hohen Kuppeln
und Minarehs erglaͤnzen vom roͤthlichen Schein der flak-
kernden „ Maſchallahs “ oder Fackeln ; der Sturm fegt die
Funken an die ſchneebedeckten Daͤcher , und die Wachen
praͤſentiren vor dem Gjaur oder dem Schimmel des Se-
raskiers . Der Kawaß hat die Verbindlichkeit , mich vor
der Thuͤr des Geſandtſchafts-Hotels abzuliefern , damit ich
dem Seraskier nicht abhanden komme .
Was die Lebensweiſe hier anbetrifft , ſo iſt ſie außer-
ordentlich einfoͤrmig . Nach dem Fruͤhſtuͤck mache ich bei
gutem , wie bei ſchlechtem Wetter eine Promenade , gewoͤhn-
lich durch die Hauptſtraße von Pera nach dem großen Be-
graͤbnißplatz . Die hohen hundertjaͤhrigen Cypreſſen beugen
unter der Laſt des Schnees ihre gruͤnen Zweige zur Erde ,
und die zahlloſen aufrecht ſtehenden Leichenſteine ſind mit
einer Eisrinde wunderbar inkruſtirt . Da , wo der Weg aus
dem Cypreſſenwalde tritt , oͤffnet ſich eine herrliche Aus-
ſicht auf den Bosphorus . Unten liegt Beſchik-taſch , ein
Schloß des Großherrn , denn das alte Seraj hat er fuͤr
immer verlaſſen , weil daran zu fuͤrchterlich blutige Erinne-
rungen kleben ; auch iſt ihm prophezeiht , daß er dort ſein
Leben enden werde . Jenſeits erheben ſich die ſchneebedeck-
ten Berge Aſiens , Scutari , die Vorſtadt mit 100,000 Ein-
wohnern , und mitten im Waſſer der Leanderthurm .
Begleite mich nun auf meiner Wanderung , die ſteile
Hoͤhe , welche der Begraͤbnißplatz kroͤnt , hinab an das Ufer
des Bosphorus . Wir bleiben ein Weilchen ſtehen und ſe-
hen den Wellen zu , die ſich mit Macht an den ſteinernen
Quais brechen und ſchaͤumend weit uͤber die vergoldeten
Gitter bis an den Kiosk des Großherrn ſpritzen . Grie-
chen ſammeln die Auſtern , welche die bewegte See ans
Ufer wirft , und ganze Heerden von Hunden verzehren die
Reſte eines gefallenen Pferdes . Wir wenden uns nun
rechts an einem prachtvollen Marmorbrunnen voruͤber , und
treten in eine lange Reihe von Kauflaͤden , deren Daͤcher
oben faſt zuſammenſtoßen . Dort ſind es vor Allem die
Eßwaaren und Fruͤchte , die meine Aufmerkſamkeit erregen ;
wuͤßte ich nur ein Schiff , ſo wuͤrde ich Euch einen ſchoͤnen
Korb fuͤllen . Da giebt es Datteln , Feigen , Piſtazien , Ko-
kosnuͤſſe , Manna , Orangen , Roſinen , Nuͤſſe , Granataͤpfel ,
Limonien und viele andere gute Sachen , von denen ich die
Namen nicht einmal weiß . Da giebt es Honigbrei , Reis-
ſpeiſen , Ziegenrahm und Traubengelee , alles aufs reinlichſte
und beſte bereitet ; dann koͤmmt der Gemuͤſemarkt mit Blu-
men , Kohl , Artiſchocken , ungeheuren Melonen , Kuͤrbis ,
Karden und Paſteten . Gleich daneben liegen die Erzeug-
niſſe des Meeres : ungeheure Fiſche , wie der rieſenhafte
Thon , die ſilbernen Palamiden , der Goldfiſch , die Stein-
butte und alle die Meerungeheuer , die doch ſo gut ſchmek-
ken , die Auſtern , Hummern , Krebſe , Krabben und Familie .
Zwiſchen mehr als hundert Laͤden , in denen Tſchibuks
oder Pfeifenroͤhre , Koͤpfe von rothem Thon , und lange
Spitzen von Bernſtein gefertigt werden , kommt man end-
lich nach Tophane , dem Viertel der Artilleriſten . Die von
dem jetzigen Großherrn erbaute Moſchee Nusrethieh ( die
Siegreiche ) zeichnet ſich aus durch ihre beiden Minarehs ,
die hundert Fuß hoch ſind , und deren unterer Durchmeſſer
doch nicht uͤber neun Fuß mißt . Wie gut muͤſſen ſolche
ſchlanke Thuͤrme gebaut ſein , um Stuͤrmen , oft auch Erd-
beben , widerſtehen zu koͤnnen . Jm Vorhof , der mit ſchoͤ-
nen Saͤulen umgeben iſt , waſchen , trotz der kalten Wit-
terung , in langen Reihen von Waſſerbecken die andaͤchtigen
Moslems Geſicht , Haͤnde und Fuͤße , denn ſonſt wird das
Gebet nicht acceptirt . Nach dieſer etwas friſchen Proce-
dur kniet der Glaͤubige , das Geſicht gegen Mekka gewen-
det , nieder , ſagt ſeinen Spruch , zieht ſeine Stiefeln an ,
und geht davon . Nahebei iſt die große Moſchee Kilidſch-
Aly . Jn dem ſchoͤnen Vorhof befinden ſich Kauflaͤden mit
artigen Sachen . Unter einem Bogen ſitzt ein tuͤrkiſcher
Briefſchreiber , ein Stuͤck Pergament auf dem Knie und
eine Rohrfeder in der Hand . Frauen in weiten Maͤnteln
und gelben Pantoffeln , das Geſicht bis auf die Augen ver-
huͤllt , erzaͤhlen ihm mit lebhaften Gebehrden ihr Anliegen ,
und mit regungsloſen Zuͤgen ſchreibt der Tuͤrke das Geheim-
niß des Harems , eine Prozeßangelegenheit , eine Bittſchrift
an den Sultan , oder eine Trauerpoſt , faltet das Blatt kuͤnſt-
lich zuſammen , wickelt es in ein Stuͤck Muſſelin , druͤckt ein
Siegel von rothem Wachs darauf und empfaͤngt ſeine 20
Para fuͤr eine Freudenpoſt , wie fuͤr eine Todesnachricht .
Die zahlloſen Kaffees gewaͤhren jetzt einen eigenen An-
blick , Alles draͤngt ſich um die Feuerbecken , aber der lieb-
liche Dampf des Kaffees und der Pfeife fehlt ; es iſt das
Feſt des Ramaſan , und vor Einbruch der Nacht darf kein
Rechtglaͤubiger eſſen , trinken , Taback rauchen , oder ſich nur
den Geruch einer Blume erlauben . Die Tuͤrken ſchleichen
langſam in den Straßen herum , den Roſenkranz in der Hand ,
und ſchneiden grimmige Geſichter vor Hunger und ungewohn-
ter Kaͤlte . Sobald aber die Sonne hinter der Moſchee Su-
leimans des Prachtvollen untergeht , rufen die Jmans von
allen Minarehs : „ Es giebt keinen Gott , als Gott “ , und nun
iſt es ſogar die Pflicht des Moslems , die Faſten zu brechen .
Wir ſind nun bis an die Mauern von Galata gekom-
men und ſteigen zu jenem großen weißen Thurm empor ,
von dem man wieder einen prachtvollen Anblick auf die
Stadt jenſeits des Hafens , auf Scutari , jenſeits des Bos-
phorus , und auf das Marmormeer , die Prinzeninſeln und
den aſiatiſchen Olymp hat . Rechts breitet ſich die maͤch-
tige Stadt von einer halben Million Einwohner aus , die
ſo viel Werth wie ein Koͤnigreich hat , und wirklich uͤber
funfzig Jahre ein Kaiſerthum geweſen iſt , als die Unglaͤu-
bigen ſchon den ganzen Reſt des oſtroͤmiſchen Reichs ver-
ſchlungen hatten . Die aͤußerſte Spitze mit den hohen
Mauern , den vielen Kuppeln und dunkelgruͤnen Cypreſſen
iſt das Seraj , eine Stadt fuͤr ſich mit 7000 Einwohnern ,
mit ihren eigenen Mauern und Thoren . Dicht daneben
woͤlbt ſich die maͤchtige Kuppel der Sophienkirche , jetzt eine
Moſchee , welche das Vorbild zu ſo vielen andern Kirchen , ſelbſt
zu St. Peter in Rom , geworden iſt . Weiter rechts ragen die
ſechs praͤchtigen Minarehs der Moſchee Sultan Achmets her-
vor . Wegen ihrer ſchlanken Form ſehen dieſe Minarehs un-
gleich hoͤher aus , als die hoͤchſten Thuͤrme unſerer chriſtlichen
Kirchen . Den hoͤchſten Punkt aber bildet der ſchoͤne Thurm
des Seraskiers . So weit das Auge reicht , nichts als flache
Daͤcher , rothe Haͤuſer und hohe Kuppeln , uͤberragt von der
Waſſerleitung Kaſer Valens , welche mitten durch die Stadt
ſetzt und noch heute nach ſechszehn Jahrhunderten das Waſ-
ſer fuͤr Hunderttauſende von Menſchen herbeileitet . Durch
die weiten Bogen flimmert jenſeits der Helleſpont , und die
aſiatiſchen Berge ſchließen dies Bild .
7.
Chosref Paſcha .
Konſtantinopel , den 20. Januar 1836 .
Mehmet Chosref Paſcha iſt naͤchſt dem Großherrn
der maͤchtigſte Mann im Reiche . Jn ſeiner Erſcheinung
hat er wohl kaum ſeines Gleichen in der Welt . Stelle
Dir einen Greis von nahe an achtzig Jahren vor , der die
ganze Lebendigkeit , Ruͤhrigkeit und Laune eines Juͤnglings
bewahrt hat . Das ſtark rothe Geſicht mit ſchneeweißem
Bart , eine große gebogene Naſe und auffallend kleine , aber
blitzende Augen bilden eine markante Phyſiognomie , die
durch die rothe , uͤber die Ohren herabgezogene Muͤtze nicht
verſchoͤnert wird . Der große Kopf ſitzt auf einem kleinen ,
breiten Koͤrper mit kurzen , krummen Beinen . Der Anzug
dieſes Generals beſteht in einer blauen Blouſe ohne alle Ab-
zeichen , weiten Pantalons und ledernen Struͤmpfen ( Terlik ) .
Chosref Paſcha hat ſich waͤhrend fuͤnf und dreißig
Jahren in den hoͤchſten Staatsaͤmtern zu erhalten gewußt ,
was ſeiner Gewandtheit alle Ehre macht ; wenn man aber
die Thaten ſeines langen , oͤffentlichen Lebens nennen ſoll , ſo
erſtaunt man , wie doch eigentlich faſt all' ſein Wirken gegen
Nebenbuhler in der Gunſt des Großherrn gerichtet war .
Als Chosref Paſcha nach Aegypten geſchickt wurde ,
befand ſich in ſeinem Gefolge ein Tufenkſchi-baſchi oder
Buͤchſenſpanner , Namens Mehmet Aly , der zu ſeinem
großen Verdruß nachmals Vicekoͤnig geworden iſt . Haͤtte
Chosref damals eine Ahnung davon gehabt , ſo wuͤrde er
ſich nicht ſehr daruͤber geaͤngſtigt haben , ob es einen Ar-
nauten mehr oder weniger in der Welt gaͤbe . Als Capu-
dan Paſcha hat er an der Eroberung von Miſſolunghi
Theil genommen , und ſeitdem machte er ſich dem Sultan
angenehm und unentbehrlich in zweifacher Art , als Polizei-
chef der Hauptſtadt und als Beguͤnſtiger der Reform .
Jn erſterer Beziehung hat Chosref Paſcha ein un-
beſtreitbares Verdienſt , doppelt wichtig in der Tuͤrkei , wo
ein Großherr Schlachten und Provinzen verlieren , aber einen
Aufruhr in Konſtantinopel nicht vertragen kann . Der Se-
raskier redet faſt nur in ſcherzhaftem Ton , aber die Maͤch-
tigſten zittern bei ſeinem Laͤcheln . Er weiß Alles , was in
der Hauptſtadt vorgeht , hat ſeine Kundſchafter uͤberall und
kennt keine Schonung gegen ſolche , die ſich der neuen Ord-
nung der Dinge widerſetzen .
Chosref Paſcha war der Erſte , welcher dem Groß-
herrn eine europaͤiſch ausexerzirte Truppe vorſtellte , und
der Erſte unter den Großen , welcher die ſchoͤne alttuͤrkiſche
Tracht gegen die geſchmackloſe und unbequeme Nachbildung
europaͤiſcher Uniform vertauſchte ; er gilt daher fuͤr einen
Hauptbefoͤrderer der Reform .
Der Seraskier hat hunderte von Agaos , Kawaſſen und
Seymen in ſeinem perſoͤnlichen Dienſt , von denen keiner
auch nur einen Para feſtes Gehalt bezieht . Aber Jeder-
mann beeifert ſich , einem Angehoͤrigen des großen Paſcha
Geſchenke zu machen . Daß er ſelbſt nicht zu kurz koͤmmt ,
kannſt Du Dir denken . Ungeheure Summen fließen ihm
zu von Denen , welche in Konſtantinopel Etwas durchzu-
ſetzen haben . Kein Opfer ſcheint dem Gouverneur einer
Provinz zu hoch , um ſolch einen Goͤnner in der Haupt-
ſtadt zu gewinnen ; kein groͤßeres Handelsunternehmen , keine
Lieferung kann abgeſchloſſen werden ohne ſeine Einwilligung ;
er muß den Ferman ausfertigen , wenn eine chriſtliche Kirche
erbaut oder nur ausgebeſſert werden ſoll ; von ihm haͤngen
die Befoͤrderungen zu den hoͤheren Stellen in der Armee
ab , und ſein allgewaltiger Einfluß macht ſich geltend in
Dingen , die ganz außer dem Bereich eines Generaliſſimus
zu liegen ſcheinen . Aber in der Tuͤrkei entſcheidet weniger
der Name des Poſtens , als der Mann , der dieſen aus-
fuͤllt , und ſo verhaͤlt es ſich im kleinen Maaßſtabe mit al-
len Paſcha's des Reichs .
Mehmet Chosref ſoll unermeßliche Summen in baa-
rem Gelde geſammelt haben ; dabei iſt er der nuͤchternſte ,
maͤßigſte Mann von der Welt . Er trinkt Champagner mit
irgend einem durchreiſenden Franken von Bedeutung , um
zu zeigen , wie gaͤnzlich er die alttuͤrkiſchen Vorurtheile ab-
geſtreift , wohl wiſſend , daß dies einen Zeitungsartikel ab-
giebt ; aber ein Trunk Waſſer aus den beruͤhmten Quellen
von Chamlidje iſt ihm weit lieber . Seine Mahlzeit beſteht aus
vielen Schuͤſſeln , aber er beruͤhrt nur eine oder zwei davon .
Mir kommt es manchmal vor , als ob der Seraskier
Mehmet Chosref die Reform in ſeinem geheimſten Jn-
nern mit der tiefſten Jronie behandle ; aber ſie iſt ihm das
Mittel zur Macht , und Macht iſt die einzige wahre , unge-
baͤndigte Leidenſchaft dieſes Greiſes . Wer ihm in dieſer
Beziehung entgegen tritt , ſei auf ſeiner Hut . Jemand ,
der eine hohe Stellung bekleidet , ohne ſie durch ihn erlangt
zu haben , gilt ihm ſchon fuͤr einen Feind . Zu dieſen Fein-
den gehoͤrt Muſtapha Paſcha , ein großer Liebling des
Sultans . Mehmet Chosref verſorgt Letzteren mit
Schwiegerſoͤhnen und beſtreitet dafuͤr die unermeßlichen Ko-
ſten der Heirath und Ausſtattung . Die aͤlteſte Tochter war
dem Muſtapha beſtimmt ; aber der Seraskier ſubſtituirte
ſeinen Sklaven Halil . Muſtapha wurde aus dem Ma-
beïn , d. h. vom Hofe , entfernt , und mit dem großen Pa-
ſchalik von Adrianopel belehnt , was er als eine Art Ver-
bannung ins Elend anſieht . Jetzt ſoll die zweite Tochter
verheirathet werden ; man ſpricht von Achmet Paſcha ,
der gegenwaͤotig die Garden befehligt ; aber der Seraskier
hat eine andere , ihm wohlgefaͤlligere Perſon in ſeinem Die-
ner Sayd Mehmet , bereit .
Geſtern fruͤhſtuͤckte ich beim Seraskier , als man Ach-
met Paſcha anmeldete . Der alte Chosref ſtieg ſogleich
auf den Sopha und ſchaute mit unendlicher Aufmerkſamkeit
aus dem Fenſter auf die Straße , den Ruͤcken nach der
Thuͤr gewendet , wo der Muſchir der Garden harrend ſtehen
blieb , waͤhrend Verdruß und Aerger uͤber dieſen Empfang
in ſeinem Jnnern kochten . „ Effendim ! “ fing er ein paar-
mal an , aber der Alte hoͤrte nicht . Die Scene dauerte
wohl fuͤnf Minuten , als Chosref glauben mochte , den
ſtolzen Muſchir in Gegenwart eines Unglaͤubigen genug ge-
demuͤthigt zu haben . Er drehte ſich ganz unbefangen um :
Maschallah Achmet Pascha ! Chosch geldin ! Sefa geldin !
buyrun ! „ ſei willkommen “ , sen burdame ? „ biſt Du hier “ ,
rief er , indem er ihn zaͤrtlich umarmte . Auf ſein Klatſchen
in die Hand ſtuͤrzte ein Schwarm von Dienern herbei , de-
nen er die Koͤpfe abſchlagen laſſen wollte , weil ſie ihm den
theuern Muſſafir oder Gaſt nicht gemeldet .
8.
Die Frauen und die Sclaven im Orient .
Arnaut-Kjoͤi bei Konſtantinopel , den 9. Februar 1836 .
Auf den Wunſch des Seraskiers befinde ich mich jetzt
hier im Hauſe ſeines erſten Dragomans . Mein Wirth
heißt Mardiraki oder der kleine Martin , er iſt ein Ar-
menier und ein reicher angeſehener Mann .
Obſchon wir die Weiſung haben , ſehr fleißig zu ſein ,
ſo thun wir doch eigentlich Alles andere als uͤberſetzen .
Wenn ich dem kleinen Martin vorſchlage , eine Pfeife zu
rauchen , oder Tricktrack zu ſpielen , ſo iſt er allezeit zu
haben ; ſpreche ich aber von der Ueberſetzung , ſo hat er
dringende Abhaltung . Die ſchriftlichen Aufſaͤtze werden
hier ungefaͤhr angefertigt , wie bei uns die Tapiſſerie-Arbeit
der Damen . Man ſitzt , dabei mit untergeſchlagenen Bei-
nen auf dem Sopha , und malt mit der Rohrfeder uͤbers
Knie auf langen Streifen geglaͤtteten Papiers die Charak-
tere von der Rechten zur Linken .
Uebrigens geht mir hier nichts ab , und es iſt ſehr
intereſſant , einen Blick in die Haͤuslichkeit einer armeniſchen
Familie zu thun . Dieſe Armenier kann man in der That
chriſtliche Tuͤrken nennen , ſo ganz haben ſie die Sitten und
ſelbſt die Sprache jener herrſchenden Nation angenommen ,
waͤhrend die Griechen weit mehr ihre Eigenthuͤmlichkeiten
bewahrten . Die Religion erlaubt ihnen als Chriſten na-
tuͤrlich nur eine Frau ; aber dieſe iſt faſt eben ſo unſicht-
bar wie die Tuͤrkinnen . Wenn die Armenierinnen auf der
Straße erſcheinen , ſieht man ebenfalls nur die Augen und
den oberen Theil der Naſe unverſchleiert . Jch war ſchon
mehrere Tage hier im Hauſe , ohne daß ſich ein weibliches
Weſen blicken ließ . Zuerſt erſchien die alte Frau M. , welche
nicht viel Verfuͤhreriſches an ſich hatte , und zuletzt erſt ,
weil ich ein beſonders geehrter Muſſafir ( Gaſt ) , ein huͤb-
ſches Maͤdchen nach dem andern . Leider ſpricht keine ein
Wort franzoͤſiſch . Nun mag man ſich wohl mit einem
Paſcha durch den Dragoman unterhalten , aber mit jun-
gen Damen iſt das ſehr hart .
Auf einen Europaͤer macht es einen eigenen Eindruck ,
ſich von den Toͤchtern des Hauſes aufwarten zu laſſen .
Sie bringen Dir die Pfeife , reichen den Kaffee und blei-
ben mit verſchraͤnkten Haͤnden vor Dir ſtehen , bis Du ſie
aufforderſt , ſich zu ſetzen . Es liegt aber darin fuͤr ſie
durchaus nichts Demuͤthigendes , und iſt auch in der That
nur das alt-bibliſche , naturgemaͤße Verhaͤltniß . Wenn wir
die Wahrheit ſagen wollen , ſo muͤſſen wir geſtehen , daß
bei uns ein junges Maͤdchen von dem Brautſtande in den
Eheſtand eine Stufe herabſteigt , denn die Vergoͤtterung ,
mit welcher ihr gehuldigt wurde , kann unmoͤglich fuͤr die
Dauer eines Lebens vorhalten . Jm Orient wird die Frau
durch die Ehe gehoben , und wenn ſie auch dem Manne
unterthan bleibt , ſo herrſcht ſie doch in ihrer Wirthſchaft
uͤber die Maͤgde und Dienſtboten , die Soͤhne und Toͤchter .
Jch will damit nur ſagen , daß wir in der einen Rich-
tung vielleicht zu weit gehen , waͤhrend , nicht die Armenier ,
aber die Tuͤrken in der anderen Richtung noch viel weiter
gehen .
Wenn von der Sclaverei im Orient die Rede iſt , ſo
war dabei faſt immer der himmelweite Unterſchied uͤberſehen
worden , welcher zwiſchen einem tuͤrkiſchen und einem Neger-
ſclaven in Weſtindien ſtatt findet . Schon der Name Sclave
in dem Sinne , welchen wir mit jenem Worte verbinden ,
iſt falſch . Abd heißt nicht Sclave , ſondern vielmehr Die-
ner . Abd-allah , der Diener Gottes ; Abd-ul-medſchid ,
der Diener der Andacht u. ſ. w. Ein gekaufter tuͤrki-
ſcher Diener iſt unendlich beſſer daran , als ein gemie-
theter . Eben weil er das Eigenthum ſeines Herrn , und
dazu ein theures Eigenthum , iſt , ſchont er ihn ; er pflegt
ihn , wenn er krank iſt , und huͤtet ſich wohl , ihn durch
uͤbertriebene Anſtrengung zu Grunde zu richten . Von Ar-
beiten , wie die in den Zuckerplantagen , iſt da uͤberhaupt
nicht die Rede , ſo wenig , wie denn dem Tuͤrken im Allge-
meinen Maͤßigung , Billigkeit und Wohlwollen gegen die
Seinigen abzuſprechen ſind . Beſtimmt doch der Koran :
„ daß Sclaven und Sclavinnen mit nicht mehr als ſechs
Geißelhieben gezuͤchtigt werden ſollen “ . Die Unfreiheit
eines tuͤrkiſchen Sclaven iſt kaum groͤßer , als die eines
glebae adscripti , ein Verhaͤltniß , welches wir bis vor we-
nigen Jahren bei uns ſelbſt erblickten , und welches von
einer gewiſſen Stufe der Kultur unzertrennlich iſt . Dabei
iſt aber die ganze uͤbrige Lage des Sclaven ungleich mil-
der , als die des ſchollenpflichtigen Bauers .
Wenn irgend eine europaͤiſche Macht die Freilaſſung
aller Sclaven im Orient bewirkte , ſo wuͤrden dieſe ihr we-
nig Dank dafuͤr wiſſen . Als Kind in das Haus ſeines
Brotherrn aufgenommen , bildet der Sclave ein Glied der
Familie . Er theilt die Mahlzeit mit den Soͤhnen des Hau-
ſes , wie er die Arbeit in der Wirthſchaft mit ihnen theilt ;
dieſe beſteht meiſt darin , ein Pferd zu warten , oder ſeinen
3
Herrn zu begleiten , ihm die Kleider nachzutragen , wenn er
ins Bad geht , oder die Pfeife , wenn er ausreitet . Tau-
ſende von Sclaven , die Khavedſchi und Tuͤtundſchi , haben
kein anderes Geſchaͤft , als Kaffee zu kochen und die Pfeife
in Stand zu halten . Faſt immer endet die Sclaverei nicht
bloß mit einer Freilaſſung , ſondern auch mit einer Ausſtat-
tung fuͤrs Leben . Gewoͤhnlich heirathet der Sclave die
Tochter des Hauſes , und wenn keine Soͤhne vorhanden ,
ſetzt ihn der Herr zu ſeinem Erben ein . Sind doch die
Schwiegerſoͤhne des Großherrn gekaufte Sclaven , und laͤßt
ſich doch von den mehrſten Wuͤrdentraͤgern des Reichs der
Marktpreis nachweiſen .
Noch muß ich auf eine andere eigenthuͤmliche Verſchie-
denheit hinweiſen . Jn Amerika ſuchten chriſtliche Pflanzer
durch die ſtrengſten Verbote und die grauſamſten Mittel
die Verbreitung des Chriſtenthums unter ihre Sclaven zu
verhindern , waͤhrend im Orient die Erziehung des gekauf-
ten Dieners in der Religion ſeines Herrn durchaus vor-
geſchrieben iſt . Die Kinder , welche als Sclaven aufgenom-
men werden , erhalten ſogleich einen tuͤrkiſchen Namen , der
gewoͤhnlich auch ein bibliſcher iſt ; ſo iſt Jbrahim gleich-
bedeutend mit Abraham , Suͤleïman ( oder wie die Europaͤer
ſagen : Soliman ) mit Salomon , Daud mit David , Muſſa
mit Moſes , Sekerieh mit Zacharias , Ejub mit Hiob , Juſ-
ſuf mit Joſeph u. ſ. w. Ein Kriegsgefangener muhame-
daniſcher Religion hingegen kann getoͤdtet , aber nicht ver-
kauft werden .
Der wohlbegruͤndete Vorwurf hingegen , welchen man
auch der orientaliſchen Sklaverei machen kann , iſt , daß ſie
die direkte Veranlaſſung giebt zu der Haͤrte , mit welcher
gegen eine Summe Geld ein tſcherkeſſiſcher Vater ſich auf
ewig von ſeinem Kinde trennt , zu den Menſchenjagden ,
welche der große Handelsmann am Nil alljaͤhrlich in Sen-
naar anſtellen laͤßt , und dergleichen Abſcheulichkeiten mehr .
Viel haͤrter , als das Loos der Sclaven im Orient ,
ſcheint mir das Verhaͤltniß der Frauen bei der Ausdeh-
nung , in welcher der Tuͤrke die materielle Gewalt uͤber das
ſchwaͤchere Geſchlecht uͤbt .
Die Ehe iſt im Orient rein ſinnlicher Natur , und der
Tuͤrke geht uͤber das ganze „ Brimborium “ von Verliebt-
ſein , Hofmachen , Schmachten und Uebergluͤcklichſein als eben
ſo viele faux frais hinweg zur Sache . Die Heiraths-An-
gelegenheit wird durch die Verwandten abgemacht , und der
Vater der Braut bekoͤmmt viel oͤfter eine Entſchaͤdigung
fuͤr den Verluſt eines weiblichen Dienſtboten aus ſeiner
Wirthſchaft , als daß er der Tochter eine Ausſteuer mit-
gaͤbe . Der Tag , an welchem die Neuvermaͤhlte verſchleiert
in die Wohnung ihres Gemahls tritt , iſt der erſte , wo die-
ſer ſie erblickt , und der letzte , an welchem ihre naͤchſten
maͤnnlichen Verwandten , ihre Bruͤder ſelbſt , ſie ſehen . Nur
der Vater darf ihr Harem noch betreten , und uͤbt auch
ſpaͤter immer eine gewiſſe Gewalt uͤber ſie . — „ Harem “
heißt woͤrtlich Heiligthum , und die Vorhoͤfe der Mo-
ſcheen tragen denſelben Namen .
Dieſe Art , die Ehen zu ſchließen , bedingt ſchon an
ſich die Leichtigkeit , ſie wieder zu loͤſen ; ein vorhergeſehener
Fall , fuͤr den die Ruͤckzahlung des etwanigen Heirathsgutes
und eine Geldentſchaͤdigung gleich bei der Hochzeit feſtgeſetzt
wird . Uebrigens iſt der Muſulman des Spruchs aus dem
Koran eingedenk : „ Wiſſet , ihr Maͤnner , daß das Weib
aus der Rippe , d. h. aus dem krummen Bein geſchaffen .
Wollt ihr ein krummes Bein grade biegen , ſo bricht es .
Jhr Glaͤubigen , habt Geduld mit den Weibern ! “
Obſchon das Geſetz den Rechtglaͤubigen vier Frauen
erlaubt , ſo giebt es doch nur ſehr wenige Tuͤrken , die reich
genug waͤren , um mehr als eine zu heirathen . So viele
Frauen , ſo viele beſondere Haushaltungen und Wirthſchaf-
ten muß er haben , denn die Erfahrung hat gezeigt , daß
zwei Frauen in einem Konak ſich durchaus nicht vertragen .
Dagegen geſtatten Geſetz und Sitte dem Moslem , ſo viele
Sclavinnen zu haben , wie er will . Nicht der mindeſte
Makel haftet an der Geburt des Sohnes einer Sclavin ;
dieſe ſtehen unter dem Befehl der eigentlichen Kadynn oder
Hanumm , der Frau vom Hauſe . Welche reiche Quelle aber
von Zwiſt und Hader , von Eiferſucht und Raͤnken ein ſol-
ches Verhaͤltniß abgiebt , iſt leicht einzuſehen .
Die Weiber ſind ſtreng bewacht und von allem Um-
gang , außer mit Frauen , geſchieden . Jn dieſem Punkte
ſind alle Muſelmaͤnner einverſtanden , und die Reformen
werden gewiß zu allerletzt in die Harems dringen . Die
Fenſter ſind mit Holzgittern und dahinter von oben bis
unten mit dichtem Rohrgeflechte geſchloſſen , ſo , daß Nie-
mand von Außen das Mindeſte vom Jnnern erblickt . Ge-
woͤhnlich geſtattet ein kleines rundes Loch dieſen Gefangenen
einen Blick hinaus in die ſchoͤne freie Welt , oft aber ſiehſt
Du auch 20 bis 30 Fuß hohe Bretterverſchlaͤge , welche
den reizenden Anblick des Bosphor verſtecken , damit die
voruͤberfahrenden Kaiks mit Maͤnnern nicht von den Frauen
bemerkt werden . Es iſt freilich bequemer , der einzige Mann
zu ſein , den die Frau ſieht , als unter vielen der liebens-
wuͤrdigſte . Auf Promenaden , in den Kaͤhnen oder im Wa-
gen ſitzen Frauen ſtets nur mit Frauen beiſammen . Wenn
der Mann ſeiner Gattin auf der Straße begegnet , ſo waͤre
es die groͤßte Unſchicklichkeit , ſie zu gruͤßen , oder nur Miene
zu machen , daß er ſie erkenne ; deßhalb iſt auch der Anzug
der Frauen in ihrem Hauſe eben ſo uͤbertrieben frei , wie
er außerhalb uͤbertrieben verhuͤllt iſt . Ein weißer Schleier
bedeckt das Haar und die Stirn bis zu den Augenbrau-
nen , ein anderer Kinn , Mund und Naſe . — Die groͤßte
Reform in dem Schickſal der tuͤrkiſchen Frauen beſteht
darin , daß bei Beguͤnſtigten , wie denen des Großherrn , die
Naſenſpitze und ein paar Locken an den Seiten ſichtbar
geworden ſind . Den Reſt des Koͤrpers bedeckt ein weites
Gewand aus einem leichten ſchwarzen , hellblauen oder brau-
nen Stoff . Eben ſo unſchoͤn iſt die Fußbekleidung , aus
ledernen Struͤmpfen und Pantoffeln beſtehend , welche bei
den Tuͤrkinnen gelb , bei den Armenierinnen roth , bei den
Griechinnen ſchwarz und bei den Juͤdinnen blau ſind . So
ſchleichen ſie langſam und ſchwankend wie Geſpenſter , un-
erfreulichen Anblicks einher .
Gewiß ſind die Geſichter der Tuͤrkinnen im Allgemei-
nen ſehr ſchoͤn . Faſt alle Frauen im Orient haben den
koͤſtlichſten Teint , wundervolle Augen und breite gewoͤlbte
Augenbraunen . Wenn dieſe uͤber der Naſe zuſammenſto-
ßen , ſo iſt das eine Schoͤnheit , und tuͤrkiſche Frauen er-
ſetzen den Mangel jenes Reizes , indem ſie mit ſchwarzer
Farbe einen Stern oder einen Halbmond zwiſchen die Brau-
nen malen ; auch wird der Schwaͤrze der Wimpern nach-
geholfen , indem ſie einen gefaͤrbten Zwirnsfaden zwiſchen
den Augenliedern durchziehen , und die Naͤgel , ſelbſt das
Jnnere der Hand und oft auch die Fußſohlen werden mit
Khennah roth gemalt . — Die beſtaͤndig ſitzende Lebens-
weiſe hat aber den tuͤrkiſchen Frauen alle Anmuth der Be-
wegung , die Einkerkerung jede Lebhaftigkeit des Geiſtes ge-
raubt , und ſie ſtehen in Hinſicht auf Bildung noch eine
Stufe unter den Maͤnnern .
Wer ſich durch „ Tauſend und Eine Nacht “ verleiten
laͤßt , das Land der Liebesabenteuer in der Tuͤrkei zu ſu-
chen , kennt die Verhaͤltniſſe wenig . Bei den Arabern mag
es anders geweſen ſein , aber bei den Tuͤrken herrſcht in
dieſer Beziehung die trockenſte Proſa . Jch glaube , daß
aus dem , was ich oben beſchrieben , hervorleuchtet , daß es
zu Liebesintriguen den Frauen an Temperament , wenigſtens
an Geiſt , den Maͤnnern aber an Moͤglichkeit fehlt . Wird
eine tuͤrkiſche Frau je des Treubruchs mit einem Moslem
uͤberfuͤhrt , ſo verſtoͤßt ſie ihr Gemahl mit Schimpf ; hatte
ſie aber Verkehr mit einem Rajah , d. h. mit einem chriſt-
lichen Unterthan der Pforte , ſo wird ſie noch heute , im
Jahre 1836 , ohne Gnade erſaͤuft und der Rajah gehenkt .
Jch bin ſelbſt Zeuge dieſer letzten Barbarei geweſen .
Auf einem Spaziergang auf der aſiatiſchen Kuͤſte be-
gegnete ich unlaͤngſt einer Koppel ſchwarzer Sclavinnen ,
die , ich glaube , aus Oberaͤgypten kamen , wo die Weiber
eben ſo garſtig , als die in Nubien ſchoͤn ſind . Jene gli-
chen wirklich kaum Menſchen ; die Stirn iſt eingedruͤckt ,
Naſe und Oberlippe bilden faſt eine Linie , der ſtarke Mund
tritt weit uͤber die Naſenſpitze vor , das Kinn zuruͤck . Es
iſt der Uebergang zur thieriſchen Geſichtsbildung . Der
ganze Anzug dieſer Damen beſtand in einem Stuͤck Sack-
leinwand , dennoch fehlte der Putz nicht , denn blaue Glas-
ringe umgaben die Knoͤchel und Handgelenke , und das Ge-
ſicht war durch tiefe Einſchnitte in die Haut verſchoͤnert .
Sie draͤngten ſich um mich und riefen aus rauher Kehle
mit großer Lebhaftigkeit unverſtaͤndliche Worte . Ein alter
Tuͤrke , ihr Fuͤhrer , bedeutete mich , daß ſie fragten , ob ich
eine von ihnen kaufen wollte . Eine ſolche Sclavin koſtet
durchſchnittlich 150 Gulden , d. h. etwas weniger als ein
Maulthier . Auf dem Sclavenmarkt zu Konſtantinopel habe
ich die weißen Sclavinnen nicht ſehen duͤrfen , von ſchwar-
zen ſaß eine große Zahl im Hofe . Sie warfen ſich mit
Gier uͤber das Backwerk , welches wir unter ſie vertheil-
ten , und alle wollten gekauft ſein .
Aber nichts iſt bezeichnender fuͤr das Verhaͤltniß der
Frauen im Orient , als daß der Prophet ſelbſt ihnen nach
dieſem Leben gar keine Stellung anzuweiſen wußte . Die
Huris im Paradieſe ſind naͤmlich keinesweges die dort wie-
dererſtandenen Frauen der Erde , und was nach dem Tode
einmal aus dieſen wird , weiß kein Menſch . Da ſind nun
meine huͤbſchen Armenierinnen beſſer daran .
9.
Armeniſches Familienleben . — Spaziergang am
Bosphorus .
Arnaut-Kjoͤi , den 12. Februar 1836 .
Das Haus , in welchem ich hier wohne , iſt ſehr groß
und ausgedehnt , ſein Fuß wird von den Wellen des Bos-
phorus beſpuͤlt , die Ruͤckſeite aber ſteigt an der hohen Berg-
wand empor , ſo daß man aus dem dritten Stock auf die
Terraſſe des Gartens hinausſchreitet . Es liegt , wie dies
oft hier vorkommt , quer uͤber die Straße , welche dann
durch eine Reihe von Thorwegen hindurchzieht . So gut
nun auch nach hieſiger Art mein Wirth eingerichtet iſt , ſo
befindet ſich doch in der ganzen Wohnung nicht ein einziger
Ofen . Man ſetzt hoͤchſtens Kohlenbecken ( Mangall ) ins
Zimmer , die Leute ſitzen auf ihren Beinen mit drei bis vier
Pelzen uͤbereinander , und kuͤmmern ſich wenig , ob Thuͤren
und Fenſter offen ſtehen . Jn meinem ungluͤcklichen fraͤnki-
ſchen Anzug komme ich dabei ſchlecht weg ; mein Troſt aber
iſt der Tandur im Verſammlungsſaal .
Der Tandur iſt ein Tiſch , uͤber welchen eine ſehr große
geſteppte Decke gebreitet wird , ſo daß ſie auf allen Seiten
bis zur Erde herab haͤngt . Darunter ſteht ein Kohlen-
becken und ein niedriger Divan umgiebt den Tandur . Wenn
man die Beine unter dieſen Tiſch ſteckt und den Teppich
bis an die Naſe hinaufzieht , ſo kann man es ſchon aus-
halten . Die ganze Familie draͤngt ſich hier zuſammen , es
wird geplaudert , Escart é , Domino oder Tricktrack geſpielt ,
Einige rauchen , Andere ſchlafen , die Mehrſten thun gar
nichts und Jeder macht , was ihm beliebt . So ſitzen wir
zuweilen bis 2 Uhr Morgens beiſammen . Bei dieſer gaͤnz-
lichen Ungezwungenheit herrſcht doch unter den Armeniern
eine ſtrenge Etikette in der Familie ſelbſt . Wenn der Va-
ter eintritt , ſo erheben ſich die Soͤhne , welche ſelbſt ſchon
Maͤnner von funfzig Jahren ſind . Eben ſo vor der Mut-
ter . Der juͤngere Bruder raucht nicht eher , als bis der
aͤltere ihn dazu einladet . Die Frauen ſtehen aber vor jedem
Mann auf .
So oft ein neuer Gaſt eintritt , wird Kaffee getrun-
ken , und das geſchieht wohl zwanzigmal an einem Tage .
Zwiſchendurch wird Eingemachtes herumgereicht . Jeder
nimmt einen Loͤffel voll und trinkt ein Glas Waſſer nach .
Dabei iſt Gebrauch , Jedem , der getrunken , afiet ler olsum
— „ wohl bekomm ' es “ — zu ſagen und eine Bewegung
mit der Hand an Bruſt und Stirn zu machen .
Des Tages werden regelmaͤßig zwei Mahlzeiten ge-
nommen ; die erſte um 9 oder 10 Uhr Morgens , wo es im
Sommer noch kuͤhl iſt , die zweite bei Sonnenuntergang ,
wo es wieder kuͤhl wird . Die Kuͤche iſt ganz tuͤrkiſch ;
Hammelfleiſch und Reis bilden das Fundament der Mahl-
zeit , und eine um die andere der zahlreichen Schuͤſſeln iſt
ein ſuͤßes Gericht . Der Wein iſt den Armeniern natuͤrlich
erlaubt . Was ich ſehr ruͤhmen muß , ſind die kleinen kalten
Schuͤſſeln , von denen Jeder zwiſchendurch nach Belieben zu-
langt : die Auſtern ( Stridia ) , Muſcheln ( Midia ) und Hum-
mer ( Aſtachos ) ; der Caviar ( Ekea ) , Kaͤſe ( Penir ) , Oli-
ven ( Seityn ) , Ziegenrahm ( Kaimak ) , Zwiebeln ( Soghan ) ,
tuͤrkiſcher Pfeffer , Jngwer , Salate , Sardellen , Krabben ,
Fiſchlaich , Krebſe , Schnittlauch und Fruͤchte aller Art .
Arnaut-Kjoͤi hat eine wunderſchoͤne Lage an einer der
engern Stellen des Bosphorus . Unter meinem Fenſter iſt ,
was man hier die Jskjele ( Echelle ) nennt , der Landeplatz
des Dorfs . Dort herrſcht reges Leben und laͤrmendes Ge-
wuͤhl , denn die Griechen , welche die Mehrzahl der Einwoh-
ner bilden , ſind noch heute ein geſchwaͤtziges Volk . Eine
Menge von Kaiks warten hier auf Gaͤſte : istambolah ! —
„ nach Stambul ! “ — rufen die Tuͤrken ; istanpoli ! — „ nach
der Stadt ! “ — die Griechen . Die maͤchtigſten Schiffe zie-
hen hier ſo nahe am Ufer vorbei , daß bei ſtuͤrmiſchen Wet-
ter oft die Raaen der Maſten Fenſter einſtoßen . Hin und
wieder brauſet ein Dampfſchiff voruͤber , lange kaͤmpft es
mit dem Strom , der mit dunkeln , huͤpfenden Wellen um
die Spitze von Arnaut-Kjoͤi herumwirbelt . Die kleinen
Nachen laſſen ſich dort etwa 200 Schritt weit hinaufziehen ,
und eine Menge armer Leute warten auf dem Quai , um
den Ankommenden ein Seil zuzuwerfen .
Ein koͤſtlicher Spaziergang fuͤhrt von hier laͤngs des
Ufers um die freundliche Bucht von Bebeck . Unter maͤch-
tigen Platanen erhebt ſich dort eine zierliche Moſchee und
ein Kiosk ( tuͤrkiſch Koͤſchk ) des Großherrn . Hier wohnen
eine Menge vornehmer Tuͤrken , unter andern mein Freund ,
der Hekim-baſchi oder Protomedico . Obwohl er an der
Spitze des ganzen Medicinal-Weſens des Reichs ſteht , ſo
hat er doch nie Medicin ſtudirt . Dagegen beſitzt er einen
praͤchtigen Garten mit einer ſeltenen Roſenflor , welcher in
Terraſſen die hohe Bergwand erſteigt . Dann geht es laͤngs
eines Begraͤbnißplatzes mit ſchoͤnen Cypreſſen bis zu einem
alten Schloſſe , dem gewoͤhnlichen Ziel meiner Promenade ,
denn hier tritt die Straße zwiſchen hohe hoͤlzerne Haͤuſer ,
die jede Ausſicht verſperren .
Rumeli-Hiſſari — das europaͤiſche Schloß — wurde
noch vor der Eroberung von Konſtantinopel durch die Tuͤr-
ken erbaut . Die hohen weißen Mauern mit Zinnen und
Thuͤrmen ziehen ſich ſo ſeltſam den ſteilen Abhang hinauf
und hinab , daß man die Erzaͤhlung begreift , der Erbauer
habe ſeine Tugra oder Namensunterſchrift zum Bauplan
gegeben . Zahlloſe Saͤulenſchafte ſind mit Grabſteinen , Zie-
geln und Felsbloͤcken in drei ungeheure runde Thuͤrme ein-
gemauert , und drei Jahrhunderte haben faſt nichts an die-
ſem Fußſtapfen verwiſcht , den der Jslam bei ſeinem Her-
uͤberſchreiten von Aſien dem europaͤiſchen Boden einge-
druͤckt hat .
Gegenuͤber erhebt ſich Anadoli-Hiſſar , das aſiatiſche
Schloß . Ganz aͤhnlich liegen zwei Meilen weiter oberhalb
am Bosphor zwei alte genueſiſche Caſtelle . Es waren die
Schlingen , welche man dem alten byzantiniſchen Reiche um
die Kehle gelegt .
Jm Allgemeinen iſt der Winter doch ſehr ſtreng in
Konſtantinopel . Der Nordwind ( Poiraß ) , welcher uͤber
das Schwarze Meer herfegt , bedeckt den thraciſchen Cher-
ſonnes mit tiefem Schnee , und das Jnnere des Hafens ,
ſo weit das ſuͤße Waſſer des Cydaris ſich erſtreckt , gefriert
faſt alle Jahre . Aber Winter und Sommer ſehen ſich in
dieſem Lande aͤhnlicher , als bei uns ; die Pinien , die Cy-
preſſen , der Lorbeer und Oleander wechſeln ihr Laub nicht .
Epheu umrankt die Felswaͤnde , Roſen bluͤhen das ganze
Jahr hindurch und friſches Gruͤn bedeckt ſchon jetzt die
Berge , wo der warme Hauch des Suͤdwinds den Schnee
verſchwinden laͤßt . Die plaͤtſchernden Wellen des Bos-
phorus erfreuen das Auge mit ihrem tiefen Blau und die
warme Sonne funkelt am wolkenloſen Himmel .
Niemand nimmt hier Anſtand , ſich mitten auf der
Straße , oder wo es ihm gerade am beſten gefaͤllt , hinzu-
ſetzen , eine Pfeife zu rauchen oder Kaffee zu trinken . Fuͤr
dieſen Zweck giebt es aber auch am Bosphor reizende
Plaͤtzchen . Der Fuß der rieſenhaften Platanen iſt gewoͤhn-
lich mit einer niedrigen Terraſſe umgeben . Daneben fin-
det ſich auch allemal eine Fontaine und ein kleines Kaffee-
haus , aus deſſen Dache oft maͤchtige Baumſtaͤmme hervor-
wachſen . Man breitet Dir ſogleich eine Baſtmatte ( Haſſir )
und einen Teppich ( Kilim ) aus , wenn Du Dich legen , oder
ſtellt einen niedrigen Rohrſchemel , wenn Du ſitzen willſt .
Das Rohr oder die Waſſerpfeife iſt ſchon bereit und der
Kaffee verſteht ſich von ſelbſt . Das jenſeitige aſiatiſche
Ufer iſt ſo nahe , daß man die Leute erkennt , welche dort
herumwandeln . Schaaren von Delphinen tanzen um die
großen Schiffe , welche auf- und abgleiten , und dicht vor-
uͤber ziehen in ununterbrochener Folge die Kaiks mit Frauen ,
mit vornehmen Efendi's , mit Mollah oder mit Fremden .
Geſtern ſaß ich an einem ſolchen Ort , als das große
Kaik des Padiſchah ſchnell herangeſchoſſen kam . Die lan-
ge , reich vergoldete Spitze , mit der Seemoͤve als Wahr-
zeichen , ſchnitt wie ein Pfeil durch die Fluth , und vierzehn
Paar Ruder bezeichneten durch einen ſchneeweißen Streif
auf der dunkelblauen Flaͤche die Bahn des kaiſerlichen Na-
chens . Auf dem Hintertheil deſſelben erhebt ſich ein Bal-
dachin , unter welchem der Beherrſcher der Glaͤubigen auf
rothen Sammetpolſtern ſitzt . Vor ihm knieen ſeine Pagen ,
hinter ihm ſteht der Reïs oder Steuermann am Ruder .
Jn einiger Entfernung folgt allezeit ein eben ſolches Kaik
leer ; denn das Herkommen will , daß der Großherr die
Ruͤckfahrt nie in demſelben Fahrzeuge macht , in welchem
er gekommen .
Sobald man das Kaik des Hunkjar ( woͤrtlich Erwuͤr-
ger , Henker , einer der Ehrentitel des Padiſchah ) erblickte ,
ſprang Alles auf , verbarg ſich hinter der Fontaine und den
Baͤumen , und man winkte mir zu , daſſelbe zu thun . Sul-
tan Mahmud hat dieſe Art von Ehrenbezeigung bereits
verboten , aber den Rajahs ſteckt der hundertjaͤhrige Schrek-
ken noch tief in den Gliedern .
10.
Die politiſch-militairiſche Lage des osmaniſchen
Reichs im Jahre 1836 .
Pera , den 7. April 1836 .
Es iſt lange die Aufgabe abendlaͤndiſcher Heere gewe-
ſen , der osmaniſchen Macht Schranken zu ſetzen ; heute
ſcheint es die Sorge der europaͤiſchen Politik zu ſein , die-
ſem Staat das Daſein zu friſten .
Die Zeit liegt nicht ſo fern , da man ernſtlich fuͤrchten
durfte , der Jslam koͤnne in einem großen Theil des Abend-
landes die Oberhand gewinnen , wie er im Orient geſiegt .
Die Bekenner des Propheten hatten Laͤnder erobert , in
welchen das Chriſtenthum ſeit Jahrhunderten Wurzel ge-
faßt . Der claſſiſche Boden der Apoſtel , Corinth und Ephe-
ſus , Nicaͤa , die Stadt der Synoden und Kirchen , wie An-
tiochien , Nicomedien und Alexandrien waren ihrer Gewalt
unterworfen . Selbſt die Wiege des Chriſtenthums und
das Grab des Erloͤſers , Palaͤſtina und Jeruſalem , gehorch-
ten den Unglaͤubigen , welche ihren Beſitz gegen die geſammte
abendlaͤndiſche Ritterſchaft behaupteten . Jhnen war es vor-
behalten , die lange Dauer des roͤmiſchen Reichs zu beenden
und die Sophienkirche , in welcher faſt 1000 Jahre Chriſtus
und die Heiligen verehrt worden , Allah und dem Prophe-
ten zu weihen . Zu eben der Zeit , wo man in Conſtanz
uͤber religioͤſe Saͤtze ſtritt , wo die Ausſoͤhnung der griechi-
ſchen mit der katholiſchen Kirche ſich zerſchlug , und der
Abfall von 40 Millionen Chriſten von der Herrſchaft der
Paͤpſte ſich vorbereitete , drangen die Moslem ſiegreich bis
in Steiermark und Salzburg vor . Der vornehmſte Fuͤrſt
des damaligen Europa's , der roͤmiſche Koͤnig , floh vor ih-
nen aus ſeiner Hauptſtadt , und wenig fehlte , ſo wurde der
Stephan zu Wien eine Moſchee , wie die Sophia zu Byzanz .
Damals gehorchten die Laͤnder von der afrikaniſchen
Wuͤſte bis zum kaspiſchen See , und vom indiſchen Ocean
bis zum atlantiſchen Meere dem Padiſchah . Venedig und
die deutſchen Kaiſer ſtanden im Tributregiſter der Pforte .
Jhr gehorchten drei Viertheile der Kuͤſten des mittellaͤndi-
ſchen Meeres ; der Nil , der Euphrat und faſt auch die
Donau waren tuͤrkiſche Fluͤſſe , der Archipel und das Schwarze
Meer tuͤrkiſche Binnenwaſſer geworden . Und kaum zwei-
hundert Jahre ſpaͤter ſtellt daſſelbe maͤchtige Reich uns ein
Gemaͤlde der Aufloͤſung vor Augen , welches ein nahes
Ende zu verkuͤnden ſcheint .
Jn den beiden alten Hauptſtaͤdten der Welt , zu Rom
und zu Konſtantinopel , hat man mit denſelben Mitteln zu
gleichem Zwecke gearbeitet , durch die Einheit des Dogma
zur Unumſchraͤnktheit der Macht . Der Statthalter St.
Peters und der Erbe der Kalifen ſind daruͤber in gleiche
Ohnmacht verſunken .
Griechenland hat ſich unabhaͤngig gemacht , die Fuͤr-
ſtenthuͤmer Moldau , Wallachei und Serbien erkennen nur
zum Schein die Oberherrſchaft der Pforte , und die Tuͤrken
ſehen ſich aus dieſen ihren eigenen Provinzen verbannt .
Egypten iſt mehr eine feindliche Macht , als eine abhaͤngige
Provinz ; das reiche Syrien und Adana , Creta , deſſen Er-
oberung 55 Stuͤrme und das Leben von 70,000 Muſel-
maͤnnern gekoſtet , ſind ohne Schwertſchlag verloren , und
der Lohn eines rebelliſchen Paſcha's geworden . Die Herr-
ſchaft , welche man in Tripolis kaum erſt wieder gewonnen ,
droht aufs Neue verloren zu gehen . Die uͤbrigen afrika-
niſchen Staaten am mittellaͤndiſchen Meere ſtehen beinahe
in keiner Verbindung mehr mit der Pforte , und wenn
Frankreich noch ſchwankt , ob es das ſchoͤnſte dieſer Laͤnder
fuͤr ſich behalten ſoll , ſo blickt es dabei weit mehr nach
dem Kabinette von St. James , als nach dem Divan zu
Konſtantinopel . Jn Arabien endlich und ſelbſt in den hei-
ligen Staͤdten uͤbte ſchon ſeit lange der Großherr keine
wirkliche Gewalt mehr .
Aber auch in den Laͤndern , welche der Pforte verblei-
ben , iſt die oberherrliche Gewalt des Sultans vielfach be-
ſchraͤnkt . Die Voͤlker am Euphrat und Tigris zeigen we-
nig Anhaͤnglichkeit ; die Ayans am Schwarzen Meere und in
Bosnien gehorchen ihrem Jntereſſe mehr , als dem Willen
des Padiſchah , und die groͤßern Staͤdte fern von Konſtan-
tinopel haben oligarchiſche Municipal-Verfaſſungen , welche
ſie faſt unabhaͤngig machen .
So iſt die osmaniſche Monarchie heute in der That
ein Aggregat von Koͤnigreichen , Fuͤrſtenthuͤmern und Re-
publiken geworden , die nichts zuſammen haͤlt , als lange
Gewohnheit und die Gemeinſchaft des Koran , und wenn
man unter einem Despoten einen Herrſcher verſteht , deſſen
Wille alleiniges Geſetz , ſo iſt der Sultan von Konſtanti-
nopel weit davon entfernt , ein Despot zu ſein .
Schon lange verwickelt die europaͤiſche Diplomatie die
hohe Pforte in Kriege , die ihrem Jntereſſe fremd ſind , oder
noͤthigt ſie zu Friedensſchluͤſſen , die ihr Provinzen koſten ;
aber der Staat kannte einen Feind an ſeinem eigenen Heerd ,
welcher furchtbarer ſchien , als alle Armeen und Flotten des
Auslandes . Selim III . war der erſte Sultan nicht , der
Thron und Leben gegen die Janitſcharen einbuͤßte , und doch
wollte ſein Nachfolger lieber die Gefahr einer Reform be-
ſtehen , als dem Schutze jener Corporation vertrauen . Durch
Stroͤme von Blut gelangt er zu ſeinem Ziel . Der tuͤrki-
ſche Sultan preiſt ſich gluͤcklich , das tuͤrkiſche Heer ver-
nichtet zu haben ; aber um die Empoͤrung auf der helleni-
ſchen Halbinſel zu daͤmpfen , muß er die Huͤlfe eines nur
allzumaͤchtigen Vaſallen anrufen . Da vergeſſen drei chriſt-
liche Maͤchte ihren alten Hader , Frankreich und England
opfern ihre Schiffe und ihre Seeleute , um die Flotte des
Großherrn zu zerſtoͤren . Sie oͤffnen Rußland den Weg in
das Herz der Tuͤrkei , und fuͤhren herbei , was ſie vor allem
vermeiden wollten .
Noch hatte das Land ſich nicht von ſo vielen Wun-
den erholt , als der egyptiſche Paſcha durch Syrien heran-
zieht und dem letzten Enkel Osmans den Untergang droht .
Ein neu errichtetes Heer wird dem Empoͤrer entgegen-
geſchickt , aber Generale aus dem Harem richten es in kur-
zer Zeit zu Grunde . Die Pforte wendet ſich an England
und Frankreich , an diejenigen , welche ſich ihre aͤlteſten und
natuͤrlichen Verbuͤndeten nennen , aber ſie erhaͤlt nichts als
Verſprechungen . Da ruft Sultan Mahmud Rußland um
Huͤlfe an , und ſein Feind ſchickt ihm Schiffe , Geld und
ein Heer .
Damals erblickte die Welt das außerordentliche Schau-
ſpiel von 15,000 Ruſſen , die auf den aſiatiſchen Huͤgeln
vor Konſtantinopel lagerten , um den Großherrn in ſeinem
Seraj gegen die Egypter zu ſchuͤtzen . Es herrſchte zu jener
Zeit unter den Tuͤrken großes Mißvergnuͤgen ; die Ulema's
ſahen das Abnehmen ihres Einfluſſes , die Neuerungen hat-
ten zahlloſe Jntereſſen verletzt , und neue Steuern beein-
traͤchtigten alle Klaſſen . Tauſende von Janitſcharen , die
ihren Namen nicht mehr nennen durften , und die Ver-
wandten und Freunde von andern Tauſenden , die man er-
wuͤrgt , ertraͤnkt , oder mit Kartaͤtſchen zuſammengeſchoſſen
hatte , waren im Lande und in der Hauptſtadt vertheilt .
Die Armenier konnten die Verfolgung , welche ſie unlaͤngſt
betroffen , nicht vergeſſen haben , und die griechiſchen Chri-
ſten , d. h. die Haͤlfte der ganzen Bevoͤlkerung der urſpruͤng-
lichen Tuͤrkei , ſahen in den Machthabern nur die Feinde ,
in den Ruſſen die Bekenner ihres eigenen Glaubens . Ein
Heer hatte die Tuͤrkei damals nicht mehr aufzuſtellen .
Um eben dieſe Zeit hatte Frankreich an ſeiner großen
Woche , England an ſeiner Schuldenlaſt zu ſchaffen , waͤh-
rend Preußen ſowohl als Oeſterreich durch den Zuſtand
des weſtlichen Europa's ſich enger als je an Rußland an-
geſchloſſen hatten .
Fremde Heere hatten das Reich an den Rand des
Verderbens gebracht , fremde Heere es gerettet . Man wollte
daher vor allen Dingen eine eigene Armee beſitzen und mit
großer Anſtrengung iſt man dahin gekommen , 70,000 Mann
regulairer Truppen zu errichten . Wie wenig indeſſen dieſe
Macht ausreicht , um den ausgedehnten Laͤnderbeſitz der
Pforte zu ſchuͤtzen , zeigt ein Blick auf die Karte . Schon
allein die Dimenſionen verhindern , die an ſo viele Orte
verſplitterte Macht auf einen bedrohten Punkt zu vereinen ,
und die Truppen von Bagdad ſind von jenen zu Scodra
in Albanien 350 Meilen entfernt .
Hieraus geht hervor , von welcher hohen Wichtigkeit
die Einrichtung einer wohlgeordneten Miliz im osmaniſchen
Reiche ſein wuͤrde . Jndeß ſetzt dieſes natuͤrlich voraus ,
daß die Jntereſſen der Regierung und der Regierten nicht
im Widerſpruche ſtehen .
Die jetzige tuͤrkiſche Armee iſt ein neuer Bau auf einer
alten gaͤnzlich erſchuͤtterten Grundfeſte . Die Pforte duͤrfte
in dieſem Augenblick ihre Sicherheit mehr in Vertraͤgen ,
als in Heeren finden , und die Schlachten , welche uͤber die
Fortdauer dieſes Staates entſcheiden ſollen , koͤnnen eben ſo
gut in den Ardennen oder dem Waldai-Gebirge , als am
Balkan ausgefochten werden .
Die osmaniſche Monarchie bedarf vor Allem einer
geregelten Adminiſtration , bei der jetzigen wird ſie ſelbſt
das ſchwache Heer von 70,000 Mann auf die Dauer kaum
ernaͤhren koͤnnen .
Die Verarmung des Landes hat ſich in der vermin-
derten Staatseinnahme nur zu ſehr kund gegeben . Um-
ſonſt hat man eine Menge von indirekten Abgaben einge-
fuͤhrt . Eine Art von Schlacht- und Mahl-Steuer wird
auf eine freilich ſehr willkuͤhrliche Weiſe an den Straßen-
ecken der Hauptſtadt erhoben . Die Fiſcher zahlen 20 Pro-
cent von dem Fange ihrer Netze ; Maaß und Gewicht
muͤſſen alljaͤhrlich neu geſtempelt werden , und allen Erzeug-
niſſen des Gewerbfleißes , vom Silberzeug und Shawl bis
zu Schuhen und Hemden wird , der großherrliche Stempel
aufgedruͤckt . Aber das , was von dieſen Steuern eingeht ,
bereichert nur die , welche ſie erheben . Die Reichthuͤmer
verſchwinden vor dem Blick einer habgierigen Verwaltung ,
und der Beherrſcher der ſchoͤnſten Laͤnder dreier Welttheile
ſchoͤpft mit dem Faſſe der Danaiden .
Um ihre Beduͤrfniſſe zu beſtreiten , bleiben der Regie-
rung die Einziehung von Erbſchaften , Confiscationen der
Vermoͤgen , der Verkauf der Aemter , endlich Geſchenke und
das traurige Mittel der Muͤnzverſchlechterung .
Was die Einziehung von Erbſchaften der Staats-Be-
amten betrifft , ſo hat der jetzige Großherr erklaͤrt , auf die-
ſelben verzichten zu wollen . Es iſt aber dadurch mehr das
Princip anerkannt , als daß die Sache ſelbſt in Ausuͤbung
getreten waͤre . Die Confiscationen waren fruͤher von dem
Todesurtheil des Beraubten begleitet . Es giebt indeß jetzt
mildere Formen , um dem , welcher allzuviel Reichthuͤmer
hat , einen Theil davon abzupreſſen .
Der Verkauf der Aemter bleibt die große Hauptquelle
der Staatseinnahme . Der Candidat borgt den Kaufſchilling
zu hohen Procenten bei einem armeniſchen Handelshauſe ,
und die Regierung uͤberlaͤßt dieſen General-Paͤchtern , ihre
Provinzen zu exploitiren , wie ſie wollen , um zu ihren Ko-
ſten zu kommen . Dabei haben ſie jedoch einen mehrbieten-
den Bewerber zu fuͤrchten , der ihnen nicht Zeit laͤßt , reich
zu werden ; andererſeits den Fiscus , wenn ſie reich gewor-
den ſind . Die Provinzen wiſſen im Voraus , daß der neue
Paſcha komme , um zu rauben ; ſie waffnen ſich daher . Es
werden Unterhandlungen gepflogen ; wo kein Abkommen ge-
troffen wird , iſt Krieg , und wo es gebrochen wird , Auf-
ruhr . Sobald der Paſcha ſich mit den Ayans geſetzt , fuͤrch-
tet er ſtatt ihrer die Pforte . Er verbindet ſich daher mit
andern Paſcha's zu gegenſeitiger Huͤlfsleiſtung , und der
Großherr muß mit den Nachbarn unterhandeln , bevor er
einen neuen Paſcha einſetzen kann . Jn einigen , aber we-
nigen , Paſchaliks hat man jedoch angefangen , beſſere Wirth-
ſchaft zu treiben . Die adminiſtrative Gewalt iſt von der
militairiſchen getrennt worden , und die Beſteuerten ſelbſt
haben ſich zu hoͤhern Abgaben verſtanden , ſofern ſie an die
Staatskaſſe zahlen duͤrften .
Die Geſchenke ſind , wie im ganzen Orient , ſo auch
hier allgemein uͤblich . Ohne ein Geſchenk darf der Gerin-
gere ſich dem Hoͤhern nicht nahen ; wer Recht bei ſeinem
Richter ſucht , muß eine Gabe mitbringen . Beamten und
Officiere empfangen Trinkgelder ; aber wer am meiſten ge-
ſchenkt nimmt , iſt der Großherr ſelbſt .
Die Auskunft der Muͤnzverſchlechterung iſt bereits bis
zur Erſchoͤpfung benutzt worden . Noch vor zwoͤlf Jahren
galt der ſpaniſche Thaler 7 Piaſter , jetzt kauft man ihn fuͤr
21. Wer damals uͤber ein Vermoͤgen von 100,000 Thlrn .
verfuͤgte , findet heute , daß er nur 33,000 beſitzt . Dieſe
Calamitaͤt iſt groͤßer in der Tuͤrkei , als in jedem andern
Lande , weil ſehr wenig Kapitalien in Grundbeſitz angelegt
werden , und die Reichthuͤmer hier meiſt nur aus Geldver-
moͤgen beſtehen . Jn den geſitteten Laͤndern Europa's ent-
ſpringen die Vermoͤgen aus irgend einer wirklichen Hervor-
bringung werthvoller Gegenſtaͤnde ; der , welcher auf dieſe
Weiſe ſeinen Reichthum erwirbt , mehrt zugleich den des
Staats , und das Geld iſt nur der Ausdruck fuͤr die Menge
ſachlicher Guͤter , uͤber welche er verfuͤgt . Jn der Tuͤrkei
iſt die Muͤnze das Gut ſelbſt , und Reichthum eine zufaͤllige
Anhaͤufung der einmal vorhandenen Geldmenge auf das
eine oder auf das andere Jndividuum . Der ſehr hohe
Zinsfuß von geſetzlich 20 Procent iſt in dieſem Lande weit
entfernt , ein Beweis von der großen Thaͤtigkeit der Kapi-
talien zu ſein ; er zeugt nur von der Gefahr , welche damit
verbunden iſt , ſein Geld aus der Hand zu geben . Die
Bedingung alles Reichthums hier iſt , daß man ihn fluͤch-
ten koͤnne . Der Rajah wird lieber ein Geſchmeide fuͤr
100,000 Piaſter kaufen , als eine Fabrik , eine Muͤhle oder
4
ein Vorwerk anlegen . Nirgends giebt es mehr Vorliebe
fuͤr Schmuck als hier , und die Juwelen , welche in reichen
Familien ſelbſt Kinder von wenig Jahren tragen , ſind ein
glaͤnzender Beweis fuͤr die Armuth des Landes .
Wenn es eine der erſten Bedingungen jeder Regierung
iſt , Vertrauen zu erwecken , ſo laͤßt die tuͤrkiſche Verwal-
tung dieſe Aufgabe voͤllig ungeloͤſ't . Jhr Verfahren gegen
die Griechen , die ungerechte und grauſame Verfolgung der
Armenier , dieſer treuen und reichen Unterthanen der Pforte ,
und ſo viele andere gewaltſame Maaßregeln ſind in zu fri-
ſchem Andenken , als daß Jemand ſein Kapital auf eine
Weiſe anlegen ſollte , die erſt mit der Zeit rentirt . Jn
einem Lande , wo dem Gewerbfleiß das Element fehlt , in
welchem er gedeiht , kann auch der Handel groͤßtentheils
nur ein Austauſch fremder Fabrikate gegen einheimiſche
rohe Stoffe ſein . Auch giebt der Tuͤrke zehn Oka ſeiner
rohen Seide fuͤr eine Oka verarbeiteten Zeuges hin , von
dem der Stoff auf ſeinem eigenen Boden erzeugt wird .
Noch uͤbler ſieht es mit dem Ackerbau aus . Man
hoͤrt in Konſtantinopel oftmals klagen , daß ſeit der Aus-
rottung der Janitſcharen die Preiſe der Lebensbeduͤrfniſſe
um das Vierfache geſtiegen ſind , als ob der Himmel dieſe
Strafe uͤber die Vertilger der Streiter des Jslam verhaͤngt
haͤtte . Die Thatſache iſt richtig , aber der Grund offenbar
der , daß ſeit jener Zeit die Moldau , die Wallachei und
Egypten , dieſe großen Kornkammern der Hauptſtadt , ge-
ſchloſſen ſind , waͤhrend ſie fruͤher gezwungen waren , die
Haͤlfte ihrer Erndten in den Bosphorus zu fuͤhren . Jm
Jnlande will ſich Niemand mit dem Getreidebau im Gro-
ßen beſchaͤftigen , weil die Regierung ihre Ankaͤufe zu Prei-
ſen macht , welche ſie ſelbſt feſtſetzt . Die Zwangkaͤufe der
Regierung ſind ein groͤßeres Uebel fuͤr das Land , als Feuers-
bruͤnſte und Peſt zuſammen . Sie untergraben nicht allein
den Wohlſtand , ſondern ſie machen auch die Quellen ver-
ſiegen , aus welchen er fließt . Und ſo geſchieht es denn ,
daß die Regierung ihr Korn aus Odeſſa kaufen muß , waͤh-
rend endloſe Strecken fruchtbaren Bodens unter dem ge-
ſegnetſten Himmel eine Stunde vor den Thoren einer Stadt
von 800,000 Einwohnern unbebaut liegen .
Die aͤußern Glieder des einſt ſo maͤchtigen Staats-
koͤrpers ſind abgeſtorben , das ganze Leben hat ſich auf das
Herz zuruͤckgezogen , und ein Aufruhr in den Straßen der
Hauptſtadt kann das Leichengefolge der osmaniſchen Mo-
narchie werden . Die Zukunft wird zeigen , ob ein Staat
mitten in ſeinem Sturze einhalten und ſich organiſch er-
neuern kann , oder ob dem muhamedaniſch-byzantiniſchen
Reiche , wie dem chriſtlich-byzantiniſchen , das Schickſal be-
ſtimmt iſt , an einer fiscaliſchen Verwaltung zu Grunde zu
gehen . Was aber die Ruhe Europa's bedroht , ſcheint we-
niger die Eroberung der Tuͤrkei durch eine fremde Macht
zu ſein , als vielmehr die aͤußerſte Schwaͤche dieſes Reichs
und der Zuſammenſturz in ſeinem eigenen Jnnern .
11.
Die Dardanellen . — Alexandra troas .
Pera , den 13. April 1836 .
Den 2. April Abends verließ ich mit einem oͤſterrei-
chiſchen Dampfſchiff Konſtantinopel , und erblickte am fol-
genden Morgen die hohen ſchoͤnen Gebirge der Jnſel Mar-
mara . Rechts zeigten ſich die Berge von Rodoſto mit Wein-
gaͤrten und Doͤrfern . Bald traten die Kuͤſten Europa's und
Aſiens naͤher zuſammen , und Gallipoli erſchien auf ſchrof-
fen zerriſſenen Klippen , mit einem alten Kaſtell und zahl-
loſen Windmuͤhlen am Ufer . Hier war es , wo die Tuͤrken
zuerſt nach Europa uͤberſetzten . Gegen Mittag tauchte das
Fort Nagara mit ſeinen weißen Mauern aus der hell-
blauen klaren Fluth des Helleſpont empor .
Dieſe Meerenge iſt bei weitem nicht ſo ſchoͤn wie der
Bosphorus , die Ufer ſind kahl und betraͤchtlich weiter ent-
fernt als dort , aber die geſchichtlichen Erinnerungen ma-
chen ſie anziehend . Von jenem ſeltſam ausſehenden Huͤgel
( vielleicht von Menſchenhaͤnden aufgethuͤrmt ) blickte Xerxes
auf ſeine zahlloſen Schaaren , die er nach Griechenland
fuͤhrte ; jene Steintruͤmmer , welche die ganze flache Land-
zunge uͤberdecken , waren einſt Abydos , und hier ſchwamm
Leander von Europa nach Aſien , um Hero zu ſehen . Ein
einziger unfoͤrmlicher Mauerreſt ſteht noch aufrecht auf dem
Platz , den einſt die Stadt einnahm , aber es iſt ſchwer zu
ſagen , was dieſe Ruine geweſen ; dagegen iſt es ſehr wahr-
ſcheinlich , daß eine Quelle ſuͤßen Waſſers , die noch heut
auf dem flachen , vom Meer umgebenen Jſthmus in einem
unterirdiſchen Gewoͤlbe ſprudelt , die Einwohner jener Stadt ,
vielleicht die ſchoͤne Hero ſelbſt , getraͤnkt hat .
Die gewaltige Stroͤmung fuͤhrte uns ſchnell bis an die
engſte Stelle der Meerenge , „ wo die altergrauen Schloͤſſer
ſich entgegen ſchauen “ . Hinter dem europaͤiſchen erhebt
ſich ſteil eine weiße Felswand , in welcher eine kleine Grotte
fuͤr das Grab der Hekuba gilt . Die aſiatiſche Kuͤſte hin-
gegen iſt flach , und zeigt hinter dem Kaſtell , welches einſt
die Genueſer hier aufthuͤrmten , im Schatten maͤchtiger Pla-
tanen und umgeben von Gaͤrten und Weinbergen , ein Staͤdt-
chen , welches die Tuͤrken Tſchanak-Kaleſſi , das Scherben-
ſchloß nennen , wegen der vielen Toͤpfer , die dort arbeiten .
Dort reſidirt in einer beſcheidenen Wohnung der Boghar
Paſcha , zu welchem ich mich verfuͤgte , um die Briefe des
Seraskiers zu uͤbergeben und einige muͤndliche Auftraͤge aus-
zurichten . Er ließ mir ein kleines huͤbſches Haͤuschen am
Ufer einraͤumen , und nachdem ich die Forts und Batterien
beſichtigt , nahm ich den Plan der Dardanellenſtraße und
ihrer Ufer auf .
Was ich Dir von dem Ergebniß meines fuͤr mich ſehr
intereſſanten Auftrages mittheilen kann , iſt freilich nur das
Allgemeinſte und meiſt ſchon Bekannte .
An der Einfahrt zu den Dardanellen erheben ſich die
ſogenannten neuen Schloͤſſer , welche die Tuͤrken nach dem
Muſter der alten erbaut . Das europaͤiſche heißt Sed-il-
bar — „ der Schluͤſſel des Meeres “ — ; das aſiatiſche Kum-
kaleh — „ das Sandſchloß “ — . Die Breite dieſer Muͤn-
dung betraͤgt beinahe eine halbe geographiſche Meile , und
jene Schloͤſſer ſind faſt nur als vorgeſchobene Poſten zu
betrachten , welche von der Annaͤherung feindlicher Flotten
benachrichtigen und ſie zugleich verhindern , innerhalb der
Meerenge vor Anker zu gehen . Die eigentliche Verheidigung
faͤngt zwei Meilen weiter oben an und beruht auf den Bat-
terien , welche auf der ungefaͤhr eine Meile langen Strecke
zwiſchen Tſchanak-Kaleſſi und Nagara erbaut ſind . Zwi-
ſchen Sultani-Hiſſar und Kilid-Bahr , dem Meerſchloß ,
verengt ſich die Straße auf 1986 Schritt , und die Ku-
geln dieſer ſehr ſtark gebauten Forts und der großen ne-
benan liegenden Batterien reichen von einem Ufer auf das
andere . Bei Nagara erweitert ſich die Straße ſchon auf
2833 Schritt .
Zur Vertheidigung der Dardanellen ſind 580 Geſchuͤtze
vorhanden , welche in Hinſicht auf ihre Kaliber eine Stu-
fenfolge von 1- bis 1600-Pfuͤnder bilden . Es giebt Ge-
ſchuͤtze , die 5 , und deren , die bis zu 32 Kaliber lang ſind ,
und man findet tuͤrkiſche , engliſche , franzoͤſiſche und oͤſter-
reichiſche , ſelbſt Kanonen , welche mit einem Kurhut bezeich-
net ſind . Aber die große Mehrzahl der Geſchuͤtze iſt von
mittlerem , dem Zweck entſprechendem Kaliber , und faſt alle
ſind von Bronze . Jn Sed-il-bar liegen einige merkwuͤr-
dige Piecen ſehr großen Kalibers aus geſchmiedetem Eiſen .
Man hatte ſtarke Eiſenbarren der Laͤnge nach zuſammen-
gelegt und mit andern Barren umwunden , was indeß ſchlecht
gelungen iſt . Es ſteckt ein ungeheueres Geldkapital in die-
ſem Vorrath .
Merkwuͤrdig ſind die großen Kemerliks , welche Stein-
kugeln von Granit oder Marmor ſchießen . Sie liegen ohne
Laffeten unter gewoͤlbten Thorwegen in der Mauer des
Forts auf loſen Kloͤtzen an der Erde . Die groͤßern der-
ſelben wiegen bis zu 300 Ctr. , und werden mit 148 Pfd.
Pulver geladen . Der Durchmeſſer des Kalibers iſt 2 Fuß
9 Zoll , und man kann bis zur Kammer hineinkriechen .
Man hat Mauern von großen Quaderſteinen hinter dem
Bodenſtuͤck aufgefuͤhrt , um den Ruͤcklauf zu verhindern ;
dieſe werden jedoch nach wenigen Schuͤſſen zertruͤmmert .
Die Steinkugeln ricochettiren uͤbrigens auf der Waſſerflaͤche
von Aſien nach Europa und umgekehrt , und rollen noch
ein gut Stuͤck auf dem Lande fort . Wenn eine ſolche Ku-
gel das Schiff im Waſſergang trifft , ſo iſt gar nicht ab-
zuſehen , wie ein Leck von drittehalb Fuß im Durchmeſſer
geſtopft werden kann .
Einige kuͤhne und gluͤckliche Unternehmungen der Eng-
laͤnder zur See haben ziemlich allgemein die Anſicht ver-
breitet , daß Landbatterien ſich gegen Flotten , die ihnen an
Zahl der Geſchuͤtze freilich weit uͤberlegen ſind , nicht ver-
theidigen koͤnnen . Eine ſolche Unternehmung war die Lord
Duckworths im Jahre 1807 . Die Vertheidigungs-An-
ſtalten der Dardanellen befanden ſich damals im klaͤglich-
ſten Zuſtande ; die engliſche Escadre ſegelte durch , faſt ohne
Widerſtand zu finden , und am 20. Februar erſchien zum
erſtenmal eine feindliche Flotte unter den Mauern der os-
maniſchen Hauptſtadt .
Je weniger die Tuͤrken ſich die Moͤglichkeit eines ſol-
chen Ereigniſſes gedacht , um ſo groͤßer war die anfaͤngliche
Beſtuͤrzung . Es iſt bekannt , wie der Einfluß und die Thaͤ-
tigkeit des franzoͤſiſchen Botſchafters damals den Divan
abhielt , in jede Forderung der Englaͤnder zu willigen ; Bat-
terien wuchſen an den Ufern von Tophane und des Se-
rajs empor , waͤhrend die Dardanellen im Ruͤcken der Ein-
gedrungenen eiligſt in wehrhaften Stand geſetzt wurden ,
und bald wußte der britiſche Botſchafter ſelbſt nicht mehr ,
was er mit dem militairiſchen Erfolg ſeines Admirals an-
zufangen habe . Nach Verlauf von acht Tagen mußte Lord
Duckworth ſich gluͤcklich ſchaͤtzen , mit Verluſt von zwei
Corvetten und weſentlicher Beſchaͤdigung faſt aller uͤbrigen
Fahrzeuge die Rhede von Tenedos wiederzugewinnen .
Die von einem Schiffe gegen eine Landbatterie geſchoſ-
ſene Kugel toͤdtet im guͤnſtigſten Fall einige Menſchen und
demontirt ein Geſchuͤtz , waͤhrend die von einer Landbatterie
abgeſchoſſene moͤglicher Weiſe ein Schiff außer Gefecht ſez-
zen kann . Mannſchaft , Geſchuͤtz und Munition ſind in der
Landbatterie ungleich ſicherer aufgehoben , als hinter den
Waͤnden eines Schiffs . Beſonders wichtig aber iſt der
Umſtand , daß bei den Schwankungen des Fahrzeugs ein
genaues Richten ganz unmoͤglich iſt . Die Landbatterie bie-
tet dem Treffen ein Ziel von etwa viertehalb Fuß Hoͤhe ,
eine geringe Schwankung vergroͤßert oder verringert die
Elevation der Geſchuͤtze daher ſchon in dem Maaße , daß
eine ganze Lage zu hoch oder zu niedrig geht . Die Feuer-
ſchluͤnde einer Landbatterie hingegen ſtehen feſt , der Artille-
riſt nimmt ſeine Richtung genau , ſein Ziel iſt eine 20 bis
30 Fuß hohe , 100 Fuß lange , uͤberall verwundbare Wand .
Die Kugeln , welche zu niedrig gehen , koͤnnen noch par ri-
cochet einſchlagen ; die , welche zu hoch , Maſten , Raaen
und Seegel zerſtoͤren . Die groͤßere Zahl der Geſchuͤtze iſt
auf der Seite der Flotte , die guͤnſtigeren Verhaͤltniſſe aber
ſind auf Seiten der Landbatterie .
Noch iſt ein Umſtand zu bemerken , welcher beſonders
unguͤnſtig fuͤr das Einlaufen von Schiffen durch die Dar-
danellen in den Propontis iſt ; es weht naͤmlich den gan-
zen Sommer hindurch faſt unausgeſetzt der Nordwind , die
Kauffahrer liegen oft vier bis ſechs Wochen , ehe ſie die
Straße hinauf gelangen , und wenn endlich ein Suͤdwind
eintritt , ſo muß er ſchon recht ſcharf ſein , um die ſtarke
Stroͤmung des Helleſpont , welche conſtant gegen Suͤden
fließt , zu uͤberwinden . Dabei tritt oft der Fall ein , daß
bei Kunckaleh der Wind aus Suͤden weht , waͤhrend er in
der Hoͤhe von Nagara vollkommen aufhoͤrt . Wenn das
Artillerie-Material in den Dardanellen geordnet ſein wird ,
ſo glaube ich nicht , daß irgend eine feindliche Flotte der
Welt es wagen duͤrfte , die Straße hinauf zu ſeegeln ; man
wuͤrde immer genoͤthigt ſein , Truppen zu debarkiren und
die Batterien in der Kehle anzugreifen . Aber das duͤrfte
keinesweges ſo leicht gefunden werden , wie man daruͤber
reden hoͤrt . Forts mit 40 Fuß hohen Mauern , wie die
alten und die neuen Schloͤſſer , moͤgen immerhin dominirt
ſein , man kann ſich doch eine huͤbſche Weile drin verthei-
digen , wenn man ſonſt nur Luſt hat , und uͤberdies ſind
die Schloͤſſer Kunckaleh und Sultani-Hiſſar durchaus nicht
uͤberhoͤht .
Jch machte nun noch einen Ausflug nach Alexandra
troas , den Ruinen einer Stadt , welche Antigonus , einer
der Feldherren Alexanders des Großen , ſeinem Herrn
zur Ehre nahe der Stelle gegruͤndet hatte , wo die Rhede
zwiſchen Tenedos und der flachen aſiatiſchen Kuͤſte noch
heute den groͤßten Flotten einen guten Ankerplatz gewaͤhrt .
Wir ritten an dem Grabe des Patroklus vorbei , von wel-
chem ich mir einen Oelzweig mitnahm , laͤngs des oͤden
Sandufers , wo der Pelide um die ſchoͤne Briſeis ge-
trauert , nach dem Vorgebirge Sigeum zu , welches hinaus
ſchaut auf das prachtvolle Meer und ſeine Jnſeln , die
rauh umſtarrte Jmbros , die thraciſche Samos und Tene-
dos , hinter welcher die Flotte der Achaͤer ſich verbarg .
Auf einem Huͤgel , der von Menſchenhaͤnden erbaut ſchien ,
lag ein griechiſches Dorf , Aya-Dimitri , deſſen dicht an
einander gedraͤngte Haͤuſermaſſe ein burgartiges Anſehen
hat . Obwohl ich wußte , daß Pergamus nicht hier , ſon-
dern landeinwaͤrts gelegen , ſo machte es mir Vergnuͤgen ,
mir vorzuſtellen , daß dies die viel durchwanderte Feſte ſei ,
und wahrſcheinlich waren auch die von Goͤttern abſtam-
menden Helden nicht beſſer logirt als in dieſen Lehmhuͤtten .
Die Gegend iſt faſt ohne Anbau , junge Kameele weiden in
dem hohen duͤrren Graſe , und nur einzeln ſtehende Pala-
muts oder Faͤrbeeichen ſchmuͤcken die Flur .
Die Sonne ſenkte ſich hinter einem ſchoͤnen Gebirge
herab , als wir unſer Nachtquartier , ein großes tuͤrkiſches
Dorf , erreichten . Wir ritten zum Aelteſten des Dorfs ,
welcher uns mit der uͤblichen Gaſtfreiheit empfing : Ak-
scham scherif ler heïr olsun — „ moͤge dein „ „ edler “ “
Abend gluͤcklich ſein , Herr ! “ — Chosch bulduck sefa gjel-
din — „ wohl getroffen , willkommen ! “ ſagte er , raͤumte
mir ſein Zimmer , ſein Lager , ſein Haus ein , und reichte
mir die Pfeife , welche er ſelbſt rauchte . — Es fand an
dieſem Tage ein Erdbeben ſtatt . Der erſte Stoß war
Nachmittags empfunden , ich hatte aber zu Pferde nichts
davon gemerkt , eben ſo wenig von der zweiten Repriſe
Abends , wo ich ſchon im feſten Schlaf lag . Gegen Mor-
gen aber fuͤhlte ich mich auf meinem Lager geſchuͤttelt und
erwachte von dem Klappern aller Fenſter und Thuͤren . Jn
den Dardanellen hatte man die drei Stoͤße ſehr merklich
verſpuͤrt .
Am folgenden Morgen , nachdem wir durch ein ſchoͤ-
nes Thal mit Pappeln , Kaſtanien und Nußbaͤumen gerit-
ten , ſahen wir das Fundament der alten Stadtmauer von
Alexandra troas vor uns . Es beſtand aus 6 — 10 Fuß
langen , 3 , oft 6 Fuß maͤchtigen Steinbloͤcken , und erſtreckte
ſich , ſoweit das Auge durch das Gebuͤſch folgen konnte .
Wir ritten wohl tauſend Schritt auf dieſem Wall entlang
und fanden maͤchtige Steintruͤmmer , Granitſaͤulen , Gewoͤlbe ,
die mit ſechsſeitigen Steinen zierlich bekleidet geweſen , Truͤm-
mer von Architraven und ſchoͤnen Kapitaͤlern auf der Ebene
herumgeſtreut . Ploͤtzlich ſtanden wir vor einer maͤchtigen
Ruine aus rieſenhaften Quadern aufgethuͤrmt . Die gro-
ßen Bogen des ſchoͤnen Portals trotzen allen Erdbeben und
Jahrhunderten , und es macht einen eigenen , wehmuͤthigen
Eindruck , einen ſolchen Rieſenbau in dieſer ganz menſchen-
leeren Einoͤde zu finden .
Die Tuͤrken nennen den Ort Eski-Stambul , das alte
Konſtantinopel . Sie benutzen die Sarkophage zu Waſſer-
kufen , ihre Deckel zu Bruͤcken uͤber die Baͤche , und die
Saͤulenſchaͤfte zu Kugeln fuͤr ihre Steinkanonen .
12.
Vermaͤhlungsfeier der Großherrlichen Tochter . —
Der Metach oder oͤffentliche Erzaͤhler .
Konſtantinopel , den 5. Mai 1836 .
Vorgeſtern gab der Sultan den Geſandten ein pracht-
volles Diner zur Feier der Vermaͤhlung ſeiner zweiten Toch-
ter Mihrimah , auf deutſch Sonnenmond . Man verſam-
melte ſich in einem Kiosk , der von allen Seiten offen war
und eine weite Ausſicht uͤber Konſtantinopel , Pera und das
Meer gewaͤhrte . Unter den Fenſtern waren Seiltaͤnzer ,
Kunſtreiter , perſiſche Mimiker und zahlloſe Zuſchauer . Die
Frauen in ihren weiten Maͤnteln und weißen Schleiern ſa-
ßen eine neben der andern an einer hohen Berglehne bis
oben hinauf . Eine Stunde vor Sonnenuntergang fuͤhrte
man uns in ein ſehr großes alttuͤrkiſches Zelt , in welchem
eine Tafel fuͤr hundert Perſonen gedeckt war . Die bron-
zenen Aufſaͤtze , das Silber und Porcellan waren in der
That praͤchtig . Mehr als 200 Kerzen beleuchteten die Ge-
ſellſchaft , welche außer dem diplomatiſchen Corps , aus dem
Schwiegerſohn des Großherrn , den Veziren und den erſten
Wuͤrdentraͤgern des Reichs beſtand . Nach Tiſche ging es
wieder in den Kiosk , von wo aus man ein Feuerwerk ab-
brennen ſah . Beim Nachhauſefahren aber nahm der er-
leuchtete Bosphor ſich ſehr ſchoͤn aus . Die Natur muß
hier immer das Beſte thun ; wenn man die ganze Feier-
lichkeit in eine andere Gegend verſetzte , ſo verlor ſie ihren
Glanz .
Geſtern wurde die Ausſteuer der Prinzeſſin in ihre neue
Wohnung gefuͤhrt . Unter Bedeckung von Cavallerie und
unter Vortritt einiger Paſcha's erſchienen 40 Maulthiere
mit großen Ballen koſtbarer Stoffe , dann einige 20 Wagen
mit Shawls , Teppichen , Seidenzeugen u. ſ. w. , endlich
160 Traͤger mit großen ſilbernen Schuͤſſeln auf dem Haupt .
Jn der erſten lag ein prachtvoll mit Gold und Perlen ein-
gebundener Koran , dann folgten große ſilberne Seſſel , Feuer-
becken , Kiſten und Kaſten mit Geſchmeide , goldene Vogel-
bauer , und wer weiß , was ſonſt noch fuͤr Geraͤthe . Manche
von dieſen Stuͤcken moͤgen aber wohl im Stillen in den
Schatz zuruͤckkehren , und das naͤchſtemal , wo eine Prinzeſ-
ſin verheirathet wird , defiliren ſie wieder .
Heute wurde die Prinzeſſin ihrem Gemahl , der ſie bis
jetzt noch nicht geſehen , uͤbergeben . Voraus ritt Cavalle-
rie , dann die ſaͤmmtlichen Beamten des Palais , die ſaͤmmt-
lichen Paſcha's , darauf der Mufti und mein Goͤnner , der
Seraskier ; hiernach folgten die beiden Soͤhne des Groß-
herrn in einem offenen Wagen , dann der Kislaw Aya und
dreißig Verſchnittene , endlich in einer prachtvollen , ganz
verſchloſſenen Kutſche die Braut . Die Kutſche nebſt ſechs
braunen Hengſten iſt ein Geſchenk des ruſſiſchen Kaiſers .
Jhr folgten einige 40 Wagen mit Sclavinnen . Der Zug
bewegte ſich wohl eine Meile weit zwiſchen lauter Men-
ſchen fort . Man ſah ſehr viel ſchoͤne Pferde .
Das ſchoͤnſte Feſt feiert jetzt jedoch der Fruͤhling . Seit
ſechs Wochen haben wir ununterbrochen das ſchoͤnſte Wet-
ter , alle Baͤume ſtehen in Bluͤthe ; die rieſenhaften Plata-
nen , welche man hier findet , breiten ſchon ihr Laub aus ,
und die Mandelbaͤume haben mit rothen Bluͤthen die Erde
rings uͤberſtreut . Jch benutze auch die Zeit , die mir uͤbrig
bleibt , zu Pferde und zu Fuß in der Umgegend umherzu-
ſtreifen . Vorgeſtern trat ich in ein tuͤrkiſches Kaffeehaus ;
in einem kleinen Garten , uͤber deſſen Mauern hinweg man
eine prachtvolle Ausſicht auf den Bosphorus und die aſia-
tiſche Kuͤſte hat , ſaßen mehr als hundert Maͤnner auf nie-
drigen Rohrſchemeln und rauchten das Nargileh oder die
Waſſerpfeife . Alle hatten der ſchoͤnen Gegend den Ruͤcken
zugewendet und horchten aufmerkſam nach einem ſtattlichen
Mann , der in der Mitte des Gartens ſtand und mit aus-
drucksvollen Gebehrden einen Vortrag hielt . Es war ein
beruͤhmter Metach oder oͤffentlicher Erzaͤhler , welcher Ge-
ſchichten , wie die in tauſend und eine Nacht , von dummen
Herren , verſchmitzten Dienern und wunderbaren Ereigniſſen
erzaͤhlt , oft aber auch die politiſchen Verhaͤltniſſe des Au-
genblicks mit in ſein Maͤhrchen hineinzieht und manchmal
großen Einfluß auf die Menge uͤbt . Obwohl ich keine
Silbe verſtand , ſo hoͤrte und ſah ich dem Mann doch mit
Vergnuͤgen eine Weile zu . Bald ſprach er wie ein vorneh-
mer Effendi , bald als Badewaͤrter ; dann ahmte er die kei-
fende Stimme einer Matrone , den Dialekt eines Armeniers ,
eines Franken , eines Juden nach . Sein Publikum , das
dankbarſte , das man haben kann , folgte mit der groͤßten
Aufmerkſamkeit rauchend und lachend dem Vortrag . Als
der Metach an die intereſſanteſte Stelle gekommen , hielt er
inne und ging mit einer zinnernen Taſſe umher , in welche
Jedermann einen Para warf , um ſich das Ende der Ge-
ſchichte zu erkaufen .
13.
Der Fruͤhling am Bosphor . — Tuͤrkiſches diploma-
tiſches Mittagseſſen .
Pera , den 20. Mai 1836 .
Seit einigen Tagen iſt es ploͤtzlich ſo kalt geworden ,
daß wir einheizen muͤſſen , und erſt mit der Sonnenfinſter-
niß am 15. Mai hat ſich der Fruͤhling aufs Neue einge-
ſtellt . Die Naͤhe des Schwarzen Meeres macht , daß jeder
Nordwind bis zum Juni Kaͤlte mit ſich bringt . Hoͤchſt
auffallend iſt die Temperatur-Verſchiedenheit zwiſchen Pera
und Bujukdere . Obwohl dieſer Sommeraufenthalt der Ge-
ſandten nur drei Meilen von hier entfernt iſt , ſo herrſcht
doch ſtets ein Unterſchied von mehreren Graden , und oft
wenn hier Suͤdwind weht , hat man dort Nordwind . Um
ſo angenehmer iſt der Aufenthalt von Bujukdere in der
Sommerhitze . Merkwuͤrdig iſt mir auch die Langſamkeit
geweſen , mit welcher die Vegetation ſich hier entwickelt ;
die Pflanzen ſcheinen zu wiſſen , daß ſie ſich nicht zu beei-
len brauchen , wie bei uns , wo ihnen der Winter gleich
uͤber den Hals kommt . Hier iſt man ſicher , von jetzt bis
Weihnachten ſchoͤnes Wetter zu behalten . Die Obſtbaͤume
haben zwei Monate gebluͤht , jetzt ſind wir bei den Jasmi-
nen und den zahlloſen Roſen , die alle Gaͤrten fuͤllen , auch
faͤngt man ſchon an Erdbeeren und Kirſchen auszubieten .
Jm Ganzen muß ich doch geſtehen , daß ich den Fruͤhling
nicht ſo ſchoͤn , wie bei uns finde ; es iſt nicht dieſer ſchnelle ,
zauberiſche Uebergang , und es fehlt die Hauptzierde , der
Laubwald . Zur Zeit der griechiſchen Kaiſer waren noch
beide Ufer des Bosphorus mit Wald bedeckt , jetzt ſind ſie
kahle und unangebaute Hoͤhen . Wo aber in den Thaͤlern
noch einzelne Baͤume ſtehen geblieben , da ſind ſie auch pracht-
volle wahre Berge von Zweigen und Laub . Man kann ſich
uͤberhaupt des Gedankens nicht erwehren , was Konſtanti-
nopel iſt , und was es ſein koͤnnte , wenn hier eine gute
Regierung und ein arbeitſames Volk wohnten .
Viel Vergnuͤgen macht es mir immer , den Bosphorus
hinauf zu wandern , bald zu Fuß , bald im Kahn , bald auf
der europaͤiſchen , bald auf der aſiatiſchen Seite . Um den
Ruͤckweg braucht man ſich nicht zu kuͤmmern ; man ſetzt
oder legt ſich in eins der zierlichen , leichten Kaiks , die alle
Gewaͤſſer hier bedecken . Der Bosphorus , welcher mit gro-
ßer Schnelligkeit ſtets nach Konſtantinopel zufließt , fuͤhrt
uns , ſelbſt wenn die Ruderer nicht waͤren , in kurzer Zeit
wieder heim .
Vor einigen Tagen waren wir wieder die Gaͤſte des
Sultans oder vielmehr ſeines Defterdars oder Schatzmei-
ſters . Man feierte auf einer großen Wieſe , die ſuͤßen
Waſſer genannt , ein Volksfeſt , wegen Beſchneidung der
jungen Prinzen , zu welchem man auch das diplomatiſche
Corps eingeladen hatte . Da dieſe Feier aͤcht tuͤrkiſch iſt ,
ſo gab man uns auch ein aͤcht-tuͤrkiſches Diner , natuͤrlich
ohne Meſſer und Gabeln und ohne Wein . Den Anfang
der zahlloſen Schuͤſſeln machte ein gebratenes Lamm , in-
wendig mit Reis und Roſinen gefuͤllt . Jeder riß ſich ein
Stuͤck ab und langte mit den Fingern hinein ; dann folgte
Helwa , eine ſuͤße Mehlſpeiſe aus Honig , dann wieder Bra-
ten und wieder ein ſuͤßes Gericht , bald warm , bald kalt ,
bald ſauer , bald ſuͤß . Jede einzelne Schuͤſſel war vortreff-
lich , die ganze Combination aber fuͤr einen europaͤiſchen
Magen ſchwer begreiflich , und das Alles ohne Wein . Das
Eis wurde in der Mitte der Mahlzeit gegeben ; endlich
forderten wir dringend den Pillaw , welcher ſtets den Be-
ſchluß der Mahlzeit macht . Dann wurde noch eine Schuͤſ-
ſel Wuſchaff oder ein Aufguß auf Obſt auf die große runde
Scheibe geſtellt , an der wir aßen , und mit Loͤffeln geleert .
Vor und nach der Mahlzeit waͤſcht man ſich . Es ſah
ſehr poſſirlich aus , die Diplomaten in geſtickten europaͤi-
ſchen Uniformen an einer ſolchen Tafel zu ſehen . Man
band Jedem ein langes , geſticktes Tuch um den Hals , als
ob er barbirt werden ſollte , und uͤberließ ihn dann ſeinem
Schickſal . Vor den Zelten waren Seiltaͤnzer , arabiſche
Gaukler , armeniſche Saͤnger , griechiſche Taͤnzer und walla-
chiſche Muſik . Abends ward ein Feuerwerk abgebrannt ,
wie man es auf dem Kreuzberge bei Berlin eben ſo gut
ſieht . Zwei Ballons , die aufſteigen ſollten , riſſen , ehe ſie
gefuͤllt waren . Als wir zu Hauſe kamen , ſetzten wir uns
hin und tranken eine Flaſche Wein , wobei wir Mahomed
und ſeinen Bekennern unſer aufrichtiges Mitleiden nicht
verſagten .
Vor acht Tagen ſchrieb ich , daß ich den 10 . d. Mts.
zuruͤckreiſen wuͤrde , heute aber muß ich Dir melden , daß
dies Alles ſich wieder geaͤndert hat . Der Großherr befahl
dem Seraskier , mich zu veranlaſſen , einſtweilen noch zu
bleiben . Jch werde mit Halil Paſcha ( Schwiegerſohn
des Sultans und Großmeiſter der Artillerie ) nach Varna
gehen , welcher Ort gegenwaͤrtig befeſtigt wird . Wir reiſen
uͤbermorgen ab , und ſpaͤter werde ich dann die Dardanel-
len wieder beſuchen . Was die Ankunft der preußiſchen
Offiziere betrifft , ſo iſt die Angelegenheit auf die lange
Bank geſchoben , und wird vielleicht ſobald noch gar nicht
ſtatt finden . Jch hoffe daher gewiß , den Winter in Ber-
lin zu ſein .
14.
Reiſe nach Bruſſa .
Pera , den 16. Juni 1836 .
Geſtern bin ich von einer kleinen Ausflucht nach Aſien
zuruͤckgekehrt , die ich Dir eigentlich in Verſen beſchreiben
muͤßte , da ich dabei den Olymp beſtiegen . Weil ich aber
nicht weit hinaufgekommen , ſondern nur den Fuß oder ei-
gentlich nur die kleine Zehe des Rieſen erklettert , ſo kommſt
Du mit der Proſa davon . Am 11. Nachmittags ſchiffte
ich mich auf einem tuͤrkiſchen Fahrzeuge ein , und ein fri-
ſcher Nordwind fuͤhrte uns in vier Stunden nach dem acht
Meilen entfernten Felsvorgebirge Poſidoni ( jetzt Bus-bu-
run , die Eisſpitze ) . Hier ging die See ſo hoch , daß un-
ſer Reis oder Steuermann , der auf dem hohen , zierlich ge-
ſchnitzten Hintertheil des Schiffs kauerte , ſchon anfing , ſein
Allah ekber — „ Gott iſt barmherzig “ — zu rufen , als
mit der Dunkelheit der Wind ſich ſo gaͤnzlich legte , daß
wir erſt den andern Morgen um 8 Uhr das nahe Mada-
nia erreichen konnten . Bald waren die Pferde bereit , und
ich durchſtreifte nun bis Bruſſa eine Gegend , die , wenn
man ſeit Monaten nichts , als die Einoͤden Rumeliens ge-
ſehen hat , doppelt reizend erſcheint . Alles iſt hier bebaut ,
weniger mit Korn , als mit Reben und Maulbeerbaͤumen .
Dieſe letztern werden niedrig als Buſchwerk gehalten und
gekoͤpft , wie bei uns die Weiden , um den Seidenwuͤrmern
zum Futter zu dienen . Jhre großen hellgruͤnen Blaͤtter
bedecken weit und breit die Felder . Der Olivenbaum bil-
det hier anſehnliche Waldungen , doch iſt er gepflanzt . Die
ganze reich bebaute Gegend erinnert ſehr an die Lombardei ,
namentlich an die huͤgelige Gegend von Verona . So lieb-
lich wie der Vordergrund des Gemaͤldes , ſo praͤchtig iſt
die Fernſicht . Auf der einen Seite erblickt man das Mar-
mormeer mit den Prinzen-Jnſeln , und auf der andern den
prachtvollen Olymp , deſſen ſchneebedecktes Haupt uͤber einen
breiten Guͤrtel von Wolken hervorragte . Die Weinbluͤthe
erfuͤllte die Luft mit einem ſtarken Reſedageruch , wobei
ihr das uͤppig wuchernde Caprifolium und eine gelbe Blu-
me , deren Namen ich nicht kenne , halfen . Nachdem wir
eine niedrige Huͤgelreihe uͤberſchritten hatten , erblickten wir
in einer großen gruͤnen Ebene am Fuße des Olymps in
weiter Ausdehnung Bruſſa hingeſtreckt . Es iſt in der
That ſchwer zu entſcheiden , welche der beiden Hauptſtaͤdte
der osmaniſchen Herrſcher die ſchoͤnere Lage hat , die aͤlteſte
oder die neueſte , Bruſſa oder Konſtantinopel . Hier iſt es
das Meer , dort das Land , was bezaubert ; die eine Land-
ſchaft iſt in Blau , die andere in Gruͤn ausgefuͤhrt . An
den dunkel bewaldeten ſteilen Abhaͤngen des Olymps zeich-
nen ſich mehr als hundert weiße Minarehs und gewoͤlbte
Kuppeln ab . Der ſich faſt zur beſtaͤndigen Schneeregion
erhebende Berg liefert den Einwohnern von Bruſſa im
Winter Holz , ſich zu erwaͤrmen , und im Sommer Eis zu
ihrem Scherbett . Ein Fluß , welcher den Namen Lotos
fuͤhrt , ſchlaͤngelt ſich durch reiche Wieſen und Maulbeer-
felder , in denen rieſenhafte Nußbaͤume mit dunklem Laub ,
hellgruͤne Platanen , weiße Moſcheen und ſchwarze Cypreſ-
ſen ſich erheben . Der Wein rankt in maͤchtigen Staͤm-
men empor , haͤngt ſich an die Zweige , von wo er wieder
zur Erde herabſteigt ; Caprifolium und bluͤhende Schling-
ſtauden werfen ſich noch wieder uͤber den Wein . Nirgend
habe ich eine weite , ſo durchaus gruͤne Landſchaft geſehen ,
außer von dem Luͤbbenauer Thurm , der den Spreewald uͤber-
blickt . Aber hier kommen nun noch die reichere Vegetation und
die praͤchtigen Gebirge hinzu , welche dieſe Ebene einſchließen .
Ueberraſchend iſt der Waſſerreichthum ; uͤberall rauſcht ein Bach ;
maͤchtige Quellen ſtuͤrzen ſich aus dem Geſtein , eiskalte neben
dampfenden , und in der ganzen Stadt , in den Moſcheen ſelbſt
ſprudelt das Waſſer aus zahlloſen Springbrunnen hervor .
Wie bei allen tuͤrkiſchen Staͤdten , ſo auch hier ver-
ſchwindet das praͤchtige Bild , ſobald man in die Stadt
hinein tritt . Der kleinſte deutſche Marktflecken uͤbertrifft
Konſtantinopel , Adrianopel und Bruſſa an Zierlichkeit der
Wohnungen , und noch mehr an Bequemlichkeit . Großartig
ſind nur die Moſcheen und die Hanns oder Caravanſerajs ,
die Fontainen und oͤffentlichen Baͤder . Jn den aͤltern Zei-
ten osmaniſcher Monarchie durfte kein Großherr eine Mo-
ſchee erbauen , bevor er nicht eine Schlacht gegen die Un-
glaͤubigen gewonnen . Die Moſcheen in Bruſſa ſtehen den
ſpaͤter erbauten an Groͤße und Schoͤnheit nach , ſie intereſ-
ſiren aber durch geſchichtliche Erinnerungen , durch Namen
wie Orchan , Suleiman , Murad , kurz alle die Heroen der
Siegesperiode des Jslam . Am ausgezeichnetſten erſchien
mir durch ihre Bauart die Moſchee Bajazeths , tuͤrkiſch
Bajaſid , den die Tuͤrken Jlderim oder den Blitzſtrahl nen-
nen . Das Denkmal dieſes maͤchtigen Eroberers , der beſiegt
und nach der Erzaͤhlung in einem Kaͤfig endete , ſteht ein-
ſam unter maͤchtigen Cypreſſen . Die groͤßte unter den Mo-
ſcheen iſt eine vormals chriſtliche Kathedrale ; ſie bekoͤmmt
ihr Licht von oben , indem das mittelſte Gewoͤlbe ganz of-
fen iſt ; der ſchoͤne aſiatiſche Sternhimmel ſelbſt hat ſich
zur Kuppel uͤber dieſen Tempel gewoͤlbt . Unter der mit
einem Drahtgitter geſchloſſenen Oeffnung befindet ſich ein
weites Baſſin , in welchem ein Springbrunnen ſprudelt und
welches zugleich das Regenwaſſer aufnimmt . Jch will nicht
behaupten , daß ſelbſt die groͤßten Moſcheen , z. B. Sultan
Selim in Adrianopel , oder Suleimanieh in Konſtantinopel ,
denſelben Ehrfurcht erweckenden Eindruck machen , wie der
Stephan zu Wien , der Freiburger oder der Straßburger
Muͤnſter , aber jede , ſelbſt die kleinſte Moſchee iſt ſchoͤn .
Nichts Maleriſches , als die halbkugelfoͤrmige mit Blei ge-
deckte Kuppel und die ſchlanken weißen Minarehs , welche
ſich uͤber maͤchtige Platanen und Cypreſſen erheben . Als
die Osmanen die Provinzen des oſtroͤmiſchen Reichs er-
oberten , haben ſie die griechiſche Bauart der Kirchen bei-
5
behalten , aber ſie fuͤgten die Minarehs hinzu , welche ara-
biſch ſind .
Die Hanns ſind die einzigen ſteinernen Wohnhaͤuſer ,
die man findet ; ſie bilden ein Viereck , in deſſen Hof ſich ,
bei den groͤßern wenigſtens , eine Moſchee , eine Fontaine ,
ein kleiner Kiosk fuͤr vornehme Reiſende , und einige Maul-
beerbaͤume oder Platanen befinden . Rings um die innere
Seite laͤuft ein Saͤulengang mit Spitzbogen . Die aͤußere
Fronte enthaͤlt eine Reihe ganz gleicher Zellen , jede mit
einer eigenen Kuppel uͤberwoͤlbt . Eine Strohmatte iſt das
einzige Moͤbel , welches der Reiſende findet , auch iſt da we-
der Bedienung noch Eſſen zu haben . Jeder bringt mit ,
was er braucht .
Unſer Mittagsmahl nahmen wir ganz tuͤrkiſch beim
Kiebabtſchi ein ; nachdem wir die Haͤnde gewaſchen , ſetzten
wir uns nicht an , ſondern auf den Tiſch , wobei mir meine
Beine ſchrecklich im Wege waren . Dann erſchien auf einer
hoͤlzernen Scheibe der Kiebab oder kleine Stuͤckchen Ham-
melfleiſch am Spieß gebraten und in Brotteig eingewickelt ,
ein ſehr gutes ſchmackhaftes Gericht ; darauf eine Schuͤſ-
ſel mit geſalzenen Oliven , die ganz vortrefflich ſind , der Hel-
wa , oder die beliebte ſuͤße Schuͤſſel , und eine Schaale mit
Scherbett ( ein Aufguß von Waſſer auf Trauben mit einem
Stuͤckchen Eis darin ) , zuſammen ein Diner , welches fuͤr
zwei herzhafte Eſſer 120 Para oder fuͤnf Silbergroſchen
koſtete .
Von der Annehmlichkeit der tuͤrkiſchen Baͤder habe ich
Dir ſchon fruͤher geſchrieben . Die von Bruſſa zeichnen
ſich dadurch aus , daß ſie nicht durch Kunſt , ſondern von
Natur dergeſtalt geheizt ſind , daß man es anfaͤnglich fuͤr
unmoͤglich haͤlt , in das große klare Baſſin zu ſteigen , ohne
geſotten wieder herauszukommen . Von der Terraſſe un-
ſeres Bades hatte man eine wunderſchoͤne Ausſicht , und
es war ſo behaglich da , daß man gar nicht fort mochte .
Am 13. Abends ritten wir nach Kemlik am Ende der
Bucht von Mudania , wo eine Schiffswerft ſich befindet .
Dieſer Punkt iſt einer der ſchoͤnſten , die ich geſehen ; der
klare Meerſpiegel endet hier zwiſchen hohen und ſteilen Ge-
birgen , die nur gerade Platz fuͤr das Staͤdtchen und die
Olivenwaͤlder laſſen . Die Daͤmmerung iſt in dieſem Lande
außerordentlich kurz , und es war Nacht , ehe wir das Thor
des Staͤdtchens erreichten , aber was fuͤr eine Nacht ! —
Obwohl es gerade Neumond war , ſo unterſchied man doch
die Gegenſtaͤnde aus großer Ferne , und der Abendſtern leuch-
tet hier ſo hell , daß ſein Licht die Objekte Schatten werfen
laͤßt . — Schon um 3 Uhr Morgens ſaßen wir wieder im
Sattel und ritten deſſelben Weges , den einſt Walther von
Habenichts mit 12,000 Kreuzfahrern gezogen , durch eine
Thalſenkung nach Oſten zwiſchen hohen Bergen . Dieſe
waren mit Olivenbaͤumen beſetzt und die bluͤhenden Buͤſche
ganz mit Nachtigallen angefuͤllt . Mit Sonnenuntergang
erreichten wir einen großen ausgedehnten See . Die rie-
ſenhaften Mauern und Thuͤrme am entgegengeſetzten Ende
ſchuͤtzten einſt eine maͤchtige Stadt , um die man ſich in
den Kreuzzuͤgen geſtritten . Heute umſchließen ſie nur ein
paar elende Huͤtten und Schutthaufen , die vor Jahrhun-
derten Nicaͤa waren . Dort war es , wo eine Verſammlung
von hundert gelehrten Biſchoͤfen das Myſterium der Drei-
einigkeit erklaͤrte , und beſchloß , diejenigen zu verbrennen ,
die ihrer Meinung nicht waͤren . Was wuͤrden die ſtolzen
Praͤlaten dazu geſagt haben , haͤtte man ihnen prophezeiht ,
daß ihre reiche maͤchtige Stadt ein Truͤmmerhaufen , ihre
Kathedrale die Ruine einer tuͤrkiſchen Moſchee werden ſollte ,
daß das Reich der griechiſchen Kaiſer erloͤſchen , daß nicht
nur ihre Auslegung , ſondern ſelbſt ihr Glaube in dieſen
Laͤndern verſchwinden , und hunderte von Meilen rings um-
her und durch hunderte von Jahren nur der Name des
Kameeltreibers von Medina genannt werden wuͤrde .
Die Moslems , welche alle Bilder verabſcheuen , haben
uͤberall die Malerei der griechiſchen Kirchen weiß uͤbertuͤncht .
Jn der Kathedrale von Nicaͤa , wo das beruͤhmte Concilium
gehalten wurde , ſchimmert an der Stelle des Hochaltars
noch heute durch den weißen Anſtrich die ſtolze Verheißung
I. H. S. ( in hoc signo ) , aber quer daruͤber ſteht die Grund-
lehre des Jslam geſchrieben : „ Es iſt kein Gott , als Gott “ .
Es liegt eine Lehre der Duldung in dieſen verwiſchten Zuͤ-
gen , und es ſcheint , als wenn der Himmel das Credo ſo
gut , als das Allah il Allah anhoͤren wollte .
Eine der wichtigſten Angelegenheiten der ehrlichen Tuͤr-
ken iſt , was ſie Kset etmek , woͤrtlich Laune machen , nen-
nen , d. h. an einem gemuͤthlichen Ort Kaffee trinken und
Taback rauchen . Einen ſolchen Ort par excellence fand
ich in dem Dorf , wo wir raſteten . Stelle Dir eine Pla-
tane vor , die ihre Rieſenarme hundert Fuß weit faſt wage-
recht ausſtreckt , und unter deren dunkeln Schatten die naͤch-
ſten Haͤuſer ganz begraben ſind . Den Fuß umgiebt eine
kleine ſteinerne Terraſſe , unter welcher aus 27 Roͤhren das
Waſſer armdick herausſtuͤrzt und einen ſtarken Bach bildet .
Da ſitzen die Tuͤrken nun mit untergeſchlagenen Beinen
und — ſchweigen .
15.
Zweite Reiſe nach den Dardanellen . — Die Stein-
kugel und der joniſche Fiſcherkahn .
Pera , den 19. Juli 1836 .
Am 11. d. Mts. reiſete ich mit einem oͤſterreichiſchen
Dampfſchiff nach den Dardanellen ab , wohin Halil Pa-
ſcha zu Lande uͤber Adrianopel gegangen war . Es wur-
den einige Probeſchuͤſſe mit den großen Steinkanonen aus
Sultani-Hiſſar gethan . Am jenſeitigen europaͤiſchen Ufer
lag ein kleines Kaik , welches man nicht bemerkt hatte ;
nachdem die Ladung von mehr als 1 Ctr. ſich entzuͤndet ,
ſchlug die vom Pulver geſchwaͤrzte ungeheure Kugel etwa
in der Mitte der Meerenge auf , und eine hohe , weißſchaͤu-
mende Waſſergarbe thuͤrmte ſich bei jedem neuen Ricochet
empor ; der gewaltige Marmorklotz tanzte nun grade auf
das kleine Fahrzeug zu , zerſchmetterte es in tauſend Stuͤcke
und taumelte dann langſam das Ufer hinauf . Dicht neben
dem Kahn hatte der Eigenthuͤmer auf dem Strande ſchla-
fend gelegen ; er erwachte von dem fuͤrchterlichen Knall und
fand kaum die Splitter ſeines Nachens wieder . Der Pa-
ſcha ſchickte ſogleich hinuͤber , um den Werth des Fahrzeugs
bezahlen zu laſſen ; das gefiel dem Eigenthuͤmer ſehr gut ,
und er erinnerte ſich nachtraͤglich , einen Beutel mit 50,000
Piaſtern im Kahn gehabt zu haben , welche ebenfalls fort-
geſchoſſen ſeien . Die Erfindung war plump , aber der Er-
finder ein Jonier , und als engliſchem Unterthan wurde ihm
zwar nicht die genannte Summe , aber doch eine erhoͤhte
Entſchaͤdigung zu Theil .
Die tuͤrkiſchen Soldaten , welche von dieſer Unterhand-
lung nichts erfuhren , fanden es ganz einfach und angemeſ-
ſen , daß ihr Paſcha den Nachen des Gjaur zur Zielſcheibe
gewaͤhlt habe . Sie frohlockten , daß nicht das kleinſte Fahr-
zeug ſelbſt am entgegengeſetzten Ufer durch den Boghas ſchlei-
chen koͤnne , ohne von einer Kugel ereilt zu werden , und wir
ließen ſie gern bei dieſer Anſicht .
Jch reiſete mit Halil Paſcha auf einem Dampfſchiff
zuruͤck , welches fruͤher auf dem Clyde gefahren , dann nach
Konſtantinopel verkauft worden , mit tuͤrkiſchen Soldaten
beſetzt , aber von einem Englaͤnder gefuͤhrt war . Das Wet-
ter beguͤnſtigte die Fahrt , und um der Stroͤmung zu ent-
gehen , hielt man ſich in der Naͤhe der europaͤiſchen Kuͤſte .
Gegen Abend fuhren wir an St. Stefano voruͤber und
hatten den ſchoͤnen Anblick Konſtantinopels vor uns . Die
alten Mauern ſind hier von den Wellen des Marmormeeres
beſpuͤlt , die ſich oft gewaltig gegen die Fundamente brechen ,
in welche ganze Reihen von Saͤulen wie Balken eingemau-
ert ſind . Zahlloſe Jnſchriften treten hier zu Tage , und die
Kuppeln und Minarehs , die Saͤule des Konſtantin und die
Bogen des Valens zeichneten ſich wie Silhouetten an den
vergoldeten Grund des Abendhimmels ab . Wir brauſeten
eben an den ſieben Thuͤrmen des alten Kyklobion vorbei ,
als ein heftiger Stoß uns benachrichtigte , daß wir geſtran-
det ſeien .
Jch begab mich mit dem Paſcha ans Land , und erſt
am folgenden Mittag gelang es der Anſtrengung zweier
Schaluppen und eines oͤſterreichiſchen Dampfſchiffs , den
Tuͤrken wieder flott zu machen .
16.
Smyrna und ſeine Umgebung . — Das tuͤrkiſche
Dampfſchiff .
Am Bord im Hafen von Smyrna , den 4. Auguſt 1836 .
Als ich mein letztes Schreiben auf die Poſt gegeben ,
traf ich in Konſtantinopel das Dampfſchiff der Regierung ,
eben im Begriff , die Anker zu lichten , um nach Smyrna
abzugehen . Da ich den Capitain gut kannte , ſo ſtieg ich
an Bord , wie ich war , um dieſen intereſſanten Punkt des
Orients kennen zu lernen . Wind , Stroͤmung und Dampf-
kraft vereinigten ſich , uns ſchnell durchs Marmormeer und
den Helleſpont dem Archipel zuzufuͤhren , den die Tuͤrken das
weiße Meer nennen ( ak denis , auf arabiſch bahr-sefid ) .
Wir eilten an den alten Dardanellen-Schloͤſſern voruͤber ,
die ich erſt vor acht Tagen verlaſſen hatte , und nachdem
wir auch die neuen Schloͤſſer mit ihren Rieſenkanonen paſ-
ſirt , breitete ſich das aͤgaͤiſche Meer mit ſeinen ſchoͤnen Fels-
inſeln , Jmbro , Lemnos und dem hohen Gipfel von Samo-
thraki vor uns aus . Das Waſſer iſt von himmelblauer
Farbe und ſo klar , daß man die maͤchtigen Delphine , welche
weite Strecken neben dem Schiffe pfeilſchnell dahinſchießen ,
deutlich ſieht . Von Zeit zu Zeit ſprangen ſie ſchnaubend
aus ihrem Elemente heraus hoch in die Luft . Jetzt wand-
ten wir uns links um das Vorgebirge Sigeum und ſteuer-
ten zwiſchen der Troade und Tenedos auf Mitylene zu .
Die maͤchtigen Ruinen von Alexandra troas ſchimmerten
aus den Oliven- und Nußbaͤumen hervor , und ſeltſame ge-
nueſiſche Schloͤſſer , mit Mauern und Thuͤrmen umgeben ,
ragten auf den Jnſeln und Vorgebirgen empor . Am fruͤ-
hen Morgen liefen wir in das von hohen Gebirgsgruppen
umgebene weite Becken von Smyrna ein . Der Vollmond
leuchtete noch , als ſchon der oͤſtliche Himmel ſich dunkelroth
faͤrbte , wie wenn der aſiatiſche Boden von der geſtrigen
Hitze noch gluͤhte . Die Berge ſind ganz kahl , von der
Sonne verbrannt , aber von aͤußerſt ſchoͤnen Formen . Am
Fuß derſelben , laͤngs des Meeres zieht ſich ein gruͤner Streif
von bebautem Land mit Weinbergen , Oliven , Maulbeerbaͤu-
men und dunklen Cypreſſen hin . Die Doͤrfer und Haͤuſer
ſind von Stein mit flachem Dach erbaut . Am Ende der
Bucht zeigt ſich nun Smyrna , welches amphitheatraliſch an
den hinterliegenden Bergen emporſteigt . Unten am Meere
hinter den Schiffen erkennt man zuerſt eine große Kaſerne ,
eine Batterie , ein ſchoͤnes Caravanſeraj mit vielen Kuppeln ,
mehrere Moſcheen und links die Frankenſtadt mit ſteiner-
nen Gebaͤuden . Jn zweiter Region zeigt ſich die eigentlich
tuͤrkiſche Stadt . Wenn eine Handvoll kleiner rother Haͤu-
ſer , einige Moſcheen und Fontainen vom Himmel auf die
Erde herabfielen , ſo koͤnnte der Bauplan nicht bunter aus-
fallen , als der dieſer Stadt . Man erſtaunt , daß man noch
Wege und Fußſteige durch die Haͤuſermaſſe findet . Hoch
uͤber das Ganze ragt das alte Schloß oder die Feſtung
von Smyrna , welche in der fernſten Vorzeit erbaut , von
den Genueſern mit Thuͤrmen verſehen iſt , und welche die
Tuͤrken jetzt verfallen laſſen . Eine Truͤmmer auf demſel-
ben Huͤgel wird die Schule des Homer genannt . Dahin-
ter erheben ſich die blauen Berge Kleinaſiens .
Da die Hitze hier ſehr groß iſt , ſo eilte ich , mich ganz
auf ſmyrniotiſche Art zu kleiden , d. h. in einen weißen
Strohhut , weißleinene Jacke und Pantalons , Schuhe und
Struͤmpfe . Die Leute ſind hier ſo geſcheut , dieſen Anzug
waͤhrend des Sommers ſelbſt in Geſellſchaften nicht zu aͤn-
dern . Wenn ich Dir aber in meinem leichten Coſtuͤm auf
einem Eſel-Paßgaͤnger , mit dem Halfterſtrick in der einen
und dem Sonnenſchirm in der andern Hand begegnen koͤnn-
te , wuͤrdeſt Du mich wohl kaum erkennen .
Am 3. Auguſt , am Geburtstag unſers Koͤnigs , machte
ich einen ſehr intereſſanten Ritt auf guten muthigen Pfer-
den in das Jnnere des Landes . Wir erreichten zuerſt und
noch in der Morgenkuͤhle das Dorf Kukludſcha am Abhang
eines Berges , von wo man eine unbeſchreiblich ſchoͤne Aus-
ſicht hat . Links die Stadt und die Feſtung Smyrna , der
Hafen und das Meer bis zum Felsvorgebirge Karaburun ,
rechts eins der ſchoͤnſten und bebauteſten Thaͤler , die es
giebt . Da die breite Thalſohle vollkommen eben zwiſchen
den hohen ſchroffen Bergen liegt , ſo zeichnen ſich die vielen
wagerechten Linien von dunkelgruͤnen Nußbaͤumen und grauen
Oliven-Reihen zwiſchen hellgruͤnen Feldern und Weingaͤr-
ten uͤberaus ſchoͤn gegen die gezackten Conture der braunen
Gebirge ab . Die Vegetation iſt hier uͤberaus reich , die
Orangen und Citronen bilden große Staͤmme , doch hatten
ſie im letzten ſtrengen Winter ſehr gelitten . Jch fand hier
die Aloe in Bluͤthe , deren Stengel wenigſtens 20 Fuß hoch
und armdick iſt . Beſonders aber gedeiht der Granatbaum ;
das Doͤrfchen Narlykjoͤi , welches ſeinen Namen von ihm
hat , liegt in einem foͤrmlichen Walde von Granatbaͤumen ;
das uͤberaus friſche Gruͤn , die dunkelrothen großen Bluͤ-
then und die Anzahl von Aepfeln , welche die Zweige herab-
bogen , uͤberraſchten mich ſehr . Große Melonen , eßbare
Kuͤrbiſſe und rieſenhafte Rohrpflanzen umgaben die Ufer der
Baͤche ; Maulbeeren und Weintrauben von vortrefflichem
Geſchmack giebt es ſo viele , daß Jeder , ohne zu fragen ,
davon nimmt , was ihm gefaͤllt . Die Cypreſſen erreichen
eine erſtaunliche Hoͤhe und Maͤchtigkeit ; der Oelbaum aber ,
unſerer Weide aͤhnlich , mit ſeltſam geflochtenen knorrigen
Staͤmmen und blaßgruͤnem Laub , Bluͤthen und Fruͤchten ,
verleiht erſt der Gegend ihren eigenthuͤmlichen Charakter .
Die von Saft uͤberfuͤllte Waſſermelone wuchert als Unkraut
in dieſem heißen , durſtigen Lande und bildet ein wahres
Labſal , wo man oft keinen Trunk Waſſer haben kann . Die
Ortſchaften ſind indeſſen aͤußerſt ſelten , und es fehlt dem
Bilde daher an Leben ; nur wenige ſteinige Pfade ziehen
ſich durch die Ebene und an den Bergen hinauf , und durch
die tiefe Einſamkeit hoͤrt man nur das Gelaͤute der ſchwer-
beladenen Kameele , die in langen Reihen , eins hinter dem
andern , wandeln , mit ſchwankendem langſamen Schritt
ihrem Fuͤhrer folgend , der auf einem kleinen Eſel an der
Spitze reitet .
Jn dem Dorfe Bunarbaſchi , d. h. Quellenhaupt , fand
ich unter einer maͤchtigen Platane an einem kleinen Waſſer-
behaͤlter eine ſolche Caravane in Ruhe . Die Kameele ſchlie-
fen auf den Knieen liegend , die Perſer mit ihren weißen
Turbanen und ſchwarzen Baͤrten labten ſich aus dem fri-
ſchen Quell und aßen Gurken , Oliven und Kaͤſe . Weiter
aber im Thal fanden wir bei einer turkomaniſchen Noma-
denhorde gaſtliche Aufnahme ; man bot uns Kaͤſe und Eier
an , und war ſehr betruͤbt , daß wir nicht verweilen wollten .
Wir kehrten nun nach Bunarbad , dem Sommeraufenthalt
der Franken , zuruͤck , wo unſer Conſul uns ein vortreffliches
Diner gab . Gegen Abend ritten wir nach der Stadt zu-
ruͤck . Der Sonnenuntergang iſt in dieſer Gegend außer-
ordenlich ſchoͤn , die Daͤmmerung aber ſehr kurz ; faſt ſenk-
recht gleitet die helle Scheibe an dem gelben , leuchtenden
Himmel hinter das Felsvorgebirge von Karaburun ( ſchwarze
Spitze ) hinab , und dann tritt ein ſeltſamer Zuſtand von
Blendung der Augen ein , ſo daß man faſt gar nicht ſieht .
Eine Stunde ſpaͤter erhebt ſich der Jmbad oder Landwind ,
welcher des Nachts oft ſehr heftig weht ; des Tages ſen-
det die See friſche , kuͤhle Luft . Das Meerleuchten iſt hier
eine gewoͤhnliche Erſcheinung ; helle Funken klebten an den
Rudern und wirbelten an dem Steuer , als ich an Bord zu-
ruͤckkehrte . Ganz eigen iſt es , wenn man beim Meerleuch-
ten ſich badet ; man iſt wie in Licht und Feuer eingewickelt .
Nach achttaͤgigem Aufenthalt lichteten wir die Anker ,
um zuruͤck zu reiſen . Die Abenteuer , welche wir auf der
Heimfahrt erlebt , werden Dir einen Begriff von der tuͤrki-
ſchen Nautik geben . Kaum waren wir eine Stunde von
dem Hafen entfernt , als wir Abends 7 Uhr wieder einmal
ſtrandeten . Wir warfen die Anker hinter dem Schiffe aus ,
und arbeiteten , um loszukommen , aber umſonſt . Es mußte
das Waſſer aus dem Keſſel gelaſſen werden , wodurch das
Schiff ſehr erleichtert wird , und bald nach Mitternacht
wurden wir wieder flott . Nun mußten die Anker gefiſcht ,
der Keſſel gefuͤllt und der Heerd geheizt werden . Gegen
Morgen war Alles ſo weit fertig , und die Maſchine ſollte
in Gang geſetzt werden . Jch muß hier bemerken , daß ein
Dampfkeſſel , der mit Meerwaſſer geſpeiſet wird , wegen der
bei jeder Fahrt ſich anſetzenden Salzkruſte , in der Regel
nur vier bis fuͤnf Jahre Dauer gewaͤhrt ; der unſrige war
aber bereits neun Jahre alt , und die ſublime Pforte hatte ,
trotz der Vorſtellung des Capitains , in ihrer Weisheit be-
ſchloſſen , daß er noch ein paar Jahre halten muͤſſe . Der
Keſſel dachte daruͤber anders ; ſchon auf der Hinreiſe hatte
er zwei Loͤcher bekommen ; Jedermann verſprach ſich wenig
Gutes , und war auf ſeiner Hut . Als wir uns nun eben
in Bewegung ſetzten ſollten , platzte der Keſſel ; man hatte
demſelben auf ſeine alten Tage nie mehr als hoͤchſtens die
Haͤlfte des Drucks zugemuthet , auf welchen er urſpruͤng-
lich berechnet geweſen , die Exploſion war daher lange nicht
ſo groß , als ich erwartete . Ohnehin war der Sprung auf
der untern Seite , das Feuer erloſch ſogleich , und in einem
Augenblick war der Raum , in welchem die Maſchine arbei-
tet , mit Dampf und ſiedendem Waſſer angefuͤllt . Die Leute
ſprangen auf das Geſtell der Maſchinen , und zum ſehr gro-
ßen Gluͤck kam kein Menſch dabei zu Schaden , als der Ca-
pitain , welchem die Fuͤße verbruͤht wurden .
Wir kehrten nach Smyrna zuruͤck und ich ſchiffte mich
auf ein oͤſterreichiſches Dampfſchiff ein , welches denſelben
Abend noch abging . Als wir an den Dardanellen voruͤber-
fuhren , erblickten wir ſtatt des Staͤdtchens Tſchanak-Ka-
leſſi nur eine weite rauchende Brandſtaͤtte . Das Feuer
hatte am Tage vorher mehrere hundert Haͤuſer , die Woh-
nung der Conſuln , ſelbſt die Kaſernen und die Batterie
Paſcha Tabiaſſi verzehrt . Ein Gluͤck , daß die dicken Mauern
des Sultani-Hiſſar widerſtanden hatten , in welchem die
Pulvervorraͤthe angehaͤuft waren .
17.
Der thrakiſche Cherſones .
Bujukdere , den 5. September 1836 .
Seit ich Dir das letztemal geſchrieben , bin ich zum
drittenmal in den Dardanellen geweſen . Der große Brand
hatte eine geraͤumige Esplanade rings um das Fort von
Sultani-Hiſſar gebildet , welche fuͤr die Vertheidigung ſo
vortheilhaft werden konnte , daß man dem Paſcha die Ehre
anthat , ihm die Feuersbrunſt zuzuſchreiben und an meinem
Antheil an dieſem Geſchaͤft nicht zweifelte .
Der Aufenthalt hier in Bujukdere , wo ich mich jetzt
eingerichtet , iſt ſehr angenehm ; der beſtaͤndige Nordwind
erhaͤlt die Temperatur niedrig , und es iſt kaum waͤrmer
als in Berlin , dabei fortwaͤhrend ſchoͤnes Wetter und blauer
Himmel . Seit drei oder vier Monaten hat es nicht ge-
regnet , und in Pera faͤngt der Waſſermangel an ſehr fuͤhl-
bar zu werden . Das gute Trinkwaſſer iſt dort halb ſo
theuer , als der ſchlechte Wein . Um Konſtantinopel iſt Al-
les verdorrt , nur hier am Bosphor bewirkt die feuchte
Seeluft des Schwarzen Meeres , daß die Baͤume und der
Zwerg-Lorbeer , welcher die Bergwaͤnde bekraͤnzt , noch im-
mer mit friſchem Gruͤn prangen .
Jn einer Schaluppe machen wir oft Ausfluͤge , welche
uns bald ins Marmor- , bald ins Schwarze Meer fuͤhren .
Aber auch zu Pferde ſind die Promenaden ſehr unterhaltend .
Die grade Straße von Pera hierher fuͤhrt uͤber die Hoͤhe ,
und zieht zwei Meilen weit durch eine fortwaͤhrende Ein-
oͤde . Der Weg am Ufer des Bosphorus dagegen iſt laͤn-
ger und beſchwerlich wegen des Steinpflaſters , aber ſehr
unterhaltend . Dieſe ganze , drei Meilen weite Strecke bil-
det eine einzige fortlaufende Stadt aus Wohnungen und
Lufthaͤuſern , Kiosken , Moſcheen , Springbrunnen , Baͤdern
und Kaffeehaͤuſern . Die Gaͤrten ſteigen auf Terraſſen em-
por , und die maͤchtigen Cypreſſenhaine der Begraͤbnißplaͤtze
kroͤnen die Gipfel . Wenn man laͤngs der Ufer einen Quai
aufgefuͤhrt haͤtte , ſo wuͤrde dieſer gewiß der ſchoͤnſte Spa-
ziergang in der Welt ſein . Die Reichen und Maͤchtigen
haben aber ihre Haͤuſer und Gaͤrten dicht an und uͤber dem
Meere ſelbſt haben wollen , und die ſchlecht gepflaſterte Straße
zieht ſich oft durch elende Huͤtten , durch Thorwege und zwi-
ſchen hohen Mauern hin . Jndeſſen ſind die kleinen wink-
ligen Gaſſen dem Clima ſehr angemeſſen ; in breiten gera-
den Straßen wuͤrde man die Strahlen der Sonne nicht aus-
halten koͤnnen , ſo aber ſtoßen die vorſpringenden Daͤcher
faſt an einander und der Zwiſchenraum iſt mit einigen Stan-
gen verbunden , uͤber welche die Weinrebe ihr gruͤnes durch-
ſichtiges Dach woͤlbt , und von denen zahlloſe Trauben her-
abhaͤngen . Oft nimmt der Weg ploͤtzlich eine Wendung ,
Du ſtehſt vor einer Moſchee , neben einem Springbrunnen
und unter maͤchtigen Platanen am klaren plaͤtſchernden Strom
des Bosphorus ; Knaben in weißen oder blauen Kleidern
und farbigen Turbanen ſpringen herbei , das Pferd zu hal-
ten ; der Kaffeewirth haͤlt ſchon die lange Pfeife bereit und
gießt den unausbleiblichen Kaffee in die kleine Taſſe , ſchiebt
einen niedrigen Rohrſeſſel auf die Terraſſe ſeines Hauſes ,
und ein Schwarm von Kaikfuͤhrern ſtreitet ſich um den Vor-
zug , Dich fuͤr einige Para zwiſchen den paradieſiſchen Ufern
zweier Welttheile hinzufuͤhren .
Und zehn Minuten von dieſer Scene des Lebens und
des Ueberfluſſes kannſt Du in eine weite menſchenleere Ein-
oͤde treten . Du darfſt nur auf die naͤchſte Hoͤhe hinauf-
ſteigen , ſo liegt der thrakiſche Cherſones , ein Huͤgelland , vor
Dir , auf welchem Du kein Dorf , keinen Baum , kaum einen
Weinberg , ſondern nur einen ſteinigen Saumweg erblickſt .
Der Fluch einer ſchlechten habgierigen Verwaltung ruht auf
dieſen Fluren . Jn dem Maaße , wie man ſich dem Schwar-
zen Meere naͤhert , zeigen ſich die Huͤgel mehr und mehr
mit Straͤuchern bedeckt . Bald kommt man in einen Wald
von Ahorn- und Kaſtanienbaͤumen , wo tiefe Stille herrſcht ;
da findet man maͤchtige Staͤmme liegen , die der Sturm
hingeſtreckt , und die , von Epheu uͤberdeckt , aufs Neue be-
gruͤnt ſind ; der wilde Wein ſteigt bis an die Gipfel der
Baͤume empor , an welche nie eine Axt gelegt werden darf ,
denn an dieſem Walde ſetzen die Wolken das Trinkwaſſer
fuͤr Konſtantinopel ab . Die Roſen- und Brombeerſtraͤucher
beſchraͤnken den Wanderer auf einem ſchmalen Pfade in
den Thaͤlern ; nur hin und wieder ſtreift ein Schakal durch
die Buͤſche , oder ein Adler oder Mahomedsvogel ſtuͤrzt er-
ſchrocken und kraͤchzend von ſeinem Lager empor . Ploͤtzlich
oͤffnen ſich die Zweige und Du ſtehſt vor einem rieſenhaf-
ten Gemaͤuer , einem Pallaſt ohne Fenſter und Thuͤren ; aber
mit ſeltſamen Thuͤrmen , Zinnen und Spitzen , ganz mit Mar-
mor bekleidet . Die Fluͤgel jener Waldſchloͤſſer lehnen ſich
an die Thalwaͤnde , und wenn Du dieſe bis zum oberſten
Rand des Gemaͤuers auf breiten Mamorſtufen erſteigſt , ſo
erblickſt Du jenſeits den klaren Spiegel eines kuͤnſtlichen
See 's , der zwiſchen den bewaldeten Hoͤhen durch den maͤch-
tigen Steinwall zuruͤckgehalten wird . Es iſt eins der gro-
ßen Reſervoirs , welche eine halbe Million Menſchen in einer
Entfernung von vier bis fuͤnf Meilen mit friſchem Waſſer
verſehen . Hier fangen die Waſſerleitungen an , welche auf
ihrem Zuge die Thaͤler auf maͤchtigen Bogen uͤberſchreiten ,
die ſeit Valens , Juſtinians , Severus und Suleimans des
Großen Zeiten noch heute unerſchuͤttert daſtehen .
Das Neueſte aus Konſtantinopel iſt , daß Achmet ,
der Capudan-Paſcha , welcher bisher Muſchir der Garden
war , eine Bruͤcke uͤber den Hafen hat bauen laſſen , die
erſte , welche ſeit dem ſtrengen Winter zu Kaiſer Theodoſius
Zeiten Galata mit Konſtantinopel vereinte . Sie iſt 637
Schritte lang , 25 Schritte breit , und ein ganzer Wald der
ſchoͤnſten Maſtbaͤume iſt darin verſenkt . Man konnte nun
vom Pallaſt des Großherrn zu Beſchicktaſch bis uͤber die
Bruͤcke fahren , aber von dort ging es nicht weiter , und
Mehmet Chosref Paſcha befahl mir , die zweckmaͤßigſte
Richtung einer Straße zu ermitteln , welche von der Bruͤcke
nach dem Seraskeriat in den fahrbaren Divan jolu fuͤhren
ſollte . Die Aufgabe war leicht , denn Laͤden , Gartenmauern ,
Haͤuſer und Kaffee's , welche im Wege ſtanden , wurden ohne
Weiteres niedergeriſſen , und Sultan Mahmud war der
Erſte , welcher vorgeſtern in einem Wagen von Galata nach
der Moſchee Bajaſids fuhr . Die Bruͤcke wurde vorher mit
einer religioͤſen Weihe eroͤffnet ; der Padiſchah vollzog den
Kurban oder das Opfer , indem er das Meſſer beruͤhrte ,
mit welchem dreizehn Widder an der Landſchwelle der Bruͤcke
geſchlachtet wurden . Dem Capudan-Paſcha ſchenkte er einen
prachtvollen Saͤbel mit Brillanten .
Fuͤr die Bewohner von Konſtantinopel und Pera ( mit
Ausnahme der Kaiktſchi oder Ruderer ) iſt dieſe Bruͤcke ein
wahres Geſchenk .
Der Großherr hat eine Liebhaberei fuͤr Bauten . Er
hat zu Tſchiragan am Bosphor einen neuen Pallaſt bauen
laſſen , welcher wirklich einen ſchoͤnen Eindruck in der reizen-
den Umgebung macht , wo er ſich befindet , obſchon er we-
der im europaͤiſchen noch im aſiatiſchen Styl gehalten iſt ;
eine Reihe ſchoͤner Saͤulen traͤgt das obere Stockwerk , und
breite Marmorſtufen fuͤhren bis an die klare Flut des Bos-
phorus hinab ; der Reſt des Gebaͤudes aber iſt von Holz ,
und nur das flache Dach , von wo man eine koͤſtliche Aus-
ſicht hat , iſt wieder mit Marmorplatten belegt , welche eine
enorme Laſt fuͤr den Bau ſein muͤſſen . Beſonders ſchoͤn
iſt der große Saal im Harem , welcher durch zwei Stock-
werke reicht und ſein Licht von oben erhaͤlt ; zu beiden Sei-
ten befinden ſich die Gemaͤcher der Frauen . Auch der ovale
Divan- oder Raths-Saal iſt prachtvoll .
Der Großherr hatte befohlen , daß ich mir das Palais
anſehen ſolle , und wollte von mir wiſſen , wo man an die-
ſem Gebaͤude einen Thurm bauen koͤnne ; ich erklaͤrte erſt-
lich , daß ich von dieſer Sache durchaus nichts verſtaͤnde ,
zweitens , daß mir ſchiene , man ſolle gar keinen Thurm
bauen , weil er zu dem Uebrigen nicht paſſen wuͤrde . —
Auch die neue Marineſchule habe ich auf Befehl des Groß-
herrn beſuchen muͤſſen .
18.
Der Boghas oder der noͤrdliche Theil des
Bosphorus .
Bujukdere , den 20. September 1836 .
Jch habe Dir ſchon fruͤher von der Schoͤnheit des
ſuͤdlichen Theils des Bosphorus geſchrieben . Er bildet
eine breite , prachtvolle Straße , mitten durch eine drei Mei-
len lange Stadt , deren eine Haͤlfte in Europa , die andere
in Aſien liegt . Auch der noͤrdliche Theil iſt ſchoͤn ; aber
er iſt es in einer ganz andern Art . Statt des reichen An-
bau's , des lebhaften Gewuͤhls zeigt er eine wilde , einſame
Natur , und das Geraͤuſch der Hauptſtadt verhallt an den
oͤden Bergen , welche die Meerenge einſchließen . Ueber die
beiden Kawak reichen die Dorfſchaften nicht hinaus , nur
einzelne Fiſcherwohnungen kleben an den Felskluͤften , und
gewaltige Batterien und Schloͤſſer bewachen mit 400 Feuer-
ſchluͤnden dieſes noͤrdliche Thor von Stambul .
Zwiſchen Therapia und Bujukdere erhebt ſich in einer
kleinen Schlucht eine Gruppe koͤſtlicher Baͤume . Eine ſil-
berhelle Quelle ſprudelt unter ihren Schatten , und ein klei-
nes Kaffeehaus , aus deſſen Dach maͤchtige Staͤmme her-
vorwachſen , enthaͤlt die unentbehrlichen Pfeifen , die kleinen
Taſſen , niedrigen Rohrſchemel und Baſtmatten , auf welche
man ſich gemaͤchlich hinſtreckt . Von dort blickt man zwi-
ſchen ſteilen Felswaͤnden gerade hinaus in den nur an-
derthalb Meilen entfernten pontus inhospitalis , der doch
ein ſo lachendes , einladendes Anſehn hat . Den ganzen
Sommer hindurch erhebt ſich gegen Mittag der Seewind ,
und je heißer die Sonnenglut draußen , je kuͤhler rauſcht
es hier durch die Zweige , je lieblicher ſprudelt der Quell .
Der Ort heißt Kiretſch burnu , die Kalkſpitze ; er iſt vor
allen mein Lieblingsplaͤtzchen , zu welchem ich zu Waſſer im
bequemen Kaik , oder zu Pferde uͤber die Berge , oder zu
Fuß auf einem ſchmalen , vom Meere beſpuͤlten Pfade laͤngs
der ſteilen Bergwand wallfahrte . Dort habe ich manches
Stuͤndchen vertraͤumt .
Wohin Du Deinen Blick richteſt , faͤllt er auf klaſſiſche
Gegenſtaͤnde . An dieſen Geſtaden pfluͤckte Medea ihre Zau-
berkraͤuter ; in jenem weiten Thal , an deſſen oberm Ende
eine tuͤrkiſche Waſſerleitung ſchimmert , lagerten die Ritter
des erſten Kreuzzuges , und eine Gruppe von neun rieſen-
hafte Staͤmmen traͤgt noch heute den Namen die Platanen
Gottfrieds von Bouillon . Sie ſcheinen die Wildſchoͤß-
linge eines jetzt verſchwundenen Hauptſtammes zu ſein und
ſtehen im engen Kreiſe dicht zuſammen von unuͤbertroffener
Schoͤnheit und Groͤße Siehe die Zeichnung auf dem Titelblatte . . Rechts , wo ſich auf den aſia-
tiſchen Hoͤhen noch einige Baumgruppen erhalten haben ,
war die Waldherrſchaft des Amykus ; links an der ſchrof-
fen europaͤiſchen Felswand hauſete der von den Harpyen
gequaͤlte Phineus . Jetzt liegt dort eine einſame Fiſcher-
huͤtte , Manro-molo genannt . Am Fuß der ſchwarzen Berge
ſtrecken ſich die weißen Mauern der Batterie in die tief-
blaue Flut . Dort waren die beruͤhmten Altaͤre des Jupiter
Urius , deſſen Name ſich in dem tuͤrkiſchen Joros Kaleſſi
erhalten hat . Auf den Hoͤhen zu beiden Seiten ragen die
Truͤmmer zweier genueſiſchen Caſtelle . Sie ſtanden durch
lange Mauern mit den Ufern des Bosphorus und den dor-
tigen Batterien in Verbindung , denn das maͤchtige Han-
delsvolk legte dem byzantiniſchen Reich ſeine Feſſeln auf ,
bis es mit Byzanz zugleich von den Tuͤrken verſchlungen
wurde . Das Schloß auf der europaͤiſchen Seite iſt bei-
nahe ſchon verſchwunden , aber das aſiatiſche ragt noch mit
hohen Thuͤrmen , Mauern und Zinnen , zwiſchen denen eine
koͤſtliche Vegetation von Feigen und Lorbeerbaͤumen ſich her-
vordraͤngt . Ungeheure Epheuſtaͤmme ſteigen empor und ſchei-
nen mit tauſend Armen das alte Gemaͤuer zuſammenhalten
zu wollen . Es iſt ſonderbar , daß die Fabel ſich nicht auch
einer eigenthuͤmlichen Lokalitaͤt bemaͤchtigt hat , welche die
Tuͤrken Top-taſch , den Kanonenfels , nennen . Dicht noͤrd-
lich von dem Schloß Karibſche bildet das ſchwarze Geſtein
eine Kluft , die ſich ruͤckwaͤrts trichterfoͤrmig zu einer Roͤhre
geſtaltet , welche am Ende eine Oeffnung nach oben hat .
Bei hoher See waͤlzen ſich die Wogen in dieſen Spalt hin-
ein ; ſie ſchießen mit Ungeſtuͤm in den ſtets ſchmaler wer-
denden Raum vorwaͤrts und ſpritzen mit lautem Getoͤſe in
einer wohl 20 Fuß hohen Dampfſaͤule aus der engen Oeff-
nung hervor . Was haͤtten die Argonauten nicht von einer
ſolchen Oertlichkeit erzaͤhlen koͤnnen ? Jhre ſchwimmenden
Felſen , die Kyanaͤen , liegen dicht vor dem europaͤiſchen
Leuchtthurm an der Muͤndung des Bosphor und tragen
eine kleine Marmorſaͤule , welche dem Pompejus geweiht
ſein ſoll . Jch bin mehrmals nach ſtarken Nordoſt-Stuͤr-
men ausdruͤcklich nach Rumeli-Fener geritten , um die ge-
waltigen Wogen ſich gegen dieſe ſchwarzen Klippen brechen
zu ſehen . Gegenuͤber , dicht neben dem aſiatiſchen Thurm
oder Anadoli-Fener , ſtuͤrzt eine praͤchtige Baſaltwand ſenk-
recht zum Meere ab und bildet eine ſchoͤne Grotte , in welche
die Wogen hineinſpuͤlen . Jenſeit dieſer Pylen erhebt ſich
der Euxin wie eine hohe dunkelblaue Wand . Der Blick
kehrt zuruͤck , um die Einzelnheiten des ſchoͤnen Proſpekts zu
muſtern , den maͤchtigen Schiffen mit ihren blendenden Baum-
wollen-Seegeln zu folgen , oder die Pyroscaphen zu bewun-
dern , welche ſtolz und unabhaͤngig von Wind und Stroͤmung
zwiſchen den hohen Felswaͤnden durchbrauſen , die von dem
Schlag ihrer Schaufeln wiederhallen . — Das Alles ſiehſt
und hoͤrſt Du von meinem kleinen Rohrſchemel unter der
breiten ſchattigen Platane .
6
Der Bosphorus iſt von hoher militairiſcher Wichtig-
keit fuͤr Konſtantinopel . Der Nordwind , welcher den gan-
zen Sommer hindurch weht , und die Stroͤmung , welche
conſtant aus dem Schwarzen in das Marmormeer geht ,
beguͤnſtigt im Vergleich mit den Dardanellen ungemein das
Eindringen einer feindlichen Flotte in die Gewaͤſſer der Haupt-
ſtadt . Dagegen iſt aber der gewundene Lauf und die ge-
ringere Breite des Bosphor wohl in Anſchlag zu bringen ,
deſſen Ufer an der ſchmalſten Stelle nur halb ſo weit aus-
einander ſtehen , als die der Dardanellen an dem engſten
Paß . Die beiden Leuchtthuͤrme und ihre Batterien ſind
4166 Schritte entfernt , bei Telli Tabia verengt ſich die Straße
aber ſchon auf 1497 Schritte , und zwiſchen den Hiſſaren ſo-
gar auf 958 Schritte . Das Baſſin zwiſchen Rumeli-Kawak
und Madſchiar-Kaleſſi iſt von vier Batterien mit mehr als
250 Geſchuͤtzen beſtrichen , deren Schuͤſſe von einem Ufer
auf das andere reichen , und jedes Schiff zugleich der Laͤnge
nach und von der Seite faſſen . Die Gewalt der Elemente
wird eine Flotte ohne Zweifel hindurch fuͤhren , aber in wel-
chem Zuſtande ſie vor Konſtantinopel ankommt , iſt aus dem
Geſagten zu ermeſſen .
Wie bei den Dardanellen wird der Angreifer wahr-
ſcheinlich auch hier verſuchen muͤſſen , ſich durch einen Ueber-
fall von der Landſeite der gefaͤhrlichſten Batterien zu bemei-
ſtern . Die Ausſchiffung der dazu erforderlichen Streitkraͤfte
hat indeß ihre große Schwierigkeit ; ſie muͤßte ſowohl in
Aſien als in Europa erfolgen , denn die Batterien jeder der
beiden Kuͤſten einzeln genommen reichen aus , die Durchfahrt
einer Flotte aͤußerſt mißlich zu machen . Riwa und Kilia ,
die zunaͤchſt gelegenen Buchten , welche ſich fuͤr dieſen Zweck
eignen , ſind durch Forts geſichert ; die entferntern Punkte
der felſigen Kuͤſte ſind an ſich ſchwierig , und der Anmarſch
durch ein unwegſames Waldgebirge dann um ſo weiter .
Dabei kommt endlich ganz beſonders die unmittelbare Naͤhe
einer Stadt wie Konſtantinopel in Betracht , welche doch
immer eine ſtarke Beſatzung haben wird ; und endlich ſind
die Batterien zwar meiſt dominirt , aber eben die wichtigern
auch gegen die Landſeite leicht in haltbaren Stand zu ſetzen .
Schon jetzt entſprechen dieſer Anforderung vollkommen
die beiden Hiſſare . Zwar ſind ſie gegenwaͤrtig nicht armirt ,
wenn aber eine gewaltſame Durchfahrt durch den Bosphor
zu erwarten ſteht , muͤßten ſie durchaus zur Vertheidi-
gung benutzt werden . Sie liegen an den ſchmalſten Stel-
len der Meerenge , und innerhalb der Mauern von Rumeli-
Hiſſar wuͤrde man die hochliegenden Batterien etabliren koͤn-
nen , welche die neuere Erfahrung fuͤr Kuͤſtenvertheidigung
fordert . Die gewaltige Staͤrke der Thuͤrme und Mauern
wuͤrde ſelbſt dem Belagerungsgeſchuͤtze lange widerſtehen ,
und ihre Hoͤhe ſichert gegen Leitererſteigung oder gewalt-
ſamen Ueberfall .
Die Hiſſare wurden urſpruͤnglich von den griechiſchen
Kaiſern erbaut , aber ſpaͤter wieder zerſtoͤrt . Die Genueſer
uͤbernahmen dann die Vertheidigung des Bosphor weiter
oben ; als aber die Tuͤrken die Hauptſtadt bedraͤngten , ſetz-
ten dieſe ſich auf den Truͤmmern der griechiſchen Schloͤſſer
feſt , und zwar mit der rohen Tuͤchtigkeit , die ihnen damals
eigen war . Jndem ſie Kirchen und Altaͤre dazu verwen-
deten und Saͤulen und Denkmaͤler einmauerten , brachten
3000 taͤgliche Arbeiter , unter Aufſicht Mohammeds II .
ſelbſt , das Werk in kurzer Friſt zu Stande , welches heute
noch unverſehrt , aber auch unbenutzt daſteht . Eine Zeit-
lang war Rumeli-Hiſſar der Kerker fuͤr die gefangenen
Rhodiſer Ritter , unter Mahmud II . wurden mehrere tau-
ſend Janitſcharen hier enthauptet , und gegenwaͤrtig um-
ſchließen die gewaltigen Mauern nur die Bretterwohnun-
gen einiger tuͤrkiſchen Familien .
19.
Die Baſtonnade .
Bujukdere , den 27. September 1836 .
Jch bin dieſen Augenblick ſehr beſchaͤftigt mit einer
Arbeit , die mir zugleich viel Vergnuͤgen macht , naͤmlich mit
der Aufnahme des Terrains zu beiden Seiten des Bospho-
rus ; es giebt dabei viele Berge zu erklettern , aber die Muͤhe
wird durch die wunderſchoͤnen Ausſichten belohnt , auch iſt
es wohl das erſtemal , daß ein Franke ſeinen Meßtiſch in
den Hoͤfen des Serajs aufſtellt . Wir haben einen herr-
lichen Herbſt , und die feuchte Seeluft haͤlt alle Baͤume
und Pflanzen gruͤn , obwohl es ſeit vier Monaten nicht ge-
regnet hat . Fruͤh Morgens ſtehe ich auf und laſſe mich
gleich ins Meer hinab gleiten ; nach dem koͤſtlichen Bade
trinke ich meinen Kaffee und trete mein Tagewerk an , ent-
weder in einer Schaluppe mit Seegeln , oder im ſchnellen
Ruderfahrzeuge , oder landwaͤrts zu Pferde . Die taͤgliche
Arbeit dauert 9 bis 10 Stunden , und Abends finde ich
mein Diner vortrefflich . Jch habe eine offene Ordre in
tuͤrkiſcher Sprache , welche mich ermaͤchtigt , in alle Feſtun-
gen und Batterien einzutreten und ſo viel Soldaten , wie
ich will , zur Begleitung mitzunehmen .
Heute habe ich zum erſtenmal an der Pforte des Se-
raskiers die Baſtonnade austheilen ſehen . Es waren fuͤnf
Griechen , die Jeder mit 500 Hieben , in Summa 2500 Strei-
chen , auf die Fußſohle bedacht werden ſollten . Ein Kawas
oder Polizei-Offiziant kniete dem Jnculpaten auf die Bruſt
und hielt ihm die Haͤnde , zwei trugen eine Stange auf
den Schultern , an welche die Fuͤße gebunden werden , und
zwei andere fuͤhrten die Stoͤcke . Aus beſonderer Aufmerk-
ſamkeit fuͤr mich erbot der Paſcha ſich , 200 Stuͤck pro
Kopf , oder vielmehr pro Fußſohle , herabzulaſſen . Jch fand
den Reſt noch recht betraͤchtlich , und ſchlug ihm 25 Hiebe
vor , worauf er ſich dann auf 50 herabhandeln ließ . Dieſe
Huld wurde den Patienten mit der beſondern Bemerkung
inſinuirt , daß es dem preußiſchen Beyſadeh ( woͤrtlich Fuͤr-
ſtenſohn ) zu Gefallen geſchaͤhe .
20.
Die Waſſerleitungen von Konſtantinopel .
Bujukdere , den 20. Oktober 1836 .
Gerade ſo wie bei uns ein Weinſchmecker das Gewaͤchs
und den Jahrgang herauskoſtet , ſo ſchmeckt Dir ein Tuͤrke ,
ob ein Trunk Waſſer von dieſer oder jener beſonders ge-
ſchaͤtzten Quelle kommt , ob er in Tſchamlidje , der Fichten-
quelle , auf Bulgurlu in Aſien , oder aus Keſtenes-ſuj , dem
Kaſtanienborn bei Bujukdere , oder aus der Sultan-Quelle
in Beykos geſchoͤpft iſt . Die Eigenſchaft , welche wir oben-
an ſetzen , daß das Waſſer klar und durchſichtig ſei , kommt
bei dem Tuͤrken gar nicht in Anſchlag , und das beruͤhmte
Waſſer des Euphrat iſt ſo truͤbe , wie das des gefeierten
Nil , obgleich der Prophet ſelbſt es fuͤr das beſte Waſſer
der Welt erklaͤrt , naͤchſt dem heiligen Born Semſem zu
Mekka , welcher unter Hagars Fuͤßen emporſprang , um ihren
verſchmachtenden Sohn zu traͤnken . Am ſchlechteſten aber ,
ja ſogar ungeſund und faſt ungenießbar ſcheint ihm alles
Brunnenwaſſer .
Konſtantinopel iſt auf einer felſigen , vom Meer um-
ſpuͤlten Hoͤhe erbaut ; die Brunnen , welche man dort ge-
graben , geben ſaͤmmtlich nur wenig und bittern Zufluß .
Das Trinkwaſſer fuͤr mehr als eine halbe Million Men-
ſchen , die nichts als Waſſer trinken , der ungeheuere Be-
darf fuͤr die vielen Baͤder , fuͤr die Moſcheen und fuͤr die
fuͤnf taͤglichen Waſchungen , welche die Religion jedem Mu-
ſelmanne vorſchreibt , mußte daher von außerhalb herbei-
gefuͤhrt werden .
Man benutzte fuͤr dieſen Zweck das drei Meilen noͤrd-
lich gelegene Waldgebirge von Belgrad , an welches die
Wolken im Winter und Fruͤhjahr eine ungeheuere Waſſer-
menge in Geſtalt von Schnee und Regen abſetzen . Dies
Waſſer wird in große kuͤnſtliche Behaͤlter geſammelt , indem
man eine ſtarke Mauer quer durch ein Thal fuͤhrt und ſo
hinter derſelben eine Anſtauung bewirkt . Ein ſolches Re-
ſervoir heißt „ Bend “ , ein perſiſches Wort , das ſich eigent-
lich auf die Mauer oder das Wehr bezieht und gleichbedeu-
tend iſt mit dem deutſchen „ Band “ .
Die Bedingungen , um einen Bend anlegen zu koͤnnen ,
ſind , daß die Thalwaͤnde hoch genug ſeien , damit man viel
Waſſertiefe und wenig Verdampfungsflaͤche erlange , daß ſie
einigermaßen ſteil und nahe aneinander treten , damit die
Mauer nicht zu lang und zu koſtbar werde , daß dicht hin-
ter derſelben die Thalſohle wenig Gefaͤlle habe , damit die
Anſtauung weit hinauf reiche , daß endlich das obere Thal
viele und weite Verzweigungen beſitze , folglich ſtarken Zu-
fluß gewaͤhre , und im Allgemeinen hoch genug liege , da-
mit das Waſſer mit ſtarkem Gefaͤlle abfließen koͤnne .
Die Mauern , welche eine ſo bedeutende Waſſermaſſe
zuruͤckhalten ſollen , ſind 80 , ſelbſt 120 Schritt lang , 30
bis 40 Fuß hoch und 25 bis 30 Fuß dick , ſie ſind aus
Quadern erbaut , im Jnnern mit Kalk und rohen Steinen
ausgefuͤllt und aͤußerlich oft mit Marmor bekleidet , mit Jn-
ſchriften und Kiosken geſchmuͤckt .
Wenn im Fruͤhjahre der Bend gefuͤllt iſt , ſo findet das
noch ferner zuſtroͤmende Waſſer ſeinen Abfluß durch eine
Oeffnung im obern Theil des Wehrs , und wird mittelſt
gemauerter Rinnen in den natuͤrlichen Thalweg geleitet .
Unten in der Mitte der Mauer hingegen befindet ſich ein
Portal oder Gewoͤlbe , der „ Tackim “ oder die Vertheilung
genannt , wo durch eine beſtimmte Zahl von 1½ Zoll wei-
ten Roͤhren ( Luleh oder Maaß ) dasjenige Quantum Waſ-
ſer aus dem Teich eintritt , mit welchem die Leitung ſtaͤtig
geſpeiſet werden ſoll . Die Zahl der Luleh haͤngt natuͤrlich
von der Groͤße des uͤberhaupt vorhandenen Waſſerſchatzes
ab , welcher 8 bis 9 Monate vorhalten ſoll , wobei noch zu
bemerken , daß des Fruͤhjahrs bei gefuͤlltem Bend in der-
ſelben gegebenen Zeit mehr Waſſer durch daſſelbe Luleh
fließt , als im Herbſt bei geringerem Druck der verminder-
ten Waſſerhoͤhe . Aus dem Tackim fließt dann das Waſſer
in gemauerte uͤberwoͤlbte Rinnen , welche mit einem Moͤrtel
aus geſtoßenen Ziegelſteinen und Kalk bekleidet ſind , laͤngs
den Thalwaͤnden hin .
Die Leitung muß ſtark genug geneigt ſein , damit die
Fluͤſſigkeit ſich ſchnell fortbewege , ſie muß conſtant geneigt
ſein , weil ſonſt Anhaͤufungen und Ueberſchwemmungen an
einzelnen Stellen verurſacht wuͤrden , und nicht ſtaͤrker , als
daß der etwa 10 Zoll ins Geviert haltende Waſſerfaden
noch hoch genug an dem Beſtimmungsort ankomme , von
wo er uͤber alle unteren Theile der Stadt vertheilt wer-
den ſoll .
Wenn nun eine Leitung auf ihrem Zuge an ein ihre
Richtung durchſchneidendes Thal gelangte , ſo kannten die
Alten kein anderes Mittel , als den Waſſerfaden auf einer
Bruͤcke uͤber dies Thal weg nach dem jenſeitigen Ufer hinuͤber
zu fuͤhren , und dies gab Veranlaſſung zu den oft rieſen-
haften Aquaducten , welche man noch heute in Jtalien , Spa-
nien , Griechenland und in Aſien erblickt . Die Araber aber
wußten , daß Waſſer in communicirenden Roͤhren ſich gleich
ſtellt , und gruͤndeten darauf das einfachere , weniger koſt-
ſpielige Verfahren , den Waſſerfaden in einer Bleiroͤhre den
dieſſeitigen Thalhang hinab und den jenſeitigen wieder hin-
auf zu fuͤhren . Wirklich kam das Waſſer druͤben an , aber
es floß vermoͤge der Reibung aͤußerſt langſam , und lieferte
daher in demſelben Zeitraum eine viel geringere Maſſe .
Nun lehrte die Erfahrung , daß die Reibung ſich ungemein
vermindere , wenn man von Entfernung zu Entfernung Oeff-
nungen in der Roͤhre anbringen konnte . Da wo das Waſ-
ſer an den Bergwaͤnden im Niveau hinfließt , war das leicht ,
wo es unter niedrigen Terrainwellen durchſetzt , wurden
dieſe Luftloͤcher Brunnen-aͤhnliche Trichter , wo aber die Lei-
tung in geſchloſſenen Roͤhren oft tief unter dem Niveau
und auf Tauſende von Schritten durch ein Thal zog , da
konnte man natuͤrlich keine Oeffnung anbringen , weil ſonſt
das , Waſſer an dieſer Stelle ausgefloſſen waͤre . Man
machte alſo das Umgekehrte des Brunnens : man baute
ſteinerne Pyramiden , ſo hoch , daß ihre Spitzen in das all-
gemeine Niveau reichten ; ſie hießen „ Suteraſi “ , Waſſer-
waagen . An dieſe Pyramide fuͤhrte man die Roͤhre hin-
auf ; das Waſſer ſetzte ſich in Gleichgewicht , indem es auf
der Spitze der Pyramide in ein kleines Baſſin trat , und
ſtieg an der entgegengeſetzten Seite der Pyramide aufs Neue
in einer Roͤhre hinab . Es iſt klar , daß das Waſſer durch
das Hinabſteigen nichts an Kraft gewinnen konnte , als
was es nachher durch das Aufſteigen wieder verlor , und
daß daraus keine Beſchleunigung zu erwarten ſtand . Das
Suteraſi iſt nichts Anderes , als eine bis zum Niveau der
Waſſerleitung emporgehobene Oeffnung zur Verminderung
der Reibung ; daß uͤbrigens die Spitzen der Suterraſi den
allgemeinen Fall der Leitung , und zwar aus hydrauliſchen
Gruͤnden , in etwas ſtaͤrkerm Maaße theilen , verſteht ſich
von ſelbſt .
Die Nivellirung der erſten Leitung durch ein ſo durch-
ſchnittenes Terrain , wie das noͤrdlich von Konſtantinopel ,
war gewiß keine leichte Aufgabe , und wurde um ſo ſchwe-
rer , als man das Waſſer in mehrere Bends verſammeln
mußte , welche unter ſich in verſchiedenen Niveaux lagen .
Die Ausfuͤhrung macht der laͤngſt entſchwundenen Zeit , in
welche ſie faͤllt , alle Ehre .
Die Tuͤrken fanden die Aquaducte der Roͤmer , wie die
Suteraſi der Araber vor ; aber ſie wendeten bei den von
ihnen erbauten Leitungen die eine wie die andere an , und
zwar die erſtere wohl nur aus Prunkſucht .
Die bedeutendſte und aͤlteſte der Waſſerleitungen von
Konſtantinopel iſt diejenige , welche ſchon Kaiſer Konſtantin
anfing , und welche ſpaͤtere Kaiſer und Sultane erweiterten .
Sie wird aus fuͤnf großen Teichen geſpeiſet , die ſich rings
um das Dorf Belgrad gruppiren ; der groͤßte unter die-
ſen , der „ Bujuk-Bend “ , liegt zunaͤchſt unterhalb jenes ,
von Bulgaren bewohnten Orts , deren Voraͤltern einſt als
Kriegsgefangene aus Belgrad an der Donau hierher ver-
pflanzt wurden und den Namen ihrer Vaterſtadt auf die
neue Heimath uͤbertrugen . Jener Bend hat , wenn er ge-
fuͤllt iſt , eine Laͤnge von mehr als 1000 Schritten , er faßt
allein 8 bis 10 Millionen Kubikfuß Waſſer , und erſetzt ſei-
nen Vorrath aus dem Jnhalt eines zweiten Reſervoirs
dicht oberhalb Belgrad . Die Leitung nimmt zuerſt von
links her den Abfluß des nahen „ Eski Sultan Mahmud
Bend “ auf , welcher ſich durch die Hoͤhe ſeiner Mauer und
durch ſchoͤne Waldufer auszeichnet ; dann empfaͤngt er uͤber
einen Aquaduct den Tribut des eine halbe Stunde weſtlich
gelegenen „ Paſcha-Bend “ . Die vereinten Waſſer uͤber-
ſchreiten nun das weite Thal der „ ſuͤßen Waſſer “ ( des
alten Barbyſes ) auf einem gewaltigen Aquaduct eine vier-
tel Stunde unterhalb Pyrgos ( griechiſch Burgas , Burg ) ,
welcher nicht geradeaus geht , ſondern einen Winkel bildet ,
an architectoniſcher Schoͤnheit aber , wie mir ſcheint , alle
uͤbrigen uͤbertrifft . Jenſeits nimmt die Leitung nun zu
„ Baſch-hawuß “ ( Hauptteich ) den Zufluß des in einer ein-
ſamen Waldſchlucht romantiſch gelegenen „ Aivat-Bend “
auf . Sein Waſſer uͤberſetzt das Thal des Barbyſes eine
halbe Stunde oberhalb Pyrgos auf dem an 1000 Schritte
langen , aber ſehr unregelmaͤßig gebauten Solimans-Aqua-
duct . Außer dieſen Haupt-Zufluͤſſen ſind unterweges eine
Menge kleiner Quellwaſſer in die Leitung aufgenommen ,
welche nunmehr uͤber die flache Hoͤhe nach dem Thal des
„ Aly-bey-kjoi-ſuj “ ( dem . Cydaris der Alten ) zieht . Dies
Thal uͤberſchreitet ein Aquaduct , welcher den Namen Ju-
ſtinians fuͤhrt ; er iſt nicht der laͤngſte , aber der hoͤchſte
von allen , und ſo dauerhaft erbaut , daß ein Jahrtauſend
die zwei Etagen von weiten Bogen nicht erſchuͤttert hat ,
welche den Waſſerfaden in einer Hoͤhe von 90 bis 100 Fuß
uͤber die Thalſohle fortleiten . Wer nicht ſchwindlig iſt ,
kann bequem neben der uͤberwoͤlbten Rinne entlang ſchrei-
ten , und es macht einen ergreifenden Eindruck , mitten in
dieſer menſchenleeren und unbebauten Einoͤde ein ſolches
Denkmal der Macht und der Menſchenliebe einer laͤngſt
entſchwundenen Zeit zu betrachten . Nachdem die Leitung
noch uͤber einen ſehr bedeutenden Aquaduct bei „ Dſchebedſche
kjoi “ gefloſſen , wendet ſie ſich uͤber mehrere kleine Thaͤler
ſetzend zwiſchen den Terrainwellen der jetzt flachern Gegend
durch , geht dicht hinter „ Fil- koͤpry “ ( der Elephanten-
bruͤcke ) und der Vorſtadt „ Ejub “ fort , und tritt bei
„Egri-kapu “ ( dem Winkelthor ) in die Stadt .
Die griechiſchen Kaiſer hatten dafuͤr geſorgt , daß Kon-
ſtantinopel nie ohne einen bedeutenden Vorrath von Waſſer
innerhalb der Mauern ſelbſt war ; fuͤr dieſen Zweck hatten
ſie ſehr große gemauerte Baſſins angelegt , die theils offen ,
theils unterirdiſch und mit Gewoͤlben uͤberdeckt waren , welche
auf Hunderten von ſchoͤnen Granit- und Marmor-Saͤulen
ruhen . Dieſe letztern Hallen dienen gegenwaͤrtig den Sei-
denſpinnern zu einem kuͤhlen Aufenthalt im Sommer , die
offenen Reſervoirs ( Tſchukur-boſtan ) ſind mit Gaͤrten und
Haͤuſern angefuͤllt , und man lebt eigentlich mit Bezug auf
ein ſo unentbehrliches Beduͤrfniß , wie das Waſſer , aus der
Hand in den Mund . Konſtantinopel koͤnnte ſich keine acht
Tage gegen einen Feind vertheidigen , welcher den Waſſer-
faden an irgend einem Theile ſeines fuͤnf Meilen langen
Laufs durchſchnitte . Mehmet , dem Eroberer , und Su-
leiman , dem Prachtvollen , kam es freilich nicht in den
Sinn , daß ihre Hauptſtadt je belagert werden koͤnne ; heute
liegen die Sachen anders , und es iſt ein Gluͤck , daß die
Reſervoirs trotz ihrer anderweitigen Verwendung doch we-
nigſtens noch da ſind .
Auch aus dem quellenreichen Huͤgelland , weſtlich von
Konſtantinopel , ſchoͤpft die ungeheuere Bevoͤlkerung einen
Theil ihres Waſſerbedarfs durch kuͤrzere , minder maͤchtige
Leitungen . Die bedeutendſte von dieſen kommt von „ Kalfa-
kjoͤi “ , ſie durchſetzt die Stadt ſelbſt auf einem gewaltigen
Aquaduct und verſorgt die hoͤher liegenden Theile derſelben ,
die Fontainen der St. Sophia und des kaiſerlichen Serajs .
Dieſer Aquaduct ( Bosdugan kemeri ) wird dem Kaiſer Va-
lens zugeſchrieben ; er iſt aus Ziegeln und Werkſtuͤcken
erbaut , zeigt zwei Etagen von Bogen , iſt aber ſehr baufaͤl-
lig und beſchaͤdigt . Einen Theil der obern Bogen hat man
unter dem nichtigen Vorwande niedergeriſſen , daß ſie die
von Suleiman dem Prachtvollen erbaute Moſchee „ Schach
Sadeh “ verſtecken . Der Aquaduct des Valens bildet einen
koͤſtlichen Spaziergang von mehr als 1000 Schritt mitten
in der Stadt , hoch uͤber Haͤuſern und Moſcheen , uͤber Stra-
ßen und Fontainen . Er hat mir bei meiner Aufnahme
von Konſtantinopel die beſten Dienſte geleiſtet , und nach-
dem ich ſeine beiden Endpunkte genau feſtgelegt , konnte ich
von hier ungeſtoͤrt die Lage von Hunderten von Moſcheen
und Thuͤrmen beſtimmen . Die Stadt liegt wie eine Karte
vor dem Blick ausgebreitet , und die Verlegenheit beſteht
nur in der endloſen Menge von Objecten .
Endlich muß ich noch der großen Waſſerleitung er-
waͤhnen , welche Pera und Galata , das Arſenal , Kaſſim-
Paſcha , kurz alle die Vorſtaͤdte auf der noͤrdlichen Seite
des goldenen Horns ernaͤhrt . Die Behaͤlter dieſer Leitung ,
der „ Valideh “ und „ Jeni Mahmut Bend “ , liegen eben-
falls in dem oben erwaͤhnten Waldgebirge , unweit Bagt-
ſcheh kjoi , dem „ Gartendorf “ . Der Mahmut-Bend iſt
von dem jetzigen Herrn gebaut ; der Waſſerfaden uͤber-
ſchreitet auf einem langen aber nicht hohen Aquaduct einen
Sattel zwiſchen den Thaͤlern von Bagtſche kjoi und Bu-
jukdere , und windet ſich dann an den Haͤngen des letztern
Thals bis zum Kulluk oder Wachtpoſten , wo er mittelſt
des „ Jalyniß-Suteraſi “ eine ſchmales Thal durchſetzt .
Eine lange Reihe von Suteraſi fuͤhrt das Waſſer durch
die weite Senkung am „ Maßlak “ ( einem Kaffeehauſe an
der großen Straße ) und die drei Meilen lange Leitung en-
det endlich an dem ſchoͤnen „ Tackim “ von Pera , von wo
ſie in die vielen Fontainen der Stadt abfließt .
Nun haben aber die Vorſtaͤdte noͤrdlich des goldenen
Horns eine ſolche Ausdehnung gewonnen , daß das Waſſer
dieſer ſehr bedeutenden Leitung fuͤr den Bedarf nicht mehr
ausreicht . Die große Duͤrre dieſes Jahres ( 1836 ) machte
den Mangel aͤußerſt empfindlich , und der Großherr befahl
mir durch den Seraskier , Vorſchlaͤge zur Abhuͤlfe zu ma-
chen , und den Ort fuͤr einen etwa noͤthigen neuen Bend
aufzuſuchen . Eine ſolche Lokalitaͤt fand ſich auch ; es ſchien
mir aber weit vernuͤnftiger , die Capacitaͤt der bereits vor-
handenen koſtbaren Behaͤlter zu erweitern , als neue anzu-
legen . Der Binai Emineh , welcher mich begleitete , machte
bei dieſer Gelegenheit einen fuͤr den Ober-Aufſeher aller
kaiſerlichen Bauten nicht uͤbeln Vorſchlag ; man moͤge doch ,
ſagte er , die Mauern des Valideh-Bends um etwa vier
Arſchinen erhoͤhen , was eine huͤbſche Waſſermaſſe mehr ge-
ben wuͤrde . Jch erlaubte mir , dem Effendi zu berechnen ,
wie dadurch die Mauern ungefaͤhr einem dreimal groͤßern
Druck zu widerſtehen haben wuͤrden , und gab meinen Vor-
ſchlag dahin ab , daß erſtlich die in Konſtantinopel vorhan-
denen Reſervoirs ihre urſpruͤngliche Beſtimmung wieder er-
halten , zweitens alle Leitungen gruͤndlich ausgebeſſert , und
endlich die Teiche hinter den Mauern tiefer und breiter
ausgegraben werden moͤchten . Fuͤr 1000 Kubikklafter Erde ,
die man ausgehoben , wuͤrde man 1000 Kubikklafter Waſſer
gewinnen , ohne daß man die Mauern im mindeſten zu ver-
ſtaͤrken brauche . Aber ſo etwas Unſcheinbares iſt nicht im
Geſchmack der Tuͤrken , ſie muͤſſen dem Großherrn etwas
zu zeigen haben ( bir göstermek schei lasim ) , ein neues
Kiosk und ein Feſt zur Einweihung ſind unentbehrlich .
Wahrſcheinlich wird der Bau eines neuen Bends beliebt
werden , der wohl eine halbe Million Thaler koſten kann .
21.
Die Kaiks .
Bujukdere , den 30. November 1836 .
Jhr werdet jetzt wohl ſchon tief im Winter ſitzen , waͤh-
rend wir hier noch den herrlichſten Herbſt genießen ; frei-
lich , wenn der Nordwind ( Poiras ) weht , ſieht es zuweilen
verdrießlich aus ; ſo wie aber der Suͤdwind ( Lodoß ) die
Oberhand gewinnt , bietet die Ausſicht von meinem freund-
lichen Zimmer den herrlichſten Anblick auf den Bosphorus ,
Therapia und die aſiatiſche Kuͤſte . Des Tages uͤber flim-
mert die Sonne auf den kleinen Wellen , und das Leben
auf einem Dutzend großer Schiffe , die hart unter meinem
Fenſter ankern , gewaͤhrt Unterhaltung , wenn man ſonſt
nichts zu thun hat . Dann kommen die Fiſcher in großen
Kaͤhnen , unter deren Ruderſchlaͤgen das Meer aͤchzet ; mit
lautem Geſchrei verfolgen ſie Schaaren von Fiſchen , die
man bei der Klarheit des Waſſers deutlich ziehen ſieht ; ſie
umſtellen ſie mit ihren Kaͤhnen und treiben ſie ſo mit Ge-
raͤuſch in die Netze ; da giebt es denn eine bunt-geſchuppte
Geſellſchaft : den wohlſchmeckenden Thon , den ſilbernen Pa-
lamid , den ſeltſamen Steinbutt , den Goldfiſch , den Scor-
pionfiſch , welcher Jeden , der ihn anfaßt , lebensgefaͤhrlich
verwundet ; da giebt es Schwertfiſche mit ellenlanger Naſe ,
Makrelen , Antipalamiden und viele andere Gattungen . Der
Delphin allein hat das Recht , ungeſtoͤrt zu bleiben , weil
das Vorurtheil ihn ſchuͤtzt , wie bei uns die Schwalben
und Stoͤrche ; er tanzt in der Stroͤmung , folgt den Schif-
fen , ſpringt ſchnaubend in die Luft und ſchießt pfeilſchnell
nieder .
Ununterbrochen ziehen Kaiks vor meinem Fenſter vor-
bei , es ſind die Fiaker ( das große Bazar-Kaik der Om-
nibus ) des Bosphorus . Wirklich kann man nichts Zier-
licheres und Zweckmaͤßigeres ſehen als ein Kaik .
Das leicht gezimmerte Geripp iſt mit duͤnnen Brettern
umgeben , die mit Pech von Jnnen und Außen ganz uͤber-
zogen werden . Das Jnnere des Fahrzeugs iſt mit einer
duͤnnen Verkleidung von weißem Holze verſehen , und wird
aufs ſauberſte rein gehalten und gewaſchen . Die Ruder
haben an den obern Enden dicke Kloͤtze , die den untern En-
den das Gleichgewicht halten und ſo die Arbeit erleichtern ;
ſie bewegen ſich an ledernen fettigen Riemen um hoͤlzerne
Pfloͤcke , welche , um die Friction ſo gering als moͤglich zu
machen , aus dem haͤrteſten Buchsbaum , kaum fingerdick ,
gemacht ſind . Das Fahrzeug iſt hinten breiter , laͤuft nach
vorn immer ſchmaler zu und endet mit einer ſcharfen eiſer-
nen Spitze . Wenn der Paſſagier auf dem Boden des Fahr-
zeugs ſitzt ( denn nur die unwiſſenden Franken ſetzen ſich
hinten auf den Sitz ) , iſt daſſelbe voͤllig im Gleichgewicht .
Der Ruderer befindet ſich im Schwerpunkt der Maſchine
und der Nachen folgt nun dem leiſeſten Druck der Hand ;
ſelbſt bei dem ſchlechteſten Werter ſcheut man ſich nicht , die
aufgeregten Fluten in dieſen leichten Fahrzeugen zu durch-
ſchneiden . Die Wellen ſpielen mit dem Kaik wie mit einer
Feder und ſtoßen es vor ſich her ; bald ſchwebt es auf der
Spitze einer Woge , bald entſchwindet es dem Auge ganz
zwiſchen den Waſſerbergen , und die ſcharfe Spitze wirft ,
indem ſie die Flut durchſchneidet , den ſchneeweißen Schaum
zu beiden Seiten hoch in die Luft .
Die Tour von hier nach Konſtantinopel ( uͤber drei
deutſche Meilen ) legt man in anderthalb Stunden zuruͤck ,
und ein Reiter am Ufer muͤßte ſchon ſehr ſcharf traben ,
um mitzukommen ; da hilft nun freilich die Stroͤmung , denn
umgekehrt , von Konſtantinopel nach Bujukdere , braucht man
mindeſtens drittehalb Stunden . Hiernach laͤßt ſich berech-
nen , daß die Stroͤmung im Bosphor in der Stunde drei
Viertel einer deutſchen Meile betraͤgt ; mit einem ſchwer-
faͤlligern Fahrzeuge kaͤme man an den reißendſten Stellen
gar nicht fort .
Der wohlhabende Effendi faͤhrt in einem dreiruderigen
Kaik , er ſitzt auf einem Teppich , in zwei oder drei Pelze
gehuͤllt , einen perſiſchen Shawl um den Leib gewickelt ; vor
ihm kauern die Pfeifenſtopfer , und der Kaffeeſchenker hin-
ter ihm ; ein oder zwei Diener von geringerem Rang halten
ihrem Herrn einen großen Regenſchirm gegen die Sonne
uͤber den Kopf . Der Schirm darf jedoch nicht roth ſein
( das ſteht nur dem Großherrn ſelbſt zu ) , und wird uͤber-
haupt zuſammengefaltet , ſobald ein Paſcha voruͤberfaͤhrt
oder das Kaik an einem der Schloͤſſer des Padiſchah vor-
beikommt . Die Kaikſchi oder Ruderer , große praͤchtige
Leute , ſind gleichmaͤßig gekleidet : ein weites baumwollenes
Beinkleid , ein halbſeidenes Hemd und ein kleines rothes
Kaͤppchen auf dem kahl geſchorenen Kopfe bilden die ganze
Toilette ſelbſt im Winter . Die Leute rudern ihre 7 bis
8 Meilen hinter einander weg .
Bei ruhigem Wetter ſieht man wegen der großen Klar-
heit des Waſſers den Grund des Meeres mit uͤberraſchen-
der Deutlichkeit , und das Fahrzeug ſcheint uͤber einem Ab-
grund zu ſchweben . Ein voͤllig glatter Spiegel iſt auf dem
Bosphorus ſelten , zuweilen aber iſt die Flaͤche ſcheinbar
eben , dennoch ziehen ſehr große breite Wellen , die aus dem
Schwarzen Meere kommen , hinein . Auf der Waſſerflaͤche
bemerkt man ſie kaum , aber am Ufer verurſachen ſie eine
ſtarke Brandung ; dann iſt es uͤberraſchend , bei ganz ſtiller
Luft und ſpiegelblanker Oberflaͤche des blauen Waſſers den
ſchneeweißen Saum am Ufer zu ſehen und das Aechzen des
Meeres zu hoͤren , welches ſich an dem dunkeln Geſtein des
Ufers ſchaͤumend bricht .
Heute fruͤh zog eine Geſellſchaft griechiſcher Fiſcher
ihr Netz mit lautem Geſchrei ans Land ( denn die haupt-
umlockten Achaͤer ſind noch eben ſo geſchwaͤtzig , wie zu
Odyſſeus Zeiten ) . Das Netz enthielt wohl eine halbe Mil-
lion Skombre oder Makrelen zum Werth von etwa tauſend
Gulden ; ich habe mir ſo etwas nie vorgeſtellt . Nachdem
das Netz nahe genug ans Ufer herangezogen war , langte
man mit kleinern Netzen an Stielen wie mit großen Loͤf-
feln hinein und ſchoͤpfte ſo zu Tauſenden die ſilberhellen
zappelnden Thierchen an das Licht der Sonne . Zuweilen
geſellt ſich auch wohl ein Delphin dieſer zahlreichen Ver-
ſammlung bei , das iſt aber ein uͤbler Gaſt ; ſo wie er ſich
umſtellt ſieht , ſpringt er gewaltig herum , zerreißt die Faͤ-
den und befreit nicht allein ſich , ſondern auch alle uͤbrigen
Gefangenen .
22.
Feuersbruͤnſte . — Bauart der Haͤuſer .
Bujukdere , den 23. Dezember 1836 .
Wir haben uns gegen den Winter geruͤſtet , was hier
nicht leicht iſt . Die Haͤuſer in dieſem Lande ſind uͤberall
von Holz , ſelbſt die großen Palais des Sultans ſind
eigentlich nur weitlaͤufige Bretterbuden . Man errichtet
auf einer ſteinernen Subſtruction ein ſchwaches , oft ſehr
hohes Geruͤſt aus duͤnnen Balken , bekleidet es mit Bret-
tern , die inwendig mit Moͤrtel uͤberzogen werden , bedeckt
das Dach mit Ziegeln , und in wenig Tagen ſteht ein gro-
ßes Haus da .
Aber man begreift auch die ganze Wuth der Feuers-
bruͤnſte , wo tauſende , man moͤchte ſagen aus Schwefel-
hoͤlzern erbaute Haͤuſer dicht und unregelmaͤßig an einan-
der gedraͤngt , einen Flaͤchenraum von einer Quadratmeile
bedecken . Jn Pera hat man angefangen groͤßere Haͤuſer
von Stein und mit eiſernen Laͤden vor allen Fenſtern zu
erbauen ; aber auch ſie ſind oft ein Raub des Feuers ge-
worden , denn die bloße Hitze , welche ein ſolches Feuermeer
verurſacht , reicht hin , um das Jnnere zu entzuͤnden . Es
iſt faſt unbegreiflich , wie die ſchoͤnen maſſiven Palais der
engliſchen und franzoͤſiſchen Botſchaft , die iſolirt mitten in
Gaͤrten ſtanden , dennoch von den Flammen erfaßt werden
konnten . An Loͤſchen iſt hier faſt gar nicht zu denken , nur
ſchnelles Niederreißen von Haͤuſern auf weite Entfernung
ſetzt dem verheerenden Elemente eine ſchwache Schranke ,
indem es ihm ſeine Nahrung entzieht . Ein ſtarker Wind
aber vereitelt alle dieſe Anſtrengungen ; ſelten gelingt es
7
den Bewohnern , auch nur einen Theil ihrer Habe in die
naͤchſten Moſcheen zu fluͤchten ; oft iſt es kaum moͤglich ,
das Leben zu retten . Die Haͤuſer ſind ſchmal und hoch ,
die Treppen eng und elend . Mitten in der Nacht ſchreckt
der Ruf : Gjangen-var — „ es iſt Feuer ! “ — die Ein-
wohner aus dem Schlaf ; kaum raffen ſie das Nothwen-
digſte zuſammen , ſo finden ſie ſchon ihre Straßen bren-
nend ; ſie eilen nach einem andern Ausgang , die Menge
ſtopft die Gaſſen , in wenigen Minuten finden ſie ſich von
der ſchrecklichen Glut umſtellt . Eben ſo furchtbar wie die
Feuersbruͤnſte hier ſind , ſo leicht werden ſie verurſacht , be-
ſonders des Winters . Oefen giebt es nur in einigen Woh-
nungen der Franken ; die Tuͤrken , Armenier und Griechen
bedienen ſich der Kohlenbecken ( Mangall ) , welche auf den
Fußteppich , oft unter die mit Decken belegten Tiſche ( Tan-
dur ) geſtellt werden . Nun begreift man , daß die geringſte
Nachlaͤſſigkeit eine Feuersbrunſt erzeugen kann . Dies Al-
les macht , daß die Miethen uͤbermaͤßig theuer ſind , denn
der , welcher ein Haus erbaut , muß ſich darauf gefaßt ma-
chen , daß in zehn oder funfzehn Jahren aller Wahrſchein-
lichkeit nach ſein Capital vom Feuer verzehrt wird , und
alſo die Zinſen danach berechnen . Nun iſt auf der an-
dern Seite nicht zu leugnen , daß hoͤlzerne Haͤuſer viel an-
genehmer zu bewohnen ſind , als ſteinerne , die hier ſtets
feucht ſind und nie ſo ſonnig , hell und freundlich wie jene
ſein koͤnnen . Eine Hauptbedingung fuͤr ein angenehmes
Haus iſt hier , daß es zu drei Viertheilen aus Fenſtern be-
ſtehe , und das kann nur ein hoͤlzernes Haus leiſten . Da-
mit recht viel Zimmer auf drei Seiten Fenſter an Fenſter
haben koͤnnen , ſind die Haͤuſer mit lauter vorſpringenden
und eingehenden Winkeln erbaut ; was man bei uns die
Spiegelwaͤnde nennt , iſt ein ſchmaler Balken . Unter den
Fenſtern laufen die breiten niedrigen Divans hin ; die vierte
Wand aber enthaͤlt eine Niſche , in deren Mitte die Thuͤre ,
zu beiden Seiten derſelben aber große Wandſchraͤnke ſich
befinden , worin die Matratzen und Decken des Tags uͤber
aufbewahrt ſind , welche des Nachts auf die zierliche Stroh-
matte am Fußboden zu Betten bereitet werden . Die Fen-
ſter ſind unten mit dichten Gittern aus Rohr geſchloſſen ;
in den Gemaͤchern der Frauen ſteigt dies Gitter bis ganz
oder bis faſt ganz oben hinauf . Da giebt es weder Tiſche
noch Stuͤhle , weder Spiegel noch Kronleuchter ; Abends
werden zwei oder vier große Kerzen , wie unſere Kirchen-
lichte , mitten ins Zimmer auf den Boden geſetzt ; bei Wohl-
habenden und bei Denjenigen , welche der Civiliſation den
Hof machen , findet man gewoͤhnlich Tafeluhren , von denen
oft drei oder vier neben einander ſtehen , ohne daß nur eine
einzige ginge . Zum Eſſen ſtellt man einen kleinen niedri-
gen Schemel auf den Fußboden und ſetzt darauf eine große
runde Holzſcheibe ( bei den Wohlhabenden eine Art meſſin-
genen Schild , ſauber blank gehalten ) , auf dem die Speiſen
ſich bereits befinden . Jeder langt mit den Fingern zu ,
nachdem zuvor das Waſchbecken und zierlich geſtickte Hand-
tuͤcher gereicht ſind ; Meſſer , Gabel und Teller ſind nicht
noͤthig , dagegen bedient man ſich der Loͤffel aus Holz oder
Horn , oft mit Stielen von Corallen , aber nie von Silber ,
weil der Koran ausdruͤcklich ſagt : daß , wer hier von Sil-
bergeſchirr ißt , im Paradieſe keins haben wird .
So ſieht es im Jnnern bei den Vornehmen aus , aber
auch beinahe eben ſo bei den Geringeren und bei den Aerm-
ſten . Jm Aeußern unterſcheiden ſich die Wohnungen der
Tuͤrken als der Bevorrechtigtſten des Landes von denen der
Rajahs . Der Rechtglaͤubige baut ſein Haus mit der brei-
ten Front nach dem Bosphorus zu , ſtreicht es roth , blau
und gelb an , aber beſonders roth , waͤhrend die Griechen
und Armenier die ſchmale Seite ihrer Haͤuſer nach dem
Bosphor kehren , welcher die große Heerſtraße der Haupt-
ſtadt iſt , und ſie grau uͤbertuͤnchen . Die oft ſehr große
Ausdehnung dieſer Wohnungen reicht quer uͤber die Straße
bis auf die Berge und Terraſſen hinauf . Gewaͤhrt die
Wohnung dennoch einen zu lockenden Anſchein von Reich-
thum , ſo wird ſie mit zwei verſchiedenen Nuͤancen von Grau ,
als wenn es zwei Beſitzungen waͤren , ausgeſtattet . Die
Fiskalitaͤt der Regierung bekundet ſich ſchon darin , daß
alle groͤßeren , auffallend ſchoͤn liegenden Luſthaͤuſer dem
Großherrn oder wenigſtens ſeinen Schwiegerſoͤhnen gehoͤ-
ren . Zu einer angenehmen Wohnung gehoͤrt nothwendig ,
daß ſie unmittelbar am Waſſer liege , weshalb die Straße
ſo oft durch Thorwege oder uͤber unbequeme Hoͤhen fuͤhrt .
Aber die Rechte des Publikums koͤnnen nie gegen maͤchti-
gere Jndividuen geltend gemacht werden .
23.
Mehmet Chosref Paſcha in Verbannung .
Bujukdere , den 28. Dezember 1836 .
Noch immer ſind hier die Wieſen mit friſchem Gruͤn
bedeckt und zahlloſe Roſen bluͤhen in den Gaͤrten ; der Bos-
phor iſt ſpiegelglatt , ein wolkenloſer Himmel woͤlbt ſich uͤber
uns und die Sonne ſcheint ſo hell und heiß , daß man ſich
gar nicht darein finden kann , daß in wenig Tagen Neu-
jahr iſt .
Jch weiß nicht , ob ich Dir ſchon geſchrieben habe ,
daß mein alter Goͤnner Mehmet Chosref Paſcha ſei-
nes Poſtens als Seraskier entſetzt iſt . Man traute in
Konſtantinopel ſeinen Ohren nicht bei dieſer Nachricht . An
der Spitze der Parthei , welche ihn ſtuͤrzte , ſtand ſein vor-
maliger Sclave Halil , den er zum „ Damat-Paſcha “ oder
Schwiegerſohn des Sultans gemacht , und Sayd Paſcha ,
deſſen Hochzeit mit der juͤngern Tochter des Großherrn er
eben erſt ausgerichtet und die ihm eine halbe Million Tha-
ler gekoſtet hatte . Daß der Großherr wagen durfte , einen
Mann wie Mehmet Chosref , der zwei und dreißig ſei-
ner Sclaven zu Paſcha's und Gouverneuren von Provin-
zen erhoben , abzuſetzen , ohne ihm zugleich den Kopf „ unter
den Arm “ legen zu laſſen , zeugt fuͤr einen vorgeſchrittenen
Zuſtand in der Tuͤrkei , denn das waͤre fruͤher nicht moͤg-
lich geweſen . Seit vier Wochen hat der Ex-Seraskier ſich
zu Emirgjon , einem reizenden Landſitz am Bosphor , einge-
ſchloſſen . Er ſieht keinen Menſchen , theils um nicht Arg-
wohn zu erregen , theils weil Niemand zu ihm kommt , denn
wer hier verabſchiedet — iſt in Ungnade , und wer in Un-
gnade — hat keinen Freund mehr . Mir war es gleichguͤl-
tig , ob die neuen Machthaber es gern ſahen , oder nicht ,
und ſo bin ich auch nach ſeinem Sturze ſchon mehrmals
zu ihm gefahren .
Als ich das erſtemal nach Emirgjon kam , ſchien die
Dienerſchaft uͤber dieſen Beſuch befremdet , indeß meldete
man mich ſogleich , und der alte Herr empfing mich mit
unverholener Freude . Als ob der Ex-Seraskier jetzt wei-
ter keine Verpflichtung gegen die Reform habe , war Meh-
med Chosref in ſeiner ganzen Lebensweiſe zu den alt-
tuͤrkiſchen Gewohnheiten zuruͤckgekehrt . Jch fand ihn in
einem Gewande aus dem feinſten Lahore-Shawl ; die weiten
Beinkleider aus weißem Atlas waren mit Spitzen beſetzt ,
welche den ſehr kleinen Fuß ganz bedeckten . Ein Amulet
hing an goldener Kette um ſeinen Hals , ein anderes war
um den Arm gebunden , und ein prachtvoller Zobelpelz mit
himmelblauem ſchweren Seidenſtoff bekleidet und mit brei-
ten goldenen Treſſen beſetzt , vervollſtaͤndigte den Anzug .
Das Zimmer , in welchem ich den Verbannten fand ,
war aͤcht orientaliſch , und ſchoͤner , als ich je eins in den
Schloͤſſern des Großherrn geſehen . Die eine Front des
ſehr geraͤumigen Gemachs blickte auf den Bosphor , deſſen
tiefblaue Wogen dicht unter den Fenſtern gegen einen ſchoͤ-
nen Quai rauſchten ; die gegenuͤber liegende Seite war ganz
offen und zeigte einen Garten mit Roſenhecken , Orangen-
buͤſchen und maͤchtigen Lorbeerſtaͤmmen . Der bluͤhende
Oleander ſpiegelt ſich in Marmorbecken mit kryſtallhellem
Waſſer und ein Springbrunnen plaͤtſcherte im Vorder-
grunde , in deſſen Baſſin purpurne Goldfiſche ſpielten . Eine
breite ſeidene Markiſe bildete die Fortſetzung des mit rei-
chen Arabesken geſchmuͤckten Plafonds , und der prachtvolle
Fußteppich ging in die kuͤnſtlichen Muſter von Blumenpar-
terres und in das Deſſin der Gaͤnge uͤber , welche mit
Seemuſcheln beſchuͤttet oder mit farbigen Kieſeln moſaik-
artig ausgelegt waren . Man wußte nicht recht , wo das
Gemach aufhoͤrte und wo der Garten anfing ; ob der Spring-
brunnen im Zimmer rauſchte oder ob man auf dem breiten
Divan im Freien ſaͤße . Eine koͤſtliche Kuͤhle drang durch
die Rohrgitter der offenen Fenſter vom Bosphor herein
und miſchte ſich mit dem balſamiſchen Duft des von der
Sonne hell erleuchteten Gaͤrtchens , und aus dem nebenlie-
genden Harem erklangen die Accorde einer Romaika und
einer Floͤte , welche die Sclavinnen ſpielten .
Niemand mochte indeß der Zauber dieſer Umgebung
kaͤlter laſſen , als Mehmet Chosref , den raſtlos thaͤtigen
Greis , der ſich auf einmal von aller Wirkſamkeit ausge-
ſchloſſen ſah , verdraͤngt durch die , welche er aus dem
Staube emporgehoben , bemitleidet von denen , welche vor
ihm gezittert . Der gewohnte ſcherzende Ton verhehlte nicht
ganz ſeinen innern Verdruß , als er von ſeiner jetzigen Ein-
ſamkeit und Verlaſſenheit ſprach ; ich bezog dies abſichtlich
auf ſeine noch immer aus mehr als hundert Perſonen be-
ſtehende Dienerſchaft . „ Herr “ , ſagte ich , „ ich ſehe hier
Aly Aga und Sayd Effendi , Mehmet Kawas und “ —
„Meinſt du “ , erwiderte Mehmet Chosref lebhaft und
mit Bedeutung , „ daß ich der Mann bin , einen alten Die-
ner zu verabſchieden , der mir viele Jahre treu gedient ? “
Um ſeinen Feinden zu zeigen , daß er noch nicht ſo
ganz von Kraͤften ſei , laͤßt Mehmet Chosref neben ſei-
nem jetzigen Pallaſt eine Schule gruͤnden und eine praͤch-
tige Moſchee bauen . Jch glaube , der alte Paſcha hat ſich
dabei nicht uͤber den Weg geirrt , der in die Gnade ſeines
Herrn und in den Beſitz der Gewalt zuruͤck fuͤhrt .
24.
Die Tauben in der Moſchee Bajaſids . — Die Hunde
in Konſtantinopel . — Die Begraͤbnißplaͤtze .
Bujukdere , den 18. Januar 1837 .
Der Wohlthaͤtigkeitsſinn der Tuͤrken dehnt ſich bis auf
die Thiere aus . Jn Scutari findeſt Du ein Katzen-Hoſpi-
tal , und in dem Vorhof der Moſchee Bajaſids giebt es eine
Verſorgungs-Anſtalt fuͤr Tauben . Allerdings ſind ſie die
Enkel einer gewiſſen Taube , die dem Propheten bei einer
Gelegenheit , ich weiß nicht mehr welche Nachricht ins Ohr
fluͤſterte , aber vielen dieſer ſchwarzblauen Thierchen moͤchte
es doch ſchwer ſein , ihre Genealogie zu beweiſen . Man
nimmt es damit nicht genauer , als mit den zahlreichen
Vettern des Propheten ſelbſt , und es iſt gar huͤbſch zu ſe-
hen , wenn das Futter fuͤr die gefluͤgelten Gaͤſte auf den
Marmorboden des ſchoͤnen Hofes geſtreuet wird . Dann
ſtuͤrzen Tauſende von den Daͤchern der Moſchee , von den
Saͤulen und Kuppeln des Portikus und der Fontainen ,
und aus allen Zweigen der großen Cypreſſen und Plata-
nen des Hofraums hervor . Das Klappen ihrer Schwin-
gen , das muntere Kurren und das bunte Gewimmel laͤßt
ſich gar nicht beſchreiben , und im Gefuͤhle ihrer perſoͤn-
lichen Sicherheit gehen die kleinen Sinecuriſten kaum den
Menſchen ſelbſt aus dem Wege . So ſind auch die See-
moͤven im Hafen ſo unbeſorgt und dreiſt , daß man ſie mit
den Rudern todtſchlagen koͤnnte .
Jn den Haͤuſern findet man niemals Hunde , aber in
den Straßen leben viele Tauſende dieſer herrenloſen Thiere
von den Spenden der Baͤcker , der Fleiſcher , und freilich
auch von ihrer Arbeit , denn die Hunde haben hier faſt
ganz allein das Geſchaͤft der Straßenreinigungs-Commiſ-
ſaire uͤbernommen . Faͤllt ein Pferd oder ein Eſel , ſo wird
das Thier hoͤchſtens bis an den naͤchſten Winkel oder ir-
gend eine der zahlloſen Brandſtaͤtten ( die zu allen Zeiten min-
deſtens ein Fuͤnftheil der Stadt ausmachen ) geſchleppt und
dort von den Hunden verzehrt . Sehr auffallend iſt es
mir geweſen , wenn ich durch die Straßen von Stambul
ritt , die Hunde ſtets mitten in den Straßen ſchlafend zu
finden . Nie geht ein Hund einem Menſchen oder Pferde
aus dem Wege , und Pferde und Menſchen , die dies ein-
mal wiſſen , weichen den Hunden , wenn es irgend moͤglich
iſt , aus , weil es offenbar bequemer iſt , uͤber einen Hund
fort , als auf ihn zu treten . Taͤglich kommen indeß die
ſchrecklichſten Verletzungen vor , uͤberall hoͤrt man die Weh-
klagen der armen Thiere , und doch ſieht man ſie uͤberall
regungslos mitten im dichteſten Gedraͤnge auf dem Stein-
pflaſter ſchlafen . Allerdings waͤre es ganz unmoͤglich fuͤr
dieſe vierbeinige Polizei , ſich zu fluͤchten ; alle Haͤuſer ſind
verſchloſſen , und die Mitte der Straße iſt immer noch der
ſicherſte Platz fuͤr ſie , weil es viel mehr Fußgaͤnger , als
Reiter giebt . Es ſcheint uͤbrigens , daß ſie die Anſicht der
Tuͤrken uͤber das Kismeth oder Schickſal theilen , und man
kann nicht leugnen , daß dieſe Lehre vollkommen gut fuͤr die
geeignet iſt , welche ſtuͤndlich erwarten koͤnnen , geraͤdert zu
werden , oder an der Peſt zu erkranken . Noch muß ich
bemerken , daß es hier weder Pudel , Moͤpſe , Spitze , Dachſe ,
Pinſcher noch Windſpiele , ſondern nur eine einzige garſtige
Raçe giebt , und dieſe ſcheint mit den Woͤlfen und Scha-
kaln der Umgegend in naher Vetterſchaft zu ſtehen . Jn
pſychologiſcher Hinſicht iſt anzufuͤhren , daß ſie ſeit der Ver-
nichtung der Janitſcharen gegen die Franken etwas minder
feindſelig geworden ſind .
Jm Ganzen ſind die Thiere hier uͤberhaupt ſehr guter
Art : die Hunde bellen zwar , aber beißen ſehr ſelten und
werden niemals von der Wuth befallen ; die Schlangen und
Scorpione ſind nicht giftig , und die Pferde unbeſchreiblich
gehorſam . Man kann ſich auf den muthigſten arabiſchen
Hengſt ſetzen , er wird lebhaft ſein und Spruͤnge machen ,
aber die Bosheit unſerer Pferde kennt er nicht ; er wird viel-
leicht durchgehen , aber weder bocken , beißen noch ſchlagen .
Aber Du haſt von den tuͤrkiſchen Begraͤbnißplaͤtzen hoͤ-
ren wollen , deren Schoͤnheit man mit Recht geruͤhmt hat .
Jn der Gegend von Konſtantinopel kroͤnen ſie die Vorge-
birge am Bosphorus , von welchen man die reichſte Aus-
ſicht genießt ; und wenn es wahr iſt , daß abgeſchiedene Gei-
ſter zuweilen um ihre Graͤber irren , ſo moͤgen ſie hier im
Mondſchein die Berge Aſiens und Europa's , den Spiegel
des Bosphorus und des Propontis , und die rieſenhafte
Stadt mit einer halben Million Menſchen erblicken , die in
weniger als hundert Jahren auch alle unter dieſen Cypreſ-
ſen ſchlummern werden .
Die regungsloſe Cypreſſe mit ihrem an Schwarz gren-
zenden Gruͤn iſt ſehr paſſend zum Baum der Todten ge-
waͤhlt ; der Stamm , die Zweige und das Laub ſtreben nach
oben , nur die ſchlanke Spitze iſt zur Erde gebeugt , der
Wind dringt durch ihre Aeſte , aber er bewegt ſie nicht .
Einzeln genommen iſt die Cypreſſe eine ſchwerfaͤllige dichte
Laubpyramide ; ſie ſieht aus , als ob der Steinmetz ſie mit
den Grabſteinen zugleich gemeißelt haͤtte , aber in der Land-
ſchaft macht ſie einen ſchoͤnen Eindruck ; hier bedeckt ſie
oft weite Flaͤchen , und auf dem Kirchhofe von Scutari bil-
det ſie einen Wald , der drei Viertelmeilen in Umfang hat .
Die Tuͤrken fuͤhlen , daß ſie in Europa nicht zu Hauſe ſind ,
ihre Prophezeihungen und Ahnungen ſagen ihnen , daß das
roͤmiſche Reich ihnen nicht immer gehoͤren werde , und wer
die Mittel dazu hat , laͤßt ſeine Aſche auf die aſiatiſche
Seite des Bosphorus nach Scutari bringen . Das Ant-
litz der Rechtglaͤubigen iſt nach der heiligen Stadt Mekka
gewendet , und zu ſeinem Haupte erhebt ſich ein Marmor-
pfeiler von zierlicher Form mit Verſen aus dem Koran und
den Namen des Hingeſchiedenen , oft reich vergoldet und
vom Turban uͤberragt .
Der Turban war bisher das Abzeichen eines Recht-
glaͤubigen , welches den Paſcha , den Arzt , den Ulema , den
Kaufmann , kurz alle Klaſſen der Geſellſchaft unterſchied .
Bei der Vernichtung der Janitſcharen begnuͤgte man ſich
nicht damit , den Lebenden die Koͤpfe abzuſchlagen , ſondern
man hieb auch den Verſtorbenen die Turbane herunter , und
noch heute ſieht man eine Menge dieſer gekoͤpften Grab-
ſteine . Gegenwaͤrtig iſt die Kopfbedeckung fuͤr Alle gleich ,
und der leidigrothe Feß mit dem blauen Quaſte ſieht eben
nicht geſchmackvoller auf den Graͤbern , als auf den Koͤpfen
der Lebendigen aus .
Die Grabſteine der Frauen ſind mit Blumen geſchmuͤckt ,
die der Unverheiratheten durch eine Roſenknospe bezeichnet .
Das Grab eines Moslems darf nie geſtoͤrt werden , und
man wuͤrde es fuͤr eine Ruchloſigkeit halten , den Friedhof
nach einer Reihe von Jahren umzugraben , wie bei uns .
Wenn man die mittlere Lebensdauer hier hoͤchſtens auf
25 Jahre , die Zahl der Moslems in Konſtantinopel auf
300,000 anſchlagen kann , ſo ſind waͤhrend der 400 Jahre
ſeit der tuͤrkiſchen Beſitznahme nahe an fuͤnf Millionen
Tuͤrken in Konſtantinopel geſtorben . Du kannſt Dir hier-
nach eine Vorſtellung von der Menge der Grabſteine ma-
chen , man koͤnnte eine große Stadt daraus erbauen , und
wirklich errichten die Armenier jetzt eben eine ſchoͤne Kirche
aus lauter gehauenen Grabſteinen , meiſt von Marmor . Die
Grabſteine der Rajah liegen an der Erde , die der Tuͤrken
aber ſtehen aufrecht . Die Tuͤrbeh oder Mauſoleen der Gro-
ßen ſind oft ſehr prachtvoll , aus dem ſchoͤnſten Marmor
und Jaspis erbaut , mit einer Kuppel uͤberwoͤlbt , von ho-
hen Lorbeeren oder Platanen uͤberſchattet und von Roſen-
hecken umgeben . Der Sarkophag in der Mitte dieſes Ge-
woͤlbes iſt mit einem koſtbaren Kaſchemir-Shawl bedeckt .
Neben den Tuͤrbehs findet ſich oft ein Jmaret , oder eine
Armenkuͤche , ein Spital oder wenigſtens eine Fontaine .
Aber auch der arme Moslem ſucht das Grab eines Hin-
geſchiedenen zu einer Wohlthat fuͤr Lebende zu machen .
Viele der Grabſteine ſind unten in Form eines Troges aus-
gehoͤhlt , in welchem das Regenwaſſer ſich ſammelt , eine
Art Armenkuͤche im Kleinen , wo an heißen Sommertagen
die Hunde und Voͤgel ihren Durſt loͤſchen . Die Moslems
glauben , daß auch die Dankbarkeit der Thiere den Men-
ſchen Seegen bringe .
Die Begraͤbnißplaͤtze , wie ich ſie Dir hier geſchildert ,
ſind die einzigen Promenaden der Tuͤrken , oder vielmehr
der Ort , wo ſie ſpazieren ſitzen , denn man koͤnnte eben ſo
gut einem Brieftraͤger , wie einem Tuͤrken eine Promenade
vorſchlagen . Die Frauen fahren in einem Arabah , einem
Fuhrwerke , das den ſchleſiſchen Plan- oder Plauwagen ſehr
aͤhnlich ſieht , aber ohne Federn und bunt angemalt . Die
ſchwere Deichſel endet mit einem Drachenkopf , die Achſen
und Buchſen ſind unbeſchlagen , denn der Prophet ſagt :
„ Nur die Gottloſen ſchleichen im Finſtern umher , ein gu-
ter Moslem aber faͤhrt mit ſchreienden Raͤdern . “ Vor
ſolche Equipage werden zwei Buͤffel oder Ochſen geſpannt ,
denen mit gelbem Ocker prachtvolle Sonnen auf die graue
Haut gemalt ſind . Die Schweife werden an hoͤlzerne Buͤ-
gel mit bunten Baͤndern und Quaſten aufgebunden . So
geht es im langſamen Zuge einher . Vornehme Frauen
ſitzen in einer Art von Kutſche , hinter Gittern und Gar-
dinen verſteckt ; die angeſehenen Maͤnner reiten , aber es
waͤre gegen allen Anſtand , ſchnell zu reiten . Am ſtattlich-
ſten iſt ein ſchwerfaͤlliger Beygir oder Wallach mit dickem
Heubauch ; der Seïs oder Pferdeknecht geht daneben , die
Hand auf der Kruppe des Pferdes , und ſo wie der Weg
ſteigt oder faͤllt , unterſtuͤtzt er ſeinen Herrn , indem er ihm
die Hand um den Ruͤcken legt . Vornehme Tuͤrken haben
ein halbes Dutzend ſolcher Leute zu Fuß vor und hinter
ſich , und ſo geht es im langſamen Schritt vorwaͤrts . Jm
Freien reitet der Tuͤrke Paß , und die „ Rachwan “ oder
Paßgaͤnger ſind als beſonders gute Pferde geſchaͤtzt ; zu-
weilen wird einmal eine geſtreckte Carriere gemacht , Trab
aber reitet nur ein Gjaur . Es gehoͤrt uͤberhaupt zu einer
vornehmen Erſcheinung , ſich wie ein Kruͤppel fuͤhren zu
laſſen ; Du ſiehſt nie den Großherrn die Stufen einer Mo-
ſchee hinabſteigen , ohne daß ihn ein Paſcha unter jeden Arm
faßt und ihn fuͤhrt .
25.
Audienz beim Großherrn .
Pera , den 21. Januar 1837 .
Vorgeſtern erhielt ich den Befehl , zu einer Privat-Au-
dienz beim Großherrn zu erſcheinen . Es iſt bekannt , wie
fruͤher die Repraͤſentanten der maͤchtigſten Monarchen ſtun-
denlang im Vorhofe des Serajs warten mußten . Dort
befindet ſich ein Portal mit zwei Thuͤren hinter einander .
Da die aͤußere hinter dem Eintretenden eher geſchloſſen ,
als die innere wieder geoͤffnet wird , ſo war dies der Ort ,
wo den Vezieren und den Großen uͤberhaupt gelegentlich
die Koͤpfe abgeſchlagen wurden . Dieſe freundliche Lokalitaͤt
hatte man benutzt , um die zur Audienz gelaſſenen Fremden
in der Tugend der Geduld zu uͤben . Es wurden Rechts-
haͤndel geſchlichtet und Urtheil geſprochen ; dann wurden
die Janitſcharen geſpeiſet und ihre Loͤhnung aus großen
Saͤcken klirrend auf das Steinpflaſter geworfen ; endlich
die Geſandten ſelbſt bewirthet und mit Pelzen beſchenkt
und bekleidet . Erſt nachdem ſie ſo eine Vorſtellung von
der Gerechtigkeit und Milde , von dem Reichthum und der
Macht , hauptſaͤchlich wohl von dem Hochmuth des Padi-
ſchahs erhalten , wurden ſie durch das Thor der Gluͤckſelig-
keit , „ Bab ſeadet “ , in einen halbdunkeln Kiosk vor das
Antlitz des Großtuͤrken gelaſſen . Der Begluͤckte wurde von
zwei Kapitſchi-Baſchi oder Ober-Thuͤrſtehern gefuͤhrt , die
ihm die Arme feſt hielten und zu tiefen Verbeugungen zwan-
gen . Die Geſandten richteten ihre Reden an den Groß-
herrn , dem jedoch nur einige wenige Worte uͤberſetzt wur-
den , und ſodann durften ſie ihre Geſchenke uͤberreichen .
Se. Hoheit gaben dem Vezier einen Wink , irgend Etwas
zu ſagen , und damit war die Sache zu Ende . So , oder
doch mit wenig geaͤnderten Formen beſtanden die Audienzen
fort bis vor zehn Jahren . Nach der Vernichtung der Ja-
nitſcharen , oder vielmehr ſeit die Ruſſen den Tuͤrken etwas
naͤher gelegt , daß ſie nicht mehr unuͤberwindlich ſind , hat
dies nun zwar aufgehoͤrt , immer aber iſt der Großherr der
mindeſt zugaͤngliche aller europaͤiſchen Fuͤrſten ; ich will Dir
daher meine Audienz beſchreiben .
Um 10 Uhr Morgens begab ich mich mit dem Dra-
goman der Geſandtſchaft , der mich auf allen meinen Zuͤgen
begleitet hat , ins Mabeïn oder den Verſammlungsort der
Großenwuͤrdentraͤger des Reichs . Dieſes Gebaͤude liegt
unmittelbar neben dem Winterpalais des Großherrn zu
Dolma-Baktſche ( Kuͤrbis-Garten ) , iſt aber durch eine hohe
Mauer von demſelben getrennt . Waſſaf-Effendi , der Ge-
heimſchreiber und maͤchtige Vertraute des Sultans , nimmt
hier die Fremden an , welche oft mehrere Stunden zubrin-
gen muͤſſen , um Alles mit ihm gehoͤrig durchzuſprechen ,
was man dem Großherrn zu wiſſen thun will . Dieſer Ef-
fendi begiebt ſich ſodann zu ſeinem Gebieter , mit welchem
die Antworten berathen werden , und der dann genuͤgend
vorbereitet iſt . Das war mit mir nun nicht noͤthig , da ich
nichts Politiſches vorzubringen hatte . Der Capudan-Paſcha ,
ein aͤußerſt freundlicher Herr , kam bald hinzu ; es wurden
zahlreiche Pfeifen geraucht , Kaffee getrunken und um 11 Uhr
erhielten wir den Befehl , vor Sr. Hoheit zu erſcheinen .
Durch eine kleine Nebenthuͤr traten wir in den von
hohen Mauern umringten Hof , der nach dem Bosphorus
zu durch dichte Drahtgitter geſchloſſen iſt , welche die Aus-
ſicht nach Scutari und den Propontis offen laſſen . Einige
Blumenparterre's mit Buxbaum eingefaßt , Roſenhecken und
zwei Baſſins mit Springbrunnen fuͤllten den innern Raum
aus . Am Ende des Hofes erhebt ſich ein dreiſtoͤckiges
Wohnhaus aus Brettern , in welchem der Sultan den Win-
ter zubringt . Hinter demſelben fangen die weitlaͤuftigen
Gebaͤude des Harems an .
Man fuͤhrte mich in einen ſchoͤnen , ſehr geraͤumigen
Kiosk , welcher , uͤber dem Meere erbaut , eine praͤchtige Aus-
ſicht gewaͤhrt . Dort fanden wir einen Schwarm von Kam-
merherren , Pagen , Sekretairen , Militairs und andern Be-
amten des Hofes . Ein aͤltlicher Gentleman ſagte mir be-
ſonders viel Verbindliches ; er hatte entdeckt , daß ich mir
ein großes Verdienſt um das Land erworben , und ich er-
fuhr nachher , daß dies Se. Excellenz der Hofnarr des
Großherrn ſei . Nach kurzer Friſt traten wir in das Wohn-
haus ; da etwas Antichambriren aber unerlaͤßlich iſt , ſtellte
man Stuͤhle fuͤr uns auf die mit ſchoͤnen Teppichen be-
legte , aber niedrige Treppe . Nach einigen Minuten wur-
den wir vorgefordert , worauf Waſſaf-Effendi ſogleich ſeinen
Degen ablegte ; ich war in Civil-Kleidern . Die Zimmer ,
welche wir durchſchritten , ſind weder groß , noch ſehr pracht-
voll ; ſie ſind nach europaͤiſcher Art moͤblirt , man ſieht da
Stuͤhle , Tiſche , Spiegel , Kronleuchter , ſogar Oefen ; Alles ,
wie man es bei einem wohlhabenden Privatmann in un-
ſern Staͤdten auch findet .
Nachdem der Teppich von einer Seitenthuͤr weggezogen ,
erblickten wir den Großherrn in einem Lehnſeſſel . — Nach
uͤblicher Weiſe machte ich ihm drei tiefe Verbeugungen und
trat dann bis an die Thuͤr zuruͤck . Se. Kaiſ . Majeſtaͤt trug
die rothe Muͤtze ( Feß ) und einen weiten violetten Tuchmantel ,
oder vielmehr einen Mantelkragen , welcher ſeine ganze Geſtalt
verſteckte , und der durch eine Diamant-Agraffe zuſammen-
gehalten ward . Der Sultan rauchte eine lange Pfeife von
Jasminrohr , die Bernſteinſpitze mit ſchoͤnen Juwelen beſetzt .
Sein Stuhl ſtand neben dem langen Divan , der ſich hier immer
unter den Fenſtern befindet . Mit einem Blicke links konnte
Se. Hoheit den ſchoͤnſten Theil ſeines Reichs , die Hauptſtadt ,
die Flotte , das Meer und die aſiatiſchen Berge , uͤberſchauen .
Rechts vom Großherrn bis zur Thuͤr , durch die ich einge-
treten , ſtanden 6 oder 7 ſeiner Hofbeamten in tiefem Schwei-
gen und in ehrfurchtsvoller Stellung , die Haͤnde vorn uͤber
den Leib gekreuzt . Ein ſchoͤner franzoͤſiſcher Teppich bedeckte
den Fußboden und in der Mitte des Zimmers glimmte ein
Kohlenfeuer in einem prachtvollen Bronce-Mangall .
Der Großherr aͤußerte ſich zuerſt anerkennend und dank-
bar uͤber die vielen Beweiſe von Freundſchaft , welche er
von unſerm Koͤnig empfangen , und ſprach ſich ſehr guͤnſtig
uͤber preußiſches Militair im Allgemeinen aus . Sobald
Se. Majeſtaͤt geendet , blickten alle Anweſende ſich mit dem
Ausdruck der Bewunderung und Beiſtimmung an , und der
Jnhalt wurde mir von meinem Dragoman wiedergegeben .
Da ich hierauf nichts zu ſagen hatte , ſo begnuͤgte ich mich
mich mit einer Verbeugung. Se. Hoheit geruhete hierauf ,
mit mir von meinen Arbeiten zu ſprechen , ging in mehrere
Details ein und ſetzte hinzu , daß ich ihm inschallah , „ ſo
Gott will “ , noch fernere Dienſte leiſten ſolle . Jndem er
ſeine Zufriedenheit aͤußerte , ließ er mir durch Waſſaf-Ef-
fendi ſeinen Orden uͤberreichen . Nachdem ich dieſen auf
uͤbliche Weiſe , ohne das Etui zu oͤffnen , an Bruſt und
Stirn erhoben , rief der Großherr : „ zeigt ihn ihm , und
fragt ihn , ob er ihm gefaͤllt ! “ worauf denn der Niſchan
mir feierlichſt um den Hals gebunden wurde . Sodann er-
hielt mein Dragoman ebenfalls eine Decoration geringerer
Art , mit dem Vermerk : „ weil er mir bei meinen Arbeiten
beigeſtanden “ ; und wir waren entlaſſen .
Der lebhafteſte Eindruck , welcher mir an dieſer gan-
zen Scene geblieben , iſt der Ausdruck von Wohlwollen und
Guͤte , welcher alle Worte des Großherrn bezeichnete .
26.
Die Peſt .
Konſtantinopel , den 22. Februar 1837 .
Jch habe ſo eben meine Aufnahme von Konſtantinopel
beendet ; gewiß in keiner andern Hauptſtadt haͤtte ich ſo
unbelaͤſtigt , wie hier , in den Straßen arbeiten koͤnnen . —
„ Harta “ meinten die Tuͤrken , „ eine Karte “ , und gingen
ruhig weiter , als ob ſie ſagen wollten : „ wir verſtehen doch
einmal nichts davon . “ Zuweilen paſſirte ich auch mit mei-
ner Meßtiſchplatte fuͤr einen „ Moalibidſchi “ , oder einen
Mann , der Suͤßigkeiten auf einer weißen Scheibe in den
Straßen zum Verkauf herumtraͤgt , und als ſolchen ſuchten
die Kinder Freundſchaft mit mir zu machen . Am neugie-
rigſten ſind die Frauen ( naͤmlich hier in der Tuͤrkei ) ; dieſe
wollten durchaus wiſſen , was auf dem Papier ſtaͤnde , wo-
zu der Padiſchah das brauchte , da er ja ſchon hier gewe-
ſen , ob ich nicht tuͤrkiſch ſpraͤche , oder wenigſtens roͤmiſch
( naͤmlich griechiſch ) . Da meine Bedeckungstruppe dies ver-
neinte , ſo betrachteten ſie mich wie eine Art Halbwilden ,
mit dem man ſich nur durch Zeichen verſtaͤndigen koͤnne .
Großes Vergnuͤgen machte es ihnen , vielleicht nur , weil es
verboten iſt , wenn man ſie abzeichnete ; nun iſt nichts leich-
ter als das : ein großer weißer Schleier , aus dem zwei ſchwarze
Augen , ein Endchen Naſe und breite zuſammenſtoßende Au-
genbraunen herausſchauen , — haͤtte ich eine Lithographie
davon gehabt , ſo haͤtte ich es jeder Einzelnen als ihr Por-
trait uͤberreichen koͤnnen , und alle wuͤrden es ſehr aͤhnlich
gefunden haben . Etwas zudringlicher als die Tuͤrken , wa-
ren die Griechen und Juden , aber ein bloßes „ Jassak
dir “ — es iſt verboten — von meinem Tſchauſch war ge-
nug , um ſie wie einen Schwarm von Sperlingen zu ver-
ſcheuchen .
Jn der letzten Zeit freilich mußte ich das Terrain un-
ter dem Schnee hervorſuchen , aber außerordentlich bleibt
es immer , bis Anfang Januars ſo ununterbrochen ſchoͤ-
nes warmes Wetter gehabt zu haben , daß man mit dem
Meßtiſch im Freien arbeiten konnte . Jetzt brechen die Fruͤh-
lingsſtuͤrme uͤber uns herein , der Weißdorn , der Kirſch-
und Mandelbaum ſteht in Bluͤthe , die Krokos und Pri-
meln draͤngen ſich aus der Erde hervor , und ich wuͤrde
Dir gern ein Konſtantinopolitaniſches Veilchen ſchicken , wenn
ſelbiges nicht an der Grenze von Kaiſerlich Koͤniglichen Sa-
nitaͤtsbehoͤrden als peſtfangender Gegenſtand inhaftirt wer-
den wuͤrde . Da gegenwaͤrtig die Peſt beinahe erloſchen ,
oder die Gefahr doch nicht groͤßer iſt , als die , in welcher
jeder Menſch jeden Tag ſchwebt , muß ich Dir doch ganz
aufrichtig uͤber dieſen Gegenſtand ein paar Worte ſchreiben ,
damit Du Dir keine unnoͤthige Sorge machſt , denn man
fuͤrchtet am meiſten die Gefahr , die man nicht kennt , weil
man ſie uͤberſchaͤtzt .
Ob die Peſt aus Egypten oder aus Trebiſond koͤmmt ,
oder wie ſie und wo ſie ſonſt entſteht , daruͤber will ich Dir
nichts ſagen , weil ich und weil kein Menſch das weiß .
Die Peſt iſt ein noch unerklaͤrtes Geheimniß ; ſie iſt das
Raͤthſel der Sphinx , welches dem das Leben koſtet , der ſich
an die Loͤſung wagt , ohne ſie zu finden . So ging es mit
den franzoͤſiſchen Aerzten bei der Armee Napoleons in Egyp-
ten , ſo ging es unlaͤngſt einem jungen deutſchen Arzt , der
ſich hier dreißig Tage lang den erdenklichſten Proben aus-
ſetzte , endlich in ein tuͤrkiſches Dampfbad ging , ſich zu
einem Peſtkranken legte und binnen vier und zwanzig Stun-
den todt war .
Es iſt ſehr wahrſcheinlich , daß alle die großen eng-
gebauten Staͤdte des Orients innerhalb gewiſſer Breiten-
grade die wahren Herde der Peſt ſind . Die Krankheit ver-
traͤgt ſich aber weder mit einer ſehr großen Hitze , noch mit
ſtrenger Kaͤlte . Sie iſt faſt nie in Perſien geweſen , und
wie ſehr ſie an der Muͤndung des Nil gewuͤthet , ſo iſt ſie
doch niemals bis uͤber die Cataracten dieſes Stroms hin-
aufgeſtiegen .
Ebenſo kann die Peſt in Europa wohl eingeſchleppt
werden , nicht aber , wie eine hundertjaͤhrige Erfahrung ſeit
Errichtung der Quarantainen dies beweiſt , ſich dort erzeu-
gen . Es iſt ferner wohl außer Zweifel , daß das Uebel
durch Beruͤhrung ſich mittheilt , und viele , welche dies be-
ſtreiten , wuͤrden ſich gewiß ſehr bedenken , einen Peſtkran-
ken anzuruͤhren . Aber die Krankheit iſt nur bis zu einem
gewiſſen , ſehr beſchraͤnkten Grade anſteckend . Selbſt das
ungluͤckliche Beiſpiel , von welchem ich eben ſprach , beweiſet
dies . Jm Peſt-Hoſpital der Franken zu Pera lebt ſeit
einer Reihe von Jahren ein katholiſcher Prieſter , welcher
den Erkrankten nicht nur den geiſtlichen Beiſtand leiſtet ,
ſondern ſie anfaßt , umkleidet , pflegt und begraͤbt . Dieſer
8
brave Mann iſt dick und fett , und ich geſtehe , daß ſeine
muthige , wahrhaft religioͤſe Ergebung mir heldenmuͤthiger
ſcheint , als ſo manche gefeierte Waffenthat . Der Prieſter
glaubt , in fruͤher Jugend die Peſt gehabt zu haben , aber
es iſt erwieſen , daß das nicht gegen neue Erkrankung ſchuͤtzt .
Gewiß bedarf es einigermaßen fortgeſetzter Beruͤhrung auf
der erwaͤrmten Haut und dabei noch einer Praͤdispoſition
des ganzen Koͤrpers , um von dem Uebel erfaßt zu werden ,
und deshalb ſind die Sachen gefaͤhrlicher , als die Men-
ſchen . Die mehrſten Faͤlle entſtehen aus gekauften Gegen-
ſtaͤnden , alten Kleidern und baumwollenen Waaren , welche
die Juden umhertragen . Es gehoͤrt gewiß eine beſondere
Concurrenz von ungluͤcklichen Umſtaͤnden dazu , um durch
bloßes Begegnen eines Kranken angeſteckt zu werden . Waͤh-
rend der diesjaͤhrigen Peſt , der heftigſten , die ſeit einem
Viertel-Jahrhundert hier gewuͤthet , bin ich ganze Tage in
den engſten Winkeln der Stadt und der Vorſtaͤdte umher-
gegangen , bin in die Spitaͤler ſelbſt eingetreten , gewoͤhnlich
umgeben von Neugierigen , bin Todten und Sterbenden be-
gegnet , und lebe der Ueberzeugung , mich einer ſehr gerin-
gen Gefahr ausgeſetzt zu haben . Das große Arcanum iſt
Reinlichkeit ; ſobald ich zu Hauſe kam , wechſelte ich von
Kopf bis zu Fuß Waͤſche und Kleider , und letztere blieben
die Nacht durch im offenen Fenſter aufgehaͤngt . Wie ſehr
uͤberhaupt die einfachſte Vorſicht ſchuͤtzt , dies beweiſt die
geringe Zahl von Opfern , welche die Peſt unter der fraͤn-
kiſchen Bevoͤlkerung dahin rafft , indeß die Tuͤrken und die
Rajahs zu Tauſenden ſterben . Trotz der großen Verbrei-
tung und Boͤsartigkeit der diesjaͤhrigen Peſt , die ſeit 1812
ihres Gleichen nicht gehabt hat , ſind etwa acht oder zwoͤlf
fraͤnkiſche Familien heimgeſucht worden , und dann waren
es faſt immer die Domeſtiken und die Kinder . Seit Jahr-
hunderten , wo die Dragomane taͤglich mit Tuͤrken zu thun
haben , kennt man nur ein Beiſpiel , daß einer die Peſt ge-
habt . Ein Fremder kann es nicht vermeiden , ſich auf den
Divan niederzulaſſen , wo eben ein zerlumpter Derwiſch ge-
ſeſſen , muß aus der Pfeife des Tuͤrken rauchen , welcher
ſeinerſeits keine Art von Vorſichtsmaaßregeln nimmt , und
bleibt in hundert Faͤllen neun und neunzig Mal geſund .
Wird aber einmal ein Franke getroffen , ſo macht das mehr
Laͤrm , als wenn hundert Tuͤrken ihrem Kismeth oder Schick-
ſal unterliegen . Wo die Krankheit ſich einmal manifeſtirt
hat , da muͤſſen allerdings die ernſthafteſten Vorkehrungen
getroffen werden ; alle Kleider , Betten und Teppiche muͤſ-
ſen gewaſchen , alle Papiere durchraͤuchert , die Waͤnde ge-
weißt , die Dielen geſcheuert werden . Was das aber in
einem großen Hausſtande ſagen will , kannſt Du Dir vor-
ſtellen ; wer „ compromittirt “ iſt , der iſt ſo ſchlimm daran ,
als waͤre er abgebrannt .
Bei den Tuͤrken ſieht nun das Ding ganz anders aus ,
da fragt ſich 's nicht , ob man die Peſt bekoͤmmt , wenn man
Jemand anruͤhrt , ſondern ob uͤberhaupt menſchliche Vor-
ſicht irgend einem irdiſchen Uebel vorbeugen koͤnne . Es
iſt bewundernswuͤrdig , wie feſt ſie vom Gegentheil uͤber-
zeugt ſind .
Jn einer Batterie , nicht weit von hier , hatte man ein
Hoſpital fuͤr Peſtkranke eingerichtet ; faſt zwei Drittel des
Bataillons der Beſatzung ſind geſtorben . Mehr als ein-
mal begegnete ich den Soldaten , welche ſo eben einen Ka-
meraden eingeſcharrt , das Leichentuch uͤber die Schulter ge-
ſchlagen , harmlos ſingend nach Hauſe ſchlenderten . Dort
theilten ſie die Erbſchaft des Verblichenen unter ſich und
waren ſehr vergnuͤgt uͤber eine Jacke oder eine Paar Bein-
kleider , die ihnen mit groͤßter Wahrſcheinlichkeit binnen drei
mal vier und zwanzig Stunden den Tod brachten . Die
furchtbare Sterblichkeit , die taͤglich ſich erneuernden Bei-
ſpiele , die offen daliegenden Beweiſe der Anſteckung , nichts
entreißt dieſen Leuten ihren Glauben : „ Aallah kerim “ —
Gott iſt barmherzig — und dem Kismeth iſt nicht zu ent-
gehen . Der Bimbaſchi des Bataillons , durch den Verkehr
mit den Gjaurs verdorben , hatte allerlei Vorſichtsmaaßregeln
eingefuͤhrt . Die Soldaten fuͤgten ſich mit dem aͤußerſten
Widerwillen , und man begnuͤgte ſich bald damit , einen Vers
aus dem Koran an die Thuͤr der Kaſerne zu nageln .
Mahomed hatte gewiß nicht Unrecht , als er , indem er
verzweifelte , ſeine Landsleute vor der fuͤrchterlichen Seuche
zu bewahren , ihnen eine ſolche Verachtung gegen dieſelbe
einfloͤßte . Dem Moslem iſt die Peſt nicht eine Heimſuchung ,
ſondern eine Gnade Gottes , und die daran ſterben , ſind
ausdruͤcklich vom Koran als Maͤrtyrer bezeichnet . Die Furcht
vor der Peſt und alle Maaßregeln ſind daher nicht nur uͤber-
fluͤſſig , ſondern auch ſuͤndlich . „ Weshalb “ , ſagte der Mol-
lah letzt im Kaffeehauſe zu Bujukdere ſeinem baͤrtigen Au-
ditorium , „ weshalb ſind ſo viele Soldaten umgekommen ?
Weil man allerlei thoͤrichte Vorkehrungen getroffen ; aber
ihr , die ihr die Peſt nicht fuͤrchtet , und keine , auch nicht
die mindeſte Vorſicht gebrauchtet , ſeid ihr an der Peſt ge-
ſtorben ? “ Die Peſt wird beſtehen , ſo lange es Ulema's
giebt , und eine blutige Reaction muß ſtattfinden , ehe man
an Sanitaͤts-Polizei denken kann .
Bei dieſem Fatalismus ſind die Tuͤrken tolerant gegen
uns , wie man es nur bei der geiſtigen Ueberlegenheit ſein
kann , die eine unerſchuͤtterliche Ueberzeugung gewaͤhrt . —
„ Komm ihm nicht nah , er fuͤrchtet ſich , “ ſagt der Tuͤrke
mit aller Gutmuͤthigkeit und ohne Spott , hoͤchſtens mit
einem bischen Mitleid . Die Hamal oder Laſttraͤger tragen
die Kranken auf ihrem Ruͤcken in die Spitaͤler , und die
Todten aus den Spitaͤlern in die Grube , in die ſie ohne
Sarg hineingelegt werden ; dann ſchuͤttet man hoͤchſtens
zwei Fuß Erde uͤber den Leichnam , und der Muezim ruft
dreimal den Namen des Todten , oder wenn er ihn nicht
kennt , Sohn des Adam , und ermahnt ihn , geradesweges
ins Paradies zu gehen . Zuweilen ſcharren die Hunde des
Nachts den Leichnam wieder aus . Die Begraͤbnißplaͤtze
ſehen aus wie friſch geackertes Feld .
Auf dieſe Weiſe begreift ſich , daß die einmal angezuͤn-
dete Flamme lange fortbrennen muß , und faſt nur aus
Mangel an Nahrung erliſcht . Die Angabe der Zeitungen ,
daß z. B. in einer Woche 9000 Menſchen ſtarben , wider-
legt ſich durch ihre eigene Uebertreibung . Nach dem , was
ich aus officiellen Rapporten der Spitaͤler auf dem Seras-
keriat zu ſehen Gelegenheit gehabt habe , ſcheint mir die Zahl
der in der letzten Peſt in Konſtantinopel und den Vorſtaͤd-
ten Geſtorbenen nicht unter zwanzig- und nicht uͤber drei-
ßigtauſend zu betragen . Die Peſt hat in großer Staͤrke
vier bis fuͤnf Monate gedauert ; rechnet man die Bevoͤl-
kerung zu 500,000 Koͤpfen , ſo iſt ein Zwanzigtheil derſel-
ben unterlegen . Wenn die Seuche eine Jahr ſo fortgewuͤ-
thet , ſo wuͤrde dies allerdings zu 12 Procent heranwachſen ,
und wenn es immer ſo fortginge , die mittlere Lebensdauer
ſich auf acht bis neun Jahre ſtelle , d. h. die Bevoͤlkerung
wuͤrde erloͤſchen . Das iſt nun aber nicht zu befuͤrchten ,
denn ſelten dauert eine ſtarke Peſt ſo lange wie dieſe , und
dann pflegt nach ſo heftigen Ausbruͤchen ein paar Jahre
ganz Ruhe zu ſein .
Eine eigenthuͤmliche Erſcheinung iſt auch die , daß nach
Verhaͤltniß viel mehr Tuͤrken als Franken angeſteckt werden ,
von den Erkrankten aber zehnmal weniger Franken als Tuͤr-
ken geneſen . Der Grund kann nur ein pſychiſcher ſein ;
der Tuͤrke ergiebt ſich geduldig darein , wenn er die Peſt be-
koͤmmt , und ſo lange er ſie nicht hat , ſucht er ſie gaͤnzlich
zu ignorieren ; er ſpricht den Namen „ Dſchimudſchak “ nicht
aus , ſondern ſagt hoͤchſtens „ Haſtalyk “ — die Krankheit —
denn das Uebel bei ſeinem Namen nennen , heißt es herbei
rufen . Wenn Du uͤbrigens heute einen Tuͤrken fragſt , ob
waͤhrend der letzten drei Monate in Konſtantinopel die Peſt
geweſen , ſo zieht er die breiten Augenbraunen in die Hoͤhe
und ſchnalzt mit der Zunge , was auf deutſch heißt : „ Gott
bewahre “ . Gewiß iſt , daß die Tuͤrken an die Peſt ſter-
ben , die Franken aber an derſelben leiden . Pera gewaͤhrt
dem , der nicht ſchon an dieſen Anblick gewoͤhnt iſt , ein fin-
ſteres Gemaͤlde ; ehe man hineintritt , ſieht man rechts und
links an den Bergen elende bretterne Huͤtten und Zelte , zer-
lumpte Geſtalten , abgezehrte , kranke Geſichter und ſchreiende
Kinder . Das ſind die Familien , denen die Peſt den Haus-
vater , die Mutter oder den Ernaͤhrer entriſſen , und die
hier Quarantaine machen , waͤhrend ihre Habe gereinigt
wird . Die Griechen unterlaſſen oft die Reinigung ganz ,
und hoffen , wenn ſie nur vierzig Tage lang ſich allem
Elend und der rauhen Jahreszeit im Zelte ausgeſetzt ha-
ben , daß die Panajeia oder ſchuͤtzende Mutter Gottes ſich
ihrer wohl erbarmen werde . Sie kehren zuruͤck in ihr Haus
und neue Erkrankungen erfolgen faſt unausbleiblich . Jn
den Gaſſen ſelbſt ſchleichen die Franken in ſchwarzen Wachs-
tafft-Maͤnteln ſchauerlichen Anblicks umher ; aͤngſtlich ſucht
einer dem andern auszuweichen , was aber in den ſchmalen
Straßen gar nicht moͤglich iſt . Ploͤtzlich biegt ein Leichen-
zug um die Ecke ; Freunde und Verwandte haben den Ver-
ſtorbenen verlaſſen , wenn es ein Franke war , und nur der
Prieſter mit einem langen ſchwarzen Stab ſchreitet voran ,
um die Begegnenden zu warnen . Jſt es aber ein Mos-
lem , ſo draͤngen ſich ſelbſt Unbekannte heran , ihn eine Strecke
zu tragen ; denn ſo viele Schritte der Rechtglaͤubige den Hin-
geſchiedenen begleitet , ſo viel Schritte naͤher iſt er dem Pa-
radieſe . Begegnet man einem Bekannten , ſo iſt das große
Thema : „ Wie ſind die Nachrichten von der Peſt , wie viele
Erkrankungen haben in der letzten Woche ſtatt gefunden ? “
Jm Jnnern der Familien herrſcht uͤberall Beſtuͤrzung , und
am ſchlimmſten ſind die armen Frauen daran , die gerade
am wenigſten exponirt ſind , wie denn ſo oft die Beſorgniß
in dem Grade zunimmt , als man weniger zu fuͤrchten hat .
Nun kann man ſich abſolut nie abſperren , und wenn man
den Gedanken ausſpinnt , ſo findet man die Moͤglichkeit einer
Anſteckung uͤberall und immer . Alle Haͤuſer ſind verſchloſ-
ſen wie Feſtungen , und ein Beſuch , den man macht , ver-
ſetzt die ganze Familie in Angſt . Man ſperrt Dich zuerſt
in einen Raͤucherkaſten ein , dann trittſt Du in einen Saal
ohne Sopha , ohne Teppich oder Gardinen , nur mit Rohr-
ſtuͤhlen , hoͤlzernen Tiſchen mit wachsleinenen Ueberzuͤgen ,
Stoffe , welche man fuͤr nicht peſtfangend haͤlt . Du haſt
vielleicht einen Empfehlungsbrief ; er wird Dir mit der Feuer-
zange abgenommen , ſorgfaͤltig durchraͤuchert und mit Miß-
trauen geoͤffnet . Du glaubſt , jetzt wird der Hausherr Dir
die Hand zum Willkommen reichen , aber er darf Dich nicht
anruͤhren ; Du faͤngſt ein Geſpraͤch an , es fuͤhrt augenblick-
lich auf die Peſt ; Du hoffſt auf eine Partie Whiſt , aber
vergebens , die Karten gehen ja von Hand zu Hand ; die
Frau vom Hauſe verliert ihr Schnupftuch , Du hebſt es
auf , das Aergſte , was Du thun kannſt , denn nun muß es
erſt gewaſchen werden , ehe ſie es wieder anfaſſen kann .
An Theater , an Baͤlle , Geſellſchaften , an Clubbs , Leſezirkel ,
Diligencen , kurz an irgend welche Art von Zuſammenkuͤnften
iſt nicht zu denken . So iſt die Phyſiognomie des geſelligen
oder vielmehr des ungeſelligen Lebens in Pera waͤhrend der
Peſt , und ich glaube , daß Du meiner Meinung ſein wirſt ,
daß die Gefahr zwar ſehr viel geringer , die Unannehmlich-
keit aber weit groͤßer iſt , als man es in Laͤndern glaubt ,
die jene Plage nicht kennen .
Jn dieſem Briefe iſt ſo viel von der Peſt die Rede
geweſen , daß ich denke , man wird ihn an der Grenze ganz
beſonders durchraͤuchern muͤſſen .
27.
Ueber Quarantainen in der Tuͤrkei .
Konſtantinopel , den 27. Februar 1837 .
Die furchtbare Peſt , welche in dieſem Augenblick Kon-
ſtantinopel verheert , hat den Wunſch der Regierung erzeugt ,
einem ſo großen Ungluͤck abzuhelfen .
Man hat vorgeſchlagen , die Stadt mit Quarantaine-
Linien zu umgeben , wie die , welche Europa gegen jene Seuche
ſchuͤtzen . Je mehr man indeß uͤber den Gegenſtand nach-
denkt , je weniger kann man ſich der Ueberzeugung entſchla-
gen , daß bloße Quarantainen durchaus unanwendbar , und
daß das Heilmittel ſchlimmer als das Uebel ſelbſt ſein wuͤrde .
Die europaͤiſche Quarantaine ſcheidet Laͤnder , in wel-
chen die Peſt nicht exiſtirt , außer wenn ſie eingeſchleppt
wird , von Laͤndern , wo ſie nie aufhoͤrt oder wo ſie ſich er-
zeugt . Eine mehr als hundertjaͤhrige Erfahrung zeigt , daß
Europa , indem es bis zu einem gewiſſen Grade den Ver-
kehr mit dem Orient beſchraͤnkt , von der Plage frei bleibt ;
in der Tuͤrkei zeigt ſie ſich an tauſend verſchiedenen Orten .
Die Witterung , große Kaͤlte und große Hitze , ſelbſt der
abnehmende Mond und wahrſcheinlich Urſachen , die gar
noch nicht ermittelt ſind , erſticken zuweilen die Flamme ,
aber ſie glimmt unter der Aſche fort und lodert ſtets wie-
der auf , ſei es in Trapezunt oder Kairo , in Adrianopel
oder Alexandrien , in Salonichi , Bruſſa , Ruſtſchuk , Smyrna
oder Konſtantinopel , denn eben die großen Staͤdte ſind der
wahre Herd des Uebels .
Nehmen wir nun einen Augenblick an , daß man Konſtan-
tinopel mit Quarantainen in den Dardanellen und am Bos-
phor , zu Kutſchuk-Tſchekmedſche und Nicomedien , zu Waſ-
ſer und zu Lande umſtellt habe , ſetzen wir voraus , daß der
Dienſt ſtreng gehandhabt werde , die Beamten unbeſtechlich
ſeien , und geben wir zu , daß die Hauptſtadt vollkommen
gegen Egypten und das Schwarze Meer , gegen Rumelien
und Anadoli geſichert ſei — wie wird man nach alle dem
Konſtantinopel gegen die Peſt ſchuͤtzen , welche ſich in ihrem
eigenen Jnnern erzeugt ; wie ſoll das Fanal gegen die Peſt
von Ejub , Tophane gegen das Arſenal , Pera gegen Scu-
tari bewahrt werden ? Und wenn nun die Peſt in Konſtan-
tinopel herrſcht , waͤhrend Bruſſa und Adrianopel frei ſind ,
muͤßte man dann nicht die Quarantainen umdrehen und
die Blokade der Hauptſtadt ausſprechen ?
Wenn von zwei Maͤnnern der Eine mit einer anſtecken-
den Krankheit behaftet iſt , ſo kann der Andere ſagen : um
meiner Sicherheit willen breche ich den Umgang mit dir ab .
Kann aber der Kranke ſagen : ich will , daß mein Haupt
kuͤnftig keinen Verkehr mit meinen Gliedern habe ? Eben
ſo wenig kann man die Hauptſtadt eines Reichs vom Reiche
ſelbſt ſcheiden .
Die Quarantainen werden die Peſt nicht erſticken , ſie
werden aber ein anderes , ſehr großes Uebel herbeifuͤhren .
Eine Stadt , die mehr als eine halbe Million Einwohner
umfaßt , bedarf natuͤrlich einer ungeheueren Zufuhr ; unter-
werft ihr dieſe einer noch ſo kurzen Quarantaine , ſo wer-
den die Preiſe augenblicklich ſteigen , nicht nur die der Baum-
wolle , der Seide und der Fabrikate , ſondern auch die des
Brennholzes , des Korns , des Oels und des Salzes ; denn
obgleich dieſe Dinge ſelbſt der Anſteckung nicht unterwor-
fen , ſo ſind es doch die Schiffe , die Wagen und die Men-
ſchen , welche ſie herbeifuͤhren . Wenn ihr den Kaufmann
noͤthigt , acht oder vierzehn Tage laͤnger unterweges zu ſein ,
ſo kann er euch ſeine Waaren nicht mehr fuͤr dieſelbe Summe
laſſen , und eben ſo wenig eure Erzeugniſſe zu derſelben Summe
annehmen . Alles , was ihr braucht , wird theurer werden ;
was ihr abgeben koͤnnt , im Preiſe ſinken . Die Quaran-
taine wird koſtbar , nicht nur , weil man Haͤuſer errichten ,
Beamte und Wachen beſolden muß , ſondern weil ſie einer
Steuer gleichzuſetzen iſt , welche auf die unentbehrlichſten
Beduͤrfniſſe geſchlagen , und weſentlich von der unterſten
Volksklaſſe getragen werden wird .
Das Mittel der Quarantaine iſt nicht ausreichend ,
es iſt nachtheilig und zugleich unausfuͤhrbar . Man
kann das Jntereſſe des Landes nicht dem Jntereſſe der
Stadt opfern , ohne das lebhafteſte Mißvergnuͤgen zu wek-
ken , und in keinem Staat kann man weniger , als in die-
ſem , die Hauptſtadt von der Provinz trennen . Die Qua-
rantaine iſt nirgends ein Heilmittel , ſondern nur eine Vor-
kehr gegen die Peſt , und dieſe Vorkehr iſt auf die Tuͤrkei
nicht anwendbar . Hier muß man bis zu dem Urſprunge
des Uebels hinaufſteigen , um ſeine Quelle zu verſtopfen .
Nach meiner Ueberzeugung kann das Ziel nur durch
eine wohleingerichtete und ſtreng gehandhabte Geſundheits-
polizei erreicht werden . Jndem ich dieſe Maaßregel vor-
ſchlage , verkenne ich keinesweges die großen Schwierigkei-
ten , die ihrer Ausfuͤhrung da entgegenſtehen , wo Religion
und Sitte jeder Neuerung und jeder Einmiſchung in haͤus-
liche Angelegenheiten ſo ſehr widerſtreben . Auch kann man
dabei nur mit großer Vorſicht und allmaͤhlig fortſchreitend
zu Werke gehen . Ein erſter Verſuch muͤßte zu Konſtanti-
nopel ſelbſt , unter den Augen der Regierung , zu einer Zeit
gemacht werden , wo man von der Peſt ſagt , daß ſie auf-
gehoͤrt habe , obwohl ſie eigentlich nur im Verborgenen fort-
beſteht .
Man muͤßte damit anfangen , Spitaͤler fuͤr die Kran-
ken , und Wohnungen fuͤr die Familien einzurichten , deren
einzelne Glieder angeſteckt und wo deshalb fernere Erkran-
kungen wahrſcheinlich geworden ſind . Die ungeheueren
Kaſernen von Daud-Paſcha und Ramis-Tſchiftlik , welche
jetzt leer ſtehen , koͤnnten viele Tauſende dieſer Ungluͤcklichen
aufnehmen , welche jetzt unter Zelten und Schuppen mit
Kaͤlte und Nahrungsſorgen kaͤmpfen . Jhr Elend , indem
es den Keim der Krankheit fortpflanzt und ihre Verhee-
rungen vermehrt , verleitet die Familien , lieber die Peſtfaͤlle
zu verheimlichen , als ſich ſo großen Entbehrungen auszu-
ſetzen .
Es iſt hoͤchſt wichtig , der Bevoͤlkerung die Wohlthaten
der neuen Jnſtitutionen recht anſchaulich zu machen . Zu
Anfang kann man es Jedem freiſtellen , ob er den Beiſtand
benutzen will , welchen die Regierung ihm bietet . Aber die
Familie , welche der Behoͤrde einen Peſtfall anzeigt , muß
ſogleich aufgenommen , verpflegt und ernaͤhrt , ihre Woh-
nung und ihre Kleider gereinigt werden , ohne daß ihr Ko-
ſten daraus erwachſen . Die Unbemittelten muͤßten , nach-
dem die geſetzlich feſtzuſtellende Reinigungszeit beendet , mit
einer kleinen Unterſtuͤtzung entlaſſen werden . Solche Vor-
theile werden bald , wenigſtens einem Theile , der Bevoͤlke-
rung die Augen oͤffnen , und nun kann man befehlen , daß
jeder Hausvater bei Strafe einen Peſtfall in ſeiner Familie
oder in ſeiner Nachbarſchaft der Behoͤrde anzeigen muß .
Gegen Widerſpenſtige kann dann mit Gewalt verfahren
werden .
Jn jedem Stadtviertel muß ein Ausſchuß aus den an-
geſehenſten und einflußreichſten Bewohnern , alſo namentlich
aus den Ulema's gebildet werden . Unter ihnen ſtehen die
Aerzte und eine Zahl von gut beſoldeten Beamten ( Maͤn-
ner und Frauen ) . Auf die erſte Nachricht von einem Peſt-
fall verfuͤgen ſie ſich an Ort und Stelle , um den Erkrank-
ten in das Spital zu bringen , ſeine Angehoͤrigen außer Ver-
kehr mit ihm wie mit dem Reſt der Bevoͤlkerung zu ſetzen ,
und um Kleider , Geraͤthe und Haus zu reinigen . Alle
dieſe Gegenſtaͤnde bleiben unter der Obhut des Ausſchuſſes
und werden dem Geneſenen oder den Erben des Verſtor-
benen wieder zugeſtellt .
Wenn eine ſolche Geſundheitspolizei in Konſtantinopel
in volle Wirkſamkeit getreten , ſo wuͤrde wahrſcheinlich eine
Hauptquelle der Peſt verſtopft ſein . Herrſcht nun , ehe
man dieſelbe Maaßregel auf die uͤbrigen großen Staͤdte aus-
dehnen koͤnnte , eine ſtarke Seuche , z. B. in Adrianopel ,
Trapezunt oder in Egypten , ſo waͤre es unſtreitig ſehr ver-
nuͤnftig , eine proviſoriſche Abſperrung gegen dieſe Plaͤtze
zu verhaͤngen . Nur darf man von der Abſperrung an ſich
nicht die gruͤndliche Heilung des Uebels erwarten ; dieſe ,
ich wiederhole es , kann nur die Frucht der Wachſamkeit ,
Thaͤtigkeit und Gewiſſenhaftigkeit einer kraͤftigen Geſund-
heitspolizei in allen großen Staͤdten des Reichs ſein .
Daß die Durchfuͤhrung dieſer Maaßregel bedeutende Aus-
lagen der Regierung erfordert , iſt unbezweifelt , — aber wuͤr-
den die Quarantainen weniger koſten ? Und wie reichlich
muͤſſen jene Auslagen ſich erſetzen ! Wenn die Peſt im os-
maniſchen Reich erliſcht , werden die Quarantainen in Eu-
ropa verſchwinden ; dadurch ruͤcken die Haͤfen des Orients
um 14 bis 40 Tagereiſen naͤher an Europa , Amerika und
Jndien heran . Alle Reiſen werden kuͤrzer , die perſoͤnliche
Gefahr und die großen Koſten , welche ein Peſtfall an Bord
verurſacht , verſchwinden und die Aſſecuranz wird minder
hoch . Als unmittelbare Folge davon werden alle Ausfuhr-
gegenſtaͤnde der Tuͤrkei , Oel , Seide , Baumwolle , Fruͤchte ,
Wein , Faͤrbeſtoffe , Kupfer , Teppiche , Marokins , lebhafter
geſucht und ihre Beduͤrfniſſe an Fabrikaten wohlfeiler werden .
Der Handel von Jndien , Perſien und China durchzog
vormals die Laͤnder , welche jetzt das Gebiet des osmani-
ſchen Reichs ausmachen , Mangel an Sicherheit noͤthigte
ihn , auf einem unermeßlichen Umweg um den halben Erd-
ball eine neue Bahn zu ſuchen . Heute , nachdem Sultan
Mahmud Ordnung und Sicherheit des Eigenthums in
ſeinem Reiche hergeſtellt , trachtet jener wichtige Handel ,
die urſpruͤngliche kuͤrzere Verbindung wiederzugewinnen , aus
welcher dem Lande noch viel weſentlichere Vortheile erwach-
ſen muͤſſen , ſobald das Hemmniß der Quarantainen und
der Peſt aufhoͤrt . Dann werden die Capitalien der reich-
ſten Laͤnder nach der Tuͤrkei fließen , wo noch ſo Vieles zu
ſchaffen iſt . Fabriken und Manufakturen werden die rohen
Erzeugniſſe im Lande ſelbſt verwerthen , dem Ackerbau auf-
helfen und die Staͤdte aufs Neue emporbluͤhen laſſen . Das
Aufhoͤren der Peſt wuͤrde eine ſehr bedeutende Zunahme der
Bevoͤlkerung zur Folge haben , Landbau und Betriebſamkeit
gewoͤnnen die Arme , deren ſie ſo ſehr entbehren , und der
Erſatz des Heeres wuͤrde kuͤnftig um ſo leichter zu beſchaf-
fen ſein , als die Peſt jetzt eben unter den Truppen ihre
furchtbarſte Verheerung anrichtet .
Die Beherrſcher dieſes Reichs haben Schlachten ge-
wonnen und Laͤnder erobert , ſie haben Waſſerleitungen und
Moſcheen erbaut , Schulen und Spitaͤler gegruͤndet , welche
ihre Namen der Nachwelt uͤberlieferten ; aber der , welcher
ſein Volk von der Geißel der Peſt befreite , wuͤrde den Dank
der ganzen Menſchheit erwerben und ſein Andenken wuͤrde
den Ruhm ſeiner Vorfahren uͤberſtrahlen .
28.
Reiſe des Großherrn .
Varna , den 2. Mai 1837 .
Jch ſchrieb Dir im vorigen Monat , daß ich vom Groß-
herrn den Befehl erhalten , ihn auf einer Reiſe durch Bul-
garien und Rumelien zu begleiten . Heute benutze ich die
erſte freie Stunde , um Dir einige Nachricht uͤber dieſe
Reiſe zu geben , und obgleich ich meinen Brief fuͤrerſt nicht
abſenden kann , ſo will ich doch wenigſtens fertig ſein , um
die erſte Gelegenheit zu benutzen , mit der es geſchehen kann .
Am 24. April , 10¼ Uhr Vormittags hatte die Eschref
Saat oder die gluͤckliche Stunde fuͤr den Antritt der Reiſe
Sr. Hoheit des Großherrn geſchlagen ; die Gelehrten hat-
ten dieſe Stunde richtig genug beſtimmt , denn das regnichte
Wetter der letzten Tage war durch den heiterſten Himmel
erſetzt , und der Suͤdwind , den wir fuͤr unſere Fregatte noͤ-
thig hatten , blies friſch von den aſiatiſchen Bergen herun-
ter . Jch hatte mich ſchon Abends zuvor an Bord der
„ Rusrethieh “ oder „ Siegreichen “ begeben , welche den Ka-
nal bis Bujukdere hinaufgegangen war . Um nicht als
Franke in der Umgebung des Sultans anſtoͤßig aufzufal-
len , hatte ich die rothe Muͤtze und einen tuͤrkiſchen Anzug
angelegt , welchen der Großherr mir zugeſchickt .
Um Mittag ſahen wir das gruͤne Kaik des Sultans
mit ſeinen vierzehn Paar Ruderern ſchnell wie einen Delphin
heranſchießen ; die Marineſoldaten traten unters Gewehr ;
die Muſik ſpielte . Die Anker waren faſt gelichtet , die See-
gel halb entfaltet . Se. Hoheit trugen eine ſcharlachrothe
Huſaren-Uniform mit goldenen Schnuͤren , den rothen Feß ,
weiße Beinkleider mit Goldtreſſen , und ſchwarze Sammet-
ſtiefeln . Sein Gefolge trug blaue Huſaren-Uniformen .
Man hatte mir meinen Platz in der Parade zwiſchen den
Paſcha's und den Oberſten angewieſen , wo ich mit den
Uebrigen mein Taminah oder den Gruß mit der Hand zur
Erde , auf die Bruſt und Stirn machte . Se. Hoheit ſchickte
den Capudan-Paſcha ab , um mir ſagen zu laſſen , „ daß
das Wetter gut ſei “ — und dieſer brachte gluͤcklich „ par-
faitement bon le temps “ heraus . Dies war eine beſon-
dere Gnade und Auszeichnung , welche ſpaͤter noch erhoͤht
wurde , als der Kaiſer die Bemerkung machte , daß mein
rother Feß ſehr kleidſam ſei , eine Behauptung , mit der ich
bisher durchaus nicht einverſtanden war .
Jetzt hallten die ſteilen Bergwaͤnde des Bosphorus
von dem Donner der Geſchuͤtze unſerer Fregatte und der
Batterien am Ufer wieder . Die maͤchtigen Seegel entfalte-
ten ſich , und mit immer zunehmender Schnelligkeit ging 's
hinaus in den gefuͤrchteten Euxin . Die Nusrethieh fuͤhrt
68 Geſchuͤtze , und iſt vielleicht die ſchoͤnſte und groͤßte jetzt
exiſtirende Fregatte . Bald ließen wir nicht nur die Leucht-
thuͤrme an der gefahrvollen Muͤndung des Bosphorus , ſon-
dern auch die beiden vortrefflichen oͤſterreichiſchen Dampf-
ſchiffe , die uns begleiten ſollten , hinter uns , und gegen
Abend ſah man in der Ferne nur noch ihre Rauchſtreifen
aufſteigen . Die Reiſe mit einem großen Kriegsſchiffe bie-
tet ſchon an ſich Abwechſelung genug dar , am Bord eines
tuͤrkiſchen Fahreugs kommt der Reiz des orientaliſchen
Gepraͤges noch dazu . Um die zweite Stunde rief der Jman
vom Maſtkorb herunter die Glaͤubigen zum Gebet . Alles ,
was nicht im Dienſte war , ging auf die erſte Batterie ,
welche , beilaͤufig geſagt , 40 Fuß breit , 100 Fuß lang , einen
der ſchoͤnſten Salons bildet , die man ſehen kann , nur ſehr
niedrig und mit dem ungewoͤhnlichen Ameublement von 34
Vierzigpfuͤndern und einer betraͤchtlichen Anzahl von Ge-
wehren und Piſtolen , Beilen , Partiſanen ꝛc.
Einen Tuͤrken beten zu ſehen , iſt mir immer ein Ver-
gnuͤgen geweſen . Die Sammlung des Mannes iſt wenig-
ſtens anſcheinend ſo groß , daß man hinter ihm eine Ka-
none loͤſen moͤchte , um zu ſehen , ob er um ſich blicken
wuͤrde . Nachdem der Glaͤubige Haͤnde und Fuͤße gewa-
ſchen , ſeine Richtung nach Mekka genommen , wozu einige
einen kleinen Compaß an dem Knopf ihres Dolches fuͤhren ,
ſchließt er einen Augenblick ſeine Ohren mit den Haͤnden ,
und ſpricht dann mit bewegten Lippen aber lautlos ſeinen
Vers aus dem Koran ; darauf verbeugt er ſich , faͤllt auf
beide Kniee und beruͤhrt die Erde mehrmals mit der Stirn .
Hierauf erhebt ſich der Moslem , haͤlt beide Haͤnde vor ſich ,
wie wenn er ein großes Buch truͤge , wirft ſich abermals
nieder , erhebt ſich und faͤhrt endlich mit beiden Haͤnden
uͤber das Geſicht , als ob er es in die alten Falten bringen
und jeden Schein von frommer Schaulegung verwiſchen
wollte . Er macht eine kleine Verbeugung zu beiden Sei-
ten gegen die zwei Engel , die neben jedem Betenden ſtehen ,
und iſt fertig .
Schon gegen Abend hatten wir faſt den halben Weg
zuruͤckgelegt , als ploͤtzlich eine kleine Buraska aus Norden
kam . Da ich gar nichts vom Seeweſen verſtehe , ſo er-
laube ich mir auch kein Urtheil uͤber das Getuͤmmel von
ſchreienden Menſchen und flatternden Seegeln , doch habe
ich einen ſtarken Verdacht , daß unſere Manoͤver nicht durch-
aus ſchulgerecht waren . Saͤmmtliche Matroſen waren jun-
ges Volk und hatten zum Theil noch nie eine Reiſe ge-
macht , und ſelbſt der Großadmiral , ein trefflicher , braver
Mann , hat nur inſofern ſeine Carriere in der Marine ge-
macht , als er , bevor er Paſcha wurde , ein Kaik im Hafen
von Konſtantinopel ruderte .
Bald eilten indeß die Dampfſchiffe herbei , nahmen uns
unter beide Arme und brachten uns gluͤcklich in den Hafen
von Varna . Der Moment des Ausſchiffens gewaͤhrte einen
ſchoͤnen Anblick . Sobald der Großherr ſich in ſein Kaik
begeben hatte , feuerte die Batterie der Feſtung und der
Fregatte ; bunte Wimpel wehten von allen Maſten , und die
Schiffsmannſchaft in ihrer rothen Uniform paradirte auf
den Raaen des Schiffs bis zur ſchwindelnden Hoͤhe des
Maſtes .
Jch bin im erzbiſchoͤflichen Pallaſt einquartiert , worun-
ter Du Dir eine ſehr beſcheidene Bretterbude vorzuſtellen
haſt . Mein Wirth fuͤhrt , auf Griechiſch , den etwas ſelt-
ſamen Titel : Despot , ein Praͤdikat , welches ſich ſchlecht
mit der tiefgebeugten Stellung und dem Kuͤſſen des Rock-
zipfels eines tuͤrkiſchen Paſcha's vertraͤgt . Der Despot hat
aber einen trefflichen in conspectu Tenedos gewachſenen
Wein , das Eſſen iſt ſchmackhaft und Alles reinlich und gut .
Am Morgen nach unſerer Ankunft ritt der Großherr
mit ſtarkem Gefolge herum , um die Feſtung in Augenſchein
zu nehmen . Jch war ſchon Abends zuvor und in der Fruͤhe
uͤberall geweſen , um Sr. Hoheit Rede und Antwort ſtehen
zu koͤnnen . Er zeigte ſich ſehr wohlwollend und gnaͤdig ,
gab mir aber ſo viel kleine Auftraͤge , daß ich kaum weiß ,
wie ich fertig werden ſoll . Unter andern wuͤnſchte Se .
Hoheit einen Riß von Jhrem Einzuge zu haben , worunter
aber eine perſpectiviſche Zeichnung gemeint iſt . Jch habe
in aller Eile die Umgebung in Blei entworfen und das
Blatt an einen guten Maler nach Konſtantinopel geſchickt ,
der wo moͤglich ein Bild daraus machen ſoll .
Schumla , den 5. Mai 1837 .
Der Großherr verließ Varna den 3. , blieb die Nacht
in einem Dorfe , wo man binnen zwoͤlf Tagen ein Kiosk
fuͤr ihn erbaut und vollſtaͤndig moͤblirt hatte . Er fruͤh-
ſtuͤckte am 4. in einem andern Dorfe , wo ebenfalls ein
Haus fuͤr dieſen viertelſtuͤndigen Aufenthalt aufgefuͤhrt und
eingerichtet war , und traf Mittags hier ein . Jch war
ſchon am 2. in der Nacht vorausgereiſet , um mich vorher
zu orientiren .
Die Empfangsfeierlichkeiten ſcheinen uͤberall dieſelben
zu ſein. Se. Kaiſerl. Majeſtaͤt ſteigen eine Viertelſtunde
vor der Stadt in ein Zelt ab , um den blauen Ueberrock
mit der bewußten rothen Uniform zu vertauſchen . Fuͤr
wen er eigentlich dieſe Toilette macht , weiß ich nicht ; bei
uns iſt man gewoͤhnt , die Pracht des Monarchen durch
den Glanz der Großen und Maͤchtigen , die ihn umgeben ,
gehoben zu ſehen . Hier iſt nur ein Herr , die Uebrigen ſind
Knechte , und ich ſehe nicht ein , warum der Eine ſich die
Muͤhe giebt , etwas Anderes , als einen Schlafrock anzuzie-
hen . Sobald Se. Hoheit zu Pferde ſtiegen , ließ man eine
Menge Minen in den Steinbruͤchen auf den Bergen rings
umher auffliegen . Zu beiden Seiten des Weges paradir-
ten die Notabilitaͤten der Stadt , rechts die Muſelmaͤnner ,
links die Rajahs . Obenan ſtehen die Mollah oder Geiſt-
lichen , welche noch immer den ſchoͤnen weißen Turban be-
haupten , dann folgen die weltlichen Sommitaͤten . Links
paradirten erſt die Griechen mit Lorbeerzweigen , dann die
Armenier mit Wachskerzen , und endlich die armen verhoͤhn-
ten und gemißhandelten Juden , die hier etwas vor dem
Hunde , aber hinter dem Pferde rangiren . Die Moslem
ſtanden aufrecht mit uͤber den Leib verſchraͤnkten Armen ,
die Rajahs aber , und ſelbſt Biſchof und Prieſter mit den
geweihten Kirchengeraͤthen , warfen ſich nieder und blieben
mit der Stirn an der Erde , bis der Sultan voruͤber war ;
ſie durften das Antlitz des Padiſchah nicht ſchauen . So
Etwas muß freilich das Selbſtgefuͤhl der Tuͤrken naͤhren ,
und doch kann und wird dies nicht lange mehr fortbe-
ſtehen . An mehreren Stellen wurde beim Voruͤberreiten
des Großherrn der Kurban oder das Opfer an ſieben Ham-
meln vollzogen , welche man die Haͤlſe abſchnitt .
Heute , am Freitag ( dem tuͤrkiſchen Sonntag ) , ging der
Großherr mit zahlreichem Gefolge in die Moſchee ; ich habe
dagegen tuͤchtig mit meiner Aufnahme zu thun .
Schumla iſt in landſchaftlicher Hinſicht eben ſo ſchoͤn ,
als es in militairiſcher intereſſant iſt . Erſt , wenn man
die beruͤhmten Verſchanzungen paſſirt , erblickt man die
Stadt in einem Thal ohne Ausgang zwiſchen ſteilen be-
waldeten Bergen ; die Kuppeln der Moſcheen und Baͤder ,
die ſchlanken weißen Minarehs , die vielen Baͤume zwiſchen
den flachen Daͤchern , die reiche Cultur der Gegend gewaͤh-
ren ein herrliches Gemaͤlde ; uͤberall ſprudeln Fontainen ,
die uͤppigſten Kornfelder ſchmuͤcken die weite Ebene , und
9
ſelbſt die ſteilen Berge ſind bis zu ihrer halben Hoͤhe mit
Gaͤrten und Weinbergen bedeckt .
Jch glaube , daß ich nebſt dem Padiſchah die beſte
Wohnung in der Stadt habe ; unſere Speiſen ſind vor-
trefflich , und wenn wir ſie gleich auf gut tuͤrkiſch mit den
Fingern zu uns nehmen , ſo verſaͤumen wir doch nicht ( wenn 's
Allah eben nicht ſieht ) , einen trefflichen Cyper-Commanda-
ria-Wein dazu zu trinken . Dies wir bezieht ſich auf
meine Begleiter , naͤmlich einen Dragoman der Geſandtſchaft
und einen Oberſten von den Jngenieurs , welcher mir mit
drei jungen Tuͤrken von der polytechniſchen Schule beige-
geben iſt . Da wir drei Domeſtiken haben , ſo nehme ich
allein 2 vierſpaͤnnige Wagen und 7 Handpferde , 2 Maul-
thiere , 4 Kutſcher und einige Pferdejungen fuͤr die Reiſe
in Anſpruch . Du kannſt Dir denken , was das fuͤr eine
Wirthſchaft iſt ; in Varna waren 600 Reit- und an 200
Zugpferde verſammelt . Meine Wagen ſind aus Ruſtſchuk ,
Pferde und Kutſcher aus der Wallachei herbeigeholt . Die
Wege ſind eigends fuͤr dieſe Reiſe gebahnt worden , und
das iſt wenigſtens ein Vortheil , der dem Lande bleiben
wird . Das Gefolge des Großherrn iſt natuͤrlich ſehr zahl-
reich , keiner der Paſcha's begleitet ihn , als nur die Gou-
verneure der Plaͤtze , wo wir uns befinden . Aber außer
ſeinen Sekretairs und Pagen hat er einen beſondern Be-
amten , der ſeine Pfeife , einen andern , der ſeinen Schirm
traͤgt ; der Wedel aus Straußfedern , der Feldſtuhl , das
goldene Waſſerbecken , das Schreibzeug , jedes hat ſeinen be-
ſondern Traͤger zu Pferde ; dieſe Pferde aber machen wie-
der einen Seïs oder Reitknecht noͤthig . So reiſen wir
zwar ganz en petit comité , aber doch mit 800 Pferden .
Am 7. machte der Großherr ſeinen Ritt durch die
Feſtungswerke und wohnte zugleich dem Exerzieren eines
Rediff- oder Landwehr-Bataillons bei . Andere Laͤnder ,
andere Sitten ; in Schumla ſieht ein Manoͤver anders aus ,
als in Potsdam . Wir ſehen dem kriegeriſchen Schauſpiel
aus einer angemeſſenen Ferne von wohl tauſend Schritt zu ;
Se. Hoheit ſaßen im Zelt und rauchten , wir Andern kauer-
ten an der Erde herum . Hierauf fand die feierliche Ein-
kleidung von ſechzig Notabeln von Schumla ſtatt ; der
Großherr ſetzte ſich unter einen prachtvollen Baldachin auf
einen Divan , wir Großen des Reichs ſtanden zu beiden
Seiten . Nun wurden zuerſt die Mollahs , einige Ayans
aus der Umgegend , dann die bedeutenden Moslemin und
Rajahs der Stadt , erſtere mit dem Zuſatz Duwardſchinis
„ der Gebete fuͤr dich macht “ , einzeln vorgerufen ; der Cere-
monienmeiſter hing ihnen weite Maͤntel von verſchiedener
Farbe um , der Begluͤckte kuͤßte das Kleid , beruͤhrte dann
mit der Hand die Erde , Bruſt und Stirn , und verfuͤgte
ſich hierauf , ſtets das Antlitz gegen den Padiſchah , zuruͤck ,
eine Retirade , die nicht ohne etwas Stolpern ablief . Der
Großherr hielt nun durch ſeinen erſten Sekretair , Waſſaf-
Effendi , eine Rede , in welcher er den Verſammelten ſagte ,
daß er ſelbſt gekommen ſei , um ſich von ihrem Zuſtande zu
uͤberzeugen , — daß er ihre Stadt und Feſtung wieder auf-
zubauen und Ordnung und Wohlſtand im Lande ſelbſt zu
befeſtigen gewilligt ſei , — daß Geſetz und Recht nicht nur
in der Hauptſtadt , ſondern im ganzen Umfange ſeines Reichs
gehandhabt werden ſolle . „ Jhr Griechen “ , ſagte er , „ ihr
Armenier , ihr Juden ſeid alle Diener Gottes und meine
Unterthanen ſo gut , wie die Moslems ; ihr ſeid verſchie-
den im Glauben , aber euch Alle ſchuͤtzt das Geſetz und mein
kaiſerlicher Wille . Zahlt die Steuern , die ich euch aufer-
lege ; die Zwecke , zu denen ſie verwendet werden , ſind eure
Sicherheit und euer Wohl . “ Zum Schluß fragte der Sul-
tan , ob Jemand unter den Rajahs Beſchwerden habe , und
ob ihre Kirchen Ausbeſſerung beduͤrfen .
Obwohl nun viel daran fehlt , daß in der Ausuͤbung
ſchon uͤberall ſolche Gerechtigkeit gehandhabt wuͤrde , ſo iſt
doch das Princip anerkannt , und das iſt immer ſchon ſehr
viel ; die Gewalt der Umſtaͤnde wird das Uebrige thun .
Jn dieſem Lande , wo der geringe Mann gewoͤhnt iſt ,
Alles umſonſt , als Frohndienſt fuͤr den Maͤchtigen zu thun ,
bezahlt der Großherr die Koſten ſeiner Reiſe baar . Wie
ich hoͤre , fuͤhrt er an Geld 2½ Million Gulden , außerdem
eine Menge von Pretioſen mit ſich ; an keinem Armen oder
Kruͤppel reiten wir voruͤber , dem der Großherr nicht durch
einen ſeiner Leute ein Goldſtuͤck ſchickt . Bei ſeiner Abreiſe
hat er fuͤr die Armen in Schumla 10,000 Gulden hinter-
laſſen , und dabei ausdruͤcklich dafuͤr geſorgt , daß das Geld
wirklich an die ihm beſonders namhaft gemachten Nothlei-
denden koͤmmt , und nicht allzuviel zwiſchen den Fingern der
Austheiler kleben bleibt . Die Jman muͤſſen daruͤber be-
richten . So oft wir zuruͤckkehren , ſehe ich Gruppen von
Weibern , welche Bittſchriften uͤber ihre Koͤpfe emporhalten .
Ein Offizier reitet dann heran , rafft die Zettel zuſammen ,
ſteckt die ganze Correſpondance in ſeine Satteltaſchen , um
ſie dem Almoſenier zu uͤberreichen . Letzthin fuhr der Groß-
herr in ſeinem vierſpaͤnnigen Phaeton , den er ſelbſt ſehr
geſchickt lenkt ; eine arme Frau hielt ihr Papier an einem
Stock , ſo hoch ſie konnte , empor , da es aber ſehr ſchnell
ging , bemerkte ſie Niemand ; nur der Großherr ſah ſie ,
hielt die Pferde an , ſchickte einen ſeiner Offiziere ab und
fuhr dann weiter .
Siliſtria , den 11. Mai 1837 .
Heute erſt finde ich Muße , meinen Bericht wieder auf-
zunehmen . Am 9. ritt ich vor Sonnenaufgang nach einem
Dorfe auf der andern Seite des Gebirges ; Mittags war
ich zuruͤck , fand friſche Pferde und begleitete den Groß-
herrn bis 5 Uhr ; dann wurde ein treffliches Mittagsmahl
eingenommen . Wir ſetzten uns in den Wagen und fuhren
die Nacht durch ; ich traf um 1 Uhr Nachmittags hier ein
und konnte noch am Abend und am folgenden Morgen vor
Ankunft des Großherrn den Plan der Feſtung aufnehmen .
Der Großherr hat in ſeinem Benehmen gegen ſeine Um-
gebung ſo viel gemuͤthliche Geradheit und Gutmuͤthigkeit ,
daß bei aller Strenge der Etiquette ein Jeder à son aise
iſt . Wenn man den Herrn ſo ſieht , ſollte man nicht den-
ken , daß es derſelbe Mann iſt , der 20,000 Janitſcharen
koͤpfen ließ .
Die Fuͤrſten Ghika und Stourdza ſind aus der Mol-
dau und Wallachei hier , um ihren Herrn zu bekomplimen-
tiren . Jch war neugierig , ihren Empfang zu ſehen , — er
war eben nicht ſehr ſchmeichelhaft ; wohl zwei Stunden
warteten dieſe Halbſouveraine im Sonnenſchein , bis der
Großherr eintraf , vor ſeinem Zelt abſtieg und Toilette
machte . Der Sultan empfing die beiden Vaſallen unter
einem Baldachin auf Sammetpolſtern ſitzend ; die Fuͤrſten ,
gefolgt von ihren Bojaren , ſchritten mit uͤber den Leib ver-
ſchraͤnkten Armen heran , warfen ſich auf beide Kniee und
kuͤßten den Zipfel des Gewandes Sr. Hoheit , welcher die
Gnade hatte , ihnen zu geſtatten , zehntauſend Dukaten zu
uͤberreichen ; dagegen erhielten ſie heute ihre Ehrenpelze ,
Tabatieren und Shwals , und haben nun noch das Ver-
gnuͤgen , zehn Tage eine Quarantaine an der Grenze ihrer
Fuͤrſtenthuͤmer zu machen , wenn ſie zuruͤckkehren .
Fuͤrſt Ghika hat mich heute Abend zu ſich geladen ,
und da die tuͤrkiſche Uhr 12 ſchlaͤgt , d. h. da die Sonne
untergeht und die Eßzeit da iſt , ſo ſchließe ich fuͤr heute ,
um wo moͤglich in Ruſtſchuk fortzufahren .
Ruſtſchuk , den 14. Mai 1837 .
Es ſcheint , daß die Tuͤrken , als ſie mit ihrem Saͤbel
die Heiligen in dieſem Lande zu Paaren trieben , Mamer-
tius und Pancratius vergeſſen haben ; dieſe uͤben in der
That eine ſo ſtrenge Herrſchaft an der Donau , wie an der
Spree oder Eider . Nie habe ich aͤrger gefroren , als ge-
ſtern Nacht auf der Reiſe hierher ; meine tuͤrkiſchen Be-
gleiter waren ganz erſtarrt , und der Araber , der die Hand-
pferde fuͤhrte , rief ein Aman — „ Erbarmen “ — uͤber das
andere , und ſehnte ſich nach dem mildern Himmel des Sen-
naars zuruͤck .
Der Großherr war mit dem Dampfſchiff von Sili-
ſtria nach Ruſtſchuk gerade waͤhrend des ſehr heftigen Un-
gewitters auf der Donau ; der Sturm riß die Flaggen-
ſtange vom Maſt , ein Tau kam in das Maſchinenwerk , die-
ſes mußte angehalten werden , mittlerweile trieb das Schiff
gegen die Ufer und die Wellen ſchlugen in die Kajuͤten-
fenſter . Allgemeine Beſtuͤrzung hatte ſich verbreitet ; der
Großherr blieb indeß ganz ruhig , es iſt wahr , er iſt ſchon
aguerrirt und an allerlei Unheil mit ſeinen eigenen Dampf-
booten gewoͤhnt , die gluͤcklicherweiſe jetzt ſaͤmmtlich geſchei-
tert oder geplatzt ſind .
Wir harrten mittlerweile der Ankunft des Padiſchahs
am ſichern Ufer ; das Wetter hatte ſich gegen Abend auf-
geheitert , und vor uns zog der breite , gelbliche Strom mit
ſeinen endloſen Wieſen . Seit langer Zeit ſah ich jenſeits
in Gjurgewo zum erſtenmal wieder einen Kirchthurm , und
der befreundete Schall der Glocken toͤnte durch die klare
Abendluft zu uns heruͤber .
Ruſtſchuk liegt auf einer Hoͤhe , die an 50 bis 60 Fuß
ſenkrecht zur Donau abſtuͤrzt ; der Rand dieſes Abhanges
war mit zahlloſen Frauen bedeckt , und da Alle den weißen
Schleier um Kopf und Schultern trugen , ſo ſah es aus ,
als ob die Hoͤhen beſchneit waͤren . Unten am Geſtade pa-
radirten wie gewoͤhnlich die Landwehr , dann die Geiſtlich-
keit der verſchiedenen Nationen , die Notabeln des Orts
und endlich das Volk . Als ich nach dem Landungsplatz
hinaufſchritt , um meinen Platz einzunehmen , fiel mir ein
Greis auf , der auf Polſtern und Teppichen an der Erde
hingeſtreckt lag ; neben ihm ſtand das ſilberne Nargileh
oder die Waſſerpfeife , aus welchem er mittelſt eines duͤn-
nen , wohl 20 Fuß langen Schlauchs den Rauch zog . Ein
Schild von Juwelen an ſeiner rothen Muͤtze bezeichnete ihn
als Vezier , und der blaue Ueberrock mit goldenen Epaulets
paßte weder zu der Haltung , noch zu dem grauen Bart
und aͤcht tuͤrkiſchen ausdrucksvollen Geſicht des Greiſes ;
dies war der Mann in Europa , durch deſſen Haͤnde wohl
das meiſte Blut gefloſſen , es war Huſſein Paſcha , der
letzte Aya der Janitſcharen und ihr erſter Paſcha . Der
Aya-Paſcha hatte als ſolcher eine Menge von Kawaſſen
und andern Truppen unter ſeinem Befehl , die nicht Janit-
ſcharen waren und gegen ſie gebraucht werden konnten .
Es ſcheint , daß dieſe ſtolzen Praͤtorianer nur durch den
Verrath ihres eigenen Oberhauptes fallen konnten . So
viel Energie Huſſein in jener furchtbaren Kriſis gezeigt ,
ſo wenig Kraft entwickelte er in ſeinen Operationen als
General en chef . Jetzt iſt der Vertilger der Janitſcharen
Paſcha in Widdin .
Tirnowa , den 19. Mai 1837 .
Was fuͤr ein wunderſchoͤnes Land iſt doch dies Bul-
garien ! Alles iſt gruͤn ; die Waͤnde der tiefen Thaͤler ſind
mit Linden und wilden Birnbaͤumen beſtanden , breite Wie-
ſen faſſen die Baͤche ein , uͤppige Kornfelder bedecken die
Ebene , und ſelbſt die weiten Strecken unangebauten Landes
ſind mit reichem Graswuchs geſchmuͤckt . Die vielen einzeln
ſtehenden Baͤume geben der Gegend einen beſondern Reiz
und zeichnen ihren dunkeln Schatten auf den lichtgruͤnen
Flaͤchen ab . Die Niederung der Donau erinnert lebhaft
an die deſſauer Gegend ; die Doͤrfer ſind ſelten , aber groß ,
denn in einzelnen Gehoͤften zu wohnen iſt noch ein Wagniß .
Jn der Naͤhe der Donau hab' ich faſt nur tuͤrkiſche
Doͤrfer gefunden ; wahrſcheinlich ſind die chriſtlichen Be-
wohner jenſeits des Stroms in die Fuͤrſtenthuͤmer gezogen ,
von wo die Glocken heruͤberſchallen , und wo ihre Kirch-
thuͤrme die Haͤupter in die blaue Luft zu erheben wagen .
Eine bulgariſche Kirche kannſt Du Dir wohl kaum vorſtel-
len . Als ich vor anderthalb Jahren durch den Balkan rei-
ſete , uͤbernachtete ich in einer elenden Huͤtte . Jm Hofe
neben dem Buͤffelſtall ſtand eine Art Schuppen , etwa zehn
Fuß lang und breit ; das Strohdach war ſo niedrig , daß
man kaum darunter aufrecht ſtehen konnte , alles Licht kam
durch die Thuͤre . An der hintern Wand hing ein großes
Wachstuch mit unzaͤhligen Heiligenbildern ; dieſe , ein paar
Leuchter und ein Stuͤck Teppich bildeten die ganze Ausſtat-
tung des Jnnern . Das war die Kirche des nicht unbe-
deutenden Dorfes Gaſſabeilen . Hier in den Vorbergen des
Balkans ſind die meiſten Bewohner der Doͤrfer Chriſten .
Die Bulgaren kommen aus ihren Ortſchaften hervor , um
zu ſehen , ob es wahr ſei , daß Naſche Tſchorbadſchi ( unſer
Brot- oder eigentlich Suppenherr ) aus dem fernen Czaari-
grad oder Konſtantinopel gekommen ſei . Seit Jahrhunder-
ten und bis noch vor ein paar Monaten war dies gerade
ſo wahrſcheinlich , wie etwa , daß eine Auſter ihren Felſen
verlaͤßt , oder eine Schildkroͤte außerhalb ihrer Schaale her-
umwandert .
Geſtern Mittag kamen wir hier in Tirnowa an . Nach-
dem ich kein Geſchaͤft mehr habe , folge ich jetzt mit den
Uebrigen Sr. Hoheit Perſon zu Pferde . Da ich im Ge-
folge des Sultans eigentlich eine gaͤnzliche Abnormitaͤt bin ,
ſo war es auch nicht leicht , meinen Platz zu finden ; man
iſt uͤberhaupt in einer ſchiefen Stellung , bald zu wenig ,
bald zu viel ; da der Großherr mich aber alle Augenblicke
rufen laͤßt , ſo mußte ich ſeiner Perſon nahe ſein . Vorauf
reitet der Paſcha von Ruſtſchuk , der vorgeſtern Vezier ge-
worden iſt ; dann koͤmmt Effendimis — „ unſer Herr “ —
in einem ſechsſpaͤnnigen Wagen ; dann ſeine perſoͤnliche
Umgebung , eine Klaſſe von Leuten , die ich weder Pagen ,
Kammerherren , noch Geheime Staatsſekretaire nennen kann ,
die dies aber Alles zuſammen ſind und dabei ſehr großen
Einfluß haben . Der Erſte unter ihnen iſt Waſſaf-Effendi ;
der Vezier bleibt vor ihm ſtehen , bis er ihm das Zeichen
giebt , ſich zu ſetzen . Jch gebe mir dies Zeichen ſelbſt , bin
aber , glaube ich , auch nicht ſonderlich angeſchrieben . Nun
folgt eine Miſchung von Leuten ; da ſind Paſcha's und Or-
donnanz-Offiziere , Jhre Excellenzen der Hofnarr und der
Großalmoſenier , ich und einige andere ausgezeichnete Jndi-
viduen , dann folgen die geringeren Offiziere und Offizianten
und ein Schwarm Bedienten . — Wir machen taͤglich nur
etwa zehn Wegſtunden . Auf halbem Wege wird ein Jm-
biß genommen ; auf mein Theil koͤmmt in der Regel eine
unabſehbare Schuͤſſel mit Pillaw , dann ein ganzes gebra-
tenes Lamm aufs Trefflichſte bereitet , dann eine ſuͤße Schuͤſ-
ſel , hierauf Gemuͤſe und wieder ſuͤße Speiſen , zehn an der
Zahl . Nachdem wir uns ſo gegen den Hungertod geſchuͤtzt ,
geht es weiter .
Schon weit von Tirnowa bildeten die Einwohner ein
Spalier , die Landwehr paradirte und die griechiſchen Frauen
ſtanden auf den flachen Daͤchern und Terraſſen , um den
Baſileus eintreffen zu ſehen . Jch habe nie eine romanti-
ſchere Lage , als die dieſer Stadt , gefunden ; denke Dir ein
enges Gebirgsthal , in welchem die Jantra ſich ihr tiefes
Felsbett zwiſchen ſenkrechten Sandſteinwaͤnden gewuͤhlt hat
und wie eine Schlange in den ſeltſamſten und capricioͤſe-
ſten Wendungen fortfließt . Die eine Wand des Thals iſt
ganz mit Wald , die andere ganz mit Stadt bedeckt . Mit-
ten im Thal erhebt ſich ein kegelfoͤrmiger Berg , deſſen ſenk-
rechte Felswaͤnde ihn zu einer natuͤrlichen Feſtung machen ;
der Fluß ſchließt ihn ein , wie eine Jnſel , und er haͤngt
mit der uͤbrigen Stadt nur durch einen 200 Fuß langen
und 40 Fuß hohen natuͤrlichen Felsdamm zuſammen , der
aber nur breit genug fuͤr den Weg und die Waſſerleitung
iſt . Jch habe eine ſo abenteuerliche Felsbildung nie ge-
ſehen , und da Effendimis heute in die Moſchee zieht , ſo
hab' ich den Raſttag benutzt , um mittelſt einer Aufnahme
dem Terrain ſein Geheimniß abzuzwingen .
Nichts anmuthiger als meine griechiſche Wohnung hier ;
ich liebe uͤberhaupt dieſe unregelmaͤßigen Gebaͤude , zu denen
das Beduͤrfniß den Riß gezeichnet hat . Jn der Mitte fin-
deſt Du einen kleinen Hof , einen Garten mit Roſen und
Obſtbaͤumen , rings umher reihen ſich eine Treppe hoch in
allerlei Zickzacks die Corridors und geraͤumigen Gemaͤcher ,
welche gegen den Hof ganz offen ſind , ſo daß man in Got-
tes ſchoͤner freier Luft wohnt . Die Enden des Corridors
ſind zu Eſtraden erhoͤht , welche mit Teppichen belegt ſind
und einen nur handhohen , breiten , weichen Sopha tragen .
Das weit vorgreifende Dach beſchattet dann noch die Nel-
ken- und Goldlack-Toͤpfe , welche rings außerhalb der Gal-
lerie angebracht ſind . Die Zimmer erhalten ihr Licht aus
den Corridors , und es herrſcht dies gewiſſe angenehme Dun-
kel , welches die Augen von dem Uebermaaße von Licht die-
ſes ſchoͤnen Himmels ſich erholen laͤßt . Kein heimlicheres
Plaͤtzchen , um gruͤndlich zu faullenzen , als meine Eſtrade ;
gegenuͤber ſteigt die bewaldete Thalwand empor , aus deren
Schatten die Nachtigallen heruͤberſingen , und die ſchnee-
bedeckten Gipfel des Balkan ragen hoch uͤber die Baͤume
heraus .
Kaſanlik , den 21. Mai 1837 .
Heute haben wir den Balkan uͤberſchritten . Jch glaube ,
die Einſattlung , auf welcher die Straße das Gebirge uͤber-
ſteigt , erhebt ſich keine 3000 Fuß uͤber Gabrova , dem Fuße
deſſelben , wo wir uͤbernachteten . Die Paͤſſe uͤber den thuͤ-
ringer Wald z. B. ſcheinen mir hoͤher , nur daß die Stra-
ßen ſo bequem ſind , daß man es nicht bemerkt . Weſt-
waͤrts freilich ſteigen die Gipfel bedeutend an und ſind noch
mit Schnee bedeckt ; auf der Hoͤhe des ſcharfen Kamms
hat man eine weite Ausſicht uͤber das Huͤgelland von Bul-
garien und eine noch ſchoͤnere auf der Rumeliſchen Seite
in das reizende Thal von Kaſanlik . Wie eine Landkarte
liegen die Felder , Wieſen und Doͤrfer da , die weißen Wege
und die Baͤche , deren Lauf an praͤchtigen Baͤumen kennt-
lich iſt ; jenſeits erhebt ſich eine andere , aber niedrigere
Bergkette , und das Ganze erinnerte mich lebhaft an das
ſchoͤne Hirſchberger Thal , vom Kynaſt aus geſehen .
Der ſuͤdliche Abhang des Balkan faͤllt jaͤh gegen die
Ebene hinab ; in weniger als einer Stunde erreichten wir
auf der fuͤr den Großherrn neu erbauten Straße Schibka ,
am Fuße der Bergkette . Der Balkan iſt als Bergkette an
und fuͤr ſich kein ſolch bedeutendes Terrain-Hinderniß , als
wir gewoͤhnlich glauben , aber in dieſem duͤnn bevoͤlkerten
Lande iſt kaum die fruchtbare Ebene , weit weniger das
Gebirge angebaut ; da giebt es keine Haͤmmer , Schmelz-
huͤtten , Muͤhlen und Fabriken , wie bei uns . Weil aber
keine Ortſchaften , ſo ſind auch keine Wege vorhanden , und
dadurch gewinnen die wenigen Straßen , die fahrbar ſind ,
eine große Bedeutung .
Schon von fern entdeckten wir ein Waͤldchen mit rie-
ſenhaften Nußbaͤumen , und in dem Waͤldchen erſt das Staͤdt-
chen Kaſanlik . Selbſt die Minarehs vermoͤgen nicht uͤber
die Berge von Laub und Zweigen hinaus zu ſchauen , unter
welchen ſie begraben liegen . Der Nußbaum iſt gewiß einer
der ſchoͤnſten Baͤume in der Welt ; ich habe mehrere ge-
funden , die ihre Zweige wagerecht uͤber einen Raum von
100 Fuß im Durchmeſſer ausbreiteten ; das uͤberaus fri-
ſche Gruͤn der breiten Blaͤtter , das Dunkel unter ihrem
gewoͤlbten Dache und die ſchoͤne Vegetation rings um den
Stamm , endlich das Rauſchen der Baͤche und Quellen , in
deren Naͤhe ſie ſich halten , das Alles iſt wunderſchoͤn und
dabei ſind ſie die großen Pallaͤſte , in denen wilde Tauben
und Nachtigallen hauſen . Von dem Waſſerreichthum die-
ſer Gegend kann man ſich kaum eine Vorſtellung machen .
Jch fand eine Quelle am Wege , die 9 Zoll ſtark ſenkrecht
aus den Kiesgrund emporſprudelte und dann als ein klei-
ner Bach davoneilte . Wie in der Lombardei werden alle
Gaͤrten und Felder taͤglich aus dem Waſſervorrath getraͤnkt ,
welcher in Graͤben und Rinnen dahin rauſcht . Das ganze
Thal iſt ein Bild des geſegnetſten Wohlſtandes und der
reichſten Fruchtbarkeit , ein wahres gelobtes Land ; die wei-
ten Felder ſind mit mannshohen , wogenden Halmen , die
Wieſen mit zahlloſen Schaaf- und Buͤffel-Heerden bedeckt .
Dabei haͤngt der Himmel voll dicker Gewitterwolken , die
ſich um die Schneegipfel der Berge aufthuͤrmen und die
Fluren von Zeit zu Zeit begießen ; zwiſchendurch funkelt
die gluͤhende Sonne , um ſie wieder zu erwaͤrmen ; die Luft
iſt von Wohlgeruͤchen erfuͤllt , und das iſt hier nicht bild-
lich , wie gewoͤhnlich in Reiſebeſchreibungen , ſondern ganz
buchſtaͤblich zu nehmen . Kaſanlik iſt das Kaſchemir Euro-
pa's , das tuͤrkiſche Guͤlliſtan , das Land der Roſen ; dieſe
Blume wird hier nicht , wie bei uns , in Toͤpfen und Gaͤr-
ten , ſondern auf den Feldern und in Furchen wie die Kar-
toffeln gebaut . Nun laͤßt ſich wirklich nichts Anmuthigeres
denken , als ſolch ein Roſenacker ; wenn ein Dekorations-
maler dergleichen malen wollte , ſo wuͤrde man ihn der
Uebertreibung anklagen ; Millionen , ja viele Millionen von
Centifolien ſind uͤber den lichtgruͤnen Teppich der Roſen-
felder ausgeſtreut , und doch iſt jetzt vielleicht erſt der vierte
Theil der Knoſpen aufgebrochen . Nach dem Koran ent-
ſtanden die Roſen erſt waͤhrend der naͤchtlichen Himmel-
fahrt des Propheten , und zwar die weißen aus ſeinen
Schweißtropfen , die gelben aus denen ſeines Thiers , die
rothen aus denen des Gabriel ; und man kommt in Ka-
ſanlik auf die Vermuthung , daß wenigſtens fuͤr den Erz-
engel jene Fahrt ſehr angreifend geweſen ſein muß .
Die Roſe ( Guͤll ) wuͤrde mich jetzt auf die Nachtigall
( Buͤll-buͤll ) leiten , wenn ich nicht fuͤrchtete , mich gar zu
ſehr ins Poetiſche zu verlieren : „ Un voyageur doit se gar-
der de l' enthousiasme s' il en a , et surtout s' il n' en a pas . “
Jch will daher nur noch bemerken , daß man hier die Ro-
ſen nicht nur ſieht und riecht , ſondern auch ißt ; einge-
machte Roſenblaͤtter ſind in der Tuͤrkei eine ſehr beliebte
Confituͤre und werden mit einem Glaſe friſchen Waſſers
Morgens vor dem Kaffee genoſſen , was ich zur Nachah-
mung empfehlen kann .
Hier in Kaſanlik wird denn auch das Roſenoͤl gewon-
nen , auf das man ſo hohen Werth legt . Es iſt ſelbſt in
Konſtantinopel aͤußerſt ſchwer , ſich dies Oel unverſetzt zu
verſchaffen , was Du ſchon aus dem Umſtand abnehmen
kannſt , daß dort die Drachme 8 , hier an Ort und Stelle
aber 15 Piaſter koſtet . Jch hatte mir einen Vorrath Ro-
ſenoͤl mitgenommen , und da ich genoͤthigt war , einen Tag
mit der Flaſche in der Taſche zu reiten , ſo dufte ich nun
auch acht Tage wie ein Roſenſtock .
Der Großherr findet immer eine Gelegenheit , irgend
ein freundliches Wort an mich zu richten , was hier eine
nicht geringe Auszeichnung iſt . Bei aller Unterthaͤnigkeit
der Formen herrſcht doch keinesweges der ſtrenge Ernſt und
die Abgemeſſenheit der Etiquette , wie bei uns , und es hat
etwas Gemuͤthliches , wenn Padiſchah ſeine lange Pfeife im
Phaeton „ trinkt “ , auf deſſen Ruͤckſitz zwei Pagen ſitzen , von
denen jeder einen kleinen weißen Bologneſer-Hund auf dem
Schooß haͤlt . Wir reiten mit maͤchtigen Roſenſtraͤußen da-
neben . Jn dieſem Styl der Zwangloſigkeit ſind auch die An-
reden des Großherrn an ſeine Unterthanen . Heute war eine
große Austheilung von Ehrenmaͤnteln ( Harvani ) , und waͤh-
rend der Sultan oben am Fenſter ſaß , ſprach ſein erſter Se-
kretair fuͤr ihn unten im Hofe ; da Se. Hoheit aber ſelbſt
mehrmals einfielen , ſo entſpann ſich eine Art von Zwie-
geſpraͤch zwiſchen dem Herrn und ſeinem redenden Organ .
„ Der Hunkjar , unſer Kaiſer , “ ſagte Waſſaf-Effendi , „ will ,
daß ſeine Vorſchriften puͤnktlich vollzogen werden ; er wird
kuͤnftig immer aufs Neue zu euch wiederkehren , um ſich
ſelbſt zu uͤberzeugen , ob Alles ausgefuͤhrt , was er verord-
net . “ — „ Ja , aber alle Jahre geht das nicht , “ ſchaltete
der Monarch ein , „ Hei ! Hei ! Effendi . “ — „ Ganz recht , “
fuhr der Redner fort , „ jedoch ſo oft Se. Hoheit es noͤthig
finden werden . “ Waſſaf wiederholte nun , daß Effendimis
allen ſeinen Unterthanen , weß Glaubens ſie auch ſeien , Schutz
und Gerechtigkeit verſpraͤchen , und als er eben ſchließen
wollte , rief Se. Majeſtaͤt ihm ein Banabak ( hoͤre , oder
eigentlich : ſiehe mich an ) zu , und machte ihm bemerklich ,
daß er vergeſſen habe , von der Landwehr zu ſprechen , —
daß dieſe Einrichtung den Schutz und die Vertheidigung
des Heerdes bezwecke , und daß es ( mit einem Seitenblick
auf uns ) in andern Laͤndern auch ſo ſei .
Der Großherr hinterlaͤßt ſehr bedeutende Summen an
jedem Ort , von welchen zuerſt die Einquartierung und alle
Laſten bezahlt werden , welche die Reiſe verurſacht , ſodann
die Armen , von welchen Sr . Hoheit eine namentliche Liſte
eingereicht wird , ihr Theil erhalten . Nicht bloß fuͤr Mo-
ſcheen , ſondern auch fuͤr Kirchen , die der Reparatur be-
duͤrftig , werden die Mittel gewaͤhrt . Wenn das Geld nur
auch in die rechten Haͤnde kommt , denn die weit verbreitete
und tief eingewurzelte Unredlichkeit der Beamten iſt das
aͤrgſte Hinderniß , mit welchem die Regierung zu kaͤm-
pfen hat .
Die Bewohner der zunaͤchſt gelegenen Ortſchaften ſte-
hen an der Straße aufgeſtellt , um ihren Herrn zu begruͤ-
ßen . Hinter dem Zuge faͤhrt der Muͤnzdirektor und Schatz-
meiſter des Großherrn , der Armenier Duhs Oglu , mit
einem ſchwer beladenen Wagen ; er haͤlt bei jeder neuen
Volksgruppe an und theilt weiße Geldſaͤcke von betraͤcht-
lichem Gewicht unter die Landleute aus . Es heißt , daß
die Kopfſteuer heruntergeſetzt , und beſonders , daß die Frohn-
dienſte beſchraͤnkt werden ſollen ; im Allgemeinen kann es
nicht fehlen , daß die Reiſe des Großherrn einen ſehr guͤn-
ſtigen Eindruck auf die Bevoͤlkerung des Landes macht ,
welche bisher von ihrem Beherrſcherr nichts ſahen , als die
Peiniger , die Steuern eintrieben oder Frohndienſte forder-
ten . Außer dem officiellen : „ Choſch gjeldin “ — willkom-
men ! — und „ Amin ! “ welches beim Voruͤberfahren des
Sultans erſchallt , und das die kleinen pausbaͤckigen Kin-
der aus voller Kehle ſchreien , hoͤre ich doch auch , wenn
ich manchmal hinterdrein reite , ſo manches „ Maſchallah “
— Gott behuͤte dich ! — welches weder gefordert , noch be-
merkt wird und der wahre Ausdruck der Geſinnung iſt .
Beſonders gut ſcheinen Se. Hoheit bei den Frauen ange-
ſchrieben zu ſein , und das iſt eine gute Sache in dieſem
Lande , wo die ganze Erziehung der Kinder in den Haͤnden
der Muͤtter liegt .
Adrianopel , den 1. Juni 1837 .
Wir ſind jetzt in der Stadt Kaiſer Hadrians ange-
kommen , des Roͤmers , der ſeinen Namen an der Donau
und der Tiber , am Euphrat und an der Maritza verewigte .
Bereits ſechs Tage ruhen wir aus und werden uͤbermor-
gen nach Konſtantinopel zuruͤckkehren , woſelbſt der Groß-
herr ſeinen feierlichen Einzug halten will .
Die Lage von Adrianopel erhaͤlt einen eigenthuͤmlichen
Charakter durch den Zuſammenfluß von vier betraͤchtlichen
Stroͤmen : Maritza , Arda , Tundſcha und Uſundſcha ; daher
die weite , mit Maulbeerbaͤumen bedeckte Niederung , welche
die Stadt einſchließt . Adrianopel iſt auf einem Huͤgel er-
baut , deſſen Gipfel von der prachtvollen Moſchee Sultan
Selims gekroͤnt iſt . Zahlreiche große Steinbruͤcken von
ſchoͤner Arbeit uͤberſchreiten die vielen Waſſerarme in allen
Richtungen , und der Anblick dieſer Stadt von außerhalb
iſt hoͤchſt prachtvoll .
Adrianopel war , nachdem die osmaniſchen Herrſcher
den europaͤiſchen Boden betraten , der Sitz ihrer Regierung ,
wie Bruſſa es zuvor geweſen und wie Konſtantinopel es
ſpaͤter wurde . Das alte Seraj iſt noch jetzt erhalten ; ich
habe es heute mit großem Jntereſſe beſucht ; die Oertlich-
keit einer praͤchtigen Wieſe an der Tundſcha , uͤberſchattet
von maͤchtigen Platanen und Ulmen , iſt ganz ſo , daß ſie
einladet , ein Zelt aufzuſchlagen , keinesweges aber , ein Haus
darauf zu bauen , denn im Winter iſt Alles rings umher
uͤberſchwemmt . Hohe Mauern umſchließen den ziemlich be-
traͤchtlichen Raum , auf welchem eine Menge regelloſer Ge-
baͤude , einzelne Wohnungen , Baͤder , Kuͤchen und Kioske in
verſchiedenen Hoͤfen vertheilt ſind . Einige dieſer letztern
ſind wohl erhalten , ſie zeigen ſehr ſchoͤn gearbeitete und
uͤberaus reich vergoldete Plafonds , marmorne Baſſins ,
kuͤnſtlich gearbeitete Gitter und ſchoͤnes Schnitzwerk . Jn
der Mitte des Ganzen erhebt ſich ein maſſives ſteinernes
Gebaͤude , von einem ſeltſam geformten Thurm uͤberragt ,
deſſen Waͤnde zum großen Theil noch heute mit dem ſchoͤn-
ſten Marmor und Jaspis bekleidet ſind ; die Decken aber
ſind eingeſtuͤrzt und die ſchoͤnen Porzellan-Tafeln mit ver-
goldeten Arabesken , welche die Waͤnde ſchmuͤckten , faſt ganz
heruntergeriſſen . Das Gebaͤude iſt ſo ſolide und ſo maſſiv
erbaut , daß es wohl noch Jahrtauſende widerſtehen kann ;
es iſt aber nicht ſehr groß , und es geht hier wie im Se-
raj zu Konſtantinopel , wo man unter lauter Kiosken ver-
geblich nach einem eigentlichen Hauptgebaͤude ſucht . Das
Seraj von Adrianopel hat dagegen nicht jenes gefaͤngniß-
aͤhnliche Ausſehen , die Sultane , welche es bewohnten , wa-
ren dem Moslem noch nicht unſichtbar geworden .
Von den Gebaͤuden des Harem ſind die Mauern aus
Fachwerk eingeſtuͤrzt und die bleiernen Daͤcher und Kuppeln
ſcheinen ſchier in der Luft zu ſchweben . Dieſer Theil des
Serajs wird gegenwaͤrtig durch Niemand anders , als einen
Hirſch bewohnt , der die Beſuchenden ſehr unfreundlich em-
pfaͤngt .
Nicht weit vom Seraj erhebt ſich unter Baͤumen die
ſchoͤne Moſchee Bajaſids , den die Tuͤrken Sultan „ Blitz “
( Jilderim ) nennen . Jn einem Winkel als Eckſtein neben
dem Thor fand ich den Torſo eines koloſſalen Standbildes
im ſchoͤnſten dunkelrothen weiß geſprenkelten Porphyr ge-
arbeitet . Es war Bruſt und Leib eines Mannes in der
roͤmiſchen Toga ; vielleicht war es Kaiſer Hadrian , den
der „ Blitz “ dahin geſchleudert .
Aber hoch uͤber alle die vielen Moſcheen Edrehnehs er-
hebt ſich die Kuppel Sultan Selims mit den vier ſchlanken
Minarehs . Jch fand den Durchmeſſer der Woͤlbung hundert
Fuß , alſo faſt ſo groß , als irgend eine in Konſtantinopel ,
ſelbſt die Aya-Sophia nicht ausgenommen . Zwei hundert
und fuͤnf und vierzig Stufen fuͤhrten mich auf den ober-
ſten der drei Umgaͤnge oder kranzfoͤrmigen Balkone eines
der Minarehs . Die Stufen maßen 7½ Decimalzoll , und
da die Spitze des Minarehs den obern Kranz noch um
ein Fuͤnftel der ganzen Hoͤhe uͤberragt , wie ſich dies aus
der Ferne ſehr wohl ſchaͤtzen laͤßt , ſo betraͤgt die ganze
Hoͤhe uͤber 200 Fuß , bei einem Durchmeſſer von unten 11 ,
oben nur 8 Fuß , am Schatten gemeſſen . Die Minarehs
gleichen daher in der That eher Saͤulen als Thuͤrmen , und
doch , ſo kuͤnſtlich ſind ſie erbaut , winden ſich in ihrem Jn-
nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander , ſo daß
drei Menſchen zugleich hinauf ſteigen koͤnnten . Ohne im Ge-
ringſten zum Schwindel zu neigen , ſchien mir der erſte Blick
von oben herunter ſchauerlich . Die breite Kuppel , der ſtei-
nerne Vorhof mit der ſchoͤnen Fontaine in der Mitte , die
ausgedehnten Jmarete oder Armenkuͤchen , Medreſſeen oder
Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebaͤude ,
welche zur Moſchee gehoͤren , das Alles liegt tief und un-
mittelbar unter den Fuͤßen des Beſchauers . Man glaubt ,
die entſetzlich ſchlanke Steinſaͤule koͤnne umſchlagen , wenn
man ſich dem Rande der Gallerie naͤhert . Die Kuppel er-
hebt ſich bis betraͤchtlich uͤber die halbe Hoͤhe des Mina-
rehs , und mag im Jnnern 120 Fuß hoch ſein .
Konſtantinopel , den 6. Juni 1837 .
Heute fruͤh um 9 Uhr kamen wir vor Konſtantinopel
an , und zogen durch das Thor Topkapu , das Thor der
Kanone , vormals des heiligen Romanus , in die Hauptſtadt
ein . Es iſt daſſelbe Thor , durch welches Mahomed der
Zweite in die Stadt der griechiſchen Kaiſer drang , und vor
welchem der letzte Konſtantin unter einer naheſtehenden Cy-
preſſe fiel . Die Enkel der Eroberer ( die , beilaͤufig geſagt ,
von dem Allen nicht viel wiſſen ) , waren zu Tauſenden ge-
kommen , um den Großherrn zu empfangen , welcher ſich
nach dem alten Seraj begab , um im Gemach , wo das
Kleid des Propheten aufbewahrt wird , ſeine Andacht zu
verrichten .
10
29.
Stillleben von Bujukdere . — Der Tſchibuk .
Bujukdere , den 13. Juni 1837 .
Da bin ich denn wieder in den ruhigen Hafen von
Bujukdere eingelaufen . Jch bewohne fuͤr ein paar Wochen
ein Kiosk am Bosphor ; die Kaiks gleiten geraͤuſchlos un-
ter meinem Fenſter voruͤber , und die Berge rings umher
ſind mit Gruͤn bedeckt , waͤhrend um Konſtantinopel ſchon
Alles von der Sonne verſengt iſt . Aus welchem meiner
zahlreichen Fenſter ich auch hinaus ſchaue , uͤberall ſehe ich
in die Pracht eines weiten Seegemaͤldes , einer Gebirgs-
landſchaft , oder in ein enges ummauertes Gaͤrtchen voll
bluͤhender Roſen und Oleander . Die kleinen Raſenparterres
ſind mit Blumentoͤpfen eingefaßt und die Gaͤnge in kuͤnſt-
lichen Deſſins mit Seemuſcheln ausgeſchuͤttet . Der duf-
tende Jasmin draͤngt ſich durch die Gitter der Fenſter und
Geisblatt und wilder Wein uͤberranken die Mauern . Auf
dem Meere aber faͤngt der Tag ſich zu regen an ; die Sonne
iſt ſchon uͤber die aſiatiſchen Berge emporgeſtiegen , der Nord-
wind , der den ganzen Sommer hindurch weht und den Auf-
enthalt hier ſo kuͤhl und angenehm macht , ſtreift uͤber die
blanke Spiegelflaͤche des Waſſers und weckt die Wellen ,
welche waͤhrend der Nacht mit der uͤbrigen Natur geſchla-
fen haben ; die großen , ganz dicht am Ufer liegenden Schiffe
lichten die Anker , und das Klappern der Spille und der
einfoͤrmige Geſang der Matroſen verhallt , wie ein Seegel
um das andere ſich entfaltet , und das Fahrzeug langſam
den breiten Strom des Bosphors hinabgleitet . Wenn ich
das Plaͤtſchern der Wellen hoͤre , von denen ich mit dem
gemaͤchlichen Divan nur durch die Fenſterſcheiben in der
hoͤlzernen Wand getrennt bin , ſo iſt mir , als ob ich mich
in der Kajuͤte eines großen Schiffs befaͤnde , und wenn ich
mich umdrehe , ſo glaube ich in ein Kloſtergaͤrtchen zu ſchauen ,
nur daß ſtatt eines Franziskaners ein breiter Tuͤrke am
Thorwege ſitzt und ſein Nargileh , oder die Waſſerpfeife ,
raucht .
Man begreift nicht , wie die Tuͤrken haben leben koͤn-
nen , ehe die große Erfindung der Pfeife gemacht wurde .
Wirklich waren die Gefaͤhrten Osmans , Bajaſids und Meh-
mets ein turbulentes Volk , das beſtaͤndig im Sattel lag
und Laͤnder und Staͤdte eroberte . Seit Suleimans Zeiten
haben ſie ihre Nachbarn auch wohl noch manchmal heim-
geſucht , ſind aber doch ein weſentlich ſitzendes , und heute
ein weſentlich rauchendes Volk geworden , denn ſelbſt die
Frauen „ trinken “ den Tſchibuk .
Jch war kuͤrzlich nach Kjat-hane oder dem Thal der
ſuͤßen Waſſer geritten , und hatte mich dort auf einen klei-
nen niedrigen Rohrſchemel , hinter dicken Platanen , ſo nahe
an eine Gruppe Frauen herangeſetzt , wie die tuͤrkiſche Eti-
quette es erlaubt , d. h. noch ein gutes Endchen ab . Dieſe
Damen formaliſirten ſich ſehr uͤber eine Parthie Juͤdinnen ,
welche ebenfalls in einem Kaik von Konſtantinopel heruͤber
gekommen waren und auf dem gruͤnen Sammetteppich der
Wieſe ſpazieren ſaßen ; denn einmal waren ſie ſo ſchrecklich
entſchleiert , daß man das ganze Geſicht von den Augen-
braunen bis zur Oberlippe ( letztere jedoch excluſive ) zu ſe-
hen bekam , und dann tranken dieſe Unglaͤubigen Brannt-
wein , oder wohl gar Wein . „ Schickt ſich das ? “ fragte
eine breite „ Kokonnah “ , „ was ziemt ſich fuͤr eine anſtaͤn-
dige Frau ? eine Taſſe Kaffee , eine Pfeife Taback et voilà
tout ! “ Dies zur Belehrung fuͤr unſere Damen .
Zwei Dinge ſind in Konſtantinopel zur Vollkommen-
heit gebracht : die Kaiks , von denen ich Dir ſchon geſchrie-
ben , und die Pfeifen . Ein gewiſſer Grad von Unuͤbertreff-
lichkeit fuͤhrt zur Uniformitaͤt ; ein Kaik iſt genau wie das
andere , ſo iſt es mit den Pfeifen auch , und ich brauche
Dir nur eine zu beſchreiben , ſo kennſt Du die ganze Ka-
tegorie von 28 Millionen ( denn in dieſem Lande hat Je-
der ſeine Pfeife ) .
Das Weichſelkirſchrohr iſt 2 bis 6 Fuß und daruͤber
lang , je laͤnger und je dicker , um ſo koſtbarer . Wenn der
unwiſſende Franke ( die Tuͤrken ſagen Jabandſchi — „ der
Wilde “ ) einen Tſchibuk kauft , ſo erhaͤlt er in der Regel
ein aus Ahornholz gedrechſeltes und mit Kirſchbaumrinde
plattirtes Rohr . Die Tuͤrken erkennen den Europaͤer auf
den erſten Blick , beſonders , wenn er den Feß aufſetzt und
mit Sommerſproſſen , rothem Bart und blauen Augen , mit
Handſchuhen an den Haͤnden und Brillen auf der Naſe ,
Praͤtenſion macht , fuͤr einen aͤchten Glaͤubigen zu gelten .
Das zweite Requiſit iſt der Kopf ( Luleh ) ; der rothe
Thon wird in bleierne Formen gepreßt , getrocknet und ge-
brannt . Du findeſt ganze Straßen von Laͤden , wo nur
ſolche rothe Koͤpfe , andere , in welchen nur die Roͤhre feil
geboten werden ; dieſer Umſtand bewirkt , daß man nie ſehr
uͤbertheuert werden kann .
Das letzte und koſtbarſte Stuͤck der Pfeife iſt die Bern-
ſteinſpitze ( Takkim ) . Am geſchaͤtzteſten iſt der milchweiße
Bernſtein ohne Adern oder Flecken , und wenn eine ſolche
Spitze aus großen Stuͤcken beſteht , ſo koſtet ſie vierzig ,
funfzig , ſelbſt hundert Thaler . Jch glaube , daß der groͤßte
Theil alles ſeit Jahrhunderten gefundenen Bernſteins nach
der Tuͤrkei gewandert iſt , denn auch der geringſte Tuͤrke
ſucht davon ein Stuͤckchen fuͤr ſeine Pfeife an ſich zu brin-
gen . Wahr iſt es , daß keine andere Subſtanz oder Com-
poſition ſo angenehm fuͤr die Lippen iſt , wie der Bernſtein ,
von dem man ſich noch uͤberdies uͤberzeugt haͤlt , daß er
keinen anſteckenden Stoff annimmt ; dies iſt zur Zeit der
Peſt beruhigend , denn wenn ein beſonders geſchaͤtzter Gaſt
eintritt , ſo giebt der Tuͤrke ihm ſogleich ſeine eigene Pfeife
zu rauchen .
Der Taback ( Tuͤtuͤn ) iſt vortrefflich und beſonders der
ſyriſche von Ladik geſchaͤtzt ; er wird ſehr duͤnn geſchnitten ,
brennt leicht und kniſtert wie Salpeter .
Ein eigener Diener hat nichts Anderes zu thun , als
ſeinem Herrn , der ſelbſt nichts zu thun hat , die Pfeife rein
zu halten , ſie zierlich zu ſtopfen , eine gluͤhende Kohle genau
mitten auf den Taback zu legen , den Tſchibuk anzurauchen
und mit einer gewiſſen Ceremonie zu uͤberreichen ; er faßt
dabei das Rohr oben mit der rechten Hand , die linke aus
Ehrfurcht vorn uͤber den Leib gelegt , ſo ſchreitet er ſchnell
auf Dich zu und ſetzt den Kopf genau ſo an die Erde , daß
wenn er die Spitze herumſchwenkt , ſie Dir an die Lippen
reicht ; dann ſchiebt er eine kleine Meſſingſchaale unter den
Kopf , um den koſtbaren Teppich vor der Kohle zu bewah-
ren und zieht ſich ruͤckwaͤrts an die Thuͤr zuruͤck , wo er
ſtehen bleibt und wartet , bis er wieder ſtopfen kann .
Die Tuͤrken ſagen , die Pfeife „ trinken “ ( tschibuk
itschmek ) , und wirklich ſchluͤrfen ſie ſie , wie wir ein Glas
Rheinwein ; ſie ziehen den Rauch ganz in die Lungen ein ,
lehnen den Kopf zuruͤck , ſchließen die Augen und laſſen den
berauſchenden Dampf langſam und mit Wohlbehagen durch
Naſe und Mund ausſtroͤmen .
Jch habe fruͤher nie rauchen koͤnnen , und als ich beim
Seraskier die erſten Tſchibuks zu genießen nicht vermeiden
konnte , dachte ich mit Schrecken an eine wahrſcheinlich be-
vorſtehende Seekrankheit . Jndeß habe ich mich an die hie-
ſige Art zu rauchen ſchnell gewoͤhnt , und finde ſogar ein
Vergnuͤgen daran , unter einer ſchattigen Platane den Blick
uͤber Meer und Berge ſchweifen zu laſſen , und halb traͤu-
mend , halb wachend den expanſiblen Trank aus der Pfeife
zu leeren .
Um das Capitel des Rauchens vollſtaͤndig abzuhan-
deln , muß ich noch der Waſſerpfeife ( Nargileh ) erwaͤhnen .
Der Rauch eines ſehr ſchweren , etwas angefeuchteten Ta-
backs ( Tuͤmbeki ) wird durch Waſſer geleitet und gelangt
kalt durch einen viele Ellen langen duͤnnen Schlauch in den
Mund des Rauchers . Das Waſſer befindet ſich in einer
glaͤſernen Urne ( boͤhmiſcher Arbeit ) ; der Tuͤrke thut eine
Roſe oder eine Kirſche hinein und hat ſeine harmloſe Freude
daran , wie dieſe bei jedem Zuge auf der bewegten Ober-
flaͤche tanzt . Ein ſolcher Nargileh , ein ſchattiger Baum ,
eine plaͤtſchernde Fontaine und eine Taſſe Kaffee ſind Alles ,
was der Tuͤrke bedarf , um ſich 10 bis 12 Stunden des
Tages koͤſtlich zu unterhalten . Der „ Kjef “ oder die gute
Laune des Orientalen beſteht in einer gleichmuͤthigen See-
lenſtimmung mit gaͤnzlicher Vermeidung aller Emotionen .
Eine lebhafte Unterhaltung oder nur eine weite Ausſicht
ſind ſchon Stoͤrungen ; dagegen erhoͤht es ſehr die Laune ,
wenn zur Romaika oder Zither der Armenier eine der ein-
foͤrmigen , durch das ganze weite Reich gleichtoͤnenden Wei-
ſen ſingt , deren Refrain ſtets Amann , Amann — „ Erbar-
men “ — iſt , oder wenn griechiſche Knaben ihre nach un-
ſern Begriffen hoͤchſt anſtoͤßigen und ungrazioͤſen Taͤnze aus-
fuͤhren . Aber ſelbſt zu ſingen oder ſelbſt zu tanzen koͤmmt
keinem Moslem in den Sinn ; man koͤnnte ihm eben ſo gut
zumuthen , ſich zu geißeln , oder ſpazieren zu gehen .
Jch finde indeß , daß einem Franken auch die reizendſte
Gegend und ſelbſt die Pfeife nicht Umgang und geiſtige
Mittheilung erſetzen koͤnnen ; damit ſieht es nun am ſchoͤ-
nen Bosphorus ſchlecht aus . Die Diplomaten wohnen in
verſchiedenen Doͤrfern , ſie ſind durch die Entfernung , wie
durch Ruͤckſichten getrennt , und die Peroten gehen in ihren
Jdeen ſelten weiter , als die Kaiks , d. h. nicht uͤber die
naͤchſte Umgebung hinaus . Jch freue mich daher unbe-
ſchreiblich auf die nahe Ankunft der Offiziere , welche der
Großherr vom Koͤnig erbeten hat . Waͤhrend andere Maͤchte
ſich die groͤßte Muͤhe gegeben , Offiziere in den tuͤrkiſchen
Dienſt zu bringen , ohne daß es ihnen gelungen , hat unſere
Regierung in dieſer Beziehung nur den wiederholten Wuͤn-
ſchen und Antraͤgen der Pforte nachgegeben , wodurch denn
unſere Stellung von der wenig beneidenswerthen der fraͤn-
kiſchen Talimdſchis oder Jnſtructeure ſich weſentlich anders
geſtaltet hat .
30.
Zweite Audienz beim Großherrn .
Bujukdere , den 26. Juli 1837 .
Am Tage , nachdem ich Dir das letztemal geſchrieben ,
wurde ich ins Mabeïn befohlen . Dies Gebaͤude iſt durch
eine hohe Mauer noch von dem eigentlichen Seraj oder
Schloß geſchieden , in welchem dann das Haremm wieder
beſonders abgetheilt iſt , welches nur von Frauen , Verſchnit-
tenen und dem Großherrn ſelbſt bewohnt wird . Waſſaf-
Effendi , der bisherige erſte Sekretair und Guͤnſtling des
Großherrn , von dem ich Dir geſchrieben , war abgeſetzt und
ſeine Stelle durch Sayd-Bey eingenommen , den ich auf
der Reiſe naͤher kennen gelernt . Das Geſpraͤch drehte ſich
um gleichguͤltige Gegenſtaͤnde und unvermeidliche Compli-
mente . Eine Pfeife wurde nach der andern geraucht , und
Zeit und Weile fingen mir an lang zu werden , als Sayd-
Bey mich aufforderte , ihm zum Großherrn zu folgen ; da
dergleichen Audienzen hier ſelten und ungewoͤhnlich ſind , ſo
kam mir dieſer Vorſchlag ſehr unvermuthet . Jch war in
meinem Ueberrock und Strohhut , alſo nichts weniger als
hochzeitlich gekleidet . Das Palais Beglerbey , wo der Sul-
tan im Sommer reſidirt , erhebt ſich an der aſiatiſchen Seite
des Bosphorus in einer ſehr ſchoͤnen Lage . Rechts ſieht
man die weißen Thuͤrme der Hiſſar oder alten Schloͤſſer ,
und den Bosphorus hinauf bis faſt nach Bujukdere , links
Scutari , Pera und Galata , Konſtantinopel und die Seraj-
ſpitze mit ihren weißen Minarehs und ſchwarzen Cypreſſen .
Beglerbey ſelbſt iſt ein ausgedehntes Gebaͤude , hellgelb an-
gemalt , wie alle uͤbrigen Wohnungen aus Brettern zuſam-
mengenagelt und mit zahlloſen Fenſtern , eins uͤber dem an-
dern . Jch trat durch ein vergoldetes Thor in einen aͤcht
tuͤrkiſchen Garten mit kleinen , von Buxbaͤumen eingefaßten
Blumenparterres , die Gaͤnge mit Muſcheln ausgeſtreut ;
Baſſins mit Goldfiſchen und Springbrunnen waren um-
ſtanden von Pyramiden aus Cypreſſen- und Orangenbaͤu-
men . Jm Hintergrunde erhoben ſich Terraſſen mit eben
ſolchen Parthieen , ſchoͤnen Treibhaͤuſern und Kiosken ; das
Ganze aber iſt von hohen Mauern umgeben , die zwar gruͤn
angeſtrichen ſind , aber doch etwas ſehr Beengendes haben .
Nach dem Bosphorus ſind die Fenſter in der Mauer au-
ßer den groͤßeren Gittern mit einem ziemlich dichten Ge-
flecht aus Rohrſtaͤbchen zugeſetzt , ſo daß man zwar hin-
aus , aber nicht hinein ſehen kann . An der Seite des Ha-
remms ſind dieſe Rohrjalouſien doppelt , und ſchließen , ſelbſt
im dritten Stock des Palais , die Fenſter bis zum oberſten
Rande .
Jch ſah mir eben dieſe Herrlichkeiten an , als der Groß-
herr uͤber eine Art Gallerie aus dem Haremm ging und
uns aus dem Fenſter rief , herauf zu kommen . Unten auf
dem Flur , welcher mit ſchoͤnen Marmorplatten ausgelegt
iſt , begegneten wir dem dritten Prinzen Sr. Majeſtaͤt auf
den Armen eines ſchwarzen Sclaven ; ein ſehr ſchoͤner Knabe
von zwei Jahren , luſtig und geſund ausſehend . Sayd-
Bey hatte die Ehre , den Rockzipfel des Kindes zu kuͤſſen .
Wir ſtiegen eine recht ſchoͤne , breite Treppe hinauf , durch-
ſchritten einige Saͤle , in denen eigentlich nichts war , was
man nicht in jedem gut eingerichteten Privathauſe bei uns
auch findet ( außer etwa die ſehr ſchoͤnen Parquets aus
Cedern- und Nußholz ) und ſtanden vor Sr. Hoheit , wel-
cher in einem Cabinet ganz nahe an der Thuͤr in einem
Lehnſeſſel ſaß und ſeine Pfeife rauchte . Vor ihm ſtand
Mehmet Aly Bey , neben ihm Rißa Bey , ſeine beiden
Pagen oder Vertrauten , die Arme vorne verſchraͤnkt , in
ehrfurchtsvollem Schweigen . Das Zimmer war von einer
angenehmen Dunkelheit ; ein ſtarker Zugwind , den hier Nie-
mand fuͤrchtet und ohne den man nicht leben kann , unter-
hielt trotz der Hitze des Tages die angenehmſte Kuͤhle ; die
Fenſter ſahen auf den Bosphorus , deſſen Stroͤmung ſich
hier mit Geraͤuſch gegen den Quai bricht . Nachdem Sayd-
Bey mit der Hand den Fußboden beruͤhrt , meldete er einige
Dienſtangelegenheiten und brachte dann eine Entſchuldigung
wegen meiner Toilette vor ; der Großherr erwiderte , daß
das ganz einerlei ſei , und druͤckte in freundlicher und wohl-
wollender Weiſe ſeine Zufriedenheit aus , mich zu ſehen .
Se. Majeſtaͤt erwaͤhnten der gemachten Reiſe , aͤußerten
ſich beifaͤllig uͤber mehrere Gegenſtaͤnde , und erkundigten
ſich , ob meine Cameraden ſchon unterweges ſeien . Zum
Abſchied ließ der Großherr mir durch Riſa Bey eine ſehr
ſchoͤne Tabatiere uͤberreichen , mit dem Bedeuten , ich moͤge
ſie als Andenken in meiner Familie aufbewahren .
31.
Der Thurm von Galata .
Bujukdere , den 14. September 1837 .
Zu meiner großen Freude trafen am 28. Auguſt drei
meiner Cameraden , die Capitains Baron v. V. und F. vom
Generalſtabe , und v. M. vom Jngenieur-Corps , in Kon-
ſtantinopel ein . Das Dampfſchiff war aus Trieſt erwar-
tet , und ich beſtieg einmal uͤber das andere den gewal-
tigen runden Thurm von Galata , von dem ich uͤber das
Gewimmel des Hafens , uͤber Konſtantinopel und die Bo-
gen des Valens fort in den flimmernden Propontis hin-
ausſpaͤhte . Die Principos-Jnſeln und der rauhe Fels von
Proti tauchen in blauen Umriſſen aus der lichten Flaͤche
empor , welche von dem Felsgebirge von Mudania begrenzt
wird ; dahinter erhebt wie eine weiße Wolke der zackige
Olymp ſein beſchneites Haupt uͤber die warme Seelandſchaft ,
und in kaum erkennbarer Nebelgeſtalt zeigen ſich am fern-
ſten Horizont noch Katolymnia und die Berge von Cyſikus .
Warten iſt an ſich ein fatales Ding , aber der Thurm von
Galata iſt der Punkt , von wo man es noch am erſten eine
Weile aushaͤlt ; vierzig Schritte fuͤhren Dich rings um
die Baluſtrade des Thurms , aber welche Mannigfaltigkeit
von Gegenſtaͤnden erblickt das Auge waͤhrend dieſer vierzig
Schritte ! Von dem oͤſtlichen Rande des Umgangs ſchweift
der Blick uͤber die maͤchtige Vorſtadt Scutari ( Uskuͤdar ) ,
das alte Chryſopolis , welche mit zahlloſen Haͤuſern , praͤch-
tigen Moſcheen , Baͤdern und Fontainen amphitheatraliſch
an einer Hoͤhe emporſteigt , deren Gipfel durch einen ſchwar-
zen Cypreſſenwald gekroͤnt iſt . Jn der reizendſten Lage am
Felsufer des Marmormeeres erhebt ſich die ungeheuere Ka-
ſerne fuͤr zehntauſend Mann und die zierliche Moſchee Se-
limuje , weiter rechts ſchimmern die Haͤuſer von Kadikoͤi ,
dem alten Chalcedon , deſſen Gaͤrten die ſchroffen Klippen
von Moda-Burnu kraͤnzen , und dahinter erſtreckt ſich ein
wunderbar ſchoͤnes , niedriges Vorgebirge weit in die See ,
welches von rieſenhaften Platanen und Cypreſſen beſtanden
iſt . Ein kleiner Leuchtthurm auf der aͤußerſten Spitze hat
ihm den Namen Fener-Bagtſcheſſi , der „ Laternengarten “ , ge-
geben . Naͤher heran taucht aus der Fluth des Bosphor ,
da wo er in den Propontis tritt , der phantaſtiſch geformte
Maͤdchenthurm Kiß-Kaleſſi , den die Europaͤer , ich weiß
nicht warum , Leanderthurm nennen ; das waͤre ein koͤſt-
liches Plaͤtzchen fuͤr einen Einſiedler , der mitten im regſten
Getuͤmmel des Lebens , umgeben von einer halben Million
Menſchen , in der tiefſten Abgeſchiedenheit verweilen wollte .
Drei große Staͤdte blicken auf jenen Thurm , die maͤchtig-
ſten Schiffe ziehen dicht an ihm voruͤber und zahlloſe Na-
chen umkreiſen ihn , aber ohne ihn zu beruͤhren . Mit Ent-
ſetzen wendet ſich jedes von dieſen Mauern ab , denn ſie
enthalten ein Peſthoſpital . Vor Allem aber zieht die Spitze
des Serajs den Blick des Beſchauers auf ſich durch die
Schoͤnheit ihrer Form und die ganz beſondere Pracht der
Farben . Der Bosphor waͤlzt ſich mit Gewalt gerade auf
dieſe durch das goldene Horn und den Propontis gebildete
Landzunge ; ſeine Wellen ſind hier zu allen Zeiten in huͤpfen-
der Bewegung , und koͤſtlich zeichnen ſich auf dieſem tief-
blauen Grund und gegen das Schwarz der Cypreſſen und
ſchattigen Platanen die Marmorkioske mit goldenen Gittern ,
die weißen Minarehs und hellgrauen Bleikuppeln ab .
Jch fuͤhre Dich jetzt an den noͤrdlichen Rand des Thurms ,
von wo aus der ſtaunende Blick die Ufer des Bosphor bis
zum „ Rieſenberg “ ( Juſcha-Dagh ) verfolgt ; wie ein maͤch-
tiger Strom windet die Meerenge ſich zwiſchen lauter zu-
ſammenhaͤngenden Ortſchaften , zwiſchen Pallaͤſten , Moſcheen ,
Kiosken und Schloͤſſern hindurch , zwei Meere verbindend
und zwei Welttheile trennend . Sie bildet eigentlich die
Hauptſtraße von Konſtantinopel , wenn man unter dieſer
Benennung das ganze Aggregat von Staͤdten , Vorſtaͤdten
und Ortſchaften verſteht , in welchen 800,000 Menſchen dicht
beiſammen wohnen . Gegen den Bosphor ſind die Haupt-
façaden der tuͤrkiſchen Sommerwohnungen ( Jalys ) gewen-
det , und der Rajah ſtrebt , wenigſtens ein paar Fuß breit
Raum fuͤr ſein Haus oder ſein Gaͤrtchen unmittelbar an
ſeinen Fluten zu behaupten . Dort auf der aſiatiſchen Seite
leuchtet neben der reizenden Moſchee von Beglerbey der
Sommerpallaſt von Starros , auf der europaͤiſchen Beſchik-
taſch , welches der Sultan des Winters bewohnt , und Tſchi-
ragan , welches noch im Bau und alle uͤbrigen an Ausdeh-
nung uͤbertrifft ; dort ziehen die maͤchtigen Schiffe hinauf ,
die weißen baumwollenen Seegel werden eins uͤber das
andere gethuͤrmt , um jeden Hauch des Suͤdwinds aufzu-
fangen , welchen ganze Flotten auf einmal benutzen , um die
ſtarke Stroͤmung zu uͤberwinden . Unabhaͤngig vom Winde
brauſen die Dampfſchiffe einher ; die langen Rauchſtreifen
erheben ſich am wolkenloſen Himmel , und die Bergufer er-
toͤnen von den ſchnellen Schlaͤgen ihrer Raͤder ; unbeweg-
lich , in langen Reihen , ruhen hier die gewaltigen Kriegs-
ſchiffe , aus drei Reihen von Feuerſchluͤnden drohend . Jhre
ſtolzen Maſte tragen die rothe Flagge mit dem Halbmond
hoch in die blaue Luft . Aber Tauſende , ja viele Tauſende
von leichten Nachen durchkreuzen ſchnell und geſchaͤftig in
allen Richtungen dieſe majeſtaͤtiſche Hauptſtraße .
Und doch darfſt Du nur zehn Schritte weiter links
gehen , ſo blickſt Du , ſtatt in dieſe Scene des regſten Le-
bens und Treibens , hinaus in eine menſchenleere Einoͤde .
So weit das Auge reicht , nichts als unbebaute Flaͤchen
und baumloſe Huͤgel , und kaum entdeckſt Du einen ſandi-
gen Saumpfad durch das hohe Heidekraut und Geſtripp ,
dies iſt die Campagna des neuen Roms ; ſo iſt der Con-
traſt der See- und Landſeite Konſtantinopels .
Dicht unter Dir freilich haſt Du das Getuͤmmel im
goldenen Horn ( Chryſo-Keras ) , im Arſenal auf den Schiffs-
werften , auf der neuen Bruͤcke und in Galata . Die Man-
nigfaltigkeit dieſer Ausſicht iſt ſo groß , daß man Tauſende
von Gegenſtaͤnden achtlos uͤberſieht , vor denen man an einem
andern Orte ſtaunend ſtehen bleiben wuͤrde .
Mich intereſſirt diesmal nichts ſo ſehr , als eine kleine
ſchwarze Rauchwolke am blendenden Horizont des Propon-
tis , die immer naͤher ruͤckt und ſich bald in ein breites
Dampfſchiff verwandelt ; die Wellen ſtiegen ſchaͤumend an
ſeiner ſchwarzen Bruſt empor und floſſen ſchneeweiß zu bei-
den Seiten hinab , weithin einen Silberſtreif auf die blaue
Flaͤche zeichnend . Jetzt kaͤmpfte das Pyroſkaph mit der
ſtarken Stroͤmung an der Spitze des Serajs , aber ſieg-
reich ſchoß es hinter den alten Mauern hervor , wendete in
den Hafen herum und mit lange anhaltendem Geraſſel ſank
der Anker auf den tiefen Grund herab .
Jch brachte meine Cameraden ſogleich nach Bujukdere ,
wo freundliche Wohnungen fuͤr ſie bereit ſtanden , und es
war ein großes Vergnuͤgen , zu Pferd und im Nachen ihr
Fuͤhrer durch alle dieſe ſchoͤnen Umgebungen zu ſein , welche
ich durch meine Aufnahme ſchon gruͤndlich ſtudirt hatte .
32.
Reiſe durch Rumelien , Bulgarien und Dobrudſcha .
Der Trajanswall .
Varna , den 2. November 1837 .
Nach kurzem Aufenthalt in Bujukdere wurden meine
Cameraden und ich dem Großherrn vorgeſtellt , welcher uns
zu Beglerbey ſehr gnaͤdig empfing ; bald darauf erhielten
wir Befehl zu einer Reiſe nach der Donau . Bei uns wuͤrde
man ſich auf die Schnellpoſt ſetzen und waͤre in zwei bis
drei Tagen da ; hier macht das etwas mehr Umſtaͤnde ;
unſere Cortege bildet eine kleine Caravane von einigen vier-
zig Pferden , und als wir uͤber die Bruͤcke von Konſtanti-
nopel ritten , ſah der Zug ganz ſtattlich aus : voraus eilte
ein Tartar in ſeinem rothen Anzuge mit Piſtolen und Hand-
ſchar , der die Quartiere macht und die Pferde auf den
naͤchſten Poſten zuſammen treibt ; zwei andere Tataren ſchlie-
ßen den Zug , um Alles in Obacht zu nehmen und die Nach-
zuͤgler vorwaͤrts zu treiben . Die militairiſche Bedeckung
bilden drei Kawaſſe oder Gensd'armen ; außer ihnen folgen
zwei armeniſche Dolmetſcher , zwei griechiſche Bedienten , ein
Koch , drei tuͤrkiſche Offiziere , vierzehn Packpferde , vier oder
fuͤnf Surudſchi oder Pferdejungen und ein paar Reſerve-
Pferde .
Auf der großen Straße nach Adrianopel bewegte ſich
dieſer Train ſchnell genug vorwaͤrts ; bald aber fingen die
Bedienten an zu klagen ; der eine hatte Kopfſchmerzen , der
andere Fieber , und alle hatten ſich durchgeritten . Von
Tſchatall-Burgas bogen wir aus nach Kirkliße . Die Berge
wurden immer hoͤher , die Wege ſchlechter , und der Regen
ſtroͤmte reichlich herab . Die Quartiere in den Doͤrfern
waren unbeſchreiblich elend ; am vierten Tag kamen wir
nach Umur-Faki , welches auf der Karte mit großen Let-
tern geſchrieben , aber in der That nur ein ganz elendes
Dorf iſt . Zwei Drittel der Haͤuſer ſtanden leer , weil die
Bewohner an der Peſt geſtorben oder vor ihr geflohen wa-
ren . Als wir in die Wohnung des Tſchorbadſchi einzogen ,
mußte die Familie zum Hauſe hinaus getrieben werden ;
wir zuͤndeten ein maͤchtiges Feuer an und breiteten unſere
Decken von Ziegenhaar aus ; einer eben voruͤbergehenden
Gans wurde ohne weitere Umſtaͤnde der Hals abgeſchnit-
ten , und kaum gerupft , ſpazierte ſie in den Keſſel , wo ſie
ſich mit einigen Huͤhnern und einer reichlichen Portion Ger-
ſtengruͤtze zuſammen fand und uns Hungrigen ein recht
conſiſtentes Mahl gab . Jn dieſer ganzen Procedur war
nicht das geringſte Ungewoͤhnliche , außer , daß wir den an-
dern Morgen die Leute bezahlten und beſchenkten .
Unſer Zug theilte ſich nun in mehrere Colonnen ; Baron
v. V. und ich dirigirten uns nach Burgas am Schwarzen
Meere , ſchifften uns nach Sizepolis und von da nach Achi-
olu ein , uͤberſchritten bei fortwaͤhrendem Regenwetter den
Balkan und ruhen uns jetzt in Varna aus , wo uns der
Paſcha aufs Zuvorkommendſte aufgenommen , und wo man
fuͤr uns ſo gut geſorgt hat , wie es die Umſtaͤnde erlauben .
Eben hat Se. Excellenz uns den Beſuch gemacht und die
Pfeife mit uns geraucht .
Jch kann der Ovidiſchen Klage von den eiſigen Ufern
der Donau nur beiſtimmen . Ungewoͤhnlich fruͤh trat dies
Jahr die rauhe Jahreszeit ein , und ſchon Anfangs Okto-
ber waren kleine Waſſer des Morgens zugefroren . Am
ſchlimmſten aber war der Regen , und noch ſchlimmer die
Entbehrungen , zu welchen die Vorſichtsmaaßregeln zwin-
gen , die wir gegen eine furchtbare Peſt zu nehmen hatten ,
welche dieſen Herbſt ganz Rumelien und die Oſtkuͤſte Bul-
gariens heimſuchte . Wenn man nach einem langen Ritt
Abends durchnaͤßt ins Nachtquartier kam , ſo hatte man
eigentlich nur die Wahl zwiſchen einer moͤglichen Peſt und
einer gewiſſen Erkaͤltung ; die erſte Frage war : wie ſteht
es hier mit der Krankheit ? Die Tuͤrken zuckten mit den
Achſeln , die Rajahs jammerten , alle Haͤuſer waren verdaͤch-
tig und es blieb nichts uͤbrig , als ein von ſeinen Einwoh-
nern verlaſſenes Konak zu erbrechen , alle Gegenſtaͤnde dar-
aus zu entfernen , in Ermangelung von Fenſterſcheiben die
Laͤden zu ſchließen und ein maͤchtiges Feuer anzuzuͤnden ,
an welchem gekocht und getrocknet wurde . Jeder von uns
fuͤhrte große Saͤcke aus Haartuch mit ſich , welche der An-
ſteckung nicht ausgeſetzt ſein ſollen , dieſe wurden ausge-
breitet , unſere eigenen Betten darauf gelegt , und ſo ging 's
alle Tage weiter . Unſere griechiſchen Bedienten hielten das
aber nicht lange aus , einer wurde nach dem andern krank
und den meinigen mußte ich ſchon von Varna aus zu
Schiffe zuruͤck ſchicken ; einer meiner Cameraden bekam das
Fieber und hatte die ganze Reiſe krank mitmachen muͤſſen ;
am beſten waren unſere Tuͤrken daran , die lachten uͤber
alle unſere Vorſicht , legten ſich auf die weichen Kiſſen zur
Ruhe und blieben eben auch geſund .
Das Land hat fuͤrchterlich gelitten ; gewiß ein Drittel
der Haͤuſer ſtand leer . So wie die Tuͤrken das Daſein
der Peſt ganz leugnen , ſo halten die Bulgaren ſie fuͤr eine
Perſon ; in Fakih ſah ich eine Frau ſo elenden Ausſehens ,
daß ich ihr ein Almoſen gab , oder vielmehr aus Vorſicht
zuwarf . Wir fragten ſie , was ihr gefehlt , und da ſie den
tuͤrkiſchen Namen der Peſt nicht kannte , ſo ſagte ſie : „ die
Frau , die des Nachts herumgeht und die Leute bezeichnet ,
hat meinen Mann und meine Kinder genommen , ich allein
bin uͤbrig . “ Sie ſah aus , als ob ſie nicht lange allein
uͤbrig bleiben wuͤrde . An vielen Orten , namentlich in Bul-
garien , hatten alle Einwohner die Flucht in die Berge ge-
nommen . Das ſchoͤne Tirnowa , welches ich dies Fruͤhjahr
ſo heiter gefunden , gewaͤhrte den finſterſten Anblick ; Ka-
ſanlik war faſt veroͤdet ; in einigen Doͤrfern ſah man kaum
einen Menſchen . Noͤrdlich des Balkans war es beſſer , die
Krankheit war faſt erloſchen , hier aber hatte der Krieg faſt
eben ſo ſchreckliche Spuren hinterlaſſen , wie die Peſt ; daß
zwei Geißeln , wie Peſt und Krieg , ein Land grauſam ver-
heeren , iſt begreiflich , daß aber nach acht Friedensjahren
ſolche Spuren uͤbrig ſind , klagt die Verwaltung des Lan-
des laut an . Man glaubt , die Ruſſen ſeien geſtern erſt
abgezogen ; die Staͤdte ſind buchſtaͤblich Steinhaufen , nur
in einzelnen Huͤtten , aus den Truͤmmern zuſammengebaut ,
hauſen die Einwohner , und an den uͤberall gruͤndlich ge-
ſchleiften Werken liegt noch ein Minentrichter neben dem
andern , als ob ſie eben geſprengt . Die Hafenſtadt Kuͤ-
ſtendſchi enthaͤlt vierzig Einwohner ; in Mißivri waren zwei
Drittel der Einwohner mit den Ruſſen gezogen und der
Reſt von der Peſt decimirt . Dieſe Stadt hat eine maleri-
ſche und feſte Lage auf einem weit ins Meer hineinragen-
den Felſen ; die Ruinen von fuͤnf byzantiniſchen Kirchen
mit zierlichen Kuppeln zeigten , was der Ort einſt geweſen ,
und die Moſchee am Eingang der Stadt ſprach davon ,
durch wen ſie geworden , was ſie iſt .
Von Varna an durchzog ich ein Land , welches mir
meiſt ſchon bekannt war ; in Schumla hatte ich ein zier-
liches Haus , in welchem Fuͤrſt Miloſch fruͤher gewohnt
hatte . Hier empfing uns Sayd-Paſcha , der Muſchier
von Siliſtria , Paſcha von drei Roßſchweifen und Vezier ,
mit der ausgezeichnetſten Artigkeit ; wir fuhren mit ihm
in ſeinem Wagen nach Ruſtſchuk , und weil dort noch kurz
zuvor taͤglich 60 bis 80 Menſchen an der Peſt ſtarben , ſo
hielten wir eine nach tuͤrkiſchen Begriffen ſehr ſtrenge Ab-
ſperrung in ſeinem eigenen Konak .
Von Schumla fuhren wir mit unſerm Paſcha die Do-
nau ſchnell hinab , verweilten in Siliſtria und begaben uns
mit dem Vezier auf einen Pachthof bei Raſſova , der ihm
dort gehoͤrt . Unterwegs machte der Paſcha die Honneurs ;
alle Abend waren wir zum Diner bei ihm geladen , wo
„ alla franca “ , d. h. mit Meſſern und Gabeln ( und nur
confidentiellement zuweilen mit den Fingern ) , zugelangt
wurde . Der Champagner fehlte nicht ; an Eſſen war eine
entſetzliche Fuͤlle , die Zahl der Schuͤſſeln endlos und wohl
die Haͤlfte davon ſuͤß . Dabei ſaß ein Arnaut in einen
Winkel gekauert , der die Romaika , eine Art Guitarre mit
ſehr langem , duͤnnem Halſe , ſpielte und dabei eine Liebes-
geſchichte ſang , oder vielmehr aus allen Kraͤften ſeiner Lunge
ſchrie , die zu Sultan Urchan 's Zeiten , vor Eroberung von
Konſtantinopel , ſehr anziehend geweſen ſein mochte . Waͤh-
rend der Mann mit angeſchwollenen Stirnadern muſicirte ,
tanzten Zigeunerjungen mit Caſtagnetten in ſeltſamen , bet-
telhaften Anzuͤgen und mit abenteuerlichen Verdrehungen
ihrer Glieder . Dieſe ganze Scene ſpielte in einem halb
erleuchteten Zimmer , welches einer recht eingewohnten Ka-
ſernenſtube am aͤhnlichſten ſah . An den weißen Kalkwaͤn-
den hingen einige reich gearbeitete tuͤrkiſche Gewehre und
leinene Beutel mit der Correſpondenz des Paſcha . Außer
dem breiten Divan hatte man Mahagoniſtuͤhle und So-
pha's mit ſeidenen Behaͤngen hineingeſetzt , und um gewiß
ganz europaͤiſch eingerichtet zu ſein , hatte man drei Stutz-
uhren neben einander auf einen Tiſch geſtellt .
Jn Siliſtria wurden wir eingeladen , mit dem Paſcha
ins Bad zu gehen . Ueber die Einrichtung der tuͤrkiſchen
Baͤder hab' ich Dir ſchon einmal geſchrieben . Jn der Vor-
halle , wo man ſich auskleidet und in Tuͤcher wickeln laͤßt ,
fanden wir einige dreißig Mann von der Dienerſchaft des
Veziers . Nachdem der Kaffee genommen und eine Pfeife
getrunken , verfuͤgten wir uns in das zweite bis auf 18 Gr.
erwaͤrmte Gemach , wo man ſich auf ein weiches Lager hin-
ſtreckt , raucht und ſich kunſtgerecht kneten und frottiren
laͤßt . Mittlerweile wurden wir durch denſelben Geſang wie
bei der Tafel erfreut , zugleich aber ſpielte eine Art von ko-
miſcher Scene : Ein bezahlter Luſtigmacher , der auch ſchon
bei den Taͤnzen fungirt hatte , und gelegentlich Pruͤgel be-
kam , trat hier als Saͤnger auf ; der Spaß beſtand nun
darin , daß waͤhrend dieſer Jude ſang , Jemand ihm unver-
merkt nahte , ihm den Mund voll Seife ſchmierte , das Ge-
ſicht mit Aſche faͤrbte oder einen Kuͤbel Waſſer uͤber den
Kopf goß und dergleichen Scherze mehr ; ſchließlich wurde
dem Juden der Bart verbrannt , und ſo oft ſich dieſe Spaͤße
erneuerten , lachte Se . Excellenz aufs Herzlichſte .
Sayd Mirza Paſcha iſt ein Tartar aus Beſſara-
bien ; er fing als Pferdejunge an , diente dann in Arabien ,
Syrien , Morea , Albanien und gegen die Ruſſen ; er iſt
ohne alle wiſſenſchaftliche Bildung , aberglaͤubiſch bis zum
Erſtaunen , aber von natuͤrlichem Verſtande und richtigem
Takte . — Freilich weicht die Gaſtfreiheit des Muſchirs
von Siliſtria ſehr ab von dem , was wir bei uns von einem
kommandirenden General erwarten ; indeſſen brauchen wir
in unſerer eigenen Geſchichte nicht allzuweit zuruͤckzugehen ,
11
um unſere Fuͤrſten und Herren bei vollen Schuͤſſeln und
reichlichem Getraͤnk in ſchlechten Zimmern und bei derben
Spaͤßen heiter zu ſehen .
Ein fuͤr mich neuer und intereſſanter Terrainabſchnitt
war die Dobrudſcha , das Land naͤmlich zwiſchen dem Schwar-
zen Meer und der Donaumuͤndung . Wenn man auf der
Karte die Donau nach ſo langem oͤſtlichen Lauf ganz kurz
vor ihrer Ausmuͤndung ploͤtzlich unter einem rechten Win-
kel abdrehen und an zwanzig Meilen noͤrdlich fließen ſieht ,
ſo iſt man geneigt , zu glauben , daß ſie ſelbſt die Berge an-
gewaͤlzt hat , welche ſie verhindern , die kurze Strecke von
7 Meilen von Raſſova bis zum Meere geradeaus zu gehen .
Dies iſt aber nicht der Fall ; das Gerippe der Dobrudſcha
wird durch ein Sand- und Kalkſtein-Gebirge gebildet , wel-
ches bis zu einer gewiſſen Hoͤhe mit dem angeſchwemmten
Erdreich der Donau uͤberlagert iſt . Ueberall zeigt der Bo-
den dieſelbe graue Maſſe von Sand und Lehm , welche ſchon
durch ganz Ungarn die Ufer jenes Stromes bildet , und
viele Meilen weit findet man auch nicht den kleinſten Stein ,
nur ſo groß wie eine Linſe . Dagegen tritt in den Thaͤlern
uͤberall Fels zu Tage , und jemehr gegen Norden , je hoͤher
und ſchroffer ragen Felszacken aus den Spitzen der Huͤgel
empor . Jn der Gegend von Matſchin bilden dieſe eine Reihe
Berge von wahrer Alpenformation in kleinem Maaßſtabe .
Dieſes ganze , wohl 200 Quadratmeilen große Land
zwiſchen dem Meere und einem ſchiffbaren Strome iſt eine
ſo troſtloſe Einoͤde , wie man ſie ſich nur vorſtellen kann ,
und ich glaube nicht , daß es 20,000 Einwohner zaͤhlt . So
weit das Auge traͤgt , ſiehſt Du nirgends einen Baum oder
Strauch ; die ſtark gewoͤlbten Huͤgelruͤcken ſind mit einem
hohen , von der Sonne gelb gebrannten Graſe bedeckt , wel-
ches ſich unter dem Winde wellenfoͤrmig ſchaukelt , und ganze
Stunden lang reiteſt Du uͤber dieſe einfoͤrmige Wuͤſte , be-
vor Du ein elendes Dorf ohne Baͤume oder Gaͤrten in ir-
gend einem waſſerloſen Thal entdeckſt . Es iſt , als ob dies
belebende Element in dem lockern Boden verſaͤnke , denn in
den Thaͤlern ſieht man keine Spur von dem trocknen Bett
eines Bachs ; nur aus Brunnen wird an langen Baſtſeilen
das Waſſer aus dem Grunde der Erde gezogen .
Schon die Roͤmer betrachteten die Dobrudſcha als ein
Land , welches man den noͤrdlichen Barbaren preis geben
muͤſſe , und ſchnitten ſie durch eine Mauer laͤngs der See-
reihe von Karaſu ( Czernawoda , Schwarzwaſſer ) von Moͤ-
ſien ab . Jn der letzten Zeit hat der Krieg hier fuͤrchter-
lich gehauſet ; gewiß ein Drittel der Doͤrfer , welche die
Karten angeben , exiſtiren gar nicht mehr ; Hirſova beſteht
aus 30 Haͤuſern , und Jſaktſchi und Touldſcha ſind um
1000 bis 5000 Schritt aus ihrer alten Lage gewichen . —
Die Koſaken , welche fruͤher auf dieſem Boden wohnten ,
ſind zu den Ruſſen hinuͤbergegangen , und es bleibt nur
eine kleine und gemiſchte Bevoͤlkerung aus Tataren , Wla-
chen , Moldowanern , Bulgaren und wenigen Tuͤrken uͤbrig .
Nachdem der Menſch den Menſchen aus dieſer Re-
gion verſcheucht , ſcheint das Reich den Thieren anheim-
gefallen zu ſein . Niemals habe ich ſo viele und maͤchtige
Adler geſehen , wie hier ; ſie waren ſo dreiſt , daß wir ſie
faſt mit unſern Hetzpeitſchen erreichen konnten , und nur
unwillig ſchwangen ſie ſich von ihrem Sitz auf alten Huͤ-
nen-Huͤgeln einen Augenblick empor . Zahlloſe Voͤlker von
Rebhuͤhnern ſtuͤrzten laut ſchwirrend faſt unter den Hufen
unſerer Pferde aus dem duͤrren Graſe empor , wo gewoͤhn-
lich ein Habicht ſie beobachtend umkreiſete . Große Heer-
den von Trappen erhoben ſich ſchwerfaͤllig vom Boden ,
wenn wir uns naͤherten , waͤhrend lange Zuͤge von Krani-
chen und wilden Gaͤnſen die Luft durchſchnitten . Viele
Tauſende von Schaafen und Ziegen kommen jaͤhrlich von
Siebenbuͤrgen und der Militairgrenze heruͤber , um hier zu
weiden ; fuͤr dieſe Erlaubniß wird 4 Para oder 2½ Pfennig
pro Kopf gezahlt und das funfzigſte Stuͤck Vieh . Jn den
Pfuͤtzen an der Donau ſtecken die Buͤffel , eben nur mit der
Naſe hervorragend , und Woͤlfen aͤhnliche Hunde ſtreifen
herrenlos durch das Feld . Wir ritten an einer Donau-
inſel voruͤber , auf welcher Mutterſtuten weideten ; als ſie
unſern Zug nahen ſahen , fingen ſie an zu wiehern , einige
der Fuͤllen ſtuͤrzten ſich ins Waſſer , um hinuͤber zu ſchwim-
men . Die Enten ſchreckten auf aus dem Schilf und eine
Schaar wilder Schwaͤne , mit ſchwerem Flug ſich erhebend ,
ſchlugen Reihen von Kreiſen auf dem glatten Spiegel des
Waſſers . Das Ganze glich einem Everdingſchen oder Ruis-
da ë lſchen Landſchaftsgemaͤlde .
Unten an der Donau wird die Gegend uͤberhaupt an-
ziehender , die Jnſeln ſind mit dichtem Weidengeſtraͤuch be-
wachſen ; die Nebenarme des Stroms gleichen Seen , und
endlich erweitert ſich die Niederung zu einem zehn Meilen
breiten Meere von Schilf , in welchem man große Seeſchiffe
einherziehen ſieht . Kaum erblickt man noch jenſeits das
ſteile weiße Ufer von Beſſarabien .
Jn dieſe oͤde Gegenwart ragen die Truͤmmer einer faſt
zweitauſendjaͤhrigen Vergangenheit hinein . Auch hier ſind
es die Roͤmer , welche ihren Namen mit unverloͤſchlichen
Zuͤgen dem Erdboden eingegraben haben . Der doppelte ,
an einigen Stellen dreifache Wall , welchen Kaiſer Tra-
jan von Czernawoda ( oder Bogaskjoͤi ) an der Donau hin-
ter der Seereihe von Karaſu weg , nach Kuͤſtendſche , dem
alten Conſtantiana , am ſchwarzen Meer zog , iſt uͤberall noch
8 bis 10 Fuß hoch erhalten ; nach Außen iſt der Graben
eingeſchnitten , und nach Jnnen liegen große behauene Steine ,
welche eine maͤchtige Mauer gebildet zu haben ſcheinen ; der
weſtliche Theil dieſer Verſchanzung hat die Seen und das
ſumpfige Thal von Karaſu wie einen Feſtungsgraben dicht
vor ſich , von dem Dorfe Burlak oͤſtlich aber ſetzt der aͤu-
ßere Wall uͤber die Thalſenkung hinuͤber , und iſt uͤberhaupt
faſt ohne alle Ruͤckſicht auf das Terrain gefuͤhrt ; der in-
nere , ſuͤdliche Wall zieht in ungleichem Abſtand von 100
bis 2000 Schritt hinter dem vorigen hin . Von Entfer-
nung zu Entfernung ruͤckwaͤrts findet man die Spur der
durchſchnittlich 300 Schritt ins Geviert großen Caſtra , de-
ren Form und Eingaͤnge noch vollkommen deutlich erhal-
ten ſind . Auch die Umwallung der roͤmiſchen Stadt Con-
ſtantiana iſt noch da ; ſie lehnte mit beiden Fluͤgeln an das
ſteile Meeresufer , und ſchnitt ſo die Landzunge ab , auf
welcher die Stadt lag . Bemerkenswerth iſt das Funda-
ment eines runden Thurmes , von deſſen Fuß ein Molo ſich
in die See erſtreckt zu haben ſcheint . Saͤulenreſte und zum
Theil ſchoͤn behauene Steine liegen uͤberall umher , kurz es
iſt faſt ſo viel von der roͤmiſchen wie von der tuͤrkiſchen
Stadt uͤbrig .
Am intereſſanteſten aber waren mir die zierlichen Reſte
eines roͤmiſchen Hauſes , welches in den Waͤnden einer
Schlucht unweit des Caſtrums ſteckt . Auch nach der Do-
nau zu , drittehalb Stunden von Raſſova , fanden wir eine
merkwuͤrdige Ruine ; die Tuͤrken nennen ſie Adam-Kiliſſi
oder die Adamskirche . Es iſt eine kuppelartig gewoͤlbte
ſolide Steinmaſſe , welche fruͤher mit Reliefs und Saͤulen
bekleidet geweſen , deren Truͤmmer jetzt weit umher zerſtreut
liegen . Zwei verſchiedene Verſuche ſind gemacht worden ,
in den Kern dieſer harten Nuß zu dringen , aber beide ver-
geblich ; eine Art Stollen war mit unſaͤglicher Muͤhe bis
unter das Fundament gedrungen , ohne etwas zu finden .
Die Ruine zeigt naͤmlich nach Außen jetzt nur jene be-
kannte Miſchung von rohen Steinen mit mindeſtens eben
ſo viel jetzt ſteinhartem Kalke ; aber mitten in dieſer Maſſe
ſteckt eine Art Kern aus maͤchtig behauenen Steinen . —
Wahrſcheinlich iſt das Ganze das Grabmal eines roͤmiſchen
Feldherrn .
Eben dieſe Strecke von Raſſova nach Kuͤſtendſche iſt
auch in anderer Beziehung merkwuͤrdig . Man iſt naͤmlich
durch die lange zuſammenhaͤngende Seereihe der Kara-ſuj
oder ſchwarzen Waſſer , welche ſich dem Meere bis auf vier
Meilen naͤhert , auf den Gedanken gekommen , ob nicht vor
Zeiten hier die Donau ihren Lauf gehabt habe , und erſt
durch irgend ein ſpaͤteres Naturereigniß von dieſer kuͤrze-
ſten Richtung abgedraͤngt worden ſei . Wirklich bildet das
Terrain von den Seen ab nur einen ſanft gewoͤlbten Ruͤk-
ken , und in einer der Schluchten am Meere ſuͤdlich von
Kuͤſtendſche iſt nicht Fels , ſondern nur Lehm und Kies
ſichtbar . Als nun vor einigen Jahren die Ruſſen in der
Sulina-Muͤndung Quarantaine errichteten , glaubte man
darin einen Verſuch zu erkennen , die Schifffahrt und den
Handel auf der Donau zu beherrſchen , und nun wurde die
Frage angeregt : kann die Donau , oder doch ein Kanal aus
derſelben , nicht aufs Neue laͤngs des Trajanswalles hin-
geleitet werden ? Es war daher ſehr intereſſant , den Ni-
veau-Unterſchied der Donau bei Raſſova und des Meeres
bei Kuͤſtendſche und ferner die abſolute Erhoͤhung des nie-
drigſten Hoͤhenſattels uͤber dieſe Punkte zu ermitteln . Was
nun den angeblich fruͤhern Lauf der Donau betrifft , ſo traͤgt
das Terrain davon durchaus keine Spur , im Gegentheil
zeigt der Hoͤhenzug nirgend eine Unterbrechung oder be-
traͤchtliche Einſenkung , und uͤberhaupt dreht ſich die Do-
nau ſchon zwei Stunden oberhalb Czernawada faſt recht-
winklig von ihrer Normal-Direktion ab . Was dagegen
die Ausfuͤhrung eines Kanals anbelangt , ſo liegt dieſe al-
lerdings im Bereich der Moͤglichkeit , wuͤrde aber ein An-
lage-Capital von mehreren Millionen Thalern koſten . —
Hauptmann v. V. ermittelte durch Nivellirung die Hoͤhe
der niedrigſten Einſenkung des Terrains zwiſchen dem Meere
und den nach der Donau ausmuͤndenden Seen zu 166 Pr.
Fuß . Da nun auf der Hoͤhe durchaus kein Waſſer ſich
befindet , aus welchem der Kanal geſpeiſt werden koͤnnte , ſo
muͤßte er ſein Waſſer aus der Donau ſelbſt hernehmen ,
oder wenigſtens aus den nur etwa 17 Fuß hoͤher gelege-
nen Seen . Es wuͤrden daher zwar nur wenig Schleuſen
noͤthig , dagegen waͤre es unerlaͤßlich , den Kanal wenigſtens
136 Fuß tief auf einer Strecke von wenigſtens zwei bis
drei Meilen einzuſchneiden , wobei man hoͤchſt wahrſchein-
lich auch auf Felſen ſtoßen wuͤrde . Dazu kaͤme noch ein
koſtbarer Molenbau ; denn der ohnehin ſehr offene Hafen
von Kuͤſtendſche iſt , weil die Schiffe ſeit Jahrhunderten
ihren Ballaſt dort auswerfen , ſo verſtopft , daß er faſt un-
brauchbar geworden iſt . Der Handelszug auf der Donau
muͤßte alſo erſt viel lebhafter werden , es muͤßten ſich ihm
beſtimmtere Hemmniſſe an der Sulina-Muͤndung entgegen-
ſtellen als bis jetzt , ehe man den Gedanken an einen ſol-
chen Plan verwirklichen wird .
Waͤhrend der ganzen Reiſe iſt uns uͤbrigens alle moͤg-
liche Unterſtuͤtzung zu Theil geworden , beſonders ſo weit
Sayd Paſcha 's , des Muſchirs von Siliſtria , Befehle
reichten . Schon eine Stunde vor den Staͤdten kamen be-
rittene Seymen uns entgegen , welche vor und neben uns
herjagten und ihre Staͤbe wie Dſcherids ſchwenkten ; dann
erſchienen die Tſchorbadſchi oder Haͤupter der Rajahs . Jn
den Wohnungen war Alles aufs Beſte zu unſerm Empfang
bereit und der Ayan oder muſelmaͤnniſche Vorſtand des
Orts ermangelte nicht , ſogleich ſeine Aufwartung zu ma-
chen . Speiſen , Wein und beſonders Complimente waren
in Ueberfluß vorhanden . Die Bauern aus den Doͤrfern
arbeiteten an den Wegen , die wir paſſiren ſollten , die Baͤ-
der durften keine Leute annehmen , ſo lange wir da waren ,
und mit all' dieſem Aufwand und Umſtaͤnden auf Koſten
ganzer Gemeinden war es doch nicht moͤglich , uns die Be-
quemlichkeit zu verſchaffen , welche bei uns ein Reiſender auf
der ordinairen Poſt und fuͤr viel geringeres Geld genießt .
33.
Troja .
Pera , den 21. November 1837 .
Als ich das erſtemal in den Dardanellen war , beſuchte
ich die Reſte der Stadt , welche ein Feldherr Alexanders
des Großen an jener Kuͤſte gruͤndete und der er die gefeier-
ten Namen ſeines Gebieters und Troja's beilegte . Aus
den Ruinen jener Stadt wurde eine der groͤßten Moſcheen
Konſtantinopels erbaut , und noch jetzt bedecken Granitſaͤu-
len alle Begraͤbnißplaͤtze der umliegenden Doͤrfer . Hoch-
ragende Boͤgen , rieſenhafte Saͤulenſchafte und Fundamente
von ungeheurer Ausdehnung feſſeln den Blick des Reiſen-
den , welcher die Palamut-Waldungen durchſtreift oder an
den Kuͤſten von Alexandra Troas voruͤber ſeegelt . Diesmal
richtete ich meine Schritte nach einem Ort , an welchem die
aͤlteſten geſchichtlichen Erinnerungen haften , wo aber wahr-
ſcheinlich die Zeit jede Spur von Menſchenwerk zerſtoͤrt hat ,
nach Jlium ! Es iſt gewiß merkwuͤrdig , daß man deſſen
ungeachtet mit hoher Wahrſcheinlichkeit den Schauplatz einer
Begebenheit nachweiſen kann , von der ein blinder Greis
vor Jahrtauſenden erzaͤhlte , daß ſie Jahrhunderte vor ihm
ſich zugetragen . Aber die Natur iſt unveraͤndert geblieben ;
noch ſprudeln die beiden Quellen , die eine waͤrmer , die an-
dere kaͤlter , in welchen die troiſchen Frauen die „ leuchten-
den Gewaͤnder “ wuſchen ; immer noch fließt der Simois
vom Jda , dem „ quelligen Naͤhrer des Wild's “ herab , und
vereint die wirbelnden Waſſer mit den Fluten des ſanf-
teren Halbbruders , des Scamander ; die Wellen brauſen
noch heute am Cap Sigaͤum , und an der „ rauh umſtarr-
ten Jmbros “ . Die weiße Spitze des Jda , von welcher
Zeus dem Treiben der Goͤtter und Menſchen zuſah , iſt
ſichtbar an allen Punkten der Ebene , und keinen erhabe-
nern Sitz konnte der Erderſchuͤtterer Poſeidon finden , als
„ da er ſaß ,
Anſtaunend den Kampf und die Waffenentſcheidung ,
Hoch auf dem oberſten Gipfel des gruͤn umwaldeten Samos-
Thrakios . Dort erſchien mit allen Hoͤh'n ihm der Jda ,
Auch erſchien ihm Priamos Stadt , und der Danaer Schiffe
Dort entſtiegen dem Meer “ ꝛc .
Man muß bei der Jlias die Wahrheit der Begebenheit von
der des Gedichts unterſcheiden . Ob unter Pergams Mau-
ern alle die Fuͤrſten gefochten , von denen Homer berichtet ,
mag eben ſo zweifelhaft , wie die Genealogie ſeiner Halb-
goͤtter ſein ; gewiß aber iſt , daß Homer ſein Gedicht eben
dieſer Oertlichkeit anpaßte und ſie vollkommen gekannt hat .
Genau , was er den Laͤnder-Umſtuͤrmer Poſeidon erblicken
laͤßt , das ſieht man auch wirklich von dem mittleren Gipfel
der prachtvoll hohen Fels-Jnſel Samothraki , und eben ſo
wahr ſind die Lokal-Farben uͤberall ; deshalb laͤßt ſich auch
das ganze Jlium in Gedanken aufbauen , nicht wie es ge-
weſen vielleicht , aber wie es Homer gedacht .
Was nun die Lage der viel durchwanderten Stadt an-
belangt , ſo iſt ſie hauptſaͤchlich dadurch beſtimmt , daß der
Scamander an ihrem Fuße entſprang , und der Simois ihre
Mauern umſpuͤlte . Jn der naͤhern Beſtimmung weichen
die Gelehrten etwas von einander ab ; wir , die wir keine
Gelehrten ſind , ließen uns einfach von einem militairiſchen
Jnſtinkt an den Ort leiten , wo man ( damals wie heute )
ſich anbauen wuͤrde , wenn es gaͤlte , eine unerſteigbare Burg
zu gruͤnden . Wenn man von der tuͤrkiſchen Feſtung Kum-
Kaleh ( Sandſchloß ) am ſuͤdlichen Ausgang der Dardanel-
len den Lauf des Simois drei Stunden weit aufwaͤrts ver-
folgt , ſo ſchließt ſich die weite Thalebene an eine Huͤgel-
kette , auf deren Fuß das Dorf Bunar-baſchi liegt , ſo ge-
nannt von der Quelle des Scamander , die hier aus dem
Kalkſtein hervorſprudelt . Erſteigt man nun , in derſelben
oͤſtlichen Richtung fortſchreitend , den ſanften Huͤgel , ſo iſt
man auf dem Punkt , wo die mehrſten Reiſenden anneh-
men , daß Jlium gelegen . Nach etwa 1000 Schritten folgt
eine ſanftere Schlucht , jenſeits erhebt ſich ein hoͤheres , 500
Schritte langes Plateau , und dort ſoll Pergamus geſtan-
den haben . Ein kleiner runder Huͤgel wird als das Grab
Hektors bezeichnet , „ des Rufers im Streit “ , welches aber
doch außerhalb der Veſte liegen muͤßte . Nun fordere ich
den unpartheiiſchen Beobachter auf , von dieſem Grabe Hek-
tors noch 800 Schritt in derſelben Richtung weiter zu einem
hohen Steinhaufen zu ſchreiten und dieſen einen Augenblick
fuͤr die eingeſtuͤrzte Warte uͤber dem Skaͤiſchen Thor zu hal-
ten , von welcher Priamus den Kaͤmpfern zuſah und wo
der Knabe Andromaches vor dem Helmbuſch ſeines Vaters
erſchrak . Dann ſieht man vor ſich einen 500 Schritte brei-
ten ebenen Raum fuͤr die Stadt und hinter ſich eine An-
hoͤhe fuͤr die Burg des Priamus mit ihren 600 Gemaͤchern .
Dieſe ganze Hoͤhe iſt von drei Seiten durch faſt unerſteig-
liche Felswaͤnde , und das 3- bis 400 Fuß tiefe Thal des
Simois umſchloſſen ; nur die vierte Seite iſt zugaͤnglich ,
dort eben lag das Skaͤiſche oder Dardaniſche Thor , das
einzige , welches genannt wird ; von dort uͤberſchaut man
die Quelle des Scamander , das Blachfeld , in welchem die
Kaͤmpfe ſtatt fanden , den Lauf des Simois , die Graͤber
Achills und Ajaxs , das Lager der Flotte am ſandigen Ufer ,
den Jda und Samothraki . Aber noch mehr , auf jener gan-
zen Hoͤhe , ſowohl die , welche in meiner Vorausſetzung die
Burg , als die , welche die Stadt getragen , entdeckten wir
Fundamente rechtwinklig ſich ſchneidender Mauern , aus
verſchiedenartigem Geſtein ohne Moͤrtel gefuͤgt . Nun will
ich keineswegs behaupten , daß dieſe Fundamente wirklich
aus jener Vorzeit und die Mauern trojaniſcher Haͤuſer
ſeien , ſo wenig ich glaube , daß die Kupfermuͤnzen , die man
uns verkaufte , trojaniſches Geld waren . Aber es iſt be-
kannt , daß zu Troja's Gedaͤchtniß Tempel gegruͤndet und
Staͤdte getauft wurden . Eine ſolche Stadt mag leicht auch
auf dem alten Platz von Jlium geſtanden haben , mag aus
den Ruinen des alten Pergam erbaut worden ſein , und
ſolche Tempel moͤgen die viele Saͤulenfrieſe und Capitaͤler
geliefert haben , welche den ganzen Begraͤbnißplatz des arm-
ſeligen Doͤrfchens Bunarbaſchi uͤberdecken .
Zu den merkwuͤrdigſten Gegenſtaͤnden dieſer intereſſan-
ten Gegend gehoͤren die Grabhuͤgel ; der des Achill iſt von
allen der unzweifelhafteſte nach der Beſchreibung , welche
Homer von ſeiner Lage giebt , „ am vorlaufenden Strand
„; des breiten Helleſponts , daß es fernſichtbar aus der Mee-
„; resfluth waͤre den Maͤnnern allen , die jetzt mit leben und
„; die ſein werden in Zukunft . “
So wie der Pelide auf dem rechten , ſo befehligte Ajax ,
der Telamonier , auf dem linken Fluͤgel des Lagers oder der
Flotte , denn die hell umſchienten Achaͤer hatten ihre krumm-
geſchnaͤbelten Schiffe ( denen vielleicht nicht ungleich , die
noch heute den Helleſpont durchſchneiden ) auf den Sand
gezogen und ſich davor verſchanzt . Dies nun konnte nir-
gend anders geſchehen als auf dem flachen Ufer von Kum-
kaleh , von Achills Grab am Cap Sigaͤum , bis zum rhaͤti-
ſchen Vorgebirge ; hier erhebt ſich ein anderer Huͤnenhuͤgel ,
den man mit großer Wahrſcheinlichkeit den des Ajax ge-
nannt hat .
Auch dieſer Huͤgel iſt erbrochen worden , die eine Haͤlfte
iſt hinabgeſtuͤrzt , und der Aufriß deckt ein viereckiges ge-
mauertes Gemach auf , deſſen Seiten etwa zehn Schritte
meſſen . Unter der einen Ecke befindet ſich ein Gewoͤlbe von
etwa 4 Fuß Hoͤhe , in welches man 10 bis 12 Schritt weit
hineinkriechen kann ; der Moͤrtel dieſes Mauerwerks mit
gruͤnlichen Kieſeln vermiſcht iſt uͤberaus zaͤh und ſcheint ſehr
alt zu ſein . Aber eben dieſer Moͤrtel zeugt , daß jenes Ge-
woͤlbe bei weitem bis zur Homeriſchen Zeit nicht hinaufreichen
kann , denn damals ſenkte man die Todten „ hinab in die
hohle Gruft und daruͤber haͤufte man maͤchtige Steine in
dicht geſchloſſener Ordnung . “
Nun iſt aber ſehr wohl moͤglich , daß irgend ein ſpaͤ-
terer Maͤchtiger , der wie Alexander und Caracalla ſein Ge-
daͤchtniß an den unverwiſchlichen Namen Troja's knuͤpfen
wollte , ſein Grab in den wahren Grabhuͤgel der Telamo-
niden hineingebettet hat . Aber es fehlte ihm der Homer ,
um ihm die Taufe der Unſterblichkeit zu geben ; ſein An-
denken erloſch , und die Neugier fand in dem ehrwuͤrdigen
Grabhuͤgel nur , was die Eitelkeit hinein gethan hatte .
Merkwuͤrdiger als alle Andere ſchien mir das koloſſale
Grab des Aeſyates , welches ſchon den Haupt-umlockten
Danaern ein Geheimniß war , als ſie Troja bedraͤngten ,
ein Denkmal , das bereis in jener grauen Vorzeit ferne
Vergangenheit war .
34.
Alterthuͤmer zu Konſtantinopel . — Die St. Sophia . —
Der Hippodrom . — Das Forum Conſtantinum . —
Saͤulen und Kirchen . — Die Stadtmauer .
Konſtantinopel , den 28. Dezember 1837 .
Solche Fluten von Verheerungen ſind uͤber Konſtan-
tinopel zuſammen geſchlagen , daß faſt jede Spur ihres Al-
terthums verwiſcht worden iſt . Die Stadt des Byſas ging
in der des Konſtantin unter , und die Schoͤpfung des roͤ-
miſchen Jmperators wurde von Stambul , dem ſtehenden
Lager eines Tatarenſtammes , uͤberdeckt . Zwar iſt Konſtan-
tinopel voll von Truͤmmern , aber es ſind die Truͤmmer
von geſtern , und darin unterſcheidet ſich die oſtroͤmiſche
von der abendlaͤndiſchen Hauptſtadt . Die , welche die ſie-
ben Huͤgel am Tiber kroͤnt , iſt faſt ganz in die Ruinen des
alten Roms hineingebaut , indeß eine Stadt aus Holz die
ſieben Huͤgel am Bosphor bedeckt , welche jede Feuersbrunſt
umgeſtaltet . Dennoch ragen einige Denkmaͤler aus der
Vorzeit , und ich will Dich an ihnen voruͤberfuͤhren .
Die mehrſten Erinnerungen haften an dem Tempel ,
welchen Konſtantin der goͤttlichen Weisheit errichtete , und
deſſen Kalkwaͤnde und Bleikuppeln , durch vier rieſenhafte
Strebepfeiler geſtuͤtzt , ſich noch heute hoch uͤber den letzten
Huͤgel , zwiſchen dem Propontis und dem goldenen Horn
erheben . Dort ſteht noch immer die alte Sophia , wie eine
ehrwuͤrdige Matrone im weißen Gewande mit grauem Haupt
auf ihre maͤchtigen Kruͤcken geſtuͤtzt , und ſchaut uͤber das
nahe Gedraͤnge der Gegenwart weit hinaus uͤber Land und
Meer in die Ferne . Von ihren Beſchuͤtzern , ihren Kindern
verlaſſen , wurde die tauſendjaͤhrige Chriſtin gewaltſam zum
Jslam bekehrt ; aber ſie wendet ſich ab vom Grabe des
Propheten und blickt nach Oſten , der aufgehenden Sonne
ins Antlitz , nach Suͤden gen Epheſus , Antiochien , Alexan-
drien , Corinth und dem Grabe des Erloͤſers , nach dem
Weſten , der ſie verließ , und nach dem Norden , von dem
ſie Befreiung erwartet . — Feuersbruͤnſte und Belagerun-
gen , Aufruhr , Buͤrgerkrieg und fanatiſche Zerſtoͤrungswuth ,
Erdbeben , Stuͤrme und Ungewitter haben ihre Macht ge-
gen dieſe Mauern gebrochen , welche chriſtliche , heidniſche
und muhamedaniſche Kaiſer unter ihre Woͤlbung aufnahm .
Aber ſo viele Jahrhunderte gehen dennoch nicht ſpur-
los an einem Menſchenwerke voruͤber . Die Kuppel der
Sophienkirche iſt mehr als einmal eingeſtuͤrzt , das Jnnere
durch Feuer verheert , und rieſenhafte Anbaue wurden noͤ-
thig , um den Dom von Außen zu ſtuͤtzen . Die Tuͤrken
haben zu drei verſchiedenen Zeitabſchnitten vier unter ſich
ungleiche Minarehs hinzugefuͤgt , welche lange nicht ſo ſchlank
und zierlich ſind , als die der ſpaͤter erbauten andern Mo-
ſcheen , und obwohl faſt alle Reiſebeſchreiber uͤber den An-
blick der Aya Sophia in officielle Bewunderung ausbre-
chen , ſo will ich Dir nur geſtehen , daß ſie auf mich we-
der den Eindruck eines großen , noch eines ſchoͤnen Bau-
werks gemacht hat , bis ich hinein trat .
Die Sophia iſt darin das Gegentheil der tuͤrkiſchen
Moſcheen uͤberhaupt , welche von Außen geſehen , durch ihre
geſchmackvolle Bauart uͤberraſchen , deren Jnneres aber kei-
nen Ehrfurcht erweckenden Eindruck macht . Sie entbehrt
eine der groͤßten Zierden jener Moſcheen , den Vorhof ( Ha-
remm ) , und man findet nirgends einen guͤnſtigen Punkt ,
um ſie zu beſchauen . Aber wenn man durch den Nartek
oder Portikus , unter welchem die Buͤßenden zuruͤckblieben ,
unter die weite Hauptkuppel tritt und einen Raum von
115 Fuß im Durchmeſſer ganz frei , ohne Saͤulen und
Stuͤtzen vor ſich ſieht , uͤber dem 180 Fuß hoch eine ſtei-
nerne Woͤlbung in der Luft zu ſchweben ſcheint , dann ſtaunt
man uͤber die Kuͤhnheit des Gedankens , uͤber die Groͤße
der Ausfuͤhrung eines ſolchen Baues . Die Sophia iſt drei-
mal ſo hoch , als der Tempel Salomonis war , und ihre
ganze Laͤnge und Breite betraͤgt ( die Halbdome mitgerech-
net ) 250 Fuß ; die drei Seiten naͤmlich , links , rechts und
vor dem Eintretenden ſind in drei niedrigere , aber immer
noch uͤber 100 Fuß hohe Halbkuppeln von 50 Fuß im Halb-
meſſer erweitert , welche unten wieder in kleinere Halbkreiſe
ausſchweifen . Das Ueberraſchende iſt die große Freiheit
des Raums , 8000 Quadratfuß von einer einzigen Woͤlbung
uͤberſpannt . Unſere chriſtlichen Kathedralen gleichen einem
Wald mit ſchlanken Staͤmmen und breiten Blaͤtterkronen ,
dieſe Dome ſind dem Firmament ſelbſt nachgeahmt .
Die breiten Halbkuppeln an den Seiten enthalten zwei
geraͤumige Tribuͤnen , getragen durch die acht Rieſenſaͤulen ,
welche Konſtantin aus Epheſus , Athen und Rom zuſam-
menbrachte . Die Tempel Europa's , Aſiens und Afrika's
wurden gepluͤndert , um dieſe chriſtliche Kirche zu ſchmuͤk-
ken , und Du findeſt auf der zweiten Tribuͤne einen Wald
von Saͤulen aus Porphyr Gjallo antico , Granit , Jaspis
und Marmor . Die an der weſtlichen Seite weichen auf
eine ſehr bedenkliche Weiſe von dem Senkrechten ab , und
zeigen , daß hier die Hauptmauern ſich bedeutend geſenkt
haben muͤſſen . Eine akuſtiſche Merkwuͤrdigkeit uͤberraſchte
mich in den Nebenkuppeln ; da ſie paraboliſch gewoͤlbt ſind ,
ſo hoͤrt man das leiſeſte Geraͤuſch , welches an der gegen-
uͤber ſtehenden Seite verurſacht wird . Es macht einen
ſchauerlichen Eindruck , die bekannte Stimme eines Freun-
des in unmittelbarſter Naͤhe aus der Mauer fluͤſtern zu
hoͤren , den man mit den Augen vergebens ſucht .
Das Licht faͤllt hauptſaͤchlich durch eine Reihe von
Fenſtern , welche den Fuß der Kuppel umgeben . Laͤngs
derſelben befindet ſich unter der Woͤlbung ein Umgang , von
dem aus man einen ſchauerlich ſchoͤnen Blick 150 Fuß tief
hinab in das Jnnere des Doms hat , auf die Gruppen von
Betenden , die den weiten Fußboden bedecken . Jch habe
oben erwaͤhnt , daß die Sophia nicht nach der Kybla oder
dem Grabe des Propheten orientirt ſei ; ſie wendet nicht
ihre Seiten , ſondern ihre Ecken den vier Weltgegenden
zu , und ſteht daher beinahe , aber doch nicht genau ſo orien-
tirt wie die ſpaͤter erbauten Moſcheen . Damit nun das
Gebet der Glaͤubigen die rechte Richtung nicht verfehle , ſo
hat man die Rohrmatten und Teppiche des Fußbodens der
heiligen Stadt Mekka zugekehrt , eine Verſchiebung , welche
zu dem ganzen Bau nicht paßt und einen unangenehmen
Eindruck macht .
Aber nicht ohne eine Anwandlung von Schrecken ent-
deckt man hier , wie die Woͤlbung der Kuppel an Stellen
durch fußtiefe Einſenkungen , oder wenn ich ſo ſagen darf ,
durch große Beulen , von der ſphaͤriſchen Form abweicht .
Die Woͤlbung war mit Moſaik von Steinen oder vielmehr
von einem kuͤnſtlichen Glasfluß ausgelegt , welcher abge-
ſchliffen , vergoldet oder gemalt iſt . Die Tuͤrken haben aber
dieſe Bilder , ſo wie die vier Cherubime uͤber den Haupt-
pfeilern , entweder uͤbertuͤncht oder unkenntlich gemacht und
das Jnnere iſt ganz frei von Bildwerken , Gemaͤlden , Stand-
bildern oder Denkmaͤlern . Der einzige Schmuck der Waͤnde
ſind die prachtvollen Jnſchriften aus dem Koran , welche
aͤußerſt geſchmackvolle Arabesken bilden ; die Buchſtaben
ſind vergoldet , 6 bis 8 Fuß hoch , ziehen ſich in langen
Streifen auf dunkelblauem Grunde um die Kuppeln , oder
ſind in Tafeln zuſammengeſtellt .
Auf allerlei Stiegen und uͤber bleierne Daͤcher gelangt
man von Außen bis an den Rand des großen Hauptge-
woͤlbes ; von dort ſteigt man auf die Decke der Fenſter ,
findet eine Kette , die von dem goldenen Halbmond auf der
Spitze der Kuppel herabhaͤngt und mittelſt welcher , wer
nicht am Schwindel leidet , leicht auf die obere Flaͤche der-
ſelben hinaufklettert . Die Ausſicht von dieſem kuͤnſtlichen
Berge belohnt reichlich die Muͤhe des Erklimmens ; dicht
unter ſich hat man auf der einen Seite die innern Hoͤfe
bis Serajs , auf der andern den Atmeidan ; der Hafen
gleicht einem breiten Strom , der mit zahlloſen Schiffen und
Nachen gerade auf die Sophia zuſtroͤmt , und rings um-
her erblickt das ſtaunende Auge eine Mannigfaltigkeit von
Staͤdten und Meeren , von Land und Gebirg , wie die Phan-
taſie ſie nicht erſinnen , die Kunſt ſie nicht nachbilden kann .
Das Hinabſteigen iſt etwas weniger angenehm .
Jch fuͤhre Dich nun auf einen nahen freien Platz , den
groͤßten und faſt einzigen , den Du in Konſtantinopel fin-
deſt , dies iſt der alte Hippodrom , welcher heute den gleich-
bedeutenden Namen Atmeidan oder Pferdeplatz fuͤhrt . Der
Hippodrom war ein 400 Schritte langer , 100 Schritte brei-
ter Circus , der Atmeidan hingegen iſt ein unregelmaͤßiges
Viereck 500 Schritte lang und durchſchnittlich 200 Schritte
breit . Ein Theil der fruͤhern Ausdehnung iſt jedoch durch
die Vorhoͤfe der ſchoͤnen Moſchee Sultan Ahmets und der
dazu gehoͤrigen Gebaͤude , die Jmarete oder Armenkuͤchen ,
die Medreſſeh oder Schulen , uͤberdeckt . Die Stelle der
kaiſerlichen Tribuͤne nehme ich da an , wo das Timar-hane
oder Narrenhaus ſteht , welches ebenfalls zur Moſchee ge-
hoͤrt , da die Wahnſinnigen von den Tuͤrken als Heilige
verehrt werden . Wir wiſſen naͤmlich aus alten Beſchrei-
bungen , daß eine Wendelſtiege , cochlea , aus dem kaiſer-
lichen Pallaſt unmittelbar auf die Tribuͤne fuͤhrte ; das war
nun aber an keinem andern , als an dieſem Orte moͤglich ,
denn hinter dem Timar-hane faͤllt ein Felsabhang faſt ſenk-
recht ab , waͤhrend der Huͤgel , deſſen Ruͤcken der Atmeidan
kroͤnt , an allen andern Stellen ſanft ſich gegen den Hafen ,
wie gegen das Marmormeer abboͤſcht .
Nimmt man das obere Ende des Hippodrom an der
Stelle des Timar-hane an , ſo ſtehen gerade vor der Tri-
buͤne die drei alten Saͤulen , die metae des Circus , welche
jetzt am Ende des Atmeidan ſich erheben . Jene Denkmaͤ-
12
ler ſind erſtlich ein etwa 80 Fuß hoher Obelisk aus meh-
reren Steinen aufgethuͤrmt , welche zu ſeinem Ungluͤck mit
vergoldeten Kupferplatten bekleidet geweſen ſind ; dieſe hat
die Habgier abgeriſſen , und der Obelisk ſteht ſo ſchief und
iſt ſo baufaͤllig , daß es unbegreiflich ſcheint , wie er den
Stuͤrmen und Erdbeben noch widerſtehen kann . Das zweite
Denkmal iſt die 10 Fuß hohe broncene Saͤule , drei um
einander gewundene Schlangen darſtellend , deren Koͤpfe
aber verſchwunden ſind ; Mehmet oder Mohammed der Er-
oberer hieb der einen mit ſeiner Streitaxt die Unterkiefer
ab . — Es laͤßt ſich mit großer geſchichtlicher Gewißheit
nachweiſen , daß dieſer Schlangenpfeiler dem Apoll von den
Griechen geweiht wurde , zum Andenken ihres Sieges uͤber
Xerxes Myriaden . Herodot und Pauſanias fuͤhren an :
daß er den goldenen Dreifuß zu Delphi getragen , und die
Kirchen-Schriftſteller erwaͤhnen ſeiner Verſetzung nach By-
zanz durch Kaiſer Konſtantin . — Am aͤlteſten und doch
am beſten erhalten iſt aber der aͤgyptiſche Obelisk ; dieſer
ſtammt aus einer uralten Monolithen-Familie aus Theben .
Einer der gewaltigen Aegypter wanderte auf das Geheiß
des Pompejus nach Alexandrien und liegt dort im Sande
hingeſtreckt ; ein zweiter ſieht ſich mit Staunen nach Pa-
ris verſetzt ; der dritte pilgerte nach Rom ; aber trotz ſei-
ner 12,000 Ctr. Schwere ſollte er dort keine Ruhe haben ,
ſondern mußte die Wanderung nach der neuen Hauptſtadt
des Weltreichs fortſetzen .
Es iſt erſtaunlich , daß die Tuͤrken dieſen Stein haben
aufrecht ſtehen laſſen , denn er iſt bedeckt nicht nur mit Kaͤ-
fern und Voͤgeln , Haͤnden und Augen , ſondern auch mit
Abbildungen von Menſchen , Alles ſo ſcharf gezeichnet und
ſo wohl erhalten , daß man glaubt , es ſei vor vier Tagen
und nicht vor vier Jahrtauſenden gemeißelt worden ; die
obere Spitze dieſes Monolithen iſt ſchief abgeſchnitten oder
zugeſpitzt . Einige Schriftſteller behaupten , er ſei abgebro-
chen , das iſt aber wohl nicht der Fall , denn es befinden
ſich Hieroglyphen ebenfalls auf den obern Façetten . Der
Horizontal-Durchſchnitt des Pfeilers bildet kein Viereck ;
die eine Seite iſt ganz ſanft nach außen gebogen , die ge-
genuͤberſtehende parallel mit ihr nach Jnnen ausgeſchweift ,
die zwei uͤbrigen Seiten ſind grade und parallel . Die Hoͤhe
des Steins betraͤgt 80 Fuß ; er erhebt ſich auf einem vier-
eckigen Marmorſockel , deſſen Reliefs die Kaͤmpfe der Renn-
bahn darſtellen , und ruht mit ſeinen vier untern Ecken auf
vier Wuͤrfeln von Metall , etwa 1 Fuß ins Gevierte .
Was hat doch dieſer Aegypter nicht Alles erlebt ! Er
ſah das Reich der Pharaonen und deſſen Sturz , ſah die
Bluͤthe Roms und ſeinen Verfall , die Gruͤndung der neuen
Weltſtadt , den Sieg eines neuen Glaubens und ſeinen Un-
tergang , die Herrſchaft des Jslam und ſeine Schwaͤche .
Auf dem Hippodrom von Byzanz ſah er die Partheikaͤmpfe
des Circus von Rom erneuert und mit ſolcher Wuth fort-
geſetzt , daß ſie die ſchwache Regierung in ihren Grund-
feſten erſchuͤtterten . Es gab bekanntlich vier Partheien der
Rennbahn , welche ſich durch beſondere Farben unterſchie-
den : die rothe und gruͤne oder die Landparthei hielten
zuſammen gegen die blaue und weiße oder die Seepar-
thei , und es iſt merkwuͤrdig genug , daß noch heute unab-
haͤngig von jenen laͤngſt vergeſſenen Spielen die tuͤrkiſchen
Farben gruͤn und roth , die neu-helleniſchen blau und weiß
ſind . Juſtinian beguͤnſtigte die Blauen ; und als die Gruͤ-
nen ſich im Circus beſchwerten , entſtand zwiſchen Kaiſer
und Volk durch die Stimme eines Ausrufers das ſelt-
ſamſte Zwiegeſpraͤch : „ Wir ſind arm , wir ſind unſchuldig ,
wir werden angegriffen . Laß uns ſterben , o Kaiſer , aber
auf dein Geheiß , in deinem Dienſt ! “ — „ Seid geduldig
und aufmerkſam ! Verſtummt ihr Juden , ihr Samarita-
ner und Manichaͤer ! “ Auf dieſe Entgegnung nannte die
erbitterte Menge den Kaiſer einen Moͤrder und Eſel , man
griff zu den Waffen , und Juſtinian ſah ſich in ſeinem Pal-
laſt belagert . Die Menge waͤhlte einen Gegenkaiſer , ein
bedeutender Theil von Konſtantinopel wurde in Aſche ge-
legt , viele tauſend Menſchen kamen ums Leben , und der
ehrwuͤrdige Dom der Sophia ging in Flammen auf . Die-
ſer Aufruhr fuͤhrte den Namen „ Nika “ ( Siege ) . — Auf
dem Hippodrom am Fuß des Obelisken hielt Mehmet der
Eroberer ein furchtbares Blutgericht , und auf eben dieſem
Platz verſammelte der gegenwaͤrtige Großherr die Bewohner
der Hauptſtadt um die Fahne des Propheten gegen die Ja-
nitſcharen , die er kraft ſeiner Wuͤrde als Erbe der Kalifen
verfluchte und im Namen des Glaubens vertilgte .
Der Atmeidan iſt immer noch ein ſchoͤner Platz ; auf
der nordoͤſtlichen Seite erhebt ſich in geringer Entfernung
die St. Sophia , und die ſuͤdoͤſtliche iſt von den Vorhoͤfen
der Moſchee Sultan Achmets begrenzt . Der innere Hof
( Haremm ) der Moſchee bildet ein Viereck , das von pracht-
vollen Portiken umgeben iſt . Die Saͤulen , welche die Spitz-
boͤgen tragen , ſind beim Bau der Achmedieh meiſt aus Ale-
xandra Troas herbeigeſchleppt , deſſen Ruinen die Tuͤrken
wie einen Steinbruch betrachteten , wo man die Werkſtuͤcke
nicht erſt zu behauen brauchte , weil ſie bereits fertig da-
lagen . Der Boden iſt mit Marmor- , Granit- und Por-
phyr-Platten gepflaſtert , und in der Mitte erhebt ſich ein
Springbrunnen . An den vier Ecken der Moſchee und des
Vorhofs ragen ſchlanke Minarehs empor , und die Achme-
dieh iſt die einzige in der Welt , welche deren ſechs in die
blaue Luft erhebt . Die vorderſten haben zwei , die vier
hintern drei Balkone oder Umgaͤnge uͤber einander . Von
beſonderer Schoͤnheit und reich geſchnitzt ſind die Portale
im mauriſchen Style .
Der aͤußere Vorhof iſt von rieſenhaften Platanen und
Cypreſſen uͤberſchattet und von kuͤnſtlich durchbrochenen
Steingittern umſchlungen . Die Achmedieh iſt eine der
ſchoͤnſten Moſcheen der Welt von Außen geſehen , aber das
Jnnere macht wenig Eindruck .
Von dem beruͤhmten byzantiniſchen Kaiſerpallaſt Bu-
koleon ( nach ſeinem Thore auch „ Chalke der eherne “ ge-
nannt ) , welchen ſchon Konſtantin erbaut , habe ich keine
Spur mehr gefunden , und doch laͤßt ſich ſeine Lage aus
drei geſchichtlichen Notizen aufs Beſtimmteſte nachweiſen .
Von der Cochlea habe ich oben geſprochen ; dann wird ge-
ſagt , daß eine Flucht von Marmorſtufen aus dem Pallaſt
des Gartens in den kuͤnſtlichen Hafen hinab fuͤhrten , wel-
cher die kaiſerlichen Galeeren enthielt . Dieſer Hafen iſt
noch heute in dem niedrigen Platz von Kadriga-Liman er-
kennbar . Endlich wird angefuͤhrt , daß das Auguſteum der
freie Platz zwiſchen der Front des Pallaſtes und der So-
phienkirche geweſen ſei , wo jetzt die ſchoͤne Fontaine ſteht
und einſt das Standbild Helenens ſich erhob . Der Pal-
laſt hatte demnach die große Ausdehnung am Propontis
inne , von der Mauer des jetzigen Serajs hinter der Ach-
medieh weg bis zur Kutſchuk-Aja-Sofia oder der kleinen
St. Sophia . Nach dem Zeugniß der Geſchichtſchreiber
uͤbertraf dieſer Pallaſt , in welchem die Caͤſare ſeit Konſtan-
tin tauſend Jahre wohnten , den von Rom , das Capitol ,
das Schloß von Pergamus , den Hain des Rufinus , den
Tempel Hadrians zu Cizykus , die Pyramiden und den Pha-
rus an Groͤße , Pracht und Feſtigkeit . Er war mit drei
Domen gekroͤnt und das vergoldete Dach von Erz ruhete
auf Saͤulen von italieniſchem Marmor ; er umſchloß große
Gaͤrten , die ſich in Terraſſen zum Propontis abſtuften , und
fuͤnf Kirchen , von denen eine beſonders ſchoͤn und mit einem
halbrunden Portikus in Geſtalt eines Sigma geziert war ,
welcher auf funfzehn Saͤulen von phrygiſchem Marmor ruhte .
Die langen Reihen von Gemaͤchern , die Pracht der Moſai-
ken , Standbilder und Gemaͤlde , die vielen Herrlichkeiten ,
welche die Lateiner ſo in Erſtaunen ſetzten — das Alles iſt
ſpurlos verſchwunden .
Als Konſtantin Byzanz belagerte , hatte er ſein Zelt
auf einer Anhoͤhe vor den Mauern der Stadt aufgeſchla-
gen , eben derſelben , welche jetzt die Moſchee Nuri-Osman
kroͤnt . Zum Gedaͤchniß ſeines Sieges gruͤndete er hier das
Forum . Es geht aus dieſer Angabe hervor , daß das alte
Byzanz zwar einen groͤßeren Raum als jetzt das Seraj
eingenommen , daß es ſich aber nicht uͤber den zweiten Huͤ-
gel hinaus erſtreckt hat . Das Forum Conſtantinum bil-
dete ein geraͤumiges Oval , umgeben von prachtvollen Por-
tiken , die mit vielen Standbildern geſchmuͤckt waren ; zwei
Triumphbogen bildeten die beiden einander gegenuͤberliegen-
den Eingaͤnge , und eine 110 Fuß hohe Saͤule doriſcher
Ordnung in der Mitte des Forums trug ein erzenes Stand-
bild von der Meiſterhand des Phydias ; es ſtellte den Apoll
mit der Sonne um das Haupt , Scepter und Weltkugel in
der Hand dar , und Konſtantin , welcher ſelbſt der Gott des
Tages war , ließ ſich die Attribute des Sonnengottes ge-
fallen . — Alle dieſe Pracht iſt verſchwunden , und von dem
Forum nur ein kleiner enger Platz uͤbrig , auf welchem die
„ verbrannte Saͤule “ ſich erhebt . Sie beſteht nicht mehr
aus acht , ſondern nur noch aus fuͤnf Porphyrſtuͤcken , jedes
10 Fuß hoch , mit einem Capitaͤl von weißem Marmor , und
Zeit und Feuersbruͤnſte haben ſie ſo beſchaͤdigt , daß eiſerne
Reifen um die Steine gelegt werden mußten . Fruͤher bil-
dete die Saͤule Konſtantins den hoͤchſten Punkt der Stadt ,
jetzt ſind ihr die Minarehs weit uͤber den Kopf gewachſen .
Unter ihrem Fundament ſoll das alte Palladium der Stadt ,
die Gebeine des Pelops , begraben ſein .
Von den vielen Saͤulen , welche einſt die Bilder heili-
ger Maͤnner , maͤchtiger Kaiſer und Kaiſerinnen trugen , ſte-
hen außer dieſer Saͤule des Konſtantin nur noch zwei auf-
recht , die des Marcian , jetzt „ Kis- taſchi “ , der Maͤdchen-
ſtein genannt , zwiſchen elenden Huͤtten , unweit der Moſchee
des Eroberers Mohammed , und die Gothenſaͤule im Gar-
ten des Serajs . Von der einſt 120 Fuß hohen Saͤule des
Arcadius auf dem Awret-baſari oder Weibermarkt iſt nur
noch der Sockel vorhanden , in welchen eine tuͤrkiſche Fa-
milie ſich eingeniſtet hat . Dieſe Saͤule war aus weißem
Marmor , 140 Fuß hoch , und eine Wendelſtiege fuͤhrt im
Jnnern nach dem Gipfel hinauf . Dorthin brachte man
nach der lateiniſchen Eroberung Murzuflus , den Thronpraͤ-
tendenten , und ſtuͤrzte ihn hinab vor den Augen einer zahl-
loſen Menge , welche in dieſer Hinrichtung eine Prophezei-
hung in Erfuͤllung gehen ſah . Der Dichter Tzetzes hat
naͤmlich funfzig Jahre fruͤher den Traum einer Matrone
erzaͤhlt , welche einen Mann auf der Saͤule ſitzen ſah , der
die Haͤnde zuſammen ſchlug und laut aufſchrie .
Von den altgriechiſchen Kirchen ſind mehrere noch vor-
handen , aber in Moſcheen umgewandelt ; die Tuͤrken nen-
nen ſie Kiliſſe-Dſchami , Kirchen-Moſcheen , ſie unterſcheiden
ſich leicht von den uͤbrigen durch die engen thurmartigen
Kuppeln , deren ſie gemeinlich mehrere neben einander ha-
ben , aber keine zeichnet ſich ſonderlich durch Groͤße oder
Schoͤnheit aus . Zu den intereſſanteſten gehoͤren die Kirche
der heiligen Jrene , jetzt eine Ruͤſtkammer im Vorhof des
Serajs , die kleine Sophia und die Kirche , in welcher die
lateiniſchen Kaiſer beigeſetzt wurden . Jn der Naͤhe befin-
det ſich ein ſehr ſchoͤner großer Sarkophag , vielleicht der
des Balduin .
Ueber die Waſſerleitungen und die großen Ciſternen
innerhalb der Stadt habe ich Dir fruͤher ſchon geſchrie-
ben ; der kleinere Hafen am Propontis fuͤr die Ruderfahr-
zeuge iſt jetzt ein freier Platz , Kadriga-limani , der groͤßere
fuͤhrt den Namen Vlarga-Boſtani , er bildet einen von der
Stadtmauer ausgeſchloſſenen , aber auf drei Seiten umfaß-
ten Garten von der uͤppigſten Fruchtbarkeit ; der kleine
Bach , welcher von Ramis-Tſchiftlik kommend die Stadt
durchzieht , verſiegt hier , indem er die Gemuͤſebeete bewaͤſ-
ſert . Da , wo dieſer Bach durch die Stadtmauer eintritt ,
erſtreckt ſich zu beiden Seiten ein Wieſenplan , Jeni-Bagt-
ſche , frei von Haͤuſern und meiſt von Graͤben begrenzt .
Dort ragen an der ſuͤdlichen Seite die Truͤmmer eines ſelt-
ſamen Gebaͤudes hervor , uͤber deſſen Urſprung ich nirgends
habe Nachricht auffinden koͤnnen .
Es bleibt mir noch uͤbrig , von einem der aͤlteſten und
wichtigſten Denkmaͤler , von der gewaltigen alten Stadt-
mauer , zu ſprechen , welche allein hinreichte , den Sturz des
oſtroͤmiſchen Kaiſerthums um hundert Jahre zu verzoͤgern .
Konſtantinopel bildet bekanntlich ein Dreieck , deſſen
Spitze ( das Seraj ) gegen Oſten gekehrt iſt und deſſen
Grundlinie von den Siebenthuͤrmen , ſuͤdlich am Propontis ,
bis zum Stadtviertel der Blachernaͤ , noͤrdlich am golde-
nen Horn , reicht . Dieſe Strecke , die Landfront , betraͤgt
8600 Schritte , die beiden Seiten nach dem Hafen und
dem Marmormeere haben eine Ausdehnung von 17,500
Schritten . Der ganze , reichlich drittehalb geogr . Meilen
weite Umkreis iſt durch eine ſtarke Mauer mit mehr als
300 großen Thuͤrmen geſchloſſen . Die Stadtmauer , welche
Theodoſius errichtete , wurde 447 von einem großen Erd-
beben niedergeworfen . Der Praͤfekt Cyrus leitete den Wie-
deraufbau mit ſolcher Thaͤtigkeit , daß in drei Monaten das
Werk vollendet war . Die Parthei der Blauen arbeitete
von der Seite des Hafens , die Gruͤnen vom Propontis
her ; ſie begegneten ſich am Thore von Adrianopel , welches
daher den Namen Polyandros erhielt , das Thor der vie-
len Maͤnner . Das Viertel Blachernaͤ wurde erſt unter
Kaiſer Heraklius der Stadt einverleibt , und daher ſchreibt
ſich wohl die Verſchiedenheit in der Bauart des ſuͤdlichen
und noͤrdlichen Theils der Mauer an der Landfront . Von
den Siebenthuͤrmen bis Tekfur-Seraj iſt die Umwallung
doppelt ; die Hauptmauer iſt 30 bis 40 Fuß hoch und hat
eine obere Staͤrke von 5 bis 8 Fuß ; alle ſechzig Schritte
treten Thuͤrme aus der Mauer hervor , deren Bauart ver-
ſchieden , rund , achteckig und oft ſehr zierlich iſt ; ſie ſind
hoch und eng , mehr oder weniger beſchaͤdigt ; von einigen
liegen große Stuͤcke unzertruͤmmert an der Erde und dich-
tes Epheu uͤberrankt das alte Gemaͤuer . Aber eine eigent-
liche Breſche habe ich nirgends gefunden , ſelbſt nicht in
der Thalſenkung des kleinen , von Ramis-Tſchiftlik kommen-
den Baches , wo der Angriff der Tuͤrken ſtatt fand und die
Mauern am ſtaͤrkſten beſchaͤdigt ſind . Die Laͤnge der Zeit
hat Moͤrtel und Steine zu einer einzigen feſten Maſſe ver-
eint , in welche eine Breſche zu legen ſehr ſchwer ſein wuͤrde .
Die Mauer iſt aus weiter Ferne ſichtbar , aber wenn man
auf Schußweite heran kommt , wird ſie durch einen breiten
Cypreſſenwald verdeckt , welcher die Begraͤbnißplaͤtze uͤber-
ſchattet . — Vor der Hauptmauer zieht ſich eine niedrige
mit kleinen Thuͤrmen , und um dieſe ein trockener Graben
mit gemauerter Escarpe und Contrescarpe .
Der noͤrdliche Theil der Befeſtigung hingegen , welcher
vorſpringend ſich dem Hafen anſchließt , zeigt nur eine ein-
zige Mauer ohne Graben . Die Thuͤrme ſind groß und ge-
raͤumig , die Mauer aͤußerſt ſchoͤn gebaut und vollkommen
wohl erhalten . — Jn der Landmauer ſelbſt erheben ſich
zwei alte kaiſerliche Pallaͤſte , aber beide von ſehr geringer
Ausdehnung . Der erſte bildet einen Theil des Caſtells der
Siebenthuͤrme ( Jedi-Kuleler , das alte Kyklobyon ) ; er iſt
aus Marmor ohne Moͤrtel erbaut , bildet zwei 80 Fuß hohe
Thuͤrme mit wenigen engen Fenſtern und einem zierlichen ,
jetzt vermauerten Portal nach Außen , welches fruͤher das
goldene Thor hieß ; der zweite , das alte Hebdomon , jetzt
Tekfur-ſeraj , liegt in dem eingehenden Winkel , wo die aͤl-
tere und neuere Stadtmauer zuſammen ſtoßen . Die Mau-
ern dieſes Herrſcherſitzes bilden eine ſchoͤne Ruine , welche
vier Stockwerke , aber nur fuͤnf große , reich verzierte Fen-
ſter in der Front zeigt . Gegenwaͤrtig iſt der Kaiſerpallaſt
die Wohnung mehrerer Judenfamilien , welche in unbeſchreib-
lichem Schmutz und Elend hauſen , und bildet einen Haupt-
Foyer der Peſt . Hier war es , wo bei Gelegenheit eines
feierlichen Aufzuges zu Juſtinians Zeit einer der groͤßten
Edelſteine aus der griechiſchen Kaiſerkrone verloren ging ,
tauſend Jahre im Schutt begraben lag und von einem ſpie-
lenden Kinde zu Mohammeds II . Zeit wieder gefunden wurde .
Von dem beruͤhmten Pallaſt Blachernaͤ endlich , deſſen
Pracht und Herrlichkeit die fraͤnkiſchen Kreuzfahrer ſo in
Erſtaunen ſetzte , und deſſen Lage an der Landmauer und
dem Hafen mit großer Beſtimmtheit anzunehmen iſt , fand
ich nicht die geringſte Spur .
Die Mauer am Propontis iſt oft von den gewaltigen
Wogen , welche der Suͤdwind aufthuͤrmt , beſchaͤdigt wor-
den ; Hunderte von Saͤulenſchaften ſind eingemauert , um
ihr Fundament zu ſtuͤtzen und eine Menge von Jnſchriften
treten dort an's Licht .
Die Mauer des Theodoſius erfuhr die erſte Belagerung
626 durch die Perſer und Avaren ; aber damals waren die
Byzantiner noch Herren des Meeres , und die Schaaren
Chosroes blieben vom aſiatiſchen Ufer muͤßige Zuſchauer
der Niederlage ihrer Verbuͤndeten . Funfzig Jahre ſpaͤter
erſchien eine arabiſche Flotte vor Konſtantinopel ; die An-
haͤnger der damals neu entſtandenen Lehre Mahomeds ver-
mochten indeß waͤhrend ſechs auf einander folgender Som-
mer nichts gegen dieſe Mauern , denen der Oſten Europa's
damals ſeine Rettung vor den Saracenen verdankte . Die
Flut ihrer Eroberung brach ſich an dieſem Bollwerk , ſie
waͤlzte ſich zuruͤck uͤber Syrien , Aegypten und Nord-Afrika
und uͤberſchwemmte Spanien und einen Theil von Frank-
reich ; aber einen ſchwerern Stand hatte die Kaiſerſtadt ge-
gen die Ritterſchaft des Abendlandes im vierten Kreuzzuge .
Die fraͤnkiſchen Barone vereinten ſich mit den venetiani-
ſchen Kaufleuten , und 360 Schiffe , begleitet von 70 Pro-
viant-Fahrzeugen und 50 zum Kampfe bereiteten Galeeren
fuͤhrten 40,000 lateiniſche Chriſten durch den Helleſpont
nach Scutari . Der Uebergang uͤber den Bosphor wurde
in ſechs Heerhaufen bewerkſtelligt und von den Griechen
nicht verhindert . Die venetianiſchen Galeeren ſprengten
die große von ſchwimmenden Balken getragene Hafenkette
und zerſtoͤrten den Reſt der byzantiniſchen Flotte . Jene
Hafenkette ſoll von Konſtantinopel bis zum „ Thurm von
Galata “ gereicht haben . Wahrſcheinlich lag dieſer Thurm
an der ſchmalſten Stelle des Hafens , da wo jetzt das Zoll-
haus ſteht . Auch dann war die Kette immer noch uͤber
400 Ellen lang ; der große Thurm auf dem hoͤchſten Punkt
von Galata iſt aber gewiß nicht gemeint . Die Kette wurde
nachmals als Siegeszeichen nach Palaͤſtina geſchickt .
Die Franken griffen die Mauer auf der Landfront an ;
ſie ſetzten 250 Kriegsmaſchinen in Arbeit und gingen end-
lich zum Angriff auf Sturmleitern uͤber , welcher jedoch zu-
ruͤckgeſchlagen wurde . Die Venetianer hingegen beſtuͤrm-
ten die Stadt von der Hafenſeite ; ihre großen Galeeren
konnten bis dicht an das Ufer ruͤcken , und ließen Fallbruͤk-
ken aus den Maſtkoͤrben bis auf die Thuͤrme hinab . Das
vorderſte Schiff war das des Dogen Dandolo , eines neunzig-
jaͤhrigen blinden Greiſes ; er ſtand auf dem Vordertheil des
Verdecks , eine hohe und ehrwuͤrdige Geſtalt , in voller Ruͤ-
ſtung ; vor ihm war die Fahne des heiligen Marcus ent-
faltet , und der Erſte am Ufer war Dandolo . Bald beſetz-
ten die Venetianer fuͤnf und zwanzig Thuͤrme und das Ban-
ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiſerſtadt .
Eine furchtbare Feuersbrunſt , als deren Urheber uns
quidam comes teutonicus genannt wird , weckte die Byzan-
tiner aus dem neunhundertjaͤhrigen Traum von der Un-
nehmbarkeit ihrer Stadt . So ſtreng ſie die Ketzerei der
Lateiner verdammten , ſo hatten ſie doch ihrerſeits eine Mo-
ſchee in Konſtantinopel geduldet . Die Ritter erledigten die
Sache , indem ſie jenes Bethaus in Brand ſteckten , aber
die Flammen verbreiteten ſich vom Hafen bis zum Pro-
pontis , und verzehrten waͤhrend acht Tagen zahlloſe Haͤu-
ſer und praͤchtige Pallaͤſte . Es geht aus dieſem Umſtande
hervor , daß auch das griechiſche Byzanz wahrſcheinlich faſt
ganz aus hoͤlzernen Wohnungen beſtand .
Der wechſelſeitige bittere Haß der Lateiner und Grie-
chen hatte neue Nahrung erhalten , und noch vor Ablauf
des Jahrs ſahen jene ſich aus der Stadt verdraͤngt und zu
einer neuen weit ſchwierigern Belagerung genoͤthigt , welche
drei Monate dauerte ; diesmal geſchah der Angriff allein
von der Hafenſeite . Der Kaiſer hatte ſein ſcharlachrothes
Zelt auf der Hoͤhe aufgepflanzt , wo jetzt die Moſchee Se-
lims ſich erhebt , und feuerte den Muth der Vertheidiger
an . Einen allgemeinen Sturm der Lateiner ſchlug er gluͤck-
lich ab , die Angreifer buͤßten viele Menſchen ein , und Vil-
lehardouin ſelbſt meint , daß „ multére grant péril “ . Der
Angriff wurde nichts deſto weniger drei Tage hinter ein-
ander an vielen Stellen zugleich erneuert ; die Galeeren
„ der Kreuzfahrer “ und „ das Paradies “ ſegelten mit fri-
ſchem Norwind dicht an das Ufer ; die Biſchoͤfe von Troyes
und Soiſſons fuͤhrten die Vorhut , vier Thuͤrme wurden
genommen , die Thore geſprengt und eine furchtbare Feuers-
brunſt angezuͤndet ; da erſchienen Abgeſandte der Griechen
vor Bonifaz v. Montferrat , welcher die Deutſchen befeh-
ligte , und riefen : „ Heiliger Markgraf und Koͤnig , erbarme
dich unſer ! “ Die Pallaͤſte Blachernaͤ und Bukoleon wur-
den beſetzt , die Stadt der Pluͤnderung preisgegeben , aber
die Thore den Fluͤchtlingen geoͤffnet . Unermeßliche Beute
wurde gemacht , und das Reich Konſtantins hoͤrte auf zu
ſein oder wurde wenigſtens auf die Kaiſerthuͤmer Trape-
zunt , Nicaͤa und Epirus beſchraͤnkt .
Aerger , als ſpaͤter die Tuͤrken , hauſeten damals die
lateiniſchen Chriſten in Byzanz . Nicetas zaͤhlt die lange
Reihe von Kunſtwerken und Statuͤen her , welche von ihnen
zertruͤmmert oder eingeſchmolzen wurden . Die vier bron-
cenen Roſſe des Lyſippus aber , welche von Griechenland
nach Rom , und von Rom nach Byzanz gewandert waren ,
wurden von den Venetianern gerettet und nach dem Mar-
cusplatz verſetzt , wo ſie heute noch ſtehen , nachdem der
neugalliſche Jmperator ſie auf kurze Zeit nach Paris ge-
ſchleppt hatte .
Fuͤnf lateiniſche Kaiſer aus den Haͤuſern Flandern und
Courtenay herrſchten zu Konſtantinopel waͤhrend eines hal-
ben Jahrhunderts ; aber ihr Reich war ſo ſchwach , daß
der Feldherr des Michael Palaͤologus die Hauptſtadt durch
einen Handſtreich mit 800 Mann nehmen konnte . Dieſe
erſtiegen die Mauer auf Leitern und oͤffneten das goldene
Thor , welches ſeit lange ungangbar gemacht war , von
innen .
Unter den lateiniſchen Kaiſern hatten die Venetianer
ſich in Galata feſtgeſetzt ; ſie wurden von ihren Nebenbuh-
lern , den Genueſern , verdraͤngt , welche Erlaubniß erhiel-
ten , jene Stadt jenſeits des Hafens mit Mauern und Thuͤr-
men zu befeſtigen . Bald trotzten die Genueſer hinter ihren
Bollwerken den Kaiſern ; ſie erbauten Burgen auf beiden
Ufern des Bosphorus , und der ganze Handel des Schwar-
zen Meeres und der Levante lag in ihrer Hand ; ſie riſſen
die wichtigen Fiſchereien an ſich und machten ſogar die
Ueberfahrten zu ihrem Monopol . Es kam zu foͤrmlichen
Feindſeligkeiten , und wenig fehlte , daß nicht in dieſen Kaͤm-
pfen das roͤmiſche Reich eine Provinz der genueſiſchen Fak-
torei wurde .
Zwar widerſtanden die Mauern des Theodoſius einer
Belagerung von 200,000 Osmanen unter Amurat II . , aber
die Muſelmaͤnner breiteten ſich in Aſien wie in Europa aus .
Sie beſetzten Gallipolis , ihren Uebergangspunkt , und mach-
ten Adrianopel zu ihrer Reſidenz ; ſchon erhob ſich eine tuͤr-
kiſche Burg auf dem aſiatiſchen Ufer an der ſchmalſten
Stelle des Bosphorus , und Mohammed der Eroberer gruͤn-
dete eine noch gewaltigere auf der europaͤiſchen Seite , nur
anderthalb Meilen von dem Herrſcherſitz der Kaiſer ent-
fernt . Das roͤmiſche Reich erſtreckte ſeine Grenzen nicht
mehr uͤber die Mauern der Hauptſtadt hinaus .
Jm Jahre 1453 begann Mohammed der Eroberer die
letzte Belagerung , welche Konſtantinopel bis auf jetzige Zeit
erlebt hat . Seine Schaaren zaͤhlten 250,000 Streiter und
verſchanzten ſich der Landfront gegenuͤber vom Propontis
bis an den Hafen . Dem Herkommen gemaͤß ſtanden hier
auf europaͤiſchem Boden die europaͤiſchen Kriegsvoͤlker auf
dem rechten , die aſiatiſchen auf dem linken Fluͤgel ; im Cen-
trum aber pflanzte Mohammed ſeine Banner , gedeckt durch
18,000 Janitſcharen , dem Thurm des heiligen Romanus
gegenuͤber auf . — Eine genaue Zaͤhlung verrieth dem Kai-
ſer das traurige Geheimniß , daß nur 4970 „ Roͤmer “ be-
reit ſeien , die Waffen zur Vertheidigung ihres Heerdes und
ihres Glaubens zu ergreifen . Die Griechen ſetzten ihre
Hoffnung auf 2000 Auslaͤnder unter Johann Giuſtiniani ,
einen genueſiſchen Edlen . Der Hafen wurde abermals durch
eine Kette geſperrt , welche italieniſche und griechiſche Schiffe
vertheidigten , denn Mohammed hatte zwar 320 Seegel auf
dem Bosphor , aber nur achtzehn davon waren Kriegs-
ſchiffe .
Eine neue Erfindung in der Kriegskunſt haͤtte das
Gleichgewicht der civiliſirtern Chriſten gegen die begeiſter-
ten Schaaren des Jslam herſtellen koͤnnen ; das Schieß-
pulver wurde eben damals als Kriegsmaterial in Anwen-
dung gebracht ; aber wir finden das Geheimniß deſſelben
den Unglaͤubigen uͤberliefert und weit nachdruͤcklicher von
den Angreifern als von den Vertheidigern in Anwendung
gebracht . Die hohen engen Thuͤrme waren fuͤr Geſchuͤtz
urſpruͤnglich nicht eingerichtet , und man fuͤrchtete , die Mau-
ern zu ſehr zu erſchuͤttern ; dagegen bedienten ſich die By-
zantiner der Wallflinten , welche mehrere Kugeln von der
Groͤße einer Wallnuß auf einmal ſchoſſen , nebenher der
Katapulten , Balliſten und des geheimnißvollen griechiſchen
Feuers .
Sultan Mohammed hatte zu Adrianopel von dem Daͤ-
nen Urban eine Kanone gießen laſſen , welche Steinkugeln
von 600 Pfd. ſchoß ; ein funfzigtaͤgiger Marſch fuͤhrte ſie
bis unter die Mauern von Byzanz , und neben ihr ſtanden
noch zwei aͤhnliche Rieſengeſchuͤtze ; es war nicht moͤglich ,
ſie oͤfter als ſiebenmal des Tages zu laden und abzuſchie-
ßen . Die Kanone des Urban ſprang und toͤdtete den Ver-
fertiger ; man glaubte die uͤbrigen vor aͤhnlichem Unheil zu
ſchuͤtzen , indem man nach jedem Schuſſe Oel durch das
Zuͤndloch einfloͤßte . Es wird erwaͤhnt , daß die Tuͤrken
vierzehn Batterien neben einander aufgeſtellt hatten , aber
es iſt wohl wahrſcheinlich nicht allein von Kanonen , ſon-
dern auch von den aͤltern Kriegsmaſchinen die Rede .
Die Wirkung der Batterien ſcheint auch in der That
nur gering geweſen zu ſein . Die Tuͤrken naͤherten ſich dem
Wall in Laufgraͤben ( Sitſchan-jolu , „ Mauſewege “ ) , ſie
fuͤllten den Graben mit Faſchinen und Erde aus , ſchoben
einen hohen Wandelthurm aus Holz , dreifach mit Ochſen-
haͤuten bedeckt , an den ſchon ſchadhaften Thurm des hei-
ligen Romanus heran und verſuchten den Sturm ; aber
der Kaiſer ſchlug dieſen Angriff zuruͤck , und am folgenden
Morgen fand der Sultan ſeinen Thurm verbrannt , den
Graben aufgeraͤumt und die Breſche ausgebeſſert . Die
Minenverſuche hatten in dem felſigen Boden eben ſo wenig
Erfolg , und eine Niederlage erlitt das zahlreiche tuͤrkiſche
Geſchwader gegen vier große genueſiſche und eine griechi-
ſche Galeere unter den Augen der Stadt und der Belage-
rer . Der Sultan hielt zu Pferde am Ufer ; die Leidenſchaft
ſeiner Seele offenbarte ſich in den Bewegungen ſeines Koͤr-
pers , welcher die Handlungen der Streitenden nachzuahmen
ſchien ; als waͤre er Herr der Natur , ſpornte er ſein Roß
in die Flut , ſein Ruf und ſein Grimm trieb die osmani-
ſchen Schiffe zu neuen Angriffen vor , die immer verderb-
licher und blutiger endeten , bis die Fahrzeuge in Unord-
nung nach den europaͤiſchen und aſiatiſchen Geſtaden flohen .
Siegreich liefen die Galeeren mit Korn , Wein und Oel ,
mit Soldaten und Matroſen durch die Hafenkette ein . —
Schon damals ſah man , daß wenn Allah den Moslem die
Herrſchaft uͤber die Erde verliehen , die Unglaͤubigen im Be-
ſitze des Meeres geblieben . Balta-Oglu , der Capudan-
Paſcha , empfing in Gegenwart ſeines Gebieters hundert
Streiche mit einem goldenen Stabe , deſſen Schwere die
Berichterſtatter mit ſehr unnoͤthiger Uebertreibung auf 500
librae angeben .
Mohammed empfand die Schwierigkeit eines Angriffs
auf der Landfront , der Hafen war durch die Kette ver-
ſperrt , und ſchon forderten mehrere Stimmen die Aufhe-
bung der Belagerung , als man eben zu gelegener Zeit den
Saͤbel Ejubs ( Hiobs ) , des Anſaren ( oder Begleiters des
Propheten ) , auffand , der vor 800 Jahren , waͤhrend des
Angriffs der Araber , als Maͤrtyrer ( Schehit ) unter den
Mauern von Byzanz gefallen war . Die Stelle wird noch
heute durch die Moſchee von Ejub bezeichnet , die heiligſte ,
noch nie von einem Franken betretene Moſchee , in welcher
die Sultane bei ihrem Regierungsantritte mit dem Saͤbel
umguͤrtet werden , eine Ceremonie , welche die Bedeutung
der Kroͤnung bei chriſtlichen Koͤnigen hat .
Der Fund dieſer Reliquie begeiſterte die Moslem , wie
die Entdeckung der heiligen Lanze den Muth der Kreuz-
fahrer vor Antiochien aufgerichtet hatte . Mohammed faßte
den Entſchluß , ſeine Flotte uͤber Land in die Spitze des
goldenen Horns zu verſetzen . Gewoͤhnlich nimmt man an ,
daß dies in der Gegend von Beſchiktaſch geſchehen ſei ;
bei genauer Beſichtigung der Oertlichkeit ſcheint es aber
wahrſcheinlich , daß man den mißlichen Uebergang etwas
entfernter von Galata jenſeit des von Mohammed erbau-
ten Schloſſes Rumeli-Hiſſari durch das Thal von Balta-
Liman unternommen habe . Das Ufer iſt hier ſehr niedrig ,
und man konnte auf eine kurze Strecke den Bach ſelbſt be-
nutzen ; dann erhebt ſich die Thalſohle ſehr eben und ſanft
bis zu den Ruinen von Levend-Tſchiftlik , und man konnte
uͤber einen ſchmalen Ruͤcken in das Thal von Kjat-Hane
hinabſteigen , wo der Barbyſes fuͤr kleine Fahrzeuge ſchiff-
bar iſt . An den ſchwierigſten Stellen wurde ein Geleiſe
von Balken gelegt , welche mit Fett beſchmiert waren , und
mittelſt Flaſchenzuͤgen und Erdwinden konnte man die groͤ-
ßern Fahrzeuge fortſchaffen . Daß man dabei die Seegel
aufgeſpannt , iſt wohl nur eine Ausſchmuͤckung des Erzaͤh-
lers , ſo wie , daß die ganze Flotte in einer Nacht dieſe
reichlich eine Meile lange Landparthie ausgefuͤhrt habe .
Die kleinern tuͤrkiſchen Fahrzeuge waren wahrſcheinlich den
jetzigen Mahonnen aͤhnlich , und dieſe konnten ſich in dem
noͤrdlichen Theile des Hafens bis Ejub hinab ausbreiten ,
ohne daß die tiefgehenden feindlichen Galeeren ihnen beizu-
kommen vermochten . Der Angriff aber , welcher gegen das
Thor des Fanals gerichtet war , wurde auch wirklich von
den griechiſchen Schiffen in die Flanken genommen , und
man muß nothwendig annehmen , daß die genueſiſche Flotte
geſchlagen , oder , was wahrſcheinlicher , daß ſie ſich freiwil-
lig entfernte . Die Genueſer hofften naͤmlich den Fall des
Kaiſerreichs zu uͤberleben ; verleitet durch die Verſprechun-
gen des Sultans ſahen ſie von ihren Zinnen dem letzten
verzweiflungsvollen Kampf der Byzantiner zu , und erwach-
ten erſt dann aus ihrer Taͤuſchung , als ihre kurz zuvor
noch ſo wichtigen Huͤlfsmittel zu ihrem eigenen Schutz nicht
mehr ausreichten .
Die Tuͤrken zimmerten eine ſchwimmende Batterie , 100
Ellen lang , 50 breit , aus Tonnen und Faͤſſern , mit Stan-
gen und Balken verbunden und belegt ; auf dieſer wurde
unter andern eine der großen Kanonen eingeſchifft , und
13
achtzig Fahrzeuge mit Sturmleitern und Soldaten legten
ſich an eben den Theil der Hafenmauer , durch welche die
lateiniſchen Eroberer eingebrochen waren . Mittlerweile wur-
den auch vier Thuͤrme unweit des Thors des heiligen Ro-
manus an der Landfront niedergeworfen , und waͤhrend die
Tuͤrken ſich zu einem allgemeinen Sturme ruͤſteten , herrſchte
in der Stadt Zwietracht , Entmuthigung und Mangel ; die
Griechen ſtritten ſich mit der bitterſten Feindſchaft uͤber ge-
ſaͤuertes und ungeſaͤuertes Brot beim Abendmahl , und ver-
ſcharrten ihre Schaͤtze , damit ſie nicht fuͤr den Dienſt des
Vaterlandes in Anſpruch genommen wuͤrden .
Der Morgen des 29. Mai 1453 war der drei und
funfzigſte Tag der Belagerung und der letzte in der tauſend-
jaͤhrigen Dauer des Roͤmerreichs . Waͤhrend zwei Stunden
widerſtanden die Griechen dem Angriff eines funfzigmal
uͤberlegenen Feindes ; der Sultan , mit einer eiſernen Keule
in der Hand , befeuerte und leitete den Kampf ; der Janit-
ſchar Haſſan erſtieg zuerſt die aͤußere Umwallung , aber von
ſeinen dreißig Begleitern kamen achtzehn um ; der Rieſe
Haſſan wurde von der Mauer herabgeſtuͤrzt , er erhob ſich
noch einmal auf ein Knie , aber ein Hagel von Steinen und
Pfeilen zerſchmetterte ihn ; nichts deſto weniger drangen die
Osmanen nach , verbreiteten ſich uͤber die Mauer und be-
ſetzten mehrere Thuͤrme . — Wie es ſcheint , war etwas
fruͤher ſchon der gleichzeitige Angriff auf der Hafenſeite ge-
lungen ; Giuſtiniani war von einem Pfeil an der Hand ver-
wundet , ſeine Flucht gab den uͤbrigen lateiniſchen Kriegern
das Beiſpiel , und der Genueſer ſtarb eines ruhmvollen Le-
bens unwerth .
Wuͤrdiger endete Konſtantin Palaͤologus . Nachdem
der Kaiſer vergeblich geſucht ſein entartetes Volk zu kraͤf-
tiger Vertheidigung zu erwecken , nachdem er alle Gefahren
getheilt und alle Hoffnung verſchwunden ſah , beſchloß er ,
den Fall ſeiner Groͤße , den Sturz der roͤmiſchen Herrſchaft
und den Untergang des chriſtlichen Glaubens nicht zu uͤber-
leben . „ Jſt kein Chriſt da , “ rief er , „ mir das Haupt ab-
zuſchlagen ? “ Um nicht erkannt und verſchont zu bleiben ,
warf er den kaiſerlichen Purpur ab , miſchte ſich in das
dichteſte Gewuͤhl der Streitenden und wurde unter einen
Haufen von Erſchlagenen begraben . Dicht vor dem Thore
Top-Kapu erhebt ſich eine Gruppe Cypreſſen , welche den
Ort bezeichnen , wo Konſtantin Palaͤologus , der letzte Kai-
ſer des Oſtens , fiel .
Jch will die Erzaͤhlung von den Greueln nicht erneu-
ern , welche auf dieſe Erſtuͤrmung folgten ; aber die Bela-
gerungen und Eroberungen erklaͤren , wie von dem Capitol ,
von zwei Theatern und dem Circus des Juſtinian mit zahl-
loſen Bildſaͤulen , von dem Forum , von den Baͤdern des
Zeuxippus , von 52 Portiken , von den Kornmagazinen und
Hallen , von 14 Kirchen , 14 Pallaͤſten und 4388 Gebaͤuden ,
die ſich durch Umfang und Schoͤnheit vor den Haͤuſern des
Volks in jener erſten Zeit auszeichneten , faſt keine Spur
mehr vorhanden iſt , wie auch von den Denkmaͤlern ſpaͤte-
rer Perioden der Roͤmerherrſchaft nichts als die wenigen
Truͤmmer ſtehen geblieben ſind , von denen ich Dir oben
geſprochen .
Als das griechiſche Reich die lateiniſchen Fuͤrſten um
Beiſtand anrief , ſchickten ſie eine Million Menſchen , und
Byzanz ſelbſt ging in der Flut dieſer Huͤlfsleiſtung bei-
nahe zu Grunde ; als aber die Chriſtenheit im Orient nur
hinter den Mauern von Konſtantinopel noch Schutz fand ,
als eine Unterſtuͤtzung von 20- oder 30,000 Kriegern und
einigen Schiffen ſie zu retten vermochte , da uͤberließ der
Weſten Europa's den Oſten ſeinem Schickſal , und das La-
barum neigte ſich vor dem Sandſchak-ſcherif . Die Ver-
geltung iſt nicht ausgeblieben , und durch zwei Jahrhun-
derte zitterte das Abendland vor den islamitiſchen Jmpe-
ratoren , welche ſeitdem am Bosphorus herrſchten .
Gleich nach der Erſtuͤrmung von Konſtantinopel ließ
Mohammed-Gaſi , der Siegreiche , die am meiſten beſchaͤ-
digten Stellen der Befeſtigung wieder ausbeſſern . Aber
dieſe Mauern hatten natuͤrlich fuͤr die ſchwachen Fuͤrſten ,
welche den ſtolzen Titel der roͤmiſchen Kaiſer fuͤhrten , eine
ganz andere Bedeutung gehabt , als fuͤr die gewaltigen Sul-
tane , deren Heere den Halbmond nach Ungarn und Oeſter-
reich , nach Egypten und Perſien trugen . Unſere jetzige
Zeit nun erlebt einen neuen Umſchwung der Weltverhaͤlt-
niſſe , und jene merkwuͤrdigen alten Thuͤrme und Graͤben
ſcheinen abermals ihre fruͤhere Wichtigkeit wieder gewin-
nen zu ſollen .
Die chriſtliche Religion war im Orient in der That
zu einer Art Goͤtzendienſt herabgeſunken , als ſie dem neuen
Glauben erlag , welcher die Lehre von der Einheit eines
hoͤchſten , rein geiſtigen Weſens aus dem urſpruͤnglichen
Chriſten- und Judenthume mit hinuͤbergenommen und ihn
zur Grundlage gemacht hatte : „ Allah il Allah ! “ „ Es giebt
nur einen Gott “ . Aber von dieſer erhabenen und reinen
Lehre geht der Mohamedanismus uͤber zu ſolchen Geſetzen
und Beſtimmungen , daß er der Fortbildung der Geſellſchaft
durchaus hindernd in den Weg tritt . Der Uebermuth des
Sieges , die Traͤgheit , welche ein gluͤcklicher Himmel und
ein reicher Boden naͤhrt , aber ganz beſonders die Religion
machte den Orient ſtationair .
Wie ſehr das urſpruͤngliche Chriſtenthum auch im Abend-
lande von ſpaͤtern Hinzufuͤgungen , von Menſchenſatzungen
und von Erklaͤrungen des Unerklaͤrlichen uͤberlagert war ,
ſo beſtand doch das Weſentliche , Unvergaͤngliche und wahr-
haft Goͤttliche heilbringend fort . Die erhabene Moral der
Bergpredigt mußte zur ſittlichen Veredlung fuͤhren ; Geſetz
und Recht traten an die Stelle der rohen Gewalt , und
nachdem eine große Umwaͤlzung meiſt innerhalb der Gren-
zen germaniſcher Staͤmme zur Gedankenfreiheit gefuͤhrt , ver-
breitete ſich das Licht der Wiſſenſchaft nicht als Feind ,
ſondern als nothwendige Folge der chriſtlichen Religion .
Das Recht erzeugte die Sicherheit , in deren Schutz Kuͤnſte
und Gewerbe empor bluͤhten , und der Glaube war es , wel-
cher in dieſem Sinne Meere bahnte und Berge verſetzte .
Drei Jahrhunderte nach dem Siege des Jslam uͤber das
roͤmiſche Reich ſehen wir das chriſtliche Europa groß und
maͤchtig , mit unermeßlichen Reichthuͤmern , gewaltigen Flot-
ten und furchtbaren Heeren in ſtetem Fortſchreiten begrif-
fen ; das Morgenland hingegen , das reiche Morgenland ,
welches einſt die Wiege der Geſittung war , durch ſeine
Religion in enge Grenzen gebannt , iſt ſtehen geblieben in
Barbarei .
Ehe es ſo weit gekommen , waren es Oeſterreich und
Rußland , welche Europa gegen den Andrang der Muſel-
maͤnner zu ſchuͤtzen hatten . Rußland that es mit beſſerm
Erfolg , Oeſterreich mit groͤßerm Ruhm . Man darf uͤber
das Gelingen jener Kaͤmpfe nie vergeſſen , daß die deut-
ſchen Kaiſer gegen das kraͤftige , die Czaare gegen das be-
reits hinfaͤllige Reich Osmans rangen . Oeſterreichs lange
Operationslinien fuͤhrten durch ausgedehnte , halb wilde
Laͤnder , in die wegeloſeſten Provinzen , welche von den ſtreit-
barſten Voͤlkerſchaften des tuͤrkiſchen Staats , den Bosnia-
ken , Serben und Arnauten , bewohnt ſind , die noch heute
ihre kriegeriſchen Tugenden bewaͤhrt haben . Rußland fand
eine unermeßliche Huͤlfe in der Glaubensverwandtſchaft der
Bewohner und in der Seeverbindung mit den Kuͤſtenlaͤn-
dern der Tuͤrkei . Aber zu einem ſo furchtbaren Feinde iſt
auch Rußland herangewachſen , daß es der Freund und
Beſchuͤtzer des unmuͤndig gewordenen Gegners werden konnte .
Wenn es nun dahin gekommen iſt , daß alle europaͤiſchen
Nachbarn ſich zu Vertheidigern des einſt ſo gefuͤrchteten
Tuͤrkenreichs erklaͤren , weil alle den Umſturz deſſelben fuͤrch-
ten , ſo begreift man , wie die endliche Loͤſung der großen
Frage leicht noch einmal unter die alten Mauern von By-
zanz geruͤckt werden kann .
35.
Reiſe nach Samſun . — Die Haͤfen des Schwarzen
Meeres . — Dampfſchifffahrt .
Tokat in Aſien , den 8. Maͤrz 1838 .
Kaum finde ich Zeit , Dir einige Zeilen zu ſchreiben ,
ſo ſchnell geht unſere Reiſe vorwaͤrts ; heute erſt machen
wir einen halben Tag Halt , und ich ſetze mich ſogleich ne-
ben ein loderndes Kaminfeuer ( denn die Berge ringsum
ſind mit Schnee bedeckt ) , ſchichte eine Menge Sophakiſſen
uͤber einander , um ein hier unbekanntes Moͤbel , einen Tiſch ,
zu conſtruiren , und fange an , meine Reiſeſchickſale her zu
zaͤhlen ; aber da koͤmmt alle Augenblick ein Beſuch , ein Oberſt
aus Konſtantinopel , der mein alter Reiſegefaͤhrte in Ru-
melien war und jetzt Commandeur der Redif oder Land-
wehr iſt , das Corps der ſaͤmmtlichen Hauptleute , welche
ihre Aufwartung machen , ein Jman , ein Jude mit alten
Muͤnzen u. ſ. w. Es werden zahlreiche Pfeifen und Kaf-
fee getrunken , ſchon faͤngt es an dunkel zu werden , und
morgen mit den Fruͤhſten geht es zwanzig Stunden uͤber
Schnee-bedeckte Berge nach Siwas .
Jch bin Dir noch den Bericht uͤber die Abſchieds-
audienz ſchuldig , welche v. M. und ich beim Großherrn
hatten ; ſie iſt indeſſen fuͤr mich die vierte , und weicht in
nichts von den uͤbrigen ab , ſo daß ich die Wiederholung
erſpare . Das einzige Neue war , daß ich diesmal in tuͤr-
kiſcher Kleidung ging und deshalb im Vorgemach Sr. Ho-
heit deſarmirt wurde . Niemand kann naͤmlich , ſelbſt der
Vezier nicht , bewaffnet eintreten ; daß es indeß die Abſicht
Sr. Majeſtaͤt nicht war , uns unſere Waffe zu nehmen , be-
weiſet Dir , daß er jedem von uns einen Paſcha-Saͤbel
mit ſchoͤner Damaſcener-Klinge ſchenkte , die wohl ſehr gut
ſein muß , da Se. Hoheit uns ſelbſt aufforderte , ſie heraus
zu ziehen , um ſie zu ſehen . Der Großherr war ſehr huld-
voll wie immer .
Mittags darauf reiſten wir mit dem großen ſchoͤnen
Dampfſchiff „ Fuͤrſt Metternich “ ab . Den Bosphor hin-
auf hatten wir die Begleitung von lieben Freunden und
Bekannten ; vor Bujukdere ſchieden wir , und nun eilte un-
ſer Pyroscaph hinaus in den Euxin . Das Wetter war
koͤſtlich , die See ruhig , und mit Vergnuͤgen ſchwammen wir
die Kuͤſte entlang , welche , uͤberall hoch und ſteil , in der
Ferne von noch hoͤheren beſchneiten und bewaldeten Kup-
pen uͤberragt iſt . Das Schiff nahm in Sinope Kohlen
ein , und wir benutzten dieſen Aufenthalt , um das alte ge-
nueſiſche Caſtell bei hellem Mondenſchein zu beſehen . Es
liegt auf einer Landenge und ſperrt die ungewoͤhnlich gut
gebaute Stadt und eine bergige Halbinſel vom Continent
ab . Der Ort iſt ſehr haltbar und hat ſchoͤne Schiffswerf-
ten ; die milde Luft , die vielen Oelbaͤume und Cypreſſen ,
das leuchtende Meer , die alten Thuͤrme und Mauern ge-
ben ein ſchoͤnes ſuͤdliches Bild . Am zweiten Tage Mittags
ſchon liefen wir in den Hafen von Samſun ein ; in zwei-
mal vier und zwanzig Stunden hatten wir mit allem Con-
fort hundert deutſche Meilen zuruͤckgelegt , eine Reiſe , die
um ſo gluͤcklicher genannt werden kann , als ſie im Aequi-
noctium und auf dem Schwarzen Meere ſtatt hatte .
Der Anblick von Samſun iſt hoͤchſt angenehm ; ein
altes genueſiſches Caſtell , mehrere gut gebaute tuͤrkiſche Ko-
naks , einige ſteinerne Moſcheen und Hanns zeichnen ſich
ſchon in der Ferne aus . Das ganze Staͤdtchen iſt von
einem Oliven-Waͤldchen umgeben , welches das Berg-Am-
phitheater bekleidet und aus dem freundliche Kiosks und
Gartenhaͤuſer hervorblicken ; die Gipfel der Huͤgel kroͤnt ein
griechiſches Dorf und dahinter ragen Waldkuppen , die ihre
3000 Fuß Hoͤhe haben moͤgen . Jch benutzte den Abend ,
um einen Plan dieſes Orts , des Hafens und der Umge-
bungen aufzunehmen , und es kam mir wirklich ſeltſam ge-
nug vor , in Pontus , im Lande Mithridats , meinen engli-
ſchen Patent-Meßtiſch aufzuſtellen . Eine Viertelmeile noͤrd-
lich der Stadt fand ich die Ruinen eines alten Molo und
am Ufer Fundamente von rieſenhaften Quadern aufgefuͤhrt .
Die Hoͤhe dahinter war von alten Mauerreſten umgeben ,
und hat wahrſcheinlich die Stadt Amiſus getragen , in
welcher der maͤchtige Roͤmerfeind gehauſet . — Es hat ſich
ſo getroffen , daß ich nun faſt alle Haͤfen des Schwarzen
Meeres von der Muͤndung der Donau bis zum Kiſil-Jr-
mak genauer kennen gelernt habe ; ſie ſind ſaͤmmtlich ſchlecht .
Das ſchon von Alters her ſo verrufene Schwarze Meer iſt
weder ſtuͤrmiſcher noch ſo oft mit Nebel bedeckt , wie un-
ſere Oſtſee , und Untiefen und Klippen , wie jene , hat es
gar nicht ; die große Gefahr beſteht hauptſaͤchlich in dem
Mangel an geſchuͤtzten Rheden und geſicherten Haͤfen . Am
beſten auf der genannten Strecke von uͤber 150 deutſchen
Meilen iſt die weite Bucht von Burgas , in welcher man
ſich nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde und je nach der Rich-
tung des Windes einen Ankerplatz waͤhlen kann . Der Bos-
phor ſelbſt iſt zwar ein vortrefflicher Hafen , aber der Ein-
gang uͤberaus ſchwer zu finden , und hoͤchſt gefaͤhrlich , wenn
man ihn verfehlt . Die Nordkuͤſte Kleinaſiens bietet bis
Samſun , d. h. auf 100 deutſche Meilen , nur zwei Punkte
dar , in welchen Schiffe Schutz ſuchen koͤnnen , und dieſe
ſind bei ſtarken Stuͤrmen aus Nord-Oſten ſo gefaͤhrlich ,
daß das Dampfſchiff den Keſſel geheizt behaͤlt , um das
Weite zu ſuchen , wenn die Anker der Gewalt der Wogen
weichen . Auch in Varna ſah ich ein Dampfſchiff bei fuͤrch-
terlichem Sturm auslaufen , weil der Hafen ihm gefaͤhr-
licher ſchien , als die hohe See . Bei ſchlechtem Wetter
kann das Schiff in Samſun gar nicht landen , ſondern
nimmt ſeine Paſſagiere mit bis Trapezunt , denn die vier
Meilen weit vorgreifenden , ganz niedrigen Landzungen , welche
der Kiſil- und Jeſchil-Jrmak ( der rothe und gruͤne Strom )
angeſchwemmt haben , machen den Zugang bei dunklem Wet-
ter allzu gefahrvoll . Aber der Hafen von Trapezunt iſt
um nichts beſſer , und obwohl ein ſehr wichtiger Handel
uͤber dieſen Platz getrieben wird , ſo iſt doch nicht das Ge-
ringſte geſchehen , um den Ort einem Seehafen aͤhnlich zu
machen . Nicht einmal ein Quai oder Landeplatz iſt da ;
die Ballen werden von Menſchen durchs Waſſer in die
Kaͤhne getragen .
Der oſtindiſche Handel nahm fruͤher ſeinen Weg durch
die Levante . Die Genueſer waren Herren aller Hafenplaͤtze
an der kleinaſiatiſchen Kuͤſte , wie an ſo vielen andern Punk-
ten des osmaniſchen Reichs . Ueberall haben ſie dauernde
Spuren ihrer Herrſchaft hinterlaſſen ; ihre Anlagen zeich-
nen ſich durch Soliditaͤt und Tuͤchtigkeit aus ; ihre alten
Schloͤſſer ſtehen noch jetzt und verſpotten durch ihr Profil
die ſpaͤtern tuͤrkiſchen Anlagen ; aber die Molen , welche da-
mals ihre Schiffe von geringerer Groͤße gegen die Wellen
ſchuͤtzten , ſind heute vom Meere verſchlungen . Die gaͤnz-
liche Zerruͤttung und der Mangel an Sicherheit , welcher
mit der tuͤrkiſchen Herrſchaft eintrat , leitete jenen wichtigen
Handel in einen neuen Kanal und ließ ihn den erſt ent-
deckten Seeweg nehmen . Heute nun trachtet der oſtindi-
ſche Handel nach dem alten Zug . Die Euphrat-Expedi-
tion war ein erſter Verſuch in dieſer Richtung , und die
Verbindung durch das rothe Meer mittelſt Dampfſchiffe
iſt wirklich hergeſtellt .
Perſiſche Kaufleute beſuchten auch fruͤher ſchon die
Leipziger Meſſe , von wo ſie Fabrikwaaren und Pelzwerk
holten . Die Reiſe dauerte gewoͤhnlich funfzehn Monate ,
und war zahlloſen Gefahren und Beſchwerden ausgeſetzt .
Heute geht derſelbe Handelsmann von Trapezunt mit den
Dampfſchiffen in vier und dreißig Tagen uͤber Konſtantinopel
und Wien nach Leipzig , und kehrt in zwanzig Tagen zuruͤck .
Jch glaube , daß eben dieſe Dampfſchiffe eins der wichtig-
ſten Mittel zur Civiliſation des Orients ſein werden , und
daß Oeſterreich durch ſeine großartige Unternehmung in
dieſer Beziehung mehr Verdienſt als irgend ein anderer
Staat hat . Zum Mittelpunkt ſeiner Unternehmung hat es
die Hauptſtadt eines fremden Landes gemacht , deſſen Re-
gierung zu kurzſichtig iſt , um auch nur den lucrativen Ge-
ſichtspunkt der Sache aufzufaſſen ; oͤſterreichiſche Schiffe
ſtellen regelmaͤßige Verbindung her zwiſchen Konſtantinopel
und Trieſt , Athen , Alexandrien , Beirut , Smyrna , Tra-
pezunt , Varna und Wien . Der „ Metternich “ hatte fuͤr
eine Million Fabrikate an Bord ; ein zerlumpter perſiſcher
Kaufmann , der unbeweglich in einer Ecke des Verdecks
kauerte , und deſſen Mahl aus Oliven , Knoblauch , Zwie-
beln und Brot beſtand , hatte allein 5000 Piaſter Nolis ge-
zahlt . Aus den kleinen aſiatiſchen Haͤfen bringt das Dampf-
ſchiff Taback , Fruͤchte , rohe Seide , perſiſche Shawls , Gall-
aͤpfel ( die einen großen Handelsartikel ausmachen ) und
perſiſche Geld- und Silber-Muͤnzen , die in Konſtantinopel
zu ſchlechtem Gelde ausgepraͤgt werden . Der Reiſenden
ſind ſtets viele , aber faſt nur Verdeck-Paſſagiere ; der Tuͤrke
fuͤhrt ſein Bett , ſein duͤrftiges Mahl und ſeine Pfeife mit
ſich , wickelt ſich Nachts in ſeine Pelze und Teppiche , und
verlaͤßt faſt nicht den Platz , auf welchen er ſich bei der
Abfahrt hinſetzt . Jch reiſte mit einigen Offizieren der neu-
errichteten Landwehr ; ſie waren nach Konſtantinopel neun-
zehn Tage unterwegs geweſen , in zwei Tagen kamen ſie
zur See wieder zuruͤck ; uns dagegen ſteht jetzt der Land-
weg bevor . Unſere kleine Karavane beſteht aus etwa drei-
ßig Pferden und zieht ſo ſchnell einher , als die Wege und
Witterung es erlauben ; die Straßen ſind oft nur Fuß-
pfade , die ſteile Hoͤhen erklimmen , oder angeſchwollene Baͤche
durchſchneiden . Wagen wuͤrden gar nicht , oder doch nur
mit Ochſen fortkommen koͤnnen ; zu Pferde aber geht es
gut . Wenn ich beim Ausreiten zuweilen mein kleines cap-
padociſches Roß wegen wenig einnehmenden Exterieurs be-
denklich anſehe , ſo hebt der Tartar die rechte Hand mit
geſpitzten Fingern empor und ſchluͤrft die Luft durch die
Lippen , als Zeichen der hoͤchſten Bewunderung ; „ Rach-
wan ! “ ruft er , „ ein Paßgaͤnger ! “ und dies iſt die ſchoͤnſte
Empfehlung . Wirklich bin ich mit dieſem Thierchen bis
zu drei Stunden Weges in ununterbrochenem Galop ge-
ritten , wo die weiten Wieſenflaͤchen laͤngs den Stroͤmen es
erlaubten ; oft aber geht es uͤber Geroͤll und ſteile Haͤnge ,
ſo daß man nur im Schritt vorwaͤrts koͤmmt .
36.
Amafia . — Die Felſenkammern .
Sivas , den 10. Maͤrz 1838 .
Unſer erſter Marſch von Samſun betrug 14 Stunden ;
es gab mehrere Hoͤhen und Thaͤler zu uͤberſchreiten , die
von Schnee eben erſt entbloͤßt , doppelt muͤhſam zu paſſiren
waren ; auch kamen wir ſpaͤt in der Dunkelheit und von
Regen durchnaͤßt in Ladika an . Dieſer Ort hat , wie wir
am folgenden Morgen von den hohen Schnee-bedeckten
Bergen ſahen , eine ſchoͤne Lage ; wir ſtiegen nach einigen
Stunden in ein breites angebautes Thal hinab , deſſen
Waͤnde ſich immer mehr naͤherten , bis ſie dicht zuſammen
traten und eine tiefe enge Schlucht bildeten . Schroff und
faſt ganz ohne Vegetation erhoben ſich wohl 100 Fuß die
Felslehnen zu beiden Seiten , waͤhrend die enge Sohle des
Thals zwei Stunden weit einen fortlaufenden Garten bil-
dete , bedeckt mit Haͤuſern und Maulbeerpflanzungen . Jn
dem Augenblicke , wo wir uͤber eine kleine Anhoͤhe hervor-
traten , entfaltete ſich ploͤtzlich der eigenthuͤmlichſte und ſchoͤnſte
Anblick , den ich je geſehen — die uralte Stadt Amaſia .
Der Zuſammenfluß zweier betraͤchtlichen Gebirgswaſſer aus
ganz entgegen geſetzten Richtungen , welche dann vereint
nordoſtwaͤrts abfließen , bildet einen tiefen Gebirgskeſſel , in
welchem Kuppeln , Minarehs und Wohnungen von 20- bis
30,000 Menſchen zuſammengedraͤngt ſind . Schoͤne Gaͤr-
ten und Maulbeer-Plantagen , die der rauſchende Strom
durcheilt , ſind ringsum von hohen Felswaͤnden umſchloſſen ,
und rechts auf einer hervorragenden Klippe thront ein ur-
altes ſeltſam geſtaltetes Caſtell . Was aber den befrem-
dendſten Eindruck hervorbringt , ſind die wunderbaren Felſen-
kammern , welche in den ſenkrechten Steinwaͤnden eingemei-
ßelt ſind ; lange betrachtete ich dieſe coloſſalen Niſchen ,
Gaͤnge und Treppen , ohne mir eine Vorſtellung davon ma-
chen zu koͤnnen , was der Zweck einer ſo muͤhevollen , viel-
jaͤhrigen Arbeit ſein koͤnne . Stelle Dir an einer hohen ,
faſt ſenkrechten Wand , wohl 200 Fuß uͤber dem Waſſer-
ſpiegel des Fluſſes , eine Vertiefung vor , die 40 Fuß breit ,
reichlich ſo hoch und etwa 30 Fuß tief iſt ; in dieſer Ni-
ſche hat man einen Steinblock ausgeſpart , 25 Fuß hoch ,
breit und tief , der ein Haus in der Niſche bildet und in
ſeinem Jnnern wieder ausgehoͤhlt eine Kammer enthaͤlt ,
die 15 Fuß im Geviert haͤlt und nach Außen zu ein Fen-
ſter oder , wenn man will , eine Thuͤre zum Eingange hat .
Dieſes Haus aus dem haͤrteſten Granit kann kaum eine
andere Beſtimmung gehabt haben , als einen Sarkophag
aufzunehmen , und wirklich zeigt der Boden einen leichten
Einſchnitt , in welchem derſelbe geſtanden haben kann . —
Fuͤnf ſolche große Felſenkammern befinden ſich nahe an
einander und ſind durch Gallerien und Treppen verbunden ,
die mit ihren Baluſtraden in die Felswand eingehauen ſind .
Wahrſcheinlich waren es Graͤber der Koͤnige von Pontus .
Obwohl uͤber 2000 Jahre alt , ſind die Linien meiſt ſo ſcharf
erhalten , als wenn ſie eben fertig geworden . Die Jdee iſt
ganz aͤgyptiſch und die Ausfuͤhrung iſt es auch , z. B. das
Fenſter einer der Kammern , welches dieſe Form hat :
Es iſt moͤglich , daß die Niſchen nach Außen ganz geſchloſ-
ſen und durch ein Periſtyl verkleidet geweſen ſind ; dieſes
iſt jetzt weggeriſſen und herabgeſtuͤrzt ; auch die Sarkophage
ſind nicht mehr vorhanden , nur die Gruft ſelbſt ſteht , al-
len Jahrtauſenden trotzend , da . Jndeſſen iſt der Anblick
nicht ſchoͤn , man kann von unten die Groͤße der Dimenſio-
nen gar nicht ſchaͤtzen und ſtaunt die Arbeit an , ohne zu
wiſſen , was man daraus machen ſoll .
Der Anblick von der Citadelle herab iſt prachtvoll ; es
war eben Beiram , der groͤßte Feiertag der Tuͤrken . Ueber-
all war Leben , und ſaͤmmtliche Frauen , in ihren grellen
bunten Gewaͤndern , kamen aus den Baͤdern . Von der Ci-
tadelle wurde mit Boͤllern geſchoſſen , die in den Thaͤlern
praͤchtig wiederhallten , auch wir feuerten unſere Piſtolen
ab , um nach Kraͤften zu dieſer Feierlichkeit beizutragen .
Die jetzige Citadelle iſt von den Genueſern erbaut und
faſt ſchon verfallen ; junges Machwerk aus alten Materia-
lien . Aber auf der hoͤchſten Kuppe finden ſich Mauer-
werke vom hoͤchſten Alterthum . Es ſind nur Fundamente ,
die aber 20 bis 30 Fuß hoch ſind ; die Steine ſind ohne
Moͤrtel auf einander gelegt und ſo ſcharf geſchnitten , als
wenn ſie geſchliffen waͤren . Wie Schade , daß Strabo von
dieſen Bauten in ſeiner Vaterſtadt kein Wort berichtet .
Wir rollten einen ungeheueren Stein den Fels herun-
ter , donnernd ſtuͤrzte er durch die Schlucht , ſprang von
Block zu Block und taumelte gerade auf die Stadt zu .
Mit Schrecken ſahen wir , was wir angerichtet , da unſer
Rollgeſchoß wie eine 150-pfuͤndige Bombe durch alle Daͤ-
cher ſchlagen mußte ; zum Gluͤck platzte der Stein in meh-
rere Stuͤcke und fuhr in ein altes zerſtoͤrtes Bad .
Wegen des Beirams konnten wir erſt nach dem Mor-
gengebet um 10 Uhr reiten ; wir benutzten die Zeit , um
die Felſengraͤber noch einmal zu beſehen , entdeckten noch
mehrere kleine Kammern und allerlei in den Felſen geſchnit-
tene ſchmale Gaͤnge , welche einſt auf Verſchanzungen fuͤhr-
ten , die jetzt durchaus unerſteiglich fuͤr Freund und Feind
zu ſein ſchienen .
Bei hellem Sonnenſchein ritten wir den 7. weiter , oft
zuruͤckblickend nach der ſchoͤnen Lage der Stadt und dem
hochragenden alten Schloß . Wir folgten einem Nebenthal
des von Tokat kommenden Tuſanly-Fluſſes , laͤngs deſſen
Ufer Gaͤnge in die Felswand gehauen ſind ; unſer Thal
ſchloß ſich bald ſo , daß man gar keinen Ausweg ſah , und
in einer engen Felspforte , durch die ein wilder Gebirgs-
bach ſchaͤumte , kletterten die ſchwerbeladenen Pferde muͤh-
ſam empor . Wir erſtiegen jetzt ſchon eine bedeutende Hoͤhe
und ſenkten uns durch ein ſchoͤnes Gebirgsthal mit einem
rauſchenden Bache hinab ; abermals traten die Felswaͤnde
bis auf einige Schritte zuſammen , dem Wege und dem
Bache kaum einen Durchgang geſtattend . Bei einem ein-
zelnen Haͤuschen an dieſer ſchoͤnen Stelle wurde gegen Abend
einen Augenblick geraſtet . Wir fanden ein Geruͤſt , oben
mit 4 Fuß langen Meſſern beſetzt ; auf Befragen erfuhren
wir , daß dies Jnſtitut fuͤr Straßenraͤuber beſtimmt ſei ,
die darauf geſpießt noch drei bis vier Tage leben , und es
ſtellte ſich heraus , daß wir eben beim Schinder unter dem
Galgen Kaffee tranken . Abends ſpaͤt kamen wir nach Tur-
hall . — Dies Staͤdtchen liegt in einer weiten ſchoͤnen Thal-
ebene , die durch den Zuſammenfluß von vier betraͤchtlichen
Waſſern gebildet wird ; mehrere einzelne Felskegel ragen
aus der Wieſenflaͤche hervor ; der , welcher der Stadt zu-
naͤchſt , iſt von den Ruinen eines alten Schloſſes gekroͤnt .
37.
Tokat . — Siwas .
Siwas , den 11. Maͤrz 1838 .
Der Paſcha dieſes Orts iſt geſtern mit achtzig Pfer-
den von hier fortgezogen , ſo daß die Poſt keine mehr hat
und wir genoͤthigt ſind , einen Ruhetag zu machen ; ich fahre
daher in meiner Erzaͤhlung fort .
Die acht Weg-Stunden nach Tokat machten wir den
8. im weiten Thale des Tuſanly , faſt im beſtaͤndigen Ga-
lop ; Tokat liegt in einer Schlucht , welche aus hohen Ber-
gen hervortritt . Eine ſcharfe Klippenwand ſchneidet beide
Thaͤler von einander ab und auf dem letzten ſchroffen Gi-
pfel derſelben iſt kuͤhn ein altes Schloß erbaut und durch
einen unterirdiſchen Gang mit der Stadt verbunden ; dieſe
iſt von bedeutender Groͤße , und kann 30- bis 40,000 Ein-
wohner haben . Sie liegt ſchoͤn , aber doch nicht ſo ſchoͤn
wie Amaſia .
Jch war ſehr neugierig , den Betrieb der Kupferſchmel-
zen in dieſer alten Werkſtaͤtte der Chalyben oder Chalbaͤer
zu ſehen ; meine Erwartung aber war zu groß geweſen .
Minen ſind gar nicht da , oder werden wenigſtens nicht
betrieben ; das Erz wird , nachdem es in Argana von der
Erde gereinigt , in Metallkuchen von Kameelen ſechs Tage-
reiſen weit herbei getragen , um vollends gelaͤutert zu wer-
den ; warum eben hierher , begreife ich nicht . Einen Bach ,
der durch die Stadt rauſcht , hat man nicht zu faſſen ver-
ſtanden , er bleibt unbenutzt . Zwei Reihen kleiner Oefen ,
wie Backoͤfen , unter elenden Holzſchuppen , Blaſebaͤlge , die
von Menſchen in Athem erhalten werden , und ein Vorrath
von Holzkohlen , das iſt der ganze Apparat der beruͤhmten
Kupferſchmelzen von Tokat .
Hinter Tokat ſtiegen wir nun weſtlich in die Hoͤhe , und
nach drei Stunden befanden wir uns mitten im ſchoͤnſten
Winter ; nur einzelne Fichten ſchauten aus den weiten Schnee-
flaͤchen heraus , und die Wege waren unbeſchreiblich ſchlecht .
Die Sonne ſchoß brennende Strahlen herab und die Au-
gen ſchmerzten ſo ſehr , daß wir den Kopf trotz der Hitze
in Tuͤcher und Kappen huͤllten . Der Schnee war uͤberall
locker , außer in dem betretenen Saumweg ; verließ man
dieſen nur eine Hand breit , ſo verſank das Pferd , blieb
man aber im Wege , ſo mußte das arme Thier ſchrecklich
arbeiten , da der ganze Pfad ſtaffelfoͤrmig ausgetreten war .
Erſt ſpaͤt erreichten wir Jeni-hann , und am geſtrigen Nach-
mittag Siwas nach einem hoͤchſt beſchwerlichen Marſch im
Schritt .
Wenn man bedenkt , daß wir uns in der Mitte Maͤrz
und unterm 41ſten Breitengrade befinden , ſo ſollte man eine
ſolche Winterlandſchaft nicht erwarten ; das weite , frucht-
bare aber wenig angebaute Thal des Kiſil-Jrmak , ſo wie
die nahen Huͤgel und fernen Berge ſind dicht mit Schnee
uͤberlagert , ſo weit das Auge reicht ; nur ſchroffe Felspar-
thien loͤſen ſich aus der einfoͤrmig weißen Decke ab , denn
Baͤume giebt es nicht . Jn der Mitte dieſer Oede liegt
Siwas von ſtattlichem Anſehn , mit Kuppeln , Minarehs
und alten Thuͤrmen , eine Citadelle auf einem Huͤgel , eine
zweite mitten in der Stadt . Die Haͤuſer haben ſtatt der
Daͤcher flache Erddecken .
Aber ſo viel Schmutz habe ich noch nie beiſammen ge-
ſehen , wie hier ; der Schnee liegt 10 Fuß tief in den Stra-
ßen , und kaum hat man an einer Seite einen engen Gang
gebahnt , in den die Pferde bis an die Gurte einſinken .
Wie uͤberhaupt unſere Packpferde von Tokat aus , wenige
Stunden nach uns , haben ankommen koͤnnen , iſt faſt nicht
zu begreifen . Heute fruͤh , da wir doch einmal nicht wei-
ter konnten , beſahen wir die merkwuͤrdigen Ruinen in der
untern Citadelle ; nie , auch in keiner gothiſchen Kirche , habe
ich ſolchen Reichthum an Skulptur geſehen , wie in der
Fa ç ade der dortigen Moſchee ; jeder Stein iſt kunſtvoll ge-
ſchnitten . Das Portal iſt Alles , was man Zierliches ,
Pracht- und Geſchmackvolles ſehen kann ; Blumengewinde ,
Blaͤtter und Arabesken bedecken jede Flaͤche , und doch macht
das Ganze einen hoͤchſt harmoniſchen Eindruck . Die Leute
ſagen , es ſei perſiſche Arbeit ; ſie mag wohl noch vor der
Zeit der Seldſchucken ausgefuͤhrt ſein , und mit den ſchoͤ-
nen Gebaͤuden des ſuͤdlichen Spaniens gleichen Urſprung
haben . Auch ein Tekie oder Derwiſch-Kloſter ſahen wir ,
neben welchem ſich ein ſehr ſehenswerther runder Thurm
befindet , in welchem Scheich Haſſan , ein Heiliger , in einem
ſchoͤnen Marmorſarge begraben liegt . Dieſer Thurm iſt
unten aus Quadern , oben aus Ziegeln mit bunt verglaſe-
ten Außenſeiten moſaikartig aufgebaut . Vor der Stadt be-
ſuchten wir ein anderes Tekieh mit ſchoͤner Ausſicht , wel-
ches auf einem wohl 100 Fuß hohen Felſen von Marien-
oder Spießglas liegt .
Die Umgegend von Siwas iſt ganz von Baͤumen ent-
bloͤßt , nur in der Stadt ſelbſt giebt es viele Pappeln und
Kirſchbaͤume ; der Weinſtock koͤmmt nicht mehr fort , viel
weniger Oliven und Cypreſſen . Es wird ſehr viel Korn
gebaut , welches , im Mai geſaͤet , ſchnell zum Reifen koͤmmt ,
wie im noͤrdlichen Rußland . Die Turkmanniſchen Noma-
denſtaͤmme kommen hierher , um Korn einzutauſchen .
38.
Der Antitaurus oder die kleinaſiatiſche Hochebene .
Alladſcha-Hann , den 14. Maͤrz 1838 .
Von Siwas aus ritten wir durch eine weite Niede-
rung , uͤberſchritten den Kiſil-Jrmak , der hier ſchon 250
Schuh breit und ſehr angeſchwollen war , auf einer ſteiner-
nen Bruͤcke , und ſtiegen dann waͤhrend drei Stunden be-
ſtaͤndig aufwaͤrts . Wir erreichten eine Hochebene , welche
mehrere Salzquellen enthaͤlt ; die Vegetation muß hier ſchon
ſehr duͤrftig ſein , und kein Baum oder Strauch ſah aus
den Schneeflaͤchen hervor . Gegen Abend und bei dichtem
Schneegeſtoͤber erſtiegen wir die hoͤchſte Stufe des Anti-
Taurus , naͤmlich den Delikly-Taſch oder „ durchbrochenen
Stein “ . Nachdem wir an einer ſchroffen ſchoͤnen Fels-
klippe voruͤber geritten , befanden wir uns auf der Waſſer-
ſcheide des Schwarzen und des Mittellaͤndiſchen Meeres .
An dieſem Derbent oder Paß befindet ſich ein kleines Doͤrf-
chen , welches acht Monate Winter hat ; ich glaube , daß
die Hoͤhe gewiß 5000 Fuß uͤber dem Meere liegt .
14
Wir bemerkten das Fundament eines feſten Schloſſes ,
welches irgend ein Dere-Bey oder Thalfuͤrſt erbaut , um
den Paß in ſeiner Gewalt zu haben . Reſchid Paſcha aber
ſetzte dort einen Ayan ein , der , eine Art Markgraf , die
Sicherheit der Straße zu bewahren hat . Wir fanden nach
dem muͤhſamen Ritt die erfreulichſte Aufnahme bei ihm ;
ein maͤchtiges Feuer praſſelte im Kamin , die Decke des
weiten Zimmers war mit dichten Fichtenſtaͤmmen gedeckt ,
auf welche Erde geſtampft wird und die das Dach vertre-
ten ; den Fußboden aber bedeckten ſaubere Teppiche ; duͤnne
hoͤlzerne Saͤulen trennten den mittleren Raum fuͤr die vor-
nehmern Gaͤſte von der Eſtrade fuͤr die Dienerſchaft . Be-
haglich ſtreckten wir uns auf die Polſter , und bald erſchien
die große blecherne Scheibe , auf welcher die zahlreichen
Schuͤſſeln eines tuͤrkiſchen Mahls aufgetragen werden ; zin-
nerne Schuͤſſeln mit Glocken von demſelben Metall uͤber-
deckt , hoͤlzerne Loͤffel und ein ſehr langes halbſeidenes Hand-
tuch bilden das Service der Vornehmen wie der Armen .
Ein guter ruſſiſcher Thee oder vielleicht der Rum in dem-
ſelben gefiel meinen tuͤrkiſchen Begleitern ſehr gut ; der
Vornehmſte derſelben iſt der Divan-Effendi ( Rathsherr )
des Seraskiers , Kiamil , ein ſehr artiger angenehmer Herr
und angeſehener Mann ; der zweite iſt Halil-Bey , vor-
mals Oberſt im Jngenieur-Corps , jetzt gar nichts , weil
man , mit ſeiner Leiſtung in Varna unzufrieden , ihm ſeinen
Niſchan weggenommen und ihn zum gemeinen Soldaten
gemacht hat : er ſpricht ganz unbefangen von dieſer Sache ,
erklaͤrt ſie fuͤr ſein Kismeth und hofft „ inschallah “ ein an-
dermal mehr Gluͤck zu haben ; dann ſind noch ein junger
Jngenieur-Offizier und mehrere Offizianten mit uns , alle
ganz artige Leute .
Geſtern ſetzten wir unſern Weg uͤber eine zehn Stun-
den weite , ſanft gegen Suͤden geneigte Hochebene fort ; ſo
weit das Auge reichte , nichts als Schneeflaͤchen und in
der Ferne hohe Gebirgsgipfel . Die Sonne funkelte auf dem
Schnee , daß man faſt erblindete ; nirgends eine Spur von
Vegetation , als an den Bergwaͤnden einzelne verkruͤppelte
Fichten ; der Schnee lag uͤberall vier Fuß hoch , war aber
ſchon ſo aufgelockert , daß er kaum einen Fußgaͤnger noch
trug . Waͤhrend des Winters hatten die Saumthiere einen
Fußpfad ſich gebahnt und feſtgetreten ; das war nun eine
einzige , zwei Fuß breite Bruͤcke , auf welcher ſich unſere Ca-
vallerie in einer langen Linie fortbewegen konnte . Begeg-
nete man aber einem andern Reiter , ſo mußte er hinunter
und ſehen , wie er hernach wieder auf den ſchmalen Steg
hinauf kam . Das Ungluͤck wollte , daß wir einer ganzen
ſchwer bepackten Caravane von Kameelen und Eſeln begeg-
neten ; dies war ein ernſtliches Hinderniß , und es blieb ,
nach langer Berathung , nichts uͤbrig , als abzupacken , die
Kaſten neben den Weg zu breiten und die großen Thiere
trotz ihres Schnarrens und Straͤubens in den tiefen Schnee
hinunter zu werfen ; es dauerte wohl eine Stunde , ehe wir
das Defilee von Ballen und Kiſten , von Menſchen , Ka-
meelen und Eſeln paſſirt hatten . Dieſer Ritt gehoͤrte uͤber-
haupt zu den muͤhſamſten , und es ging immer nur im
Schritt vorwaͤrts ; erſt Abends erreichten wir das Doͤrf-
chen , in welchem wir beim Mollah ein gutes Unterkommen
gefunden haben . Auf der ganzen zwanzig Stunden weiten
Strecke von Siwas hierher giebt es nur zwei kleine Doͤrf-
chen , es iſt eine vollkommene Einoͤde ; heute , hoffe ich , wer-
den wir aus dem Schnee herauskommen .
Mein Wirth , der Mollah , hat mir einen ſchoͤnen Wind-
hund geſchenkt ; dieſe Raçe ſcheint hier zu Hauſe zu ſein ,
und iſt von vorzuͤglicher Schoͤnheit ; ich revanchire mich mit
Thee und Zucker , letzterer iſt hier ſehr ſelten und von den
Tuͤrken ungemein geſchaͤtzt .
Daß die Gegend fruͤher den Raubzuͤgen der Turkman-
nen und Kurden ſehr ausgeſetzt geweſen , ſieht man dar-
aus , daß uͤberall die Hann oder Wirthshaͤuſer kleine Fe-
ſtungen bilden .
39.
Der Euphrat . — Kieban-Maaden .
Kieban-Maaden am Euphrat , den 16. Maͤrz 1838 .
Durch die einfoͤrmige Schneeeinoͤde ging es am 14.
fort bis Haſſan-Tſcheleby ; die Haͤuſer dieſes Dorfs ſind
mit flachen Erd-Terraſſen eingedeckt , und liegen mit dem
Ruͤcken gegen eine Anhoͤhe , ſo daß , wenn man von dieſer
Seite herkoͤmmt , man dieſelben faſt gar nicht gewahr wird .
So geſchah es mir , daß ich auf das Dach eines Hauſes
hinauf ritt und beinahe durch den Rauchfang in den Sa-
lon der unterirdiſchen Familie gefallen waͤre . Jch war ſehr
beſtuͤrzt uͤber dieſen Vorfall , als wir aber nach dem Fruͤh-
ſtuͤck weiter ritten , ging die ganze Caravane uͤber die ge-
ſammten Daͤcher der Ortſchaft im froͤhlichen Trabe fort .
Je langweiliger die Gegend , je muͤhſamer der Weg
bisher geweſen , um ſo erfreulicher war es jetzt , im raſchen
Galop durch ein tiefes Felsthal laͤngs eines ſchaͤumenden
Gebirgsbachs hinzueilen ; das Wetter war ſehr friſch , aber
heiter , die Luft hatte ſchon die ſchoͤne blaue Farbe der ita-
lieniſchen Landſchaft und die Felſen von roͤthlichem und
blauem Geſtein mit ſchroffen kuͤhnen Abhaͤngen waren ma-
leriſch ſchoͤn . Jm Hintergrunde erhoben ſich zu beiden
Seiten maͤchtige Berge mit Schnee hoch uͤberlagert , von
der Abendſonne purpurn gemalt . So aus der Ferne ſah
der Schnee wundervoll aus , wir waren aber herzlich froh ,
ihn von unſerm Wege vorerſt los zu ſein ; die Nacht brach-
ten wir in Hekim-hann zu , ebenfalls eine Palanke oder Fe-
ſtung ; der Hof des Hanns naͤmlich iſt von einer Mauer
umſchloſſen und enthaͤlt einige Dutzend Huͤtten , eine Mo-
ſchee und ein Bad .
Wir fanden beim Muͤſſelim ein ſehr gutes Unterkom-
men , ein loderndes Kaminfeuer , weiche Polſter und Tep-
piche und ein reichliches Mahl . Der alte Herr trank aus
Gefaͤlligkeit eine Flaſche Xeres mit mir aus ; nur daruͤber
war er erſtaunt , daß ich mit dem Degen aͤße , ſo nannte
er meine Gabel .
Den 15. brachte ich mit großer Muͤhe meinen dicken
Effendi ſechszehn Stunden weiter . Jn ſchnellem Galop
zogen wir bald durch tiefe Felsſchluchten , bald uͤber ſanfte
Hoͤhen , umgeben von Schneegipfeln ; aber die Schoͤnheit
der Gegend ruͤhrte den Rathsherrn nicht , mit jeder Stunde
ſchien ihm ſein hochgepolſterter Sattel haͤrter , ſein Leiden
groͤßer . Jch ſtellte eine Bouteille Champagner in Per-
ſpektive , wenn wir Maaden heute noch erreichen wuͤrden ,
aber nichts laͤchelte ihm mehr , und wir blieben die Nacht
in einem Dorfe , wo das Ungeziefer mich ſchrecklich pei-
nigte .
Schon von der Hoͤhe von Ugurula-Oglu hatten wir
am Fuße eines hohen ſteilen Berges einen Fluß von be-
deutender Groͤße geſehen , es war der Euphrat . Nach ein-
ſtuͤndigem Ritt ſenkten wir uns heute in eine tiefe Fels-
ſchlucht , die Gegend wurde immer wilder und die Berge
glichen in ihrer Form den Wogen eines ſtuͤrmiſchen Mee-
res . Nicht die geringſte Vegetation , kein Buſch , kein Gras
kein Moos bekleidet die Abhaͤnge , und doch iſt die Faͤr-
bung uͤberaus ſchoͤn und abwechſelnd ; die ſchwarzen , zin-
noberrothen und braunen Felswaͤnde , die untere Boͤſchung
aus gruͤnem und blauem Letten , der weiße Schnee auf den
Gipfeln und der lichte Himmel daruͤber . Tief unten er-
blickten wir jetzt in der engen Schlucht den Frat , den
Fluß , den die groͤßten roͤmiſchen Jmperatoren als die na-
tuͤrliche Grenze ihres unermeßlichen Reichs anſahen . Die
ganze Umgebung iſt ſo wild , das jenſeitige Ufer ſo ohne
Spur von Anbau und die Berge ſo wegelos , daß man ſie
ſich als das Ende der Welt vorſtellen kann .
Das Staͤdtchen Kieban-Maaden wird erſt ganz unten
ſichtbar ; es liegt am Fuß einer ſchmalen Reihe von zackigen
Bergen , die den Fluß zu einer weiten Windung noͤthigen . Jn
ſeltſam geformten Booten ſetzten wir uͤber ; das Staͤdtchen
iſt ganz gut gebaut und lebt von dem Ertrage der Silber-
minen , die ſich in dieſer ſchroffen Bergwand finden . Der
Ort muß mindeſtens 3000 Fuß hoch liegen , denn der Schnee
weilt noch an den Bergen und es hat heute Mittag an-
haltend geſchneit . Eine Stunde oberhalb fließen die beiden
Waſſer , der Murad vom Ararat kommend , und der eigent-
liche Frat von Erzerum her , zuſammen und bilden nun einen
auch im Sommer nicht mehr zu durchwatenden Strom , der
hier etwa 120 Schritte breit und uͤberaus reißend iſt . So
wie die Faͤhre in die Mitte des Fluſſes kam , glitt ſie mit
Menſchen und Pferden angefuͤllt , pfeilſchnell abwaͤrts , und
es ſchien als ob ſie unmoͤglich das andere Ufer erreichen
koͤnne , aber ein Gegenſtrom erfaßt ſie bald und fuͤhrt ſie
genau an die Landeſtelle . Unterhalb Palu und Egin giebt
es bis zur Muͤndung keine einzige Bruͤcke uͤber den Eu-
phrat , ſeitdem die von Thapſakus zerſtoͤrt iſt , und doch iſt
dies eine Entfernung von mehreren hundert Meilen .
Zur groͤßten Freude unſers Effendi gab 's keine Pferde
auf der Poſt . Der Paſcha giebt uns morgen dreißig von
ſeinen eigenen . Wir benutzten den Aufenthalt , uns hier
umzuſehen und ins Bad zu gehen , denn ein verdaͤchtiges
Jucken erinnerte uns daran , daß wir in Aſien reiſeten , wo
es von Ungeziefer wimmelt ; alle Kleider wurden gewech-
ſelt , und ich benutzte die Ruhe , um dieſe Zeilen auf mei-
nem Knie niederzuſchreiben .
40.
Ankunft im Hauptquartier der Taurus-Armee .
Meſſre bei Karput , den 19. Maͤrz 1838 .
Von Kieban-Maaden ſtiegen wir durch ein tiefes Ge-
birgsthal waͤhrend drei Stunden aufwaͤrts , und erreichten
dann ein flaches , aber hohes Huͤgelland , auf welchem ein-
zelne Kurden-Doͤrfer zerſtreut liegen . Der Schnee bedeckte
noch die hohen ſchroffen Gipfel , die uns umringten , und
unſere Straße ſelbſt war nicht uͤberall davon befreit ; je
weiter wir vorruͤckten , je dichter war das Land mit Baſalt-
ſtuͤcken uͤberdeckt , wie ein aufgeriſſenes Straßenpflaſter , und
doch war Korn zwiſchen dieſe Truͤmmer geſaͤet . Gegen
Abend endlich oͤffnete ſich eine weite Ebene mit Doͤrfern
und Weingaͤrten bedeckt und von Wegen und Baͤchen durch-
ſchnitten , Pappeln und Nußbaͤume ( aber alle ohne Laub )
troͤſteten das Auge fuͤr die kahlen Berge . Die Doͤrfer ſe-
hen ſtattlich genug aus , die Haͤuſer ſind hoch , aus Luft-
ziegeln mit Lehm uͤberzogen und mit Balken und Erd-Ter-
raſſen uͤberdeckt ; es ſind reinliche Wohnungen aus Koth
erbaut . Mitten in der Ebene erhebt ſich ein Huͤgel mit
ſchroffen Felswaͤnden , auf welchen die Stadt Karput mit
einer alten Citadelle und einigen Minarehs in der Abend-
ſonne glaͤnzte ; rings umher , aber in weiter Ferne , ſchloſ-
ſen Schnee-bedeckte zackige Bergreihen die Ausſicht .
Wir hielten eine halbe Stunde vor der Stadt in dem
Dorfe Meſſre an , wo das Hauptquartier ſich gegenwaͤrtig
befindet . Ein weitlaͤuftiges Gebaͤude aus Lehm mit flachem
Dache , wie ich es eben beſchrieben , war die Wohnung des
commandirenden Generals ; eine kleine Wache und zahl-
reiche Dienerſchaft , Kavaſſe , Tataren , Seymen und Haus-
offizianten erfuͤllten den Hof .
Jch fand den Paſcha in einem hohen , mit Balken ein-
gedeckten Zimmer , deſſen Fußboden und Divan mit grauem
Tuche uͤberzogen und deſſen Fenſter mit Papier verklebt
waren . An den Waͤnden hingen Waffen und auf den So-
phas lagen eine Menge von Briefen in Stuͤckchen Muſſe-
lin gewickelt und mit rothem Wachs verſiegelt ; Tiſche ,
Stuͤhle , Kommoden , Spiegel , Gardinen oder anderes Geraͤ-
the , welches wir fuͤr unentbehrlich halten , war ſo wenig
hier , wie in andern tuͤrkiſchen Gemaͤchern vorhanden ; da-
gegen ſtand eine große Zahl von Dienern und Offizieren
mit vor den Leib verſchraͤnkten Armen , ehrerbietig ſchwei-
gend da . Der Paſcha ſaß mit untergeſchlagenen Beinen
auf einer Tigerhaut an der Erde ; er war in einen blauen
Mantelkragen mit Zobelbeſatz gekleidet , den Feß auf dem
Kopfe. Se. Excellenz empfingen uns mit einer leichten
Bewegung des Kopfs , winkten uns nieder zu ſitzen und
ſagten nach einer Pauſe , daß wir willkommen ſeien .
Hafisz-Paſcha iſt ein geborener Tſcherkeſſe , und
wurde fuͤr das Serail des Großherrn gekauft , er hat da-
her eine beſſere Bildung erhalten als die meiſten ſeiner Col-
legen ; er lieſt und ſchreibt , kennt etwas von der perſiſchen
und arabiſchen Sprache , hat einige Kenntniſſe und viel Jn-
tereſſe fuͤr die aͤltere Geſchichte des Landes ; er begleitete
die Geſandtſchaft , welche vor fuͤnf Jahren nach Rußland
ging ; in Scodra in Albanien leiſtete er einen dreizehn-
monatlichen Widerſtand gegen die ihn belagernden Arnau-
ten , und als Reſchid-Paſcha in Diarbekir ſtarb , gab
der Großherr ihm das Commando uͤber die damals mit
den Kurden im Krieg begriffene Armee , deren Hauptauf-
trag jedoch die Beobachtung der aͤgyptiſch-ſyriſchen Armee
war . Anders als die mehrſten ſeiner Collegen , iſt der Pa-
ſcha blaß und mager ; der Feß , den er zuweilen zuruͤck-
ſchiebt , bedeckt eine hohe tief gefurchte Stirn . Wenig
Wochen , ehe wir ankamen , hatte er eine Tochter und einen
Sohn verloren . Obgleich gewiß nicht unempfindlich , beob-
achtete er doch die ruhige gelaſſene Haltung , die uͤberall ,
aber beſonders hier , einen Mann von Stande bezeichnet .
Nach einigen Fragen uͤber unſere Reiſe , uͤber die Wege u.
ſ. w. , und nachdem wir Kaffee getrunken , waren wir ent-
laſſen . Der Divan-Effendi , unſer Begleiter , blieb aber zu-
ruͤck , um ſeine Briefe und muͤndlichen Auftraͤge mitzutheilen .
Man fuͤhrte uns in ein großes Zimmer , ganz dem
des Paſcha's aͤhnlich ; obgleich noch Niemand eigentlich
wußte , was aus uns zu machen ſei , empfingen uns die
Leute doch freundlich genug ; der Paſcha ſchickte Betten
aus ſeinem Harem , und wir ruheten von den Beſchwerden
der Reiſe bis ſpaͤt den folgenden Morgen . Wir waren
noch nicht lange wach , als man vier praͤchtige arabiſche
Hengſte in den Hof fuͤhrte ; ein Geſchenk des Paſcha's fuͤr
uns . Jch war noch beſchaͤftigt , meine beiden Thiere zu
ſatteln und zu zaͤumen , als der Paſcha ſelbſt kam , uns
einen Beſuch zu machen ; er intereſſirte ſich ſehr fuͤr ein
Wegecroquis , welches unſere ganze Reiſeroute enthielt , ließ
alle ſeine Karten holen , und befahl , das Croquis darauf
einzutragen . Nun ritten wir mit dem Paſcha nach der
eine halbe Stunde von hier am Fuße des Huͤgels von Kar-
put gelegenen großen Kaſerne , welche ſein Vorgaͤnger fuͤr
6000 Mann hatte erbauen laſſen , und fanden Alles in vol-
lem Exerziren . Jn Karput ſelbſt exerzirten die Leute auf
den Daͤchern der Haͤuſer , als den einzigen horizontalen Ebe-
nen dieſer Gebirgsſtadt . Bei unſerm Nachhauſekommen
fanden wir große Schachteln mit Piſtazien , getrockneten
Pfirſichen , Aepfeln aus Malatia und Honig von den hie-
ſigen Bergen , ein Geſchenk des Paſcha's .
41.
Malatia und Asbuſu . — Paß uͤber den Taurus . —
Maraſch .
Maraſch , den 28. Maͤrz 1838 .
Jn Folge eines Auftrags des Paſcha's trat ich am
23. d. M. Nachmittags eine Reiſe nach der ſyriſchen Grenze
an . Mein Gefolge war ſo klein wie nur moͤglich , und be-
ſtand aus einem Tataren-Aga , meinem Bedienten , einem
Surudſchi mit einem Pack- und einem Reſerve-Pferde .
Aus der weiten , von hohen Schneebergen umgebenen Hoch-
ebene von Karput ſenkten wir uns in ein enges , tiefes Ge-
birgsthal zum Euphrat hinab ; die Nacht uͤberraſchte uns ,
und wir fanden Unterkommen und freundliche Aufnahme
in einem kleinen Kurden-Dorfe , welches wir in irgend einer
Felsſchlucht aufſuchten und fanden . Es gewaͤhrt eine ei-
gene Satisfaction in dieſen aſiatiſchen Bergen , die arabi-
ſche Bohne , das indiſche Rohr , chineſiſche Blaͤtter , franzoͤ-
ſiſchen Wein , Forellen aus dem Euphrat und Piſtazien aus
Syrien zu einem guten Abendeſſen zu combiniren . Mitten
in der Nacht entſtand ein gewaltiger Laͤrm , es wurde un-
geſtuͤm ans Thor gepocht , Reiter ſprengten heran und wohl-
bewaffnete Seymen drangen ein , um von unſerem Heerde
Beſitz zu nehmen . Es war das Gefolge des Muſſelim von
Malatia , welcher nach Karput zog . Jch uͤberließ es mei-
nem Tataren , auszufechten , ob der Muſſelim oder ich mehr
Anſpruͤche auf ein Haus habe , welches keinem von uns
Beiden gehoͤrte ; aber nicht allein , daß der Muſſelim ſich
ein anderes Lager in der Nacht aufſuchte , ſondern er gab
fuͤr den Muſſafir oder Gaſt des großen Paſcha's ſeinem
Kiajah noch den beſonderen Befehl mit , in Malatia fuͤr
gute Aufnahme und Pferde zu ſorgen .
Noch vor Sonnenaufgang ritten wir eine ſteile Hoͤhe
hinab an den Euphrat ( den die Tuͤrken den Fluß des Mu-
rad nennen ) ; an dieſer Stelle durchbricht er einen der vie-
len Arme des Taurus-Gebirges , und nachdem er oberhalb
ſchon 250 bis 300 Schritte Breite hatte , verengt er ſich
hier auf 80 , und ſchießt , pfeilſchnell zwiſchen hohen ſchwar-
zen Felswaͤnden fort , deren Gipfel mit Schnee gekroͤnt ſind .
Eine alte ganz verfallene Burg klebt an einer ſchroffen Klippe
am linken Ufer , und ein von Sultan Murad erbautes , ſeit-
dem zerſtoͤrtes Hann mit einer Moſchee erhebt ſich unten
am Ufer . Eine Viertelſtunde unterhalb dieſes Kymyr oder
Kohlen-Hann entdeckte ich an einer Felswand rechts eine
große Tafel mit vielen tauſend kleinen Keilchen ; dieſe Jn-
ſchrift iſt ſpaͤter von dem Hauptmann v. M. ſorgfaͤltig co-
pirt worden . Weiter aufwaͤrts oͤffnet ſich ein weites frucht-
bares Thal , welches ſich zehn Stunden weit von Weſten
nach Oſten hinzieht ( die Karten ſind hier ſo mangelhaft
und unrichtig , daß ſie faſt zu gar nichts helfen ) . Jn Js-
oglu uͤberſchritten wir den Strom und kamen Mittags nach
Malatia , einer bedeutenden Stadt von 5000 aus Lehm er-
bauten Haͤuſern , mit Terraſſen ſtatt Daͤchern ; ſelbſt die
Kuppeln der Moſcheen und Baͤder ſind mit Lehm uͤberzogen ,
alle Hoͤfe mit Lehmmauern umgeben und die ganze Stadt
von derſelben uniformen grauen Farbe . Die Erfindung der
Fenſterſcheiben iſt fuͤr dieſen Theil des Erdballs noch nicht
gemacht , und ich bedauerte , daß nicht Jemand mit einem
Vorrath von Papier hierher gereiſet ſei , um als philan-
thropiſcher Glaſer dieſem Mangel abzuhelfen .
Jn Malatia beſuchte ich einen meiner Stuben-Kama-
raden aus Karput , den Oberſten der Artillerie , welcher zwei
Tage vor mir abgegangen war , und dem ich die gute Nach-
richt brachte , daß er Paſcha geworden . Aus Freude ver-
ſprach er , mir ein Paar Stiefel zu machen , indem er fruͤ-
her Paputſchi oder Pantoffelmacher geweſen war , und ſeine
Kunſt als Dilettant noch zuweilen fortſetzte .
Malatia ſteht im Sommer unbewohnt ; Alles zieht
nach Asbuſu , einem Dorfe von 5000 Haͤuſerchen , die in
einem zwei Stunden langen Walde von Kirſch- , Aepfel- ,
Aprikoſen- , Nuß- und Feigen-Baͤumen begraben liegen .
Ueberaus ſchlanke Pappeln mit weißen ſchnurgeraden Staͤm-
men heben ſich uͤber dieſen Wald wie die Minarehs einer
Stadt empor , und eine praͤchtiger Gebirgsbach mit dem
Kryſtall-hellſten Waſſer rauſcht durch alle Straßen . Man
hat den Gießbach ſchon nahe an ſeinem Urſprung im Gebirg
gefaßt und ſo hoch wie moͤglich an der Berglehne entlang ge-
fuͤhrt . Alles , was oberhalb liegt , iſt oͤde Steinwuͤſte , un-
terhalb die uͤppigſte Gartenlandſchaft , von zahlloſen ſilbernen
Waſſerfaͤden durchzogen und befruchtet . Jn der Bluͤthenzeit
muß Asbuſu einen prachtvollen Anblick gewaͤhren , aber die
Vegetation faͤngt hier ( Ende Maͤrz ) kaum erſt an , ſich zu
regen ; wenn wir bei uns vier Wochen ſolches Wetter haͤt-
ten , ſo waͤre Alles laͤngſt gruͤn ; aber freilich , ſo heiß die
Sonne auch brennt , ſo friert es doch des Nachts .
Nach achtzehnſtuͤndigem Ritt erreichten wir am Ende
eines breiten Thals , welches ſich aber immer mehr ſchloß ,
das zwiſchen hohen Schnee-bedeckten Gebirgen liegende Dorf
Suͤrghuͤ ; ich war ſehr erſtaunt , auf einer ſteinernen Bruͤcke
uͤber einen rauſchenden Bach zu reiten , der unmittelbar aus
der Felswand zu kommen ſchien . Und wirklich war dem
ſo ; ein und zwanzig 6 bis 15 Zoll ſtarke Quellen ſprudeln
unter einem Kalkfelſen hervor , bilden ein weites Baſſin
und fließen dann vereint ab . Offenbar tritt hier ein ſchon
ganz betraͤchtlicher Bach nach unterirdiſchem Laufe zu Tage .
Anderthalb Stunden weiter oberhalb liegen noch vierzig eben
ſolche Quellen beiſammen ; beide Baͤche vereinen ſich nahe
am Dorfe , und bilden das Goͤk-ſuj oder Himmelswaſſer ,
einen rauſchenden Fluß , ſo ſtark wie die Jlſe im Harz , und
in welchem ſich , wie dort , koͤſtliche Forellen befinden .
Den 26. waren wir genoͤthigt , Mauleſel zu beſteigen ;
die Thiere gehen ſehr gut , nur muß man ihnen geſtatten ,
am aͤußerſten Rande der Abgruͤnde zu ſpazieren und ſie
nicht mit Zuͤgel oder Sporen inkommodiren . Wir erklet-
terten an einer ſehr ſteilen Berglehne den Kamm des Tau-
rus und uͤber ein Geroͤll von Steinen hinunter , welches in
der That halsbrechend genug ausſah . Jn einer wunder-
voll wilden Felsſchlucht klebt an einer Berglehne das Doͤrf-
chen Erkeneh , tief unten ſchaͤumt ein Bach von Klippe zu
Klippe , und die ſchwarzen Felswaͤnde ſcheinen jedes Hin-
abſteigen unmoͤglich zu machen . Jm Dorfe Pelweren bil-
det ein flacher Ruͤcken die Waſſerſcheide zwiſchen den Zufluͤſ-
ſen des arabiſchen und denen des mittellaͤndiſchen Meeres .
Geſtern hatten wir einen muͤhſamen Ritt uͤber hohe
Gebirge , es ſchneite und regnete ; als wir aber Abends in
das weite prachtvolle Thal von Maraſch hinabſtiegen , aͤn-
derte ſich die Scene : die Weide ſproßte ihre erſten Blaͤt-
ter , das ſaftigſte Gruͤn faͤrbte die mehrere Stunden brei-
ten Felder und Wieſenflaͤchen , in welchen zwei ſilberne Fluͤſſe
ſchlaͤngeln , und Allahs goldene Sonne funkelte uͤber der
Stadt , waͤhrend dicke ſchwere Wolken an den Schneegipfeln
des Gjaur-Gebirges hingen .
Heute war Ruhetag nach fuͤnf und ſechszig Stunden
Ritt . Schon geſtern Abend , durchnaͤßt und halb erſtarrt
an dem ſuͤdlichſten Punkte , den ich je erreicht , erquickte ich
mich im heißen tuͤrkiſchen Bade ; heute ordnete ich meine
Papiere , ritt mit dem Paſcha , der mir ſeine Rediff-Ba-
taillone zeigte , und ſchreibe Dir dies im Hofe eines arme-
niſchen Banquiers an einer ſprudelnden Fontaine unter
bluͤhenden Mandelbaͤumen .
42.
Das turkmenniſche Lager . — Der mittlere Lauf des
Euphrats . — Rumkaleh . — Biradſchik . — Orfa .
Orfa , den 6. April 1838 .
Nur ungern wendete ich mich vom ſchoͤnen Syrien
abwaͤrts , dem ich in Maraſch ſo nahe war , und lenkte die
Zuͤgel meines Pferdes wieder dem Euphrat zu .
Am 29. Maͤrz hatte ich einen achtzehnſtuͤndigen Ritt
mit demſelben Pferde zu machen , denn auf dieſer ganzen
Tour bis Belveren giebt es kein Dorf , kein Haus . Wir
paſſirten die Bazardſchik-ovaſſi , eine weite Ebene , auf wel-
cher drei Turkmennen-Staͤmme : Atmaly , Kilidſchli und
Sinimini , lagern , die zuſammen 2000 Zelte bewohnen . —
Nachdem Reſchid-Paſcha die maͤchtigſten Kurden-Haͤupt-
lingen zu Paaren getrieben , haben auch dieſe Turkmennen
ihre Liebe und Anhaͤnglichkeit fuͤr die Pforte erklaͤrt , und
zahlen den Salian oder eine Abgabe von 400 Beuteln ( etwa
20,000 Fl. ) . Einige von ihnen treiben Ackerbau , die mehr-
ſten ziehen des Sommers mit ihren Heerden auf die Berge .
Der Stamm Kilidſchli kann uͤber 600 Reiter ſtellen , die bei-
den andern fechten meiſt zu Fuß und ſind gute Schuͤtzen , mit
alten tuͤrkiſchen und perſiſchen koſtbar verzierten Gewehren
bewaffnet ; die Reiter tragen eine lange Lanze von Bambus-
rohr mit eiſerner Spitze , unter welcher ein runder Wulſt
von Straußfedern ſitzt . Jhre Pferde , die mit ihnen im
Zelt wohnen , ſind vortrefflich .
Suleiman , Paſcha von Maraſch , hatte einen Boten
an den Aga des Stammes Sinimini vorausgeſchickt , um
ihn zu benachrichtigen , daß ein Gjaur kommen werde , dem
allerlei Jkram oder Ehrenbezeugungen zu machen waͤren ;
er hatte aber zugleich fuͤr zweckmaͤßig befunden , meine Be-
gleitung durch einen Baſch-tſchauch und zwei wohlbewaff-
nete Reiter zu vermehren . Nach mehrſtuͤndigem Ritt uͤber
gruͤne Reisfelder und flache Huͤgel , und nachdem wir den
Fluß Ak-dere durchfuhrtet , ſahen wir uns zwiſchen einer
Menge von Zelten , die in kleine Dorfſchaften an den Berg-
lehnen und auf der Ebene gruppirt waren . Wir hatten
einige Muͤhe , die Reſidenz des Kurden-Fuͤrſten zu finden ,
und endlich entdeckten wir in einem kleinen Thale ein Zelt ,
welches wohl 100 Fuß lang und halb ſo breit war . Der
Aga , ein Greis mit ſchoͤnem grauen Barte , von ehrwuͤr-
digem Anſehn , aber in ganz einfacher Tracht , empfing mich
am Eingange . Das Jnnere des Zeltes ( wie alle uͤbrigen
aus ſchwarzem Zeuge von Ziegenhaaren ) war durch nie-
drige Schilfwaͤnde in mehrere Gemaͤcher abgetheilt , in de-
nen die Fremden , die Frauen , die Pferde , Kameele , Kuͤhe ,
Ziegen , jedes ſeinen Platz fand ; ein maͤchtiges Feuer brannte
in der Mitte . Die Kurden halten ſich immer in der Naͤhe
des Waldes , ſonſt waͤre es auch faſt unmoͤglich , im Win-
ter , der mindeſtens eben ſo ſtreng und laͤnger als der un-
ſrige iſt , in einer ſolchen Wohnung auszuhalten . Die Wirth-
ſchaft des Aga hatte ein ganz patriarchaliſches Anſehen ; er
ſetzte mir Brot , Milch , Honig und Kaͤſe vor , er ſelbſt aber
ließ ſich erſt nieder , nachdem ich ihn dazu aufgefordert
hatte . Nirgends war ein Anſchein von Macht und Herr-
lichkeit , und doch gebietet dieſer Mann uͤber 600 Familien ;
ſein Urtheil iſt ohne Apell und die tuͤrkiſchen Behoͤrden duͤr-
fen ſich nicht in die innern Angelegenheiten dieſer Voͤlker-
ſchaften miſchen . Der Aga verurtheilt nach Anhoͤrung der
Aelteſten zum Tode , wenn er die Schuld Eines ſeines Stam-
mes anerkannt hat . Der Paſcha hat das Recht , bei Ab-
leben eines Aga 's ſeinen Nachfolger zu ernennen , muß ihn
aber immer aus derſelben Familie waͤhlen .
Belveren iſt ein großes Dorf aus wohl 200 Haͤuſern
unter einem Dach , oder vielmehr unter einer einzigen Ter-
raſſe , die von nur wenig Straßen unterbrochen iſt , uͤber
welche man wie uͤber ſchmale Graͤben gemaͤchlich fortſchrei-
tet . Wir mußten am 30. denſelben Fluß ( Goͤk-ſuj ) uͤber-
ſchreiten , deſſen Quellen wir bei Suͤrghuͤ geſehen und der
durch das Schneewaſſer ſehr angeſchwollen war ; ſobald
wir uns naͤherten , eilten aus einem gegenuͤber liegenden
Dorfe einige zwanzig Maͤnner herbei , ſtuͤrzten ſich in die
eiskalte Flut und ſchwammen hindurch ; nun nahmen vier
Mann mein Pferd in die Mitte , andere trugen unſere Ef-
fekten auf dem Kopf und dann ging 's mit lautem Rufen
durch den reißenden Strom ; das Waſſer lief mir aber in
die Piſtolenhalfter hinein . Abends erreichten wir Adiaman ,
eine betraͤchtliche aber ſchrecklich verwuͤſtete Stadt mit einer
zerſtoͤrten Akropolis .
Ein zwanzigſtuͤndiger Marſch auf halsbrechenden Ge-
birgswegen und durch angeſchwollene Baͤche fuͤhrte uns
nach Gerger , einem alten Schloß auf einer Felſenſpitze am
Euphrat . Das Caſtell , verfallen wie es iſt , wenn es nur
Proviant hat , iſt unnehmbar , und hat nur den Fehler ,
daß eben Niemand es nehmen wird in der wegeloſen Ein-
oͤde , wo es liegt . Jn den Fehden der Kurden aber konnte
es eine bedeutende Rolle ſpielen . Es finden ſich Funda-
mente und Reſte , die von ſehr hohem Alter ſein muͤſſen ;
in einer Felſentafel war eine griechiſche Jnſchrift , die ich
leider nicht verſtehe , und die ich ihrer uͤbermaͤßigen Laͤnge
wegen nicht abſchreiben konnte ; in einer Felswand ſieht
man vier Fenſter , die in Felſenkammern fuͤhren , aber ganz
unerreichbar waren .
Faſt alle Bruͤcken , Karavanſeraj , Straßen und Hann
in dieſem Lande ſind vom Sultan Murad angelegt . Die
Tuͤrken haben aus gerechter Anerkennung den beruͤhmten
Fluß , den Euphrat , mit ſeinem Namen getauft . Der Mu-
rad oder Euphrat iſt bei Kieban-Maaden , wo ich ihn zu-
erſt ſah und nachdem er den großen Zufluß von Erzerum
aufgenommen , ein Strom , ganz wie die Moſel ; eng zwi-
ſchen hohen wilden Bergen eingeſchloſſen , fließt er ſchnell
und in ſeltſamen Windungen hin , nach zehnſtuͤndigem Lauf
tritt er aus dem Gebirge , nimmt unſern Malatia ( Meli-
tene ) das Togmaſuj , den alten Melas oder Koremos auf ,
und , indem er um den Fuß einer Anhoͤhe mit den Ruinen
einer alten weit ſichtbaren Kirche fließt ( die ſich vortreff-
lich zum trigonometriſchen Punkt eignet ) , wendet er ſich
oſtwaͤrts in die weite Niederung von Js-oglu ; unterhalb
der oben erwaͤhnten Keil-Jnſchrift engt ſich der Strom
in eine enge Felsſpalte zwiſchen hohen Gebirgen ein , von
dort iſt er nicht mehr floͤßbar , er brauſet uͤber Steinbloͤcke
und zwiſchen ſchroffen ſchwarzen Felswaͤnden hin , und bil-
det , was die Karten die Waſſerfaͤlle von Nuchar nennen .
Bei Gerger erſt , etwa dreißig Stunden unterhalb , tritt
der Strom aus engen ſenkrechten Sandſteinwaͤnden wieder
zu Tage ; von hier breitet ſich der Euphrat aus und fließt
in weiten Windungen am alten Caſtell Choris voruͤber , der
beruͤhmten Stadt Samoſata zu ; dort iſt das Thal weit ,
und der Fluß gleicht der Oder nahe oberhalb Frankfurt .
Schoͤne Ruinen von Waſſerleitungen ſtehen von Allahkoͤpry
an fuͤnf Stunden weit bis zur Stadt ; ſie ſpannen ihre
weiten Bogen uͤber alle die kleinen Nebenthaͤler und fuͤhr-
ten fruͤher der Stadt ihr Trinkwaſſer zu . Heute fuͤllt die
tuͤrkiſche Stadt Samſat nicht ein Zwanzigtheil des weiten
Umfanges des alten Samoſata ; ſeltſam iſt es , mitten in
Ackerfeldern alte Thuͤrbogen und Saͤulenſchafte ſtehen zu
ſehen . Jch fand einen Marmorfries von ſo ſchoͤner Arbeit ,
wie ich nie geſehen , Laubwerk , Voͤgel , Stiere , Alles ſo wohl
erhalten , als ob es erſt fertig geworden waͤre . Auf einem
von Menſchenhaͤnden aufgefuͤhrten Berge , der einſt die Akro-
polis trug , ſtehen noch heute ſchoͤne Ruinen eines viereckigen
Gebaͤudes . Der Strom fließt nun in einem 800 Schritt
breiten Bett , das er jedoch nur ſelten ausfuͤllt ( und zwar
ganz anders , als die Karten angeben ) weſtwaͤrts fort bis
Rumkaleh , dem Roͤmerſchloß Sigma oder Zeugma ; hier
erreicht er den weſtlichſten Punkt ſeines ganzen Laufs , und
war fruͤher von einer Bruͤcke uͤberſchritten , was wohl der
Grund ſein mag , weshalb die Roͤmer hier in einer faſt
ganz unwegſamen Gegend ihre Colonie gruͤndeten . Man
iſt erſtaunt , wenn man durch das 8- bis 9000 Fuß hohen
Gebirge leidliche Wege getroffen , in einer faſt ebenen Ge-
gend beinahe keinen Fußſteig zu finden . Der weite Strich
Landes von Maraſch oſt-nord-oͤſtlich uͤber Rumkaleh , Or-
fa , Suverek bis zum Karadſcha-Dagh uͤber funfzig Stun-
den weit , bildet eine Ebene , oder doch ein flaches Huͤgel-
land , auf dem rechten Ufer des Frat , freilich von tiefen
Thaͤlern durchſetzt , auf dem linken aber von keiner Einſen-
kung unterbrochen . Aber dieſer ganze Strich iſt ein von
Erde faſt entbloͤßter Felsboden und dergeſtalt mit Stein-
truͤmmern uͤberſchuͤttet , daß man ſich außerhalb einiger we-
nigen muͤhſam gebahnten Saumwege kaum nur zu Fuß , zu
Pferde aber gar nicht fortbewegen kann .
Rumkaleh bietet einen ganz uͤberraſchenden Anblick ; bei
Regen und Sturm ſchleppten wir uns den ganzen 4. April
muͤhſam vorwaͤrts durch die Steinwuͤſte , als ploͤtzlich das
tief in dieſer Ebene eingeſchnittene Thal des Frat ſich vor
uns oͤffnete . Tief unten windet ſich der auf 100 Schritte
verengte Strom , und jenſeits erhebt ſich die uͤberraſchend
ſtattliche Feſtung Rumkaleh ; noch ehe man ſie erreicht , paſ-
ſirt man durch eine Stadt , die in den Fels geſchnitten iſt .
Dieſer beſteht naͤmlich aus einem Geſtein , welches , wie das
von Malta , Anfangs ſehr weich , an der Luft erhaͤrtet ; dieſe
Berge ſind faſt jaͤhrlich von Erdbeben heimgeſucht .
Bei Rumkaleh iſt es ſchwer zu ſagen , wo der Fels
aufhoͤrt und wo die Menſchenarbeit anfaͤngt . Zunaͤchſt hat
man die Bergzunge , welche auf der einen Seite vom Frat ,
auf zwei andern von dem tiefen Thal des Marſifan-Bachs
umſchloſſen iſt , in einer Hoͤhe von 40 bis 100 Fuß ſenk-
recht abgeſchnitten ; auf dieſer Wand erheben ſich die Mauern
aus demſelben weißlichen Geſtein an 60 Fuß hoch , mit
Zinnen , Thuͤrmen und Machicoulis . Durch ſechs Thore
hinter einander windet ſich der einzige Aufgang , um zu vier-
zig Haͤuſern zu gelangen ; alles Andere ſind Truͤmmerhaufen .
Das Ganze ſieht aus , wie ein beſonders façonnirter Fels ,
wie man ſich ein großes Stuͤck Kreide zuſchneiden koͤnnte .
15
Es waͤre intereſſant , die Geſchichte von Rumkaleh zu
kennen . Jn ſpaͤterer Zeit iſt es der Sitz armeniſcher Prie-
ſter geweſen , die ein praͤchtiges Kloſter hier gruͤndeten . Es
iſt der Zerſtoͤrungswuth nicht gelungen , dieſe maͤchtigen
Quadern ganz umzuwerfen , nur die ſchoͤn geſchnitzten roͤ-
miſchen Adler ſind zum Theil abgekratzt und die großen
Saͤulen mit reichen Capitaͤlern liegen am Boden . Spaͤter
bemaͤchtigte ſich ein Dere-Bey des Schloſſes , ein Kurden-
fuͤrſt verdraͤngte ihn ; Baba-Paſcha vertreibt dieſen aufs
Neue , dann beſchießt Jbrahim-Paſcha , der Syrier , die Fe-
ſtung ; ſo geht Alles in Truͤmmern unter . Nur die ſtatt-
lichen Mauern und der ſtattliche Fels ſtehen noch heute ,
wie ihn die Roͤmer ſahen . Eine Arbeit der armeniſchen
Moͤnche iſt ihrer Vorgaͤnger wuͤrdig , es iſt ein an 200 Fuß
tiefer weiter Brunnen , in dem ſich eine in den Fels ge-
hauene Wendelſtiege bis auf das Niveau des Euphrat
herabwindet ; Maulthiere tragen das Waſſer herauf .
Die vierte Seite des Schloſſes iſt die gefaͤhrliche ; hier
haͤngt der Fels mit einem ihn nahe uͤberhoͤhenden Plateau
zuſammen , von welchem man ihn durch einen 80 Fuß tie-
fen in den Fels gehauenen Graben getrennt hat . Wollte
man Rumkaleh zu einer wirklichen Feſtung erheben , ſo muͤßte
man nothwendig auf dies Plateau hinauf , welches uͤbri-
gens nur an wenigen Punkten erſteiglich iſt . Rumkaleh
hat aber in der unwegſamen Wuͤſte nicht die ſtrategiſche
Bedeutung einer Feſtung , und gegen einen gewaltſamen An-
griff iſt es , ſelbſt in ſeinem verfallenen Zuſtande , vollkom-
men geſichert . Die Beſchießung kann ihm wenig ſchaden ,
da alle Haͤuſer zum Theil oder ganz in den Fels ge-
hoͤhlt ſind .
Sehr viel wichtiger iſt die Lage von Beledſchik oder
Bir-adſchik ( „ eine Oeffnung “ ) , welches die Karten Birth
oder Bir nennen . Der Strom tritt hier aus ſteilen Berg-
waͤnden hervor , bleibt dann bis zu ſeiner Muͤndung in der
Ebene und wird jetzt ſchiffbar . Von hier ſollte die Dampf-
ſchifffahrt ihren Anfang nehmen , die Oſtindien durch den
Euphrat mit Europa in Verbindung geſetzt haͤtte , ein gro-
ßes Unternehmen , an welchem Oberſt Chesney ruͤhmlich
ſcheiterte . Noch ſtehen einige Ruinen von den Haͤuſern ,
die er am rechten Ufer erbaute , und die Tuͤrken ſprachen
mit Erſtaunen von dem Gjaur und ſeinem Ateſch-Kaik
oder Feuerſchiff . Hier finden auch die großen Landverbin-
dungen mit Aleppo , Antiochien und Aintab ſtatt ; nach
dieſer Seite trennt nur eine weite fruchtbare Ebene und
flaches Huͤgelland den Frat vom Mittelmeere , uͤber deſſen
Spiegel er jedoch wohl noch 1000 Fuß erhaben ſein muß .
Von Beledſchik oſtwaͤrts zieht nur eine enge , ſchlechte
aber fahrbare Straße durch die Steinwuͤſte uͤber Orfa nach
Diarbekir . Dies iſt der einzige Weg aus dem weiten aſſy-
riſchen Binnenland durch das große Defilee zwiſchen Liba-
non und Gjaur-Dagh hindurch zu den ſyriſchen Staͤdten
und zum Meere .
So wichtig wie die Lage von Biradſchik , eben ſo eigen-
thuͤmlich iſt ſie ; die Stadt iſt auf dem linken Ufer am Fuß
mehrerer Huͤgel erbaut , die hier zuſammentreten . Eine gute
Mauer mit Thuͤrmen umgiebt den Ort , er iſt aber an meh-
reren Stellen eingeſehen ; in der Mitte der Stadt und hart
am Ufer des Stromes erhebt ſich ein iſolirter Felskegel an
180 Fuß hoch und von dem außerordentlichſten Bauwerk
gekroͤnt , welches ich je geſehen .
Die uralte Befeſtigung in dieſem Lande beſtand aus
einem von Menſchenhaͤnden aufgeworfenen laͤnglich-runden
Berg , auf welchem dann die Burg oder das Caſtell erbaut
wurde . Solche Berge finden ſich hier zu hunderten und
faſt neben jedem Dorfe ; die Lage aller Wohnorte iſt un-
wandelbar durch das Daſein eines Brunnens bedingt und
durch einen Cumulus bezeichnet . Nun ſind dieſe kuͤnſtlichen
Huͤgel oft von rieſenhafter Arbeit ; der von Samoſata oder
Samſat iſt an 100 Fuß hoch , 300 Schritte lang und 100
breit ; die Abhaͤnge wurden mit behauenen Steinen bepfla-
ſtert oder unter einem Winkel von etwa 75 Gr. aufgemau-
ert und ſo ein kuͤnſtlicher Fels erzeugt , oder der ſchon vor-
handene wurde , wie beim Schloß Choris , in dieſer Art fort-
geſetzt . Jm Schloſſe von Beledſchik ( das die Tuͤrken Kalai-
Beda oder das Schloß des Beda nennen ) laufen hinter
jener Bekleidung gewoͤlbte Gaͤnge mit Schießſcharten . Jn
Suverek ſteht eine ſolche an 80 Fuß hohe ſchraͤge Wand
aus kohlſchwarzen Baſaltſteinen .
Das eigentliche Schloß Beda beſteht aus drei , ſelbſt
vier Etagen von Gewoͤlben der coloſſalſten Art . Es be-
durfte der ſechs Erdbeben , die es heimgeſucht haben ſollen ,
um ſolche Steinbloͤcke auseinander zu reißen ; das Meiſte
ſteht aber noch unerſchuͤttert da ; es iſt ein wahres Laby-
rinth . Eine ſchoͤne hohe Kirche , jetzt das Grab eines tuͤr-
kiſchen Heiligen , mit den anſtoßenden Gemaͤchern iſt noch
ganz erhalten ; andere Raͤume ſind verſchuͤttet . Ein meh-
rere 100 Fuß tiefer Brunnen , der noch Waſſer enthaͤlt , be-
findet ſich in einem Gewoͤlbe an der Nordſeite , und der
Aufgang iſt durch einen Gang in den Felſen ſelbſt gefuͤhrt .
Jn einem anderen Gewoͤlbe fand ich zwei menſchliche Figu-
ren in coloſſaler Groͤße abgebildet und eine perſiſche Jn-
ſchrift .
Die Ruine von Kalai-Beda iſt , ſo wie ſie da ſteht , voͤl-
lig ſturmfrei , man moͤchte ſagen , unnehmbar ; was ſoll
man auch wirklich gegen eine 100 Fuß hohe Felswand , auf
der eine 60 bis 80 Fuß hohe Mauer aus Felsbloͤcken ſteht ,
viel unternehmen ? Was das anhaltendſte Breſcheſchießen
nur vermag , hat das Erdbeben bewirkt ; ein an 100 Fuß
langes Stuͤck der aͤußern Bekleidungsmauer iſt von oben
den Berg herunter geſtuͤrzt , aber die Gewoͤlbe dahinter ſte-
hen unerſchuͤttert und das Schloß iſt unerſteiglich nach
wie vor .
Auf dem Wege nach Orfa uͤbernachteten wir in einem
Dorfe eigener Art . Jn dem ganzen obern Theile von Me-
ſopotamien , der Steinwuͤſte , wie ich ſie Dir oben geſchil-
dert , findeſt Du keinen Baum , keinen Buſch , nicht ſo viel ,
um ein Schwefelholz daraus zu ſchnitzeln , oft iſt nicht Erde
genug da , um Grashalme zu treiben . Die Menſchenwoh-
nungen ſind daher meiſt in den weichen Sandſtein einge-
hoͤhlt und liegen auf den Spitzen der Huͤgel , wo derſelbe
zu Tage ſteht ; weil nun aber in der Ebene kein Fels her-
vortritt , war das große Kunſtſtuͤck dort , ein Dach herzu-
ſtellen . Jn Charmelyk hatte man ſich damit geholfen , daß
man aus Stein und Lehm eine Art von Kuppel woͤlbte ,
das Dorf zeigt hunderte ſolcher dicht an einander geruͤckter
Backoͤfen , und jede Wohnung aus mehreren Domen , von
denen einer Stall , einer Harem , einer Selamlik oder Em-
pfangzimmer u. ſ. w. iſt . Man zuͤndete uns ein Feuer aus
Kameelmiſt und den Wurzeln einer Schierlingspflanze an .
Orfa , das alte Edeſſa , war Hauptſtadt des Koͤnig-
reichs Osroene , und wurde 216 eine Colonie der Roͤmer ,
welche unter Severus dort , und durch die Befeſtigung von
Niſibis feſten Fuß jenſeit des Euphrat faßten . Orfa iſt
merkwuͤrdig in der Kirchengeſchichte durch das beruͤhmte
Bild von Edeſſa . Erſt Jahrhunderte nach dem Tode des
Erloͤſers verbreitete ſich der Bilderdienſt in der chriſtlichen
Gemeinſchaft , und es war daher nicht leicht , irgend eine
Darſtellung der Zuͤge des Heilands als treu und wahr
aufzuſtellen . Man erinnerte ſich jedoch einer ſyriſchen Sage
von der Reiſe des Koͤnigs Abgarus , welcher Chriſtus auf-
ſuchte , ihm Edeſſa zum Schutz gegen die Bosheit der Ju-
den anbot , von ihm geheilt und mit dem wunderbaren Ab-
druck ſeines Geſichts auf Leinwand beſchenkt wurde . Die
Armenier des fuͤnften Jahrhunderts verwarfen , mit der An-
betung der Bilder uͤberhaupt , auch dieſe Erzaͤhlung ; heute
glauben ſie daran , und die Sage lebt noch im Munde des
Volkes . Man zeigte mir eine Quelle , welche in einer Hoͤhle
verſteckt eine Viertelſtunde oͤſtlich der Stadt liegt ; der Traͤ-
ger des Bildes hatte , nach der Erzaͤhlung meiner Begleiter ,
die Mauern der Stadt faſt ſchon erreicht , als eine Schaar
Reiter ihn an jener Quelle uͤberholte ; er verbarg ſich in der
Hoͤhle , wurde aber in derſelben geſteinigt , und ſo blieb das
Bild durch Jahrhunderte unbekannt , bis die Moͤnche es zu
der ihnen gelegenen Zeit ans Licht zogen . Das wunder-
thaͤtige Bild verhieß der Stadt Edeſſa , daß ſie nie von
einem Feind erobert werden ſollte , und bewaͤhrte ſich gegen
zwei Belagerungen der Perſer unter Nuſchirwan ; aber die
Araber eroberten Orfa , und das Heiligthum hatte dreihun-
dert Jahre in Gefangenſchaft der Unglaͤubigen geſchmach-
tet , als die Kaiſer von Konſtantinopel es fuͤr 12,000 Pfd.
Silber und zweihundert muſelmaͤnniſche Gefangene kauften .
Das Bild von Edeſſa rivaliſirte mit der beruͤhmten Vero-
nika oder dem Schweißtuche , und ſoll ſich gegenwaͤrtig in
Genua befinden .
Orfa iſt noch immer eine große und ſchoͤne Stadt ,
ganz aus Steinen erbaut , mit ſtattlichen Mauern und einem
Caſtell auf einem dominirenden Felſen . Auf dem Caſtell
ragen zwei hohe Saͤulen , die jedoch nicht Monolithen ſind ,
mit reichen Capitaͤlern empor , welche mit den roͤmiſchen
Adlern geſchmuͤckt ſind . Vom hoͤchſten Alterthume ſind die
Mauern eines Gebaͤudes und eines Thurmes ( jetzt eine
Moſchee ) im Jnnern der Stadt , aus großen ſchoͤn behaue-
nen Quadern ohne Moͤrtel auf einander gefuͤgt . Am Fuße
des Caſtells ſammelt ſich das Waſſer mehrerer Quellen in
zwei Baſſins , die von hohen Weiden , Platanen und Cy-
preſſen umringt ſind und neben denen ſich eine Medreſſeh
mit ſchoͤnen Kuppeln und Minarehs erhebt . Jn der kla-
ren Flut ſchwimmen eine zahlloſe Menge von Karpfen , die
Niemand anruͤhrt , weil ſie heilig ſind , und Jeder , der da-
von ißt , blind wird .
Orfa liegt an kahle Felſen gelehnt , aber von hier ab-
waͤrts gegen Suͤden faͤngt die Tſchoͤll oder Wuͤſte an , eine
unabſehbare Flaͤche , in dieſem Augenblick mit Gruͤn beklei-
det , bald aber verdorrt . Orfa bildet mit ſeinen Obſt- und
Weidenbaͤumen eine Oaſe zwiſchen der Sand- und der Stein-
wuͤſte . Scherif , Paſcha von zwei Roßſchweifen , empfing
mich ſehr freundlich ; ich mußte bei ihm wohnen , und obwohl
es Freitag war , veranſtaltete er ein Exerzieren im Feuer .
Von Orfa bis hierher nach Diarbekir , denn ich habe
meinen Brief hier fortgeſetzt , iſt die traurigſte Einoͤde , die
man denken kann . Außer der Stadt Suverek habe ich auf
dieſer vierzig Stunden weiten Strecke nur vier bewohnte
Doͤrfer geſehen , alle uͤbrigen ſind Steinhaufen , in die nur
des Winters ſich Araber einniſten . Brunnen giebt es we-
nige , die Thaͤler ſind ohne Waſſer , ſelbſt ohne Spur , daß
je Waſſer in denſelben geweſen , indeß findet man von Ent-
fernung zu Entfernung Airats , d. h. uͤberwoͤlbte Ciſternen ,
in welchen im Winter das Waſſer von dem nackten Stein-
boden zuſammenlaͤuft . Die Airat ſind fromme Stiftungen ,
und waͤhrend des Sommers findet man Turkmannen und
Araber mit hunderttauſenden Stuͤck Vieh um ſie gelagert ,
deshalb iſt ihr Vorrath im Juni meiſt ſchon erſchoͤpft ; zu-
weilen liegen ſie ſehr tief , und lange Stiegen fuͤhren hinab
bis an den Spiegel des heiß erſehnten Elements . Sie ſind
des Nachts der Aufenthalt von hunderten von wilden Tau-
ben , welche aufgeſtoͤrt mit lautem Geraͤuſch und klappenden
Fluͤgeln den Eintretenden erſchrecken .
Die Baſalttruͤmmer ſind aus dem einzigen engen Fuß-
pfad muͤhſam heraus geleſen . So ritt ich denn bis in die
Nacht bei hellem Mondſchein durch dieſe Einoͤde . Selten
begegnete man einem Trupp Reiter mit ihren langen Lan-
zen und wechſelte den Gruß „ Selam aleikon ! “ „ Aleikon
selam ! “ Hin und wieder ſah man eine Kameelheerde , die
ihr Futter muͤhſam zwiſchen den Steinen aufſuchte , und die
ſchwarzen Zelte der Hirten daneben . Der Surudſchi ſang
daſſelbe Lied , deſſen Refrain Aman ! Aman ! ( Erbarmen !
Erbarmen ! ) nach derſelben eintoͤnigen Weiſe , die an der
Donau wie am Euphrat erklingt , und mir war es manch-
mal , als muͤßte ich aus einem Schlummer erwachen , in
welchem mir getraͤumt , in Meſopotamien zu ſein .
Faſt jedes Gebirge iſt ſchoͤn ; der Karadſcha-Dagh zwi-
ſchen Frat und Tigris iſt das einzige , welches ich bisher
geſehen , das eine Ausnahme macht . Mit einer beſtaͤndigen
ſanften Boͤſchung von nicht uͤber 3 bis 5 Gr. ſteigt man
waͤhrend zweier Tagemaͤrſche , und findet ſich ploͤtzlich zu ſei-
nem Erſtaunen im Schnee ; man glaubt auf der Ebene zu
ſein , und doch iſt dies Gebirge gewiß 5000 Fuß hoch und
ſeiner Stuͤrme und ſeines rauhen Klima's wegen beruͤhmt .
Jch war ſehr fruͤh ausgeritten ; als ich den Kamm des
Gebirgs uͤberſchritten , ging die Sonne auf und der Tigris
glaͤnzte in den erſten roͤthlichen Strahlen . Gegen Mittag ,
bei Gewitter und Hagel , traf ich in Diarbekir ein ; es war
empfindlich kalt , die Baͤume trieben kaum ihre erſten Blaͤt-
ter , und ich bin uͤberzeugt , daß es bei Euch unterm 54ſten
Breitengrade gruͤner und waͤrmer iſt , als hier unterm 38ſten ,
wo ich doch dem Aequator 240 Meilen naͤher bin .
Diarbekir , den 12. April 1837 .
Nach Jhrem letzten Schreiben moͤchte ich faſt vermu-
then , daß Sie , lieber F. , noch in Pera ſind ; doch hoffe ich ,
daß es nicht Unwohlſein iſt , was Sie da zuruͤckhaͤlt , ſon-
dern irgend eine neue Veraͤnderung , und daß friedliche Con-
juncturen Jhren Abgang gehindert . Die Vertreter der eu-
ropaͤiſchen Maͤchte werden es wohl zu keiner militairiſchen
Allopathie kommen laſſen , ſondern die ſyriſche Krankheit durch
eine diplomatiſche Homoͤopathie heilen wollen ; unſer Ge-
ſchaͤft iſt indeß , den alten , etwas eingeroſteten Krummſaͤbel
ſo gut es gehen will alla franga anzuſchleifen , fuͤr den Fall ,
daß er gebraucht wuͤrde .
Sollten Sie aber gen Jconium gezogen ſein , ſo bitte
ich unſern Freund V. , Jhnen die Nachrichten vollſtaͤndig
zukommen zu laſſen , die ich mittheile ; eine Verbindung von
hier aus direkt ſcheint mir ſehr ungewiß .
Jch bin begierig , etwas von Jhnen zu erfahren , ſei es
nun , daß Sie geblieben oder gereiſet ſind . Uns geht es
im Allgemeinen gut , und das Reiſen iſt hier in Natolien
lange nicht ſo beſchwerlich , wie in Rumelien . Haͤtte ich
aber Jhren Champagner nicht gehabt , ſo wuͤrde ich unſern
dicken Divan-Effendi nimmermehr ſo ſchnell von Samſun bis
Karput remorquirt haben ; ich ließ ihn immer ein „ Guͤmuͤſch-
baſchi “ oder einen Silberkopf in Perſpektive ſehen , wenn
er fleißig geritten und wir das Nachtquartier erreicht ha-
ben wuͤrden .
Jn einer ſternhellen Nacht ſtand ich unlaͤngſt auf den
Truͤmmern des alten Roͤmerſchloſſes Zeugma . Der Eu-
phrat glitterte tief unten in einer felſigen Schlucht , und
ſein Rauſchen erfuͤllte die Stille des Abends . Da ſchritten
Cyrus und Alexander , Xenophon , Caͤſar und Julian im
Mondenſchein voruͤber ; von dieſem ſelben Punkte hatten ſie
das Reich der Chosroes jenſeit des Stromes geſehen , und
gerade ſo geſehen , denn die Natur iſt hier von Stein und
aͤndert ſich nicht . Da beſchloß ich dem Andenken des gro-
ßen Roͤmervolkes die goldenen Trauben zu opfern , die ſie
zuerſt nach Gallien gebracht , und die ich von ihres weiten
Reiches weſtlicher Grenze bis zur oͤſtlichen getragen . Jch
ſchleuderte die Flaſche von der Hoͤhe hinab , ſie tauchte ,
tanzte und glitt den Strom entlang , dem indiſchen Welt-
meere zu . Sie vermuthen aber ſehr richtig , daß ich ſie
vorher geleert hatte ; ich ſtand da wie der alte Zecher :
trank letzte Lebensglut
und warf den heiligen Becher
hinunter in die Flut .
Jch ſah ihn ſtuͤrzen , trinken
des Euphrat gelbe Flut ,
die Augen thaͤten mir ſinken —
Jch trank nie einen Tropfen mehr .
Die Flaſche hatte einen Fehler gehabt : ſie war die
letzte geweſen .
43.
Reiſe auf dem Tigris bis Moſſul . — Die Araber . —
Zug mit der Caravane durch die Wuͤſte von
Meſopotamien .
Dſcheſireh am Tigris , den 1. Mai 1838 .
Jn meinem letzten Briefe ſchrieb ich Dir , daß wir ge-
gen die Araber auszoͤgen . Daraus iſt nun wohl nicht viel
geworden ; aber ich habe doch Gelegenheit gehabt , einen ſehr
intereſſanten Landſtrich kennen zu lernen .
Am 15. April ſetzten v. M. und ich uns mit zwei
wohlbewaffneten Aga 's des Paſcha's , unſern Dragomans
und Bedienten , auf ein Fahrzeug , welches ſo conſtruirt war ,
wie man es ſchon zu Cyrus Zeiten verſtand , auf ein Floß
naͤmlich von aufgeblaſenen Hammelhaͤuten . Die Tuͤrken
halten die Jagd fuͤr unrecht , verſchmaͤhen das Wild und
verachten Rindfleiſch , dagegen verzehren ſie eine große Menge
von Schaafen und Ziegen ; die Haͤute dieſer Thiere werden
ſo wenig wie moͤglich vorn an der Bruſt zerſchnitten und
ſorgfaͤltig abgezogen , dann zuſammengenaͤht und die Extre-
mitaͤten zugebunden . Wird nun der Schlauch aufgeblaſen
( was ſchnell und ohne den Mund unmittelbar daran zu
bringen geſchieht ) , ſo hat er eine große Tragfaͤhigkeit und
kann faſt nicht zu Grunde gehen ; vierzig bis ſechzig wer-
den dann unter ein leichtes Geruͤſte von Baumzweigen in
vier oder fuͤnf Reihen ſo zuſammengebunden , daß das Floß
vorn etwa acht , hinten achtzehn Schlaͤuche breit iſt ; dar-
uͤber wird etwas Laub , dann eine Matte und Teppiche ge-
breitet , und ſo faͤhrt man ganz gemaͤchlich den Fluß hinab .
Bei der Schnelligkeit der Stroͤmung ſind die Ruder nicht
noͤthig , um vorwaͤrts zu kommen , ſondern nur um das
Fahrzeug zu lenken , es mitten in der Bahn zu erhalten und
gefaͤhrliche Wirbel zu vermeiden . Obwohl wir dieſer Stel-
len wegen des Nachts bis zum Aufgang des Mondes lie-
gen bleiben mußten , ſo machten wir doch den 88 Stunden
weiten Weg in viertehalb Tagen . Die Schnelligkeit des
Stroms muß daher durchſchnittlich faſt eine Meile in der
Stunde betragen ; ſie iſt aber an einigen Stellen weit groͤ-
ßer , an andern geringer .
Wir fuhren ſchnell unter den hohen ſchwarzen Mauern
des Caſtells oder Jtſch-Kaleh von Diarbekir fort , welche
ſich auf einem jaͤhen Felsabhang erheben , uͤber den ein klei-
ner Bach in einer ſchoͤnen Cascade hinabſtuͤrzt . Diarbe-
kir , in tuͤrkiſchen Urkunden Kara Amid , das ſchwarze Amida ,
genannt , war ſchon zu Kaiſer Konſtantins Zeit eine ſtarke
Feſtung und mit fuͤnf Legionen beſetzt . Jm Jahre 359 griff
Sapor den Platz an ; ſiebzig perſiſche Bogenſchuͤtzen wur-
den durch einen Verraͤther die Treppe hinaufgelaſſen , welche
in die Felswand gehauen noch heute nach dem Tigris hin-
abfuͤhrt ; ſie pflanzten ihre Fahne auf einen drei Stock ho-
hen Thurm , aber die galliſchen Legionen ſtuͤrzten die Ein-
gedrungenen wieder hinab , und die Belagerung verlaͤngerte
ſich auf drei und ſiebzig Tage . Ein allgemeiner Sturm
lieferte die Stadt in die Gewalt der Perſer , welche ſie furcht-
bar zerſtoͤrten . Jm Jahre 505 hielt Amida eine neue drei-
monatliche Belagerung aus , welche 50,000 Perſern das Le-
ben koſtete , aber die Stadt ward uͤberrumpelt und 80,000
Einwohner fanden den Tod . Amida wurde jedoch wieder
von den Roͤmern in Beſitz genommen , und als , nach dem
Tode Julians , ſein Nachfolger Jovian das ſtarke Niſibis
( der Name und die Truͤmmer haben ſich in dem Staͤdtchen
Niſibin erhalten ) den Perſern auslieferte , wurde den chriſt-
lichen Einwohnern ein Stadtviertel zu Diarbekir eingeraͤumt .
Juſtinian ſtellte die Befeſtigung der Stadt wieder her , wel-
che , zwiſchen dem unſichern Armenien und dem feindſeligen
Perſien vorgeſchoben , damals von großer Wichtigkeit war ,
und wahrſcheinlich ſind die hohen ſchoͤnen Mauern , die noch
heute unverſehrt daſtehen , die naͤmlichen , welche vor zwoͤlf
Jahrhunderten gegruͤndet wurden . Dies iſt bei der Vor-
trefflichkeit des Materials und bei der Sorgfalt der Er-
bauung moͤglich ; die harten ſchwarzen Baſaltſteine ſind mit
der groͤßten Genauigkeit geſchnitten , und erheben ſich zu
einer Hoͤhe von 30 bis 40 Fuß . Die Thuͤrme ſind aͤußerſt
ſchoͤn , ſie uͤberhoͤhen die Mauer , aus welcher ſie alle achtzig
Schritte hervortreten , und ſind ſo geraͤumig , daß ſie ſehr
gut Geſchuͤtz aufnehmen koͤnnten . Zwiſchen je zwei Thuͤr-
men ſpringt noch ein Strebepfeiler hervor , deſſen Zinnen die
Mauer flankiren ; dieſe zeigt eine Menge lateiniſcher , griechi-
ſcher und perſiſcher Jnſchriften .
Die Pracht der Befeſtigung contraſtirt ſeltſam mit dem
Elende der Stadt , welche ſie umſchließt ; etwa 15,000 Lehm-
huͤtten ſind um einige ſteinerne Moſcheen und Caravanſe-
rajs in enge Straßen zuſammengedraͤngt . Am Tigris iſt
das Jtſch-Kaleh mit prachtvollen Ruinen , gewaltigen Bo-
gen und ſchoͤnen Kuppeln durch hohe Mauern von der Stadt
abgetrennt , und in demſelben befindet ſich noch wieder einer
jener kuͤnſtlichen Erdberge , welche uͤberall in dieſer Gegend
die Akropolis trugen .
Das Gebirgsland , in welchem der Tigris oder Schatt
entſpringt , iſt von dem obern Euphrat von drei Seiten um-
ſchloſſen , und ſeine Quellen liegen zum Theil nur zweitau-
ſend Schritte von dem Ufer dieſes Stroms entfernt , mit
welchem ſie ſich erſt 200 Meilen weiter wieder vermiſchen .
Der große See , welcher hoch uͤber der Ebene von Karput
dicht am Urſprunge des Tigris liegt , ſteht jedoch in gar
keiner Verbindung mit dieſem Strome ; bei Argana-Maa-
den tritt er aus dem Gebirge , fließt an den Mauern von
Diarbekir vorbei , wo er im Sommer leicht durchfuhrtet
wird , und in einer weiten fruchtbaren Ebene fort , bis der
Battman-Strom ſich mit ihm verbindet , der vom hohen
Karſan-Gebirge ſuͤdlich herabkommt und eine groͤßere Waſ-
ſermaſſe dem Tigris zufuͤhrt , als dieſer ſelbſt beſaß . Un-
mittelbar hinter jener Einmuͤndung tritt der Schatt wieder
in ein hohes Sandſteingebirg ; die ſanft gekruͤmmten Win-
dungen des breiten ſeichten Stromes verwandeln ſich in die
ſcharfen Zickzacks einer engen Felsſchlucht ; ſteil , oft ſenk-
recht ſteigen die Steinwaͤnde zu beiden Seiten empor , und
hoch oben an der Berglehne unter dunkelgruͤnen Palamut-
baͤumen erblickt man einzelne Dorfſchaften von Kurden , die
hier meiſt Hoͤhlen-Bewohner ſind .
Einen ſeltſamen Anblick gewaͤhrt die Stadt Haſſn-Kejfa
auf einem hohen Felſen , in deſſen ſenkrechter Wand eine
Stiege vom Fluß hinauf fuͤhrt . Die alte Stadt unten iſt
zerſtoͤrt , nur einzelne Minarehs ragen noch empor und zei-
gen an , daß hier Moſcheen und Haͤuſer geſtanden ; die Be-
wohner waren genoͤthigt , ſich auf die hohe Klippe zu fluͤch-
ten , wo ſie ſich gegen die einzig zugaͤngliche Seite mit einer
Mauer befeſtigt haben . Jn der engen Felsſchlucht fand
ich große Steinbloͤcke , die von oben herabgerollt ſind ; man
hat ſie ausgehoͤhlt , zu Wohnungen gemacht , und dieſe Truͤm-
mer bilden eine kleine , freilich ſehr unregelmaͤßige Stadt ,
die ſogar ihr Bazar hat . Aber der merkwuͤrdigſte Gegen-
ſtand ſind die Reſte einer Bruͤcke , welche in einem gewalti-
gen Bogen von 80 bis 100 Fuß Spannung hier den Ti-
gris uͤberſchritten hat . Jch weiß nicht , ob man einen ſo
kuͤhnen Bau den alten armeniſchen Koͤnigen , den griechi-
ſchen Kaiſern oder wohl eher den Kalifen zuſchreiben darf .
Auch unterhalb Haſſu-Kejfa iſt die Gegend wild und
ſchoͤn . Wir fuhren an einer Hoͤhle voruͤber , welche durch
Schwefel-Quellen geheizt wird , und erreichten am Morgen
des dritten Tages Dſcheſireh ( die „ Jnſel “ ) , welche vom Ti-
gris und einem Arm deſſelben rings umſchloſſen iſt . Von
dieſer Stadt iſt , ſo viel ich weiß , im Alterthume nie die
Rede geweſen ; die ſchoͤnen Truͤmmer einer großen Burg
am Ufer des Stromes wurden von den Einwohnern als
ein Bau der Genueſer betrachtet ; doch glaub' ich nicht ,
daß ihre Factoreien je ſo weit in das wilde Binnenland
Armeniens hineingereicht haben . Eine Bruͤcke fuͤhrte aus
dem Schloß auf das jenſeitige Ufer , wo man noch die Fun-
damente eines Thurmes erkennt , welcher den Zugang zu
derſelben ſperrte . Die Stadt iſt von einer Mauer aus
Baſalt umſchloſſen , die Reſchid Paſcha waͤhrend mehre-
rer Monate beſtuͤrmte . Nach der Eroberung iſt hier furcht-
bar gehauſet worden , faſt alle Maͤnner wurden niederge-
macht , die Weiber und Kinder in Sclaverei fortgeſchleppt ,
weil ſie Yeziden oder Teufelsanbeter . Die Stadt ſelbſt iſt
ein Truͤmmerhaufen , und in den veroͤdeten Straßen ſucht
man nur mit Muͤhe einige wenige Menſchenwohnungen auf .
Wie ſeltſam contraſtirt mit dieſem Bilde der Zerſtoͤrung
und Armuth der uͤberſchwengliche Reichthum der Natur !
Jch trat aus der elenden Huͤtte des Ayans in einen Hof
zwiſchen verfallenen Mauern , und ſtand ploͤtzlich unter einem
großen Granatbaum , bedeckt mit zahlloſen Purpurbluͤthen ;
ein Weinſtock rankte von demſelben auf einen Oelbaum hin-
uͤber , welcher , in dieſem Winkel verſteckt , der Zerſtoͤrung
der Menſchen entgangen war .
Man kann nicht bequemer reiſen , als wir es thaten ;
auf weiche Polſter hingeſtreckt , mit Lebensmitteln , Wein ,
Thee und einem Kohlenbecken verſehen , glitten wir ſchnell
und ohne Anſtrengung mit der Schnelligkeit einer Extra-
poſt vorwaͤrts . Aber das Element , welches uns befoͤrderte ,
verfolgte uns in anderer Geſtalt ; der Regen ſtroͤmte ſeit
unſerer Abreiſe von Diarbekir unaufhoͤrlich vom Himmel ,
unſere Schirme ſchuͤtzten uns nicht mehr , und Kleider ,
Maͤntel und Teppiche waren durchweicht . Am Oſterfeier-
tag , als wir Dſcheſireh wieder verließen , war die Sonne
hervorgebrochen und durchwaͤrmte unſere erſtarrten Glie-
der ; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der
Stadt die Truͤmmer einer zweiten Bruͤcke uͤber den Tigris ,
und ein Pfeiler derſelben verurſacht bei hohem Waſſerſtand
einen gewaltigen Strudel ; alle Anſtrengung der Ruderer
half nichts , unwiderſtehlich zog dieſe Charybdis unſere kleine
Arche an ſich , wie ein Pfeil ſchoß ſie in den tiefen Schlund
hinab und eine hohe Welle ging uͤber unſere Koͤpfe fort .
Das Waſſer war eiſig kalt , und als das Fahrzeug im
naͤchſten Augenblick ohne umzuſchlagen ſchon harmlos wei-
ter tanzte , konnten wir das Lachen uͤber die truͤbſelige Ge-
ſtalt nicht zuruͤckhalten , welche Jeder von uns zur Schau
trug . Das Kohlenbecken war uͤber Bord gegangen , ein
Stiefel ſchwamm neben uns her , und Jeder fiſchte noch
eine Kleinigkeit im Strom . Wir landeten auf einem Ei-
land , und da unſere Mantelſaͤcke eben ſo durchnaͤßt waren ,
wie wir ſelbſt , ſo blieb nichts uͤbrig , als uns auszuziehen
und die geſammte Toilette , ſo gut es gehen wollte , an der
Sonne zu trocknen . Jn geringer Entfernung , auf einer
andern Sandbank , ſaß ein Schwarm Pelikane , die , als
wollten ſie uns verhoͤhnen , ebenfalls ihr weißes Gewand
ſonnten ; ploͤtzlich merkten wir , daß unſer Floß ſich losge-
macht und auf und davon ſchwamm , der eine Aga ſtuͤrzte
ſich ſogleich ins Waſſer und erreichte es noch gluͤcklich ,
ſonſt waͤren wir im Naturzuſtande auf der wuͤſten Jnſel
zuruͤckgeblieben .
Nachdem wir uns nothduͤrftig getrocknet , ſetzten wir
unſere Reiſe fort , aber neue Regenguͤſſe machten die Arbeit
unnuͤtz ; die Nacht war ſo finſter , daß wir aus Beſorgniß ,
in neue Strudel zu gerathen , anlegen mußten . Trotz der
empfindlichſten Kaͤlte und durchnaͤßt bis auf die Haut ,
wagten wir nicht , ein Feuer anzuzuͤnden , weil wir ſonſt die
Araber herbeigelockt haͤtten ; wir zogen unſer Floß in aller
Stille unter einen Weidenbaum , und erwarteten ſehnſuͤch-
tig , daß die Sonne hinter dem perſiſchen Grenzgebirge em-
porſteigen moͤchte , uns zu erwaͤrmen .
Von Dſcheſireh an tritt der Tigris wieder in die Ebene
und entfernt ſich von dem hohen prachtvollen Dſchuͤdid-
Gebirge , auf deſſen leuchtenden Schneegipfeln , nach der
Sage des Volks , Noah mit ſeiner gemiſchten Geſellſchaft
debarkirt haben ſoll . Die Gegend wird nun ſehr einfoͤr-
mig , ſelten entdeckt man ein Dorf , und die mehrſten der-
ſelben ſind unbewohnt und zerſtoͤrt ; man erkennt , daß man
in den Bereich der Araber getreten iſt ; nirgends erblickt
man einen Baum , und wo ſich ein kleiner Strauch erhal-
ten , da iſt er „ Siareth “ oder Heiligthum , und mit zahl-
loſen Fetzen von Kleidern bedeckt , denn die Kranken glau-
ben zu geneſen , wenn ſie einen Theil ihres Anzugs dem
Heiligen weihen .
Auf einem iſolirten Berg von bedeutender Erhebung
ſahen wir ſchon aus großer Ferne die Truͤmmer einer al-
ten Stadt ; wir umſchifften dieſe Hoͤhe an ihrem noͤrdli-
chen , oͤſtlichen und ſuͤdlichen Fuß ; ich vermuthe , daß dies
das alte Bezabde geweſen iſt , von welchem berichtet wird ,
daß es in der Wuͤſte gelegen , auf drei Seiten vom Tigris
umfloſſen war . Sapor belagerte es nach der Einnahme
von Amida , machte drei Legionen zu Gefangenen und legte
eine perſiſche Beſatzung in den Platz .
An den Truͤmmern des ſogenannten alten Moſſul ſchiff-
ten wir voruͤber , und entdeckten gegen Abend die Minarehs
von Moſſul ; dies iſt der oͤſtlichſte Punkt , den ich erreicht
habe , und meine tuͤrkiſchen Begleiter mußten , als ſie ihr
Abendgebet verrichteten , ſich gegen Weſten wenden , ſtatt
daß in Konſtantinopel der Moslem die Kebla noch ſuͤdoͤſt-
lich ſucht .
Moſſul iſt die große Zwiſchenſtation der Caravanen
auf dem Wege von Bagdad nach Aleppo ; eine Oaſe mit-
ten in der Wuͤſte , muß die Stadt ſtets auf ihrer Hut ge-
gen die Araber ſein ; die Mauern , welche ſie rings um-
ſchließen , ſind ſchwach , aber hoch und genuͤgen vollkommen
gegen die unregelmaͤßigen Reiterhaufen der Beduinen ; das
Thor Bab-el-aͤmadi , welches in den Kreuzzuͤgen ſchon er-
waͤhnt wird , ſteht noch heut , iſt aber zugemauert ; die Woh-
nungen ſind meiſt aus Luftziegeln und einer Art Kalk er-
baut , welcher in wenig Augenblicken erhaͤrtet . Nach alt-
morgenlaͤndiſcher Sitte legt man hier einen hohen Werth
auf die Schoͤnheit und Groͤße des Thors ( Bab ) , bei jeder
Wohnung ſiehſt Du gewoͤlbte Portale aus Marmor ( der
dicht vor der Stadt gebrochen wird ) vor Haͤuſern und
Lehmhuͤtten , die mit ihrem Dache kaum bis an die Spitze
des Bogens reichen . Die Daͤcher ſind flach , von geſtampf-
ter Erde ( „ Damm “ ) und von niedrigen Mauern mit Schar-
ten bruſtwehrartig umgeben . An den mehrſten groͤßeren
Haͤuſern in der Stadt erblickt man eine Menge Spuren
von Gewehrkugeln , und die feſtungsartige Einrichtung die-
ſer Wohnungen erinnert ſehr an die Pallaͤſte zu Florenz ,
nur iſt Alles kleiner , duͤrftiger und unvollkommen .
Die Bewohner von Moſſul ſind eine ſeltſame Miſchung
aus den urſpruͤnglichen chaldaͤiſchen Einwohnern mit den
Arabern , Kurden , Perſern und Tuͤrken , welche nach einan-
der ihre Herrſchaft uͤber ſie geuͤbt ; die allgemeine Sprache
iſt indeß die arabiſche .
Bei der furchtbaren Sommerhitze wohnen die Leute
meiſt unter der Erde und jedes Haus hat ſeine unterirdi-
ſchen Gemaͤcher , welche nur durch eine mit Weinlaub uͤber-
deckte Oeffnung oben ihr Licht erhalten .
Jndſche-Bairaktar , der Gouverneur , empfing uns
mit der groͤßten Auszeichnung und logirte uns beim arme-
niſchen Patriarchen ein . Die neſtorianiſchen und jacobiti-
ſchen Chriſten in Moſſul beſitzen die ſchoͤnſten Kirchen , die
ich in der Tuͤrkei geſehen habe , leben aber unter ſich in
Hader und Zwieſpalt . Eine jener Kirchen gehoͤrte , ich weiß
nicht durch welche Urſachen , zwei Gemeinden , und weil
das , was die eine in dieſen heiligen Raͤumen that , ein
Graͤuel fuͤr die andere war , ſo hatte man die ſchoͤne Woͤl-
bung durch eine Mauer mitten durch getheilt .
Unſerem jacobitiſchen Patriarchen machte es freilich
allerlei Bedenken , Ketzer zu beherbergen , indeß war es ihm
immer lieber , als wenn wir Neſtorianer oder gar Griechen
geweſen waͤren ; da uͤberdies noch nie Chriſten von dem Pa-
ſcha ſo empfangen worden waren und die bedeutendſten
Muſelmaͤnner kamen , uns die Aufwartung zu machen , ſo
ließ er es an Nichts fehlen , und verkaufte mir ſogar eine
Bibel in arabiſcher und ſyriſcher ( chaldaͤiſcher ) Sprache .
Der Paſcha war ſehr erfreut uͤber eine Aufnahme von
Moſſul , den Riß zu einer neuen Caſerne und die Zeichnung
zu einem Waſſerrade , welche wir ihm ſchnell anfertigten ,
und beſchenkte uns mit Pferden und Mauleſeln fuͤr die
Ruͤckreiſe durch die Wuͤſte .
Schon vor uralten Zeiten fuͤhrte , wie jetzt , eine Schiff-
bruͤcke hier uͤber den Tigris , und das Heer Julians be-
nutzte ſie auf ſeinem Ruͤckzuge von Kteſiphon . Von einer
ſteinernen Bruͤcke , wahrſcheinlich tuͤrkiſcher Arbeit , ſtehen
nur noch einige Bogen . Auf dem linken Ufer des Stroms ,
Moſſul gegenuͤber , verfolgt man mit Augen ganz deutlich
einen noch 10—25 Fuß hohen Wall von wohl einer Meile
im Umfange , welcher das alte Ninive umſchloſſen haben
ſoll . Ein ſehr großer kuͤnſtlicher Erdaufwurf bezeichnet auch
hier die Stelle der fruͤhern Akropolis , ein zweiter etwas
kleinerer Tumulus traͤgt heute ein tuͤrkiſches Dorf , Nunia ,
16
mit einer Moſchee , welche den Sarg Junuß-Pegambers
oder des Propheten Jonas einſchließt . Nur ein ausdruͤck-
licher Befehl des Paſcha konnte uns den Zutritt zu dieſer
Reliquie bahnen ; unter der Moſchee beſuchten wir die Reſte
einer uralten chriſtlichen Kirche . Auch auf dem rechten Ti-
grisufer findet man die Heiligengraͤber des Aya Kedrilleh
oder St. Georg u. a. m. , welche halb Moſchee , halb Fe-
ſtung ſind .
Bemerkenswerth ſind in Moſſul die Hauptmoſchee auf
uralten Fundamenten einer chriſtlichen Kirche , und die Rui-
nen eines Kaßr oder muhammedaniſchen Schloſſes am Ti-
gris , vor 500 Jahren erbaut und mit allerlei Stuckatur-
arbeit an den Waͤnden , auf welchen man ſogar eine Menge
menſchlicher Figuren abgebildet ſieht . Die Citadelle im Jn-
nern iſt eng und unbedeutend . An der nordweſtlichen Ecke
der Stadt faͤllt der Thalrand hoch und ſteil zum Strome
ab und iſt durch einen großen Thurm gekroͤnt ; an ſeinem
Fuße dampfen heiße Schwefelquellen , die bei hoher Flut
uͤberſchwemmt werden . Das Waſſer wird aus dem Ti-
gris in ſehr großen ledernen Schlaͤuchen mittelſt eines ho-
hen Geruͤſtes und Seilen emporgehoben , an welchen ein Pferd
zieht ; die lange Spitze des Schlauchs wird dann uͤber ge-
mauerte Behaͤlter gebracht und geoͤffnet , um das belebende
Element uͤber die Gaͤrten und Felder zu vertheilen . Aber
nur der freie Raum innerhalb der Mauern und die naͤchſte
Umgebung außerhalb derſelben ſind bebaut ; koͤnnte man
einen Theil des Waſſers , das an Moſſul voruͤber ſtroͤmt ,
zur Berieſelung benutzen , ſo muͤßte das Land von der hoͤch-
ſten Fruchtbarkeit ſein . Dieſer Gedanke ſcheint einen ur-
alten Bau veranlaßt zu haben , naͤmlich die ſtarken ſteiner-
nen Molen , welche einige Stunden oberhalb der Stadt das
Flußbett verengen und den Strom anſtauen ; man koͤnnte
daher gewiß auch das noͤthige Waſſer ſehr leicht uͤber die
Felder leiten , aber die Araber , welche die Stadt rings
umſchwaͤrmen , machen das Einbringen der Ernte gar zu
unſicher .
Dicht außerhalb der Mauern von Moſſul befindet ſich
ein eigenes Baſar fuͤr die Araber , damit man nicht genoͤ-
thigt iſt , dieſe zweifelhaften Gaͤſte in die Stadt ſelbſt ein-
zulaſſen . Ueber das Gewirr von kleinen Lehmhuͤtten erheben
ſich ſchlank und hoch einige Palmen , die letzten der Wuͤſte ;
dieſe Palmen gleichen einem zum Baum herangewachſenen
Schilfrohre , ſie ſind der rechte Typus des Suͤdens und
ſcheinen die Araber zutraulich und glauben zu machen , daß
ſie ſich zwar hoch im Norden , aber doch noch im Lande des
Weihrauchs befinden . Dorthin kommen die Kinder der
Wuͤſte , ſie ſtoßen ihre langen Bambuslanzen mit der Spitze
in die Erde und kauern nieder , um die Pracht und Herr-
lichkeit einer Stadt zu bewundern , einer Stadt zwar , die
uns Europaͤern eher durch das Gegentheil von Herrlichkeit
und Pracht auffaͤllt , die aber hier hundert Stunden im
Umkreis ihres Gleichen nicht hat .
Kein Volk vielleicht hat Charakter , Sitte , Gebraͤuche
und Sprache ſo unveraͤndert durch Jahrtauſende und durch
die allerverſchiedenſten Weltverhaͤltniſſe bewahrt , wie die
Araber . Als unſtaͤte Hirten und Jaͤger ſtreiften ſie in we-
nig gekannten Einoͤden umher , waͤhrend Aegypten und Aſſy-
rien , Griechenland und Perſien , Rom und Byzanz entſtan-
den und verfielen . Aber durch einen Gedanken begeiſtert
ſchwangen ſich eben dieſe Hirten ploͤtzlich empor und mach-
ten ſich auf lange Zeit zu Beherrſchern des ſchoͤnſten Theils
der alten Welt und zu Traͤgern der damaligen Geſittung
und Wiſſenſchaft . Hundert Jahre nach dem Tode des Pro-
pheten geboten ſeine erſten Anhaͤnger , die Saracenen , vom
Himalaja bis zu den Pyrenaͤen , vom Jndus bis zum at-
lantiſchen Meere . Aber das Chriſtenthum , die hoͤhere gei-
ſtige und materielle Vervollkommnung , welche es hervorrief ,
und die Unduldſamkeit ſelbſt , die ſeine erhabene Moral
haͤtte ausſchließen ſollen , trieben die Araber aus Europa ;
die rohe Gewalt der Tuͤrken verdraͤngte ihre Herrſchaft im
Orient , und die Kinder Jsmaels ſahen ſich zum zweiten-
mal hinausgewieſen in die Wuͤſte .
Diejenigen Araber , welche eine hoͤhere Stufe der Aus-
bildung erreicht , welche ſich angeſiedelt und dem Ackerbau ,
dem Handel oder Gewerbfleiß oblagen , eben dieſe ſanken
von nun an unter den Druck der Gewaltherrſchaft . Es
bedurfte des kuͤnſtlichen Getriebes einer europaͤiſirten Re-
gierung und des Beiſtandes der Franken , es bedurfte der
Einfuͤhrung von Volkszaͤhlungen und Steuern , von Zoͤllen
und Monopolen , von ſtehenden Heeren und Conſcription ,
verbunden mit dem Aemterhandel , den Steuerpachtungen ,
den Frohnen und den Laſtern des Orients ; es bedurfte vor
Allem eines ſo maͤchtigen Geiſtes , eines ſo kraͤftigen Wil-
lens und ſo ſeltenen Gluͤckes wie das Mehmet Ali 's ,
um die vielleicht noch nie und nirgend erreichte Hoͤhe der
Tyrannei zu verwirklichen , unter welcher heute die Fellahs
in Aegypten und die Araber in Syrien feufzen , um ein
ganzes Land in eine Domaine , ein ganzes Volk in leibeigene
Sclaven zu verwandeln .
Aber der bei weitem groͤßere Theil der arabiſchen Na-
tion war ſeinen alten Gebraͤuchen treu geblieben , und der
Despotismus konnte ſich ſeiner nicht bemaͤchtigen . Die
Ausdehnung der Wuͤſten Aſiens und Afrika's , ihr gluͤhen-
der Himmel , ihr waſſerarmer Boden und die Armuth der
Bewohner waren zu allen Zeiten der Schutz der Araber ge-
weſen . Die Herrſchaft der Perſer , der Roͤmer und Grie-
chen hat nur theilweiſe , voruͤbergehend , oft nur dem Na-
men nach beſtanden , und noch heute fuͤhrt der Beduine daſ-
ſelbe Leben der Entbehrung , der Muͤhe und Unabhaͤngigkeit
wie ſeine Vorvaͤter , noch heute durchſtreift er eben die
Steppen und traͤnkt ſeine Heerde an eben den Brunnen ,
wie zu Moſes und Mahomets Zeit .
Die aͤlteſten Beſchreibungen der Araber paſſen noch
vollkommen auf die Beduinen unſerer Zeit ; noch jetzt tren-
nen unausloͤſchliche Fehden die einzelnen Staͤmme , der Be-
ſitz eines Weideplatzes oder eines Brunnens entſcheidet uͤber
das Wohl zahlreicher Familien , und Blutrache und Gaſt-
freundſchaft ſind noch immer die Laſter und Tugenden die-
ſes Naturvolks . Ueberall , wo die Araber an den Grenzen
mit fremden Nationen in Beruͤhrung kommen , iſt Krieg .
Die Kinder Abrahams theilten ſich in die reichen und frucht-
baren Laͤnder , nur Jsmael und ſein Stamm wurde hinaus-
geſtoßen in die Wuͤſte . Getrennt von allen andern Voͤlkern
iſt Fremder und Feind dem Araber derſelbe Begriff , und
in der Unmoͤglichkeit , ſich die Erzeugniſſe des Gewerbfleißes
ſelbſt zu verſchaffen , haͤlt er ſich fuͤr voͤllig berechtigt , ſie
mit Gewalt zu nehmen , wo er ſie findet .
Die Paſcha's der Grenzprovinzen vergelten die beſtaͤn-
digen Raͤubereien ihrer Nachbarn von Zeit zu Zeit durch
Repreſſalien im Großen , ohne ſich darum zu kuͤmmern , wen
ſie treffen . Wenn ſie mit ein paar Geſchwadern regelmaͤ-
ßiger Reiterei und einer Kanone ausziehen , ſind ſie ſicher ,
das groͤßte Aſchiret oder Lager aus einander zu ſprengen .
Der Araber haͤlt nur ſchlecht gegen Gewehrfeuer , aber gar
nicht gegen Geſchuͤtzfeuer Stand , welches er ja freilich nicht
erwiedern kann ; er zittert dabei nicht ſo ſehr fuͤr ſein als
fuͤr ſeines Pferdes Leben , denn eine edle Stute iſt oft der
Reichthum von drei , vier Familien . Wehe dem Pferde ,
das bei uns drei , vier Herren gehoͤrte ! dort hat es in ih-
nen eben ſo viel Pfleger und Freunde . Wenn es den Tuͤr-
ken gelingt , das Aſchiret zu uͤberraſchen , ſo nehmen ſie ihm
ſeine Schaaf- und Ziegen-Heerden , einige Kameele und
gluͤcklichenfalls Geißeln ab , die dann in elender Gefangen-
ſchaft zuruͤckgehalten werden . Jch fand in einem engen
Gewoͤlbe oder Stall im Seraj zu Orfa neun Greiſe , die
nun ſchon drittehalb Jahre ſchmachteten ; eine ſchwere Kette
mit Ringen um den Hals feſſelte ſie einen an den andern ,
und zweimal des Tages wurden ſie zur Traͤnke getrieben
wie das Vieh . Man forderte die ungeheuere Summe von
150,000 Piaſtern ( 15,000 Gulden ) als Loͤſegeld von ihrem
Stamme ; dieſer hatte wirklich ein Drittel davon geboten ,
jetzt war aber ſehr wenig Ausſicht , daß man ſie uͤberhaupt
noch einloͤſen werde . Der Paſcha verſprach mir ihre Los-
laſſung , ich habe nicht erfahren , ob es geſchehen . Solche
Beiſpiele ſchrecken aber die Araber nicht ab , und ſo weit
ihre Roſſe ſchweifen , kann keine dauernde Niederlaſſung be-
ſtehen ; der ganze Suͤdfuß des Taurus , das alte Osroene ,
iſt bedeckt von Spuren ihrer Zerſtoͤrung . Dort kommen
koͤſtliche Baͤche von den Bergen herab ; der Ueberfluß an
Waſſer vereint ſich mit einem gluͤhenden , ſtets heitern Him-
mel und dem fruchtbarſten Boden , um ein Paradies zu
ſchaffen , wenn Menſchen es nicht zerſtoͤrten . Dort faͤllt
kein Schnee mehr , der Oelbaum , die Weinrebe , der Maul-
beer- , Feigen- und Granat-Baum wachſen uͤberall von
ſelbſt hervor , wo man nur einen Waſſerfaden hinleitet , und
Korn , Reis und Baumwolle geben den uͤppigſten Ertrag .
Aber von Karrhaͤ , jetzt Harran , dem Sitz Abrahams , ſind
nur ein Erdhuͤgel und Mauerreſte uͤbrig ; Dara , die ſtolze
Schoͤpfung Juſtinians , zeigt nur prachtvolle Ruinen , und
in Niſibin , welches gaͤnzlich zerſtoͤrt war , hat erſt unlaͤngſt
Hafiß-Paſcha auf uralten Fundamenten eine neue Caval-
lerie-Caſerne erbaut , unter deren Schutz die Stadt und die
naheliegenden Doͤrfer wieder neu aufbluͤhen . Orfa und
Moſſul endlich , die einzigen groͤßern Staͤdte , liegen wie vor-
geſchobene Poſten in Meſopotamien .
Die Araber haben bei ihren Raubzuͤgen vor ſich die
Hoffnung auf Beute , hinter ſich die Gewißheit des Ruͤck-
zuges ; ſie allein kennen die Weideplaͤtze und die verſteckten
Brunnen der Wuͤſte ; ſie allein koͤnnen in dieſen Regionen
leben , und auch ſie nur durch die Huͤlfe des Kameels .
Dieſes Thier , welches eine Laſt von 5- bis 600 Pfd. traͤgt ,
ſchafft all ihr Eigenthum , ihre Frauen , Kinder und Greiſe ,
ihr Zelt , ihre Lebensmittel und Waſſer von einem Ort zum
andern ; es macht ſechs , acht , ſelbſt zehn Tagereiſen ohne
zu trinken , ja ein fuͤnfter Magen bewahrt ſeinem Herrn ſo-
gar einen Trunk fuͤr den aͤußerſten Fall der Noth ; ſein
Haar dient zur Bekleidung und zu den Zelten ; der Urin
des Thiers liefert Salz , der Miſt dient als Feuerung und
erzeugt in Hoͤhlen den Salpeter , aus welchem die Araber
ihr Schießpulver ſelbſt verfertigen . Die Milch des Ka-
meels ernaͤhrt nicht nur die Kinder , ſondern auch die Fuͤl-
len , welche danach mager aber kraͤftig , wie unſere trainir-
ten Pferde , werden ; das Fleiſch iſt ſchmackhaft und geſund ,
das Fell und ſelbſt die Knochen des Kameels werden be-
nutzt . Das elendeſte Futter , duͤrres Gras , Diſteln und
Geſtruͤpp , genuͤgen dieſen geduldigen , ſtarken , wehrloſen und
nuͤtzlichſten aller Thiere . Naͤchſt den Kameelen , von wel-
chen ſelbſt der arme Araber eine faſt unglaubliche Menge
beſitzt , bildet das Pferd den Hauptreichthum des Arabers .
Es iſt bekannt , wie dieſe Thiere mit den Kindern im Zelt
aufwachſen , wie ſie ihre Nahrung , ihre Streifzuͤge und
Entbehrungen theilen , und wie die Geburt eines Fuͤllens
von edler Raçe ein Tag der Freude im ganzen Aſchiret iſt .
Man bringt in Europa die arabiſchen Pferde in Claſ-
ſificationen , welche weder richtig noch erſchoͤpfend ſind ; da-
hin gehoͤrt namentlich die Unterſcheidung von Kohilans und
Nedſchdi's . Letzter Name bezeichnet den zahlreichen Araber-
ſtamm , welcher die Hochebenen des innern Arabiens bewohnt
und allerdings die vortrefflichſten Pferde zieht , aber ſo we-
nig jedes arabiſche Pferd ein Raçepferd , eben ſo wenig iſt
jeder Nedſchdi ein Kohilan . Die Sache iſt dieſe : Kohilan
hieß das Leibpferd Haſeret-Suͤleiman-Peïgambers ( „ Sr.
Gnaden Salomons des Propheten “ ) . Nun iſt es aller-
dings wahr und kein Maͤhrchen , daß die edleren Roſſe bei
der Geburt ihren Stammbaum erhalten , in welchem die
Aeltern und oft die Großaͤltern aufgefuͤhrt ſind , und wel-
chen das Pferd gewoͤhnlich an einer Schnur und in einer
kleinen dreieckigen Kapſel um den Hals traͤgt . Aber im
Laufe vieler Jahrhunderte haben ſich von den Nachkommen
Kohilans einzelne ſo ſehr ausgezeichnet , daß ſie ſelbſt Stamm-
vaͤter beſonderer Geſchlechter geworden ſind . Mir wurden
als die vorzuͤglichſten Enkel Kohilans die Kinder Meneghi's
genannt , demnaͤchſt die Terafi , die Djelevi , die Sakali und
viele andere Geſchlechter mehr . Auf der Flucht von Me-
dina ritt Mohammed einen Kohilan von der Linie Meneghi .
Du ſiehſt , daß alſo keineswegs jeder Nedſchdi ein edles
Pferd zu ſein braucht , und daß ein Kohilan eben ſo gut
ein Aenneſi , oder Schamarly , als ein Nedſchdi ſein kann .
Die Araber vom Stamme Schamarr , welche in dem
Lande zwiſchen den beiden Fluͤſſen lagern , und 10,000 Rei-
ter ins Feld ſtellen , hatten ſich neuerdings viele Raͤube-
reien zu Schulden kommen laſſen , und den von der Pforte
eingeſetzten Scheikh nicht anerkennen wollen . Hafiß-Pa-
ſcha beſchloß , ihnen eine gruͤndliche Zuͤchtigung angedeihen
zu laſſen . Die Paſcha's von Orfa und Mardin ſollten ge-
gen ſie aufbrechen , und er wuͤnſchte , daß der von Moſſul ,
welcher jedoch nicht unter ſeinem Befehl ſteht , gleichzeitig
ausruͤcken moͤge , dann waͤren die Araber gegen den Eu-
phrat gedraͤngt worden , jenſeits welchem der ihnen feind-
ſelige Stamm Aenneſi wohnt . Jndſche-Bairaktar hatte
aber wenig Luſt zu einer Expedition , die ihm große Koſten
machte und wenig Beute verſprach . Als endlich der be-
ſtimmte Befehl vom Bagdad-Valeſſi eintraf , hatten die
andern Paſcha's den Feind ſchon aufgeſchreckt , und dieſer
war in unabſehbarer Entfernung zuruͤckgewichen .
Nach einem kurzen intereſſanten Aufenthalt beſchloſſen
wir nun , mit der eben abgehenden Caravane durch die
Wuͤſte zuruͤckzugehen . Da die Araber durch die letzten An-
griffe ſehr erbittert waren , ſo wurde der Zug mit vierzig
unregelmaͤßigen Reitern verſtaͤrkt , und wir trafen am Abend
bei der Caravane ein , welche zwei Stunden vor Moſſul am
Tigris lagerte , als wollte ſie ſich zu guterletzt noch einmal
recht mit Waſſer guͤtlich thun . Der Kjerwan-Baſchi oder
Anfuͤhrer der Caravane , welcher durch den Paſcha von un-
ſerer Ankunft benachrichtigt war , erſchien ſogleich ſelbſt ,
ließ ſein eigenes Zelt fuͤr uns aufſchlagen und ſchenkte uns
eine Ziege zur Abendmahlzeit .
Waͤhrend fuͤnf Tagen durchzogen wir die Tſchoͤll oder
Wuͤſte des noͤrdlichen Meſopotamien ohne irgend eine menſch-
liche Wohnung zu erblicken . Du mußt Dir dieſe Wuͤſte
nicht als eine Sandſcholle , ſondern wie eine unabſehbare
gruͤne Flaͤche denken , welche nur hin und wieder ſanfte
Terrainwellen zeigt ; die Araber nennen ſie „ Bahr “ , das
Meer , und die Caravanen ſteuern in ſchnurgerader Linie
vorwaͤrts , indem ſie ſich nach kuͤnſtlichen Huͤgeln richten ,
welche wie große Huͤnengraͤber ſich uͤber die Flaͤche erheben .
Dieſe Huͤgel zeigen an , daß hier fruͤher ein Dorf ſtand , und
folglich ein Brunnen oder eine Quelle ſich befinde ; aber
die Huͤgel liegen oft ſechs , zehn bis zwoͤlf Stunden aus
einander , die Doͤrfer ſind verſchwunden , die Brunnen trok-
ken und die Baͤche bitterſalzig . Noch einige Wochen ſpaͤ-
ter , und dieſe gruͤne Ebene , welche jetzt ein reichlicher
Thau naͤhrt , iſt nichts als eine von der Sonne verſengte
Einoͤde ; das uͤppige Gras , welches uns jetzt bis an die
Steigbuͤgel reicht , iſt dann verdorrt , und jedes Waſſer ver-
ſiegt . Dann kann man nur auf einem weiten Umwege dem
Ufer des Tigris in der Naͤhe folgen ; nur die Schiffe der
Wuͤſte , die Kameele , durchſchneiden dann noch die Flaͤche ,
und auch ſie nur des Nachts .
Der zweite Marſch fuͤhrte uns nach Keſſy-Koͤpry , der
Ruine eines befeſtigten Hauſes neben einer zerſtoͤrten Bruͤcke
uͤber einen Bach , der jetzt noch ſein dunkelbraunes Waſſer
aus einem nahen Sumpfe erhaͤlt . Jm Suͤden erblickt man
fern in der Ebene den ſteilen Felsgrat Sindſchar-Dagh wie
eine Jnſel ſich mauerartig erheben , welcher außer vier und
dreißig Jeziden-Doͤrfern eine kuͤrzlich von Reſchid-Paſcha
verwuͤſtete Stadt traͤgt . Dieſe Jeziden ſind Kurden , welche
uͤberall , wo Gebirge ihnen Schutz gegen die Araber gewaͤh-
ren , ſich fleißig anbauen ; ihre Stadt iſt das alte Sangara ,
welches Koͤnig Sapor belagerte .
Unſere Caravane beſteht aus 600 Kameelen und etwa
400 Maulthieren . Die großen Saͤcke , welche die erſteren
tragen , enthalten meiſt Palamut-Eicheln , welche zum Faͤr-
ben nach Aleppo gebracht werden , und Baumwolle ; der
koſtbarere Theil der Ladung , die Stoffe aus Bagdad , die
Shawls aus Perſien , die Perlen aus Baſſora und die gu-
ten Silbermuͤnzen , welche zu Konſtantinopel in ſchlechte Pia-
ſter umgepraͤgt werden , nehmen den geringſten Theil der
Laſtthiere in Anſpruch . — Die Kameele gehen in einer
Schnur zehn bis zwanzig in einer Reihe hinter einander ;
voraus reitet auf einem kleinen Eſel der Beſitzer , deſſen
Beine , trotz der kurzen Buͤgel , faſt an die Erde ſtoßen ; er
arbeitet dem armen Thiere unaufhoͤrlich mit den ſcharfen
Schaufeln in die Flanken und raucht dabei gemaͤchlich die
Pfeife ; ſeine Diener ſind zu Fuß . Ohne die Anfuͤhrung
des Eſels gehen die Kameele nicht aus der Stelle ; mit
langen bedaͤchtigen Schritten ziehen ſie hin und langen ſich
mit ihren duͤnnen beweglichen Haͤlſen die Diſteln und das
Dornengetruͤpp am Wege . Die Maulthiere ſchreiten leb-
haft einher , ſie ſind mit Glocken und mit ſchoͤnen Halftern
herausgeputzt , welche mit Schneckenkoͤpfen bunt beſetzt ſind .
Sobald die Caravane das Nachtquartier erreicht , ſprengt
der Kjerwan-Baſchi voraus und bezeichnet die Stelle des
Lagers . Je nachdem ſie ankommen , werden die Laſtthiere
abgeladen und die großen Saͤcke zu einer Art Burg oder
Schanze in ein Viereck geſtellt , innerhalb deſſen Jeder
ſein Lager bereitet . Unſer Zelt , das einzige bei der Cara-
vane , ſtand außerhalb , und wurde mit einer beſondern
Wache vom Baſchi-Boſuks verſehen . Die Kameele und
Mauleſel werden nun ganz frei in das hohe Gras getrie-
ben und ſuchen ſich das Waſſer ſelbſt auf , die Pferde aber
ſtehen gefeſſelt an den Fuͤßen : ein Strick aus Ziegenhaar
vereint mittelſt zwei wattirter Schleifen den rechten Vor-
der- und Hinterfuß , und wird ruͤckwaͤrts mittelſt eines
Pflocks an der Erde befeſtigt .
Sobald aber die Daͤmmerung eintritt , werden die Ka-
meele , welche ſich oft eine halbe Stunde weit zerſtreuen ,
verſammelt . Die Fuͤhrer rufen ihnen mit lauter Stimme
zu , jedes kennt das Poah ! Poah ! ſeines Herrn und kommt
folgſam herbei . Jnnerhalb des Vierecks werden ſie regel-
maͤßig aufgeſtellt ; der kleinſte Knabe regiert das große ,
kraͤftige , aber durchaus harmloſe und wehrloſe Geſchoͤpf ;
er ruft : Krr ! Krr ! und die gewaltigen Thiere werfen ſich
geduldig auf die Vorderkniee , dann falten ſie die langen
Hinterbeine , und nach allerlei ſeltſamen ſchaukelnden Be-
wegungen liegen ſie in Reihen , eins neben dem andern , am
Boden , den langen Hals rings umher bewegend und ſich
umſehend . Mir iſt immer die Aehnlichkeit des Kameel-
halſes mit dem des Straußes aufgefallen , und die Tuͤrken
nennen dieſen Deve-Kuſch , „ Kameel-Vogel “ . Eine duͤnne
Schnur wird dem liegenden Kameel um das gebogene Knie
gebunden , wenn es ſich erhebt , muß es auf drei Beinen
ſtehen und kann nicht fort . Wenn am Morgen das Thier
beladen werden ſoll , ſo legt es ſich ſchnarrend und mit
klaͤglichem Geſtoͤhn und Seufzern nieder , um ſeine Laſt auf-
zunehmen , und ſetzt die Wanderung fort .
Wir hatten an dieſem Abend den Beſuch einiger Ara-
ber aus befreundeten Staͤmmen , lauter kleine magere Ge-
ſtalten , aber von kraͤftigem , gedrungenem Wuchs ; die Ge-
ſichtsfarbe iſt gelblichbraun , der Bart kohlſchwarz , kurz und
gekraͤuſelt , die Augen klein , aber lebhaft . Eine angenom-
mene Wuͤrde uͤbertuͤncht nur leicht die Lebhaftigkeit ihres
Weſens , und ihre Kehlſprache erinnert durchaus an das
Juͤdiſche . Der Anzug beſteht aus einem groben baumwol-
lenen Hemde , einem weißen wollenen Mantel und einem
Tuch aus roth und gelbem halbſeidenen Stoff mit einem
Strick um den Kopf befeſtigt , wie die aͤgyptiſchen Bild-
ſaͤulen . Ein junger Araber mit zwei Begleitern ſchlenderte
um unſer Zelt und ſah aus einiger Entfernung in daſſelbe
hinein ; ich winkte ihm , naͤher zu treten , worauf er ſich am
Eingange auf die Erde niederließ , mit der Hand die Bruſt
und Stirn beruͤhrte und Merhaba ! ſprach . Da wir uns
gerade bei der Mahlzeit befanden , ſo nahm er thaͤtigen An-
theil , und als wir fertig waren , wickelte er die Reſte in
ſein Hemde ; er wollte unſere Piſtolen nicht anruͤhren , be-
wunderte aber die ſchoͤnen Lahorklingen unſerer Saͤbel und
ein Fuͤllen , welches ich vor meinem Abgang aus Moſſul
von einem arabiſchen Scheikh gekauft . Der Kjerwan-Ba-
ſchi diente unſerm Dolmetſch als Dolmetſch fuͤrs Arabiſche ,
und ich zeigte unſerm Gaſt den Stammbaum des Thiers ,
mit deſſen Genealogie er bekannt zu ſein behauptete ; er
ſagte mir , daß er vom Stamme des Kohilan , aber von
der Zucht der Terafi ſei , und daß ich nur Donnerstag
Abends Acht geben moͤge , dann werde ich ſehen , daß das
Thier mit dem Kopf ſchuͤttle , wie die Derwiſche ; er ver-
ſicherte mir , daß das Pferd ſelbſt bei der gluͤhendſten Hitze
nie an einem Bache anhalte , um zu trinken , und daß , wenn
ich hinunter fiele , es ſtehen bleiben werde , bis der Reiter
wieder oben ſein wuͤrde . Ferner machte er mich aufmerk-
ſam auf einen Gluͤck wahrſagenden Haarwirbel am Halſe in
Form einer Cypreſſe , und darauf , daß das Pferd drei weiße
Fuͤße habe ; ein und zwei weiße hat man gern , drei ſind
die vollendetſte Schoͤnheit , vier aber gilt fuͤr ſo haͤßlich , daß
Niemand ein ſolches Pferd kaufen mag . Zum Schluß wollte
mein Araber mir einen Rath geben , und ich war begierig ,
ihn zu erfahren : er beſtand darin , daß ich das Pferd nie
verkaufen moͤge . Die Pfeife und der Kaffee machten mei-
nen Gaſt ganz zutraulich , ich erfuhr , daß er ſelbſt ein Scheikh
oder Aelteſter eines Stammes ſei , und er verſprach mir ,
wenn ich ihn in ſeinem Aſchiret beſuche , ſo gehoͤre Alles ,
was er beſitze , mir . Deſſenungeachtet moͤchte ich meinem
kaffeebraunen Freund mit ſeinen Gefaͤhrten nicht in einem
einſamen Hohlweg begegnen , ohne daß ich deshalb ſchlech-
ter von ihm denke , als von den Raubrittern unſerer glor-
reichen Vorvaͤter . Jn ſeinem Zelte iſt dieſer Mann ein
Fuͤrſt , bei uns wuͤrde er als Vagabonde nach Strausberg
transportirt oder als unſicherer Cantonniſt zur Linie einge-
zogen werden .
Die Jagd iſt belohnend in der Tſchoͤll ; zahlloſe Ga-
zellen durchſtreifen ſie , und Faſanen und Rebhuͤhner ver-
bergen ſich in dem hohen Graſe . Wir waren am dritten
Marſchtag eben beſchaͤftigt , einigen Trappen nachzuſetzen ,
die ſich ſchwerfaͤllig emporſchwingen und auf kurze Entfer-
nung wieder einfallen , als bei der Caravane allgemeiner
Laͤrm entſtand . Die Araber kommen ! hieß es . Man hatte
in großer Ferne einen Schwarm geſehen , welcher ſich aͤu-
ßerſt ſchnell naͤherte . Die Tete unſerer Colonne machte
Halt , aber der Zug war wohl eine Meile lang , und wenig
Hoffnung , mit etwa ſechzig Bewaffneten den ganzen Con-
voy zu decken . Die Reiter ſprengten voraus auf einen
kuͤnſtlichen Erdhuͤgel , von wo ich mir die Araber zeigen
ließ ; wirklich bewegte ſich eine Menge ſchwarzer Punkte
mit großer Schnelligkeit durch die Ebene , da ich aber ein
kleines Fernglas bei mir fuͤhrte , ſo konnte ich die Geſell-
ſchaft bald davon uͤberzeugen , daß , was wir vor uns ſahen ,
nur ein ungeheures Rudel wilder Schweine ſei , die gerade
auf uns zu kamen . Bald erkannte man die Thiere mit
bloßen Augen .
Der Kjerwan-Baſchi erzaͤhlte mir heute Abend eine cha-
rakteriſtiſche Anekdote von einem Araber , welche ich ſchon
in Orfa gehoͤrt hatte .
Ein tuͤrkiſcher Cavallerie-General , Dano-Paſcha zu
Mardin , ſtand ſchon ſeit lange in Unterhandlung mit einem
arabiſchen Stamme wegen einer edlen Stute vom Geſchlecht
Meneghi ; endlich vereinigte man ſich zu dem Preiſe von
60 Beuteln oder nahe an 2000 Thalern . Zur verabredeten
Stunde trifft der Haͤuptling des Stammes mit ſeiner Stute
im Hofe des Paſcha's ein ; dieſer verſucht noch zu handeln ,
aber der Scheikh erwiedert ſtolz , daß er nicht einen Para
herablaſſe . Verdrießlich wirft der Tuͤrke ihm die Summe
hin mit der Aeußerung , daß 30,000 Piaſter ein unerhoͤrter
Preis fuͤr ein Pferd ſei . Der Araber blickt ihn ſchweigend
an und bindet das Geld ganz ruhig in ſeinen weißen Man-
tel , dann ſteigt er in den Hof hinab , um Abſchied von ſei-
nem Thiere zu nehmen ; er ſpricht ihm arabiſche Worte ins
Ohr , ſtreicht ihm uͤber Stirn und Augen , unterſucht die
Hufe und ſchreitet bedaͤchtig und muſternd rings um das
aufmerkſame Thier . Ploͤtzlich ſchwingt er ſich auf den nack-
ten Ruͤcken des Pferdes , welches augenblicklich vorwaͤrts
und zum Hofe hinausſchießt .
Jn der Regel ſtehen hier die Pferde Tags und Nachts
mit dem Palann oder Sattel aus Filzbecken . Jeder vor-
nehme Mann hat wenigſtens ein oder zwei Pferde im Stall
bereit , die nur gezaͤumt zu werden brauchen , um ſie zu be-
ſteigen ; die Araber aber reiten ganz ohne Zaum , der Half-
terſtrick dient , um das Pferd anzuhalten , ein leiſer Schlag
mit der flachen Hand auf den Hals , es links oder rechts
zu lenken . Es dauerte denn auch nur wenige Augenblicke ,
ſo ſaßen die Aga 's des Paſcha's im Sattel und jagten dem
Fluͤchtling nach .
Der unbeſchlagene Huf des arabiſchen Roſſes hatte
noch nie ein Steinpflaſter betreten , und mit Vorſicht eilte
es den holprigen ſteilen Weg vom Schloſſe hinunter . Die
Tuͤrken hingegen galopiren einen jaͤhen Abhang mit ſchar-
fem Geroͤll hinab , wie wir eine Sandhoͤhe hinan ; die duͤn-
nen , ringfoͤrmigen , kalt geſchmiedeten Eiſen ſchuͤtzen den Huf
vor jeder Beſchaͤdigung , und die Pferde , an ſolche Ritte
gewoͤhnt , machen keinen falſchen Tritt . Am Ausgange des
Orts haben die Aga 's den Scheikh beinahe ſchon ereilt ;
aber jetzt ſind ſie in der Ebene , der Araber iſt in ſeinem
Elemente und jagt fort in gerader Richtung , denn hier
hemmen weder Graben noch Hecken , weder Fluͤſſe noch Berge
ſeinen Lauf . Wie ein geuͤbter Jockey , der beim Rennen
fuͤhrt , koͤmmt es dem Scheikh darauf an , nicht ſo ſchnell ,
ſondern ſondern ſo langſam wie moͤglich zu reiten ; indem
er beſtaͤndig nach ſeinen Verfolgern umblickt , haͤlt er ſich
auf Schußweite von ihnen entfernt , dringen ſie auf ihn
ein , ſo beſchleunigt er ſeine Bewegung , bleiben ſie zuruͤck ,
ſo verkuͤrzt er die Gangart des Thiers , halten ſie an , ſo
reitet er Schritt . Jn dieſer Art geht die Jagd fort , bis
die gluͤhende Sonnenſcheibe ſich gegen Abend ſenkt ; da erſt
nimmt er alle Kraͤfte ſeines Roſſes in Anſpruch ; er lehnt
ſich vorn uͤber , ſtoͤßt die Ferſen in die Flanken des Thiers
und ſchießt mit einem lauten Jallah ! davon . Der feſte
Raſen erdroͤhnt unter dem Stampfen der kraͤftigen Hufe ,
und bald zeigt nur noch eine Staubwolke den Verfolgern
die Richtung an , in welcher der Araber entfloh .
Hier , wo die Sonnenſcheibe faſt ſenkrecht zum Hori-
zont hinabſteigt , iſt die Daͤmmerung aͤußerſt kurz , und bald
verdeckt die Nacht jede Spur des Fluͤchtlings . Die Tuͤr-
ken , ohne Lebensmittel fuͤr ſich , ohne Waſſer fuͤr ihre Pferde ,
finden ſich wohl zwoͤlf oder funfzehn Stunden von ihrer
Heimath entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend .
Was war zu thun ? als — umzukehren und dem erzuͤrnten
Herrn die unwillkommene Botſchaft zu bringen , daß Roß
und Reiter und Geld verloren . Erſt am dritten Abend
treffen ſie halb todt vor Erſchoͤpfung und Hunger , mit
Pferden , die ſich kaum noch ſchleppen , in Mardin wieder
ein ; ihnen bleibt nun der traurige Troſt , uͤber dieſes neue
Beiſpiel von Treuloſigkeit eines Arabers zu ſchimpfen , wo-
bei ſie jedoch genoͤthigt ſind , dem Pferde des Verraͤthers
alle Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen , und einzugeſtehen ,
daß ein ſolches Thier nicht leicht zu theuer bezahlt wer-
den kann .
Am folgenden Morgen , als eben der Jman zum Fruͤh-
gebet ruft , hoͤrt der Paſcha Hufſchlag unter ſeinen Fenſtern ,
und in den Hof reitet ganz harmlos unſer Scheikh . „ Si-
bi ! “ ruft er hinauf : „ Herr ! willſt du dein Geld oder mein
Pferd ? “ —
Etwas weniger ſchnell , als der Araber geritten war ,
erreichten wir am fuͤnften Tage den Fuß des Gebirges ,
und an einem klaren Bache das große Dorf Tillaja ; ohne
Zweifel das alte Tilſaphata , wo das verhungerte Heer Jo-
vians auf ſeinem Ruͤckzuge aus Perſien nach Niſibin die
erſten Lebensmittel wieder erhielt . Hier erfuhr ich , daß
am Morgen Mehmet-Paſcha mit einem Truppen-Corps
noͤrdlich hinauf zu einer Unternehmung gegen die Kurden
marſchirt ſei ; ich beſchloß ſofort , mich dieſer Expedition
anzuſchließen , verließ die Caravane und traf noch am ſel-
ben Abend im Lager ein . Dort erfuhr ich , daß Hafiß-
Paſcha uns funfzig Reiter zu unſerer Bedeckung entgegen
geſchickt hatte , die uns aber von Sindjar her erwarteten ,
und uns ſo verfehlt hatten .
44.
Belagerung eines Kurden-Schloſſes .
Sayd-Bey Kaleſſi , den 12. Mai 1838 .
Die Expedition Mehmet-Paſcha 's beſteht aus drei
Bataillonen des erſten und drei des zweiten Linien-Jnfan-
terie-Regiments , deren Staͤrke jedoch nicht uͤber 400 Mann ,
150 Pferde und 8 Geſchuͤtze . Das ganze Commando war
etwa 3000 Mann ſtark ; es iſt gegen einen kleinen Kurden-
Fuͤrſten gerichtet , der ſchon ſeit fuͤnf Jahren der Autoritaͤt
der Pforte trotzt , gewaltſam Steuern eintreibt und viele
Grauſamkeiten veruͤbt . Bei der Annaͤherung der Linien-
Truppen ſind nun faſt alle ſeine Anhaͤnger abgefallen , er
ſelbſt aber hat ſich mit 200 Vertrauten in ein angeblich
ſehr feſtes Caſtell in die hohen Berge geworfen .
Den 3. Mai trafen die Floͤße aus Diarbekir ein , und
ein Regiment nebſt der Artillerie uͤberſchritt den Tigris , der
Reſt der Truppen folgte den folgenden Morgen . Ein klei-
nes Floß von 40 Schlaͤuchen traͤgt ein ſchweres Geſchuͤtz
( ohne Protze ) mit 4 bis 5 Mann , die großen von 80 tra-
gen 15 Mann mit ihren Zelten ( welche ganz wie die preu-
ßiſchen , aber doppelt , aus Baumwolle und gruͤn angeſtri-
chen ſind ) , die Pferde ſind zu 2 oder 4 hinter die Floͤße
gebunden , und ſo uͤberſchritt die ganze Cavallerie den drei-
hundert Schritte breiten , ſehr reißenden Strom ohne ein
Thier einzubuͤßen . Die Mauleſel wurden mit Steinwuͤrfen
durch das Waſſer getrieben .
Wir bezogen am linken Ufer ein Lager , und die An-
ordnung deſſelben iſt ſpaͤter ſtets beibehalten worden .
Einen unerfreulichen Eindruck machen die Poſten , welche
alle 20 oder 40 Schritte Front gegen das Lager ſtehen und
die ganze Nacht jede Minute Haſir-ol ! — „ ſei bereit ! “ —
rufen . Deſſenungeachtet entfernen ſich viele der mit Ge-
walt eingeſtellten Kurden .
Den 5. Abends ritt ich nach einem Kurden-Schloſſe ,
welches Reſchid-Paſcha erobert , um einen ungefaͤhren
Begriff von dem zu bekommen , welches wir jetzt belagern
werden . Stelle Dir den Durchbruch eines Bachs , etwa
wie den Kocher , durch ein ſchroffes hohes Gebirg vor ; die
Schichtung des Geſteins iſt vollkommen lothrecht , und durch
die Verwitterung einiger der Schichten ſtehen die uͤbrigen
wie Rieſenmauern von ungeheuerer Hoͤhe und zwei bis drei
Arſchinen Maͤchtigkeit da .
Zwiſchen zwei ſolchen natuͤrlichen Steinwaͤnden nun ,
die etwa 40 Schritte von einander abſtehen moͤgen , war
das Schloß Vede-han-Bey 's wie ein Schwalbenneſt ein-
geklemmt , indem , wie ſich die hinterliegende Bergwand er-
hob , eine Etage auf die andere empor ſtieg . Von oben
war das Schloß gar nicht zu ſehen , von beiden Seiten
durch die Felsmauer geſchuͤtzt , und gegenuͤber , jenſeit des
Baches , befindet ſich auf unerſteiglichen Klippen ein Thurm
geſpießt , von dem man nicht begreift , wie die Vertheidiger
hinein kamen . Ein reicher Quell , der jetzt uͤber die Truͤm-
mer ſtuͤrzt , ſpeiſete vormals die Ciſternen .
Reſchid ließ ſeine Kanonen auf Kameele packen und
waͤhrend der Nacht den Fluß hinauf waten ; dann beſchoß
er , aber ſchraͤg und aus großer Ferne , das Schloß vierzig
Tage lang , bis endlich der Bey „ Rai “ , oder Freundſchaft ,
bot , und nun mit ſeinem zahlreichen Anhang das Schloß
ſeines vormaligen Genoſſen Sayd Bey beſtuͤrmt . Zur Be-
lohnung wird er Mir-Alai eines Rediff-Regiments , welches
noch nicht exiſtirt .
Den 7. Mai . Geſtern wurde ich des langen Nichts-
thuns im Lager von Dſcheſireh muͤde , und ritt , nur von
einem Aga begleitet , die zwei Maͤrſche bis zum Schloſſe
Sayd Bey 's voraus .
Als ich gegen Mittag um eine Felsecke ritt , und das
weiße ſtattliche Schloß in ſolcher formidabeln Hoͤhe uͤber
mir und ſo weit entfernt von allen umliegenden Hoͤhen er-
blickte , da draͤngte ſich mir die Bemerkung auf , daß vier-
17
zig entſchloſſene Maͤnner hier wohl einen ſehr langen Wi-
derſtand leiſten koͤnnten . Es ſind aber gluͤcklicherweiſe zwei
hundert Maͤnner darin , und das iſt gut fuͤr uns , denn
einmal eſſen Zweihundert mehr als Vierzig , und dann fin-
det man leichter vierzig als zweihundert entſchloſſene Leute .
Unſere verbuͤndeten Kurden hatten bereits gute Arbeit ge-
macht und eine Menge kleiner Thuͤrme , verſchanzter Hoͤh-
len ꝛc. genommen , welche die Zugaͤnge zur Hauptfeſtung
decken und auf den erſten Blick faſt ganz unzugaͤnglich er-
ſcheinen . Dieſe Leute ſind vortreffliche Schuͤtzen , trotz ihrer
langen altmodiſchen Gewehre mit damascirten Laͤufen und
oft noch mit Luntenſchloͤſſern ; ſie ziehen faſt nur des Nachts
zu ihren Unternehmungen aus , Tags liegen ſie hinter den
Steinen verſteckt ; uͤberall findet man einen Trupp , und
wo ſich der Kopf eines Feindes zeigt , da ſetzt es eine Ku-
gel . Die Kurden benutzen uͤbrigens die Gelegenheit , wo
Pulver und Blei ihnen nichts koſtet ; das Schloß dagegen
feuert wenig , mit Bedacht und zielt genau . Geſtern wa-
ren drei Leute aus unglaublicher Entfernung getroffen . —
Kanonen hat die Feſtung nicht , aber die Wallbuͤſche iſt fuͤr
die Vertheidigung eine nicht zu verachtende Waffe , und ihr
Feuer nur mit der Eroberung des Platzes ſelbſt zu daͤm-
pfen . Als ich mit einem ſtattlichen Schimmel erſchien und
die Kurden ſich um mich her draͤngten , pfiff auch gleich
eine Kugel durch die Blaͤtter des Nußbaums , unter wel-
chem wir hielten .
Jch benutzte die Zeit zur Recognoſcirung , denn vier
und zwanzig Stunden ſpaͤter trifft Mehmet Paſcha mit
ſeinem Corps ein .
Sayd-Bey-Kaleſſi liegt auf einer wohl 1000 Fuß ho-
hen Klippe , die nur noͤrdlich mittelſt eines ſcharfen , un-
gangbaren Grats mit der noch ganz beſchneiten Haupt-
maſſe des Gebirgs zuſammen haͤngt . Oeſtlich und weſtlich
iſt es von tiefen Felsſchluͤnden umfaßt , die ſich an der
Suͤdſeite in ein Thal vereinen , in welchem wir lagern ; nur
ein einziger ſchmaler Saumpfad windet ſich in endloſen
Zickzacks bis zu den Thuͤrmen und Mauern hinauf , und
iſt durch allerlei Außenwerke noch geſperrt ; die Wege im
Thal ſind von den Zinnen des Schloſſes beherrſcht , jen-
ſeit der Schluchten erheben ſich zwar oͤſtlich und weſtlich
die Felſen bis zu faſt gleicher Hoͤhe mit der Burg , aber
ſie ſind ſo ſchroff und oben ſo ſcharf , daß es ſehr ſchwer
moͤglich ſein wird , dort Batterien zu etabliren .
Begleitet von kurdiſchen Fuͤhrern erkletterte ich dieſe
Hoͤhen von allen Seiten , und kehrte erſt ſpaͤt Abends und
aͤußerſt ermuͤdet zu Vede-han-Bey zuruͤck . Das Zelt
dieſes Fuͤrſten aus ſchwarzen Ziegenhaaren war am Rande
eines ſchaͤumenden Gebirgsbachs aufgeſchlagen ; an einem
großen Feuer wurden kleine Schnittchen Hammelfleiſch zu
Kjebab ( Braten ) geroͤſtet ; vor uns ſtanden 40 oder 50 Kur-
den mit ihren langen Flinten , Dolchen , Piſtolen und Meſ-
ſern in der eigenen ſehr kleidſamen Tracht ; die Vornehm-
ſten kauerten an der Erde ; rings umher loderten Wach-
feuer , und hoch uͤber uns ſchoſſen ſich die Wachen im Mond-
ſcheine noch herum . Die ſehr große Ermuͤdung ließ mich
nach eingenommener Mahlzeit unter dem Pelze des Bey 's
auf ſteinigem Lager ( denn mein Zelt und Gepaͤck war mit
meinen Leuten zuruͤckgeblieben ) ſehr bald einſchlafen .
Um Mitternacht ſtand ich wieder auf , durchſtreifte nun
die naͤhere Umgebung der Burg , und vor Ankunft des Pa-
ſcha's war kein irgend wichtiger Punkt oder Fußweg , den
ich nicht gekannt haͤtte .
Meine Anſicht uͤber die Angriffsweiſe ſteht feſt . Die
ſaͤmmtlichen Wurfgeſchuͤtze muͤſſen auf die oͤſtliche Hoͤhe ge-
bracht werden , das Schloß iſt gegen dieſe Seite geoͤffnet ,
es zeigt Thuͤren , Fenſter , kurz bietet ein weites Ziel ; der
Schloßhof iſt gegen dieſe Seite bedeutend geneigt , mit Vieh
aller Art angefuͤllt . Die ſchweren Kanonen hingegen muͤſ-
ſen nach der weſtlichen Hoͤhe . Jſt die Garniſon zaghaft
( viele dieſer Menſchen haben nie ein Geſchuͤtz geſehen ) , ſo
wird die erſte Batterie ſie zur Uebergabe vermoͤgen ; ſind
ſie hartnaͤckig , ſo muß von der zweiten aus Breſche an der
einzigen fuͤr die Jnfanterie zugaͤnglichen Stelle des Schloſ-
ſes gelegt werden .
Den 8 . Das Corps traf geſtern Abend ein , und man
trat ſogleich in Unterhandlung , aber ſo ungeſchickt wie moͤg-
lich . Man fing damit an , ſaͤmmtliche Geſchuͤtze ohne Ku-
geln abzufeuern , und ſchickte dann einen Parlamentair , der
zur Uebergabe aufforderte ; der Bey iſt ganz dazu bereit ,
aber auf Bedingungen , die er ſelbſt vorzuſchreiben die Guͤte
hat . So hat ſich die Unterhandlung bis heute hingezogen ,
und nun muͤſſen denn doch die Top-Mop ( Kanonen und
Zubehoͤr ) hinaufgeſchleppt werden .
Abends . Wenn ich Dir ſchreibe , daß wir mit unſerm
13 Okalik Mortier die Adler aus ihrem Horſt vertrieben , ſo
mußt Du das ganz buchſtaͤblich nehmen . Nie habe ich ge-
glaubt , daß ohne alle Jnſtrumente , als ein paar hoͤlzerne
Stangen , bloß mit Menſchenhaͤnden ſo etwas zu leiſten ſei ;
vor jedes Geſchuͤtz wurde ein halbes Bataillon geſpannt ,
die andern gingen vorher , hieben Baͤume um , waͤlzten rie-
ſenhafte Steine aus dem Weg , die donnernd in die Kluft
ſtuͤrzten , oder hoben die Raͤder uͤber Bloͤcke , die nicht wei-
chen wollten ; nach ſechs Stunden Arbeit ſtanden die bei-
den Geſchuͤtze ( der Mortier auf dem Sattelwagen ) auf der
Felſenſpitze .
Aber wir haben heute noch ein ſtaͤrkeres Stuͤckchen ge-
macht , und ich ſehe , daß im Kriege ein tuͤchtiges Anfaſſen
viel Gelehrſamkeit erſetzt . Leute , denen der Paſcha Gehoͤr
gegeben , hatten ihm Vorſchlaͤge gemacht , Geſchuͤtz auf al-
lerlei Punkten aufzuſtellen ; als ich heute fruͤh zu ihm kam ,
fragte er mich um meine Meinung ; ich ſagte , daß ich ſie
ihm bereits den erſten Tag entwickelt , und daß ich bei
dem Punkte weſtlich vom Schloſſe beharrte . Nun ſchickte
er beide Regiments-Commandeure , den Topdſchi-Baſchi und
den Muhendis-Baſchi , mit mir nach jenem Punkte ; keiner
von ihnen war noch oben geweſen , und Alle fanden den
Punkt vortrefflich . Man kann aber dahin nur entweder
auf einem ſehr weiten , beſchwerlichen Umweg , oder dicht
unter dem Schloſſe wegkommen ; ich hatte vorgeſchlagen ,
waͤhrend der Nacht den letzteren zu waͤhlen . Mehmet-
Bey fuͤhrte mit Recht dagegen an , daß es viele Kugeln
ſetzen wuͤrde , und wollte den erſten Weg . Nun muß ich
Dir ſagen , daß die Hoͤhe , uͤber die wir den Umweg neh-
men ſollten , mindeſtens 600 Fuß betraͤgt , eine allgemeine
Boͤſchung von 45 bis 60 Grad hat , theilweiſe aber auf
Strecken von 6 bis 8 Ruthen ganz ſchroff und durchweg
mit Geroͤll und Felsbloͤcken uͤberſchuͤttet iſt . Ueber dieſe
Barriere wurde geſetzt , und Abends in der Dunkelheit noch
donnerten die beiden erſten Kugeln gegen die Mauern des
Kurden-Schloſſes .
Daß die Leute heute , wo ſie uns mit einem Gefolge
von Tſchauſchen als hoͤhere Offiziere erkennen mußten , als
wir dicht unter dem Schloſſe wegritten , gar nicht ſchoſſen ,
daraus ſchließe ich , daß ſie bald capituliren und die Bela-
gerer nicht erbittern wollen . ( Es bleibt mir immer uͤbrig ,
dieſe Prophezeihung auszuſtreichen , wenn ſie nicht eintrifft ;
geſchieht es aber , ſo habe ich's vorhergeſagt . )
Den 9. Heute fruͤh wurde das Feuer eroͤffnet ; die
fuͤnf Geſchuͤtze , welche bis jetzt oben ſind , thaten jedes 20
bis 30 Schuß . Die Haͤlfte der Bomben fiel in den Schloß-
hof , doch verurſachte das Platzen ( welches nicht immer er-
folgte ) viel weniger Schaden , als ich geglaubt , weil das
Terrain aͤußerſt uneben iſt ; zweimal fielen die Bomben auf
die Terraſſe des Schloſſes , jedoch ohne durchzuſchlagen , die
„ Baljemeß “ ( die ſchweren Kanonen , woͤrtlich „ die nicht
Honig freſſen “ ) und das 5 Okalik ſchoſſen ſehr ungleich .
Etwa ein Drittel der Kugeln traf das Schloß , ein Drittel
fiel in den Hof , ein Drittel ging daruͤber weg ; eine Kugel
fuhr durch die Thuͤr des Thurms , und wird wohl etwas
„ Kalabalyk “ in ſeinem Jnnern gemacht haben .
Die Entfernung der weſtlichen Batterie iſt 750 , die
der oͤſtlichen aber 850 Schritte vom Schloſſe . Du wirſt
ſagen : das iſt zu weit ; aber , „ ne japalym “ , was koͤnnen
wir thun ? wir danken Gott , ſo nahe gekommen zu ſein .
Der Feind zeigt uͤbrigens gute Contenance ; wenn wir vor-
bei ſchießen , ſo verhoͤhnt er uns mit lautem Geſchrei , tref-
fen wir , ſo erwiedert er mit Flintenſchuͤſſen , von denen wir ,
bei der Entfernung , aber gar keine Notiz nehmen . Mei-
nes Wiſſens iſt von dem Niſam noch Niemand verwundet ,
von unſern Kurden jedoch viele . Der Paſcha hat mir ſo
eben den Auftrag gegeben , heute Nacht nach dem Schloſſe
hinauf zu ſteigen , um einen Ort auszuſuchen , wo man den
Mineur anſetzen kann .
Da morgen ein Tatar von Diarbekr abgeht , ſo uͤber-
ſende ich Dir dieſen Bericht , den ich inschallah fortſetzen
werde. Vorgeſtern ( eben als wir die Geſchuͤtze hinauf ge-
bracht ) erhielt ich Deine Briefe vom 28. Maͤrz bis 8. April ,
fuͤr die ich Dir ſehr danke ; Du kannſt Dir denken , daß ich
mich ſehr daruͤber freute , denn jenſeits des Tigris hat ein
freundlicher Gruß von europaͤiſchen Bekannten und Freun-
den zehnfachen Werth .
Den 10. N. S. Jch bin von meiner geſtrigen Re-
cognoſcirung zuruͤck ; der Paſcha hatte einen Kurden-Aga
als Fuͤhrer , zwei Capitains , meinen Aga und zwei Lahumd-
ſchi oder Mineurs zu meiner Begleitung beſtimmt , da ich
aber noch bei Tage ſehen wollte , ſo ging ich mit den Mi-
neurs allein voraus . Jch ſelbſt werde wohl einer der be-
ſten „ Claus “ oder Fuͤhrer in dieſen Bergen ſein .
Jch habe Dir ſchon geſchrieben , daß die Kurden des
Nachts ſehr keck zu Werke gehen und ſich nach und nach in
großer Naͤhe rings um das Schloß feſtgeſetzt haben . Ein
ſolcher Punkt iſt der Gipfel grade hinter dem Schloſſe , wel-
cher mir der guͤnſtigſte fuͤr die jetzige Unternehmung ſchien ;
ohne ſonderlich angefochten zu werden , gingen wir weſtlich
unten am Schloſſe weg und kletterten in einer Schlucht
6- bis 700 Fuß in grader Linie in die Hoͤhe . Die Sonne
war nicht laͤngſt erſt untergegangen , und ich ſah das Schloß
in einer Entfernung von 240 Schritten vor mir ; von dem
Felſen , der mich und funfzig Kurden gaͤnzlich verdeckte , er-
ſtreckt ſich bis zum Fuße der Feſtung eine 100 Schritte
breite Ebene , nur von wenigen kleinen Unebenheiten unter-
brochen . Jenſeits erhebt ſich dann die unflankirte Mauer
ohne Thuͤren oder Fenſter mit Zinnen gekroͤnt , hinter deren
Scharten man die Wachen auf und ab ſchreiten ſah .
Es war indeſſen unerlaͤßlich , weiter vorzudringen , die
Kurden zeigten die groͤßte Bereitwilligkeit , mir beizuſtehen ,
und baten nur die Nacht abzuwarten . Aber freilich ſtieg
mit der Nacht auch der Vollmond in ſeiner ſuͤdlichen Klar-
heit uͤber die Berge empor .
Als es auf dem Schloſſe ſtill geworden , ſchritten wir
ſchnell und gebuͤckt uͤber die Ebene etwa hundert Schritte
bis zu einigen Steinhaufen , hinter denen wir niederknieten .
Als dies unbemerkt geſchehen war , ſchlichen wir uns , in
ſofern man mit tuͤrkiſchen Stiefeln ſchleichen kann , bis zu
einem letzten deckenden Steinblock , welcher nur noch 25
oder 30 Schritte vom Fuße der Mauer entfernt war . —
Der Ort waͤre vortrefflich geeignet geweſen , den Mineur
anzuſetzen , wenn man ſich einige Wochen Zeit laſſen wollte .
Unter unſerm Mineur mußt Du Dir aber einen ehrlichen
Steinarbeiter denken , einen armen Rajah , den man zwingt ,
ſein friedliches Handwerk zu dieſen kriegeriſchen Zwecken
zu uͤben .
Der Mann war willig , gegen eine Belohnung mit
einem Kurden bis an die Mauer ſelbſt vorzudringen ; laut-
los krochen ſie , als eben eine Wolke den Mond verdunkelte ,
vorwaͤrts , und wir blickten ihnen mit geſpannter Aufmerk-
ſamkeit nach , nur die Koͤpfe uͤber den Stein erhebend .
Wahrſcheinlich befanden wir uns ſchon unter dem Schuß
der Scharten , und dreißig Gewehre lagen in Anſchlag ,
falls ſich ein Arm uͤber die Zinne biegen ſollte . — Es
dauerte etwa zehn Minuten , als unſere Leute mit dem Be-
richt zuruͤckkehrten , daß ſie uͤberall Fels und nirgend Erd-
reich oder die kleinſte Hoͤhle am Fuße der Mauer gefun-
den , welche einen Mann decken koͤnnte .
Arbeiten konnte man in dieſer Nacht nicht mehr , und
geſehen hatten wir . Wir traten daher ſo behutſam , wie
wir gekommen , den Ruͤckzug an ; aber kaum hatten wir
zwanzig Schritte gemacht und waren ins Freie getreten ,
ſo blitzte es von den Zinnen und die Kugeln pfiffen uns
um die Ohren . Wir , ohne ſonderlich zu verweilen , ſtolper-
ten uͤber Geroͤll und Steine fort und befanden uns bald
in Sicherheit ; ſtiegen ins Thal hinab , und das Tirailleur-
Gefecht , welches ſich jetzt entzuͤndet hatte , ſpielte bald hoch
uͤber unſern Koͤpfen .
Jch habe nun dem Paſcha vorgeſchlagen , heute Abend
eine einfache Vorrichtung in Anwendung zu bringen , naͤm-
lich ein tragbares Dach aus ſtarken Bohlen , welches dem
Mineur Schutz fuͤr den erſten Augenblick der Arbeit ge-
waͤhrt . Ein Kurde hatte ſich erboten , daſſelbe gegen die
Mauer zu legen , der Lahomdſchi ſetzt ſich darunter und
hundert Kurden liegen bereit , auf Alles zu feuern , was ſich
hinter den Zinnen blicken laͤßt . Der Mineur arbeitet nicht
in den Fels , ſondern gleich in die Mauer hinein ; ſobald
er anderthalb Arſchinen tief iſt , ſetzen wir ein Faß Pulver
in das Loch ohne weitere Verdaͤmmung , und , inschallah ,
die Breſche iſt da ; ſollte das nicht gluͤcken , ſo hindert
nichts , die Arbeit fortzuſetzen . Der Paſcha hat dieſen Plan
genehmigt . Heute ſchießen wir nicht viel , weil unſere Ku-
geln noch von Dſcheſireh unterwegs ſind ; wir ſind geſtern
zu hitzig geweſen .
Abends . Es iſt den ganzen Tag parlamentirt wor-
den ; Sayd-Bey bietet ſeinen Sohn als Geißel , will aber
frei abziehen . Jn einer zweiten Sentenz erbietet er ſich ,
ſein Schloß mit Allem , was darin iſt , zu geben ; der Pa-
ſcha will aber , er ſoll ſelbſt kommen . Eben ließ der Pa-
ſcha mich rufen , um dieſer Empfangsſcene beizuwohnen .
Der Beſuch des Mineurs ſo unmittelbar unter den Mau-
ern iſt im Schloſſe nicht verborgen geblieben , und hat dort
die lebhafteſte Beſorgniß erregt .
Der Paſcha empfing ſeinen bisherigen Feind im gro-
ßen Zelte ; die Regiments- und Bataillons-Commandeurs
ſaßen ( oder vielmehr knieten ) zu beiden Seiten ; vor dem
Zelte ſtanden die Hauptleute . Ein Zug von Kurden be-
wegte ſich langſam den ſteilen Berg herab , und nach einer
halben Stunde ſtieg der Bey vor unſerm Zelte vom Pferde .
Wenn ich bedachte , daß er ein ſchoͤnes Schloß , in dem er
eben Koͤnig war , mit einer Menge von Reichthuͤmern aus-
lieferte , und daß er nach allen bisherigen Vorgaͤngen kei-
neswegs ganz ſicher ſein konnte , ob er ſeinen Kopf zum
Zelte wieder hinaus tragen werde , ſo konnte ich nicht um-
hin , die leichte ſichere Haltung zu bewundern , mit welcher
er auf den Paſcha zuſchritt und die Bewegung des Hand-
kuſſes machte . Der Paſcha und wir Alle waren aufgeſtan-
den ; Sayd kam nicht um Gnade flehend , denn dieſe wird
dem Ueberwundenen nicht gewaͤhrt , ſondern er bot Ray
oder Freundſchaft , die man von dem annimmt , welcher
Feindſchaft zu uͤben noch die Kraft hat . Der Bey ließ
ſich zwiſchen dem Paſcha und mir nieder , es wurden Pfei-
fen und Kaffee gereicht , und die Unterhaltung in kurdi-
ſcher Sprache gefuͤhrt , als ob nur ein Mißverſtaͤndniß ob-
gewaltet .
Sayd iſt ein großer ſchoͤner Mann mit ausdrucks-
vollem Geſicht ; ſeine kleinen Augen blitzten in der Ver-
ſammlung umher , aber ſein Geſicht war vollkommen ruhig .
Nun ſoll das Schloß geſchleift werden — es iſt ein Jam-
mer , aber freilich iſt es noͤthig ; wollte man einen Com-
mandanten mit einer Garniſon darauf ſetzen , ſo wuͤrde der
Commandant bald Sayd-Bey ſpielen .
Sayd-Bey-Kaleſſi ( im Lager ) , den 13. Mai 1838 .
Jch muß Dich nun auf ein paar Augenblicke in die
Burg hineinfuͤhren , welche ich Dir bisher von Außen ge-
zeigt , und Du wirſt in Gedanken leichter den ſteilen ge-
wundenen Pfad hinan kommen , als ich auf meinem Maul-
eſel , erſchoͤpft und muͤde wie ich bin .
So weit es mit einer Arſchine , einer Lanze und einer
Waſſerwaage geſchehen kann , habe ich die Hoͤhe gemeſſen ,
und habe gefunden , daß die Spitze des großen Thurms
1363 Fuß uͤber dem Zelte des Paſcha's in der Wieſe liegt .
Hinter den Couliſſen ſieht man anders , als vom Bal-
kon . Dies Schloß iſt ſtark durch ſeine Lage , aber ſchwach
durch ſeine bauliche Ausfuͤhrung ; es kann auf keine Weiſe
mit den ſoliden praͤchtigen Bauten der Genueſer verglichen
werden , die Mauern ſind duͤnn , gewoͤlbt war nur das
Kornmagazin , eine der Ciſternen und die obere Etage des
Thurms , welcher Sayd-Bey 's Gemach enthielt . Der Bau-
meiſter hatte ſich nie traͤumen laſſen , daß Kugeln von den
Klippen weſtlich des Schloſſes herkommen wuͤrden , und
hatte die Eingangsthuͤr dieſes Gemachs dorthin gekehrt .
Nun kam aber wirklich eine 3 Okalik Kugel von jenem
Adlerhorſt , zerſchmetterte den Schlußſtein des Gewoͤlbes
uͤber der Thuͤr , und fuhr in den Spiegel ( gewiß den ein-
zigen ſeiner Species funfzig Stunden in der Runde ) uͤber
des Bey 's Ruhebette .
Eine Bombe war in die oben offene Ciſterne gefallen ,
war dort geplatzt und hatte das Waſſer ganz untrinkbar
gemacht .
Unſer ſchwaches Kaliber hatte die Mauer ſtark genug
beſchaͤdigt , was nur bei der ſchlechten Beſchaffenheit der-
ſelben moͤglich war . Die Gegenwart eines fraͤnkiſchen Of-
ficiers hatte uͤbrigens dem Bey uͤble Preſſentiments gege-
ben ; meine unſchuldige Planchette , welche er auf allen Hoͤ-
hen , bald vor , bald hinter dem Schloſſe erblickte , ſchien
ihm eine Art Zauber , welche ihn umſtrickte , und er wuͤr-
digte ſie einer lebhaften Fuͤſilade . Wir haben dieſe De-
tails geſtern von Sayd-Bey ſelbſt erfahren . Jm Schloſſe
fand man ſehr reichliche Vorraͤthe an Korn , Gerſte , Schlacht-
vieh und Pferden ; Waſſer war genuͤgend vorhanden , aber
von ſchlechter Qualitaͤt . Es herrſchte eine Unreinlichkeit ,
welche der Garniſon verderblich werden mußte ; der Hof
lag uͤberdeckt mit Reſten von Lebensmitteln , Lumpen und
Thiergerippen , und die Luft war von Geſtank erfuͤllt . Un-
ter dem Thore trat mir ein Kurde entgegen , der ſeinen
verwundeten Bruder trug ; der arme Menſch war durchs
Bein geſchoſſen , und ſein Fuͤhrer erzaͤhlte mit Thraͤnen in
den Augen , daß er ſich nun ſchon den ſiebenten Tag hin-
quaͤle . Jch ließ den Feldſcheerer kommen : „ Es iſt ja ein
Kurde , “ ſagte dieſer zu wiederholten Malen mit ſtets ge-
ſteigerter Stimme , wie man Jemandem ſagt : „ begreifſt du
nicht , daß du Unſinn forderſt ? “
Nun iſt es wirklich ſchaͤndlich , 3000 Mann ins Feld
zu ſchicken , begleitet von einem einzigen unwiſſenden Bar-
bier . Einer unſerer Artilleriſten iſt ſchon vor acht Tagen
uͤbergefahren ; noch heute weiß Niemand , ob das Bein ge-
brochen , verrenkt oder nur gequetſcht iſt ; der Menſch liegt
ganz huͤlflos in ſeinem Zelte . Dieſen Zuſtand des Wund-
arzneiweſens , hoffe ich , wird Hafiß-Paſcha beim Se-
raskier zur Sprache bringen ; hier oder nirgends koͤnnen
Franken helfen . Beim Arzte ſteht auch noch die Sprache
im Wege , aber der Wundarzt ſieht , und hat wenig zu fragen .
Ehe ſie im Galata-Seraj ihren botaniſchen Garten und
ihre Hochſchule zu Stande bringen , ſterben ihnen Hunderte
ihrer Soldaten und zwar die beſten , die , welche am willig-
ſten ins Zeug gehen .
Den 16. Seit drei Tagen und Naͤchten ſteigen Rauch
und Flammen von den hohen Felſen empor , und geſtern
ſtuͤrzte die letzte Truͤmmer des großen Thurms . Wir er-
warten die Befehle des Commandirenden , wohin wir uns
nun zu wenden haben . Die Nachricht von der Wegnahme
des Platzes iſt vorgeſtern in Diarbekr eingetroffen , heut
muß die Antwort kommen .
45.
Die Berge von Kurdiſtan .
Sayd-Bey-Kaleſſi , den 18. Mai 1838 .
Das ottomaniſche Reich umfaßt bekanntlich weite Laͤn-
derſtrecken , in denen die Pforte thatſaͤchlich gar keine Auto-
ritaͤt uͤbt , und es iſt gewiß , daß der Padiſchah im Umfang
ſeines eigenen Staats ausgedehnte Eroberungen zu machen
hat . Zu dieſen gehoͤrt das Gebirgsland zwiſchen der per-
ſiſchen Grenze und dem Tigris ; die weiten Flaͤchen zwiſchen
dieſem Strom und dem Euphrat bilden eine Einoͤde ohne
Waſſer , ohne Baͤume , ohne irgend eine feſte Wohnung .
Einige wenige Truͤmmer zeugen davon , daß Menſchen ver-
ſucht haben , ſich hier anzubauen , aber die Araber laſſen
keine Art von Anſiedelung emporkommen ; ſie allein ſchla-
gen ihre Zelte in dieſer Wuͤſte auf .
Sobald man aber den Tigris uͤberſchritten , erhebt ſich
ein koͤſtliches Huͤgelland und ſteigt allmaͤhlig zum hohen Ge-
birge an , welches noch heute mit Schnee bedeckt iſt . Dort
entſpringen die Baͤche und Fluͤſſe , welche anfangs uͤber
ſtarre Felsbloͤcke und in tiefe Schluchten hinſtuͤrzen , dann
zwiſchen bewaldeten Berglehnen fortrauſchen und endlich
Gaͤrten , Wieſen und Reisfelder traͤnken . Eichen und Pla-
tanen bekleiden die Hoͤhen , die Thaͤler ſind von Feigen- ,
Oel- und Nuß-Baͤumen , Granaten , Wein und Oleander
erfuͤllt ; das Korn , in die leichten Furchen des braunen Bo-
dens ausgeſtreut , giebt den reichſten Ertrag , und wo der
Menſch gar nichts gethan , da ruft die Natur den pracht-
vollſten , mit Millionen buntfarbiger Blumen durchwebten
Graswuchs hervor , der faſt jeden Abend durch die Wolken
erfriſcht wird , welche ſich um die nahen Gipfel anſammeln .
Pferde , Schaafe , Kuͤhe , Ziegen gedeihen zu beſonderer Guͤte ;
in den Bergen liegt das Steinſalz zu Tage , und was ſie
ſonſt fuͤr Schaͤtze in ihrem Jnnern verſchließen moͤgen , hat ,
glaub' ich , noch kein Mineraloge erforſcht .
Wenn nun ein ſo reich begabtes Land doch zu mehr
als drei Viertel unangebaut liegt , ſo muß der Grund in
dem traurigen geſellſchaftlichen Zuſtande der Bewohner ge-
ſucht werden .
Der Kurde iſt faſt in allen Stuͤcken das Gegentheil
von ſeinem Nachbar , dem Araber , nur fuͤr die Raubſucht
theilen beide gleichen Geſchmack ; doch hat dabei der Ara-
ber mehr vom Diebe , der Kurde mehr vom Krieger an ſich .
Die Araber uͤben nur die Gewalt , wo ſie eben die Staͤrke-
ren ſind ; ſie fuͤrchten das Schießgewehr und ſuchen auf
ihren trefflichen Pferden das Weite ; ſie verſchmaͤhen den
Ackerbau und die Staͤdte , das Kameel erſetzt ihnen Alles ,
und befaͤhigt ſie , ein Land zu bewohnen , in welchem Nie-
mand ſonſt leben kann . Vor einem ernſtlichen Angriffe
weichen ſie in unerreichbare Entfernungen zuruͤck , und da
ſie nirgend eine zerſtoͤrbare feſte Niederlaſſung beſitzen , ſo
ſind ſie auch in dieſer Beziehung voͤllig unverwundbar .
Der Kurde hingegen iſt Ackerbauer aus Beduͤrfniß ,
und Krieger aus Neigung ; daher die Doͤrfer und Felder
in der Ebene , und die Burgen und Schloͤſſer im Gebirge ;
er ficht zu Fuß , Mauern und Berge ſind ſein Schutz und
das Gewehr ſeine Waffe . Der Kurde iſt ein vortrefflicher
Schuͤtze , das reich ausgelegte damascirte Gewehr erbt vom
Vater auf den Sohn , und er kennt es wie ſeinen aͤlteſten
Jugendgefaͤhrten .
Der Religion nach ſind die meiſten Kurden dieſer Ge-
gend Muhamedaner , nach der perſiſchen Grenze zu aber
wohnen viele Jacobitiſche Chriſten .
Es iſt der Pforte nie gelungen , in dieſen Bergen alle
erbliche Familiengewalt ſo zu Boden zu werfen , wie in den
mehrſten uͤbrigen Theilen ihres Reichs . Die Kurden-Fuͤr-
ſten uͤben eine große Macht uͤber ihre Unterthanen ; ſie be-
fehden ſich unter einander , trotzen der Autoritaͤt der Pforte ,
verweigern die Steuern , geſtatten keine Truppenaushebung ,
und ſuchen ihre letzte Zuflucht in den Schloͤſſern , welche
ſie ſich im hohen Gebirge erbaut .
Zu den bedeutendſten Haͤuptern gehoͤrte Revenduß-
Bey , den Reſchid-Paſcha beſiegt ; Vede-han-Bey ,
der heute an unſerer Seite ficht ; Sayd-Bey , deſſen
Schloß eben in Flammen auflodert , und Jsmael-Bey
von Acre , den die Pforte zum Paſcha erhoben , der aber in
ſeiner Treue verdaͤchtig iſt . Die Expeditionen gegen dieſe
Fuͤrſten waren ſtets von bedeutenden Opfern und Verluſten
begleitet ; der Krieg iſt theuer in dieſen Gegenden , weil das
Material ſchwer zu beſchaffen : eine Bombe , auf Mauleſeln
von Samſum hierher getragen , koſtet nahe an einen Louis-
d'or . Die feſten Schloͤſſer , obwohl nicht gegen Geſchuͤtz
erbaut , ſind vom Terrain ſo ſehr beguͤnſtigt , daß ſie ſaͤmmt-
lich 31 , 40 bis 42 Tage Widerſtand geleiſtet haben , Krank-
heit und Deſertion rafften dabei viel Menſchen hinweg , und
alle Verluſte waren doppelt empfindlich , weil ſie ſo ſchwer
zu erſetzen ſind .
Die Expedition Kurd-Mehmet-Paſcha 's iſt gluͤck-
lich geweſen ; fuͤnf Tage nach Eintreffen des Geſchuͤtzes war
der Platz zur Uebergabe gezwungen , der Geſundheitszuſtand
der Truppen iſt vortrefflich , der Verwundeten ſind nur we-
nige , faſt nur unter den verbuͤndeten Kurden , und dieſe
werden nicht gezaͤhlt . An der Eroberung einer kleinen Ge-
birgs-Feſtung , die ohnehin jetzt ein Schutthaufen iſt , kann
freilich dem Padiſchah wenig gelegen ſein , ſie war aber
einer der Centralpunkte des Widerſtandes gegen die Pforte .
Wie wichtig die Unterwerfung Sayd-Bey 's in dieſer Be-
ziehung iſt , wollen Sie daraus entnehmen , daß man jetzt
ungeſaͤumt zur Aushebung von zwei completten Rediff-Ba-
taillonen ſchreitet .
46.
Zug gegen die Kurden .
Karſann-Dagh , den 4. Juni 1838 .
Der Widerſtand der Kurden war mit dem Fall Sayds
nicht ſo allgemein beſeitigt , wie wir gehofft hatten ; es be-
findet ſich zwiſchen Muſch und Haſu ein Hochgebirge , wel-
ches bisher allen tuͤrkiſchen Armeen , ſelbſt der Reſchid-
Paſcha's , unzugaͤnglich geweſen . Dort erheben ſich ſchroffe
Kegel und Ruͤcken , von welchen der Schnee noch heute 1-
bis 2000 Fuß tief hinab reicht , und die zu den hoͤchſten
Bergen ganz Kleinaſiens gezaͤhlt werden . Dieſe Gegend
wird collectiv Karſann genannt , und iſt mit reichen Dorf-
ſchaften , Feldern , Baͤumen und Baͤchen ausgeſtattet ; keine
der Ortſchaften zahlt den Salian , keiner der Einwohner
laͤßt ſich zum Militairdienſt zwingen .
Um nun das Karſann-Gebirge der Pforte zu unter-
werfen , wurde eine ſehr bedeutende Ruͤſtung unternommen ;
denn nicht nur , daß mein Mehmed-Paſcha mit ſeinem
Corps durch das Herz von Kurdiſtan ſelbſt heranzog , ſon-
dern es brach auch der Commandirende ſelbſt von Diar-
bekir mit dem 19ten Jnfanterie-Regimente , zwei Cavallerie-
Regimentern der Garde ( nach Abzug des Commando's ,
welches wir bei uns hatten ) , einigen hundert Sipahi's ,
mehreren hundert Jrregulairen und drei Geſchuͤtzen , uͤber-
haupt 3000 Mann auf . Entboten war ferner der Schir-
van-Bey , welcher oͤſtlich von Karſann ſitzt , mit ſeinen ir-
regulairen Kurden , der Paſcha von Muſch , der aber ſelbſt
ein Kurde iſt , und ſogar der Erzerum-Valeſſi , von deſſen
Eingreifen ich jedoch bis heute noch nichts erfahren . —
So ſollte Karſann rings umſchloſſen und von allen Seiten
zugleich angegriffen werden . Man rechnete die Gegner auf
30,000 Gewehre ; es fehlt ihnen aber aller Zuſammenhang ,
kein Fuͤhrer ſteht an ihrer Spitze , kein Schloß , keine Fe-
ſtung giebt ihrem Widerſtande dauernde Kraft .
Unſer Weg nach Karſann durch die oberen Parallel-
thaͤler der Tigriszufluͤſſe mit beſtaͤndiger Ueberſchreitung der
1- bis 2000 Fuß hohen Waſſerſcheiden war ungemein muͤh-
ſam . Man kann nicht leugnen , daß Reſchid-Paſcha
große Arbeit in dieſem Lande gemacht ; er war es auch ,
der zuerſt eine ſolche Straße mit Geſchuͤtz zu befahren ge-
wagt . Wir folgten keuchend ſeiner Spur ; aber einen eigent-
lichen Weg darfſt Du Dir nicht vorſtellen . Wir hatten
zehn ſtarke Pferde vor jedem Geſchuͤtz , und ſo ging es uͤber
Steine und Geroͤlle , in Flußthaͤlern , an Berglehnen hin ;
oft aber war der Pfad ſo gewunden und ſteil , daß Men-
ſchenhaͤnde das Beſte thun mußten . Es war ſchwer , in
dieſem hohen Gebirge die Lagerplaͤtze fuͤr Zelte zu finden .
Niemals haͤtte ich gedacht , daß bei einem Kriege in der
Tuͤrkei mir die Saatfelder ein Hinderniß beim Lager-Ab-
ſtecken ſein wuͤrden , und doch war dies der Fall . Wir
zogen durch befreundete Kurden-Doͤrfer und reſpectirten die
Saat , als ob es Teltower Ruͤbenfelder waͤren ; dies Ver-
fahren iſt ſehr klug und nicht genug zu ruͤhmen . Der Pa-
ſcha ſelbſt haͤlt zuweilen eine Stunde vor einem Dorfe , bis
der Zug voruͤber war , damit Niemand ſich Erpreſſungen
erlaube ; auch kamen die Kurden ohne Furcht nach dem Ba-
zar in unſerm Lager , wo ſo ihre Waaren zum Verkauf
brachten . Das iſt ein maͤchtiger Schritt zur guten Ord-
nung , den Du beim Seraskier hoch toͤnen laſſen kannſt .
Die Fluͤſſe ſetzten uns große Hinderniſſe in den Weg ; das
Doghan-ſuj war 150 Schritte breit und noch viel reißen-
der , als der Tigris ; die Floͤße kamen uͤber 1000 , ſelbſt
uͤber 1500 Schritte unterhalb des Abfahrtspunktes an ; wir
brauchten volle zweimal vier und zwanzig Stunden , um un-
ſer kleines Heer nebſt unſern Heerden uͤberzuſetzen , waͤhrend
deſſen ich eine Excurſion nach dem nahen Sert oder Soͤoͤrt
machte , einer ſchoͤnen Gebirgsſtadt , die aber ſeit dem letz-
ten Kriege noch zum Theil in Ruinen liegt . Einen Marſch
weiter ſtanden wir wieder an einem Waſſer , des Jeſid-hane-
ſuj , welches 3- bis 400 Schritte breit , aber ſeicht war ;
wir wollten hier nicht wieder liegen bleiben , ſondern um
jeden Preis durch ; beim erſten Verſuch waͤre mein Pferd
beinahe mit mir davon geſchwommen , kaum daß es noch
Grund faßte . Wir fanden eine Stunde weiter oben eine
beſſere Stelle , und dort ging das Corps ſofort uͤber , die
Jnfanterie bis uͤber die Bruſt im Waſſer ; die Geſchuͤtze
verſchwanden ganz , und obſchon ſie ſich an 8000 Fuß uͤber
dem Meeresſpiegel befinden mochten , ſo waren ſie doch voll-
kommen unter dem Flußſpiegel .
Wir waren jetzt einen kleinen Marſch vom Staͤdtchen
Haſu , welches feindlich geſinnt iſt . Am folgenden Morgen
ruͤckten wir vorſichtig in zwei Colonnen heran , die Artille-
rie ſollte uns ſofort den Eingang oͤffnen , als wir erfuhren ,
daß Niemand als wehrloſe Rajahs dort zuruͤckgeblieben , alle
Moslem aber in die Gebirge entwichen ſeien . Wir bezogen
ein Lager vor der Stadt ; der Paſcha ſchickte mich zu einer
Recognoſcirung vor , um das Lager fuͤr den naͤchſten Tag
aufzuſuchen ; dazu gab er mir ein paar Dutzend kurdiſche
Reiter mit , die nur mit Lanzen , Saͤbeln und Schilden be-
waffnet waren . Das Dorf , wohin ich wollte , und deſſen
Lage ſehr guͤnſtig war , um von dort weiter ins Gebirge ein-
zudringen , war drittehalb Stunden entfernt ; als unterwegs
von den Bergen ein paar Schuͤſſe fielen , wollten die Jrre-
gulairen nicht mehr fort , und da ich mit ihnen nicht ſpre-
chen konnte , ſo blieb mir nichts uͤbrig , als allein weiter zu
reiten , worauf ein Kurde mir folgte . Jch fand das Dorf
verlaſſen , den Lagerplatz aͤußerſt guͤnſtig . Nachdem ich dem
Paſcha dieſen Bericht gemacht , nahm ich Gelegenheit , ihm
zu ſagen , daß man bei uns einem recognoſcirenden Offizier
18
eine Patrouille Jnfanterie , auch wohl , wenn es noͤthig , ein
Bataillon mit einigen Geſchuͤtzen mitgaͤbe .
Am folgenden Morgen ruͤckten wir fruͤh in das neue
Lager ; Alle waren entzuͤckt uͤber eine maͤchtige Quelle , die
ein ſilberhelles Baſſin bildet , uͤber große Nußbaͤume , weite
Kornfelder und einen fahrbaren Weg . Das Dorf wurde
ſofort in Brand geſteckt , ich ſuchte vergebens dagegen ein-
zureden : man muͤſſe den Fluͤchtigen Strenge zeigen , denen ,
die blieben , hingegen Pardon ſchenken , ſonſt kaͤme man nie
zu Ende . Kaum waren wir angekommen , ſo erſchien der
Befehl des Commandirenden , uns mit ihm zu vereinigen ;
mit Zuruͤcklaſſung der Geſchuͤtze , ruͤckte die Jnfanterie ſo-
gleich in der befohlenen Richtung ab . Unterwegs wurden
wohl ein Dutzend Doͤrfer angezuͤndet ; endlich gelangten wir
in einem tiefen Gebirgsthal an ein großes Dorf , Papur ,
deſſen Einwohner nicht geflohen ; ſie ſtanden vielmehr auf
den flachen Daͤchern ihrer Haͤuſer , feuerten ſchon aus der
Ferne auf uns und riefen : wir moͤchten nur naͤher kommen .
Wir erfuhren , daß Hafiß-Paſcha geſtern mit Verluſt vor
dieſem Defilee zuruͤckgeſchlagen war . Das Dorf lag etwa
200 Fuß hoch am Fuße einer ſteilen Felswand ; ich ſchlug
Mahmut-Bey auf Befragen vor , mit Tirailleurs das
Dorf links zu umgehen , wo ein Huͤgelruͤcken und Baͤume
uns gegen ſein Feuer deckten , dann die hintere Felswand zu
erſteigen und ſo von oben herab das Dorf zu ſtuͤrmen , wo-
durch den Einwohnern jeder Ruͤckzug abgeſchnitten , denn
ſonſt hatte man ſie morgen noch einmal zu bekaͤmpfen . —
Die Tirailleurs gingen unverzagt vor , zwar kam oben vom
hohen Kamme des Gebirgs von den dorthin Gefluͤchteten
einiges Feuer , es war aber ohne ſonderliche Wirkung ; bald
ſtanden wir den Einwohnern uͤber den Koͤpfen ; ein Hagel
von Schuͤſſen vertrieb ſie von ihren flachen Daͤchern , und
mit Schrecken ſahen ſie ihren Ruͤckzug bedroht . Jetzt ging
es mit Allah ! Allah ! in das Dorf hinab ; viele Fluͤchtlinge
wurden mit dem Bayonnet niedergeſtoßen , andere entkamen
auf Umwegen .
Jch hatte die ganze Parthie zu Mauleſel mitgemacht ,
weil ich ſchon ſeit einigen Tagen aus Erſchoͤpfung unwohl
und zu ſchwach zum Gehen war . Die Haͤuſer waren voll-
geſtopft von Sachen , wahrſcheinlich aus den naͤchſten Doͤr-
fern , und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den-
ſelben zuruͤck ; ein Cavalleriſt bat mich ganz treuherzig , ſein
Pferd zu halten , was ich that , bis er ſeine Taſchen gefuͤllt .
Aber der Aufenthalt im Dorfe war ſehr unfreundlich , da
man von oben noch immer ſchoß ; der Kolagaſſi erhielt ne-
ben mir einen Schuß durch die Hand , und ich gab ihm
den Mauleſel meines Aga 's , damit er ſich entferne . Man
mußte ſich dicht an die Mauern preſſen ; zuletzt hielt nur
noch ein Haus , es widerſtand vier bis fuͤnf Stunden lang
mit der wuͤthendſten Verzweiflung ; der Haͤuptling des Orts
hatte ſich mit ſeiner Fahne hineingeworfen . Fuͤr ihn war
keine Rettung auf dieſer Erde , denn Gnade konnte er nicht
hoffen , er wollte daher nur ſein Leben theuer verkaufen ; durch
dieſelben Fenſteroͤffnungen ſchoß man hinein und heraus .
Jch war waͤhrend dem zu Hafiß-Paſcha geritten ,
welcher das Defilee geoͤffnet gefunden und dem Kampfe un-
ten von einem kleinen Huͤgel zuſah ; dorthin brachte man
die Trophaͤen und Gefangenen ; Maͤnner und Weiber mit
blutenden Wunden , Saͤuglinge und Kinder jedes Alters ,
abgeſchnittene Koͤpfe und Ohren , Alles wurde den Ueber-
bringern mit einem Geldgeſchenke von 50 bis 100 Piaſtern
bezahlt. M. wuſch den verwundeten Gefangenen die Wun-
den aus und verband ſie , ſo gut es gehen wollte ; der
ſchweigende Kummer der Kurden , die laute Verzweiflung
der Frauen gewaͤhrten einen herzzerreißenden Anblick .
Das Schlimmſte iſt , wie ſoll man einen Volkskrieg im
Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fuͤhren ? Unſer Verluſt
iſt nicht unbedeutend . Mehmet-Bey und Mehmet-Pa-
ſcha traf ich beim Sturm in der vorderſten Reihe der Ti-
railleurs ; Letzterm wurde das Pferd erſchoſſen . Den fol-
genden Tag war Ruhe , dann ging es weiter in die Berge ,
wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-
trieben worden ſind ; ich konnte dieſem Zuge nicht mehr
folgen , nur mit meinen letzten Kraͤften und unter Eskorte
des Paſcha's kam ich hierher in das Lager , welches außer-
halb der Berge zuruͤck gelaſſen iſt und wo ich vier Tage
recht elend krank geweſen bin . Der Krieg iſt aber zu Ende
und Alles ruft Gnade an .
Der Widerſtand der Kurden hat ſeine eigentliche Quelle
in der Furcht vor der Aushebung zum lebenswierigen Dienſt
in der Linie ; ſelbſt die Rediff kann man nicht als Land-
wehr betrachten , ſondern ſie muß als eine Linientruppe cha-
rakteriſirt werden , deren Mannſchaft mit einem Drittel
Gehalt auf unbeſtimmten Urlaub entlaſſen wird , oft ehe
ſie noch ausexerziert iſt . Die Bezahlung der nicht eingeru-
fenen Rediffs iſt fuͤr den Staat ein Bedeutendes , fuͤr den
Einzelnen unzulaͤnglich und nur eine Praͤmie fuͤr Nichts-
thun . —
Seitdem ich mit den tuͤrkiſchen Truppen dieſe , freilich
unbedeutende , Campagne mitgemacht , habe ich einiges Ver-
trauen gewonnen ; wenn ſie nur alle ſo ſind , wie dieſe zwei
Regimenter . Die Leute gingen praͤchtig ins Feuer ; der Fa-
talismus in ungeſchwaͤchter Kraft und Beuteluſt ſind frei-
lich bei dieſer Gelegenheit maͤchtige Hebel fuͤr ihren Muth ,
denn ihre Gegner ſind Jeziden oder Teufelsanbeter und ſind
wohlhabend . Unſere Equipirung iſt ſchlecht , aber der Him-
mel iſt milde ; den ſchwierigen Marſch hierher , uͤber ſteinige
Gebirgspfade und durch zahlloſe Baͤche und Fluͤſſe , machte
unſere Brigade barfuß , die elenden Schuhe in der Hand ;
zum Gefecht wickelt ſich der Soldat ſeine ganze Toilette
ſammt dem Mantel als Gurt um die Huͤften , was gar
nicht uͤbel iſt . Die Gewehre ſind ſchlecht und machen we-
nig Anſpruch auf Treffen ; auch zielen die Leute gar nicht .
Waͤhrend man das Dorf ſtuͤrmte , bemerkte ich einen Tſchauſch ,
der mit abgewandtem Geſicht in Gottes blaue Luft hinein
feuerte . „ Arkardasch — Camerad — ſagte ich , wohin
haſt du denn eigentlich geſchoſſen ? “ „ Sarar-jok Babam
— es ſchadet nichts , Vaͤterchen — inschallah vurdu ! —
will's Gott , ſo hat's getroffen “ — antwortete er und feu-
erte raſch noch eins in derſelben Richtung . Es iſt aber
auch wahr , daß wir die meiſten Verwundeten von unſern
eigenen Kugeln hatten , die immer von hinten uͤber uns weg
pfiffen .
Hier wird Manches ſtatuirt , was gar ſehr gegen unſere
Lagerordnung ſtreiten wuͤrde : ſobald der Soldat ankommt , fuͤllt
er zuerſt ſeine Matara oder Waſſerflaſche , trinkt , oder wirft
ſich , von Schweiß triefend , ins Waſſer , wenn ein ſolches
da iſt , dann ſchlaͤft er eine oder zwei Stunden , und wenn
die brennende Sonne etwas ſinkt , ſo kriecht er hervor und
graͤbt ſich ein Kochloch neben ſeinem Zelte . Dort wird das
Brot gleich mit der Mahlzeit bereitet ; das gelieferte Mehl
wird zu einem duͤnnen Fladen ausgeknetet und auf Eiſen-
blechplatten , die man uͤber das Feuer ſtuͤlpt , wie eine Ome-
lette ſchnell gebacken . Dieſe Einrichtung iſt gar nicht ſo
ſchlecht ; bedenken wir nur , wie bei der fruͤheren Magazin-
Verpflegung ſelbſt die unternehmendſten Feldherren an eine
fuͤnf Maͤrſche lange Kette gefeſſelt waren , die ihre Baͤcker
ihnen anlegten , und uͤber die hinaus keine Moͤglichkeit mehr
war . Unſere Verpflegung iſt ſehr reichlich : große Heerden
von Schaafen und Ziegen werden nachgetrieben , Reis und
Mehl von Kameelen getragen . Der Geſundheitszuſtand iſt
vortrefflich ; waͤhrend unter Reſchid-Paſcha die Belage-
rung eines Kurden-Schloſſes 3- bis 4000 Menſchenleben
koſtete , hatten wir gar keine Kranken , und das ſchreibe ich
den Zelten zu ; dieſe ſind doch eine ſchoͤne Sache , und wenn
man nicht mit einer halben Million zu Felde zieht , wird
man ſie gewiß auch bei unſern Heeren wieder einfuͤhren ,
denn zu Bivouaks gehoͤrt ein Himmel , wie der , welchen
wir jetzt unter den gruͤnen Baͤumen dieſes Gebirgs haben ,
und ſelbſt hier bauen die Truppen ſich aus Zweigen wun-
derhuͤbſche Baracken . Das Zelt ſchuͤtzt unten in der Ebene
eben ſo gegen die Gluͤhhitze des Tags , wie gegen den Thau
der Naͤchte ; allerdings vermehrt es den Train , aber man
erhaͤlt dadurch Tauſende von Soldaten in ſchlagfertigem
Stande . Ein Mauleſel traͤgt bequem vier Zelte , und das
Bataillon braucht etwa ſechzehn bis zwanzig dieſer Thiere ;
Kameele ſind unendlich vortheilhafter , und vier dieſer un-
ſchaͤtzbaren Thiere reichen fuͤr ein Bataillon aus . Man
hat kuͤrzlich den Arabern wieder einige hundert abgejagt ,
die uns trefflich zu ſtatten kommen werden , wenn es zum
Kriege kommen ſollte .
Was das Exerzier-Reglement anbelangt , ſo wuͤrde es
doch nicht gut ſein , etwas bereits Eingefuͤhrtes wieder um-
zuſtoßen , um es durch Neues , wenn auch Beſſeres , zu er-
ſetzen . Das Commando , die Details der Griffe ꝛc. , das
Alles muß ſchon ſo bleiben , aber vereinfachen muͤßte man ,
und zwar muß eine Reviſion von der hoͤchſten Behoͤrde be-
fohlen werden .
Und nun laß mich in Gedanken einen Augenblick in
Deinen luftigen großen Salon am Bosphor hinein ſchluͤ-
pfen , und , nach ſechswoͤchentlichem Kauern im Zelte , mich
gemaͤchlich auf den breiten Divan hinſtrecken ; ich werde
Dir tauſend Dinge zu erzaͤhlen haben , wie Manches ſehr
ſchoͤn im fernen Aſien , aber doch Manches auch ſehr lang-
weilig und verdrießlich iſt — doch das ſind Traͤume . —
Bivouak im Karſann-Gebirg , den 14. Juni 1838 .
Gleich nach meinem letzten Schreiben , in welchem ich
Dir unſern kleinen Feldzug gegen die Kurden im Karſann-
Gebirg ſchilderte , fuͤhlte ich mich ſchon wohl genug , um
mich wieder in das Bivouak zu begeben , welches Hafiß-
Paſcha ſeit den letzten kriegeriſchen Ereigniſſen bezogen ,
und in welchem er nun ſchon acht Tage unbeweglich ſteht .
Die reine kuͤhle Bergluft ſtaͤrkt mich ſehr , und ich bin bald
wieder ganz zu Kraͤften gelangt .
Waͤhrend meiner Abweſenheit hat M. ſich das große
Verdienſt erworben , dem Paſcha freimuͤthig die uͤblen Fol-
gen vorzuhalten , welche das Syſtem der bezahlten Ohren
und Koͤpfe nothwendig haben muß . Hafiß-Paſcha hat
wirklich das Beſte im Auge ; er iſt vielleicht einen Augen-
blick verletzt geweſen , aber gegen einen ſolchen Mann ver-
liert man nichts , wenn man rechtſchaffen ſeine Meinung
ausſpricht . Vielem Unweſen iſt geſteuert worden , ſo weit
dies mit Baſchi-Boſuks ( woͤrtlich mauvaise tête oder Jr-
regulaire ) moͤglich ; die Grundſaͤtze der Milde herrſchen vor ,
und den Abgeordneten der Kurden wird gern Gehoͤr ge-
ſchenkt .
Aber das iſt eine ſchwierige Unterhandlung ; ein Theil
traut dem andern nicht . Heute ſollen alle Dorfſchaften ihre
Abgeſandten ſchicken , aber ſie kommen nicht ; nun waͤre das
Natuͤrlichſte , ihnen auf den Leib zu ruͤcken , aber dann ent-
fliehen ſie ſaͤmmtlich auf das Territorium von Muſch , und
dort ſitzt Emin-Paſcha , der ſelbſt ein Kurde iſt und un-
ter dem Erzerum-Valeſſi ſteht . Er regt nicht Hand
noch Fuß , um dieſe Expedition zu unterſtuͤtzen .
47.
Tuͤrkiſche Steuerhebung und Conſcription .
Lager zu Karſann-Dagh ( in Kurdiſtan ) ,
den 15. Juni 1838 .
Jch habe mir Muͤhe gegeben , mich uͤber den Zuſtand
dieſes Landes zu unterrichten , welches erſt ſeit drei Jahren
wieder der tuͤrkiſchen Herrſchaft unterworfen iſt .
Die Kurden ( ſo viele und welches Standes ich deren
geſprochen ) klagen uͤber zwei Dinge , uͤber die Beſteuerung
und die Truppenaushebungen . Da dies auch die Klage ,
wie ich glaube , aller uͤbrigen Provinzen des Reichs iſt , ſo
erlaube ich mir eine kurze Eroͤrterung .
Die Kurden zahlten fruͤher gar keine Steuern , aber
fortwaͤhrende Fehden zertraten ihre Saatfelder , zerſtoͤrten
ihre Doͤrfer , und Niemand fand Schutz gegen einen Maͤch-
tigern , außer in ſeiner eigenen Gegenwehr . Jetzt herrſcht
Friede unter den einzelnen Staͤmmen , und wenn auch dieſe
erſte Bedingung eines geſitteten Zuſtandes durch Abgaben
an die Regierung erkauft wird , ſo kann man darin doch
nur einen Fortſchritt zum Beſſeren ſehen .
Die Rajahs ſteuern hier uͤberall mehr als die Mos-
lems ; der Charadſch , dem ſie unterworfen ſind , iſt indeß be-
kanntlich nur ſehr gering , und wenn die Rajahs außerdem
zu mancherlei Leiſtungen herangezogen werden , ſo iſt darin ,
ſofern es nicht mit Haͤrte und auf kraͤnkende Weiſe ge-
ſchieht , nichts Ungerechtes , da ſie ihrerſeits von der haͤrte-
ſten aller Steuern , von der Conſcription befreit ſind .
Der wahre Grund zur Klage liegt uͤberhaupt nicht
darin , daß die Steuern hoch , ſondern daß ſie willkuͤr-
lich ſind . Jch meine nicht , daß man ſie auf eine gewiſſe
Summe fixiren ſollte , wohl aber auf einen beſtimmten Theil
des Einkommens oder des Vermoͤgens . Wenn die Regie-
rung heute den Ertrag eines Morgens Land fuͤr ihr Be-
duͤrfniß in Anſpruch nimmt , ſo wuͤrde der Landmann kuͤnf-
tig ſtatt zehn Morgen eilf anbauen , denn des unbenutzten
fruchtbaren Bodens iſt genug vorhanden , und man iſt noch
ſehr weit davon entfernt , daß die Arbeit wie bei uns an
vielen Stellen eine nicht mehr zu uͤberbietende Anſpannung
aller Kraͤfte ſei . Allein was wuͤrde geſchehen , wenn der
Landmann dies Fruͤhjahr eine doppelte Felderflaͤche bebaute ?
Man wuͤrde ihm zum Herbſt die doppelten Abgaben auf-
buͤrden . So legt denn jeder die Haͤnde in den Schooß ,
wohl wiſſend , daß man dem , der viel hat , viel abnimmt ,
und beſchraͤnkt ſich darauf , zu bauen , was der Unterhalt
dringend erfordert .
So lange die Steuererhebung in nichts Anderm beſteht ,
als darin , daß jeder Muͤſſelim den ihm anheim gegebenen
Unterthanen ſo viel abpreßt , als er preſſen kann , ohne ſie
zu offener Widerſetzlichkeit zu zwingen , ſo lange kann der
Ackerbau ſich nie heben , viel weniger Gewerbthaͤtigkeit Wur-
zel faſſen . Und doch muͤßten dieſe in ſo manchen Zweigen
trefflich gedeihen , und wuͤrden dem Grund und Boden erſt
ſeinen rechten Werth geben . Wie viel Naturkraͤfte ſind
hier noch ungenutzt ! Wie viel Baͤche brauſen dahin , welche
Muͤhlen und Werke treiben koͤnnten ; welche endloſe Waͤlder
ſtehen unangeruͤhrt aus Mangel an Straßen ; wie viel Bau-
material liegt hier umhergeſtreut ; welche mineraliſche Schaͤtze
verſchließen dieſe Berge , wie viel derſelben liegt offen zu Tage
und wartet nur der Ausbeutung ; aus dem Sande des Ti-
gris zogen wir mittelſt eines Magnets uͤber 50 pC . Eiſen .
Ganze Quadratmeilen Landes ſind mit Maulbeerbaͤumen be-
ſtanden , ohne daß eine Ocka Seide gebaut wuͤrde ; aber
welches Capital wird ſich in ſolche Unternehmungen einlaſ-
ſen ? was hilft es , daß ſie 50 oder 100 pC . Gewinn ver-
ſprechen , ſo lange ſie mit 50 oder 100 pC . Steuer belaſtet
werden koͤnnen ?
Das iſt der Grund , weshalb unbebaute Felderflaͤchen
das Auge betruͤben bis unter die Mauern der groͤßten Staͤdte ,
warum die Capitalien des Landes muͤßig ruhen in der Truhe
der Unterthanen , und der ganze Handel der Tuͤrkei in den
Haͤnden von Fremden liegt , welche unter dem Schutz ihrer
eigenen Landesgeſetze eben ſo viel Staaten in dieſem Staate
bilden ; daher verkauft die Tuͤrkei ihre Rohſtoffe dem Aus-
lande , ohne die Erzeugniſſe fremden Gewerbfleißes damit
bezahlen zu koͤnnen ; deshalb der gedruͤckte Cours auf dem
Geldmarkt und der traurige Aushelf der Muͤnzverſchlechte-
rung ; darum weht auf den Dampfſchiffen , welche dieſe ſchoͤ-
nen Meere durchziehen , die oͤſterreichiſche , die engliſche , die
ruſſiſche und die franzoͤſiſche Flagge , nur nicht die tuͤrki-
ſche auf den tuͤrkiſchen Gewaͤſſern ; darin liegt , mit einem
Worte , die außerordentliche Armuth eines ſo uͤberaus rei-
chen Landes .
Eine gerechte Vertheilung und Feſtſtellung der Steuern
iſt aber unmoͤglich , ſo lange der jetzige Erhebungs-Modus
fortdauert . Ueber das Unweſen des Jlteſam oder der Steuer-
Verpachtung , uͤber die willkuͤrliche Gewalt der Muͤſſelime ,
uͤber Angaria oder Frohnen , uͤber Seïms oder Anticipatio-
nen , uͤber Zwangskaͤufe zu Preiſen , welche die Regierung
feſtſetzt u. ſ. w. verliere ich kein Wort ; das Nachtheilige
derſelben iſt ſo allgemein gefuͤhlt , daß ſelbſt die Pforte es
anerkennt .
Es iſt erfreulich , zu bemerken , daß auch dieſe Regie-
rung anfaͤngt , einzuſehen , wie gerecht ſein nicht nur gerecht ,
ſondern auch klug und vortheilhaft iſt . Jch kann nicht ge-
nug die Gewiſſenhaftigkeit ruͤhmen , mit welcher das kleine
Corps Mehmet-Paſcha 's das Eigenthum der Doͤrfer re-
ſpectirte , welche der Regierung treu geblieben ; ein Bazar
war im Lager eroͤffnet , auf welchem die Landleute ohne
Scheu ihre Waare feil boten ; der Eintritt in die Doͤrfer
war ſtreng unterſagt , um Unordnungen vorzubeugen , und
faſt litten unſere Pferde Mangel mitten unter wogenden
Kornfeldern . Jn dieſem Verhalten des Heeres , als des
folgſamſten Werkzeuges der Regierung , darf man wohl den
Willen des Staats-Oberhauptes ſelbſt erkennen . Jn der
That hat der Gang , den die Regierung ſeit einer Reihe
von Jahren inne haͤlt , ſchon Vertrauen erweckt ; man fuͤrch-
tet nicht mehr , wie fruͤher , gewaltſame Beraubung des Ei-
genthums , wohl aber willkuͤrliche Beſchlagnahme des Er-
trags . Sollten vom Staat angeſtellte , reichlich bezahlte ,
aber mit eiſerner Strenge controllirte Beamten nicht nach
und nach einzufuͤhren ſein ?
Erlauben Sie mir jetzt , Jhre Aufmerkſamkeit auf den
zweiten Punkt , auf die Conſcription zu richten . Die Mili-
tairpflichtigkeit , in ihrer jetzigen Geſtalt , iſt eine ſchwere
Laſt wenigen Schultern aufgebuͤrdet ; wie hart dieſe Steuer
einzelne Ortſchaften , und in dieſen wieder nur einzelne Jn-
dividuen trifft , zeigt unter andern das Beiſpiel der Stadt
Soͤoͤrt .
Gleich nach ihrer Eroberung durch Reſchid-Paſcha
ergab die Zaͤhlung 600 muſelmaͤnniſche und 200 Rajahs-
Familien ; von erſtern wurden 200 Rekruten , alſo 5 bis
6 pC . , auf einmal ausgehoben . Seit drei Jahren nun iſt
die muſelmaͤnniſche Bevoͤlkerung auf 400 Feuerſtellen herab-
geſunken , und eben , als ich das Staͤdtchen ſah , verlangte
man neue 200 Mann . Jn Folge dieſer Forderung war
die ganze maͤnnliche Bevoͤlkerung in die Berge geflohen ,
und man ſah nur Greiſe und Kinder in den Straßen .
Der Fehler liegt auch hier in der ungleichen Verthei-
lung und in der zu langen Dienſtzeit ; funfzehnjaͤhrige Dienſt-
dauer iſt nur ein anderer Ausdruck fuͤr lebenswierige . Die
Kurden heirathen fruͤh ; ſich dann von Frau und Kind und
Heimath auf immer zu trennen , iſt ein Loos , dem ſie ſich
durch Flucht oder Gegenwehr zu entziehen ſuchen . Jetzt ,
wo das Schickſal Regimenter in die kurdiſchen Berge fuͤhrt ,
welche zur Haͤlfte aus Kurden beſtehen , ſtroͤmen von allen
Seiten Maͤnner und Frauen herbei , um Kinder , Verwandte
und Freunde noch einmal zu umarmen , die ſie ſchon auf-
geben ; aber morgen bricht das Lager auf , und es iſt wie-
der ein Abſchied fuͤr's Leben .
Kein Wunder alſo , wenn dichte Poſtenketten das La-
ger umſtellen , welche das Antlitz nicht gegen den Feind ,
ſondern gegen die eigenen Truppen kehren ; kein Wunder ,
wenn trotz eines Kopfgeldes von 250 Piaſtern taͤglich Sol-
daten entfliehen . So lange ich bei den Truppen bin , habe
ich kaum einen Schlag austheilen ſehen , außer fuͤr Deſer-
tion ; der Ausreißer nimmt ſeine 200 Streiche mit ſtum-
mer Ergebung hin , und erwartet nur die naͤchſte Gelegen-
heit , um wieder zu entſpringen .
Dieſem großen Uebel koͤnnte abgeholfen werden , wenn
mehrere Jndividuen auf kuͤrzere Dienſtzeit herangezogen wuͤr-
den . Jch weiß wohl , daß fuͤnfjaͤhrige Dienſtdauer in Kon-
ſtantinopel decretirt iſt , aber ehe die Dorfſchaften nicht mit
eigenen Augen entlaſſene Soldaten in ihre Heimath zuruͤck-
kehren ſehen , iſt das ohne Einfluß , und bis jetzt iſt , ſo
lange Niſam oder Linientruppen exiſtiren , noch nie ein Sol-
dat entlaſſen .
So lange freilich der status quo , welcher dem Kriegs-
zuſtand faſt gleichzuſetzen iſt , fortdauert , wuͤrde die Pforte
aus der vorgeſchlagenen neuen Einrichtung wenig Nutzen
ziehen , da ſie die Retiffs nicht entlaſſen kann . Alle Be-
trachtungen fuͤhren auf den Punkt zuruͤck , daß Friede der
Pforte noch auf eine lange Reihe von Jahren nothwendig
iſt , und daß ſie ihre bewaffnete Macht fuͤrerſt nur brau-
chen ſollte , um ſich im Jnnern zu regeneriren . — Der
jetzige Zuſtand aber zwiſchen Krieg und Frieden iſt ein
wahres Ungluͤck , und tritt uͤberall hemmend entgegen . Ob
eine Deſarmirung beider Partheien , des Großherrn und ſei-
nes Vaſallen , unter Vermittelung und Gewaͤhrleiſtung der
europaͤiſchen Maͤchte ausfuͤhrbar , ſtelle ich Jhrer Beurthei-
lung anheim .
Bivouak im Karſann-Dagh , den 22. Juni 1838 .
Noch ein kriegeriſcher Akt iſt noͤthig geworden . Es
wurden vierzehn Compagnien entſendet , und ein Schwarm
Baſchi-Boſuks , welche eine aͤußerſt ſteile Hoͤhe von allen Sei-
ten einſchloſſen ; fuͤnf Stunden bedurfte es , um ſie zu er-
ſteigen , wobei die Linien-Truppen ſechzehn Todte und einige
ſechzig Verwundete hatten . Die Weiber ſelbſt feuerten auf
die Niſams , und ein Soldat wurde von einer kurdiſchen
Frau mit dem Handſchar erſtochen . Oben angekommen ,
wurde von den erbitterten Truppen main basse auf Alles
gemacht , was ſich widerſetzte ; es ſind zwiſchen 4- bis 500
Kurden geblieben ; an funfzig Frauen ertranken in dem an-
geſchwollenen Gebirgsbach , als man ſie wegfuͤhren wollte .
Der Paſcha hatte nicht gewollt , daß wir dieſen Zug
mitmachten , und ich geſtehe Dir , daß es mir ganz recht
war . Um dieſen Krieg brauchſt Du uns nicht zu benei-
den , er iſt voller Scheußlichkeiten . Nebſt mehreren tauſend
Stuͤck Vieh kamen an 600 Gefangene an ; die Haͤlfte be-
ſteht aus Weibern mit kleinen Kindern : ein Junge von 6
bis 7 Jahren hatte Schußwunden , und die Kugel , die hier
neben mir liegt , haben wir ihm herausgezogen , er wird
aber wahrſcheinlich durchkommen . Auch Frauen ſind ver-
wundet , daß es aber Kinder mit Bayonnetſtichen giebt , wirft
ein trauriges Licht auf die ganze Handlung . Geſtern Abend
um 5 Uhr hatten die Ungluͤcklichen , von Angſt und durch den
langen Marſch erſchoͤpft , noch keine Krume Brot erhalten ;
nur mit Muͤhe ſchaffen wir fuͤr die Soldaten ſelbſt das
noͤthige Mehl herbei , und nun kommt unerwartet Zuwachs
von mehreren hundert Hungerigen , gerade , als wir einen
neuen Transport noch erwarteten . Jch brachte geſtern den
ganzen Tſcharſi oder Markt an mich , aber was war da
zu holen ! ſechzig Ocka Roſinen und etwas Kaͤſe . Mehl
haben die Leute in den Doͤrfern ſelbſt nicht , denn unſere
Pferde und Mauleſel haben ihren ſchoͤnen Waizen aufge-
zehrt ; heute war ich ſo gluͤcklich , einen Viertel-Centner Reis
aufzutreiben , von dem ich einen coloſſalen Pillaw bereiten
ließ . Kinder und Weiber ſtuͤrzten daruͤber her , die Maͤn-
ner aßen Baumblaͤtter ; gluͤcklicherweiſe iſt heute Mehl ge-
kommen , auch geſtern ſpaͤt hat man noch ein wenig Brot
aufgetrieben ; die Verpflegung iſt jetzt regelmaͤßig .
Unter ſolchen Umſtaͤnden machen einzelne huͤbſche Zuͤge
doppelte Freude . Ein Soldat des 2ten Regiments fand ein
Kind von drei oder vier Tagen hinter einem Steine ; waͤh-
rend die andern ſich mit Beute beladen , traͤgt er das Wuͤrm-
chen wie eine Amme den weiten halsbrechenden Weg hier-
her . Hier angekommen , findet ſich , daß das kleine Weſen
weder Vater noch Mutter mehr hat ; der arme Menſch
wußte gar nicht , wie er ſeinen Fund wieder los werden
ſollte ; eine Frau nahm ſich endlich des Saͤuglings an , und
der Soldat ging auch nicht unbelohnt davon .
Man kann uͤber dies Ungluͤck Hafiß-Paſcha keinen
Vorwurf machen ; nach den Greueln in Papur hat er nur
zu lange gezaudert , weil man ihm Unterwerfung verſprach
und ihn taͤuſchte ; endlich mußte denn doch Gewalt ge-
braucht werden ; und wo man ſolche Diener hat , wie die
Baſchi-Boſuks , da kann man ſich denken , daß viel Boͤſes
geſchieht , dem kein Einhalt zu thun iſt . Wie ſoll auch
uͤberhaupt ein Krieg mit Milde gefuͤhrt werden , wo Felſen
und Doͤrfer erſtuͤrmt werden muͤſſen , auf die ſich Weiber
und Kinder mit ihrer Habe gefluͤchtet ? Da iſt ſolch Un-
gluͤck unvermeidlich . Wir werden jetzt in wenigen Tagen
hier aufbrechen , ſo viel ich weiß , nach Malatia .
48.
Ritt durch das Gebirg vom Tigris an den Euphrat .
Reiſe auf dem Euphrat durch die Stromſchnellen . —
Asbuſu .
Charput , den 20. Juli 1838 .
Am 30. Juli ſaßen wir in dem großen Zelte des Pa-
ſcha's auf rothen Sammetkiſſen beim Abendeſſen , als er
ploͤtzlich den Befehl gab , aufzubrechen . Herzlich froh war
ich , denn unſer Lager außerhalb und am Fuße des Kar-
ſann-Dagh war hoͤchſt unangenehm ; dir Hitze iſt dort
furchtbar , wir hatten bis zu 32 Gr. Reaumur im Schat-
ten . Unſere armen Pferde ſtanden vom Morgen bis zum
Abend in der Gluͤhhitze der Sonne gefeſſelt , nur durch ihre
dicken Filzdecken geſchuͤtzt ; das Ungeziefer quaͤlte ſie ſchreck-
lich , und ihre ganze Nahrung war das friſch geſchnittene
Heu , das Waſſer wurde in Schlaͤuchen herbeigeholt . Aber
uns in den Zelten ging 's nicht viel beſſer ; eine Menge
Taranteln krochen an der Leinwand herum , die Schlan-
gen ſuchten Schutz unter ihrem Schatten , und zahlreiche
Scorpione hauſeten zwiſchen den Steinen . Jch ließ mein
großes , geraͤumiges Zelt des Tages fuͤnfmal mit Waſſer
beſprengen , und der außerordentlichen Reinlichkeit und Sorg-
falt eines Dieners gelang es , mein Lager frei von allem
Ungeziefer zu halten ; aber die Luft war ſo druͤckend , daß
man eigentlich nur nach Sonnenuntergang ſich erhob und
umherging .
Nach einer Stunde war Alles marſchfertig und mit
einem Gefolg von etwa ſechzig Pferden zogen wir waͤhrend
einer mondhellen Nacht weſtlich laͤngs des Fußes des ho-
hen Karſann hin ; zur Rechten hatten wir das Gebirg , zur
Linken die ſchoͤne weite Ebene , welche von Diarbekir ſich
zwanzig Meilen weit oͤſtlich erſtreckt und von vielen und
großen Waſſerlaͤufen durchſchnitten wird .
Zuerſt uͤberſchritten wir das Battman-ſuj auf einer
prachtvollen alten Bruͤcke , „ Battman-koͤpry “ ; ſie iſt durch-
aus von derſelben Bauart , und wahrſcheinlich aus der-
ſelben Zeit , wie die bei Haßn-kejfa , aber noch ganz er-
halten ; ein gewaltiger Bogen von 100 Fuß Spannung
und wohl 80 Fuß Hoͤhe ſetzt uͤber den reißenden Berg-
ſtrom . Jndem wir um eine Felsecke bogen , ſtanden wir
ploͤtzlich vor dem ungeheuern Bauwerk ; das ehrwuͤrdige
alte Gemaͤuer , der brauſende Strom und die bewegte Scene
eines tuͤrkiſchen Reiterzuges gewaͤhrten in der lauwarmen
Mondnacht einen maleriſchen Anblick .
Gegen Morgen erreichten wir Meja-Farkin , das alte
Tigranocerta , den Sitz der einſt maͤchtigen Koͤnige von Ar-
menien ; Mauern und Thuͤrme ſind wohl erhalten , und die
ſchoͤnen Thuͤrme einer großen Burg duͤrften wohl die Stelle
bezeichnen , wo die Nachfolger Arſazes gehauſet . Die Stadt
liegt auf der unterſten Stufe des Gebirgs , aus welchem
ein reicher Fluß hervortritt und in ſchoͤnen Windungen
durch die Ebene dem Tigris zuzieht ; aber das Jnnere zeigt
faſt nur Truͤmmer und die friſchen Spuren des Zerſtoͤ-
rungskrieges , welcher die Kurden unlaͤngſt mit Muͤhe un-
ter die Herrſchaft der Tuͤrken gebracht hat . Dieſe Erobe-
rung hat Tauſenden , nicht blos von Bewaffneten , ſondern
auch von Wehrloſen , von Weibern und Kindern das Leben
gekoſtet , hat tauſende von Ortſchaften zerſtoͤrt und den Fleiß
vieler Jahre nutzlos gemacht . Es iſt betruͤbend , zu den-
ken , daß ſie wahrſcheinlich auch diesmal , wie ſo oft fruͤher ,
nur voruͤbergehend ſein wird , wenn eine beſſere Verwal-
tung den Kurden nicht ihre Unabhaͤngigkeit erſetzt .
Nach kurzer Raſt auf einer feuchten Wieſe , waͤhrend
unſere Pferde ſich in dem hohen Graſe erholten , weckten
uns die brennenden Strahlen der aufgehenden Sonne ; wir
ſetzten unſern Marſch in derſelben Richtung uͤber den ſtei-
nigen oͤden Gebirgsfuß fort . Die Hitze war ſehr groß ;
die Kalkwaͤnde gluͤhten , kein Baum , kein Buſch gewaͤhrte
Schatten und alle Vegetation ſchien abgeſtorben ; aber ich
werde nie die koͤſtliche Quelle vergeſſen , die wir bald nach
Mittag erreichten . Unter einer Felsmauer brach das Waſ-
ſer von allen Seiten ſprudelnd hervor und bildete ein gro-
ßes Becken von unbeſchreiblicher Klarheit ; rieſenhaftes
Schilf und Schlingſtauden , mannshohes Gras und bluͤ-
hende Hyazinthen , der reichſte Pflanzenwuchs und das
uͤppigſte Gruͤn faßten die Quellen ein , welche rings von
ſtarren Felſen und Steingeroͤllen umgeben waren . Wir
ſprengten frohlockend mit unſern ſchweißtriefenden Roſſen
in die kuͤhle Flut und ließen uns gern von oben bis unten
durchnaͤſſen ; die Pferde , denen des Tags uͤber jeder Trunk
verſagt bleibt , ſchlugen mit den Vorderfuͤßen , um ſich zu
benetzen und zu erfriſchen , und ſprangen vor Freude . Mir
fiel der Spruch aus dem Koran ein : min el mai küllun
u. ſ. w. „ von dem Waſſer iſt alles Ding lebendig . “
Gegen Abend , alſo nach faſt vierundzwanzigſtuͤndigem
Ritte , erreichten wir abermals einen koͤſtlichen Gebirgs-
ſtrom ; laͤngs ſeiner Ufer hinaufſteigend , wandten wir uns
rechts in das Gebirge hinein und erblickten die zierliche
Moſchee , und das freundliche Staͤdtchen Haſru auf einem
Huͤgel umgeben von Weinfeldern und uͤberſchattet von Pla-
tanen , Nußbaͤumen und Pappeln .
Die Pappel iſt hier im Orient ein aͤußerſt nuͤtzlicher
Baum , und fuͤr den Haͤuſerbau unentbehrlich . Die Waͤnde
der Wohnungen ſind zwar meiſt nur aus rohen Steinen
und Luftziegeln , ſie werden aber mit einer Balkenlage uͤber-
deckt , zu welcher ſich die ſchlanke gerade Pappel ganz be-
ſonders eignet . Die Balken werden dann mit duͤnnem
Reiſig belegt und darauf 1 Fuß dick Lehm und Kies ge-
ſtampft . Fuͤr den milden Himmel Aſiens reicht dies Dach
aus , welches waͤhrend der Nachtkuͤhle zum Schlafgemach
dient ; dieſe horizontalen Terraſſen , „ Dam “ , finden ſich je-
doch nur auf dem Suͤdabhange des Antitaurus , uͤber Egin
und Tokat hinaus fangen ſchon die flachen Ziegeldaͤcher an .
Die Pappeln wachſen da , wo man ſie bewaͤſſern kann , un-
glaublich ſchnell zu großer Maͤchtigkeit heran ; in Hasru
bewunderte ich einen kuͤnſtlichen Pappelhain , in welchem
die ſchlanken Staͤmme dicht wie ein Kornfeld neben einan-
der ſtanden .
Am folgenden Tage ritten wir durch das Gebirg nach
Jllidſcha , und am 4. Abends erreichten wir nach einem Ge-
waltmarſch Sivan-Maaden ; nur die beſten Pferde hielten
noch neben der trefflichen arabiſchen Stute des Paſcha's
aus , wohl die Haͤlfte des Gefolges war zuruͤckgeblieben ,
und die minder guten Thiere erlagen der Anſtrengung .
Jn Sivan laͤßt Hafiß-Paſcha einen Hochofen bauen .
Kaum kann es eine reichere Eiſenmine geben , und die leich-
ter zu benutzen waͤre , als dieſe ; man braucht gar nicht
unter die Erddecke hinab zu gehen , denn Berge und Thaͤ-
ler ſind hier weit und breit mit kleinen und großen Stein-
bloͤcken von ſchwarzer Farbe bedeckt ; man darf dieſe Steine
nur in die Hand nehmen , ſo uͤberzeugt ſchon die bloße
Schwere davon , wie metallhaltig ſie ſind . Der Vorrath
fuͤr ein Jahrhundert liegt an Tageslicht umher geſtreut .
Jndem wir einen der Zufluͤſſe zum Tigris hinauf rit-
ten , erreichten wir die hohe Waſſerſcheide zwiſchen dieſem
Fluſſe und dem Euphrat oder Murad ; aber ſehr uͤberra-
ſchend iſt es , wie nahe die Quellen des erſten an dem Ufer
des letztern liegen , welcher dort bereits zu einem maͤchtigen
Strome herangewachſen iſt . Die Entfernung betraͤgt kaum
mehr als 1000 oder 1500 Schritte .
Es macht meinem Paſcha Ehre , daß er die ganze Wich-
tigkeit des Euphrat aufzufaſſen weiß ; die Ufer des obern
Fluſſes beſitzen Alles , was den untern fehlt , Holz , Eiſen
und Korn . Der Benutzung des Stromes ſelbſt , als Waſ-
ſerſtraße fuͤr den Transport dieſer Gegenſtaͤnde durch eine
faſt ganz unwegſame Gegend , ſteht der Durchbruch durch
das klein-armeniſche , jetzt kurdiſche , Gebirge als bedeuten-
tendes Hinderniß entgegen ; unſere Karten fertigen die Sache
kurz ab , indem ſie den Fluß quer durchziehen und „ Waſſer-
19
fall von Nuchar “ dabei ſchreiben , ein Name , den hier
Niemand kennt . Wirklich hat auch bis jetzt noch kein eu-
ropaͤiſcher Beobachter in dieſe pfadloſe Wildniß , welche
von den feindlichſt geſinnten Kurdenſtaͤmmen bewohnt iſt ,
vordringen koͤnnen ; laͤngs der Ufer iſt auf keine Weiſe fort-
zukommen , ſondern nur auf dem Fluſſe ſelbſt .
Gegen den Strom wuͤrde auch das ſtaͤrkſte und flachſte
Eiſen-Dampfſchiff nicht anarbeiten koͤnnen , abgeſehen ſelbſt
von den Untiefen und Zickzacks des Laufs , und abwaͤrts
iſt es wiederum fuͤr jedes andere Fahrzeug , als die Floͤße
aus ledernen Schaͤuchen , unmoͤglich . Ein ſolches Fahrzeug
biegt ſich wie ein Fiſch und nimmt die Geſtalt der Welle
an , auf welcher es ſchwimmt , indem es ſich aufwaͤrts oder
abwaͤrts kruͤmmt ; es ſchadet ihm nichts , wenn es , mit
Waſſer uͤberſchuͤttet , momentan untergeht , und das gewalt-
ſamſte Anrennen gegen Klippen und Felsſpitzen zerreißt hoͤch-
ſtens einen oder ein paar Schlaͤuche . Unten angekommen ,
wird das leichte Geruͤſt in der durchaus holzarmen Gegend
vortheilhaft verkauft , und ein Pferd oder Mauleſel genuͤgt ,
um die ſaͤmmtlichen Haͤute uͤber Land nach dem Abfahrts-
punkt zuruͤck zu tragen . Jch habe oft geſehen , wie die An-
wohner , indem ſie ſich rittlings auf einen Schlauch ſetzen ,
furchtlos quer uͤber den breiten reißenden Strom des Eu-
phrat oder Tigris ſchwimmen .
Hafiß-Paſcha nun hat zweimal verſuchen laſſen , mit
einem ſolchen Floß den Euphrat hinab zu fahren , aber die
Sache gelang nur ſchlecht , und beide Male ertranken Men-
ſchen bei dem Unternehmen ; man hatte ſeitdem einige , frei-
lich ſehr unbedeutende , Steinſprengungen ausgefuͤhrt , und
da der mittlere Waſſerſtand , den wir eben jetzt haben , dem
Unternehmen guͤnſtig , ſo bat der Paſcha mich , einen neuen
Verſuch zu machen , ob es uͤberhaupt ausfuͤhrbar ſei , den
Euphrat als Waſſerſtraße abwaͤrts zu benutzen . Ein ſehr
ſolides Floß aus ſechzig Haͤuten wurde zu Palu gebaut ,
wohl verproviantirt und mit vier ruͤſtigen Ruderern be-
mannt ; ich beſtieg es den 10. Juli in Begleitung von zweien
meiner Leute und einem Aga des Paſcha's , Alle gut be-
waffnet , verſah mich mit Buſſole und Jnſtrumenten , und
nahm von Ort zu Ort einen des Fluſſes kundigen Steuer-
mann mit .
Der Strom , welcher bisher zwiſchen hohen bewaldeten
Bergufern zog , und bei Chun zwiſchen ſenkrechten pracht-
vollen Steinwaͤnden uͤber Felstruͤmmer brauſete , tritt von
Palu an in eine offnere Gegend , und fließt ſchnell aber
eben hin . Bei Palu ſetzt eine elende hoͤlzerne Bruͤcke uͤber
den Fluß , die letzte , die ihn uͤberſchreitet , und prachtvolle
Ruinen einer alten Burg , welche man hier den Dſchenoves
oder Genueſern zuſchreibt , ragen hoch auf einem Spitzberg
uͤber die Stadt ; dieſe iſt rings von Gaͤrten und Baum-
pflanzungen eingeſchloſſen .
Nachdem der Strom am Fuße der ſchoͤnen Gebirgs-
gruppe des Moſtar-Dagh voruͤber geeilt , bildet die weite
koͤſtliche Ebene von Karput das linke Flußufer ; der Eu-
phrat aber wendet ſich ab von derſelben , tritt noch einmal
in das hohe Gebirg und erreicht den Suͤdrand jener Ebene
erſt auf einem vierzig Meilen weiten Umweg . Einige Klip-
pen im Flußbette verurſachen Strudel , die jedoch leicht
durchſchifft werden , und ſchnell gleitet man bis zu den
Ruinen eines alten Bergſchloſſes , Perteck-Kaleſſi , fort ,
welche ſich auf einem hohen Felskegel am rechten Ufer erhe-
ben . Zwiſchen kahlen Bergen fuhren wir auf dem hier ganz
ſchiffbaren Strome die Nacht hindurch fort , und erreichten
gegen Morgen die Stelle , wo der Murad ſich mit dem faſt
eben ſo großen Frat vereint , der von Erzerum herunter
kommt . Zwei Stunden weiter landeten wir in Kierwan
oder Kjeban-Maaden . Die dortigen Silberminen befinden
ſich im elendeſten Zuſtande . Die Tuͤrken ſagen : „ das Holz
„; zum Schmelzen koſtet uns nichts , denn der Wald gehoͤrt
„; in der ganzen Tuͤrkei Niemand oder Jedermann ; es iſt
„;wahr , daß es viele Tagemaͤrſche weit herbei gebracht wer-
„; den muß , aber das iſt Frohndienſt ; das Silber hingegen ,
„; welches gewonnen wird , iſt wenig , aber es gehoͤrt uns . “
Wollte man jedoch den Werth des Brennmaterials und
der Handarbeit in Anrechnung bringen , ſo wuͤrde man
wohl zu dem Reſultat kommen , daß die Bearbeitung der
Minen den Ertrag um das Drei- oder Vierfache uͤber-
ſteigt .
Der Euphrat wird dicht unterhalb Kjeban-Maaden
von rauhen Bergen eingeſchloſſen ; bald aber flacht ſich das
rechte Ufer mehr und mehr ab , und nachdem der Strom im
weiten Bogen den Fuß des eirunden Berges umſpuͤlt , auf
welchem die Ruinen einer weit ſichtbaren alten Kirche ſich
erheben , hat man rechts die weite Ebene von Malatia .
Erſt bei Kymyrhan , unfern der Keilſchrift , von der ich Dir
fruͤher geſprochen , treten hohe wilde Gebirgsmaſſen von
beiden Seiten zuſammen , und der Strom fließt von nun
an in tiefen ſchauerlichen Felſenſpalten fort . Mit außer-
ordentlicher Schnelligkeit glitt unſer Fahrzeug hin , und das
Strombette war kaum zur Haͤlfte ſo breit , wie es ober-
halb geweſen ; bald hoͤrten wir ein fernes Brauſen , von
welchem die ſchroffen Felswaͤnde wiederhallten , und die
beſchleunigte Schnelligkeit , mit der wir fortſchoſſen , benach-
richtigte uns , daß wir in die Naͤhe der Jelan-Degermeni
oder Schlangenmuͤhle gekommen ſeien . Vorſichtig legten
wir an , und beſchauten an einer vorſpringenden Klippe die
Oertlichkeit , ehe wir uns in die Wirbel hinein wagten ;
dieſe Stromſchnellen liegen ſtets an ſolchen Punkten , wo
das jaͤhe Bette eines kleinen Gießbachs in den Strom muͤn-
det . Aus der Schlucht ſind im Laufe der Zeit eine Menge
groͤßerer und kleinerer Felstruͤmmer herabgeſtuͤrzt ; ſie ha-
ben vor der Muͤndung des Bachs ( der an ſich ganz un-
bedeutend ) eine Landzunge angeſetzt , welche die Breite des
Stroms vermindert , und oft ſind noch zum Ueberfluß ge-
waltige Steinbloͤcke bis in das Bette ſelbſt gerollt , welche
bei niederm Waſſerſtande hervorragen , bei hoͤherem aber
von der Flut uͤberſpuͤlt ſind , der ſie einen unbeſiegbaren
Widerſtand entgegenſetzen . Der reißende Fluß , verengt
und aus ſeiner Richtung geworfen , brauſet gegen die Un-
ebenheiten an , bildet uͤber denſelben eine hohe Waſſergarbe ,
und jenſeits eine gewaltige ſchaͤumende und wirbelnde Stroͤ-
mung , wie wenn Du Waſſer aus einem breiten Gefaͤß in
eine enge Rinne goͤſſeſt .
Die weniger ſchlimmen Stellen , welche wir bereits paſ-
ſirt , hatten mir ſchon einen ungefaͤhren Maaßſtab von dem
gegeben , was ein Kelek oder Floß , wie unſeres , zu leiſten
vermoͤge . Jch ließ Bismillah — „ im Namen Gottes “ —
vom Ufer abſtoßen ; alsbald erfaßte uns der allgemeine
Waſſerzug , und ehe wir uns noch recht beſinnen konnten ,
waren wir ſchon gluͤcklich durch , obwohl zwar vom Kopf
bis zu den Fuͤßen durchnaͤßt , denn von allen Seiten ſchlu-
gen die Waſſerwellen uͤber uns zuſammen ; bei einer Hitze
aber von vielleicht 40 Gr. war das nur eine angenehme
Erfriſchung . Der Niveau-Unterſchied des Flußſpiegels ,
dicht oberhalb und unterhalb der Stromſchnelle auf eine
Entfernung von 200 Schritten , konnte ungefaͤhr 15 Fuß
betragen .
Solcher Stromſchnellen , wie ich Dir eben beſchrieben ,
die mehrſten aber von geringerer Bedeutung , liegen nun ,
uͤber dreihundert an der Zahl , eine hinter der andern , und
bilden auf einer Strecke von etwa zwanzig Meilen die ca-
taractae Euphratis . Kaum biſt Du durch eine hindurch ,
ſo hoͤrſt Du ſchon die naͤchſte brauſen ; das Kelek dreht
ſich beſtaͤndig herum , und giebt Dir Gelegenheit , ohne Deine
Stellung auf weichem Pfuͤhl zu aͤndern , die wildromantiſche
Gebirgsgegend von allen Seiten zu betrachten ; hoch oben
kleben einzelne Kurden-Doͤrfer unter ſchattigen Nußbaͤumen ,
und Waſſerfaͤlle ſchaͤumen die ſteilen Berghaͤnge hinab .
Die ſchlimmſten Stellen ſind bei dem Staͤdtchen Schiro ,
und dann drei Faͤlle , einer unmittelbar hinter dem andern ,
dicht oberhalb Telek , wo heiße Schwefelquellen dampfend
aus dem Geſtein dringen . Jn der zackigen Felsſpalte , nahe
unterhalb dieſes Dorfs , wird der oben ſchon 2- bis 300
Schritte breite Strom durch einen Erdſturz auf 35 Schritte
verengt ; dieſe Stelle heißt der Hirſcheſprung , Geiklaſch .
Endlich paſſirten wir noch eine ſehr mißliche Stelle unter
einer Kreidefelswand , dicht oberhalb des alten Bergſchloſ-
ſes Gerger , und von nun an aͤndert ſich der ganze Cha-
rakter des Strombettes .
Mit ſehr verminderter Geſchwindigkeit fließt der Eu-
phrat jetzt zwiſchen hohen ſenkrechten Waͤnden , aber die
Gebirge treten auf beiden Seiten zuruͤck und die Neben-
thaͤler ſind von niedrigen mauerartigen Baſalthaͤngen ein-
geſchloſſen ; das roͤthliche Geſtein , welches lothrecht zum
Fluß abſtuͤrzt , erhebt ſich zu 3- bis 400 Fuß Hoͤhe , es
zeigt die grotesken Formen der Sandſteinbildung und viele
Hoͤhlen ; einige derſelben enthalten die Truͤmmer uralter
Kloͤſter , welche nur auf einem ſchmalen ſchwindelnden Pfad
laͤngs der Felsmauer zu erreichen ſind , und ſeltſame Wart-
thuͤrme kleben an den Vorſpruͤngen .
Von dem merkwuͤrdigen alten Schloſſe Choris an be-
ſchreibt der Fluß zwei große Windungen ; er tritt nun aus
dem Fels in ein offenes Huͤgelland und ſieht der Oder bei
Frankfurt aͤhnlich , bis er , bald unterhalb Samoſata in die
Steinwuͤſte tritt . Auch dort ſetzt er ſeinen Lauf in weſt-
licher Richtung bis nahe an Zeugma oder Rumkaleh fort ,
wo er ſich im rechten Winkel ſuͤdlich wendet ; obwohl er
auf dieſer Strecke durch ein ebenes Plateau zieht , ſo iſt
doch ſein Bette tief eingeſchnitten und von ſenkrechten Sand-
ſteinwaͤnden eingefaßt , welche nur an wenigen Stellen ein
Hinabſteigen zum Strome geſtatten .
Jch endete meine Waſſerfahrt bei Samſat , da ich fruͤ-
her ſchon den Euphrat auf der Strecke von dort bis Birt
oder Biradſchik zu Lande begleitet hatte , und meine Re-
cognoſcirung ſich ſo an die Aufnahme anſchließen wird ,
welche Oberſt Chesney von Birt abwaͤrts zu Stande ge-
bracht hat .
Wenn in der Tuͤrkei ein Mann von einiger Bedeutung
ankommt , ſo iſt es unerlaͤßlich , daß einige der vornehmſten
Einwohner ihm ſchon vor der Stadt entgegen gehen ; man
hilft ihm vom Pferde , ſtuͤtzt ihn , wenn er die Treppe hin-
auf ſteigt , zieht ihm die Stiefeln aus und legt ihn auf das
Kiſſen rechts vom Kamin . Der Muͤſſelim , oder wer der
Herr des Hauſes ſein mag , raͤumt ſogleich das Zimmer ;
er laͤßt ſich nur auf ausdruͤckliche Einladung und in der
Naͤhe der Thuͤr auf dem bloßen Fußboden nieder , und wenn
man ihm geſtattet von ſeinem eigenen Kaffee zu trinken ,
ſo empfaͤngt er ihn mit einer tiefen Verbeugung und dem
Gruße mit der Hand an die Erde . „ Das Haus iſt Deins “
iſt , ſo lange man bleibt , nicht bloß die uͤbliche Redensart ,
und ein ſolcher Gaſt muß zum Abſchiede noch obendrein
reichlich beſchenkt werden . Die groͤßern Paſcha's haben oft
funfzig Diener oder Aga 's , die nicht bezahlt ſind und nur
durch Reiſeauftraͤge entſchaͤdigt werden ; wo ſie die Nacht
bleiben , erhalten ſie ein Geſchenk . Mir fuͤhrte der Muͤſſe-
lim ein junges Pferd , dem Aga einen Mauleſel vor , und
meinem tuͤrkiſchen Diener dachte er einen halben Beutel zu ;
er war ſehr betreten , daß ich mich weigerte , ſein Geſchenk
anzunehmen , und betheuerte , daß in der ganzen Stadt kein
edleres Thier zu haben ſei ; denn einen andern Grund konnte
er ſich nicht denken , als daß mir die Gabe zu gering ſei .
Jn uͤbergroße Verlegenheit gerieth Aly-Aga . Man durfte
nur auf das elende Samſat blicken , welches ſich in einen
Winkel der alten prachtvollen Stadt verkrochen hat , und
kaum ſo viel Flaͤchenraum bedecken mag , als einſt der be-
ruͤhmte Circus von Samoſata , um Erbarmen zu haben ;
denn der Muͤſſelim macht ſolche Largeſſen keineswegs aus
ſeiner Taſche , ſondern erholt ſich an den Einwohnern , be-
ſonders den chriſtlichen . Dieſe Betrachtungen kamen mei-
nem Begleiter aber nicht in den Sinn ; dagegen fuͤrchtete
er , daß ich dem Paſcha Unvortheilhaftes von ihm berich-
ten koͤnne , was ihm ſehr ſchlecht bekommen waͤre ; er
kaͤmpfte einen harten Kampf und ſchlug endlich auch ſein
Geſchenk aus . Das Thier muß ſich aber irgendwie waͤh-
rend der Nacht losgemacht haben , und mit Gewalt mit-
gegangen ſein , denn am folgenden Morgen fand ich es un-
ter den Packpferden ; dagegen hatte ich meinen ehrlichen
Jacub zu entſchaͤdigen , welcher wirklich kein Geld ange-
nommen hatte . Als ich vollends beim Wegreiten verguͤ-
tete , was ich und meine Leute verzehrt , da ſank ich bedeu-
tend in der Achtung des Muͤſſelims , denn man muß in
der Tuͤrkei ſchon ſehr miſerabel ſein , um zu bezahlen ; wer
kann , der nimmt ohne Geld .
Jch glaube , in ganz Aſien giebt es keinen Ort , der ſo
voll Ungeziefer ſteckt , wie Samſat . Laͤnger als bis Mitter-
nacht konnte ich nicht aushalten ; ich ließ aufſitzen , und als
die Sonne aufging , hatten wir das ſechs Stunden ent-
fernte Adiaman ( oder , wie die Kurden es nennen , Haſſn-
manna ) erreicht . Jn der Ebene am Suͤdfluſſe des Tau-
rus und an den Quellen eines Fluͤßchens gelegen , bietet
dieſer Ort mitten in weiten Weinfeldern und Obſtgaͤrten
einen ſchoͤnen Anblick ; die Truͤmmer einer Akropolis und
eine große Zahl von Minarehs laſſen eine große volkreiche
Stadt erwarten , aber im Jnnern ſieht man nur Schutt-
und Truͤmmerhaufen .
Als wir im vollen Rennen auf den Hof des Muͤſſe-
lims zujagten , und dabei durch einen breiten ſeichten Bach
ſetzten , konnte ich mich des Lachens uͤber den Anblick mei-
nes Gefolges nicht enthalten ; ich hatte naͤmlich die Rude-
rer mit mir genommen , und meine vier Flußgoͤtter ſaßen
mit allen Attributen Neptuns , die Ruder auf der Schul-
ter und die Schlaͤuche zu beiden Seiten der kleinen Pferde
herabhaͤngend . Sobald die Roſſe gewechſelt , ſetzten wir
die Reiſe fort ; wir erſtiegen eine Stunde noͤrdlich der Stadt
den ſteilſten Fuß des Taurus ; die Sonne brannte ſchreck-
lich und die kahlen Felswaͤnde gluͤheten wie geheizte Oefen .
Dieſer Marſch wurde mir der muͤhſamſte , den ich je ge-
macht ; vier tiefe Thaͤler mußten wir durchſchreiten , zu de-
nen man ſich wohl 2000 Fuß hinabwindet , um jenſeits
eben ſo hoch wieder hinauf zu klettern . Waͤhrend des gan-
zen Tages bekamen wir keine menſchliche Wohnung zu ſe-
hen ; auf den Gipfeln der Hoͤhen und im Grunde der
Thaͤler erquickte zuweilen ein ſchoͤner Anblick das ermuͤdete
Auge , ſo in der Schlucht von Chadſchaly , wo ein maͤchtiger
Bach aus einer roͤthlichen Sandſteinwand bricht , ſchaͤumend
60 oder 80 Fuß tief hinab ſtuͤrzt und dann unter breiten
ſchattigen Platanen forteilt .
Nachdem wir die groͤßte Hoͤhe des Gebirgs erſtiegen ,
erblickten wir ploͤtzlich tief unter uns ein reizendes Thal ;
die gruͤne , voͤllig wagerechte Ebene von wohl einer Meile
im Durchmeſſer war mit Saaten und Feldern geſchmuͤckt ,
von vier ſchlaͤngelnden Baͤchen mit kryſtallhellem Waſſer
durchzogen und rings von himmelhohen Bergen umgeben ,
an deren Fuß mehrere Doͤrfer lagen . Mit der letzten An-
ſtrengung unſerer muͤden Thiere kletterten wir hinab , und
erreichten mit Sonnenuntergang , alſo nach achtzehnſtuͤndi-
gem Ritt , ein Dorf , welches unter den rieſenhafteſten Nuß-
baͤumen verſteckt lag , die ich je geſehen . Aber wie groß
war unſer Verdruß , als wir alle Haͤuſer verlaſſen und leer
fanden .
Die Kurden ziehen waͤhrend des Sommers oft aus
ihren Doͤrfern aus und bringen die heiße Jahreszeit mit
den Heerden auf den kuͤhlen Bergen zu ; ſo wie der Schnee
ſchmilzt , und gruͤne Weiden bloß werden , ſteigen ſie hoͤher
empor , und wir mußten noch eine neue Bergwand erklim-
men , wo wir aus großer Ferne Rauch geſehen zu haben
glaubten . Jndem wir aus dem Gebuͤſch heraustraten , be-
fanden wir uns ploͤtzlich mitten im Kurden-Lager ; die
ſchwarzen Zelte ſtanden in einem weiten Kreiſe herum , die
Weiber waren mit den Heerden beſchaͤftigt , die Maͤnner
lagen auf Teppichen an der Erde und rauchten , und Schaa-
ren von Kindern ſpielten um ſie herum .
Unſere Erſcheinung verurſachte einen allgemeinen Auf-
ſtand . Wenn ich daran dachte , wie dieſe armen Menſchen
in letzter Zeit von den Tuͤrken behandelt worden , wie man
ihre Doͤrfer verbrannt , ihre Saaten zertreten und ihre Soͤhne
fuͤr den Dienſt gewaltſam weggefuͤhrt , ſo blickte ich nicht
ohne einiges Mißtrauen auf dieſe Scene . Meine Marine-
truppe war in der That nicht ſehr formidabel und mein
bewaffnetes Gefolge ſchwach ; aber der Empfang verſcheuchte
bald jede Beſorgniß . Der Jchtjar des Lagers eilte ſogleich
herbei , hob mich vom Pferde , fuͤhrte mich in ſein eigenes
Zelt auf ſeine beſten Kiſſen , und ſeine Frau ( die aͤlteſte ,
jedoch nicht die ſchoͤnſte Dame ihres Stammes ) ließ ſich 's
nicht nehmen , nach alt-orientaliſchem Brauch ihrem Gaſte
die Fuͤße zu waſchen ; die Pfeife fehlte nicht , aber Kaffee
war ein Luxusartikel , der in dieſem Lager nicht vorhanden
war , dagegen wurde ſogleich eine junge Ziege und ein Pil-
law von Bulgur oder Gerſtengruͤtze zum Abendbrot be-
ſtimmt . Das widerſtrebende Thier wurde vor das Zelt ge-
zogen und mit dem Handſchar als Kurban oder Opfer ge-
ſchlachtet . Die Aelteſten aus den verſchiedenen Familien
erſchienen ; ſie kauerten nach erlaſſener huldreicher Auffor-
derung an der Erde nieder und boten mir einer nach dem
andern ihre Pfeife .
Die kurdiſchen Weiber gehen unverſchleiert , aber die
Angehoͤrigen tragen Sorge , daß man die Huͤbſchen nicht
leicht zu ſehen bekommt ; ſie haben Ringe in den Naſen ,
und was von Geld im Lager vorhanden , tragen die Frauen
im Haar . Jch verehrte meiner Wirthstochter ein ganzes
Muͤnzkabinet von ſchlechten Zwei- , Drei- und Fuͤnf-Piaſter-
ſtuͤcken , deren man , Dank ſei es der Muͤnze in Konſtanti-
nopel , eine ziemliche Menge fuͤr ein paar Thaler beſchaffen
kann . Das Maͤdchen war nun in ihrem Stamm als eine
reiche Erbin anzuſehen , was Geld anbetrifft , und der Mut-
ter machte ich eine große Freude , indem ich ihr meinen
Vorrath von Kaffee zuruͤckließ .
Am folgenden Morgen fruͤh erreichten wir das Dorf
Abdul-harab mit den Ruinen eines alten Schloſſes mitten
in einem weiten Schilfmeer . Wir ſtiegen nun mehrere
Stunden lang in das ſteinige nackte Thal aufwaͤrts bis
zur Hoͤhe des Bey-dagh oder Fuͤrſtenbergs ; von da ſenkt
ſich der Saumpfad eben ſo anhaltend wieder herab . Die
Hitze war furchtbar und unſere armen Thiere noch von ge-
ſtern ſehr ermuͤdet ; hinter jeder Felsecke glaubte ich , der
Blick in die weite Ebene von Malatia muͤſſe ſich oͤffnen ,
aber eine Enttaͤuſchung folgte der andern . Ploͤtzlich ſtan-
den wir neben einer der gewaltigſten Quellen ; das kryſtall-
helle kalte Waſſer ſprudelt armdick an zwanzig bis dreißig
Stellen aus dem Kalkſteine hervor und ſtroͤmt als rau-
ſchender Bach zwiſchen ſchoͤnen Platanen und gruͤnen Ufern
uͤber Felstruͤmmer und Geſtein . Eine Gruppe großer Maul-
beerbaͤume erquickte uns durch ihre Schatten und ſuͤßen
Beeren .
Jch werde nie den koͤſtlichen Eindruck vergeſſen , den von
hier an das Thal des Sultan-ſuj macht . Als man einem
beruͤhmten engliſchen Jngenieur den Einwurf machte , wozu
er wohl meine , daß Gott die Fluͤſſe geſchaffen , antwortete
er : „ um die Kanaͤle zu ſpeiſen . “ — Jch denke , er haͤtte
hinzu ſetzen koͤnnen : „ und um die Felder zu bewaͤſſern . “
Wirklich glaube ich , daß man in funfzig oder hundert Jah-
ren ſolche truͤbſelige Stroͤme , wie die Oder und Elbe , in
welchen die Schiffer ſich des Sommers mit dem Spaten
durchgraben muͤſſen , gar nicht mehr ſtatuiren , ſondern die
ſie umringenden Sandſchellen mit ihrem Waſſer begießen
wird . Den Sultan-ſuj hat man dicht an ſeinem Urſprung
ſchon gefaßt und ihn zu beiden Seiten des Thals wohl
200 Fuß uͤber der natuͤrlichen Thalſohle an den Berg-
lehnen und auf Bruͤckenboͤgen uͤber die Querthaͤler hinge-
fuͤhrt ; die Thalwaͤnde entfernen ſich mehr und mehr bis
zu einer Breite von wohl 1000 Schritten , und dieſer ganze
Zwiſchenraum iſt angefuͤllt mit einer fortlaufenden , vier
geographiſche Meilen langen Reihe von Ortſchaften , den
Doͤrfern Hyndebeg , Tſchirmigly , Vargaſu und Asbuſu ,
welche ſich bis auf eine Stunde nahe an Malatia ( dem
alten Melitene ) heran erſtrecken . Alles , was unterhalb
jenes Waſſerfadens liegt , iſt ein Paradies , was eine Hand-
breit oberhalb deſſelben , eine Wuͤſte . Das tiefe , ſchattige
Gruͤn des Thals , unter welchem 20,000 Menſchen wohnen ,
contraſtirt wunderbar mit dem grau und roͤthlichen Geſtein
der Hoͤhe , welche von der Sonnenhitze zu gluͤhen ſcheint ,
und auf der kein Buſch , kein Grashalm mehr fortkommt ;
die breiten Kronen der Nuß- und Maulbeer-Baͤume uͤber-
decken die Wohnungen , ſo daß ſelten nur ein flaches Dach
oder ein Minareh zum Vorſchein kommt ; viele tauſende
ſchlanker Pappeln erheben ſich aus der dunkelgruͤnen Maſſe ,
und die koͤſtlichſten Obſt- und Gemuͤſe-Gaͤrten , tauſende
von Haͤuſern , Straßen und Bruͤcken ſind unter demſelben
Laubdach verſteckt . Man muß einen Gebirgsmarſch in der
Gluͤhhitze gemacht haben und nach Asbuſu kommen , um
zu wiſſen , was Schatten und Waſſer fuͤr Wohlthaten ſind .
Jch habe den Paſcha aufmerkſam gemacht , wie vor-
theilhaft es waͤre , eine Anzahl Seidenbauer aus Bruſſa
oder Amaſia kommen zu laſſen , welche die Kultur dieſes
koͤſtlichen Stoffs in Asbuſu einzufuͤhren verſtaͤnden , wo
wohl 20- oder 30,000 Maulbeerbaͤume vorhanden ſind ,
von denen man bis jetzt nur die Beeren erntet .
Meſereh bei Karput , den 23. Juli 1838 .
Malatia ( oder vielmehr Asbuſu ) iſt ein Lagerplatz , wie
man wenige findet ; an jedem Orte , wo Du ſagſt , hier will
ich Waſſer haben , leitet man Dir einen Fuß dicken Strahl
des klarſten Waſſers hin . Die Lagerplaͤtze ſind hoch , et-
was ſteinig , aber dem friſchen Luftzug offen ; deſſenunge-
achtet behaupten die Leute hier , die Luft ſei nicht geſund .
Wie ſollte der ſteinige Fuß eines Gebirges mit ſchnellflie-
ßendem Waſſer , ganz frei von Suͤmpfen und bedeckt mit
ſo viel Baͤumen , ungeſund ſein koͤnnen . Von Malatia fuͤh-
ren drei Straßen vorwaͤrts : 1 ) die fahrbare uͤber Goͤſene ,
Suͤrghi , Erkenek , Pelwere und Behesne , fuͤr Artillerie ,
Cavallerie und einen Theil der Jnfanterie ; 2 ) der Fuß-
und Reitweg durchs hohe Gebirg uͤber Abdul-harab und
Adiaman fuͤr die Jnfanterie ; 3 ) die Waſſerſtraße des Mu-
rad . Der Paſcha ſchickt heute Halil-Bey mit vierzig
Steinſprengern ab , um ſieben von mir bezeichnete Stellen
zu oͤffnen .
Leider iſt der Commandirende unpaͤßlich , die kleinen
Paſcha's wollen hier nicht fort , und Alles bleibt bei „ Ba-
kalum “ ( wir wollen ſehen ) .
Ein freilich gewichtiger Grund fuͤr die bisherige Un-
thaͤtigkeit iſt der entſetzliche Geſundheitszuſtand : ein Batail-
lon der Landwehr hat 350 Kranke ; in Malatia ſind uͤber
tauſend Kranke im Hoſpital . Jch weiß nicht , iſt dieſe
Raçe ganz enervirt , oder welche Urſache kann das haben ?
Die Leute exerzieren zwei Stunden fruͤh , eine oder zwei des
Abends ; das Eſſen iſt gut und reichlich , die Zelte ſind
reinlich , der Lagerplatz trocken , das Waſſer gut und in ge-
nuͤgender Menge vorhanden , und bei alle dem dreißig pC .
Kranke ! Bei den Linien iſt der Geſundheitszuſtand beſſer ,
aber auch nicht befriedigend ; ein Bataillon hat ſechzig
Kranke . — Was ſoll daraus werden ! Man ſchiebt alle
Schuld auf „ Hawah “ , die Luft .
Karput , den 3. Auguſt 1838 .
Wir liegen hier auf der Baͤrenhaut , und zwar Alle
krank auf derſelben ; auch ich habe mich legen muͤſſen , doch
nur drei Tage . Der Paſcha iſt geſtern zum erſtenmal wie-
der ausgegangen .
Hafiß-Paſcha war unpaͤßlich , als der durchreiſende
engliſche Conſul ihm ſeinen Arzt anbot ; dieſer ſtellte ihn
bald her , es blieb aber die nach Krankheiten gewoͤhnliche
Mattigkeit und Unbehaglichkeit . Der Paſcha glaubte , nun
erſt recht unwohl zu ſein , behauptete , aus Gefaͤlligkeit ge-
gen den Conſul ſich in dieſe Lage begeben zu haben , der
engliſche Doktor habe ihn krank gemacht . Nun kamen die
tuͤrkiſchen Rathgeber mit allerlei Scherbetten , und nach eini-
gen Tagen hatte der Paſcha eine heftige Haͤmorrhoidal-
Kolik ; darauf wurde ein Mollah geholt , welcher ausſagte ,
es ſei ſehr heilſam und dabei gottgefaͤllig , ein Brot ſo und
ſo auf dem Feuer zu zerſchneiden ꝛc . ; ein Freund hatte ge-
ſchrieben , daß er ſich mit Kaffeebohnen kurirt . Trotz die-
ſer Mittel wurde die Sache aber immer ſchlimmer , und
der griechiſche Apotheker mit dem Klyſtier citirt , welches
bisher als „ Haram “ oder Suͤnde verworfen war ; jetzt folgt
er den Vorſchriften eines tuͤrkiſchen Arztes ( außer in Be-
tracht , worauf er Appetit hat ) , fragt aber zugleich meinen
Dragoman um Rath uͤber den Rath des Arztes . — „ O !
Juͤngling , lern' aus der Geſchichte . “
Sobald ein Rathſchlag einige Verwickelungen und
Schwierigkeiten nach ſich zieht , wird der Urheber in die
Categorie des engliſchen Arztes rangirt werden ; dann
wird man ſich Rath aller Orten erholen , von Allem et-
was , und endlich gar nichts mehr thun , ſondern die Dinge
werden ihren eigenen Gang gehen .
Die Peſt iſt in Siwas ausgebrochen , man hat dort
ſanitaͤre Anſtalten getroffen . Bei dem großen Verkehr , in
welchem wir ſtehen , iſt aber doch eine fuͤnftaͤgige Quaran-
taine fuͤr alle von dort herkommende Reiſende und Sachen
zu Hekim-hann beſchloſſen worden . Der Geſundheitszuſtand
der Truppen iſt ſo ſchlecht wie moͤglich ; mehrere tauſend
Kranke und noch mehr Reconvaleſcenten , — Alles ohne
Arzt ! Wir ſind in dieſem Augenblick faſt unfaͤhig , einen
Feldzug zu machen , wir wuͤrden die halbe Mannſchaft un-
terwegs laſſen .
Der Paſcha iſt nun ſeit ſechs Wochen unpaͤßlich , und
in all der Zeit hat er ſeine Truppen nicht geſehen ; Abends
laͤßt er mich rufen , dann ſetzen wir uns auf unſere Maul-
eſel und reiten nach irgend einem nahen Garten oder Wein-
berg , breiten Teppiche an die Erde , rauchen , trinken Waſſer
aus dem Euphrat , welches eigends herbei geholt wird , und
reiten mit der Dunkelheit friedlich nach Hauſe . So leben
wir , vielleicht wenige Wochen vor Ausbruch eines entſchei-
den Feldzugs .
Die Hitze iſt hier immer noch ſehr groß und die beſte
Zeit die Nacht ; ſeit Monaten ſchlafe ich nun ſchon im Freien
auf dem flachen Dache des Hauſes . Meine Wohnung liegt
hart an einem Abgrund , und es iſt von oben eine praͤch-
tige Ausſicht ; es iſt ganz anmuthig , ſich bei hellem Ster-
nenhimmel oder bei lauem Mondſchein niederzulegen und zu
erwachen , wenn die Sonne jenſeits der hohen Berge am
Euphrat aufſteigt und nach und nach die Gaͤrten , Doͤrfer
und Weinberge der weiten Ebene tief unter mir erleuchtet .
Mich quaͤlt aber die Unthaͤtigkeit , in welcher wir leben .
49.
Botſchaft des Großherrn .
Karput , den 19. Auguſt 1838 .
Hadſchi-Eſſet-Effendi , welchen der Großherr
ſchickt , um die Truppen fuͤr den Feldzug im Karſann-Dagh
zu beloben , iſt angekommen , und giebt allen Theilnehmern
und Soldaten ein Siafet oder Feſt . — Nun iſt freilich ein
tuͤrkiſches Diner , bei dem man an der Erde kauert und
Waſſer trinkt , eine traurige Feier ; der Effendi wurde
mit großem Pomp empfangen , ſaͤmmtliche Truppen pa-
radirten , leider aber die Bataillone meiſt nur mit ſechs ,
zum Theil nur mit vier ſchwachen Zuͤgen zu ſechzehn Rot-
ten . Der Paſcha erwartete den Queſtenberger unter ſei-
nem Zelte , und als er , geleitet von der ganzen uͤbrigen
Generalitaͤt , ankam , ging er ihm hundert Schritte entge-
gen , empfing das in purpurnen Atlas gewickelte Schreiben
des Großherrn , druͤckte es an Bruſt , Mund und Stirn ,
und trug es erhoben vor ſich her in ſein Zelt , wo ſaͤmmt-
liche Paſcha's und Regiments-Commandeurs ſich nieder-
ließen ; der Paſcha und der Effendi ſpielten einige Redens-
arten aus , dann zogen wir uns zuruͤck und ließen Beide
allein .
Die Artillerie hatte mit antreten und feuern ſollen ,
ſie war aber mitten auf der Ebene ſtecken geblieben , und
feuerte nun nachtraͤglich aus weiter Ferne , wobei ſie uns
auch noch ein paar Schuß ſchuldig blieb ; der Paſcha war
daruͤber ſehr erzuͤrnt , und ich daruͤber ſehr erfreut . „ Es
gab eine Zeit , “ ſagte er den verſammelten Generalen , „ wo
wir die beſten Topdſchi's der Welt waren , und jetzt koͤnnen
wir nicht uͤber eine Ebene fahren ! “ „ Kuͤrzlich , “ fuhr er
fort , „ hat ein gewiſſer Bey geſagt , daß die Artillerie , welche
die aus Preußen geſandten Offiziere in Konſtantinopel er-
richten , ihm nicht gefalle , ſie ſchoͤſſe langſam ꝛc . ; ſolchen
Leuten ſollte man den Kopf vor die Fuͤße legen , wir muͤſ-
ſen dem Padiſchah alle Tage danken , daß er uns Offiziere
geſchickt , welche unſer Jntereſſe beſſer wahrnehmen , als
wir ſelbſt , und fuͤr uns arbeiten , wenn wir ſchlafen ! “
50.
Die orientaliſche Tracht .
Hauptquartier Asbuſu bei Malatia ,
den 2. September 1838 .
Jch habe Dir jetzt uͤber die letzten ſechs Wochen mei-
nes Aufenthalt nachzuholen . Eine kleine Excurſion an die
Quellen des Tigris ausgenommen , wurde ſie groͤßtentheils
zu Karput zugebracht , auf einer Klippe 1000 Fuß uͤber der
reichen weiten Ebene von Meſireh , die rings von hohen
Bergen eingefaßt iſt . Die Hitze unten zwang uns , nach
dieſem Adlerhorſt zu fluͤchten , von welchem wir die Doͤr-
fer , die Wege und Baͤche , die Baumwollenfelder und Wein-
gaͤrten , die Maulbeerwaͤldchen und die Laͤger der Truppen
wie auf einer großen Landkarte uͤberblickten . Dieſer Auf-
enthalt war indeß ſehr einfoͤrmig und unerfreulich ; taͤglich
kuͤhlte ein heftiger Wind , von dem man unten in der Ebene
nichts ahnete , die Hitze bedeutend ab , aber Wind iſt im-
mer ein unangenehmes , widerwaͤrtiges Wetter ; dabei war
die Sonnenhitze doch ſo brennend , daß man den ganzen
Tag das Zimmer huͤten mußte , und nur Geſchaͤfte trieben
mich von Zeit zu Zeit in die Ebene hinab . Erſt wenn die
gluͤhende Scheibe ſich hinter die hohen armeniſchen Berge
geſenkt , auf deren Gipfel hin und wieder noch ein ſilber-
glaͤnzendes Schneefloͤckchen ihren Strahlen trotzt , dann lebt
man auf ; nach und nach erſcheinen dann auf allen Daͤ-
chern die Familien , um Luft zu ſchoͤpfen . Dort werden
die Teppiche ausgebreitet und Kiſſen gelegt fuͤr den Haus-
herrn ; er laͤßt ſich von den jungen Mitgliederu der Fami-
lie bedienen , welche ehrerbietig vor ihm ſtehen bleiben , waͤh-
rend er die Pfeife trinkt ; dann erſcheint die große runde
Meſſingplatte mit zahlloſen zinnernen Schuͤſſeln , welche das
Mittagsmahl enthalten , und endlich der Kaffee . Nach gu-
ter Sitte geht man fruͤh ſchlafen , nichts als den pracht-
voll funkelnden Sternhimmel uͤber ſich , um fruͤh , wenn die
aufgehende Sonne den hoͤchſten Gipfel roͤthet , vor ihr die
Flucht zu ergreifen und an ſein Geſchaͤft zu gehen .
Herzlich froh war ich , als der Paſcha mich in Kar-
put aufforderte , mit ihm in ſeiner vierſpaͤnnigen Kaleſche
nach Malatia zu fahren ; das mußt Du Dir vorſtellen un-
gefaͤhr , als wenn man bei uns Jemand vorſchlaͤgt , mit ihm
in einem Luftballon aufzuſteigen . Die Sache ging vortreff-
lich bis an den naͤchſten Berg ; dort erkannten wir , daß in
dieſem Lande ein Mauleſel eine weit zuverlaͤſſigere Reiſe-
gelegenheit iſt , als ein Wiener Wagen .
Nachdem der Paſcha die Truppen gemuſtert und das
Lager beſichtigt , verfuͤgten wir uns nach Asbuſu , der Som-
merſtadt von Malatia . Ueber dieſen wunderlieblichen Auf-
enthalt habe ich Dir ſchon in fruͤheren Briefen geſchrieben ;
man kann ſich einbilden , in der lombardiſchen Ebene zu
ſein , ſo viel friſches Gruͤn der Maulbeerbaͤume und Wein-
gaͤrten , ſo zahlloſe kleine Kanaͤle mit klarem , rauſchendem
Waſſer giebt es hier . Mein Konak ( Wohnung ) iſt klein , aber
einer der huͤbſcheſten , die ich hier gefunden , und es trifft ſich
wirklich recht ſeltſam , daß vor mir Waſſaf-Effendi ihn
bewohnte . Dieſer allmaͤchtige Guͤnſtling , von dem ich Dir ,
als ich den Großherrn begleitete , geſchrieben habe ( und
der , beilaͤufig geſagt , in allen Dingen mein Gegner war ) ,
fiel bald nach der Ruͤckkehr nach Konſtantinopel in Ungnade ,
und wurde nach Maaden , d. h. in den Bezirk der Berg-
20
werke des Taurus , verbannt . Hier hatte er ſich daſſelbe
Plaͤtzchen ausgeſucht , auf welchem ich Dir jetzt ſchreibe ;
ſeine Feinde aber , und er hatte deren viele und maͤchtige ,
ſchleppten ihn nach Varna , und dort — ſtarb er ploͤtzlich .
Er ſoll ſich zum Fenſter hinaus geſtuͤrzt haben , und es
ſcheint , daß man ihm dabei geholfen .
Seit vier Monaten haben wir hier keinen Regen , kaum
nur ein Woͤlkchen am Himmel geſehen . Mein kleines Pa-
lais hat ein flaches Dach und nur drei Waͤnde , und dieſe
auch nur des Schattens wegen ; dies ganze Haus habe ich
meinen Leuten eingeraͤumt , einem Tſchauſch oder Sergean-
ten als Ehrenwache , einem tuͤrkiſchen Soldaten , meinem
Bedienten , und zwei Seïs oder Pferdewaͤrtern ; ich ſelbſt
wohne auf einer Bruͤcke , unter einem Baume , naͤmlich auf
einer bretternen Eſtrade , die , um der Kuͤhle willen , uͤber
dem darunter fortrauſchenden klaren Gebirgsbach erbaut iſt ,
welcher dies ganze Paradies geſchaffen . Teppiche und Pol-
ſter bedecken den Boden meines acht Schritte ins Gevierte
haltenden Salons , und den Plafond bildet ein Gelaͤnder
von praͤchtigen Weinreben voll Trauben , die , vereint mit
den naheſtehenden Nuß- und Maſtix-Baͤumen , zu allen
Tageszeiten einen koͤſtlichen Schatten auf dieſen Sitz wer-
fen . Hier ſchreibe , leſe , eſſe , rauche und ſchlafe , kurz wohne
ich ſeit Wochen Tags und Nachts , außer wenn ich aus-
reite oder beim Paſcha bin ; eine Wand von himmelhohen
Pappeln ( dreizehn auf neun Schritte Raum zuſammen ge-
draͤngt ) trennt zwei kleine Hofraͤume ab , in welchen meine
Pferde und Mauleſel ſich befinden , und rings um das
Ganze verbreiten ſich Gaͤrten voll rieſenhafter Kuͤrbiſſe , Me-
lonen , Paſteken , Mais , Gurken und Bohnen , uͤberſchattet
von Aprikoſen- , Nuß- , Pflaumen- , Birnen- , Aepfel- und
Maulbeer-Baͤumen .
Die Witterung hat ſich ſchon etwas abgekuͤhlt ; wir
haben aber doch des Mittags ſelbſt hier auf meinem ſchat-
tigen Sitz uͤber dem Waſſer noch 25 Gr. , des Nachts ſinkt
die Temperatur hingegen ſehr bedeutend , und kurz vor
Sonnenaufgang haben wir regelmaͤßig 11 — 12 Gr . Die-
ſer ſo bedeutende Temperaturwechſel , verbunden mit dem
Genuſſe des reichlich vorhandenen Obſtes , mag die Haupt-
urſache zu den vielen Krankheiten ſein , die unſere Solda-
ten heimſuchen .
Jch habe fruͤher nicht begreifen koͤnnen , wie die Tuͤr-
ken im Stande ſind , Pelze zu tragen , und ich ſelbſt , der
ich daheim nie einen brauchte , habe ihn hier den ganzen
Sommer nicht abgelegt . Nachdem man den Tag uͤber bis
28 Gr. Hitze ertragen , findet man es bei 14 oder 15 Gr.
des Abends empfindlich kalt ; viele der Eingebornen tragen
zwei bis drei Pelze uͤber einander , Sommer und Winter ,
Mittags und Nachts , denn der Tuͤrke ſchlaͤft faſt ganz an-
gekleidet ; er behauptet , daß eben die Menge der Kleider
gegen Waͤrme ſo gut wie gegen Kaͤlte ſchuͤtzt .
Mir iſt die Hitze eigentlich nie unertraͤglich geworden ,
nur macht ſie traͤge ; jede Bewegung iſt eine Kraftanſtren-
gung , und die groͤßte von allen iſt einen Brief zu ſchrei-
ben . Meine Tracht zu Hauſe iſt ein großer weißer Man-
tel von duͤnnem wollenen Zeug , wie er bei den Kurden
uͤblich und wie ihn die Malteſer-Ritter aus dieſen Laͤndern
nach Europa mitgebracht haben . Nichts Zweckmaͤßigeres
und Angenehmeres als dieſe Tracht ; man kann unter dem
Mantel anhaben ſo viel und ſo wenig man will , er ſchuͤtzt
beim Reiten gegen Sonne , wie gegen Regen ; Nachts dient
er als Bettdecke , und je nachdem man ihn umhaͤngt , an-
zieht oder umbindet , iſt er Mantel , Kleid , Guͤrtel oder Tur-
ban . Die Conſtruktion dieſes Gewandes iſt die einfachſte ,
naͤmlich die eines in der Mitte aufgeſchlitzten Sackes ; deſ-
ſenungeachtet drappirt er ſehr gut , und die unregelmaͤßige
Reiterei mit ſolchen Maͤnteln , bunten Turbanen und lan-
gen Flinten ſieht wirklich maleriſch aus .
Jn Hinſicht des Coſtuͤms koͤnnten wir uͤberhaupt man-
ches von den Orientalen lernen . Morrier , welcher lange
und ſcharf beobachtete , und welcher in ſeinen Romanen von
den Sitten dieſes Landes eine richtigere Vorſtellung giebt ,
als ſo manches gelehrte Werk , laͤßt den Tuͤrken beim An-
blick eines Fracks ausrufen : „ Franke , in deinem Lande
muß das Tuch ſehr theuer ſein ! “ Das Meiſterwerk eines
Staub zu Paris oder Gunkel zu Wien erſcheint unſern
Nachbarn im Oſten als der Jnbegriff aller Duͤrftigkeit .
Sieht der Tuͤrke dazu noch ein enganſchließendes Beinkleid ,
Stiefeln , in die man ſich nur durch eine Kraftanſtrengung
hinein zwingt , eine hohe enge Halsbinde und einen harten
ſchwarzen Cylinder , der alle Augenblick auf den Kopf ge-
ſtuͤlpt und wieder abgenommen wird , ſo zieht er ſinnend
uͤber ſolche Selbſtquaͤlerei die Brauen in die Hoͤhe , als
wollte er ſagen : „ Allah ! je n'y comprends rien ! “
Die Tuͤrken ſteigen in demſelben Anzuge zu Pferde , in
welchem ſie ſchlafen , und brauchen weder Sprungriemen
noch Sporen anzulegen . Niemand braucht ein anderes
Kleid anzuziehen , weil er zu einem vornehmen Manne geht ,
ausgenommen die reichen Rajahs , welche ſich zu dieſem
Anlaß einen zerlumpten Rock borgen .
Hier ſieht man uͤberall noch das ſchoͤne alte Coſtuͤm ;
der Turban iſt eben ſo kleidſam als zweckmaͤßig . Je nach-
dem man ſich gegen die Sonne oder den Regen von der
einen oder der andern Seite ſchuͤtzen will , wird der Shawl
anders gewickelt , mit dem Hute hingegen liefe man be-
ſtaͤndig Gefahr einen Sonnenſtich zu bekommen . — Das
Beinkleid iſt ein oft neun Ellen weiter Sack , der um den
Leib zuſammengeſchnuͤrt wird , und an deſſen untern Ecken
zwei Loͤcher ſind , aus denen die Fuͤße mit buntgeſtrickten
Socken hervorkommen ; zwei , drei , ſechs oder acht Jacken
von leichtem Zeuge , oft reich geſtickt , ſchuͤtzen den Koͤrper
nach Maaßgabe des Beduͤrfniſſes ; ein breiter Gurt oder
ein Shawl um den Leib nimmt Geldkatze , Tabacksbeutel ,
Handſchar , Meſſer , Piſtolen und Schreibzeug auf ; eine
Pelzjacke und daruͤber ein langer Pelz vervollſtaͤndigen den
Anzug , und ein Mantel von Ziegenhaar oder Filz ſchuͤtzt
gegen Unwetter und dient als Lager .
Jede Bewegung des Mannes in dieſem faltenreichen
Anzug giebt ihm ein ſtattliches Anſehn , und alle Augenblick
ſieht man eine Figur , die man zeichnen moͤchte . Es iſt
erklaͤrbar , daß man die Tuͤrken fuͤr die ſchoͤnſten Leute der
Welt gehalten hat , bis man ihnen fraͤnkiſche Kleider anzog ;
haͤtten unſere wohl ausexerzierten Leute tuͤrkiſche Tracht , ſie
muͤßten praͤchtig ausſehen .
Du ſiehſt , daß ich Dir eigentlich Neues nicht zu be-
richten habe . Der Aufenthalt hier in Malatia iſt wie die
kleinen Wirbel in einem reißenden Strome , in welchem
Strohhaͤlmchen und Blaͤtter einen Augenblick ſtill ſtehen und
dann weiter ſchießen . Waͤhrend des Reſts der Sommer-
hitze laſſe ich es mir ſchon gefallen ; wohin dann , weiß ich
nicht , denn wir erfahren hier nur , was der naͤchſte Tag
bringt .
51.
Deſertionen .
Asbuſu bei Malatia , den 23. September 1838 .
Vorgeſtern Abends traf ein Aga Heyder-Paſcha 's
beim Paſcha ein , der ihm eilig auf Tſcherkeſſiſch eine Mel-
dung machte , deren Eindruck der Alte nicht ganz verbergen
konnte ; er blieb jedoch ſitzen , bis die Anweſenden ſich zu-
ruͤckgezogen . Da ich hoͤrte , daß der Paſcha ſein Pferd for-
derte , ſo ließ ich ſogleich auch ſatteln und begleitete den
Herrn ; unterwegs ſagte er mir , daß 180 Mann von den
Maraſcher Rediffs oder Landwehr deſertirt ſeien , daß meh-
rere Offiziere mitgegangen , und daß die Leute die Gewehre
mitgenommen . Es wurde nun ſogleich Befehl zum Auf-
ſitzen an die geſammte Cavallerie in die Doͤrfer geſchickt ,
wo ſie cantonniret , ein halber Beutel fuͤr jeden Gefange-
nen zugeſagt , und da die Fluͤchtlinge ihre Richtung auf die
Bey-Daghler genommen , ſo machten wir ſelbſt eine Reco-
gnoſcirung in jener Richtung . Es war Neumond , aber
die Sterne leuchten hier ſo hell , daß man ziemlich weit
um ſich ſieht ; indeß nachdem wir allgemach alle unſere
Aga 's nach verſchiedenen Seiten ausgeſchickt , und ich faſt
allein mit dem Paſcha und dem Divan-Effendi uͤbrig war ,
ſetzten wir uns in ein Diſtelfeld und tranken harmlos eine
Pfeife . Paſcha-Effendimis , der anfangs ſehr zornig , er-
zaͤhlte uns , wie er ſelbſt weiland in Tſcherkeſſien verſchie-
dene Male deſertirt , beſonders einmal , als ſein Herr Va-
ter ihn an eine lange Kette gelegt , mit ſammt der Kette
auf drei Monate ſich entfernt habe . Nachdem die Ge-
ſchichte zu Ende und der Morgen daͤmmerte , ritten wir
friedlich nach Hauſe . Funfzehn der Fluͤchtlinge ſind ſchon
aufgegriffen , ſie werden einige hundert Pruͤgel auf die Fuß-
ſohle bekommen und dann zu Manſurieh oder Linien-Sol-
daten gebracht ; aber ein trauriges Licht wirft dies Aus-
reißen auf unſere Landwehr .
Jch ſchrieb Dir letzt , daß unſer Paſcha vor allen Din-
gen der General-Jntendant ſeines Corps ſei . Wie ſehr
dies der Fall iſt , wirſt Du aus folgendem Vorgang ent-
nehmen : Obwohl die Brigade Mehmet-Paſcha 's ihr
Hauptgepaͤck von Karput aus direkt durchs Gebirg uͤber
Argana nach Urfa dirigirt ( ein Weg , den man mit den
Truppen um der Deſertion willen nicht einſchlug ) , ſo brauchte
ſie hier doch nicht weniger als 1000 Mekiereh ( Miethpferde ) ,
um den Reſt von Troͤdel fortzuſchaffen ; ich war im Be-
griff , dem Paſcha hieruͤber Vorſtellungen zu machen , als
Hamdy-Bey ( einer der intelligenteſten unter den tuͤrki-
ſchen Offizieren ) mir ein Memoire brachte , welches die Ra-
tionen und Pferde der aͤgyptiſch-ſyriſchen Armee mit den
unſerigen verglich . Jch ermunterte ihn , es dem Paſcha zu
uͤberreichen , und verſprach ihn dabei auf's Beſte zu unter-
ſtuͤtzen . Kaum hatte Hafiß-Paſcha die erſte Zeile gele-
ſen , als er ſich beifaͤllig erklaͤrte ; er fuͤhrte eine Menge
Beiſpiele von den Mißbraͤuchen an , die hier ſtatt finden ,
wie ** Paſcha 36 Pferde , außer Klepper und Maulthiere ,
mit ſich ſchleppe , und noch Mekiereh verlange , um ihnen
Futter nachzutragen u. ſ. w. Bei der zweiten Zeile aber
ſagte er : „ Da ! nimm dein Memoire , mache , daß du fort-
kommſt , ich will es weder ſehen noch hoͤren , denn wenn
ich damit anfange , ſo mache ich mir alle meine Offiziere
zu Feinden . “ Jch ſagte , die Beſtimmungen muͤßten dar-
uͤber als Kanun oder Geſetz aus Konſtantinopel kommen ;
er meinte , aber ſelbſt dann wuͤrde man ihn als die Urſache
anſehen , und der Zeitpunkt zu dieſer Reform ſei jetzt nicht
guͤnſtig .
52.
Schnelle Temperatur-Wechſel .
Malatia , den 3. Oktober 1838 .
Da hab' ich nun ſo lange verſchoben , Dir zu ſchrei-
ben , daß mir jetzt dazu kaum ein Augenblick bleibt . Es
ſteht wieder ein Ritt von uͤber 100 Meilen bevor , den ich
morgen fruͤh antrete ; ich reiſe uͤber Kaiſarieh nach Konieh ,
wo ich meinen Cameraden , den Hauptmann F. , treffe ; die
ganze Reiſe darf nicht uͤber drei Wochen dauern .
Nachdem ich vor vier Tagen noch gebadet , iſt es ſeit
geſtern auf einmal Winter geworden ; wir haben Morgens
nur 3 Gr. Reaumur Waͤrme ( das Waſſer 9 Gr. ) und die
Hoͤhen der armeniſchen Berge ſind ſchon mit Schnee uͤber-
lagert , ſelbſt die niedrigen Berge , durch welche ich meinen
Weg zu nehmen habe , ſind weiß . Jch hoffe aber , daß
dies nur ein froſtiger Aequinoctialſcherz vom Wetter iſt ,
denn es kann hier unterm 38ſten Breitengrade doch un-
moͤglich ſchon Winter werden .
53.
Reiſe nach Jconium . — Die Siebenſchlaͤfer . — Der
Erdſchieſch und Caͤſarea . — Kara-djehenna . — Jco-
nium . — Die Ciliciſchen Paͤſſe . — Der Biſchof
von Tomarſe . — Der Awſcharen-Fuͤrſt .
Malatia , den 3. November 1838 .
Am 3. November verließ ich Malatia , begleitet von
einem Dragoman , einem tuͤrkiſchen Tſchauſch , einem Ta-
taren und einem Seïs oder Pferdeknecht mit dem Hand-
pferde , d. h. mit ſo wenig von dem , was der Tuͤrke Ka-
labalyk oder Embarras nennt , wie man in dieſem Lande
haben kann . Vier Gefaͤhrten ſind eine Zahl von heilvol-
ler Bedeutung , uͤberdies brachen wir an einem Donnerſtag
auf , wo „ Gott und die Engel hold ſind “ ; wir waren ſo
gluͤcklich , weder einem Hunde mit abgeſchlagenem Schwanz ,
noch einer Stute mit aufgeſchlitzten Ohren , weder einem
Wolfe , der auf dem Schweife ſaß , noch gar einer alten
Frau mit grauen Haaren zu begegnen , und ſo ging die
Reiſe auch aͤußerſt gut von ſtatten . Schnell jagten wir
uͤber die weite , von hohen , ſchon mit Schnee bedeckten Ber-
gen umgebene Ebene von Malatia fort , und ſtiegen im Thal
von Hekimhan ſanft , aber anhaltend , auf das hohe Plateau
des mittlern Kleinaſiens ; es war dies derſelbe Weg , den
ich im Fruͤhjahre mit ſo vieler Beſchwerlichkeit zuruͤckge-
legt , diesmal aber , vom ſchoͤnſten Herbſtwetter beguͤnſtigt ,
ging es in ſtarken Maͤrſchen raſch vorwaͤrts , um ſo mehr ,
als die Gegend hoͤchſt einfoͤrmig und ohne Jntereſſe iſt .
Waͤhrend eines Ritts von 22 Wegeſtunden , zwiſchen
Hekimhan und Deliklitaſch , erblickten wir nur zwei bewohnte
Oerter ; die Berge treten zuruͤck , und wie weit das Auge
reicht , entdeckt es nur unangebaute Flaͤchen oder kahle Huͤgel .
Auf der Ebene von Deliklitaſch iſt man gewiß 4- bis
5000 Fuß uͤber dem Meere ; es war mir ſehr auffallend ,
das Korn noch auf dem Halm , die Leute bei der Ernte zu
finden , wenige Tage zuvor war hier ſchon Schnee gefallen .
Jn unſerm noͤrdlichen Himmelsſtrich reichen einige warme
Sonnenſtrahlen hin , die ganze Vegetation zu beleben , hier
faͤngt das Fruͤhjahr uͤberall ſehr ſpaͤt an , und die Ernte
zieht ſich bis in den Winter hinein .
Man hatte mich genoͤthigt , eine Bedeckung von Be-
waffneten mitzunehmen , die ich bis Kaiſarieh in jedem Dorfe
wechſelte ; ſie ſollten uns gegen die raͤuberiſchen Anfaͤlle der
Awſcharen ſchuͤtzen , ein turkmaniſcher Wanderſtamm , wel-
cher im Winter im Gebiete von Adana hauſet , den Som-
mer aber auf aſiatiſchem Boden lagert und dann ſeine klei-
nen Beduͤrfniſſe auf Unkoſten Anderer zu beziehen pflegt .
Es waren kuͤrzlich Tataren angefallen , Reiſende gepluͤndert ,
und ſogar vor zwei Naͤchten ein Dorf angegriffen worden ,
was alle uͤbrigen Ortſchaften in Schrecken geſetzt hatte .
Der dritte Marſch ging in derſelben oͤden und einfoͤr-
migen Hochebene weſtlich fort ; mein Tatar richtete ſich im-
mer ſo ein , daß er Pferde und Fruͤhſtuͤck in einem Gjaur-
koͤj oder chriſtlichen Dorfe forderte , denn dort iſt er Herr
von dem Augenblick ſeiner Ankunft bis der Hufſchlag ſei-
nes Pferdes verhallt . Jn Kaſiler-Magara , einem armeni-
ſchen , huͤbſchen Dorfe , fragte ich , ob gar keine Moslem
dort wohnten : „ Olmaß , “ war die Antwort , „ das iſt un-
moͤglich . “ Warum ? „ Olmaß ! “ Endlich erfuhr ich , daß
hier die Hoͤhle ſei , in welcher die Siebenſchlaͤfer ihren vierzig-
jaͤhrigen Schlummer gehalten , und daß ein Tuͤrke , der ſich
im Dorfe niederlaͤßt , nach vierzig Tagen blind wird . Jch
beſuchte die Hoͤhle , in welcher man eine kleine Kirche ge-
baut hat . Nach einer andern wahrſcheinlichern Verſion
ſollen die frommen Schlaͤfer ihre Sieſta zu Kaiſarieh ge-
macht haben .
Nach dem Fruͤhſtuͤck erinnerten wir uns des Spru-
ches des Propheten : „ Schlafet den Schlaf Kailuleh ( den
Mittagsſchlaf ) , denn Satan ſchlaͤft ihn nicht , “ und ſetzten
dann unſern Ritt fort . Aber von Scharkiſchla aus war es
mit dem ſchoͤnen Wetter vorbei , der Regen ſtroͤmte unbarm-
herzig auf uns herab , meine Kleider waren ſo ſchwer , daß
ſie mich faſt erdruͤckten , und die armen Pferde konnten die
Fuͤße kaum aus dem tiefen Lehmboden herausziehen . Un-
ſer Einzug in das Staͤdtchen Gemerick gewaͤhrte den truͤb-
ſeligſten Anblick ; ich kroch in ein Paar weite rothe Bein-
kleider und den Pelzmantel des Mollahs , waͤhrend mein
wattirter Ueberrock an einem maͤchtigen Feuer geroͤſtet und
die Stiefeln ausgegoſſen wurden . Eine halbe Stunde jen-
ſeits des Staͤdtchens aber war es wieder daſſelbe Elend .
Wir uͤbernachteten in einem Dorfe unweit Pallaß an
den Salzquellen , welche die Gegend weit umher mit dieſem
Beduͤrfniß verſorgen ; es giebt aber dort weder Pumpen
noch Dampfmaſchinen , weder Gradirhaͤuſer noch Kochheerde ;
die flachen Teiche fuͤllen ſich von ſelbſt , die Sonne trocknet
ſie aus , das Salz bleibt fertig zuruͤck , und Kameele in lan-
gen Reihen tragen es davon . Als am folgenden Morgen
fruͤh der Wolkenvorhang ſich auseinander zog , ſtand vor
uns der maͤchtige Rieſe Erdſchieſch ; er hatte waͤhrend der
Nacht ein neues ſchneeweißes Kleid angelegt , purpurn ge-
faͤrbt von der Sonne , der er ſchon ins Antlitz ſchaute , ob-
wohl ſie fuͤr uns noch tief unter dem Horizont weilte ; noch
nie iſt es einem Sterblichen gelungen Als der Verf. dies ſchrieb , war ihm noch die Beſteigung durch
Hamilton unbekannt . , bis an die letzte
Spitze der weißen Muͤtze zu gelangen , die der Erdſchieſch
auch im heißeſten Sommer nicht ablegt , und funfzig Stun-
den weit bis nahe vor Konieh ſah ich den Giganten hoch
uͤber alle anderen Bergen emporragen . Die Form dieſes
Berges iſt uͤberaus ſchoͤn ; der ſchroffe Gipfel ſpaltet ſich
in drei Zacken , die mit ewigem Schnee uͤberſchuͤttet ſind ,
und rings umſtehen dieſe Rieſenpyramide eine Menge run-
der Bergkegel mit uͤberaus abſchuͤſſiger Boͤſchung , der Fuß
iſt mit endloſen Weinbergen bedeckt und verlaͤuft ſich in
eine Ebene , aus der die Kuppeln und Minarehs des neuen
Caͤſarea emporſtreben .
Kaiſarieh iſt eine der huͤbſcheſten Staͤdte in der Tuͤr-
kei , zwar ſind die Straßen auch hier eng und ſchmutzig ,
aber die Haͤuſer haben ein freundliches Anſehen ; ſie ſind
aus ſchoͤnem Sandſtein erbaut und Fenſter und Thuͤren
ſind kuͤnſtlich geſchnitzt ; die Daͤcher bilden flache Terraſſen ,
von welchen aus man eine ſchoͤne Ausſicht auf den nur
zwei Stunden entfernten Erdſchieſch , auf das alte Caſtell
im Jnnern der Stadt und die weite fruchtbare Flaͤche hat ,
die dieſe umgiebt . Von den alten Truͤmmern Caͤſarea's
habe ich , ich will es nur geſtehen , nichts geſehen , die Sor-
gen fuͤr die kleinen Beduͤrfniſſe der Gegenwart uͤberwiegen
bei ſchnellen Reiſen die antiquariſchen Jntereſſen , und Ruhe ,
Eſſen , Poſtpferde beſchaͤftigen den Ermuͤdeten dann mehr
als Saͤulenſchafte , Sarkophagdeckel und Jnſchriften .
Am folgenden Morgen war das Wetter eine Miſchung
aus Regen , Sturm und Hagel , der Weg aus Sumpf , Stein
und Geroͤll ; es war mir anfangs ſehr auffallend , auf einer
vollkommenen Horizontalflaͤche zwiſchen ſo hohen ſteilen Ber-
gen hinzujagen , bald aber mußten wir einen Sattel erklet-
tern und jenſeits zogen wir laͤngs eines der Saßnyk oder
Suͤmpfe hin , welche jenen Theil Aſiens charakteriſiren , und
worin faſt alle Fluͤſſe nach kurzem Laufe verſiegen .
Auf dieſem Ritt war mir mein Dragoman abhanden
gekommen und ich mußte den Tatar abſenden , um ihn
wieder einzufangen ; dem armen Menſchen waren die Haͤnde
erſtarrt , er war geſtuͤrzt und hatte ſich den Fuß beſchaͤdigt ;
es blieb aber nichts uͤbrig , als wieder darauf los zu rei-
ten nach Jndje-ſuj ( Schmalwaſſer ) , einem huͤbſchen Staͤdt-
chen in einer Schlucht , aus deren roͤthlichem Geſtein ein
großes Hann mit Mauern und Moſcheen erbaut iſt , wel-
ches die ganze Breite des Thals ſchließt . Dort wurde der
erſte Phyſikus requirirt , und es erſchien der Tſchoban oder
Viehhirte , welcher verſicherte , daß nichts gebrochen ſei ,
ſondern nur eine Quetſchung ſtattgefunden habe ; der Dra-
goman war aber ſehr beſorgt und fragte drei Tage lang
jeden Menſchen , der uns begegnete , ob er nicht ein Ky-
rekſchi oder Wundarzt ſei . Nachdem wir unter fortwaͤh-
rendem Regen eine Hochebene uͤberſchritten , oͤffnete ſich ge-
gen Abend vor uns ein tiefes Thal , an deſſen Hang wir
wohl eine halbe Stunde hinabſtiegen ; jenſeits breitete ſich
das huͤbſche Staͤdtchen Uergyp aus , uͤberragt von einer
alten Burg auf einem ſenkrecht abgeſchnittenen Felſen , der
von Hoͤhlen wunderbar durchwuͤhlt iſt . Die Haͤuſer in
Uergyp ſind uͤberaus zierlich aus Stein aufgefuͤhrt ; aber
nichts iſt leichter , als hier ein Haus zu bauen . Der Sand-
ſtein iſt weich wie Kreide , er verhaͤrtet ſich an der Luft ,
und das Loch im Felſen , aus welchem die Steine geſchnit-
ten werden , iſt wieder ein Haus , welches im Sommer
kuͤhl , im Winter warm , zu allen Zeiten trocken iſt und in
keiner Feuerverſicherungsanſtalt aſſecurirt zu werden braucht .
Die Hochebene hinter Uergyp iſt mit Weinfeldern be-
deckt , von tiefen Schluchten durchſchnitten , an deren ſchrof-
fen Raͤndern ſeltſame Burgen ſich erheben , wie man ſie
auf alten Tapeten abgebildet findet : zur Rechten zieht das
weite offene Thal des Kiſil-Jrmak ( des rothen Stroms ) .
Wir erblickten nach einem kurzen ſchnellen Ritt das weiße
Caſtell , welches die große freundliche Stadt Newſchehr kroͤnt
( Newſchehr heißt Neuſtadt , wieder ein Beiſpiel von der merk-
wuͤrdigen Aehnlichkeit der perſiſchen und deutſchen Sprache ) .
Jn Newſchehr machte ich die Bekanntſchaft einer No-
tabilitaͤt dieſes Landes , welche den Titel Kara-Djehennah
oder ſchwarze Hoͤlle fuͤhrt ; dieſer Mann , deſſen eigentlichen
Namen ( ich glaube Juſſuf oder Joſeph ) faſt Niemand
kennt , hatte bei der Janitſcharen-Vertilgung eine ſo blu-
tige Rolle geſpielt , er hatte damals und ſeitdem ſo viel
Feſtigkeit , Grauſamkeit , Muth und Jaͤhzorn gezeigt , daß ihm
Jedermann aus dem Wege ging , ſeinen Namen nur mit
einer gewiſſen Ehrfurcht und leiſe ausſprach , und mein Ta-
tar mich zweimal fragte , ob ich in Newſchehr wirklich beim
Muͤſſelim abſteigen wolle . — „ Mein Herr will ſogleich Pfer-
de . “ — „ Dein Herr wird warten koͤnnen . “ — „ Du kennſt
meinen Bey nicht , es iſt ein angeſehener Mann . “ — „ Mein
Bey iſt noch ein ganz anderer Mann ; haſt du noch nicht
von Kara-Djehennah gehoͤrt ? “ Dieſe Unterredung war
eben gepflogen worden zwiſchen dem vorausgeeilten Tata-
ren und der Dienerſchaft , als ich in den Hof des Serajs
ritt . Der Muͤſſelim ſei beim Namaß ( dem Gebet ) , hieß es ,
ich koͤnne ihn nicht ſprechen . Jch ſchlenderte demnach in
eine nahe belegene ſchoͤne Moſchee mit dem ſchlankeſten Mi-
nareh , das ich irgendwo gefunden ; als ich zuruͤck kam ,
hieß es , der Muͤſſelim-Effendi ſei noch nicht aufgeſtanden .
Nun kenne ich aber meine Tuͤrken gut genug , um zu wiſ-
ſen , daß hier durch Warten oder Nachgeben nichts zu ge-
winnen war ; ich erklaͤrte daher dem verſammelten Schwarm
von Kavaſſen und Aga 's zuverſichtlich und laut , daß ich
unverzuͤglich zum Muͤſſelim gefuͤhrt zu werden beabſichtige ,
daß ich nicht gewohnt ſei , mich im Hofe empfangen zu laſ-
ſen , und ſchritt ohne Weiteres die Stiege hinauf und in
ein Zimmer , in welches faſt gleich darauf der Bey eintrat ,
ein Mann mit der impoſanteſten Perſoͤnlichkeit , die mir vor-
gekommen . Der Hoͤllenfuͤrſt und ich begegneten uns wie
zwei Maͤnner , die gleich ſehr bemuͤht ſind , ſich nichts von
ihrer Wuͤrde zu vergeben ; das ſchoͤne Geſicht des Bey 's
mit eiſengrauem Barte ſchien anzukuͤndigen , daß Krieg
und Frieden noch nicht bei ihm entſchieden , ich meines
Theils nahm nicht die geringſte Kenntniß von ſeiner An-
weſenheit , ließ mir , wie die Sitte erfordert , die ſchweren
Reitſtiefeln durch meine Leute ausziehen , und ſchritt dann ,
uͤbrigens bedeckt mit jedes Bodens Unterſchied , nach dem
oberſten Sitz ; erſt , nachdem ich mich dort etablirt , begruͤßte
ich , die Hand an die Bruſt legend , meinen Wirth mit dem
feierlichen „ Merhabah ! “ und der Bey , um mir eine Probe
von ſeiner europaͤiſchen Lebensart zu geben , antwortete
Adio ! Nach den erſten Zuͤgen aus der Pfeife , die ich mir
reichen ließ , wechſelten wir einige Redensarten ; der Muͤſ-
ſelim fragte mich , ob ich ihn wohl ſchon kenne . „ Jch habe
dich nicht geſehen , aber wohl von dir gehoͤrt , “ ſagte ich . —
„Was haſt du gehoͤrt ? “ — „ Daß du ein guter Artilleriſt
biſt und Kara-Djehennah heißeſt . “ Nicht fuͤr jeden Mann
waͤre der hoͤlliſche Zuname ein Compliment geweſen , mei-
nem Bey ſchloß es aber das Herz auf ; alsbald brachte
man Fruͤhſtuͤck und Kaffee , und , zum freudigen Erſtaunen
meines Tataren treffliche Pferde , mit denen wir noch den-
ſelben Tag ſechzehn Stunden bis Akſerai weiter jagten ;
dort kamen wir ( freilich zum Theile die Pferde fuͤhrend )
bei finſterer Nacht an .
Von Einkehren in ein Gaſthaus iſt hier nie die Rede ,
die Hann oder Caravanſeraj ſind nur weite ſteinerne Ge-
baͤude mit kleinen Zellen , in denen man auch kein denk-
bares Hausgeraͤth trifft ; ſehr oft findet man keine Seele
im ganzen Hauſe , nur eben ein Obdach fuͤr ſich und die
Pferde , alles Uebrige bringt man mit . Leute von einiger
Bedeutung reiten ohne Weiteres vor den Konak des Muͤſ-
ſelims , des Woywoden oder des Paſcha's , kurz des Erſten
im Orte , der dann Gaſtfreiheit uͤbt , wie eine Sache , die
ſich von ſelbſt verſteht .
Die Ebene , welche ſich vor Akſeraj ( dem weißen Schloſſe )
bis Konieh ausbreitet , ſieht dem Meere aͤhnlicher , als dem
Lande ; dreißig Stunden weit erblickt der Wanderer keinen
Baum , keinen Strauch , und meilenweit kein Dorf , kein
Haus und kein Ackerfeld . Es iſt die ebenſte Ebene , die
ich geſehen , und nur am fernſten Horizont zieht ſich ein
blaſſer Streif blauer Berge , die wie auf der See in der
Luft zu ſchweben ſcheinen ; es findet eine Spiegelung ſtatt ,
welche entfernte Objecte emporhebt und vergroͤßert , je mehr
man ſich naͤhert , je mehr nimmt ihre Groͤße ab , und nach-
dem man zwei oder drei Stunden geritten , ſieht der Ge-
genſtand kleiner und ferner aus , als zuvor , gerade , als ob
man ſich um eben ſo viel Stunden entfernt haͤtte . Eine
duͤrftige Vegetation bedeckt die weite Flaͤche , meiſt ein ge-
ſtruͤppartiges Kraut , welche die Kuͤhe ſehr lieben , und wel-
ches unter den Hufen der Pferde einen uͤberaus angeneh-
men Geruch verbreitet . Jn Konieh bereitet man ein Oel
aus dieſem Kraut , von welchem ich eine Probe mitgenom-
men und das mir ohne Vergleich ſchoͤner zu riechen ſcheint ,
als das Roſenoͤl . Der ganze Boden iſt hier mit Salz
oder Salpeter geſaͤttigt , und der gaͤnzliche Mangel an Waſ-
ſer macht jeden Anbau unmoͤglich ; nur mitten durch die
Einoͤde ziehen die Ablaͤufe eines Sumpfes nach dem Salz-
ſee von Chodſch-hiſſar zu , welcher durchaus ohne Abfluß
iſt . An dieſen Sumpflachen findet man einige „ Jaïla “ ,
eine ſehr gebraͤuchliche Benennung fuͤr Haͤuſer , welche die
Turkmanen des Sommers bewohnen , um ihre Heerden zu
weiden , im Gegenſatz von „ Kiſchla “ , Winterwohnung ; ſo
heißen auch die Caſernen auf tuͤrkiſch , weil die Soldaten
ſelbſt in den Staͤdten waͤhrend des Sommers unter Zelten
leben . Dicht neben jenem Sumpf erhebt ſich das maͤch-
tige Sultan-Hann ; das Portal deſſelben , aus Marmor , iſt
ſo hoch , ſo reich verziert und ſo prachtvoll , wie das irgend
einer großen Moſchee zu Konſtantinopel ; aber durch dieſe ,
in einer ſolchen Gegend hoͤchſt uͤberraſchende Pforte tritt
man in einen Hof der Veroͤdung : die doppelte Reihe ſchoͤ-
ner Bogengaͤnge iſt meiſtens eingeſtuͤrzt , und eine kleine Lehm-
huͤtte zwiſchen den Truͤmmern des Wartthurms iſt der ein-
zige bewohnbare Fleck . Unter den praͤchtigen Gewoͤlben fand
ich eine unglaubliche Menge von trocknem Kameelmiſt , die
einzige Feuerung , welche man ſich fuͤr den Winter zu ver-
ſchaffen weiß .
Als Wegweiſer durch die Einoͤde dienen die beiden
ſchoͤnen Gipfel des Haſſan-Dagh ; ſie ſcheinen fruͤher Vul-
kane geweſen zu ſein , der eine , welcher oben ſchief abge-
ſchnitten , zeigt einen weiten Krater , aus dem wieder ein
Spitzkegel hervorragt . Ein anderes großes Hann befin-
det ſich zu Obruk an einem See von etwa 300 Schritt
Durchmeſſer in einem runden , wohl 150 bis 200 Fuß tie-
fen Loch , eine auffallende Erſcheinung in der ganz ebenen
Flaͤche .
Der zweitaͤgige Ritt mit denſelben Pferden acht und
dreißig Stunden weit , auf dem wir bis Konieh nur zwei
bewohnte Orte getroffen , iſt einer der ermuͤdendſten , deren
ich mich erinnere ; froh war ich , als ich die Kuppeln , die
Minarehs und die vielen Baͤume von Konieh am Fuße ſtei-
ler Berge endlich deutlich hervortreten ſah .
Die tuͤrkiſchen Staͤdte haben uͤberhaupt das Anſehen
der Veroͤdung , aber keine mehr als Konieh ; es iſt weniger
verfallen durch die Zeit , als zerſtoͤrt durch Menſchenhaͤnde .
Ein Jahrhundert hat hier immer ſeine Denkmaͤler erbaut
aus den Truͤmmern der vorhergehenden ; in der chriſtlich-
roͤmiſchen Zeit riß man die Tempel ein , um Kirchen zu er-
bauen ; die Moslem verwandelten die Kirchen in Moſcheen ,
und die Moſcheen liegen heut in Truͤmmer . Eine hohe
ausgedehnte Mauer mit hunderten von Thuͤrmen umſchließt
nur ein oͤdes Feld mit einigen zerfallenen Ruinen ; in dieſer
Mauer ſiehſt Du heidniſche Altaͤre , chriſtliche Grabſteine , grie-
chiſche und perſiſche Jnſchriften , Heiligenbilder und genueſi-
ſche Kreuze , den roͤmiſchen Adler und den arabiſchen Loͤwen
ohne andere Ruͤckſicht eingefugt , als wie die Werkſtuͤcke eben
zu einer Scharte oder Zinne paßten , und eine große tuͤrkiſche
Jnſchrift an jedem Thurme ſorgt dafuͤr , daß Niemand in
Zweifel bleibe , wer die Barbaren waren , die dieſes Werk
vollbrachten . Auf einem Huͤgel mitten in der Stadt , wel-
cher fruͤher wahrſcheinlich die Akropolis getragen , befinden
ſich die Ruinen mehrerer Moſcheen und einer byzantiniſchen
ſehr zierlichen Kirche . Von dort uͤberſieht man alle die
vielen eingeſtuͤrzten Kuppeln von Baͤdern und Turbehs , oder
Graͤbern tuͤrkiſcher Heiligen , einzelne ſchlanke Minarehs aus
bunt glaſirten Ziegeln neben einem Schutthaufen , der fruͤ-
her einen Dom bildete , ausgedehnte Mauern , alte Thuͤrme
und dahinter die ſchoͤne Baumgruppe des großen Dorfs
Sileh , welches ſich ins nahe Gebirge hineinzieht . Jch trat
durch die enge halbverſchuͤttete Thuͤr in ein altes Gemaͤuer ,
und fand mich ploͤtzlich in dem ſchoͤnſten Hof , den die Phan-
taſie ſich ausmalen kann ; die arabiſchen Spitzboͤgen , die ſchlan-
ken Saͤulen aus bunten Zigeln , im Hintergrunde ein weites ,
halb eingeſtuͤrztes Gewoͤlbe mit Arabesken aus ſchwarzen , dun-
kel- und hellblauen Ziegeln , dies Alles bildet ein Ganzes , von
dem ich unſern Architekten wohl eine Copie wuͤnſchen moͤchte .
Nur die heutige Generation hat gar nichts gebaut , als
eine Kaſerne und die Lehmhuͤtten , in welchen ſie ſich ver-
birgt . Konieh liegt gegenwaͤrtig außerhalb der alten Mauer ,
und bildet eigentlich eine weite Vorſtadt von einer Stadt ,
die nicht mehr exiſtirt .
Hadſchi-Aly , der Gouverneur des ausgedehnten Sand-
ſchaks von Konieh , ein Paſcha vom alten Schlage , hatte
mich ſehr freundlich empfangen und mir den Konak des
Muͤſſelims zur Wohnung angewieſen , der ohne Vergleich
beſſer logirt war , als Se. Excellenz in ihrem Seraj aus
Lehm ; er wuͤnſchte , daß ich die Reiſe nach dem Kuͤlek-Bo-
ghas in Begleitung Ejub-Paſcha 's , des Civil-Gouver-
neurs der Provinz , machen ſollte , und ich mußte deshalb
ein paar Tage in Konieh verweilen ; zum Abſchied ſchickte
der alte Herr mir vier Beutel durch ſeinen armeniſchen
Banquier . Da wir nun Geldgeſchenke nicht annehmen , ſo
bat ich dieſen , meinen Dank und die Summe an den Pa-
ſcha zuruͤck zu tragen . Der Banquier fand das ſehr ſchoͤn ,
bat aber doch , einen Andern mit der Commiſſion zu beeh-
ren , da er ſeine Fußſohlen viel zu lieb habe , als daß er
dem Paſcha ſo etwas vorſchlagen koͤnne ; dieſer werde von
ſolcher Procedur nichts begreifen , als daß die Summe mir
zu gering geweſen waͤre . Sprach ich nun ſelbſt mit dem
Paſcha , ſo wuͤrde es mir ſchwer geworden ſein , ihm be-
greiflich zu machen , weshalb ein Franke zwar wohl eine
Doſe , oder eine Uhr fuͤr 200 Gulden , 200 Gulden aber
nicht annehmen koͤnne ; ſprach ich nicht mit ihm , ſo ſteckte
der Banquier das Geld ruhig ein , und ſetzte es dem Baſ-
ſen auf die Rechnung . Unter dieſen Umſtaͤnden nahm ich
das Geſchenk an , bedankte mich ſchoͤn , und ließ es ſofort
unter meinen Dragoman , den Tſchauſch und den Tataren
vertheilen ; die Umſtehenden fanden dies ſehr großmuͤthig
und beſonders ſehr thoͤricht , aber ſie wußten ſchon , daß die
Franken alle etwas „ delih “ oder naͤrriſch ſind .
Von Konieh aus ritten wir einen ganzen Tag , ohne
mehr als zwei Doͤrfer zu beruͤhren , und ſteuerten noch die
21
Haͤlfte der folgenden Nacht durch die weite oͤde Ebene , be-
vor wir das jenſeitige Bergufer bei Karapunar ( ſchwarzer
Brunnen ) erreichten . Abends langten wir zu Eregli an ,
einem unter Baͤumen begrabenen Staͤdtchen am Fuße der
Gebirge , von denen ein praͤchtiger Bach in einem romanti-
ſchen Thale herab rauſcht , der aber ſchon nach zweiſtuͤndi-
gem Laufe in der Ebene bitter und ſalzig wird und ſich in
einen Sumpf verlaͤuft .
Die Stadt iſt ziemlich groß , aber faſt ganz entvoͤlkert .
Die warmen Quellen , welche in der Vorzeit gewoͤhnlich dem
Herkules geweihet waren , haben dem Ort ſeinen Namen ge-
geben , aber außer ein paar Capitaͤlern fand ich keine Spur
mehr von dem alten Heraklea .
Die weite Ebene hatte ſich jetzt in ein Thal verengt ,
welches immer ſchmaͤler zuſammenlief ; zur Rechten zieht
der hohe Bulgur wie eine Mauer ohne Unterbrechung und
faſt in gleicher Hoͤhe zwanzig Stunden weit hin . Jene
Bergwand iſt es , welche Adana von Klein-Aſien abtrennt ,
und durch welche nur ein einziges Thal oder vielmehr eine
tiefe Schlucht hindurch fuͤhrt , und eine Verbindung oͤffnet
zwiſchen Syrien und Anatoli ; dieſe Pylen haben daher
auch von Cyrus , Xenophon und Alexander bis auf Jbra-
him-Paſcha herab eine wichtige Rolle geſpielt in den Zuͤgen
der Heere , und eine noch wichtigere , obſchon weniger be-
merkte , in den Zuͤgen des Handels und des Verkehrs der
Voͤlker . Meinem Collegen , dem Hauptmanne F. , war die
Aufgabe zu Theil geworden , dieſe ciliciſchen Paͤſſe , heute
Kuͤlek-Boghas , durch welche europaͤiſche Heere ſonſt gegen
Perſien , Jndien und Aegypten vorgedrungen , den aͤgypti-
ſchen Kriegsvoͤlkern zu ſchließen , welche diesmal , wie vor
fuͤnf Jahren , drohten , gegen Europa vorzubrechen .
Bei Ulukiſchla traten die Bergwaͤnde von beiden Sei-
ten zuſammen ; es iſt dort der groͤßte und ſchoͤnſte Hann
im osmaniſchen Reiche , man koͤnnte ein Regiment Cavalle-
rie mit Bequemlichkeit darin unterbringen , und obwohl ſeit
Jahrhunderten kein Ziegel daran reparirt , ſo iſt das Ganze
doch noch wohl erhalten . Dies ausgedehnte Bauwerk iſt
mit einem Bade und einer Moſchee verſehen ; die 100 Fuß
langen , weit geſpannten Gewoͤlbe , die ſorgliche Ausfuͤhrung
des Ganzen zeugen von der Wichtigkeit , welche einſt dieſe
Straße fuͤr den Handel hatte ; jetzt freilich iſt ſie veroͤdet ,
und kaum ſieht man ein paar Maulthiere mit Weintrauben
oder Kohlen auf derſelben dahinziehen .
Sieben Stunden weiter , bei Tſchifte-Hann , hat ſich das
Thal ſchon in eine Schlucht verwandelt , hohe zackige Fel-
ſen ſchließen es , und die Sohle hat nur Raum fuͤr den
Bach , der uͤber die Steinbloͤcke rauſcht . Der Weg windet
ſich am rechten Ufer hinab ; hier herrſchte reges Leben : die
beiden Hann neben der Bruͤcke waren neu aufgebaut und
dienten den Arbeitern zur Behauſung , welche einen flachen
Huͤgel bedeckten , der weit in das untere Thal hinein ſchaut ;
die Berge ertoͤnen von der Axt der Holzhauer und dem
Sturze der alten Pinien-Staͤmme . Aber in dieſer Scene
der Thaͤtigkeit ſuchte ich den Urheber vergebens ; ich
fand meinen Cameraden in einem feuchten Stuͤbchen des
Hann 's von einem heftigen Fieber geſchuͤttelt , und entbloͤßt
von aller gewohnten Bequemlichkeit und Pflege . Mit einem
ſo wichtigen Geſchaͤft auf der Hand war indeß keine Zeit
krank zu ſein , und noch deſſelben Tages beritt er mit mir
die naͤchſte Umgebung ; wir kehrten erſt bei dunkler Nacht
heim , an den Thermen oder heißen Quellen voruͤber , von
welchen ſchon Xenophon ſpricht . Am folgenden Morgen
ritt F. mit dem Paſcha und mir uͤber Tagta-Koͤpry ( die
hoͤlzerne Bruͤcke ) bis eine Stunde von Akkoͤpry ( die weiße
Bruͤcke ) vor , wo die aͤgyptiſchen Grenzpoſten ſtehen ; dann
uͤber hohe Berge nach Dſchevisly-Hann , wo dieſelbe Thaͤ-
tigkeit herrſchte , wie bei Tſchifte-Hann , und Tags darauf
nach Maaden . Die Kraft des Willens ſiegte bei F. uͤber
die Schwaͤche des Koͤrpers ; wenn der Fieberanfall kam ,
ſo legte er ſich eine Stunde unter einen Baum oder neben
einer Fontaine nieder , wir machten ein Feuer aus Reiſig
und trocknem Graſe , kochten einen Thee und ſetzten dann
den Weg , ſo gut es gehen wollte , fort . Jn Maaden ver-
ließ ich meinen Cameraden ( deſſen geſammte Umgebung ,
Dragoman , Sekretair und Bedienten , am Fieber erkrankt
war ) , und habe leider ſeit der Zeit noch keine Nachricht
von ihm .
Die Gebirge ſtreichen vom Kuͤlek-Boghas an eben ſo
mauerartig noͤrdlich , wie ſie bis dort oͤſtlich hingezogen ;
bei Djevisly-Hann bildet der Apuyſchkir-Dagh gegen Weſten
eine ſenkrechte Felswand von mehr als 1000 Fuß Hoͤhe .
Dieſer Bergdamm endet ploͤtzlich bei der weiten Sumpfebene
von Muſſa-Hadſchi ( „ Pilger Moſes “ ) . Mir kam es nur dar-
auf an , einen Weg durchs Gebirge direkt auf Malatia zu
finden , da aber ſtellten ſich neue Schwierigkeiten von allen
Seiten entgegen . Es gebe gar keinen ſolchen Weg , hieß
es , und die Gegend ſei durch die Awſcharen ſo unſicher ,
daß man ohne ſtarke Escorte ſie nicht paſſiren koͤnne . Jch
hatte ein Schreiben Hadſchi-Aly-Paſcha 's an den Muͤſ-
ſelim von Devely mit , welcher perſoͤnlich fuͤr mein Weiter-
kommen verantwortlich gemacht wurde ; dieſer erklaͤrte , daß
er die Verantwortung meiner Reiſe in der gewuͤnſchten
Richtung nicht auf ſich nehmen koͤnne , wenn ich mich aber
an den Biſchof von Tomarſe wenden wollte , ſo waͤre das
der Mann , der mir den beſten Geleitsbrief gegen die Aw-
ſcharen geben koͤnne , und bis dahin werde er mir ſo viel
Escorte mitgeben , als ich nehmen wolle .
Jch war nicht wenig verwundert , den Muͤſſelim , der
ein Moslem war , ſo von einem armeniſchen Biſchofe reden
zu hoͤren , der ein Gjaur iſt , und beſchloß , den Vorſchlag
anzunehmen . Mein Dragoman , der ſelbſt ein Armenier ,
ſetzte ſofort eine armeniſche Schrift , ein Meiſterſtuͤck von
einem Empfehlungsbrief auf ; naͤchſt dem Padiſchah und
dem Muͤſſelim von Devely gab es keinen ſo großen Mann
mehr im osmaniſchen Reiche wie mich , und der Muͤſſelim
petſchirte ſeinen Namen darunter .
Meine Bedeckung zaͤhlte , ich glaube , funfzehn oder ſech-
zehn Koͤpfe , doch habe ich nicht das Vergnuͤgen gehabt , die
ganze Staͤrke auf einmal zu muſtern , auch fehlte hin und
wieder eine Kleinigkeit an der Ausruͤſtung , ein Flintenſtein
oder ein Ladeſtock ; daß meine Truppe zu Fuß focht , war
ein unleugbarer Vortheil im Vergleich mit meinen fruͤhern
Escorten , denn wenn es zum Ruͤckzuge kam , ſo mußten ſie
nothgedrungen die Nachhut bilden ; beim Avanciren blieben
ſie freilich betraͤchtlich zuruͤck , und ich glaube , ſie kamen um
eben die Zeit wieder in ihre Haͤuſer zu Devely , wie ich zu
Tomarſe an .
Dieſer Ort liegt in einer weiten Ebene , die mit Acker-
feldern und Viehweiden bedeckt iſt ; vor der Stadt erblickt
man die Truͤmmer einer ſchoͤnen byzantiniſchen Kirche , welche
die Tuͤrken zerſtoͤrt haben , aber in der Stadt ragt ſtolz aus
Steinen gefuͤgt , und ſelbſt mit einem Soupçon von einem
Glockenthurme verſehen , ein neues Gotteshaus empor , wel-
ches der Biſchof im vorigen Jahre vollendet . Die Gjaur
ſahen uns beim Voruͤberreiten in der Stadt ſo zuverſicht-
lich an , als fuͤhlten ſie ſich unter dem Schutz ihres geiſt-
lichen Hirten ſicher gegen die Bedruͤckung , die ein Beſuch ,
wie der unſrige , gewoͤhnlich mit ſich fuͤhrt . Der Biſchof
hatte unlaͤngſt einen Feldzug gegen die Awſcharen unter-
nommen und einige zwanzig Raͤuber in ſein Kloſter einge-
ſperrt ; ich fing an , mir den Tomarſer Praͤlaten ungefaͤhr
wie einen Kurfuͤrſten von Koͤln vorzuſtellen . Der Drago-
man war vorausgeeilt mit ſeinem epiſtoliſchen Meiſterſtuͤck ,
um , wenn ja etwas daran fehlte , es muͤndlich zu interpre-
tiren ; man fuͤhrte mich nun nach einer Felsſpalte , in wel-
cher ein paar kleine Haͤuschen , von einer Mauer umgeben ,
lagen ; das war das Kloſter und die Reſidenz des Biſchofs .
Jm Hofe empfing mich ein kleines wohlgenaͤhrtes Maͤnn-
chen , das war der Biſchof .
Nachdem mein freundlicher Wirth mich mit Kaffee , Li-
koͤr und Pfeife erquickt , fragte ich ihn nach dem Urſprunge
ſeiner weltlichen Gewalt . Es hatte vor zehn Jahren die
geſammte Bevoͤlkerung von Tomarſe den Beſchluß gefaßt ,
auszuwandern , um dem unertraͤglichen Drucke der tuͤrki-
ſchen Behoͤrden zu entgehen ; damals ſchlug der Biſchof ſich
ins Mittel , vermochte die Leute zu bleiben , und uͤbernahm
ſelbſt die Jlteſam oder die Pacht der Abgaben . Da außer
den Armeniern eine große Anzahl Moslem im Orte woh-
nen , ſo hatte man , um die Form zu retten , einen Woywo-
den uͤber ſie geſetzt , welcher aber ganz von dem Biſchofe
abhaͤngt , der uns einen neuen Beweis gab , daß unterm
Krummſtabe gut wohnen iſt .
Der Biſchof erzaͤhlte mir ferner , daß ich von den Aw-
ſcharen wenig zu befuͤrchten haͤtte ; die Awſcharen ſeien eben
ſo wenig ein Volk aus lauter Raͤubern , wie irgend ein an-
deres ; freilich gebe es viel loſes Geſindel unter ihnen , aber
dieſe ſeien die Feinde ihres eigenen Stammes ſo gut wie
der Fremden , und von ihm verfolgt ; uͤbrigens ſeien die
Awſcharen gegenwaͤrtig ſchon herabgezogen nach der Schu-
kur-Ovaſſi ( der tiefen Ebene , d. h. Adana ) .
Den folgenden Mittag erreichte ich Ekrek ; die Gegend
iſt felſig , die Schichtung des Geſteins vollkommen waage-
recht , durch den Regen iſt zuweilen das Erdreich zwiſchen
zwei ſolchen Schichten ausgewaſchen und es haben ſich
weite unterirdiſche Raͤume gebildet , welche Wohnungen fuͤr
Menſchen und Heerden bilden .
Jn Ekrek erfuhr ich , daß Suleiman-Paſcha , der
Gouverneur von Maraſch , ſich zu Goͤgſyn befinde , dem
naͤchſten Dorfe auf der von mir eingeſchlagenen Richtung
auf Albiſtan ; Goͤgſyn war aber volle zwei und zwanzig
Stunden auf ſchwierigen Gebirgswegen entfernt , mit den-
ſelben Pferden war dieſe Tour in einem Tage nicht zu ma-
chen , und unterwegs gab es kein Dorf , kein Haus , kein
feſtes Obdach . Da war es denn ein großes Gluͤck fuͤr
mich , daß noch einige der gefuͤrchteten Awſcharen dageblie-
ben , und wie ich die vorige Nacht unter dem Dach eines
armeniſchen Biſchofs geſchlafen , ſo lagerte ich die naͤchſte
unter dem Zelt eines turkmaniſchen Fuͤrſten .
Ein Aga Suleiman-Paſcha 's , den ich zu Ekrek
gefunden , eilte voraus , um Osman-Bey meinen Beſuch
anzukuͤndigen ; das war einigermaßen noͤthig , denn der Bey ,
auf deſſen Wort 2000 Reiter aufſitzen , hatte unlaͤngſt ſei-
nem juͤngſten Sohne fuͤr 1500 Rthlr . eine Frau gekauft ,
und der achte und letzte Hochzeittag ward eben heut ge-
feiert , auch gab es fuͤr mich keine beſſere Empfehlung , als
die Suleiman-Paſcha 's , auf deſſen Grund und Boden
der Wanderſtamm des Sommers lagerte . Wenn die Mos-
lem nicht recht uͤber die Empfangs-Ceremonie eines Frem-
den mit ſich einig ſind , ſo richten ſie es gern ſo ein , daß
ſie bei ſeinem Eintreffen das Gebet verrichten , dann brau-
chen ſie von Niemand Kenntniß zu nehmen , und vermei-
den wenigſtens das ihnen ſo laͤſtige und anſtoͤßige Aufſtehen
vor einem Unglaͤubigen . Osman-Bey fand ich , nachdem
ich von Muſik empfangen worden , in ſeinem großen Zelte von
ſchwarzem Ziegenhaar auf dem Teppich knieend und gegen
die Kaaba von Mekka gewendet ; es waren ſchoͤne ſeidene
Polſter am obern Ende gebreitet , neben einem großen Feuer ,
welches unter dem nach einer Seite ganz offenen Zelte lo-
derte , vor demſelben war das Leibpferd des Bey , wie uͤb-
lich , an allen vier Fuͤßen gefeſſelt und an einen Pflock in
der Erde feſtgebunden ; der Sattel wird auch des Nachts
nicht abgenommen , und ein Tſchuͤll oder eine große Decke
aus Filz iſt der einzige Schutz der harten turkmaniſchen
Pferde gegen die Witterung ; die uͤbrigen Roſſe ſprangen
frei und ohne Feſſel auf der Weide herum .
Nachdem ich es mir moͤglichſt bequem gemacht , kam
der Bey herbei , begruͤßte mich freundlich , und nachdem Kaf-
fee und Pfeifen das zu Anfange jedes Beſuchs ſchickliche
Stillſchweigen geloͤſet , erkundigte er ſich nach meiner kym-
meriſchen Heimath , ungefaͤhr wie wir einen Mondbewohner
ausfragen wuͤrden , wenn er wie ein Meteorſtein auf unſern
Planeten herabfiele ; er wollte wiſſen , ob das Meer bei uns
waͤre ? — Ja ! und des Winters gehen wir darauf ſpazie-
ren . — Ob viel Taback bei uns wuͤchſe ? — Wir holten
das Meiſte davon aus der neuen Welt . — Ob es wahr
waͤre , daß wir unſern Pferden die Ohren und die Schwaͤnze
abſchnitten ? — Nein , bloß die Schwaͤnze . — Ob Quellen
bei uns floͤſſen ? — Ja , wenn ſie nicht zugefroren ſind . —
Ob es Kameele bei uns gaͤbe ? — Ja , aber bloß zum An-
ſehen fuͤr Geld . — Ob Citronen wuͤchſen ? — Nein . —
Ob wir viele Buͤffel haͤtten ? — Nein . — Beinahe haͤtte
er gefragt , ob die Sonne bei uns ſchiene , oder ob wir bloß
eine Gasbeleuchtung haͤtten ; er unterdruͤckte indeß mit einem
erſtickten Allah ! Allah ! die Bemerkung , daß mein Land
wohl urſpruͤnglich nur fuͤr Eisbaͤren beſtimmt ſei .
Das große Zelt , in welchem wir uns befanden , war
eigentlich das drawing room des Bey , die Winterzelte der
Turkmanen ſind ſonſt klein und backofenfoͤrmig ; ſie beſtehen
aus einem kreisfoͤrmigen Gitter , uͤberdeckt von einem Dom
aus leichten zierlich gefugten Staͤben , das Ganze iſt mit
Filz uͤberzogen und mit langen Halftern umwickelt . Wenn
man in ein ſolches Zelt ein Kohlenbecken ſetzt , ſo iſt es
bald wie eine Badſtube .
Das fuͤrſtliche Diner beſtand aus Milch , Reis , Kaͤſe
und Brot ; um einen ſchwierigen Etikette-Punkt zu umge-
hen , wurde die Tafel vor mir gedeckt , d. h. ein Leder an
die Erde ausgebreitet und hoͤlzerne Loͤffel darauf gelegt ; die
ganze Geſellſchaft kam dann dort hin . Der Bey aber blieb
ſitzen und aß erſt , nachdem wir fertig waren .
Nach der Mahlzeit fing das Ballet an ; es ſchien mir
wirklich viel unterhaltender als die im Opernhauſe zu Ber-
lin , und war jedenfalls wohlfeiler in Scene zu ſetzen . Jch
will Dir eine Beſchreibung davon geben :
Der Schauplatz ſtellt einen ſchoͤnen Wieſenplan dar ,
im Hintergrunde begrenzt durch hohe ſchneebedeckte Berge ,
uͤber welche ſich eben die fein geſchweifte Sichel des Neu-
mondes erhebt ; ſtatt der Lampen-Beleuchtung lodert in der
Mitte ein Feuer aus maͤchtigen Fichtenſtaͤmmen ; das Or-
cheſter beſteht aus einer großen Trommel und zwei Dudel-
ſaͤcken , die ihre Symphonie mit beſonderm Nachdruck vor-
tragen . Das Publikum iſt allerdings ſehr gemiſcht , außer
uns meiſt Buͤffel und Kameele , die ihre langen wunderlichen
Haͤlſe hoch uͤber die niedrigen Zelte emporſtrecken ; um das
Feuer tanzt nun ein junger ruͤſtiger Burſche in ſeiner wei-
ten turkmaniſchen Tracht , den Turban auf dem Kopf , Meſ-
ſer und Piſtolen im Guͤrtel ; und wenn koͤrperlicher Anſtand
die voͤllige Beherrſchung aller Bewegungen der Glieder iſt ,
ſo konnte man ihm dieſe Eigenſchaft nicht abſprechen . —
Ploͤtzlich ſchießt aus dem Dunkel gegenuͤber ein zweiter Kaͤmpe
hervor , der ihn zu fahen ſtrebt ; der Angegriffene ſchwingt
ſich mit der groͤßten Schnelligkeit um das Feuer , wirft ſich
zu Boden , ſpringt wieder auf und ſucht ſich auf alle Weiſe
der Verfolgung zu entziehen ; da kommt ihm ein Camerad
von ſeiner Parthei zu Huͤlfe , der nun auf den Verfolger
Jagd macht , und ſo entſteht , was wir unter dem Namen
Baarlaufen kennen . Es ſetzt oft arge Stoͤße , aber die
groͤßte Froͤhlichkeit herrſcht ( und zwar ohne Branntwein ) ;
man ſieht die kraͤftigſten Geſtalten , unter deren Ferſen die
Erde droͤhnt ; dort ſpringt einer hoch in die Luft , ein an-
derer ſetzt mitten durch die Flammen ; hier haben ſich zwei
gefaßt , ringen mit aller Anſtrengung unter ſchallendem Ge-
laͤchter der Umſtehenden . Jedenfalls muß man ſehr ge-
ſunde Gliedmaßen haben , um in dieſem Ballet drei bis vier
Stunden lang mit zu tanzen . Mein kleiner Dragoman
wurde einmal angewalzt , daß er ruͤckwaͤrts uͤber kugelte .
Dieſe Turkmanen haben mir ſehr wohl gefallen ; ſie
haben jene natuͤrliche Hoͤflichkeit , die aus Wohlwollen ent-
ſpringt , waͤhrend ſie uns anerzogen iſt . Nichts kam dem
in unſerm Zelt verſammelten Publikum ſeltſamer vor , als
mein Bett , obwohl es mir ſelbſt ſehr ſpartaniſch ſchien , und
nur aus ein paar Decken und weißen Tuͤchern beſtand ;
als ich aber , um mich ſchlafen zu legen , einen Theil mei-
ner Kleider abthat , da konnte die Verſammlung ein allge-
meines Laͤcheln nicht unterdruͤcken . Wirklich machte die
uͤbrige Geſellſchaft ſo wenig Nachttoilette , daß ſie nicht ein-
mal die Piſtolen aus dem Guͤrtel zog . Die Gaſtfreiheit
iſt dieſen Leuten natuͤrlich ; man macht nicht die mindeſten
Umſtaͤnde , weder beim Kommen , noch beim Gehen , und als
ich am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang abritt , hatte
ich Muͤhe , Jemand zu finden , der mir mein Trinkgeld ab-
nehmen wollte .
Abends traf ich in Goͤgſyn ein , wo Suleiman-Pa-
ſcha lagerte , und da es ſchon dunkel war , ſo ſchickte er
mir einige ſeiner Aga 's mit Fackeln entgegen . Die Auf-
nahme war die freundlichſte ; am folgenden Morgen fruͤh
kam mir der Paſcha ſchon mit ſeinem Beſuche zuvor , er
hielt mich fuͤr dieſen Tag feſt und ſchenkte mir ein ſchoͤnes
turkmaniſches Pferd zum Abſchied ; ich revangirte mich mit
einem Paar Piſtolen .
Die bisher vorhandenen Karten von Kleinaſien vermoͤ-
gen durchaus keine Vorſtellung von der wirklichen Beſchaf-
fenheit des Landes zu geben ; ich hatte erwartet , von
Ekrek aus uͤber lauter hohe Gebirge fortzuziehen , und war
nicht wenig uͤberraſcht , eine weite Ebene zwiſchen ſchnee-
bedeckten Bergen in der Richtung von Weſten nach Oſten
zu finden , eine Oeffnung in dieſem Hochgebirge , als ob die
Natur ſelbſt den Menſchen einen Durchgang bahnen wollte .
So geht es bis Albiſtan oder El-boſtan fort , einem ſehr
huͤbſchen Staͤdtchen mit praͤchtigen Pappeln und Obſtbaͤu-
men in einer Ebene , die mit zahlreichen Doͤrfern und Fel-
dern bedeckt iſt . Hinter dem Staͤdtchen erhebt ſich ſchroff
der ſchoͤne Scherr-Dagh , an deſſen ſchwarzen Waͤnden die
weißen Minarehs und Kuppeln ſich abzeichnen ; ich glaube
jedoch nicht , daß Albiſtan , ſondern vielmehr das Dorf Jar-
puß , drei Stunden weſtlicher , die Stelle des alten Germa-
nicia bezeichnet , dort finden ſich auch eine ſehr große Menge
von Fundamenten , Saͤulenſchaͤften und ſchoͤn gearbeiteten
Steinen vor . Dicht bei Albiſtan liegt die gewaltige Quelle
des Dſchehun ( das „ Weltall “ ) , ein Fluß von 20 Schritt
Breite und 2 bis 4 Fuß Tiefe tritt dort auf einmal zu
Tage ; gleich darauf nimmt er den Zufluß einer faſt eben
ſo maͤchtigen Quelle auf , die an dem Wege von Jarpuß
liegt , und außerdem von Oſten , Norden und Weſten noch
drei Baͤche , die ſtaͤrker als er ſelbſt ſind , ſo daß er vier
Stunden unterhalb ſeines Urſprungs ſchon einen maͤchtigen
Strom bildet , der ſich durch hohes Gebirge hervordraͤngt
und in die Bucht von Skenderum ergießt . Das Waſſer-
gebiet des mittellaͤndiſchen Meeres reicht uͤberhaupt viel
weiter noͤrdlich hinauf , als es die Karten angeben , naͤm-
lich bis zum 40ſten Breitengrade . Die Quellen entſprin-
gen auf dem weiten Plateau des mittlern Kleinaſiens am
Fuße des Erdſchieſch und Hinſere-Dagh ; ſie fließen dann
in flachen Mulden bis an das hohe Gebirge , welches die
Grenze von Adana ausmacht ; dieſes durchbrechen ſie , oder
vielmehr ſie ſtuͤrzen in die Durchbruͤche des Gebirgs hin-
ab , als waſſerreiche reißende Stroͤme dem mittellaͤndiſchen
Meere zu .
Die beſondern Verhaͤltniſſe , unter denen ich reiſe , ſchlie-
ßen mir Gegenden auf , die zu durchſtreifen jedem Europaͤer
bisher unmoͤglich war ; Gegenden , die man noch heute zum
Theil nicht ohne militairiſche Escorte durchziehen , oder , wie
den Karſann-Dagh , nur im Gefolge eines Heeres betreten
kann . So guͤnſtige Umſtaͤnde vereinigen ſich ſelten , und ich
benutze ſie gewiſſenhaft ; ich habe jetzt auf mehr als 700
geograph. Meilen dies Land durchkreuzt und von ſaͤmmt-
lichen die Jtinerairs gezeichnet . Als wirklichen Gewinn
rechne ich die Berichtigung der Zufluͤſſe der Seyhun und
Dſchehun , und des mittlern Lauf des Murad oder Euphrat .
Auf dieſem konnte bis jetzt kein Reiſender vordringen , da
die noch immer ſehr mißliche Floͤßbarkeit erſt eben durch
Sprengungen moͤglich gemacht iſt .
Von Albiſtan ging ich einen achtzehnſtuͤndigen ſehr ſchwie-
rigen Gebirgsweg nach Pullat in der Ebene von Malatia
hinab , wo ich bei einem Guß-Regen am 29. Oktober gluͤck-
lich wieder eintraf , nachdem ich , den Aufenthalt in Konieh
eingerechnet , in ſechs und zwanzig Tagen 190 deutſche Mei-
len geritten . Der Paſcha , welcher mich durchnaͤßt ſah , und
doch gern gleich meinen Bericht hoͤren wollte , ließ mir ſei-
nen Mantel anziehen und einen trocknen Feß aufſtuͤlpen ,
und hielt mich feſt bis Mitternacht .
54.
Der Ramaſan . — Tuͤrkiſche Reiterkuͤnſte .
Malatia , den 8. Dezember 1838 .
Seit meiner letzten Reiſe war ich ſehr beſchaͤftigt mit
Auszeichnen meiner Karte von Aſien und mit Exerzieren ;
die erſtere habe ich geſtern dem Paſcha uͤberreicht , welcher
ſehr zufrieden war , und den Lieutenant , welcher unter mei-
ner Aufſicht daran gearbeitet , auf der Stelle zum Capitain
machte .
Da wir noch immer ununterbrochen das ſchoͤnſte Wet-
ter haben ( obwohl der Schnee auf den Bergen in jeder
Nacht eine Stufe naͤher herabruͤckt ) und da eine bedeu-
tende Truppenmaſſe in Malatia concentrirt ſteht , ſo war die
Gelegenheit ſehr guͤnſtig , um große Truppenuͤbungen trotz
der vorgeruͤckten Jahreszeit auszufuͤhren . Wir haben mit
vierzig Bataillonen und achtzig Geſchuͤtzen manoͤvrirt , was
bisher , bei dem gaͤnzlichen Mangel an Beſtimmungen fuͤr
die Bewegung groͤßerer zuſammengeſetzter Truppenkoͤrper ,
ganz unmoͤglich war .
Bei den Sitten dieſes Landes iſt eine Unterbringung
des Militairs , wie bei uns , nicht moͤglich ; es muß entwe-
der der Wirth oder die Einquartierung zum Hauſe hinaus .
Jn Malatia iſt das erſtere Auskunftsmittel gewaͤhlt ; die
geſammten 12,000 Einwohner ſind eingeladen , fuͤr dieſen
Winter in ihren Sommerwohnungen zu Asbuſu zu verwei-
len , die Stadt aber bildet eine einzige große Kaſerne , in
welcher Du weder Frauen , Kinder noch Greiſe , ſondern
nur Soldaten ſiehſt . Da die Haͤuſer genau aus demſelben
Material aufgefuͤhrt ſind , aus welchem die Schwalben ihre
Neſter bauen , ſo ſchneidet man ſich in zwei Minuten ein
Fenſter oder eine Thuͤr ein , oder wirft eine Mauer nieder ,
und der Hauseigner , wenn er ſpaͤter wieder in ſeine Woh-
nung tritt , findet ſich kaum mehr zurecht in ſeinem eigenen
Beſitzthum ; er findet es aber , glaub' ich , ſelten verſchoͤnert .
Wir befinden uns jetzt im Ramaſan-ſcherif , d. h. in
der edlen Faſtenzeit ; ſo lange die Sonne am Himmel iſt ,
duͤrfen wir weder eſſen noch trinken , der Geruch einer Blu-
me , eine Priſe Tabak , ein Trunk Waſſer und was ſchlim-
mer als Alles , der Tſchibuk ſind verboten . Abends um
5 Uhr gehe ich in der Regel zum Commandirenden , wo
die Paſcha's verſammelt ſind , jeder mit der Uhr in der
Hand ; die große Meſſingſcheibe iſt ſchon mit Fruͤchten , ein-
gemachten Oliven , an der Sonne getrocknetem Rindfleiſche ,
Kaͤſe , Scherbet ꝛc. beſetzt . Jetzt fehlt nur noch eine Mi-
nute an 12 ( der tuͤrkiſchen Uhr ) , der Deckel wird von der
Suppe aufgehoben und der verfuͤhreriſche Dampf ſteigert
die Ungeduld aufs Hoͤchſte ; endlich nach einer Minute , die
gewiß 160 Secunden hat , ruft der Jman ſein Lah-illah
il Allah ! und mit einem Bismilla und el ham d'illah !
faͤhrt Jeder uͤber das , was ihm zunaͤchſt ſteht , her , und
raͤcht ſich an Hammelfleiſch und Pillaw fuͤr die lange Ent-
behrung .
Da es unſern Freunden und Genoſſen , den Tuͤrken ,
unmoͤglich iſt , zu arbeiten ohne zu rauchen , ſo geſchehen
jetzt alle Geſchaͤfte des Nachts ; die Kanzlei iſt verſammelt ,
Briefe werden geleſen und ſpedirt , Meldungen angenommen ,
Geſchaͤfte beſprochen . Du kannſt Dir eine Vorſtellung von
der Wirthſchaft machen , wenn ich Dir ſage , daß zwei Stun-
den nach Mitternacht dem Soldaten das zweite Eſſen ver-
abreicht wird ; gegen Morgen geht Jedermann zu Bette ,
und hat den folgenden Tag einen verdorbenen Magen und
uͤble Laune .
Wiewohl in der Regel waͤhrend des Ramaſans gar
nicht exerziert wird , ſo ſind wir in dieſem Monate thaͤtiger
geweſen , als in irgend einem andern ; jeden Tag ( ſelbſt
Freitags ) , ſobald die Ramaſan-Sonne daͤmmert , d. h. un-
gefaͤhr um Mittag , wirbeln die Trommeln , und aus allen
Thoren ziehen die Truppen in langen Zuͤgen hervor . Mir
macht es immer einen eigenen Eindruck , wenn die Berge
in Kurdiſtan von Robert le Diable und der Stummen von
Portici wiederhallen , und die preußiſchen Tirailleur-Si-
gnale am Euphrat genau wie an der Spree rufen . Wer
haͤtte doch vorhergeſagt , daß die Vorſchriften , welche zur
Zeit der hoͤchſten Bedraͤngniß Preußens gegeben wurden ,
nach zwanzig Jahren ihren Weg bis an die Grenzen Per-
ſiens finden wuͤrden .
Es war nicht leicht , den Leuten hier begreiflich zu ma-
chen , daß die Frage nicht iſt , wie viele , ſondern wie we-
nig Evolutionen man ausfuͤhren koͤnne . Jeder aus Eu-
ropa kommende Offizier hatte ſie mit neuen Erfindungen
beſchenkt , und ſie waren bereits auf den Etat von ſechs
und achtzig Bewegungen gekommen ; haͤtte ich neun und
vierzig neue , wo moͤglich recht verwickelte , Sachen in An-
trag gebracht , ſo wuͤrde man willig darauf eingegangen
ſein . Viel ſchwieriger war es , eben ſo viel herunter zu
handeln . Es werden morgen dem Commandirenden zwei
ſeiner Landwehr-Brigaden vorgeſtellt , welche das preußiſche
einfache und darum zweckmaͤßige Brigade-Exerzieren ſchon
mit recht vieler Praͤciſion ausfuͤhren .
Jn acht Tagen haben wir nun den Beyram , was bei
uns ungefaͤhr das Oſterfeſt iſt , ein Feſt der Freude , der
Gratulationen und der Geſchenke ; Jedermann giebt und
empfaͤngt an dieſem Tage , wie uͤberhaupt „ Almaly-verma-
ly ! “ der Wahlſpruch der Tuͤrken iſt : „ nehmen und geben “ ,
oder leben und leben laſſen ; dies iſt in der That eine ein-
fache und angenehme Staatswirthſchaftslehre ; alle Klaſſen
der Geſellſchaft profitiren davon , außer der unterſten , auf
dieſe wird nur die erſte Haͤlfte des Satzes angewendet , und
der einzige Vorwurf , den man dieſem Syſteme machen kann ,
iſt , daß jene unterſte Klaſſe zahlreicher als alle uͤbrigen zu-
ſammengenommen iſt .
Bei ſchoͤnem Wetter reiten wir manchmal aus , um
mit der Buͤchſe zu ſchießen , oder Haſen mit Windhunden
zu hetzen , die hier von vorzuͤglicher Guͤte und Schoͤnheit
einheimiſch ſind . Es begleiten den Paſcha dann die mei-
ſten Generale , einige beguͤnſtigte Bey 's oder Oberſten , und
ein Schwarm dienſtbarer Aga 's ; dies Cort é ge , in welchem
noch manche alte orientaliſche Coſtuͤme vorkommen , hat ein
ungemein ſtattliches Anſehen , denn wenig Staͤdte uͤberhaupt
wird es geben , wo ſo viele vortreffliche Pferde beiſammen
waͤren , wie in unſerm Lager ; da ſind die kleinen magern ,
mit Kameelmilch genaͤhrten Renner , das kraͤftige turkmani-
ſche Roß mit ſchwerem Hals und Kopf , aber prachtvoller
Kruppe , das große perſiſche Pferd mit hochaufgerichteter
Vorhand , die trefflichen Thiere aus Sivas ( dem vormals
wegen ſeiner Rinder ſo beruͤhmten Cappadocien ) , vor Allem
aber die edlen Raçen der Nedſchdi und Anneſi .
Um ſein Pferd zu probiren , jagt man hier einen ab-
ſchuͤſſigen Berghang mit Geroͤll herunter , auf dem der vor-
ſichtige und oͤkonomiſche Reiter bei uns abſitzt , aus Furcht ,
das Thier im Schritt zu verbaͤllen ; das Pferd darf bei
dieſer Carriere keinen falſchen Tritt thun .
Sobald wir in die Ebene kommen , ſchießen aus dem
Gefolge rechts und links Reiter hervor ; ſie halten einen
Stab als Dſcherid oder Wurfſpieß , oder auch nur die rechte
Hand empor , als ob ſie den Dſcherid hielten , das Pferd
weiß nun ſchon , worauf es ankoͤmmt : es zaͤumt ſich her-
bei , ſchnaubt und tanzt auf den Hinterbeinen , bereit , bei
dem leiſeſten Stoß mit den ſchaufelartigen Steigbuͤgeln wie
ein Pfeil vorzuſchießen . Der Reiter tummelt es in den
kleinſten Volten , wobei das Pferd aufs regelmaͤßigſte ab-
changirt , dann ſchießt er mit einem Jallah ! vorwaͤrts ,
ſchleudert den Wurfſpieß , parirt ſein Pferd kurz aus der
geſtreckten Carriere , und kehrt ( freilich das Pferd meiſt mit
blutendem Maul und triefenden Flanken ) zum Haufen zu-
ruͤck , aus dem ein Anderer es ihm zuvor zu thun ſtrebt .
Die Zaͤumung der hieſigen Pferde iſt uͤbermaͤßig ſcharf ;
die Kandare ( Trenſen kennt man nicht ) hat einen hohen
Galgen , uͤberaus lange und ſchwere Scheeren , und ſtatt der
Kinnkette einen eiſernen Ring . Faſt alle Pferde verkriechen
ſich daher hinter den Zuͤgel , und man reitet in der That
fuͤr gewoͤhnlich ohne alle Anlehnung , wozu die große Si-
cherheit und Gutmuͤthigkeit der hieſigen Pferde gehoͤrt ; nur
eben , wenn man ſich tummeln will , treibt man das Pferd
ins Gebiß hinein . Die Saͤttel ſind hoch , und die Buͤgel
ſehr kurz , ſo daß die ſcharfen Schaufeln dem Pferde immer
in die Flanken liegen ; da muß ſich denn freilich das Pferd
zu Allem bequemen .
Wir haben hier einen vertriebenen Lesger-Fuͤrſten aus
Daghiſtan am caspiſchen Meere , der ein ſo vortrefflicher
Schuͤtze iſt , daß er mit einer ſehr langen Buͤchſe zu Pferde
im vollſten Rennen einen Vogel mit der Kugel erlegt . —
Das klingt wie eine Jagdgeſchichte ; ich habe die Sache
aber viermal mit angeſehen : zweimal ſchoß er Kraͤhen , die
gleich auf dem Flecke liegen blieben , einmal einem Adler im
Auffliegen den Fuß ab , ſo daß ihn nachher die Hunde grif-
fen , und einmal ſchoß er vorbei . Aus großer Ferne ſchon
ſetzt er ſich in Galop , gerade auf den Vogel zu reitend ;
das Pferd ſieht nun , wohin es ſoll , geht in Carriere ſchnur-
gerade vorwaͤrts , ohne die mindeſte Abweichung rechts oder
links ; noch hat der Chan-Effendi die lange Buͤchſe uͤber
die Schultern gehaͤngt , jetzt wirft er die Zuͤgel auf den
Hals ſeines Pferdes , ſpannt den Hahn und zielt gerade
uͤber den Kopf des Pferdes weg . Meiſt bleibt der Vogel
wie beſtuͤrzt ſitzen , bis der Reiter ganz nahe iſt , und indem
er aufflattert , druͤckt jener los .
55.
Die Winterquartiere .
Malatia , den 23. Dezember 1838 .
Den neuen Handelstraktat zwiſchen England und der
Pforte halte ich mit Bezug auf Aegypten fuͤr unausfuͤhr-
bar : Mehmet-Aly wird ihn annehmen und ſich einige
Jahre ( uͤber die er hinſtirbt ) zur Einfuͤhrung ausbedingen ;
glaubte er , daß man ihn ernſtlich zwingen werde , die Pa-
ragraphen zu verwirklichen , ſo wird er uns ohne Zweifel
im kommenden Fruͤhjahr angreifen .
Es iſt ſpaͤt , und ich beſchließe mein fluͤchtiges Ge-
ſchreibſel . Ach , lieber V. ! wir werden hier kein ſehr bril-
lantes Carneval zubringen ; wenn das ſo fort ſchneit , ſo iſt
jede Beſchaͤftigung mit den Truppen unmoͤglich ; mir ſcheint ,
das Thermometer hat außer dem Gefrier- noch einen Frier-
punkt ; was man 10 Gr. „ Waͤrme “ nennt , iſt fuͤr mich
ſchon ein paar Grad unter dem gedachten Frierpunkt , und
da ich es mittelſt Camin und Kohlenbecken nicht uͤber 8 Gr.
hinter meinen geoͤlten Papierſcheiben bringen kann , und bei
dem großen Mangel an geiſtiger Erwaͤrmung , glaube ich
zuweilen dem Erfrierpunkte nahe zu ſein . Nichts von dem
froͤhlichen muthigen Treiben , das bei uns eine große Trup-
penverſammlung bezeichnet , darfſt Du hier ſuchen . — Es
iſt , als ob dieſe Leute den kriegeriſchen Geiſt ihrer Vaͤter
ganz abgeſtreift haͤtten ; vor ein paar Tagen haben wir
einen Tſchauſch erſchoſſen , der ſechs Schildwachen von ih-
rem Poſten mitgenommen hat und im Complott deſertirt iſt ,
die Andern ſahen zu , und dachten : „ armer Teufel ! “ Der
Paſcha zahlt 250 Piaſter fuͤr jeden eingebrachten Deſerteur ;
nach ſeiner eigenen Angabe hat er ſeit Oktober 100,000 Pia-
ſter gezahlt . Taͤglich erblicke ich zwei , drei traurige Geſtal-
ten an einem Halfterſtrick , die Haͤnde auf den Ruͤcken ge-
bunden , geduldig von irgend einem Kurden hergetrieben .
Jch habe ſie zuweilen gefragt : eure Nahrung iſt reichlich ,
eure Wohnung gut , eure Kleidung ( ſofern ihr nicht in den
weißleinenen Jacken der ungluͤcklichen Rediffs von Siwas
ſteckt ) iſt warm , ihr werdet nicht gemißhandelt , wenig an-
geſtrengt , gut bezahlt — warum deſertirt ihr ? — Ischte
beule olmüsch , — „ ſo iſt es gekommen , “ — ne japalym !
— „ was koͤnnen wir thun ! “ — Der Mann nimmt ſeine
zweihundert Schlaͤge ſeufzend hin und deſertirt bei der naͤch-
ſten Gelegenheit wieder . Von dem Regiment Boli ſind auf
dem Hermarſch dreihundert und vierundſechzig Mann ( aus
demſelben Konak eine Geſellſchaft von dreißig Mann zuſam-
22
men ) ausgeriſſen . Vielleicht iſt das einzige Mittel eine
gluͤckliche Campagne .
Sehe ich zum Fenſter hinaus ( oder vielmehr zur Thuͤr ,
denn die Fenſter haben das Gute , daß man nicht hinaus
ſehen kann ) , ſo hab' ich im Vordergrunde den Begraͤbniß-
platz , auf welchem vom Morgen bis zum Abend Leute ar-
beiten , um die vielen Graͤber in die harte Erde zu hacken ,
die unſere Hoſpitaͤler verlangen . Wenn ich unſere Batail-
lone bei luſtiger Muſik in Parade voruͤberziehen ſehe , fallen
mir zuweilen die ſeltſamſten Meditationen ein : im Hinter-
grunde erhebt ſich eine der abſcheulichſten Staͤdte , die man
ſich wuͤnſchen kann , eine Stadt ohne Straßenjungen , ohne
Laternen und ohne Droſchken ( der elendeſte Sparwald waͤre
hier wie der Kroͤnungswagen der Koͤnigin Victoria ) , eine
Stadt ohne Frauen , ohne Baͤlle , ohne Theater , ohne Ca-
f é 's , ohne Leſezirkel , nichts wie Himmel und Soldaten .
Daruͤber freilich ſteigen ſtolze Berge von prachtvollen For-
men und mit glaͤnzendem Schnee empor , und ich ſage mir
zuweilen , um mich aufzuheitern : das iſt Armenien , und hier
rollt der Euphrat , deſſen Quellen ich in der Geographie-
Stunde niemals anzugeben wußte , weil ſie mir weiter als
der Welt Ende ſchienen .
Doch darfſt Du , trotz dieſer Schattengemaͤlde , nicht
glauben , daß ich mich in einer ſehr melancholiſchen Stim-
mung befinde ; innerhalb meines Hauſes iſt , Gott Lob ! Alles
wohlauf , meine Leute ſind guter Dinge und mir zugethan ;
die muthigen Roſſe tragen mich taͤglich im Fluge uͤber die
weite Ebene ; das iſt mein Familienleben , und die Paſcha's
ſind nicht allein ſehr hoͤflich , ſondern wirklich ſo freundlich
gegen mich geſinnt , wie ſie es gegen einen Gjaur nur im-
mer ſein koͤnnen . Ein Hauptgenuß fuͤr mich iſt es , hier
an den Ufern des Euphrat regelmaͤßig meine Augsburger
Allgem. Zeitung zu leſen ; ich erhalte ſie alle vierzehn Tage
mit dem Tataren aus Stambul , und ſie iſt dann gewoͤhn-
lich 21 bis 28 Tage alt ; das verſetzt mich ploͤtzlich uͤber
Berge und Meere weg , nach Europa unter geſittete Voͤlker ,
und ich habe Gelegenheit , die Parallele zwiſchen den dortigen
Zuſtaͤnden und denjenigen zu ziehen , welche uns hier um-
ringen . Ach , lieber Freund , koͤnnten wir die Mißvergnuͤg-
ten und Frondeurs doch von Zeit zu Zeit auf vierzehn Tage
nach Malatia hinzaubern , wie wuͤrden ſie ſich nach den Jn-
ſtitutionen zuruͤck ſehnen , die ſie jetzt mit der ganzen Schaͤrfe
und Bitterkeit ihrer Kritik herabſetzen . Der Paſcha laͤßt
ſich gern das Jntereſſanteſte aus der Zeitung erzaͤhlen ; er
ſpricht mir von einer Reiſe nach Stambul ; fruͤher kam das
Staͤdtchen mir vor , als ob es ein wenig aus der Welt
laͤge , jetzt wuͤrde ich glauben , dort au beau milieu de Paris
zu ſein . Ueberhaupt , wie wird es uns vorkommen , wenn
wir einmal wieder ein Gericht Kartoffeln , einen gewichsten
Stiefel mit blank geputzten Sporen , oder eine aͤhnliche eu-
ropaͤiſche Erſcheinung zu ſehen bekommen .
Nun gute Nacht , das Feuer iſt ausgegangen und die
Tinte friert an . Nur noch herzliche Gruͤße .
N. S. Wenn es uͤbermorgen , am Weihnachts-Abend ,
bei Dir ſpukt , ſo bin ich 's geweſen .
56.
Reiſe nach Orfa . — Das Dſcherid-Werfen . — Die
Hoͤhlen . — Das Schloß des Nimrod .
Biradſchik , den 27. Januar 1839 .
Am 19. d. Mts. verließ ich Malatia , und war recht
froh , daß ich das Staͤdtchen mit dem ominoͤſen Namen
einmal im Ruͤcken hatte . Jch reiſte mit eigenen Pferden ,
da aber der Weg ſehr ſchwierig und mein Tſchauſch mir
eins meiner beſten Thiere gleich auf dem erſten Marſch bug-
lahm geritten , ſo ſchickte ich meinen Seïs zuruͤck und nahm
Poſtpferde . Den zweiten Tag erſtiegen wir das ſteile Ge-
birge Goͤslen-Dagh und uͤbernachteten im Dorfe Erkenek
am Hange eines tiefen Felsthals ; es lag auf der Hoͤhe ſehr
viel Schnee , und unſere kleine Caravane wanderte auf einem
ſchmalen Steg , auf welchem der Schnee feſtgetreten . Zu
beiden Seiten aber waren ellentiefe Loͤcher , welche die Ka-
meele mit ihren langen Beinen eingetreten ; wenn daher der
nur einen Fuß breite Pfad verfehlt wurde , und eins un-
ſerer Pferde oder Maulthiere von dieſem herunter glitt , ſo
koſtete es immer viel Muͤhe und Zeit , das Thier aus dem
Schnee wieder herauszuziehen .
Am folgenden Tage uͤberſchritten wir die hoͤchſte Hoͤhe
des Gebirges am Fuße des Sakaltutan-Dagh , und ſenk-
ten uns in das tiefe Felsthal des Gokſuj oder Himmel-
Waſſers hinab . Wenige Stunden verſetzten mich aus dem
Winter in den Fruͤhling ; bei Malatia war noch Alles weiß ,
hoher Schnee bedeckte die Ebene wie die Berge , am Suͤd-
abhange des Gebirges hatten ſtarke Suͤdwinde und Regen
allen Schnee , ſelbſt in großer Hoͤhe , ſchon geſchmolzen ; die
Saaten gruͤnten unten in der Flur , Lerchen ſchwirrten in
der Luft und die Baͤume trieben große Knospen ; die Sonne
ſchien heiß , aber der Boden war unbeſchreiblich aufgeloͤſt ,
und die Baͤche ſo angeſchwollen , daß wenig fehlte , daß
meine Packpferde nicht fortgeſchwemmt wurden . Nach einem
muͤhſamen Marſch erreichte ich , uͤber Adiaman und Sam-
ſat , Orfa , am Abend des fuͤnften Tages .
Dieſe Stadt liegt am Abhange eines niedrigen , finſter
und ſeltſam ausſehenden Gebirges und am Anfang der
Tſchoͤll oder Wuͤſte , auf der Grenze der kurdiſchen und der
arabiſchen Bevoͤlkerung . Jnnerhalb der Ringmauer erhe-
ben ſich eine Menge Kuppeln , Minarehs , Cypreſſen und
Platanen , und die aus Steinen ſehr zierlich erbauten Haͤu-
ſer mit duͤnnen Saͤulen , Spitzboͤgen und Fontainen erin-
nern an das , was die Araber einſt waren , als ſie , durch
Mahomeds Lehre begeiſtert , die Eroberer eines Theils der
geſitteten Welt , und ſelbſt die Bewahrer der Geſittung , der
Wiſſenſchaft und Kuͤnſte wurden . Vor den Thoren der
Ringmauer erblickſt Du , was ſie heute ſind : eine Menge
von Truͤmmer bedecken da eine betraͤchtliche Flaͤche , dort-
hin kommen die Kinder der Wuͤſte , Niemand weiß , woher ,
hauſen einige Wochen und ziehen eines Tages wieder ab ,
Niemand weiß wohin , hunderte von Stunden in die meer-
aͤhnliche Flaͤche hinaus . Zwiſchen jenen Steinhaufen , die
man kaum Wohnungen nennen kann , begegnet man den
braunen Geſtalten mit kurzem ſchwarzen Bart und bren-
nenden Augen ; ſie weichen ſchuͤchtern aus , blicken unſtaͤt
umher , und man ſieht es ihnen an , daß ſie fremd ſind
und fremd bleiben wollen , wo ihre Kameele nicht weiden ,
wo Mauern den Blick begrenzen und Diebſtahl geahndet
wird .
Jn Orfa ſtehen jetzt die meiſten der Truppen , mit wel-
chen ich im Sommer gegen die Kurden gezogen war ; hier
wurde ich als alter Bekannter empfangen , und die Auf-
nahme , die mir zu Theil wurde , macht mir in der That
viel Freude ; Mehmet-Paſcha , der Gouverneur von Orfa
geworden iſt , behielt mich gleich bei ſich und hat mir Zim-
mer im Seraj eingeraͤumt , welches eine Art Citadelle bil-
det ; Pferde , Dienerſchaft und gute Mahlzeiten , Ehrenbezeu-
gungen und Complimente , kurz Alles , was man in dieſem
Lande anbieten kann , ſtehen zu meinem Dienſte .
Der folgende Tag war ein Freitag , der Sonntag der
Tuͤrken , an welchem es hier Sitte iſt , auf einem Platz vor
dem Thore zuſammen zu kommen , um den Dſcherid zu wer-
fen ; der Paſcha , die Bey 's , die vornehmſten und die ge-
ringſten Bewohner der Stadt , wer nur ein gutes Pferd
hat , ſtellen ſich ein . Die Araber , den weißen Mantel uͤber
die linke Schulter geworfen , den Dſcherid hoch in der Rech-
ten , tummeln da ihre kleinen mageren Stuten zwiſchen den
ſchoͤn gewarteten , reich gezaͤumten Roſſen der Tuͤrken , welche
nach der alten praͤchtigen Art gekleidet mit ihren Turbanen
und rothen , blauen und gelben Gewaͤndern einen hoͤchſt
ſtattlichen Aufzug machen .
Der Platz iſt freilich , wie man ſich ihn bei uns nicht
ausſuchen wuͤrde , um Pferde darauf zu fuͤhren , denn er
iſt mit Stein und Geroͤll ganz uͤberdeckt ; aber man kann
nicht ruͤckſichtsloſer reiten als dieſe Leute , und wenn man
ſie in der geſtreckten Carriere hinfliegen , das Pferd in klei-
nen Volten ploͤtzlich herum werfen oder kurz pariren ſieht ,
ſo ſollte man nicht denken , daß das Thier oft das halbe
oder ganze Vermoͤgen des Reiters ausmacht . Die Geſell-
ſchaft theilt ſich ohne weitere Anordnung in zwei Partheien ,
eine der andern gegenuͤber ; wer will , ſprengt hervor , ſo-
bald er umdreht , jagt ihm ein Anderer nach , ſucht ihn ein-
zuholen , und ſchleudert , hoch in den kurzen Buͤgeln aufgerich-
tet , den Dſcherid mit aller Gewalt ihm nach . Der Dſcherid
iſt ein Wurfſpieß , dem die Spitze fehlt , ein drei Fuß lan-
ger Stock , der fingerdick , auch wohl etwas dicker iſt ; es
giebt daher oft tuͤchtige Puffe , von einem Ungluͤck aber hoͤrt
man faſt nie . Obwohl man ſtets nur im Verfolgen wirft ,
ſo wird die Gefahr , das Auge des Gegners zu treffen , da-
durch nicht ganz beſeitigt , denn der Verfolgte ſieht ſich
um , dem Wurf auszuweichen oder den Djerid mit der Hand
ſeitwaͤrts zu ſchleudern ; Viele fangen den Stab und ſchik-
ken ihn ihrem Verfolger zuruͤck . Jch habe aber bemerkt ,
daß der Niedere gegen den Vornehmern ſeinen Wurf ſehr
maͤßigt und gewiſſermaßen nur markirt . Die Pferde ſchei-
nen ein eben ſo großes Vergnuͤgen an dieſem Spiele zu
nehmen , als der Reiter ; da ich ein Pferd des Paſcha's
ritt , welches ich noch nicht kannte , ſo nahm ich Anſtand ,
mich in die Melee zu miſchen , das Thier ſtampfte und wie-
herte , und als ich ihm die Zuͤgel ſchießen ließ , jagte es
mit ſolcher Gewalt und zeigte ſich doch ſo folgſam gegen
Zuͤgel und Schenkel , daß der ſchlechteſte Reiter mit Ehren
haͤtte beſtehen koͤnnen .
Die ganze bewegte Scene an dem Fuße eines alten
grauen Caſtells , die unbegrenzte Wuͤſte im Hintergrunde ,
gab ein ſchoͤnes und charakteriſtiſches Bild .
Geſtern beſuchte ich die Hoͤhlen , welche ſich auf dem
Gipfel eines Berges nahe an der Stadt befinden . Es
ſcheint , daß man alle die Steine zur Mauer , zu den Mo-
ſcheen , Caravanſerajen und Baͤdern hier geſchnitten hat ;
die Hoͤhlen , welche dadurch entſtanden , ſind von außeror-
dentlicher Groͤße , ich ritt 150 Schritte in eine hinein , ſie
iſt 8 bis 10 Ellen hoch , aber das Ueberraſchende iſt ihre
Breite von 30 bis 40 Ellen , denn man erſchrickt faſt , ein
ſteinernes nicht gewoͤlbtes , ſondern ganz waagerechtes Pla-
fond von dieſer Spannung , ohne alle Saͤulen oder Unter-
ſtuͤtzung , uͤber ſeinem Kopf ſchweben zu ſehen . Die Hoͤhlen
koͤnnten an 2000 Pferde aufnehmen ; leider iſt kein Waſſer
da . Mein Lieblingsſpaziergang in der Stadt iſt ein gro-
ßes Baſſin voll klaren Waſſers mit zahlloſen Fiſchen ; dieſe
Thiere ſind Siaret oder geweiht ; Nimrod hat ſie in den
Teich geſetzt , und wer davon ißt , wird blind ; wenn man
ihnen eine Handvoll Erbſen zuwirft , ſo folgen ſie einem zu
hunderten , wie ein Schwarm Hunde laͤngs dem Ufer . Der
eine Rand des Waſſers iſt von maͤchtigen Platanen umge-
ben , an dem andern erhebt ſich die Moſchee Aly Rachman ,
aus weißem Sandſtein mit Minarehs , zierlich geſchnitzten
Steingittern und ſchwarzen Cypreſſen , recht ein Ort , um
ſich Ende Januar in der heißen Mittagsſonne zu ergehen .
Auf einem der kahlen Felſen , etwa eine Stunde vor
der Stadt , erhebt ſich ein altes Gemaͤuer , welches die Ara-
ber Nimrods Schloß nennen . Es iſt ſchwer zu errathen ,
fuͤr welchen Zweck es eigentlich erbaut wurde ; keine Straße
fuͤhrt dahin , kein Baum , kein Grashalm gedeiht dort , und
das Waſſer wird in große Ciſternen geſammelt . Es ſcheint ,
daß ein Gebaͤude ſpaͤtern Urſprungs in das aͤltere hinein-
gebaut iſt , welches ſich durch ſeinen edlen einfachen Styl
auszeichnet . An einem ſchoͤnen viereckigen Thurm fand ich
folgende Jnſchrift :
Nachdem der anhaltende Regen uns mehrere Tage ge-
hindert , zog die Garniſon von Orfa beim erſten klaren Tage
aus , und uͤbte bei funkelnder Sonne und munterer Muſik
das preußiſche Brigade-Exerzieren ; nachdem das einige
Tage gedauert , fuͤhrten wir ein Manoͤver mit 9 Bataillo-
nen , 6 Escadrons und 4 Geſchuͤtzen aus , welches gut ge-
nug gelang , und an dem die Soldaten ſelbſt ihre Freude
hatten . Jch reiſte hierauf nach Biradſchik ab , und uͤber-
nachtete in demſelben Backofen zu Tſcharmelik , von welchem
ich Dir fruͤher einmal ſchrieb ; ich war nicht wenig erſtaunt ,
gegen Abend an dreißig Stuͤck Buͤffel , Ochſen und Maul-
thiere in meinen Salon einpaſſiren und durch eine Hinter-
thuͤr verſchwinden zu ſehen . Es befand ſich naͤmlich hin-
ter dem Hauſe , wenn man es ſo nennen will , eine geraͤu-
mige Hoͤhle , die als Stall diente . Jn dieſem Lande , wo
es an allem und jedem Baumaterial fehlt , iſt es ein Gluͤck ,
daß die Natur ſelbſt eine große Menge von Hoͤhlen in dem
Kalk-Sandſtein geſchaffen .
Der Paſcha von Biradſchik iſt in Orfa , und ich habe
einſtweilen Beſitz von ſeinem Konak genommen . Ein Ca-
pitain und Compagnie-Chef , welcher mit meiner Bedienung
beauftragt , ſteht unablaͤſſig mit gekreuzten Haͤnden vor mir
und reicht mir einen Tſchibuk nach dem andern , wobei 5
bis 6 Aga 's ihm helfen . Anfangs fiel mir dieſe Hoͤflich-
keit entſetzlich laͤſtig , aber man muß ſich daran gewoͤhnen ;
auch kann ich keinen Schritt aus dem Hauſe gehen , ohne
den Tſchauſch oder Sergeanten auf den Ferſen zu haben ,
welcher als Ordonnanz kommandirt iſt ; vergebens ſuche ich
ihn abzuſtreifen , er folgt wie mein Schatten ; da ich nun
gern und ſchnell ſpazieren gehe , und von der Topographie
her lange Schritte mache , ſo kommt der arme Menſch bei
dieſer Fatigue ganz von Kraͤften . Die Tuͤrken begreifen
uͤberhaupt nicht , wie Jemand , der ein Pferd oder einen
Eſel hat , zu Fuße gehen kann ; ſie ſtehen ſtill und ſehen
nach : „ Juͤruͤr “ — er wandert — ſagen ſie erſtaunt . Aber
allein ſpazieren gehen iſt noch ein groͤßerer Verſtoß gegen
die Sitte , als Gehen uͤberhaupt , und man muß ſchon
ſehr miſerabel ſein , um nicht wenigſtens einen Faullenzer
hinter ſich drein zu haben , der die Pfeife traͤgt . Jn Ma-
latia begegnete mir eines Tages ein Eſeltreiber , der mit
ſeiner Geſellſchaft nach der Stadt zuruͤck kehrte ; der Mann
mochte mich bei dem Paſcha geſehen haben , und nahm ſich
vor , mir eine Hoͤflichkeit anzuthun . Ehe ich mir's verſah ,
hatte er mich beim Arm und ſtellte mir ſeinen Eſel-Hengſt
vor : „ Setze dich auf , Gjoͤſuͤm “ ( mein Augenpaar ) . Jch
dankte verbindlichſt und bat zu erlauben , daß ich meines
Weges ziehe . „ Vallahi ! es iſt ſchade um dich , daß du zu
Fuße gehen ſollſt . “ Jch ſagte , daß ich einen ganzen Stall
voll Pferde und Mauleſel habe , aber der Mann beſtand auf
ſeinem Vorhaben ; da es nun nicht anders ſein konnte , ſo
— ſetzte ich mich zwar nicht auf den Eſel , aber ging nach
Hauſe und ritt ſpazieren , da ich doch lieber ſpazieren ge-
gangen waͤre .
Die Truppen in Biradſchik ſind ebenfalls meine alten
Bekannten , es wird taͤglich exerziert ; die Offiziere vom hoͤch-
ſten bis zum niedrigſten zeigen die groͤßte Bereitwilligkeit ,
ſich zu unterrichten , und freuten ſich uͤber die Einfachheit
der Manoͤver .
Jn Biradſchik fand ich Anfangs Februar die Felder
mit gruͤnen Saaten bedeckt ; die Buͤſche hatten ſchon kleine
Blaͤtter und die Araber badeten ſich im Fluß .
Jch nehme einen Plan der hoͤchſt intereſſanten Umge-
bung auf , und durchkrieche das wunderbare alte Schloß ;
da ſind weite Reihen von Gewoͤlben , die ſeit Jahrhunderten
verſchuͤttet ſein moͤgen . Es iſt ein Rieſenwerk , dieſes alte
Gebaͤude , und das Erdbeben ſelbſt hat es nicht zu zerſtoͤren
vermocht ; ich habe Dir fruͤher ſchon davon erzaͤhlt . Von
Biradſchik machte ich eine kleine Ausflucht nach Niſib , einem
Staͤdtchen , hinter welchem die aͤgyptiſche Grenze anfaͤngt ;
das Staͤdtchen liegt in einem Walde von Oelbaͤumen , der
circa 64,000 Staͤmme zaͤhlt . Die Zahl iſt bekannt , weil
jeder Baum mit einem Silbergroſchen , nach unſerm Geld ,
Steuer belaſtet iſt . Ein großer Baum giebt 5- bis 600
Pfund Oliven .
Der Muͤſſelim von Niſib glaubte ſich verpflichtet , dem
vom „ großen Paſcha “ Geſendeten ein Pferd zu ſchenken ,
welches natuͤrlich die Stadt ihm wieder bezahlen mußte ,
und wunderte ſich ſehr , daß ich es nicht annahm .
Malatia , den 16. Februar 1839 .
Jch ritt auf einem mir noch nicht bekannten Weg am
rechten Ufer des Euphrat nach Rumkaleh , und befand mich
nach ſechsſtuͤndigem Ritt mitten in den Winter verſetzt ;
Schnee bedeckte die Berge und ein ſchneidender Nordwind
machte die Kaͤlte hoͤchſt empfindlich . Auf einem ſchmalen
Fußſteig uͤber nackten Fels und zwiſchen Steinbloͤcken und
Geroͤll zogen wir muͤhſam und langſam durch einen Piſta-
zienwald nach Behesne . Jch moͤchte dieſe Gegend ein fla-
ches Gebirge nennen ; die Erhebungen ſind unbedeutend ,
aber der Boden faſt ganz von Erde entbloͤßt und mit Ge-
roͤll und Truͤmmer ſo uͤberſchuͤttet , daß der ganze Landſtrich
von Diarbekir weſtlich bis Maraſch von der hoͤchſten Un-
gangbarkeit iſt . Bei hellem Sonnenſchein , aber der ſtreng-
ſten Winterkaͤlte , nahm ich dann den Ruͤckweg uͤber den
Taurus , und traf am 15. wieder in Malatia ein , wo ich
meine Leute und meine Pferde wohl und munter vorfand .
Jch hatte bei meiner Abreiſe angeordnet , daß die Fuͤllen
aus dem Stalle , wo ſie ſtanden , fortgenommen werden
ſollten , weil er ſehr baufaͤllig , und hier alle Fruͤhjahre beim
Regen Haͤuſer einſtuͤrzen ; dies war geſchehen , und noch
am ſelbigen Tage die Decke eingebrochen .
57.
Der Status quo .
Malatia , den 20. Februar 1839 .
Je weniger die Moͤglichkeit eines Krieges in Abrede
geſtellt werden kann , um ſo eher duͤrfte es Zeit ſein , einen
Gegenſtand zur Sprache zu bringen , der mir von großer
Wichtigkeit ſcheint . Man hat bei Eroͤffnung der beiden
letzten Feldzuͤge Huſſein-Paſcha und Reſchid-Paſcha
zum Voraus mit Syrien belehnt ; moͤchte man doch nicht
zum dritten Male Syrien vergeben , ehe es erobert iſt . —
Moͤchte man es uͤberhaupt in der Art nicht wieder ver-
geben .
Die Reformen , welche Se . Hoheit fuͤr noͤthig erkannt ,
finden in der Ausfuͤhrung die Hauptſchwierigkeit darin ,
daß uͤberall Maͤnner aus ihren Aemtern verdraͤngt werden
muͤſſen , die ſie guͤltiger Weiſe beſitzen , welche ſie ſich zum
Theil gekauft , und in denen ſie ſich durch Sitte und Her-
kommen fuͤr voͤllig berechtigt halten , große Erwerbe auf
Koſten der Steuerpflichtigen zu machen . Jn einer neuer-
worbenen Provinz wuͤrden die in der Verwaltung unab-
weislich gewordenen Aenderungen ſich um vieles leichter
einfuͤhren laſſen , und gerade von einer ſolchen Provinz aus
koͤnnte ſich die Reform am ſchnellſten uͤber die uͤbrigen
Theile des Reichs verbreiten .
Geſtatten Sie mir , die Eroberung Syriens ( die ich
keineswegs fuͤr leicht , aber noch viel weniger fuͤr unmoͤg-
lich halte ) einen Augenblick als beabſichtigt vorauszuſetzen .
Findet man es fuͤr noͤthig , Syrien einem Paſcha zu uͤber-
tragen , ſo duͤrfte dieſer auch nicht laͤnger Oberbefehlshaber
der Truppen ſein ; durch die Trennung der militairiſchen
und buͤrgerlichen Gewalt wuͤrden Machtanmaßungen , wie
ſie in der osmaniſchen Geſchichte ſo haͤufig ſind , und wie
ſie Mehmet-Aly in unſern Tagen erneuert , uͤberhaupt
vermieden werden .
Es iſt bekannt , wie bei der jetzigen Steuer-Erhebung
kaum der fuͤnfte , vielleicht kaum der zehnte Theil der Ab-
gaben in die Staatskaſſe fließt . Fuͤhrt man nun den bis-
herigen Modus des Jlteſam oder der Steuer-Verpachtung ,
die Muͤſſelim-Verwaltung , die Angaria oder Frohnen , die
Zwangs-Kaͤufe , das Syſtem der Jkram oder Geſchenke und
Freihaltung auf Koſten der Gemeinden , die gewaltſame Re-
kruten-Aushebung , die bekannten und doch geduldeten Ver-
untreuungen und Unterſchleife , die Befoͤrderungen nach Gunſt ,
kurz das ganze Heer alter Mißbraͤuche neu wieder ein , ſo
iſt jeder Tropfen Bluts zu bedauern , der fuͤr eine ſolche
Sache verſpritzt werden wird . Jn einem zur Empoͤrung
ohnehin ſo geneigten Lande werden partielle Auflehnungen
dann nicht auf ſich warten laſſen , man wird genoͤthigt
ſein , eine betraͤchtliche Heeresmacht fortwaͤhrend in Syrien
zu unterhalten ; dadurch wird die Laſt der Abgaben und die
Conſcription geſteigert und das Uebel nur vermehrt werden .
Eine gute Verwaltung hingegen wird den Beſitz von
Syrien beſſer , als 40,000 Mann ſichern . Wenn in einem
ſo reichen Lande die Abgaben in jeder Commune von den
Aelteſten eingeſammelt und direkt an die Staatskaſſen ab-
geliefert wuͤrden , wenn an die Stelle rein perſoͤnlicher , col-
legialiſche Behoͤrden treten , wenn die Beamten vom Staate
beſoldet , und wo moͤglich reich beſoldet , und ſtreng beauf-
ſichtigt wuͤrden , ſo muͤßten die Syrier ſehr verblendet ſein ,
wenn ſie einen ſolchen Zuſtand nicht gegen den gegen-
waͤrtigen beiſpielloſen Druck vertauſchen wollten .
Der Augenblick , wo etwa ein Krieg beſchloſſen wuͤrde ,
ſcheint der guͤnſtigſte , um die Miniſter der Pforte auf dieſe
Gegenſtaͤnde aufmerkſam zu machen . Ein Manifeſt des
Großherrn , welches eine ſolche Adminiſtration in Ausſicht
ſtellt , Sicherheit des Eigenthums , ſtrenge Mannszucht im
Heer und Amneſtie fuͤr die , welche ſich unterwerfen , ver-
heißt , muͤßte , glaub' ich , beim Ausbruch eines Krieges
einen ſehr guͤnſtigen Eindruck machen . —
Malatia , den 25. Februar 1839 .
So wenig iſt bis jetzt von Seiten unſers Corps ein
herausfordernder Schritt geſchehen , daß vielmehr die in
Malatia concentrirt geweſenen Truppen zur Haͤlfte in die
ruͤckwaͤrts gelegenen Cantonnirungen Diarbekir und Suve-
rek dislocirt worden ſind .
Man darf indeß aus dieſer anſcheinend friedfertigen
Maaßregel nicht auf eine groͤßere Stabilitaͤt der Verhaͤlt-
niſſe ſchließen , ich muß vielmehr ausdruͤcklich hinzuſetzen ,
daß die Dinge hier weit kriegeriſcher und drohender aus-
ſehen , als dies in Conſtantinopel bis Ende Januars der Fall
geweſen zu ſein ſcheint .
Es iſt im verfloſſenen Jahre mit großer Thaͤtigkeit
hier gearbeitet worden , das Corps Hafiß-Paſcha 's ſteht
vollkommen geruͤſtet da , und kann auf den erſten Befehl
aufbrechen . Andererſeits macht Jbrahim ſtarke Sendun-
gen von Munition nach der noͤrdlichen Grenze Syriens .
Die Gruͤnde , welche Hauptmann F. fuͤr die Verſchie-
bung des nahe drohenden Conflikts bis zum Herbſt an-
fuͤhrt , ſind vollkommen richtig ; es iſt nur die Frage , ob
es noch moͤglich ſein wird , dem Ausbruch vorzubeugen .
Jch moͤchte faſt glauben , daß Se. Hoheit nur dann auf
eine Verlaͤngerung des status quo eingehen wird , wenn
ein wirklicher Friede , ein Zuſtand in Ausſicht geſtellt wer-
den kann , welcher nicht , wie der jetzige , noͤthig macht , in
dem entfernteſten Winkel des Landes ein Heer beiſammen
zu halten , das die Kraͤfte des Staats erſchoͤpft und die
Provinz zu Grunde richtet . Jener Zuſtand ſetzt aber die
Entwaffnung Mehmet-Aly 's voraus , und wie weit dieſe
im Bereich des Wollens und des Koͤnnens der europaͤiſchen
Cabinette liegt , kann ich nicht beurtheilen .
Es bleibt mir noch uͤbrig , hinzuzufuͤgen , daß , ſo weit
ich die Verhaͤltniſſe hier kenne und nach meiner vollſten
Ueberzeugung , im Fall eines Krieges die ſtrategiſche Lage ,
die Staͤrke der Streitmacht und die Stimmung des Lan-
des zu Gunſten der Pforte ſind ; verbuͤrgen kann den
Ausgang jedoch Niemand , und ich wuͤnſche aufrichtig , daß
das Einſchreiten der Diplomatie den Ausbruch dieſes Sturms
verhindern moͤge .
Malatia , den 23. Maͤrz 1839 .
Seit meinem letzten Briefe vom 25. Februar ſind hier
in der Lage der Dinge keine Veraͤnderungen eingetreten .
Die ſo eben eingetroffenen Nachrichten ſcheinen ſogar etwas
friedfertiger als die fruͤhern zu lauten , und der Sturm noch
einmal beſchworen zu ſein ; ich kann dazu nur Gluͤck wuͤn-
ſchen , muß aber glauben , daß dies eine kurze Vertagung
der endlichen Entſcheidung iſt , auf welche man gezwungen
ſein wird , bald wieder zuruͤckzukommen .
Daß die Mobil-Erhaltung eines betraͤchtlichen Trup-
pen-Corps einen uͤberaus großen Aufwand fuͤr das Ma-
terial vorausſetzt , daß Munition , Bekleidungsgegenſtaͤnde ,
Zelte , Fuhrweſen ꝛc. in kurzer Zeit auch wieder erneuert
werden muͤſſen , iſt an und fuͤr ſich klar . Unſere Artillerie-
Beſpannung iſt in kurzer Friſt auf 3000 Pferde gebracht
worden , welche im Lande fuͤr einen Durchſchnittspreis von
1000 Piaſtern das Stuͤck angekauft worden . Zu dieſer
Summe von drei Millionen muͤſſen noch die Koſten fuͤr Er-
naͤhrung , Complethaltung und Beſchirrung gerechnet wer-
den . Auf dem Friedensfuße wuͤrde die Artillerie zur voll-
ſtaͤndigen Ausbildung ihrer Mannſchaften nie mehr als ein
Sechstel bis ein Fuͤnftel jener Zahl von Pferden noͤthig
haben .
Es ſind zu Koniah , Angora und Malatia an vierzig
tauſend Mann Spahi's und Rediffs verſammelt ; dies iſt
ganz allein ſchon eine Calamitaͤt , und iſt es doppelt , weil
die Regierung daſſelbe Jndividuum als Soldat ernaͤhren
und erhalten muß , welches ſie als Unterthan nicht be-
ſteuern kann , weil ſein Handel , ſein Gewerbe ruht , ſein
Feld brach liegt und ſeine Familie darbt .
Außer den Rediffs ſollen auch die Linien-Truppen er-
gaͤnzt werden . Nun herrſcht aber unter unſerm Militair
eine ganz beiſpielloſe Sterblichkeit ; ich werde Thatſachen
anfuͤhren : das 3te Garde-Jnfanterie-Regiment hat in den
zwoͤlf Monaten , welche ich hier zubringe , 1026 Todte ge-
habt , d. h. die Haͤlfte ſeiner Totalſtaͤrke ; die Garde-Rediff-
Brigade Mashar-Paſcha hat in vier Monaten 800 Mann
eingebuͤßt , das wuͤrde auf zwoͤlf Monate 2400 Mann oder
die Haͤlfte der geſammten Mannſchaft betragen ; die Bri-
gade , welche die wenigſten Verluſte gehabt , iſt Kurd Meh-
met Paſcha's , incluſive der Todten und Verwundeten waͤh-
rend unſers kleinen Feldzuges im Karſann-Dagh hat ſie
200 Mann eingebuͤßt ; alle uͤbrigen Regimenter aber haben
durch Krankheit ſehr bedeutend verloren , und ich bleibe ge-
wiß noch hinter der Wahrheit zuruͤck , wenn ich behaupte ,
daß wir im Verlauf eines Friedens-Jahres ein Drittel
unſers Corps begraben haben .
Unter ſolchen Umſtaͤnden , und weil der Erſatz faſt aus-
ſchließlich auf Kurdiſtan laſtet , iſt die Rekrutenaushebung
ein foͤrmlicher Raubzug der Behoͤrde gegen die Ortſchaften ;
es giebt Doͤrfer , welche voͤllig von jungen arbeitsfaͤhigen
Mannſchaften entbloͤßt ſind , und man muß dieſer Men-
ſchenjagd beigewohnt , die Erſatzmannſchaft mit geknebelten
Haͤnden und zornvollem Blick haben ankommen ſehen , um
zu begreifen , wie die Regierung , beim beſten Willen , ſich
die Gemuͤther dieſes Volks gaͤnzlich entfremdet . Zu jenen
in unmittelbarer Naͤhe liegenden Uebeln geſellt ſich fuͤr die
Zukunft eine unausbleibliche Abnahme der muſelmaͤnniſchen ,
ohnehin ſchon ſo duͤnnen , Bevoͤlkerung , neben der Erſchoͤ-
pfung der Huͤlfsmittel , noch das Verſiegen der Quellen ,
aus welchen ſie fließen .
Nun uͤbt die Anweſenheit eines ſo bedeutenden Corps
noch indirekt einen ungeheueren Druck auf die Provinz ;
die Maͤrſche , die Unterbringung der Truppen , die Heran-
ſchaffung der Nahrungsmittel , des Holzes , der Fourage ꝛc. ,
alles dies zwingt die Einwohner zu einer Menge von Froh-
nen , Geſtellung von Zug- und Laſtvieh , Natural- und Per-
ſonal-Leiſtungen . Bei den beſtehenden Sitten und der Ein-
richtung der Wohnungen muß entweder der Wirth oder
die Einquartierung zum Hauſe hinaus ; ſobald man daher
nicht unter Zelten lagern kann , werden aus ganzen Stadt-
vierteln die Bewohner ausgetrieben , und zwar ohne Ent-
ſchaͤdigung . Waͤhrend dieſes Winters haben wir die ganze ,
bedeutende Stadt Malatia in Beſchlag genommen , ohne
auch nur ein Haus ſeinem Beſitzer zu laſſen ; die Einwoh-
ner haben in den naͤchſten Doͤrfern ein Unterkommen ſuchen
muͤſſen .
Jch fuͤhre dies Alles nur an , um zu zeigen , wie große
Truppen-Anhaͤufungen in dieſem Lande noch weit verderb-
lichere Folgen haben , als bei uns ; und dennoch , wenn
ein Nachbar uns noͤthigte , waͤhrend mehr als eines Jah-
res unſere Landwehr unter den Fahnen und die Artillerie
auf dem Kriegsfuße zu erhalten , wuͤrden wir nicht ſelbſt
gegen die Uebermacht einen Kampf wagen , um dieſen Zu-
ſtand zu enden ?
Blicken wir nun nach dem Reſultat , welches die Pforte
erreicht , indem ſie ihre Kraͤfte erſchoͤpft und eine Provinz zu
Grunde richtet , ſo ſehen wir faſt die geſammte Streitmacht
in einem fernſten Winkel des Reichs angehaͤuft , waͤhrend
die große Hauptmaſſe des Landes und eben die Grenze ,
welche man ſtets fuͤr ſo gefaͤhrdet haͤlt , von aller und jeder
Vertheidigung entbloͤßt iſt . Sollte nicht ein Zuſammen-
ſturz dieſes Reichs in ſich ſelbſt unter den jetzigen Ver-
haͤltniſſen noch viel leichter moͤglich ſein , als die Jnvaſion
von Außen , und ſollten nicht aus demſelben gerade jene
Folgen hervorgehen , die man abzuwenden ſo eifrig bemuͤht
iſt ? Wenn die europaͤiſchen Maͤchte ein nahes Jntereſſe ha-
ben , die Fortdauer und Kraͤftigung des osmaniſchen Reichs
zu wollen , ſo ſind ſie auch eben ſo ſehr dabei betheiligt , eine
endliche Ausgleichung der unſeligen Verhaͤltniſſe zu Stande
zu bringen , in welche die drohende Fauſt eines Vaſallen die
Pforte hinein draͤngt . Es handelt ſich hier nicht darum ,
einen Krieg gegen Prinzipien zu fuͤhren , uͤberhaupt nicht
um eine bewaffnete Jntervention , ſondern nur , beiden Par-
theien eine Buͤrgſchaft fuͤr ihre Sicherheit zu geben ; frei-
lich iſt es dahin gekommen , daß Mehmet-Aly ſich nur
noch durch Waffengewalt in Syrien behaupten kann , aber
man darf nicht vergeſſen , daß , je groͤßer das Heer iſt , wel-
ches er dazu verwendet , um ſo ſchwerer der Druck , und
um ſo lebhafter der Wunſch , ſich von demſelben zu befreien .
Wenn der Paſcha von Aegypten 10- oder 15,000 Mann
in die ſyriſchen Plaͤtze vertheilt und den Reſt zuruͤck zieht ,
ſo koͤnnen unſere Rediffs in ihre Heimath entlaſſen , die
Linien-Truppen uͤber Anadoli und Rumelien vertheilt , die
Artillerie auf den Friedensfuß geſetzt und dem Lande alle
die Erleichterungen gewaͤhrt werden , deren es ſo dringend
bedarf . Ob eine ſolche gebotene Entwaffnung der Partheien
unter gemeinſamer Garantie mehrerer auswaͤrtigen Maͤchte
nicht ſollte ausfuͤhrbar ſein , vermag ich nicht zu beurthei-
len , aber die Ueberzeugung draͤngt ſich unabweislich auf ,
daß , wenn jene Maaßregel unmoͤglich , der Krieg
unvermeidlich iſt .
Wir werden wahrſcheinlich in vierzehn Tagen von hier
aufbrechen und ein Lager am Euphrat nicht weit von Sa-
moſata ( Samſat ) beziehen , eine Maaßregel , welche durch
Verpflegungs-Ruͤckſichten geboten wird ; es ſollen dort groͤ-
ßere Truppen-Uebungen ausgefuͤhrt werden .
58.
Concentrirung der Taurus-Armee .
Malatia , den 5. April 1839 .
Unſer Hauptquartier bricht in acht bis zehn Tagen
von hier auf , und ſaͤmmtliche Truppen des Corps vereinen
ſich in einem Uebungs-Lager am Suͤdfuße des Taurus , un-
weit Samſat . Durch die lange Anweſenheit betraͤchtlicher
Maſſen ſind die Vorraͤthe in den bisherigen Cantonnirun-
gen aufgezehrt , und der Mangel an Fourage macht es noͤ-
thig , eine waͤrmere Gegend aufzuſuchen , wo die Pferde be-
reits Graſung vorfinden . Zudem geſtatten die Strenge des
Winters und die große Hitze des Sommers nur waͤhrend
des Fruͤhlings und Herbſtes anhaltend zu exerzieren , und
der Commandirende hat deshalb beſchloſſen , den naͤchſten
Monat zu groͤßeren Truppen-Uebungen zu benutzen .
Neben dieſen Gruͤnden wird die Concentrirung des Corps
allerdings auch noch durch andere Ruͤckſichten nothwendig .
23
Es iſt bekannt , daß die Pforte ihre Streitmacht in
Aſien in zwei Hauptlaͤger aufgeſtellt hat , zu Koniah und
in Kurdiſtan . Wenn Jbrahim-Paſcha einen Angriffs-
Krieg beſchließt , ſo iſt es immer noch am wahrſcheinlich-
ſten , daß er trotz aller Hinderniſſe uͤber den Kulek-Boghas
hervorbricht , weil dieſe Richtung ihm die ſchnellen und ent-
ſcheidenden Erfolge bietet , deren er in ſeiner precairen Lage
fuͤr die Fortdauer ſeiner Exiſtenz bedarf . Hadſchi-Aly-
Paſcha nun ſieht auf jener kuͤrzeſten und wichtigſten Straße
von Syrien nach der Hauptſtadt ; er iſt der Schwaͤchere ,
und , geſchuͤtzt durch Verſchanzungen , wird er ſich ohne
Zweifel auf ein bloßes Abwehren des Gegners beſchraͤnken .
Fragen wir nun , welches fuͤr den vorausgeſetzten Fall
das Verhaͤltniß Hafiß-Paſcha 's ſein kann . Mit einem
ſo bedeutenden Corps unthaͤtig ſtehen bleiben , wird Nie-
mand in den Sinn kommen ; ſich dem eingedrungenen Geg-
ner vorſchieben , iſt unmoͤglich . Nachdem ich dieſe Gegen-
den in allen wichtigſten Richtungen durchreiſet , darf ich
behaupten , daß man nur auf einem weiten Umweg uͤber
Kaiſarieh ſich mit Hadſchi-Aly-Paſcha vereinen koͤnnte ,
d. h. wir haben 150 Stunden bis zum Kulek-Boghas ,
waͤhrend der Gegner von dort nur eben ſo viel bis Kon-
ſtantinopel hat ; man kaͤme alſo auf alle Faͤlle zu ſpaͤt .
Es bleibt daher nur uͤbrig , gerade vorzugehen , eine Diver-
ſion , die jedes Unternehmen des Feindes auf Konſtantino-
pel unmoͤglich macht , ſo lange Hafiß-Paſcha nicht eine
entſcheidende Schlacht verloren . Zu dieſem Vorgehen alſo
muͤſſen wir uns die Moͤglichkeit bewahren .
Die Nachrichten aus Syrien vereinigen ſich dahin ,
daß Jbrahim-Paſcha Vorbereitungen zu einer Verſamm-
lung ſeines Heeres in der Gegend von Aleppo trifft : wie-
viel davon bereits ausgefuͤhrt , bedarf noch einer naͤheren
Beſtaͤtigung , da wir mit unſern Nachrichten ſehr im Fin-
ſtern tappen und meiſt unter den extremſten Angaben zu
waͤhlen haben . So viel iſt aber klar , daß Hafiß bei die-
ſer Lage der Dinge nicht in Cantonnirungen verbleiben kann ,
die unter ſich durch ein ſchwieriges Gebirge und einen gro-
ßen Strom getrennt ſind , daß er ſeine Kraͤfte wird ver-
einigen und vielleicht die militairiſch-wichtigen Punkte an
der Grenze verſchanzen muͤſſen ; denn , wenn ich es fuͤr
wahrſcheinlich halte , daß Jbrahim-Paſcha , um gegen
Konſtantinopel vorzubringen , die Operationslinie uͤber Ko-
nieh jeder andern vorziehen werde , ſo ſetze ich dabei als
unerlaͤßlich voraus , daß er ſich zuvor durch eine kurze ,
kraͤftige Offenſive gegen uns Luft mache , ohne welche ein
Unternehmen auf Konſtantinopel unausfuͤhrbar waͤre . Auf
einen ſolchen ploͤtzlichen Angriff muß Hafiß-Pa-
ſcha nunmehr gefaßt ſein .
Es wurde vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen , ob
es nicht moͤglich ſein ſollte , eine Anzahl Armenier in das
tuͤrkiſche Heer einzuſtellen . Vom Standpunkte des Rechts ,
oder wenigſtens der Billigkeit , duͤrfte , glaube ich , gegen
dieſe Maaßregel nichts einzuwenden ſein . Als die Tuͤrken
das Land in Beſitz nahmen , lag ihnen auch natuͤrlich allein
die Behauptung deſſelben ob ; ſie uͤbernahmen ſie als eine
damals leicht zu erfuͤllende Verbindlichkeit , und belaſteten
dafuͤr die Rajahs mit Frohnen und Abgaben . Jm Laufe
der Zeit hat ſich dies Verhaͤltniß weſentlich geaͤndert : die
Muſelmaͤnner , welche urſpruͤnglich nur mit dem Ertrage
der Timare belehnt waren , ſind gegenwaͤrtig wirkliche Grund-
beſitzer geworden , und tragen als ſolche alle die Laſten ,
welche an dem Beſitz haften ; den ſpaͤter eingefuͤhrten indi-
rekten Abgaben ſind ſie nicht weniger unterworfen , als die
Rajahs , und dieſe ( wenn man von ungeſetzlichen Vexatio-
nen abſieht ) zahlen nicht mehr , als die Osmanli , außer
dem Haradſch , eine Abgabe , deren realer Werth durch die
allgemeine Muͤnzverſchlechterung auf noch nicht zwei Tha-
ler preuß. Cour. jaͤhrlich herabgeſunken , in eben der Zeit ,
wo die Conſcription zu einer unertraͤglichen Laſt herange-
wachſen ; denn mit einer an Erſchoͤpfung grenzenden An-
ſtrengung unterhaͤlt die Pforte ein Heer , welches keines-
wegs ausreicht , um das Land von der perſiſchen bis zur
oͤſterreichiſchen , von der arabiſchen bis zur ruſſiſchen Grenze
zu ſchuͤtzen .
Die beſprochene Maaßregel ſcheint mir daher billig ,
nothwendig und in dem Theile von Aſien , welchen ich kenne ,
vollkommen ausfuͤhrbar , womit ich jedoch keineswegs ge-
ſagt haben will , daß man ſie ohne Einſchraͤnkung auf alle
Rajahs im Reiche ausdehnen ſoll . Die aſiatiſchen Arme-
nier ſind ein zahlreicher kraͤftiger Menſchenſchlag , unter-
wuͤrfig und gehorſam aus Gewohnheit , arbeitſam und meh-
rentheils wohlhabend ; leicht moͤchte in dieſem Augenblick
die chriſtlich-armeniſche Bevoͤlkerung der Pforte treuer er-
geben ſein , als die muſelmaͤnniſch-kurdiſche , oder die mu-
ſelmaͤnniſch-arabiſche .
Hafiß-Paſcha hatte den Gedanken , jeder Corporal-
ſchaft einen Armenier einzuverleiben , wodurch ungefaͤhr ein
Zwanzigſtel des Corps aus dieſer Nation beſtehen wuͤrde .
Dieſe Anſicht theile ich nicht ganz , denn der letzte kurdiſche
Rekrut wuͤrde ſich noch immer fuͤr berechtigt halten , dem
Gjaur zu befehlen . Die Rajahs wuͤrden eine ſehr ungluͤck-
liche Exiſtenz haben , und man koͤnnte auf dieſem Wege um
ſo weniger gute Soldaten erzielen , als dem Armenier jede
Ausſicht auch auf die unterſte Befehlshaberſtelle abgeſchnit-
ten waͤre .
Bildete man dagegen fuͤr jedes unſerer Rediff-Regi-
menter ein viertes armeniſches Bataillon , ſo oͤffnete ſich fuͤr
den Rajah ein Avancement im Heere bis zum Bimbaſchi
oder Major incl. ; es wuͤrde ohne Zweifel ein Wetteifer zwi-
ſchen den muſelmaͤnniſchen und chriſtlichen Bataillonen ein-
treten , der nur zum Vortheil beider ausſchlagen koͤnnte ,
die Maaßregel wuͤrde von dem Rajah mit weniger Miß-
trauen aufgenommen werden , das Heer einen bedeutenden
Zuwachs und das Land eine große Erleichterung erlangen .
Diejenigen Rajahs , welche die Waffen tragen , muͤßten na-
tuͤrlich vom Haradſch befreit ſein , und eine Emancipation
der chriſtlichen Bevoͤlkerung vielleicht ſo auf dem gerechte-
ſten und leichteſten Wege erzielt werden .
Ob Hafiß-Paſcha dieſer von ihm ſelbſt ausgegan-
genen Jdee eine weitere Folge geben wird , moͤchte ich bei-
nahe bezweifeln ; er iſt im Voraus gewiß , durch dieſelbe
das Vorurtheil derer zu verletzen , welche den ganzen mu-
ſelmaͤnniſchen Stolz bewahrt haben , ohne die ganze Hinfaͤl-
ligkeit des muſelmaͤnniſchen Regiments zu begreifen . Jch
werde dem Seraskier Paſcha die Sache vorſtellen , obwohl
von ſeiner Seite kaum eine Unterſtuͤtzung zu erwarten ſteht .
Schließlich noch fuͤhle ich mich gedrungen , zu wieder-
holen , daß die Kriegsfrage , von unſerm Standpunkte aus
geſehen , eine ſehr drohende Geſtaltung gewinnt ; die ver-
einte Dazwiſchenkunft der Großmaͤchte mag allerdings den
Ausbruch noch einmal zuruͤck zu ſchieben vermoͤgen , dann
waͤre aber dringend zu wuͤnſchen , daß der Friede auf halt-
barere Grundlagen geſtuͤtzt wuͤrde , als der status quo ſie
gewaͤhrt . Nach Allem , was ich ſehe , muß ich glauben ,
daß man in Konſtantinopel ernſtlich entſchloſſen iſt , es auf
die Waffenentſcheidung ankommen zu laſſen , und wirklich
kann der gegenwaͤrtige Zuſtand unmoͤglich noch fortdauern .
59.
Reiſe nach Egin an den Frat .
Malatia , den 8. April 1839 .
Jch bin vor ein paar Tagen von einer kleinen Reiſe
zuruͤckgekehrt , welche ich diesmal auf meine eigene Hand
und einzig fuͤr den Zweck unternommen , das Terrain zwi-
ſchen den beiden Armen des Euphrat kennen zu lernen ,
welches noch von keiner Karte auch nur ungefaͤhr richtig
dargeſtellt wird .
Da ich von hier aus die hohen Gipfel des Munſur-
Dagh , einen mehrere zwanzig Stunden weit ſichtbaren Punkt ,
durch Linien beſtimmen konnte , die Wege ſelbſt mit dem
Compaß in der Hand bereiſete , ſo hatte ich bei meiner Auf-
nahme keine andere Schwierigkeiten , als die zu beſeitigen ,
welche der in gegenwaͤrtigem Fruͤhjahre ungewoͤhnlich hohe
Schnee und halsbrechende Wege entgegen ſtellten . Es war
auch bei aller Anſtrengung nicht moͤglich , die 78 Stunden
in weniger als ſechs Tagen zuruͤckzulegen . Um die zur Zeit
noch fuͤr Reiter ungangbaren Hoͤhen zu umgehen , machte
ich einen Umweg nach Arabkir , einer betraͤchtlichen Stadt mit
ſchoͤnen Obſtgaͤrten in einer tiefen Schlucht ; ſie liegt nicht
am Frat , ſondern an einem faſt eben ſo betraͤchtlichen Waſ-
ſer , den Arabkir-Suj . Jch zog dann noͤrdlich , immer auf
den ſcharfen Gebirgsruͤcken des Munſur-Dagh zu ; die Ge-
gend iſt ein Plateau , und man wuͤrde nicht ahnen , auf
den ſcharfen Gebirgſruͤcken des Munſur-Dagh zu ; die Ge-
gend iſt ein Plateau , und man wuͤrde nicht ahnen , auf
einer ſo hohen Gebirgsebene ſich zu befinden , wenn der
Schnee und die furchtbar tief eingeſchnittenen Felsſchluch-
ten , in welchen ganz kleine Baͤche fließen , nicht daran er-
innerten . Die Sonne ſchoß gluͤhende Strahlen auf die
endlos ſcheinende Schneeflaͤche , was die Augen , beſonders
bei der tuͤrkiſchen Kopfbedeckung , ſchrecklich blendet ; ich
folgte dem Gebrauche der Tataren , Schießpulver unter die
Augen zu ſchmieren , was eine große Erleichterung gewaͤhrt .
Zuweilen erblickten wir zwei Doͤrfer , die dicht hinter
einander zu liegen ſchienen , aber ſie waren durch eins jener
Ravins getrennt , und man brauchte uͤber eine Stunde , den
ſchroffen Felspfad hinab und jenſeits wieder hinauf zu klet-
tern ; die einfoͤrmige Scene gewann aber Abwechſelung , als
ich mich dem Frat naͤherte .
Eben ſo hoch , wie die zackigen , bis zum Auguſt mit
Schnee bedeckten Gipfel des Munſur ſich uͤber die Hoch-
ebene erheben , auf der ich bisher geritten , eben ſo tief ſenkt
ſich ein Abgrund an ihren Fuß unter dieſelbe hinab . Jn
dieſer Schlucht fließt der noͤrdliche Arm des Euphrat , tief
unter ſich erblickt man ploͤtzlich den brauſenden Strom , ein-
geſchloſſen von ſteilen Waͤnden , die ſich in ſteter Anſteigung
bis zu 3- oder 4000 Fuß erheben ; unten iſt das Thal ſo
eng , daß der Fluß es ganz ausfuͤllt , und der Weg in den
Fels eingehauen und eingeſprengt werden mußte . Dieſer
Saumpfad , welcher ſich oft bis zu einer bedeutenden Hoͤhe
erhebt , bildet im Winter die einzige gangbare Straße von
dem armeniſchen Hochlande nach Kurdiſtan , recht ein Weg ,
wie ihn die Mauleſel lieben , um am aͤußerſten Rande des
Abgrundes hinzutraben . Den ſteilen Windungen folgend ,
trugen uns unſere Thiere in einigen Minuten unter die
Schnee-Region hinab , und bald befanden wir uns in einer
behaglich warmen Temperatur .
Da uns die Nacht uͤberraſchte , ſo mußten wir wieder
eine bedeutende Hoͤhe erklimmen , um das nahe gelegene
ſchoͤne Dorf Habunos zu erreichen ; es war heller Voll-
mondſchein , der Frat glaͤnzte tief unter uns und die Schnee-
gipfel ſchloſſen uns bald ganz nahe wieder ein . Am fol-
genden Morgen hatte ich daher das Vergnuͤgen , auf einem
Fußweg laͤngs der Thalwand hinzureiten , welcher ſich faſt
ſenkrecht 1500 bis 2000 Fuß uͤber den Fluß erhob , zu dem
wir uns allmaͤhlig wieder hinabſenkten . Die Felſen treten
nun immer naͤher zuſammen , und noͤthigen die Straße , an
einer ſcharfen Wendung des Stroms den Thalweg zu ver-
laſſen und in endloſen Zickzacks eine ſehr bedeutende Hoͤhe
zu erſteigen ; ſobald man den ſchroffen Kamm erreicht , er-
blickt man vor ſich wieder das Thal des Frat und tief
unten die Stadt Egin ; dieſe Stadt und Amaſia ſind das
Schoͤnſte , was ich in Aſien geſehen . Amaſia iſt ſeltſa-
mer und merkwuͤrdiger , Egin aber großartiger und ſchoͤ-
ner , die Berge ſind hier gewaltiger , der Strom bedeuten-
der . Egin beſteht eigentlich aus einer Gruppe aneinan-
der ſtoßender Doͤrfer ; da alle Haͤuſer mitten in Gaͤrten
liegen , die von Nuß- und Maulbeerbaͤumen , Pappeln und
Platanen uͤberſchattet ſind , ſo bedeckt die Stadt einen ſehr
großen Flaͤchenraum . Von oben geſehen , ſcheint ſie ganz
im Thale zu liegen , aber wenn man unten am Fuß ange-
kommen iſt , ſo erblickt man einen Theil derſelben hoch uͤber
den Koͤpfen auf allerlei ſeltſamen Klippen und Felskuppen ,
und die ſteilen Waͤnde des Thals bis zu einer Hoͤhe von
1000 Fuß mit Obſtgaͤrten und Weinbergen bekleidet ; zahl-
reiche kleine Gebirgswaſſer rauſchen herab , und an einem
derſelben zaͤhlte ich fuͤnf Muͤhlen , von denen der Fuß der
einen immer auf dem Dache der andern ſteht , ſo daß das
Waſſer von Rad zu Rad fiel . Zur Zeit der Bluͤthe muß
der Anblick von oben unbeſchreiblich ſchoͤn ſein .
Egin iſt die Hauptſtadt der Armenier ; in dieſe Schlucht ,
in einen fernen Winkel Aſiens , fluͤchtet der armeniſche Sa-
raf oder Bankier ſeine Schaͤtze , wenn der Paſcha , ſein Prin-
zipal , ihm eine oder zwei Millionen Piaſter ſchuldig geblie-
ben , und er ſich dann mit etwa eben ſo viel aus dem Han-
del zieht , denn er hat ſeinerſeits zwei oder vier Millionen
zu viel angeſchrieben ; dahin kehrt der Kalfa oder armeni-
ſche Baumeiſter , der Bakal oder Eßwaaren-Haͤndler , der
Hamal oder Laſttraͤger zuruͤck , denn es iſt ſeit langer Zeit
einmal ſo eingefuͤhrt , daß aus Egin alle junge Maͤnner
auf zehn Jahre nach der Hauptſtadt ziehen , dort an der
Peſt ſterben , oder wohlhabend in ihre Felsthaͤler zuruͤck-
kehren .
Abweichend von der Bauart der aſiatiſchen Staͤdte
ſind die Haͤuſer hier ſtatt der flachen Erdterraſſen mit Daͤ-
chern verſehen ; jedes Haus ſteht auf einer ſteinernen Sub-
ſtruction , in welcher Niemand wohnt , auf der ſich aber zwei
oder drei Stockwerke erheben , wovon das obere ſtets die
untern uͤberragt . Oberhalb der großen Fenſter befindet ſich
eine Reihe kleinerer runder Fenſter ; — mit einem Worte ,
wenn man nur die Haͤuſer ſieht , glaubt man in Konſtan-
tinopel zu ſein .
Der hohe Schnee und die Kuͤrze meines Urlaubs ver-
hinderten mich , weiter vorzugehen ; ich kehrte uͤber Tſchi-
miſchgeſek , eine betraͤchtliche Stadt , zuruͤck , welche noch
keine Karte angiebt , ſie liegt zwiſchen ſeltſamen Felszacken
an einem ſchoͤnen Gebirgsbach . Auf der gegenuͤber liegen-
den Seite des Stroms befindet ſich eine ſenkrechte Fels-
wand ; in dieſen weichen Sandſtein waren fruͤher eine Menge
Wohnungen eingehoͤhlt geweſen , die ganze aͤußere Schicht
ſcheint aber herabgeſtuͤrzt zu ſein , und man ſieht nun den
inneren Aufriß dieſer Behauſungen hoch oben und ohne Zu-
gang . Nahe bei der Stadt bemerkte ich einen ſchoͤnen
Waſſerfall ; ein Bach ſtuͤrzt ( aͤhnlich dem Piſſevache in der
Schweiz ) uͤber ein vorſpringendes Geſtein an 60 Fuß tief ,
und koͤmmt unten als Tropfregen an , doch glaube ich , daß
dieſer Bach nur bei der Schneeſchmelze fließt .
Jch richtete nun meinen Weg auf das alte hohe Ca-
ſtell von Pertek , wo ich den ſuͤdlichen Arm des Murad
( welcher vom Ararat herab koͤmmt ) uͤberſchritt , und dann
uͤber Karput nach Malatia zuruͤckkehrte .
60.
Verſuch , den Euphrat bei hohem Waſſer hinab
zu fahren .
Malatia , den 12. April 1839 .
Der Euphrat iſt eben jetzt , wo wir ihn brauchen , um
15 Fuß geſtiegen , und der Paſcha war ſehr in Sorge , ob
es moͤglich ſein werde , unter dieſen Umſtaͤnden ihn zu be-
fahren , und wen er mit dem etwas mißlichen Verſuche be-
auftragen ſolle . Die erfahrenſten der Kelektſchi oder Ru-
derer erklaͤrten es fuͤr ganz unmoͤglich , die Stromſchnellen
hinab zu kommen , da ſchon bei guͤnſtigem Waſſerſtande von
drei Verſuchen zwei verungluͤckt waͤren . Beim Abendeſſen
ſchlug der Paſcha mir die Parthie vor ; ich ritt daher den-
ſelben Abend noch nach Ecebeh am Murad , wo mein Ke-
lek oder Floß bei Fackelſchein ſchnell gebaut wurde , und
war bald nach Mitternacht flott ; gegen Sonnenaufgang
kam ich nach Kymyrhan , wo die ſchwierigen Stellen an-
fangen . Das war nun freilich arg ; was fruͤher Strom-
ſchnelle geweſen , war jetzt Waſſerfall , und vor den Jilan
Degirmeni mußte ich meine Arche in ihre integrirenden
Theile zerlegen , Stangen , Schlaͤuche und Gepaͤck uͤber Land
tragen und unterhalb des Catarakts wieder zuſammenſetzen
laſſen , woruͤber drei Stunden vergingen . Es regnete viel ,
was mir jedoch gleichguͤltig ſchien , da wir ohnehin ſchon
von den Wellen ganz eingeweicht waren , die an manchen
Orten uns uͤberſchuͤtteten . Oberhalb Telek mußte das Floß
nochmals auseinander genommen werden ; es war nicht
daran zu denken , durch die Waſſerfaͤlle und die Brandung
von dort durchzukommen . Bei Stockfinſterniß landeten wir
zu Telek , wo wir die Nacht blieben und uns nothduͤrftig
trockneten ; wir hatten in dieſen Tagen in ſechs Stunden
eine Strecke zuruͤckgelegt , zu welcher ich nachmals vier und
zwanzig uͤber Land gebrauchte . Mit mir waren ein Jnge-
nieur-Oberſt , Mehmet-Effendi , und ſein Begleiter ; dieſe
erklaͤrten mir , daß ſie ſich nicht berufen fuͤhlten , mich fer-
ner noch zu begleiten , ſie haͤtten genug , wogegen ich nichts
einzuwenden hatte . Außer einem Aga des Paſcha's hatte
ich vier Kelektſchi oder Ruderer an Bord , und nahm noch
einen fuͤnften aus dem Dorfe als Piloten mit ; als ich mich
aber am andern Morgen fruͤh einſchiffen wollte , erklaͤrte
mir mein Tſchauſch oder Sergeant ebenfalls , daß er nicht
die Ehre haben koͤnne . Da machte ich nun keine Umſtaͤnde ,
und bat ihn , Platz zu nehmen , wenn er nicht gebunden
nach Malatia zuruͤck geſchickt werden wollte . Der arme
Teufel meinte , zu Lande wolle er mit mir durch's Feuer
gehen , aber das Waſſer ſei nicht ſeine Sache ; als er in-
deß ſah , daß es nicht anders war , bequemte er ſich . Es
waͤre mir aber bald leid geworden , ihn gezwungen zu ha-
ben ; kaum ſtießen wir vom Ufer , ſo ging es pfeilſchnell da-
von , ich glaube kaum , daß wir 10 oder 15 Minuten brauch-
ten , um eine Stunde Weges zuruͤckzulegen — aber wie ?
Der Murad , welcher oberhalb 250 Schritt breit iſt , ver-
engt ſich zu 100 , zu 80 und weniger Schritten ; die ganze
gewaltige Waſſermaſſe ſtuͤrzt nun durch dieſen Trichter und
uͤber Felsbloͤcke ſteil hinab , wodurch ſo gewaltige Strudel
und Wellen entſtehen , daß an einigen Stellen Waſſergar-
ben von 5 Fuß Hoͤhe ſich ſenkrecht emporrichten , waͤhrend
zu beiden Seiten die Flut ſchnell und als ob ſie ſiedete da-
hin ſchießt ; die Wogen ſchlugen buchſtaͤblich auf unſere
Koͤpfe nieder , und das Floß war zuweilen ganz und gar
unter Waſſer . Aber die Hammelhaͤute arbeiteten ſich be-
ſtaͤndig wieder empor , und die Gefahr war nur , bei dem
ſteilen Auf- und Abſteigen uͤber die hohen kurzen Wellen
umzuſchlagen ; an ein Rudern war gar nicht zu denken ;
zwei der Kelektſchi fielen uͤber Bord , ſie waren aber mit
Stricken feſtgebunden ; unter der uͤbrigen Equipage herrſchte
die groͤßte Beſtuͤrzung , und das Kelek ging wohl eine drit-
tel Wegſtunde istedi gibi — „ nach Gutduͤnken “ — ſo fort ,
bis Allah uns in einen Strudel ſeitwaͤrts fuͤhrte und uns
dort ein Dutzend Mal um und um drehte , aber doch et-
was wieder zur Beſinnung kommen ließ . Die Ruder wur-
den nun mit aller Anſtrengung gebraucht , aber es ſchien
eine Zeitlang zweifelhaft , ob wir das Ufer erreichen , oder ,
von dem Strome gefaßt , einem neuen Waſſerfall zugefuͤhrt
werden wuͤrden . Die Stangen , aus welchen das Floß ge-
fuͤgt , ſind 1½ bis 2 Zoll dick , es waren davon drei mitten
durchgebrochen , vier der Schlaͤuche geplatzt , zwei davon ge-
ſchwommen ; indeß naͤherten wir uns gluͤcklicherweiſe dem
Ufer . Suleiman-Tſchauſch , um ſich der Lage zu entzie-
hen , in welcher er ſich befand , machte mit augenſcheinlich-
ſter Lebensgefahr , wie Wilhelm Tell , einen Satz aus dem
ſchwankenden Fahrzeuge auf eine Felsklippe , dort fiel er
nieder , wendete ſich nach der Kaaba und erhob die Haͤnde
zum Gebet ; Aly-Aga gelobte , ein Lamm als Kurban zu
ſchlachten .
Jch hatte bei der ganzen Geſchichte eigentlich die Ueber-
zeugung gewonnen , daß man wahrſcheinlich doch durchkom-
men wuͤrde , denn ein zaͤheres Weſen als dieſe Keleks giebt
es nicht ; freilich muß man ſich darein finden , complett im
Waſſer zu ſitzen , was zur Zeit der Schneeſchmelze nicht er-
freulich iſt ; aber ſo wie die Sache einmal eingeleitet war ,
hatte ich ein großes Jntereſſe , ſie zu Ende zu bringen , viel
aͤrger konnt' es nicht mehr kommen . Jch beſchloß daher ,
den „ Kalabalyk “ zuruͤck zu ſchicken , und bot zweien der
Kelektſchi's einen Beutel , wenn ſie mit mir allein noch
einen Verſuch wagen wollten , denn gegen Mittag konnten
wir , bei der Schnelligkeit des Stroms , in Gerger , unter-
halb der Waſſerfaͤlle , ſein . — „ Nicht um Venedig ! “ Nie-
mand wollte mehr mitſpielen . Die Frage der Schiffbarkeit
war uͤbrigens vollkommen beantwortet , die Unmoͤglichkeit ,
Guͤter hinab zu floͤßen , lag zu Tage , und ich fand mich
genoͤthigt , umzukehren .
Ein neue Verlegenheit bereitete uns aber jetzt die Stelle ,
wo wir geſtrandet waren ; vor uns der Murad , von dem
wir nun doch einmal nichts mehr wiſſen wollten , hinter
uns eine Felswand , die bis zur Schneegrenze emporſtieg .
Nach zwei vergeblichen Verſuchen blieb nichts uͤbrig , als
in einem Bache , oder vielmehr in einem Waſſerfall empor-
klettern , und ich glaube gewiß , daß wir weit uͤber tauſend
Fuß empor ſtiegen . Die Steine , die unſere Fuͤße los ſtie-
ßen , rollten bis in den Fluß , und dabei mußten wir ein
paar Ocka Waſſer mit hinauftragen , welche die Kleider ein-
geſogen hatten . Jn Telek , wo Alles zuſammen gelaufen
war , um unſere Abfahrt zu ſehen , hatte man uns verlo-
ren gegeben ; das ganze Dorf wurde nun aufgeboten , um
unſer Wrack zu bergen , und gegen Mittag ſaßen wir auf
Mauleſeln , die uns den Weg , welchen wir ſo ſchnell hinab
gekommen , langſam und muͤhſam zuruͤcktrugen ; denn bald
erhob ſich der enge Pfad bis zum Schnee , bald ſenkte er
ſich bis zum Ufer hinab , dabei waren die Baͤche ſo ange-
ſchwollen , daß unſere armen Thiere nahe daran waren , den
Grund zu verlieren , wodurch wir dann wieder dem „ Chodja
Murad “ in die Arme gefuͤhrt worden waͤren . Endlich ge-
ſtern Abend , nach drei Tagen , ſtand ich mit der unwillkom-
menen Maͤhr vor dem Baſſen .
Wir haben jetzt nur zwei Wege von hier durch den
Taurus , davon der eine der Artillerie eingeraͤumt werden
muß , ſie mag ſich daran verſuchen ; der andere , fuͤr die
Jnfanterie , iſt noch mit hohem , aber leider ſchmelzendem
Schnee bedeckt . Es waͤre vernuͤnftig , noch ein paar Tage
ſtehen zu bleiben , aber uͤbermorgen iſt Ai-Baſchi , der erſte
des Monds , und zwar faͤngt dann der Monat Sefer an ,
welches von uͤbler Vorbedeutung . Deshalb bricht morgen
fruͤh Alles auf , trotz unſerer lebhafteſten Proteſtation .
61.
Aufbruch der Taurus-Armee .
Lager zu Karakaik am Murad , 5 Stunden unterhalb
Samſat , den 29. April 1839 .
Jm Frieden und von keinem Feinde belaͤſtigt , mit Be-
nutzung aller Huͤlfsquellen des eigenen Landes , haben wir
ſo eben den Taurus auf den gangbarſten Straßen uͤber-
ſchritten . Commando's von 2000 Mann waren vierzehn
Tage vorher mit Schneeſchippen , Steinſprengen , Ebenen
und Bruͤckenbauen beſchaͤftigt . Am Mittag des 14. April
brachen die Corps von allen Seiten auf , und heute , nach
ſechzehn Tagen , iſt der Stand folgender : die Garde , Halid
und Bekir Paſcha aus Malatia zu Karakaik am rechten ,
Heyder , Maſchar und Bachry Paſcha aus Diarbekir und
Suverek zu Karakaik am linken Muradufer , die Brigade
Jsmael in Biradſchik , Mahmut in Orfa , die Tete der Ca-
vallerie und Artillerie aus Malatia noch ruͤckwaͤrts zu Be-
hesne ( in dieſem Augenblicke geht die Nachricht ein , daß
das hohe Waſſer die Bruͤcke , welche Halil-Bey gebaut , zum
zweiten Male weggeſchwemmt ) . Dies Reſultat wurde er-
reicht mit der aͤußerſten Anſtrengung aller Kraͤfte , mit Zu-
ruͤcklaſſung von mehreren hundert Kranken und Todten .
Von der Artillerie haben wir ſeit ein paar Tagen keine
Nachricht , es iſt wahrſcheinlich , daß die Haͤlfte noch zu
Suͤrghuͤ , jenſeits des Taurus , ſteht .
Wahr iſt es , daß wir das ungluͤcklichſte Wetter von
der Welt haben ; ſeit wir Malatia verlaſſen , regnet es in
Stroͤmen , und noch kein Tag , an dem der Himmel wol-
kenlos geweſen ; ein Gewitter loͤſt das andere ab , ein Guß
folgt dem andern ; die unbedeutendſten Baͤche ſind undurch-
fuhrtbar , und die Vegetation ſo zuruͤck gehalten , daß die
armen Pferde faſt ohne Nahrung ſind . Das Herbeiſchaf-
fen der Lebensmittel unterliegt den groͤßten Schwierigkei-
ten , und der Soldat , erſchoͤpft vom tagelangen Waten im
Kothe oder Erſteigen von Bergen , hat nur Waſſer und Zwie-
back zur Nahrung und ſchlaͤft auf der naſſen Erde ohne
Obdach . Die Truppen aus Diarbekir ꝛc. ſollten ihre Zelte
von uns aus Malatia erhalten , aber ſchon auf dem erſten
Marſch blieben unſere eigenen Zelte im Schnee und Koth
ſtecken ; mein Gepaͤck habe ich erſt am neunten Tage wie-
dergefunden . Der Paſcha hatte mir aufgegeben , mit Mu-
ſtapha-Paſcha zu gehen , welcher zuerſt aufbrach und den
ſchwierigſten Weg , den von Abdul-harab , einzuſchlagen hatte ;
Stroͤme von Regen , die uns bis auf die Haut durchnaͤß-
ten , und ein ſtarker Suͤdwind hatten den noch drei bis
ſechs Ellen hohen Schnee ſo aufgelockert , daß wir unſere
Pferde , indem wir ſie am Zuͤgel fuͤhrten , nur kaum noch
mit durchbrachten ; alles Gepaͤck mußte umkehren und der
zweiten Colonne folgen . Wir hatten an dieſem Tage zwei
Todte , erreichten aber unſere Etappen , von den drei Doͤr-
fer Abdul-harab , Boͤlem und Kymyrdyk , von etwa zwanzig
Haͤuſern , wurde jedes mit einem Regiment belegt . Am
folgenden Tage ging ich mit Muſtapha-Paſcha voraus ,
um zu ſehen , ob es nach dem eingetretenen Wetter uͤber-
haupt noch ſuͤdlich einen Ausweg gaͤbe . Die Truppen hat-
ten Ruhetag , deſſen ſie durchaus bedurften . Die Berge
waren mit ſo hohem und lockerm Schnee bedeckt , daß an
ein Ueberſchreiten gar nicht zu denken war ; wir kamen
uͤberein , eine Bruͤcke uͤber das Boͤlem-ſuj zu ſchlagen , dann
dieſem Waſſer abwaͤrts zu folgen bis Karikjan , wohin ich
voraus ging und eine andere Bruͤcke uͤber das Chodjaly-
ſuj baute . Dieſer Bach war 50 bis 60 Schritt breit und
ungemein reißend ; ich fand eine Stelle , wo er , an einer
ſteilen Wand anſpuͤlend , nur 16 Arſchinen breit war ; hohe
ſchoͤne Pappeln gaben ein leichtes Mittel , und in vier und
zwanzig Stunden ſtand die Bruͤcke fertig . Von dort ging
ich uͤber halsbrechende Fußſteige an dem Siaret-tſchai hin-
ab , nach Adiaman , um von dort Lebensmittel den Trup-
pen entgegen zu ſenden , und eilte nun der zweiten Colonne
entgegen , welche uͤber Suͤrghuͤ und Tut heranruͤcken ſollte .
Die Ebene von Adiaman war ein Moraſt , und die Pferde
ſanken bis an die Buͤgel ein ; als ich am Schembker-ſuj
ankam , fand ich es kaum fuͤr Pferde zu durchfuhrten ; hier
war die Sache ſchwierig , denn es gab keinen Baum . Es
wurde Abend , ehe ich ( nur von einem Tſchauſch begleitet )
aus drei Dorfſchaften , die hoch im Gebirge eine Stunde
weit entfernt liegen , vierzig Mann zuſammenraffte ; es blieb
nichts uͤbrig , als zwei Haͤuſer einzureißen , um drei Balken
zu erlangen , welche nothduͤrftig die erforderliche Laͤnge hat-
ten , eine vierte Pappel wurde drei Viertelſtunden weit von
25 Mann aus den Bergen herbei getragen . Dies Waſſer
iſt aͤußerſt reißend , und ſteigt oft in wenig Stunden 4 bis
5 Fuß ; ich fand eine Stelle , wo zwei maͤchtige Felsbloͤcke
vom Gebirge in das Flußbette geſtuͤrzt waren und den Bau
moͤglich machten . Die Ankunft der zweiten Colonne verzoͤ-
gerte ſich wegen des heftigen Wetters noch um zwei Tage ,
die Truppen wurden dann nach Karakaik dirigirt , nachdem
man ihnen zwei Tage Ruhe gegoͤnnt ; die dritte Colonne
war die Artillerie und zwei Cavallerie-Regimenter , die un-
ter Scherif-Paſcha uͤber Suͤrghuͤ , Erkenek , Pelwere und
Behesne heranzogen ; ſie hatten die groͤßten Schwierigkei-
ten zu beſiegen , und von ihnen habe ich noch keine genuͤ-
gende Nachricht , da L. wegen der Ausruͤſtung der Colon-
nen nothwendig in Malatia zuruͤckbleiben mußte .
Der Paſcha iſt nach Biradſchik voraus , wohin M. zur
Ausfuͤhrung der Verſchanzungen auf der Hoͤhe jenſeit Bir-
adſchik vierzehn Tage vorher geſchickt wurde ; die Arbeit
ſoll gut vorgeruͤckt und der Paſcha ſehr zufrieden ſein .
62.
Verſammlung des Corps zu Biradſchik .
Beledjik , den 7. Mai 1839 .
Der Paſcha hatte mich nach Karakaik voraus geſchickt ,
wo ich einen guten Lagerplatz fuͤr das geſammte Corps fand ;
mittlerweile war er ſelbſt nach Biradſchik gegangen , hatte ſich
in die Stellung verliebt , und befahl ohne Weiteres , daß
Alles direkt dahin abruͤcken ſollte , d. h. er verlegte den
Sammelplatz unter ſich getrennter Colonnen unter den Bart
des Feindes . Obwohl wir 700 Keleks oder Floͤße aus
Hammelfellen in Malatia hatten , ſo war , als wir ſie ge-
brauchten , nicht eins am untern Murad vorhanden , und
es gab kein Mittel , die Artillerie weder uͤber den Gok-ſuj
noch uͤber den Euphrat zu ſchaffen . Nach der hieruͤber ge-
machten Meldung ſollte das Fuhrwerk auf den alten Straßen
Sultan Murads an Rumkaleh voruͤber nach Biradſchik gehen .
Die ganze Anordnung ruͤckgaͤngig zu machen war nicht
in meiner Macht ; der Commandirende mit neun Paſcha's
befand ſich mit nur 12 Bataillonen , 2 Eskadrons und 9
Geſchuͤtzen zu Biradſchik ; die uͤbrigen Colonnen traten natuͤr-
lich ſogleich ihren Marſch auf beiden Seiten des Murad
an , und es galt jetzt nur , ſobald wie moͤglich Verſtaͤrkun-
gen , namentlich an Geſchuͤtz , nach Biradſchik zu ſchaffen .
Da die Keleks doch unfehlbar bald ankommen mußten
( es wurde taͤglich ein Tatar danach abgeſchickt ) , ſo kam
es uͤberhaupt darauf an , einen fahrbaren Weg von Be-
hesne an den Murad unterhalb des Goͤk-ſuj zu finden .
Kaum von Karakaik aufgebrochen , begegnete ich zu meiner
großen Freude L. , mit dem ich durch das Goͤk-ſuj zuruͤck-
ſchwamm . Als wir das graue flache Gebirg vor uns ſa-
hen , hatte ich wenig Hoffnung , da ich ſeine Ungangbarkeit
auf drei Straßen erprobt ; nichts deſto weniger fanden wir
einen ganz bequemen Weg ( wahrſcheinlich der Reſt einer
Roͤmerſtraße ; ſie endet mit praͤchtigen Ruinen einer Bruͤcke
uͤber den Gok-ſuj , auf welcher wir an den Murad ge-
langten . L. ging nun ( Jhr muͤßt Euch die ganze Hand-
lung im ununterbrochenen Gußregen denken ) noch in der
Nacht zur Artillerie nach Behesne zuruͤck , ich blieb in Ki-
ſilinn , um die Keleks abzuwarten und vorzubereiten ; L. und
ich verabredeten ; auf den erſtanlangenden Kelek ein Ge-
ſchuͤtz aufzuladen und die Waſſerfahrt zu verſuchen , deren
Gelingen wahrſcheinlich , aber doch nicht gewiß war , und
fuͤr welche keiner der tuͤrkiſchen Befehlshaber die Verant-
wortlichkeit auf ſich nehmen wollte ; kam man aber mit Ge-
ſchuͤtz an , ſo war kein Einwurf gegen die Sache zu machen .
Zwei peinliche Tage brachte ich zu , kein Kelek erſchien , am
dritten Tage ritt ich der Artillerie entgegen ; da Suͤbuͤr-
guͤſch am Murad der Colonne naͤher lag , ſo wurde dort
eine Deſcente , oder Einſchiffungsort gebaut , immer aber
fehlten noch die Fahrzeuge und die Einwilligung des Pa-
ſcha's . Es mußte daher auch der Landweg recognoſcirt
werden , was ich noch denſelben Tag mit L. bis Rumkaleh
ausfuͤhrte ; L. ging mit dem Bericht an Scherif-Paſcha
zuruͤck , ich zum Commandirenden nach Biradſchik , dem ich
auf halbem Wege begegnete .
Es war , wie es ſcheint , Hafiß-Paſcha doch etwas
unheimlich geworden auf ſeinem Rendezvous , und er fragte
angelegentlich nach der Beſchaffenheit der Straße ; ich ſagte
ihm , daß wir die Ueberzeugung haͤtten , es ſei moͤglich ,
Geſchuͤtze darauf fortzubringen , der Weg muͤſſe aber zuvor
ausgebeſſert werden , und daß es auch dann noch Raͤder ,
Achſen und Pferde , beſonders aber Zeit koſten , daß unter
neun Tagen kein Geſchuͤtz ankommen , vielleicht aber auch
mehr Zeit vergehen wuͤrde . Zugleich brachte ich den Waſ-
ſer-Transport auf dem untern , ganz gefahrloſen Euphrat
( wie ſchon vor drei Monaten ) in Antrag , und der Com-
mandirende verfuͤgte ſich nun ſelbſt nach Suͤbuͤrguͤſch , um
die Einſchiffung zu betreiben .
Jch ging nach Biradſchik , wo ich den 3. Mai Abends
eintraf . Der Stand der Truppen war folgender : Jn Birad-
24
ſchik ( wo M. bereits das Hann am Waſſer befeſtigt und
eine Redoute auf die Hoͤhe gelegt ) ſtanden die Brigaden
Jsmael und Mehmet , welche ſo eben uͤbergeſetzt waren ,
ein Cavallerie-Regiment Mirza , und neun Geſchuͤtze ; am
jenſeitigen Ufer befanden ſich Heyder- , Mashar- , Bachry-
Paſcha und das Cavallerie-Regiment Ruſtam-Bey ; im La-
ger eingetroffen waren ferner vier Bataillone Garde unter
Muſtapha-Paſcha , und drei Bataillone der Brigade Ha-
lid langten am folgenden Tage an . Muſtapha hatte ſie-
ben Tage gebraucht , um auf drei elenden kleinen Keleks
uͤber das Goͤk-ſuj zu kommen , wobei ein Lieutenant , zwei
Tſchauſch und zwei Soldaten ertranken ; Halid hatte auf
Kameelen und Mauleſeln ſeine Leute durch die Beſchgetſchid-
Fuhrt geſchafft ; die Brigade Bekir folgte . Mit Zuruͤck-
laſſung aller Zelte und alles Gepaͤcks machten die Leute
dann in drei Tagen ſechzehn Stunden ſchwierigen Wegs ,
wobei ſie noch durch das Araban und Marſifan-ſuj bis an
die Bruſt waten mußten .
Jetzt war der Moment , wo Jbrahim haͤtte angreifen
muͤſſen ; ſeine unregelmaͤßige Cavallerie hatte vor ein paar
Tagen mehrere Doͤrfer anderthalb Stunden von hier ge-
pluͤndert , ſeine Kundſchafter beobachteten den Uebergang .
Die Stellung war fuͤr 17 Bataillone und 6 Eskadrons viel
zu weit , die Verſchanzungen erſt angefangen ; die ganze Ar-
tillerie beſtand aus 9 Geſchuͤtzen . Jbrahim hatte , unſern
Nachrichten zufolge , 8 Regimenter in Aleppo mit 52 Ge-
ſchuͤtzen . Es blieb uns trotz alle dem nichts uͤbrig , als
uns hier zu ſchlagen , zu halten oder zu Grunde zu gehen ;
denn wenn wir ausweichen wollten ( abgeſehen davon , daß
wir die Verſchanzungen preis gaben und dem Feind bis
Balgis entgegen gehen mußten ) , ſo hatten wir nur eine
einzige ſchwierige Gebirgsſtraße , auf welcher vielleicht in
demſelben Augenblicḱ 300 Fuhrwerke vorwaͤrts ruͤckten , und
waren von der Haͤlfte unſerer Jnfanterie durch den Murad
getrennt .
Aber das ſind ſolche Klippen , uͤber die man hinſchifft ,
waͤhrend man an viel geringeren Hinderniſſen ſtrandet . —
Am Mittage des 5. traf L. ein ; er hatte das erſte ange-
kommene Kelek von nur 45 Schlaͤuchen mit einer Kanone
nebſt Protze und Bedienungsmannſchaft beladen , war ohne
allen Unfall in fuͤnf Stunden die zehn Meilen von Suͤbuͤr-
guͤſch nach Biradſchik geſchwommen und wurde freudigſt
begruͤßt . Seine raſtloſe Thaͤtigkeit hatte uͤberhaupt allge-
meine Anerkennung gefunden . Geſtern nun traf Hafiß-
Paſcha mit 7 Geſchuͤtzen und 7 Munitionswagen ebenfalls
zu Waſſer ein , und heute ſind wieder Geſchuͤtze angelangt .
Das Corps beſteht jetzt aus 36 Bataillonen , 10 Eskadrons
und 34 Kanonen ; drei neue Redouten ſind in voller Arbeit .
Jbrahim hat den Moment verſaͤumt ; er kannte unſere
Lage , wenigſtens zum Theil ; er muß ſelbſt in ſchwierigen
Verhaͤltniſſen ſein , ſonſt wuͤrde er ſie benutzt haben .
Unſere Stellung hier vor Biradſchik iſt ohne Ruͤckzug und
die ſchulgerechte Kritik wird ſie alſo tadeln ; ich rechne ihr
das als einen Vorzug mehr an . Eine Bruͤcke wuͤrde un-
mittelbar hinter dem Schlachtfeld nur den Ausreißern nuͤtz-
lich werden , jetzt weiß Jedermann , daß er ſtehen oder ver-
derben muß . Unſere Stellung hat eine Vertheidigungs-
front von 3500 Schritt , auf welcher vier Schanzen ihrer
Vollendung nahen , beide Fluͤgel lehnen an den Murad , vor
der Front ein Glacis von 600 Schritten , dann ein kleines
vollkommen eingeſehenes Thal und jenſeit ſanft anſteigende
Hoͤhen ; ruͤckwaͤrts faͤllt der Hoͤhenzug ſtark , das zweite
Treffen iſt ſchon vom Feinde nirgends mehr geſehen , und
die Reſerven ſind ganz gedeckt . Hinter der Verſchanzung
befindet ſich ein 1000 Schritte breiter freier Raum , dann
eine Linie von 2500 Schritt Laͤnge , gebildet durch die Zelte
der Manſurieh oder Linie und Garden , dahinter die Re-
diffs oder Landwehr , am Fluſſe noch weiter zuruͤck die Ca-
vallerie und Artillerie .
Der Anblick der 4000 Zelte von der Schanze herab ge-
ſehen , der Euphrat und das alte Schloß von Biradſchik
bilden , beilaͤufig geſagt , einen ſehr maleriſchen Anblick .
Jbrahim ſteht bei Han-Tuman hinter Aleppo mit
8 Regimentern , und trotz aller Rede , daß er ſich auf Akre
zuruͤckziehen wird , glaube ich , es wird vor Aleppo zur Schlacht
kommen ; er kann unmoͤglich Nord-Syrien und Adana ganz
ohne Schwertſchlag aufgeben , dadurch oͤffnet er den 18,000
Mann Hadſchi-Aly 's die Thuͤr . Was werdet Jhr nun
thun ? Die Einheit des Commando's haben wir nicht er-
langen koͤnnen .
N. S. Wir zahlen jetzt fuͤr unſere Deſerteurs tau-
ſend Piaſter ; ich glaube , daß Jbrahim ſelbſt ſie uns um
dieſen Preis ausliefern wird , denn das Geld iſt knapp druͤben .
Die Stimmung unter den Truppen iſt gut ; ſie glau-
ben 80,000 Mann ſtark zu ſein , und begreifen nicht , warum
wir hier ſo lange ſtehen bleiben . Wir laſſen ihnen gern
dieſe Meinung .
Lager von Biradſchik , den 10. Mai 1839 .
Jch unterlaſſe nicht , darauf aufmerkſam zu machen ,
daß bei der großen Naͤhe beider Corps jetzt ein bloßer Zu-
fall den Ausbruch der Feindſeligkeiten herbeifuͤhren kann ;
ſchon haben die irregulairen Truppen ein Dorf auf dieſſei-
tigem Gebiete gepluͤndert , und obwohl Hafiß-Paſcha die-
ſer Unregelmaͤßigkeit keine Folge gegeben , ſo ſind derglei-
chen Exceſſe , ſo wie partielle Aufſtaͤnde in dem noͤrdlichen
Syrien nur zu wahrſcheinlich . Jch habe nie den Krieg ,
ſondern die friedliche Vermittelung durch gemeinſames Ein-
ſchreiten der europaͤiſchen Maͤchte fuͤr die wuͤnſchenswertheſte
Auskunft gehalten ; noch jetzt hege ich dieſelbe Ueberzeugung ,
nur freilich muͤßte , was geſchehen ſoll , ohne allen Verzug
in Ausfuͤhrung gebracht werden . Wie friedlich auch die
Nachrichten aus Konſtantinopel lauten , ſo kann ich von
meinem Standpunkte aus den Krieg nur als hoͤchſt wahr-
ſcheinlich anſehen , und glaube meine Pflicht zu erfuͤllen , in-
dem ich dieſe Ueberzeugung nochmals zur Kenntniß bringe .
Biradſchik , den 13. Mai 1839 .
Die Nachrichten uͤber den friedlichen Stand der Dinge
wuͤrden mich noch mehr erfreuen , wenn die Verwickelungen
hier nicht bereits bis zu einer Hoͤhe gediehen waͤren , wo
eine guͤtliche Loͤſung kaum mehr zu hoffen ſteht . Die Vor-
poſten unſers Corps ſind auf beſtimmten Befehl des Com-
mandirenden bis an die Grenze ſelbſt vorgeſchoben ; in kur-
zer Zeit wird ſich eine bedeutende Menge unregelmaͤßiger
Truppen hier einſtellen , deren Ernaͤhrung auf die Dauer
unmoͤglich iſt . Es bleibt dann nur uͤbrig , entweder die mit
ſo großen Koſten und Opfern zu Stande gebrachte Verei-
nigung wieder aufzuloͤſen , oder vorzugehen .
Andererſeits kann man Jbrahim-Paſcha jetzt kaum
noch zumuthen , ſeine Truppen nach Damaskus zuruͤckzu-
ziehen ; dieſe Maaßregel kaͤme einer foͤrmlichen Aufgebuug
des noͤrdlichen Syriens gleich . Aleppo wuͤrde ſofort die
Waffen ergreifen , und das Corps in Adana voͤllig iſolirt
ſein . Ob Jbrahim aber in ſeiner jetzigen ( unſtreitig ſehr
bedenklichen ) Lage nicht wirklich zu einer voͤlligen Gebiets-
abtretung ſehr geneigt ſein duͤrfte , ſtelle ich anheim , glaube
aber , daß ohne eine ſolche die Pforte kaum ihre Heere zu-
ruͤckziehen wird .
Die wahrſcheinlich ſchon erfolgte Ruͤckreiſe des Haupt-
manns F. iſt ſehr zu bedauern ; nachdem die Pforte ihre
drei aſiatiſchen Corps nicht unter einen und denſelben Ober-
befehl hat ſtellen wollen , iſt ein einigermaßen uͤbereinſtim-
mendes Handeln vielleicht nur allein durch Einwirkung der
preußiſchen Offiziere zu erreichen .
Lager von Biradſchik ( rechtes Ufer ) , den 20. Mai 1839 .
Pfingſttag .
Der geſtern aus Angora eingetroffene Jnfanterie-Kai-
makan hat uns leider keine Nachricht von Dir mitgebracht ,
indeß gehen Deine Briefe bis zum 22. April ; daß ſie bis
dahin aber nur Frieden athmen und gar keine Rede vom
baldigen Aufbruch eures Corps iſt , ſetzt mich in Erſtau-
nen . Was fuͤr offizielle Friedensnoten Dir auch aus Kon-
ſtantinopel zugehen , glaube mir , daß der Krieg unvermeid-
lich und feſt beſchloſſen iſt .
Jch habe Dir mit dem letzten Courier uͤber Konſtan-
tinopel ausfuͤhrlich unſern Marſch hierher , die halsgefaͤhr-
liche Concentrirung und unſere ſehr gute jetzige Aufſtellung
gemeldet . Die Artillerie iſt ( nach fuͤnf , faſt ſechs Wochen )
noch nicht ganz angekommen ; es ſind etwa 80 Geſchuͤtze hier ,
40 unterwegs , wovon zwanzig aber wahrſcheinlich heut auf
dem Murad hier eintreffen ; das erſte Regiment hat vierzig
Pferde todt , und die uͤbrigen ſo zugerichtet , daß man die
fruͤhere Pracht nicht wieder erkennt . L. iſt daruͤber ſehr
betruͤbt , es giebt endloſe Reparaturen . — Unſere Cavalle-
rie iſt vollzaͤhlig , und wir haben jetzt 8 Regimenter hier ,
zu denen noch 1500 Pferde aus Muſch ſtoßen ; von Jnfan-
terie ſtehen 53 Bataillone im Lager . Jch brauche Dir nicht
zu ſagen , daß wir wieder ſehr viel Menſchen , namentlich
durch Deſertion , verloren ; ich ſchaͤtze die wirkliche Staͤrke
auf 25- bis 28,000 Mann Jnfanterie mit 5000 Pferden
und 100 Geſchuͤtzen . Wenn wir 30,000 Mann in's Ge-
fecht bringen , will ich zufrieden ſein , das iſt aber auch
hoͤchſt wahrſcheinlich mehr , als Alles , was Jbrahim an
regulairen Truppen gegen uns verwenden kann , da er doch
den Kuleck-Boghas nicht wird entbloͤßen duͤrfen , ohne daß
Hadſchi-Aly nachfaͤhrt .
Wir erwarten eine verhaͤltnißmaͤßig ſehr große Zahl
Jrregulairer ; ich nenne zuerſt die Anneſi-Araber , welche im
oͤſtlichen Syrien und Meſopotamien umherſtreifen und Jbra-
him ſehr laͤſtig ſein wuͤrden , dann die Baſchi-boſuks aus
Diarbekir , Mardin , Palu ꝛc. , unſere alten Verbuͤndeten vor
Sayd-Bey-Kaleſſi , Vederhan-Bey mit ſeinen Kurden und
Conſorten . Was das Alles fuͤr Koſten macht , kannſt Du
Dir denken ; 100,000 Kilo Weizen werden angekauft , die
Unregelmaͤßigen erhalten den Tain oder Ration , und ſind
wohl uͤbrigens auf den Raub angewieſen , den Truppen iſt
eine doppelte Loͤhnung gezahlt ; Geld wird mit vollen Haͤn-
den geſpendet .
Unſere Vorpoſten (2 Eskadrons ) ſtehen vor Niſib hart
an der Grenze ; es waren ihnen Pferde weggelaufen , die
Spahi's ſuchten ſie auf jenſeitigem Gebiete , einer von ihnen
wird verwundet und ſtirbt . Aus dieſem Hergange wird
ein entſetzliches Halloh gemacht ; Paſcha Effendimis con-
vocirt einen Divan der Mollahs , deren wir hier zu Dutzen-
den jetzt haben , und die den Pas vor den General-Lieute-
nants nehmen ( wahrſcheinlich bis das Fetwa ausgefer-
tigt iſt ) .
Der Paſcha bringt in alle Welt , ihm zu beſtaͤtigen ,
daß jenes Ereigniß eine guͤltige Urſache zum Kriege ſei , die
Mollahs ſind vollkommen ſeiner Meinung ; Du kannſt Dir
denken , daß wir das nicht ſo unbedingt ſind . Jch habe
dem Paſcha geſtern , um gewiß deutlich zu ſein , durch den
Dragoman ausdruͤcklich geſagt : „ Die Mollahs koͤnnen dir
ſagen , ob der Krieg gerecht — ob er aber klug , kannſt nur
du allein beurtheilen . Die ganze Lage der Verhaͤltniſſe , die
Abſichten des Großherrn , die der europaͤiſchen Hoͤfe , —
Staͤrke und Stellung aller unſerer , ſo wie der feindlichen
Corps , die Huͤlfsmittel des Landes , die angehaͤuften Vor-
raͤthe ꝛc. , Alles das muͤßte vorliegen , um in dieſer hoch-
wichtigen Sache einen Rath zu geben , und alle dieſe Dinge
wiſſen weder die Mollahs , noch ich , noch ſonſt Jemand ,
als du . Die ganze Ehre und die ganze Verantwortlichkeit
faͤllt auf dich , und von Niemand ſonſt darfſt du Rath er-
warten . “ — Das iſt aber nicht , was er zu hoͤren wuͤnſcht .
Der Paſcha laͤßt es zwar nicht an Confiance , wohl aber
zuweilen an Confidences fehlen , er raͤumt indeß ein , daß
man den Krieg durchaus nicht erklaͤren darf , ehe wir nicht
ganz bereit ſind , ihn auch ſogleich anzufangen . Wir brau-
chen von heut an noch mindeſtens vierzehn Tage oder drei
Wochen , um nur marſchfertig zu ſein , und dieſe Zeit bleibt
Euch , um eine Vereinigung , oder doch ein Zuſammenwir-
ken zu erzielen . Aber wo werdet Jhr nun hingehen ? —
Nach Maraſch ? Von Kaiſarieh uͤber die Samantia-Doͤrfer
Ekrek , Dallar , Goͤgſyn nach Albiſtan wird es gehen ; wie
aber von dort Artillerie weiter kommen ſoll , davon habe
ich , nach meiner Kenntniß jenes Terrains , keine Vorſtel-
lung , es ſei denn , daß Jhr ſie 18 Stunden weit auf Ka-
meelen fortſchaffen koͤnnt ; wo nicht , ſo giebt es keine an-
dere Moͤglichkeit , als die Artillerie auf Malatia zu dirigiren .
Wenn Jhr nicht zu uns ſtoßt ( und das wird wohl
nicht geſchehen ) , ſo glaube ich , daß Jhr auf Kiliß vor-
ruͤcken muͤßtet ; ob Jhr uͤber den Kara-Dagh und ſeinen
Derbend werdet vordringen koͤnnen , iſt ſehr fraglich ; Jhr
werdet aber doch einen Theil der feindlichen Kraͤfte in
Schach halten . Eine andere Frage iſt es , ob Jhr nicht
von Maraſch nach Adana eine Expedition unternehmt , um
den Boghas fuͤr Hadſchi-Aly zu oͤffnen , welcher dort
angekommen ſein ſoll ; leider lauter vereinzelte Unternehmun-
gen , ſo wie die Landung von Cypern auch . Doch daruͤber
erwarte ich von Dir Nachricht . Wir muͤſſen nun durch-
aus in Verbindung treten ; wenn ich nur uͤberhaupt erſt
weiß , wo Jhr ſeid , werde ich Dir noͤthigenfalls einen ex-
preſſen Tataren ſpediren .
63.
Das Lager .
Lager von Biradſchik am Euphrat , den 10. Juni 1839 .
Es iſt ſo lange her , ſeit Du keine Nachricht haſt , daß
ich Dir gern heute einen langen Brief ſchriebe , aber das
wird kaum mehr moͤglich ſein , der Tatar geht morgen fruͤh
ab und mein Lichtſtuͤmpfchen iſt beinahe ſchon in die Ba-
jonnet-Dille hinabgebrannt , welche als Leuchter neben mir
in die Erde eingepflanzt iſt . Um Dich jedoch nicht laͤnger
ohne Kunde von hier zu laſſen , melde ich fuͤr heute nur
das Wichtigſte , daß wir von Malatia aufgebrochen und
mit unſerm ganzen Corps hier im Lager ſtehen , daß ich ge-
ſund und wohl , bei ſehr ſtarkem Appetit und etwas abgeriſ-
ſenen Kleidern und Stiefeln bin , denn wir haben einen be-
ſchwerlichen Marſch durch den Taurus gehabt . Hoher
Schnee , tiefer Koth , ein neun und zwanzigtaͤgiger Regen
und beſchwerliche Gebirgswege haben uns viel zu ſchaffen
gemacht ; jetzt wollen wir uns hier ein wenig ausruhen und
uns die Zeit mit Exerzieren und Manoͤvriren vertreiben .
Von der Hoͤhe unſerer Verſchanzungen habe ich eine praͤch-
tige Ausſicht ; unten im Thale am Euphrat haben wir eine
Stadt gebaut aus 4000 Zelten , die vorderſte ſchnurgerade
Straße iſt eine Viertelmeile lang , der gewaltig angeſchwol-
lene Strom kruͤmmt ſich um drei Seiten unſers Lagers ,
und jenſeits erhebt ſich an der weißen Felswand Biradſchik
mit ſeinen Mauern und Thuͤrmen , Moſcheen und Gaͤrten ,
und uͤber Alles ragt das ſeltſame alte Schloß Kalai-Beda
empor . Hunderte von beladenen Kameelen , je fuͤnf und
zwanzig unter dem Vortritt eines Eſels , ſteigen langſam die
Berge hinab , hoch auf dem vorderſten ſitzt ein Araber , der
auf zwei Pauken verkuͤndet , daß er uns Mehl , Zwieback
und Reis zufuͤhrt ; kleine Flotten von Floͤßen aus Hammel-
fellen eilen den Strom hinab , um Holz , Stroh und andere
Beduͤrfniſſe zu bringen ; zahlreiche Heerden von Schaafen
und Ziegen huͤpfen an den Thalhaͤngen , und tauſende von
Pferden ſtehen angefeſſelt in den Gerſtenfeldern . Die Ba-
jonnette , die Lanzen und Kanonen blitzen in der Sonne , und
von allen Seiten erſchallen Trommeln und Hoͤrner ; dort
zerren hunderte von Soldaten einen uralten 36-Pfuͤnder ,
welcher einſt Bagdad beſchoſſen , den Huͤgel hinan , hier
ſchaufeln und hacken andere hunderte in der harten Erde ,
um Schanzen aufzuwerfen . Vor den Zelten wimmelt es
von Menſchen : der Eine backt Brot , wie man bei uns
Eierkuchen macht , indem er einen duͤnnen Fladen auf einer
Scheibe von Eiſenblech uͤber einem Feuer von Kameelmiſt
breitet , der Andere waͤſcht ſeine Hemden , dieſer putzt ſein
Gewehr , jener flickt ſeine Schuhe , und Alle rauchen den
Tſchibuk , ich nicht ausgenommen . Mitten durch das Ge-
wuͤhl zieht ein Regiment Spahi's auf Vorpoſten und blickt
ſtolz auf die irregulairen Reiter herab , die mit 14 Fuß lan-
gen Rohrlanzen und in der alten praͤchtigen Tracht ihre
arabiſchen Hengſte tummeln . Wie ſchade , daß ich nicht
eine Camera obſcura von Daguerre hier habe .
64.
Die Schlacht bei Niſib .
Asbuſu bei Malatia , den 12. Juli 1839 .
Du biſt ſehr lange ohne direkte Nachricht von mir ge-
blieben , weil in der letzten Zeit die Ereigniſſe ſich ſo draͤng-
ten , daß kein Augenblick zum Schreiben blieb . Jetzt ſitze
ich wieder in meinem ſchattigen Quartier auf der Bruͤcke
unter dem Cornelius-Kirſchbaum in Asbuſu ; aber wie Man-
ches hat ſich geaͤndert , ſeit ich dieſen Ort verließ .
Jn unſerm feſten Lager zu Biradſchik ſtanden wir ſo
unbeweglich den ganzen Monat Juni ſtill , daß die Schwal-
ben anfingen , ſich Neſter an meinen Zeltſtangen zu bauen ,
und Zeit und Weile uns lang wurde . Ein furchtbares Er-
eigniß unterbrach jedoch die Einfoͤrmigkeit , als am 29. Mai
Mittags unſer Pulver-Magazin mit mehr als 1000 Ctr.
fertiger Munition in die Luft flog ; man hatte zur Unter-
bringung derſelben ein Hann oder gewoͤlbtes ſteinernes Ge-
baͤude am Ufer des Murad innerhalb unſerer Stellung ge-
waͤhlt . Nur auf wiederholte Vorſtellung war es mir ge-
lungen , ſechzig Mann Wache aus dem innern Hof des vier-
ſeitigen Gebaͤudes zu entfernen , welche dort kochten und
rauchten ; es ging aber ſpaͤter noch , wie bei allen tuͤrkiſchen
Pulver-Magazinen , ſo arg her , daß ich bei dem erſten
Knall keinen Augenblick zweifelhaft war , welches Ungluͤck
uns betroffen .
Mein Zelt ſtand etwa tauſend Schritte weit auf einer
Hoͤhe , die Thuͤr gegen das Hann gewendet , entfernt genug ,
um außer aller Gefahr zu ſein , nahe genug , um das Schau-
ſpiel deutlich mit anzuſehen . Sobald der erſte heftige Knall
meine Aufmerkſamkeit erregte , ſah ich eine Feuergarbe aus
dem innern Hof emporſteigen , wo man eben Kiſten mit Jn-
fanterie-Munition oͤffnete ; unmittelbar darauf flog das Hann
ſelbſt auf . Eine dichte Rauchſaͤule erhob ſich bis zu einer
unglaublichen Hoͤhe in die klare blaue Luft , aus derſelben
aber zuckten helle Blitze , und ein Regen von Gewoͤlbſteinen
und Kugeln raſſelte herab ; das Platzen mehrerer Hunderte
gefuͤllter Granaten in derſelben Minute verurſachte ein Ge-
toͤſe , welches viele Stunden weit in den Bergen wieder-
hallte . Nun mußt Du wiſſen , daß in einer Entfernung
von 80 Schritten zu beiden Seiten des Hanns 200 gela-
dene Munitions- und Granat-Wagen ſtanden ; eine Protze
flog wirklich auf , und doch wurde wunderbarer Weiſe der
ganze Reſt Verderben drohenden Fuhrwerks gerettet . Einer
meiner Cameraden , der Hauptmann L. , war in der groͤß-
ten Gefahr geweſen ; er arbeitete zur Zeit der Exploſion nur
einige hundert Schritte weit vom Magazin und wurde an
drei Stellen leicht verwundet von den herabfallenden Truͤm-
mern und Stuͤcken ; dennoch war er der Erſte , der mit Huͤlfe
einiger Artilleriſten eine bereits brennende Granat-Protze
wieder loͤſchte . Als wir mit der Jnfanterie herbei kamen ,
wurden ſchnell alle Munitions-Wagen aus der Naͤhe des
Vulkans fortgezogen ; viele Granaten und ganze Kiſten mit
Patronen waren , ohne ſich zu entzuͤnden , zwiſchen die Wa-
gen geſchleudert , ſie wurden von den Soldaten im Arme
fortgetragen . Zum Gluͤck iſt , wie es ſcheint , gleich bei der
erſten Exploſion ein Theil des Gewoͤlbes niedergedruͤckt wor-
den ; die Kiſten waren ſaͤmmtlich ſehr ſorgfaͤltig in Ueber-
zuͤge von Filz und dann in Leder gepackt , und ſo war es
moͤglich , daß eine Feuersbrunſt , nur durch Pulver genaͤhrt ,
vom Mittage bis auf den Abend fortdauern konnte ; noch
in der Dunkelheit platzten Granaten , aber ſeit der erſten
heftigen Exploſion nur im Jnnern des Hanns oder ſeiner
Truͤmmer . Wenn die ganze Maſſe Pulver auf einmal ſich
entzuͤndet haͤtte , ſo duͤrften auch die Wagen erfaßt worden
ſein , und die Verwuͤſtung waͤre ungeheuer geweſen ; fuͤnf-
hundert Centner Pulver wurden gerade erwartet , und ka-
men gluͤcklicher Weiſe erſt zwei Tage darauf an . Wir hat-
ten einen Oberſt und uͤber zweihundert Todte und Verwun-
dete zu beklagen .
Wenige Tage ſpaͤter brachen wir in zwei Colonnen nach
Niſib , drei Stunden oͤſtlich von Biradſchik , auf , wo wir
uns lagerten und ſofort verſchanzten . Die Hitze war ſehr
groß und ſtieg im Schatten bis auf 30 , ſelbſt 35 Gr. Reau-
mur ; eine wahre Plage waren die Fliegen , die uns keinen
Augenblick Ruhe ließen . Jn dieſem Lande ſind die Baͤume
ſelten , aber wo ſie ſich finden , ſind ſie praͤchtig ; mein Zelt
zu Niſib ſteckte in einem Granatwaͤldchen , uͤberragt von
maͤchtigen Nuß- und Aprikoſen-Baͤumen ; Tauſende von
Granaten gluͤhten in den lichtgruͤnen Blaͤttern , die Nachti-
gallen , welche hier Andelib heißen , ſchlugen in den Zwei-
gen , und kleine Kamaͤleons kletterten die Staͤmme auf und
ab . Aber auch an garſtigem Gewuͤrm , an Taranteln , Ohr-
wuͤrmern und Schlangen , fehlte es nicht ; die Schildkroͤte
ſchob ſich ſchwerfaͤllig durch das Gras , und Tauſende von
Johanniswuͤrmchen funkelten in der Finſterniß .
Wir brachten in dieſem Lager wieder drei Wochen zu ,
eine Zeit , die fuͤr mich um ſo unerfreulicher war , als ich ,
ſchon ſeit lange von der epidemiſch gewordenen Dyſenterie
erfaßt , das Lager huͤten mußte , und als ſo Manches gegen
meinen Rath und meine Ueberzeugung geſchah , was uns
dann endlich einer traurigen Kataſtrophe entgegen fuͤhrte .
Jch habe Dir aus bekannten Gruͤnden in meinen fruͤ-
hern Briefen nie etwas uͤber meine dienſtliche Stellung ge-
ſchrieben ; die Begebenheiten aber , von welchen ich ſprechen
will , gehoͤren nun der Vergangenheit an , und ſtehen als
eine vollendete Thatſache da .
Vollauf beſchaͤftigt mit den dringendſten Angelegenhei-
ten des Augenblicks , war die europaͤiſche Diplomatie froh ,
die orientaliſche Streitfrage , welche unloͤsbar ſchien , in moͤg-
lichſt ferne Zukunft zuruͤckzudraͤngen . Seit dem Frieden
von Kutahja hatten die Waffen in dieſen Laͤndern geruht ,
und man forderte allſeitig und beſtimmt von der Pforte ,
wie von Mehmet-Aly , in dem jetzt beſtehenden Zuſtande
der Dinge zu verharren , vielleicht ohne genau zu wiſſen ,
ob dieſer Zuſtand ertraͤglich und haltbar ſei , und ob er
nicht auf die Dauer beide Partheien unausweichlich zu
Grunde richten muͤſſe . Wie ſich in der Chemie zwei Stoffe
vollkommen neutraliſiren , ſo waren alle Kraͤfte der Tuͤrkei
durch Aegypten , alle Kraͤfte Aegyptens durch die Tuͤrkei
abſorbirt , und beide Staaten nach Außen faſt vernichtet .
Die Donau , Schumla , Konſtantinopel ſelbſt waren ohne
Vertheidiger , Alexandria und Cairo von Jnvaliden beſetzt ,
waͤhrend in einem Winkel Kurdiſtans und Syriens maͤch-
tige Heere einander gewaffnet gegenuͤber ſtanden .
Die Natur ſelbſt widerſetzt ſich allen großen Anhaͤu-
fungen von Menſchen an einem Orte : in kultivirten Laͤn-
dern ſind ſie ſchwierig und koſtſpielig , in Laͤndern , wie dieſe ,
moͤrderiſch und auf die Dauer unerſchwinglich . Schreck-
lich war daher der Druck , welcher ſeit Jahren auf dieſen
ungluͤcklichen Provinzen laſtete ; aber auch das ganze Reich
ſeufzte unter der Buͤrde , ein großes Heer in fernen Gegen-
den ohne irgend einen andern Grund zu unterhalten , als
weil eben ein maͤchtiger Nachbar dort auch ein Heer un-
terhielt . Es ſind in ſieben Jahren hier mindeſtens 50,000
Rekruten ausgehoben und begraben , 100 Millionen impro-
duktiv verausgabt und die Ernte ganzer Provinzen verzehrt ,
nur , weil der Gegner denſelben Aufwand machte . Wer
allen dieſen gewaltſamen Zuſtaͤnden nahe ſtand , und uͤber-
haupt mit offenen Augen zu ſehen wußte , der konnte ſich
bald uͤberzeugen , daß der status quo den Partheien viel-
leicht ferner noch vom Fruͤhjahr bis zum Herbſt , oder vom
Herbſt bis zum Fruͤhjahr aufgedrungen werden koͤnne , daß
aber auf die Dauer ein vermittelndes Einſchreiten der eu-
ropaͤiſchen Maͤchte , oder eine gewaltſame Erledigung unab-
weislich ſei . Erſtere hat nicht ſtatt gefunden , und ſo iſt
die letztere nicht ausgeblieben .
Sultan Mahmud iſt ganz unſtreitig ſeit Anfang Ja-
nuars unwiderruflich entſchloſſen geweſen , ſich dem druͤcken-
den Zuſtande durch Krieg zu entziehen ; neue große Opfer
wurden gebracht , kein Geldaufwand geſcheut , Auszeichnun-
gen und Befoͤrderungen verſchwendet , Truppenergaͤnzungen
gewaltſam durchgefuͤhrt , das Material der Artillerie ver-
vollſtaͤndigt , Vorraͤthe angehaͤuft und jede Forderung des
commandirenden Generals bewilligt . Geaͤngſtigt durch die
europaͤiſchen Geſandtſchaften , wurden mittlerweile in Kon-
ſtantinopel die buͤndigſten Friedensverſicherungen offiziell er-
theilt , und waͤhrend ſeit ſechs Monaten ſchon die Kriegs-
frage entſchieden , waͤhrend wir bereits die Grenze uͤber-
ſchritten , verſicherte man aus Konſtantinopel immer noch ,
daß der status quo erhalten werden wuͤrde .
So weit waren die Dinge durch ihre eigene Nothwen-
digkeit gediehen ; wir wollen nun ſehen , in wie fern Hoff-
nung auf Gelingen den Großherrn beſtimmen durfte . Die
Pforte hatte in Kleinaſien drei Corps aufgeſtellt , die zu-
ſammen 70,000 Mann ſtark waren ( ich rede von der wirk-
lich ausruͤckenden Staͤrke , denn die nominelle Ziffer iſt viel
groͤßer ) ; dieſe Truppen beſtanden zur groͤßern Haͤlfte aus
Rediffs , d. h. Landwehren , gebildet aus eben ausgehobe-
nen Mannſchaften , die ſchnell etwas von der europaͤiſchen
Taktik lernen mußten , und aus Offizieren , die , nach Gunſt
gewaͤhlt , nicht die geringſte Kenntniß ihres Standes be-
ſaßen ; auch die Linientruppen beſtanden zur Haͤlfte aus
Rekruten . Es herrſchte eine ſo furchtbare Mortalitaͤt , daß
wir waͤhrend der Dauer unſers Hierſeins die Haͤlfte der
Jnfanterie begraben haben . Der ganze Erſatz laſtet nun
faſt ausſchließlich auf Kurdiſtan ; die Bewohner der Dorf-
ſchaften flohen in die Berge , ſie wurden mit Hunden ge-
hetzt , die Eingefangenen , oft Kinder und Kruͤppel , an lange
Seile gebunden und mit geknebelten Haͤnden abgefuͤhrt .
Dieſe Soldaten , welche nicht einmal die Sprache ihrer Of-
fiziere verſtanden , mußten fortwaͤhrend als Gefangene be-
handelt werden ; dichte Poſtenlinien umſtellten das Lager
eines jeden Regiments , oft aber entwichen die Wachen
ſelbſt . Man zahlte 20 , ja ſpaͤter 100 Gulden fuͤr jeden
Deſerteur , ohne das Ausreißen hindern zu koͤnnen ; es gab
Beiſpiele , wo 50 Mann mit Pferden und Waffen von den
Vorpoſten deſertirten . Der Soldat war gut bezahlt , wohl
gekleidet , reichlich ernaͤhrt und milde behandelt ; aber faſt
kein Kurde hielt laͤnger als zwei Jahre aus , er ging in's
Hoſpital , ſtarb oder lief davon . Neben dieſer Dispoſition
von zwei Dritteln des Heeres muß der gaͤnzliche Mangel an
tuͤchtigen Offizieren genannt werden ; man ſollte daher glau-
ben , mit ſolchen Militairs ſei gar kein Krieg zu fuͤhren .
Jndeß , wenn Jbrahim-Paſcha 's Heer beſſer , ſo war
es auch nur im Vergleich mit dem tuͤrkiſchen ertraͤglich zu
nennen ; es hatte im vorigen Jahre , namentlich gegen die
Druſen , furchtbare Einbußen gemacht , beſtand zum großen
Theil auch aus neuer Mannſchaft und war an Zahl ſehr
viel ſchwaͤcher . Zur Schlacht hatte ſpaͤter Jbrahim-Pa-
ſcha Alles verſammelt , was er in ganz Syrien beſaß ;
ſelbſt die Beſatzung Adana's erlaubte man ihm heranzuzie-
hen , und doch war er nur etwa 10,000 Mann ſtaͤrker , als
das Corps Hafiß-Paſcha 's allein . Die geſammte Streit-
macht der Pforte in Aſien , waͤre ſie vereint geweſen , konnte
ihm faſt um das Doppelte uͤberlegen ſein . Jbrahims
Truppen waren manoͤvrirfaͤhiger , als die tuͤrkiſchen , ſeine
Artillerie zahlreicher und gut bedient , aber der Geiſt des
Heeres war um Nichts beſſer , als im Corps Hafiß-
Paſcha's .
Seit wir dem Gegner gegenuͤber ſtanden , verging faſt
kein Tag , wo nicht zwanzig bis vierzig Ueberlaͤufer , Offi-
ziere und Soldaten , mit ihren Gewehren ankamen . Waͤh-
rend im tuͤrkiſchen Lager ungeheuere Geldſummen ausgege-
ben wurden , herrſchte in der aͤgyptiſchen Armee Noth ; die
Ration betrug kaum ein Drittel der unſrigen , die Leute la-
gerten ohne Zelte , und nicht weniger als achtzehn Monate
Sold war ruͤckſtaͤndig . Die Verpflegung war ſehr ſchwie-
rig , und die Bevoͤlkerung von ganz Syrien , namentlich die
der großen Staͤdte , erwartete nur ein Signal zum Auf-
ſtande .
Die Wahrſcheinlichkeit eines Erfolgs war auf der Seite
der Pforte , aller Vortheil aber wurde aufgehoben durch einen
Cardinal-Fehler : in Syrien befehligte ein Mann , um deſ-
ſen Exiſtenz es ſich handelte ; in Aſien vier unabhaͤngige
Feldherren , jeder mit beſondern Jntereſſen und einer eifer-
ſuͤchtig auf den andern . So kam es , daß wir ſchon in
Scharmuͤtzel verwickelt waren mit dem Gegner , als das
Corps Jſſet-Paſcha 's noch in Kaiſarieh , 150 Stunden
ruͤckwaͤrts ſtand , und das Hadſchi-Aly-Paſcha 's zu Ko-
nieh ſich in einer ſolchen Paſſivitaͤt verhielt , daß Jbrahim
dieſe Paͤſſe faſt von allen Vertheidigern entbloͤßen und ſich
dadurch verſtaͤrken konnte .
Hafiß-Paſcha wollte den Krieg , und war gewiß ,
dadurch den geheimſten Wuͤnſchen ſeines Gebieters zu ent-
ſprechen ; den Vorwand ſuchte er in einigen Plaͤnkeleien der
Araber . Es war mir zu jener Zeit ſehr peinlich , immer
abzuwehren , ſtets der Hemmſchuh fuͤr alle Unternehmungen
zu ſein , immer auf die Ankunft der uͤbrigen Corps zu ver-
weiſen , und es blieb mir , um meinen Credit zu retten , nur
uͤbrig , den thaͤtigſten Antheil an ſolchen Expeditionen zu
nehmen , deren Ausfuͤhrung zu hintertreiben mir nicht ge-
lungen .
Jbrahim-Paſcha hatte offenbar nicht die mindeſte
Luſt , den Streit anzufangen , er ließ ſich viel gefallen . Jn
einem Gefechte der unregelmaͤßigen Truppen hatten wir ihm
achtzig Gefangene abgenommen , und unſere Recognoſcirun-
gen ( bei der die Cavallerie ihre gaͤnzliche Untauglichkeit do-
cumentirte ) uͤberſchritten fuͤnf Stunden weit die Grenzen ;
in Aintab hatten die Einwohner ihre Garniſon in die Ci-
tadelle geſperrt ; dieſe hielt eine ſehr ſchwache Kanonade
aus , ergab ſich aber nicht nur gegen Zuſicherung ihres
ruͤckſtaͤndigen Soldes von achtzehn Monaten , ſondern nahm
ſogar Dienſte bei uns . Das war nun mehr , als der ſy-
riſche Generaliſſimus vertragen konnte , und am 20. Juni
erſchien er mit ſeinem ganzen Heer , uͤberſchritt gegen Mit-
tag das Defilee von Miſar , und lagerte in dichten Haufen
dieſſeits deſſelben , nur anderthalb Stunden vor unſerer
Front .
Es zeigte ſich ſogleich , trotz aller ſchoͤnen Nachrichten
unſerer Kundſchafter , daß Jbrahim weit ſtaͤrker als wir
war . Unſere unregelmaͤßigen Reiter und eine Brigade Garde-
Cavallerie mit einer reitenden Batterie wurden ſogleich in
Unordnung aus Miſar herausgeworfen , und uͤberließen dem
Feind ihre Zelte ; das Corps Hafiß-Paſcha 's ruͤckte mitt-
lerweile ſchnell und mit Ordnung in ſeine Gefechtsſtellung ,
ungefaͤhr 1000 Schritt vorwaͤrts des Zeltlagers , ein Ma-
noͤver , welches mehrmals eingeuͤbt worden war . Wir er-
warteten mit Zuverlaͤſſigkeit , daß wir an dieſem Tage an-
gegriffen werden wuͤrden ; Jbrahim aber blieb den Reſt
des Tages und die Nacht ſtehen . Unſer Corps brachte die
Nacht unter den Waffen zu .
Am folgenden Morgen ( 21. Juni ) vor Sonnen-Auf-
gang verfuͤgte ich mich auf einen ſpitzen Felskegel , der auf
unſerm rechten Fluͤgel beſetzt und verſchanzt war , und von
wo man mit dem Fernglaſe Alles uͤberſah ; von hier aus
war der Anmarſch des Gegners in allen ſeinen Details
ſehr deutlich zu erkennen , und man konnte ſeine Gegen-
maaßregeln bei Zeiten treffen .
Bis 9 Uhr blieb Alles ruhig im feindlichen Lager , ſo-
dann ſetzten ſich 9 Cavallerie-Regimenter , 18 reitende Ge-
ſchuͤtze und eine Jnfanterie-Brigade in Marſch gegen die
Front und gegen die linke Flanke unſerer Stellung . Da der
Reſt des Corps in ſeinen Bivouaks verblieb , ſo benachrich-
tigte ich meinen Paſcha ſogleich ſchriftlich , daß es auf eine
bloße Recognoſcirung abgeſehen ſei . Es kam zu einer Ka-
nonade aus ſehr großer Ferne , und nur die unregelmaͤßi-
gen Truppen wurden handgemein ; hierauf zog ſich der
Feind zuruͤck . Es ſcheint , daß man unſere Aufſtellung zu
25
ſtark gefunden , wenigſtens folgte kein Angriff auf dieſe Re-
cognoſcirung ; ich ſchlug vor , unſere Truppen in ihre Zelte
zuruͤckkehren und abkochen , hoͤchſtens das erſte Treffen un-
term Gewehr zu laſſen ; man fand dies aber bedenklich ,
und wir blieben auch dieſe Nacht unterm Gewehr . Unſere
Stellung lehnte rechts und links an nicht leicht zu erſtei-
gende Hoͤhen , die verſchanzte Front war ſanft einwaͤrts
gekruͤmmt . Nach unſern Grundſaͤtzen hatte die Stellung
etwas viel Front und wenig Tiefe , auch war gleich von
Hauſe aus viel Artillerie aufgeſtellt ; aber wie ich die Fecht-
art der Orientalen kenne , waren eben dieſe Eigenthuͤmlich-
keiten vortheilhaft , und auch Jbrahim-Paſcha ſcheint ſie
ſo beurtheilt zu haben . Das Gefecht dauert unter dieſen
Voͤlkern nur wenige Stunden , der erſte Anlauf entſcheidet ,
zur Anwendung großer Reſerven bleibt keine Zeit , es iſt ge-
rathen , ſchon Anfangs viel Kraͤfte ins Spiel zu bringen und
ſeine beſten Trumpfe gleich auszuſpielen ; deshalb ſtanden
auch die zuverlaͤſſigſten Truppen in erſter Linie , die ſchlech-
teſten in Reſerve .
Am 22. Juni fruͤh war große Bewegung im feind-
lichen Lager . Mehrere tauſend Kameele gingen durch das
Defilee von Miſar zuruͤck , dann folgten ſtarke Cavallerie-
maſſen und etwas Jnfanterie . Man glaubte allgemein an
den Ruͤckzug ; ich benachrichtigte aber bald den Paſcha , daß
die Richtung des Marſches auf eine Umgehung unſerer lin-
ken Flanke deute . Gegen 10 Uhr ritt ich zum Comman-
direnden hinab , ihm die Gewißheit dieſes Manoͤvers zu ge-
ben : die Avantgarde war uns fuͤnf Viertelſtunden nahe ,
zwei Stunden von ihrem Gros entfernt , welches zu Drei-
viertel noch dieſſeits des Miſarbachs ſtand. M. , L. und
ich ſchlugen einſtimmig unter dieſen Umſtaͤnden einen allge-
meinen Angriff vor , der aber auf eine nichts bedeutende
Demonſtration unſerer traurigen Cavallerie reducirt wurde .
Nachmittag kam der Paſcha zu mir auf den Spitzberg ,
um ſich mit mir uͤber die Lage der Dinge zu berathen ; ich
zeigte ihm die Colonnen Jbrahims , die ſich nun ſaͤmmt-
lich gegen eine Bruͤcke zu bewegten , welche den Bach von
Niſib , anderthalb Stunden unterhalb unſerer Aufſtellung ,
uͤberſchreitet . Aufgefordert , erklaͤrte ich , da wir den Geg-
ner waͤhrend der Umgehung nicht haben angreifen wollen ,
ſo haͤtten wir jetzt keine andere Wahl , als bevor ſie voll-
endet , zuruͤck zu gehen . Wir hatten drei Stunden hinter
uns die feſte Stellung von Biradſchik ; nach europaͤiſchen
Grundſaͤtzen hatte dieſe Stellung den großen Fehler , ganz
ohne Ruͤckzug zu ſein ; nach Allem , was ich ſchon damals
geſehen , war dieſer Umſtand in meinen Augen der groͤßte
Vorzug derſelben . Jeder , auch der letzte Kurde ſah , daß
er dort Stand halten oder untergehen muͤſſe ; von Umge-
hung war nicht die Rede , beide Fluͤgel lehnten an den Eu-
phrat , der auch den Ruͤcken ſperrte ; die Front war mit
guten Verſchanzungen verſehen , hinter uns hatten wir ein
feſtes Schloß mit ungeheuren Vorraͤthen , vor uns eine
glacisartige Ebene , auf der unſere Fouragirungen dem Feinde
auch nicht einen Grashalm uͤbrig gelaſſen Aegyptiſche Nachrichten haben ſpaͤter beſtaͤtigt , daß Jbrahim-
Paſcha am Tage der Schlacht das letzte Brot an ſeine Armee
ausgegeben hat . . Der Paſcha
erklaͤrte es fuͤr eine Schande , zuruͤck zu gehen ; dabei fuͤrch-
tete er , Biradſchik ſei eben allzu ſtark , der Feind wuͤrde
uns uͤberhaupt da nicht anzugreifen wagen u. ſ. w. , worauf
ich ihm erwiederte , er moͤge hier meine rechte Hand ab-
hauen , wenn Jbrahim ohne eine Schlacht nach Aleppo
zuruͤck ginge . Da es ſich um die wichtigſten Jntereſſen
handelte , ſo nahm ich nicht Anſtand , mich in Gegenwart
der hoͤhern Offiziere des Heeres , Muſtapha-Paſcha 's ,
Mashar-Paſcha 's , Han-Effendi 's u. a. m. , aufs frei-
muͤthigſte und nachdruͤcklichſte auszuſprechen ; ich ſtellte dem
Paſcha die geringe Zuverlaͤſſigkeit ſeines Heeres und die
Staͤrke der Gegner vor , wie unſere Verſtaͤrkungen von al-
len Seiten im Anzuge ſeien , und es alſo nur darauf an-
kaͤme , Zeit bis zu ihrer Ankunft zu gewinnen , daß es ſich
ja nur um einen freiwilligen Ruͤckzug handele , der vom
Feinde nicht gedraͤngt werden koͤnne , endlich , daß alle klein-
lichen Ruͤckſichten , ſelbſt der momentane Verluſt von Aintab ,
gar nicht in Betracht kaͤmen , wo ſo viel auf dem Spiele
ſtaͤnde . Schließlich erklaͤrte ich ihm , daß ich in der Stellung ,
in welche Sultan Mahmud mich geſtellt , ihm dieſe Sprache
ſchuldig ſei , und von Stunde an alle Verantwortlichkeit fuͤr
die Folgen von mir ablehne , welche nach meiner Ueberzeu-
gung ein laͤngeres Verweilen bei Niſib nach ſich ziehen muͤſſe .
L. , welcher zugegen , trat , auf Befragen , ganz dieſer Anſicht
bei , und das Reſultat war , daß trotz der erſten Abneigung
der Ruͤckzug bis Biradſchik faſt ſchon beſchloſſen , die Zeit
des Aufbruchs , Zahl der Colonnen ꝛc. berathen wurde .
Nach einer Stunde ritt ich zum Paſcha , ihm anzuzei-
gen , daß jetzt das Gros ebenfalls den Weg nach der Ker-
ßun-Bruͤcke eingeſchlagen habe , und daß die Avantgarde in
einer halben Stunde jenen Punkt erreichen wuͤrde . Jch
fand den Commandirenden unter Mollahs und Chodſcha's
ſitzen , die ſeit Kurzem großen Einfluß gewonnen hatten ;
er war voͤllig umgeſtimmt . „ Meine Nachricht koͤnne kaum
„; richtig ſein , der Gegner beabſichtige nur , ſich morgen fruͤh
„; nach Aleppo zuruͤck zu ziehen . Die Sache des Sultans
„; ſei gerecht , Allah werde ihm Huͤlfe verleihen , und aller
„;Ruͤckzug ſei ſchimpflich ; ich moͤchte eine Stellung auf dem
„;linken Fluͤgel ſuchen , Front gegen die Bruͤcke . “ Dies lehnte
ich auf das Beſtimmteſte ab , und ritt in mein Zelt zuruͤck .
Als die erſte Nachricht von Jbrahims Anmarſch an-
kam , lag ich krank ; ich hatte mich waͤhrend der Recogno-
ſcirungen der letzten Tage nur mit Anſtrengung zu Pferde
erhalten koͤnnen , und jetzt war eine Stunde Ruhe mir drin-
gend noͤthig . Jm Vorbeireiten benachrichtigte ich die Her-
ren A. und R. von der geographiſchen Geſellſchaft zu Lon-
don , welche ſeit einigen Tagen im Hauptquartiere verweil-
ten , ihr Gepaͤck bereit zu halten , da wir uns wahrſchein-
lich morgen in einer ſchlechten Stellung ſchlagen wuͤrden
und fuͤr den Ausgang nicht mehr zu ſtehen ſei . Kaum
hatte ich mich aber auf mein Lager geworfen , als der Pa-
ſcha nach mir ſchickte : die Nachricht von dem Eintreffen
des Feindes an der Bruͤcke war nun auch von dorther ein-
gegangen , und die Beſtuͤrzung jetzt eben ſo groß , als kurz
zuvor die Sicherheit geweſen war . Man erwartete den An-
griff noch dieſen Abend , woran gar nicht zu denken war .
Jn Gegenwart ſehr vieler Offiziere und der Englaͤnder wie-
derholten meine Cameraden und ich , daß bis jetzt noch nicht
das mindeſte verloren , daß aber der Marſch auf Birad-
ſchik ohne Zeitverluſt nun unerlaͤßlich nothwendig geworden
ſei . Der Paſcha war in großer Aufregung , wollte ſich aber
zu dieſer Maaßregel nicht verſtehen , hauptſaͤchlich wohl , weil
er ſeinen ſchlechten Truppen ſo wenig traute , daß er fuͤrch-
tete , jeder Ruͤckzug werde ſie demoraliſiren . Alle Paſcha's
wuͤnſchten inſtaͤndigſt jenen Marſch , und doch wagte keiner
zu ſprechen ; ich rief Muſtapha-Paſcha , den General-
Lieutenant der Garde , und Han-Effendi zu , meiner Mei-
nung , die ſie auf dem Spitzberge ja getheilt , laut beizu-
ſtimmen ; ich forderte Hafiß-Paſcha auf , nicht Leuten
Gehoͤr zu geben , wie die Mollahs , die nichts von militai-
riſchen Angelegenheiten verſtaͤnden , erinnerte ihn , daß mor-
gen , wenn die Sonne wieder hinter jenen Bergen unter-
gehe , er wahrſcheinlich ohne Heer ſei . Alles vergebens !
Schon fing es an zu daͤmmern , und noch war kein
Entſchluß gefaßt . Der Paſcha verfuͤgte ſich mit großem
Gefolge nach unſerm linken Fluͤgel , um dort ſelbſt eine Stelle
aufzuſuchen ; auf Befragen erklaͤrte ich dem Commandiren-
den , daß das Terrain zwar nicht entſchieden unguͤnſtig ,
aber fuͤr Truppen wie die ſeinigen keine genuͤgende Garan-
tie biete ; forderte ihn nochmals auf , Befehl zum Abmarſch
zu geben , und verlangte , da er es beſtimmt verweigerte ,
meine Entlaſſung . Es verſtehe ſich von ſelbſt , daß ich das
Gefecht , wie jeder andere Soldat , mitmachen werde , daß
aber meine Stellung als „ Muͤſteſchar “ oder Rathgeber von
Stund' an aufgehoͤrt habe . Jm erſten Verdruß hatte Ha-
fiß-Paſcha meinen Abſchied bewilligt , aber ſchon nach
wenigen Minuten rief er mich wieder : „ er erwarte , daß
„; ich ihn in dieſem Augenblick nicht verlaſſen werde , nach
„;Biradſchik gehe er nicht , eher laſſe er ſich in Stuͤcke rei-
„; ßen , und ich moͤge die Stellung nehmen , wie ich koͤnne . “
Jch ſah , daß es unmoͤglich war , ihn nach Biradſchik zu
bringen , und hielt es nun fuͤr meine Pflicht , aus den miß-
lichen Umſtaͤnden , in die wir uns ohne Noth begeben , das
Beſte zu machen , was daraus zu machen war . Demnach
forderte ich , daß ſogleich ſaͤmmtliche Truppen auf die Hoͤ-
he , wo wir uns befanden , hinauf geſchickt wuͤrden ; die
Brigaden trafen auch bald eine nach der anderen ein und
wurden bei Vollmondſchein in ihrer neuen Poſition aufgeſtellt .
Den rechten Fluͤgel bildeten die Schanzen , welche fruͤher
unſern linken geſchuͤtzt , den linken eine ſchwere Batterie , vor
der Front lag ein Ravin . Die Reſerve ſtand in einer Ver-
tiefung , aber Alles ſehr gedraͤngt ; L. ſtellte die Batterien
auf und um 3 Uhr Morgens waren wir fertig . Jedes
ſtand an ſeinem Platze , und die Leute blieben die dritte
Nacht unterm Gewehr .
Jch hatte meine Dienerſchaft verloren und ſchlief eine
Stunde auf der Erde ; vor Sonnenaufgang aber ließ der
Paſcha mich rufen , ritt die ganze Aufſtellung entlang und
war hoͤchſt zufrieden und gluͤcklich , nicht nach Biradſchik
zuruͤckgegangen zu ſein . An dieſem Morgen ( den 23. Ju-
ni ) defilirte Jbrahim-Paſcha uͤber die Kerſun-Bruͤcke ;
die gaͤnzliche Unthaͤtigkeit unſers Corps , namentlich unſerer
Cavallerie , gab ihm die Dreiſtigkeit , ſich eine Stunde vor
unſerer Front in dichten Bivouakshaufen , das Defilee im
Ruͤcken , aufzuſtellen , und den ganzen Tag in dieſem Lager
ruhig ſtehen zu bleiben . Jch ſchlug dem Paſcha vor , dieſe
Kuͤhnheit durch einen naͤchtlichen Angriff zu ſtrafen .
Mit dem Hauptmann L. war ich gegen Abend ganz
dicht an das aͤgyptiſche Bivouak heran geritten ; wir fan-
den vor uns keine Vorpoſten , nur auf den Hoͤhen links
ſchwaͤrmten einzelne Hannady-Araber , und vierzig Geſchuͤtze
ſtanden dicht vor der Front aufgefahren . Unſere tuͤrkiſchen
Begleiter waren ruͤckwaͤrts auf einem Berge halten geblie-
ben und beobachteten uns und den Feind durch Fernglaͤſer .
Sie behaupteten , daß man beſchaͤftigt geweſen , ein Geſchuͤtz
auf uns zu richten , was ſehr viel Ehre geweſen waͤre , und ,
wie Jeder weiß , wenig Gefahr hat . Nachdem wir eine
ſehr guͤnſtige Aufſtellung fuͤr zwoͤlf Haubitzen in einer Ver-
tiefung 1600 bis 1800 Schritte vom Feinde gefunden , kehr-
ten wir zuruͤck .
Abends , eine Stunde vor Mitternacht , brachen wir
mit der Jnfanterie-Brigade Jsmael-Paſcha 's ( die ich
vom Kurdenkriege her als die beſte von allen kannte ) und
mit zwoͤlf Haubitzen auf ( Cavallerie hatte ich ausdruͤcklich
verbeten ) . Es war Vollmond , der Weg eben und gut ,
und Alles ging in tiefſter Stille vorwaͤrts ; die Jnfanterie
marſchirte in Colonnen nach der Mitte zu beiden Seiten
der Artillerie . Eine kleine Avantgarde ging nur achtzig
Schritte voraus ; ohne auf eine feindliche Patrouille zu ſto-
ßen , erreichten wir den Punkt , den wir uns ausgeſucht
hatten . Man hat nachmals geſagt , warum man das Un-
ternehmen nicht in groͤßerer Staͤrke ausfuͤhrte ; die ſo ſpra-
chen , waren freilich nicht zugegen , um die Verwirrung zu
ſehen , welche eintrat , als nur zwoͤlf Geſchuͤtze in gewiſſer
Naͤhe vom Feinde abprotzen ſollten ; auch von der Jnfan-
terie kamen verſchiedene hohe Anfragen , ob es nicht ſchon
nahe genug ſei , worauf immer geantwortet wurde : „ Noch
lange nicht . “ Zu einem allgemeinen Überfall haͤtte gehoͤrt ,
in getrennten Colonnen einen Nachtmarſch , und auf demſel-
ben eine Rechtsſchwenkung auszufuͤhren mit Leuten , von
denen die groͤßere Haͤlfte eben nur auf einen Nachtmarſch
wartete , um ſich zu entfernen . Konnte man aber wohl
von Truppen , mit welchen ihr Anfuͤhrer nicht gewagt hatte ,
drei Stunden weit zuruͤck zu gehen oder unter den guͤnſtig-
ſten Verhaͤltniſſen ( am 22. ) einen Angriff zu machen , konnte
man von ſolchen Truppen erwarten , daß ſie durch das Feuer
von vierzig Geſchuͤtzen hindurch ſich auf uͤberlegene Waffen
ſtuͤrzen wuͤrden , denen die Moͤglichkeit einer Flucht durch
den Fluß in ihrem Ruͤcken benommen war , und welche nicht
etwa , wie wir , in Zelten lagerten , ſondern zwiſchen ihren
Gewehren bivouakirten ; Truppen , die nur von der Erde
aufzuſtehen brauchten , um bereit zum Empfange ihres Geg-
ners zu ſein ? Der Paſcha war gewohnt , von mir nur
ſolche Vorſchlaͤge zu hoͤren , deren Ausfuͤhrung ich ſelbſt in
die Hand nahm , und fuͤr welche ich die Verantwortlichkeit
tragen konnte .
Nachdem Hauptmann L. jedes Geſchuͤtz einzeln revi-
dirt , und ich die Jnfanterie zu beiden Seiten aufgeſtellt
hatte , ward das Signal „ Feuer ! “ gegeben . Gleich die
erſte Granate ſchlug mitten unter die Wachtfeuer ein und
platzte dort , nun folgte Schuß auf Schuß , und die Gra-
naten zogen in feurigen Bogen am naͤchtlichen Himmel ent-
lang ; faſt alle platzten unmittelbar nach dem erſten Auf-
ſchlag , und bei den dichten Haufen , in welchen der Feind
lagerte , muß die Wirkung furchtbar , die erſte Beſtuͤrzung
groß geweſen ſein . Bald aber erwiederte der Feind unſer
Feuer ; das Gras vor unſern Geſchuͤtzen hatte ſich zu einer
leichten Feuersbrunſt entzuͤndet und zeigte ſie dem Gegner ;
dieſer mochte uns aber nicht ſo nahe glauben , als wir wirk-
lich waren , die mehrſten Kugeln gingen uͤber unſere Koͤpfe
hin , und erſt auf dem Ruͤckzug , als unſere Granaten ver-
ſchoſſen , paſſirten wir ein ziemlich ſtarkes Strichfeuer . Jn-
deß hatte nur die Jnfanterie einige Verwundete , die Artil-
lerie gar keine , und die Geſchuͤtze kamen ſaͤmmtlich in guter
Ordnung zuruͤck .
Dieſes kleine Unternehmen machte einen ſehr guten Ein-
druck auf unſere Leute , die hier zum erſtenmale ſelbſthan-
delnd aufgetreten waren . Bei der Ruͤckkehr empfingen wir
die Gluͤckwuͤnſche der Paſcha's ; ſie waren ſaͤmmtlich auf
eine Hoͤhe geritten , von wo ſie glaubten , daß der Angriff
vor ſich gehen werde , dieſe aber lag gewiß zwei tauſend
Schritte hinter unſerer Aufſtellung . Die Leute haben hier
ganz eigene Begriffe von Naͤhe und Ferne .
Jn dieſer Nacht ſchlief ich drei Stunden , dann ließ
der Paſcha mir ſagen , das Corps Jbrahims ſei im An-
marſch . Wirklich war daſſelbe fruͤh aufgebrochen und be-
wegte ſich in drei Colonnen gerade auf Biradſchik zu , ſo ,
daß es bald zwiſchen uns und unſern Magazinen ſtand . —
Jbrahim ſetzte Alles aufs Spiel , wurde er geſchlagen , ſo
hatte er jetzt gar keinen Ruͤckzug mehr ; aber er hatte voll-
kommen Recht , ſo zu handeln , er war in der Lage , wo er
nur Alles gewinnen , oder Alles verlieren konnte .
Jn der Nacht waren mehrere hundert Deſerteure an-
gekommen , auch in allen vorhergehenden fanden ſich Offi-
ziere und Soldaten mit Gewehr ein .
Nachdem wir einmal auf unſere gute Stellung von
Biradſchik freiwillig verzichtet , mußten wir die Schlacht da
annehmen , wo Jbrahim ſie uns bot . Es kam jetzt dar-
auf an , ſchnell eine neue Front herzuſtellen , zu dem Ende
ließ ich den rechten Fluͤgel , die gedachte große Batterie und
die Garden ſtehen , ſie bildeten den rechten der neu zu neh-
menden Aufſtellung ; links von ihnen kamen drei Linien-
Jnfanterie-Brigaden ; die Rediffs oder Landwehr-Brigaden
blieben in Reſerve , eine hinter dem rechten , eine hinter
dem linken Fluͤgel und zwei hinter der Mitte . Jn der er-
ſten Linie ſtanden 14 Bataillone und 92 Geſchuͤtze , in der
zweiten Linie 13 Bataillone , in der Reſerve 24 Bataillone ,
9 Cavallerie-Regimenter ( 42 Eskadrons ) und 13 Geſchuͤtze .
Vor der Front befanden ſich zwei waͤhrend der Nacht durch
den Hauptmann von M. aufgeworfene Schanzen , der rechte
Fluͤgel lehnte an Ravins , der linke ſtand in einem lichten
Oliven-Wald ; die Reſerve befand ſich in einer Vertiefung
des Terrains , ungeſehen , die unregelmaͤßigen Truppen wa-
ren ganz links in das Gehoͤlz geſtellt .
Nachdem jedes Bataillon , jede Batterie und jedes ein-
zelne Cavallerie-Regiment auf ſeinen Platz geſtellt , befand
ſich der Gegner noch auf dem Marſch in der Richtung
nach Biradſchik . Jch hatte Zeit , mit dem Hauptmann L.
ein Huhn gemaͤchlich zu verzehren , wobei die Umſtehenden
unſern guten Appetit bewunderten ; dann ritt ich noch etwa
tauſend Schritte vor die Stellung vor und brachte dem
Paſcha , der noch immer fuͤr ſeine linke Flanke beſorgt war ,
die Verſicherung zuruͤck , daß dem rechten eben ſo bedeutende
Maſſen gegenuͤber ſtaͤnden , als dem linken Fluͤgel . Jbra-
him-Paſcha hatte in allen fruͤheren Schlachten dieſen Fluͤ-
gel umgangen , und ſein Marſch am Morgen deutete die-
ſelbe Abſicht an . Jn der Schlacht am 24. Juni aber fand
durchaus kein Ueberfall ſtatt , und der Umgehung war vor
Anfang des Gefechts bereits durch eine neue Aufſtellung
begegnet . Alles ſtand ſeit einer Stunde bereit , und die
Soldaten hatten ihre Torniſter hinter ſich gelegt , um be-
quemer zu feuern . Die Bataillone der erſten Linie hatten
deployirt , die des linken Fluͤgels ihre Tirailleurs vorgezo-
gen , die Reſerve-Jnfanterie ſtand in Colonne nach der
Mitte .
Jm gerechten Vertrauen auf die Untuͤchtigkeit unſerer
Cavallerie hatte der Feind in Entfernung von einer Stunde
vor unſerer Front ſeinen Flankenmarſch ausgefuͤhrt ; uns
zunaͤchſt marſchirte der groͤßte Theil ſeiner Cavallerie und
Artillerie , wohl 120 Geſchuͤtze , rechts derſelben die Jnfan-
terie und die Reſerve von allen Waffen ; die Tiefe dieſer
Colonne betrug wohl drei Viertelſtunden . Es wurde ein
kurzer Halt gemacht , dann ging die Artillerie im Trabe
vor und eroͤffnete ihr Feuer ; die Jnfanterie blieb Anfangs
ganz aus unſerer Schußweite zuruͤck , zur Deckung der Ar-
tillerie ging die Cavallerie mit vor . Dieſe Anordnung war
ſehr verſtaͤndig , ſie hatte die Folge , daß unſer ſehr lebhaf-
tes Feuer ſich auf einen weiten Raum zerſplitterte und die
feindliche Reſerve gar nicht erreichte , waͤhrend das des
Gegners den ganzen Raum unſerer Aufſtellung mit Kugeln
uͤberſchuͤttete . Die feindliche Artillerie war in ſehr großer
Entfernung abgeprotzt , von unſerm rechten Fluͤgel war ſie
gewiß 2000 Schritte entfernt , auf dem linken etwas naͤ-
her , ſie ſchoß daher mit großer Elevation . Die Kanonen-
kugeln kamen wie die Granaten von oben herab , auch ſo
matt , daß man ſie mit den Augen verfolgen konnte ; dieſer
Umſtand war beſonders unguͤnſtig fuͤr uns : ruͤckte der Feind
gleich nahe heran , ſo konnte die erſte Linie allerdings noch
mehr leiden , die zweite aber ſtand ſchon zum Theil , die Re-
ſerve ganz gegen den geraden Schuß gedeckt ; ſo aber hat-
ten wir ſchon in wenigen Minuten kaum ein einziges Ba-
taillon , welches nicht durch Verluſte moraliſch erſchuͤttert
worden waͤre . Sieben Achtel dieſer Leute hatten noch nie
eine Kugel ſauſen gehoͤrt ; wenn zuweilen eine Granate in
eine Colonne einſchlug und dort krepirte , ſo ſtaͤubten ganze
Compagnien vorlaͤufig auseinander .
Der Paſcha hatte mich nach dem rechten Fluͤgel ge-
ſandt , um zu ſehen , ob eine Vorwaͤrts-Bewegung deſſelben
vielleicht mit den Garden und einem Theile der Reſerve
auszufuͤhren ſei . Der Feind war aber fuͤr die Offenſive
noch viel zu weit entfernt ; Hauptmann M. war beſchaͤf-
tigt , die rechte Fluͤgel-Batterie etwas naͤher an den Feind
zu bringen , aber auf kurze Entfernung protzte dieſe ſchon
wieder ab , und ließ ſich nicht abhalten , ein lebhaftes Feuer
zu beginnen . Jndeß war auf dem rechten Fluͤgel waͤhrend
der erſten drei Viertelſtunden Alles in guter Ordnung , eben
ſo hatte Hauptmann L. den linken Fluͤgel verlaſſen , der
noch naͤher und lebhafter angegriffen war . Einen Capi-
tain , der mit ſeiner halben Batterie abgefahren war , hatte
L. mit vorgehaltenem Piſtol wieder in die Schlachtlinie zu-
ruͤck gefuͤhrt . Aber bald darauf aͤnderte ſich Alles .
Als ich nach dem Centrum zum Paſcha zuruͤckkehrte ,
fand ich zu meinem Schrecken die Linien-Brigade , welche
ich auf dem linken Fluͤgel angeſtellt , in der Vertiefung der
Reſerve ſtehen ; ich rief dem Commandeur des zweiten Re-
giments namentlich zu , forderte ihn auf , noch einmal vor-
zugehen , der Gegner ziehe ſich ſchon zuruͤck , es komme dar-
auf an , nur noch eine halbe Stunde auszuhalten — aber
umſonſt . Schon kamen einzelne Geſchuͤtze , ſelbſt Pferde mit
abgeſchnittenen Straͤngen zuruͤck ; einige Munitionswagen
waren aufgeflogen ; faſt alle Bataillone ſtanden mit erho-
benen Haͤnden und beteten , wozu freilich der Commandi-
rende den Befehl ertheilt haben ſoll . Unter dem Vorwand ,
Verwundete wegzubringen , entfernten ſich Trupps von 4 ,
5 Mann ; die Reſerve ruͤckte hin und her , um dem Strich-
feuer auszuweichen ; kurz moraliſch war die Schlacht ſchon
verloren . Eine lebhafte Kanonade war allerdings das Un-
angenehmſte , was dieſer Truppe begegnen konnte . Ein Ba-
taillon von 480 Mann hatte nach Ausſage des Comman-
deurs 60 Todte . Die des linken Fluͤgels werden wohl
ſaͤmmtlich eben ſo viel gehabt haben , dennoch glaube ich
nicht , daß wir auf dem Schlachtfelde mehr als 1000 Todte
und Verwundete uͤberhaupt gehabt haben .
Jn dem Augenblicke , wo ich den Paſcha aufmerkſam
darauf machte , daß es unerlaͤßlich ſei , den linken Fluͤgel
wieder vorzufuͤhren , ſtuͤrzte die Garde-Cavallerie-Brigade
ohne Befehl , wohl nur aus Unbehagen , aus der Reſerve
zu einem Angriff vor , der nicht einmal bis uͤber unſere erſte
Jnfanterie-Linie hinaus gekommen iſt ; einige Granaten
ſchlugen in dieſe Maſſen ein , ſie kehrten in wilder Eil um ,
ritten uns uͤber und brachten die Jnfanterie in Verwirrung .
Der Paſcha war nach dem rechten Fluͤgel geritten , wo er
wohl den Tod ſuchte . Er ſelbſt fuͤhrte die Fahne eines
Garde-Rediff-Bataillons vor , aber das Bataillon folgte
nicht . Von dem weitern Verlaufe der Schlacht laͤßt ſich
wenig ſagen : Die Brigade Halid-Paſcha 's wurde durch
den Tod ihres braven Anfuͤhrers erſchuͤttert , dem eine Ku-
gel den Kopf fortriß , waͤhrend er vor der Front durch ſein
Fernglas ſah ; die Brigaden Jsmael und Muſtapha wi-
chen zuletzt zuruͤck , nachdem ſie einen Cavallerie-Angriff ab-
geſchlagen ; das 1ſte Regiment der Brigade Heider-Pa-
ſcha , welches zuerſt ſeinen Platz auf den linken Fluͤgel ver-
laſſen , hielt nachher am laͤngſten Stand gegen die feind-
liche Jnfanterie , und ſein Anfuͤhrer wurde gefangen genom-
men ; ſonſt aber iſt ein eigentliches Nahgefecht gar nicht
vorgekommen . Die Jnfanterie feuerte in ungeheurer Ent-
fernung , oft aus der Colonne , das Gewehr in die Hoͤhe ab ,
die Cavallerie zerſtreute ſich und bald loͤſte ſich Alles auf .
Die Artillerie hatte ſich eigentlich noch am beſten gewehrt .
Da ich ſo gluͤcklich geweſen war , mit meinen zwei Ca-
meraden gegen Ende des Gefechts im Centrum zuſammen
zu treffen , ſo beſchloſſen wir , uns an einander zu halten .
Uns kam es beſonders darauf an , einen Vorſprung vor
den Fluͤchtlingen zu gewinnen , denn ſobald der Ruͤckzug an-
gefangen , waren alle Bande der Disciplin geloͤſet . Die
Kurden , und dieſe bildeten die groͤßere Haͤlfte unſers Corps ,
waren unſere Feinde ; ſie ſchoſſen auf ihre eigenen Offiziere
und Cameraden , ſperrten die Gebirgswege und machten
mehrere Angriffe auf Hafiß-Paſcha perſoͤnlich . Andere
Fluͤchtlinge warfen die Gewehre weg , ſtreiften die laͤſtige
Uniform ab und wanderten froͤhlich und ſingend ihren Doͤr-
fern zu . Wir gingen am Abend bis Aintab , neun Stun-
den weit ; dort aber ergriffen noch in derſelben Nacht ſaͤmmt-
liche Einwohner die Flucht aus Furcht vor Jbrahims
Rache ; wir mußten daher auch dieſe Nacht noch mit un-
ſern muͤden Pferden aufbrechen , marſchirten den ganzen
folgenden Tag ohne Lebensmittel fuͤr uns und ohne Gerſte
fuͤr die Thiere , und trafen Abend an einem Bache , vier
Stunden von Maraſch ein , wo ſich wenigſtens Waſſer und
Gras vorfand .
Jch ſelbſt war bis zur gaͤnzlichen Kraftloſigkeit er-
ſchoͤpft , als wir am 26. Morgens in Maraſch eintrafen ,
wo wir einige Erholung fanden . Mein Pferd hatte ich in
der Nacht vor der Schlacht , dann waͤhrend derſelben
und zwei Tage und eine Nacht nach derſelben geritten , ohne
daß das Thier etwas Anderes als duͤrres Gras zu freſſen
bekam .
Jn Maraſch ſammelten ſich allmaͤhlig viele Fluͤchtlinge .
Bemerkenswerth ſchienen mir die Aeußerungen der Offi-
ziere , welche die fruͤhern Schlachten von Homs , Beylan
und Koniah mitgemacht , wo die Tuͤrken ihren Gegner an
Zahl weit uͤberlegen geweſen waren ; ſie behaupteten , daß die
von Niſib weit blutiger und der Widerſtand beſſer und kraͤf-
tiger , als in allen vorhergehenden Gefechten geweſen ſei !!
Der Ruͤckzug aber koſtete fuͤnf Sechstel des ganzen Corps ,
und außerdem das ganze Material der Artillerie ; die Land-
wehr ging faſt in corpore nach Hauſe . Die Brigade Mah-
mud-Paſcha 's beſteht heute aus 75 Mann , die von Be-
kir-Paſcha , welche 5800 Mann ſtark war , aus 351 ꝛc .
Nur die Cavallerie , welche aus Spahi's ( Lehnsmaͤnner )
beſteht , iſt groͤßtentheils beiſammen . Du ſiehſt hieraus ,
mit was fuͤr Elementen wir zu thun hatten .
Die Unordnung in Jbrahims Corps muß indeß faſt
eben ſo groß geweſen ſein . Am Tage einer ſiegreichen
Schlacht gingen zwei Bataillone zu uns uͤber , und aͤgyp-
tiſche Cuiraſſiere begleiteten unſere Reiter auf ihrer Flucht ;
3000 Gewehre wurden an dieſem Tage im Lager von Bi-
radſchik von Fluͤchtlingen abgeliefert , die ſich dort uͤber den
Euphrat retteten , und es wurde behauptet , daß Jbrahim
auf ſeine eigenen , zuruͤckweichenden Bataillone gefeuert habe ,
was ich jedoch nicht fuͤr beſtimmt ausgeben kann . So
hing die Entſcheidung an einem Faͤdchen , und ſo kam es ,
daß der Sieger auch nicht die kleinſte Verfolgung unter-
nahm . Bei der Dispoſition unſerer Truppen ſchien dies
freilich auch kaum noͤthig , aber dadurch wurde es moͤglich ,
daß der groͤßte Theil der Fluͤchtlinge ſich rechts in die
Berge warf , und auch Hafiß-Paſcha den Weg nach
Rumkaleh und Behesne einſchlug , auf welchem aber kein
einziges Geſchuͤtz fortgebracht werden konnte .
Mein Weg vom Schlachtfelde hatte mich durch unſer
altes Lager gefuͤhrt , und ich ritt heran , um zu ſehen , was
aus meinen Leuten uud Pferden geworden . Vor meinem von
einer Kugel durchloͤcherten Zelte fand ich einen meiner Maul-
eſel erſchoſſen , in dem Zelte meine ſaͤmmtlichen Sachen zum
Aufladen bereit und einen fremden verwundeten Menſchen ;
die Dienerſchaft aber mit acht Pferden war davon . Un-
ſere eigene irregulaire Reiterei war die erſte geweſen , welche
die Zelte pluͤnderte , wobei ſie von feindlicher Cavallerie ge-
ſtoͤrt zu ſein ſcheint . Der Tſchauſch , welcher mich im Ge-
fecht begleitete , hatte ſich auch etwas fruͤh fortgemacht ,
ich traf ihn aber gluͤcklicher Weiſe ſpaͤter wieder , und un-
ter dieſen Umſtaͤnden war eine tuͤrkiſche Bedeckung fuͤr un-
ſere Sicherheit unentbehrlich . Jch bedauere hauptſaͤchlich
den Verluſt eines Theils meiner Karten , von welchen ich
keine Copien beſitze .
Nachdem ich zwei Tage in Maraſch der Ruhe genoſ-
ſen , die mir unentbehrlich war , und wir erfahren hatten ,
daß Hafiß-Paſcha nach Malatia gegangen ſei , brachen
wir dahin auf . Alle direkte Communicationen waren jedoch
durch die Kurden und durch die turkmaniſchen Wander-
ſtaͤmme unterbrochen ; wir ſchloſſen uns demnach 80 Rei-
tern an , die unter Myſtik-Bey in Payas einen kleinen Jn-
ſurgentenkrieg gefuͤhrt , um auf dem Umwege durchs Ge-
birge zur Armee zuruͤckzukehren ſuchten . Nach einem ſehr
angeſtrengten Marſche erreichten wir ein befreundetes turk-
maniſches Aſchiret oder Lager auf einer koͤſtlich gruͤnen Ebene
mitten unter rauhen Felsgebirgen ; am folgenden Tage ging
es wegen Ermuͤdung der Pferde nur bis Gebenn , und den
dritten Tag ritt ich mit Hauptmann L. bis Goͤgſyn vor-
aus uͤber die ſchwierigen und verrufenen Engpaͤſſe von Ma-
riamtſchil-Kaleſſi . Der Umweg , den wir machen mußten ,
war wenigſtens fuͤr meine Karten ein Gewinn .
Jn Goͤgſyn fanden wir durch einen gluͤcklichen Zufall
einen Wagenzug von vierzig zweiraͤderigen , mit Buͤffeln be-
ſpannten Karren , welcher dem Corps Jſſet-Paſcha 's
nachfolgte . Es war ſchon Abend , und wir brachen , ob-
wohl wir den ganzen Tag geritten , ſogleich wieder mit auf .
Die Strecke von Goͤgſyn bis Jarpys ( neun Stunden ) war
ſehr unſicher durch Fluͤchtlinge und durch die Staͤmme At-
maly , Dſchorid und Tſchadarly . Man beſorgte , angegriffen
zu werden , da die Eskorte nur ſchwach war . Dieſer Nacht-
marſch ging nun natuͤrlich ſehr langſam und war ſo uner-
traͤglich , daß L. und ich mit unſern zwei Tſchauſchen allein
voraus ritten ; ermuͤdet legten wir uns gegen Mitternacht
in einen Buſch , um kurze Zeit zu ruhen . Wir wurden ge-
weckt von unſern Leuten , welche Menſchen im Gebuͤſch her-
umſchleichen geſehen haben wollten ; da der Mond aufge-
gangen und ich den Weg kannte , ritten wir gemach weiter
und erreichten mit aufgehender Sonne unangefochten Jar-
pys . Der Transport hingegen war angegriffen worden
und hatte einige Leute verloren . Jn Jarpys erfuhren wir
zu unſerer Freude , daß das Corps Jſſet-Paſcha 's hin-
ter Albiſtan lagerte ; wir ritten noch am naͤmlichen Tage
mit unſern muͤden Pferden weiter , und hatten die Freude ,
meinen Cameraden , den Hauptmann V. , dort zu treffen ,
der uns mit der freundlichſten Herzlichkeit empfing , und
uns armen Erſchoͤpften und Fluͤchtlingen nach langer Zeit
einmal wieder eine gute Aufnahme bereitete . Wir fielen
ſogleich uͤber ſeine Eßwaaren , ſeine Kleider und Waͤſche
her , machten vier Theile , und nahmen jeder einen , ſo daß
er nicht weniger gepluͤndert war , als wir ſelbſt . Wir folg-
ten nun dem Corps zwei Maͤrſche bis Derindeh , von wo
wir mit V. zuſammen in zwei Tagemaͤrſchen durch den
Agtſche-Dagh zu Hafiß-Paſcha gelangten .
Hafiß-Paſcha empfing uns ſo wohlwollend und gut ,
wie man es in ſeiner Lage nur erwarten konnte . Ein tuͤr-
kiſcher commandirender General , welcher geſchlagen iſt , weiß
nicht allzu gewiß , ob er einen Kopf auf den Schultern hat ,
oder nicht . Alles Commando hoͤrt dann auf , daher iſt von
einer Verfolgung des Siegs in dieſen Laͤndern noch ein
unendlich groͤßeres Reſultat zu erwarten , als uͤberhaupt
ſchon ſonſt . Die Correſpondenz mit Konſtantinopel mittelſt
Tataren erfordert mindeſtens ſechzehn Tage , und daher
weiß Hafiß-Paſcha heute noch nicht , ob er Seraskier
des Orients , oder ein verurtheilter Verbannter iſt . Dieſe
Entſcheidung wird taͤglich erwartet .
Seitdem man aber in Konſtantinopel uͤber den Fall
berathen , haben andere wichtige Ereigniſſe ſtattgefunden .
Gleich bei unſerer Ankunft hier erfuhren wir , daß das
Corps Osman-Paſcha 's von Kaiſarieh , 3000 Mann
ſtark , bei Goͤryn ſeine Gewehre weggeworfen und ausein-
ander gelaufen ſei ; acht Tage ſpaͤter war das Corps Jſſet-
Paſcha's , 12,000 Mann , bei Derindeh demſelben Bei-
ſpiele gefolgt . Dieſe ſchmaͤhliche Deſertion wirft ein Licht
auf die hieſigen Zuſtaͤnde , ſchlimmer , als alle verlorenen
Schlachten .
Wir hatten uns vorzuͤglich zu Hafiß-Paſcha ver-
fuͤgt , weil zu erwarten ſtand , daß hier Arrieregarden-Ge-
fechte ſtattfinden wuͤrden ; wir fanden aber die tiefſte Ruhe .
Jbrahim-Paſcha iſt nach ſeinem Siege wie angebannt
ſtehen geblieben . Wenn diplomatiſche Vermittelung dieſen
Zauber uͤben kann , nachdem das Ungluͤck geſchehen , ſo iſt
nur zu bedauern , daß ſie nicht eingeſchritten , um es ganz
zu vermeiden ; in der That glaube ich , hatte man in Eu-
ropa von dem wahren Zuſtand keine richtige Kenntniß gehabt .
Mehmet-Aly und die Pforte ſtanden wie zwei Ringer ,
welche die hoͤchſte gleichmaͤßige Anſtrengung aller ihrer Kraͤfte
in einen Zuſtand anſcheinender Bewegungsloſigkeit verſetzt ,
den man fuͤr Ruhe nahm . Zufrieden , hier keinen Kampf
zu ſehen , ſagte die europaͤiſche Diplomatie : „ Sehr gut ;
nun bleibt aber auch ſtill , und wer von euch ſich zuerſt
regt , den werden wir als Agreſſeur bezeichnen . “ Sieben
Jahre ſtanden die beiden ungluͤcklichen Ringer ſo , da fuͤhlte
der eine , daß die Kraͤfte ihm ausgehen ; er machte eine
verzweifelte Anſtrengung und erlag .
65.
Ruͤckkehr nach Konſtantinopel . — Empfang beim Ve-
ſier . — Audienz beim Sultan Abdul-Medſchid .
Konſtantinopel , den 10. Auguſt 1839 .
Der Großherrliche Ferman , welcher Hafiß-Paſcha
vom Ober-Befehl entband und ihn vorlaͤufig nach Sivas
beſchied , wurde am 28. Juli feierlich verleſen . Mehmet-
Aly-Bey , der kaiſerliche Abgeſandte , hatte uns eingela-
den , ihn auf ſeiner Reiſe zu Lande nach Konſtantinopel zu
begleiten , da er aber noch in Angora und Kutahja ver-
weilen ſollte , ſo zogen wir es vor , mit dem am 3. Auguſt
26
von Samſun abgehenden Dampfboote uns einzuſchiffen . Jch
begleitete meinen Paſcha nach Sivas , und es kam nun dar-
auf an , jenen Hafen noch fruͤhzeitig genug zu erreichen ,
was nur durch einen Gewaltritt geſchehen konnte . L. und
ich beſchloſſen , den Verſuch zu wagen , V. war zwei Tage
fruͤher abgereiſet ; wir nahmen einen Tataren , dem wir die
Bedingung ſtellten , daß , wenn wir vor Abgang des Schiffs
ankaͤmen , er einen Beutel oder 50 Gulden als Belohnung ,
wenn wir aber nur eine Minute ſpaͤter eintraͤfen , er gar
nichts bekommen ſolle . Der Mann uͤberlegte ſich die Sa-
che , denn vor uns her zogen eine Menge tuͤrkiſcher Bey 's
und Aga 's , welche wahrſcheinlich alle Poſtpferde ſchon in
Beſchlag genommen , dann ſagte er : eyi söiledin ! — Du
haſt gut geſprochen ; — bakalum , — wir wollen es ver-
ſuchen ; bei meinem Kopf , wir werden ankommen , — basch
üstüne ! Nach einer Stunde ſaßen wir im Sattel und
jagten uͤber die Hochebene auf den Jildis-Dagh oder
„ Sternberg “ zu . Am folgenden Morgen ſtiegen wir die
ſteilen Waldſchluchten nach Tokat hinab und erreichten ſpaͤt
Abends Turhall ; dort waren nun aber keine Pferde mehr
zu beſchaffen , erſt am folgenden Morgen kamen einige aus
Amaſia zuruͤck ; wir nahmen ſie ſogleich in Beſchlag , aber
die Thiere waren ſo ermuͤdet , daß wir fuͤrchten mußten ,
liegen zu bleiben , ehe wir den zwoͤlf Stunden weiten Ritt
vollendet haben wuͤrden ; demnach entſchloſſen wir uns zu
einem Umweg uͤber Sileh , dem alten Zehlah , wo wir Pferde
zu finden hofften . Die Stadt hat eine ſchoͤne Lage in einer
fruchtbaren Ebene am Fuße des Gebirges ; ein hoher kuͤnſt-
licher Berg traͤgt die alte Citadelle und Mauern mit Thuͤr-
men umſchließen den Ort ; dieſer iſt indeß faſt zu Grunde
gerichtet durch die Bedruͤckungen Haſſan-Bey 's , welcher
ſich dafuͤr ein prachtvolles Konak zu Sivas erbaut hat .
Obwohl die Einwohner drohten , ſich gegen die Pforte zu
erheben , fanden wir gute Aufnahme und treffliche Pferde ;
es fing ſchon an dunkel zu werden , als wir in das tiefe
ſchoͤne Thal des Tokat-ſuj hinab ſtiegen , und erſt um Mit-
ternacht erreichten wir Amaſia . Obwohl uns die Tempe-
ratur noͤrdlich des Taurus um vieles gemildert erſchien ,
ſo war doch die Nacht druͤckend heiß ; in eine dichte Staub-
wolke gehuͤllt , ging es in der Dunkelheit auf dem holperi-
gen ſteinigen Pfad in vollem Rennen vorwaͤrts ; aber auf
dem Hof des Muͤſſelims fanden wir das ganze Gefolge Meh-
met-Aly-Bey 's , und nicht ein Pferd war zu haben .
Unſer Tatar war ſelbſt ſehr ermuͤdet , und glaubte , daß
es wohl nicht ſolche Eile haben werde : Ne japalym , —
was koͤnnen wir thun ? — ſagte er , zuͤndete ſeine Pfeife
an , und faßte ſich in Geduld . Das war nun unſere Ab-
ſicht nicht , wir forderten durchaus Pferde . Ohnaz ! —
es iſt unmoͤglich — ſagte der Tuͤrke ; olur ! — es wird ge-
hen — wir . Der Mann zuckte die Achſeln und blieb bei
ne japalym . Jetzt gab ich die Hoffnung auf , aber L. hatte
einen trefflichen Gedanken : er eroͤffnete dem Tataren , daß ,
nachdem er ſein Verſprechen nicht erfuͤllt , er auch nicht
weiter mit uns zu gehen brauche , und daß er ſich vor Ha-
fiß-Paſcha in Acht nehmen moͤge , den wir von ſeinem
Mangel an Eifer benachrichtigen werden . „ Dann werdet
ihr gar keine Pferde bekommen , auch morgen und uͤber-
morgen noch nicht . “ — „ Nichts iſt leichter als das , wir
haben dir 500 Piaſter verſprochen , die wir jetzt ſparen ;
ich werde ſogleich 250 davon auf dieſer , die uͤbrigen 250
auf der naͤchſten Station dem Jmrahor bieten , und heut
Abend ſind wir in Samſun . “ Wirklich wuͤrde der tuͤrki-
ſche Poſtmeiſter fuͤr ein ſo bedeutendes Trinkgeld dem Bey
ſelbſt ein Pferd geſtohlen und uns zugewendet haben , und
eine einfache Algebra lehrte unſern Tataren , daß er wohl
thun werde , ſich ſelbſt mit dem Manne fuͤr ein Geringeres
zu arrangiren . Die Reiſe ging nun unaufgehalten weiter ,
nur daß wir Alle auf's aͤußerſte ermuͤdet und erſchoͤpft
waren ; in den letzten 36 Stunden hatten wir 38 Wege-
ſtunden oder Lieues zuruͤck gelegt . Von einem Bergruͤcken
mit praͤchtigem Laubwald erblickten wir endlich das flim-
mernde Meer , und brachen , wie die Xenophontiſchen Grie-
chen , in lautes Freudengeſchrei aus ; in geſtrecktem Galop
ging es zwei Stunden den ſteilen Hang hinunter in die
Quarantaine von Samſun . Aber eine tuͤrkiſche Quaran-
taine dauert nicht laͤnger , als noͤthig iſt , um ein Empfeh-
lungsſchreiben des Paſcha's zu leſen , oder 50 Piaſter auf
ein Sophakiſſen hinzuzaͤhlen . Zu unſerer großen Freude
trafen wir V. noch an , welcher nicht mehr gehofft hatte ,
daß wir ihn einholen wuͤrden , und ſchifften uns am fol-
genden Morgen zuſammen ein .
Der eine Schritt von Samſun auf das oͤſterreichiſche
Dampfboot fuͤhrte uns aus der aſiatiſchen Barbarei in die
europaͤiſche Verfeinerung — wir forderten zu allererſt Kar-
toffeln , die wir anderthalb Jahre am ſchmerzlichſten ent-
behrt hatten , und eine Flaſche Champagner , um unſers
Koͤnigs Geſundheit an ſeinem Geburtstage hier auf den
Wellen des ſchwarzen Meeres zu trinken . Jn unſerer zer-
lumpten tuͤrkiſchen Kleidung , mager und abgezehrt , mit lan-
gen Baͤrten und tuͤrkiſchem Gefolge , wollte man uns erſt
gar nicht in die erſte Kabine laſſen , bis wir den Capitain
auf franzoͤſiſch anredeten . Es iſt nicht zu beſchreiben , wie
behaglich uns Alles vorkam ; da gab es Stuͤhle , Tiſche
und Spiegel , Buͤcher , Meſſer und Gabeln , kurz , lauter Be-
quemlichkeiten und Genuͤſſe , deren Gebrauch wir faſt ver-
lernt hatten . Hier erfuhren wir zuerſt den Abfall der Flotte ,
ein Geruͤcht , dem wir aber noch keinen Glauben ſchenken
wollten .
Am zweiten Morgen tauchten die weißen Leuchtthuͤrme
des Bosphor am Horizont auf ; bald entdeckten wir die
Brandung an den Kyaneen und die Batterien des Bos-
phors , dann ſchwebten Bujukdere , Therapia , endlich alle
die mir ſo wohl bekannten Doͤrfer des Bosphor an uns
voruͤber , bis die Spitze des Serajs vor uns leuchtete und
wir die Anker im goldenen Horn auswarfen .
Der ausgezeichnete Empfang , der uns von allen tuͤr-
kiſchen Großwuͤrdentraͤgern zu Theil ward , machte einen
ſehr angenehmen Eindruck auf uns ; ich fand meinen alten
Goͤnner Mehmet-Chosref-Paſcha aus der Verbannung
wieder zur hoͤchſten Macht erhoben . Er empfing mich mit
demſelben Wohlwollen wie fruͤher , und da ich ihn jetzt
ohne Dragoman ſprechen konnte , mußte ich ihm in Gegen-
wart des Miniſters des Jnnern und des Groß-Schatzmei-
ſters wohl eine Stunde lang erzaͤhlen . Man war ſehr ge-
neigt , alle Schuld auf Hafiß-Paſcha zu werfen und den
Stab uͤber ihn zu brechen ; der Veſier gab mir auf , ihm
einen ſchriftlichen Bericht uͤber alle Vorgaͤnge ſeit Aufbruch
der Armee einzureichen . Ohne im mindeſten die Fehler zu
bemaͤnteln , welche , wie ich glaube , Hafiß-Paſcha began-
gen , und woruͤber ich mich ja auch gegen ihn ſelbſt be-
ſtimmt genug ausgeſprochen hatte , war es mir doch ſehr
angenehm , ihn bei Chosref-Paſcha , der etwas auf dies
Urtheil gab , gegen die Anſchuldigungen rechtfertigen zu koͤn-
nen , welche ihn nicht trafen ; nicht ſeine Schuld war es ,
daß man ſtatt 80,000 Mann , uͤber die man disponirte ,
nur 40,000 ins Gefecht gebracht ; nicht ſeine Schuld , daß
man nicht alle Corps unter denſelben Ober-Befehl geſtellt
hatte , worauf wir in allen unſern Schreiben an den da-
maligen Seraskier ſo wiederholt gedrungen ; eben ſo wenig
konnte man ihm die fehlerhafte Zuſammenſetzung des Hee-
res aus zwei Drittel Kurden zur Laſt legen , die entſchieden
gegen ihren Willen dienten , und davon liefen , als die Ent-
ſcheidung kam . Hafiß-Paſcha iſt ein rechtlicher Mann
und unter den osmaniſchen Generalen immer noch der beſte .
Er hatte fuͤr die Ausbildung ſeines Corps gethan , was
irgend moͤglich . Der Paſcha ( und wir mit ihm ) glich
einem Kuͤnſtler , dem man aufgiebt , ein Gewoͤlbe zu bauen ,
und dem man ſtatt harten Steins nur weichen Thon bietet .
Wie richtig er auch ſeine Werkſtuͤcke fuͤgt , der Bau muß
bei der erſten Erſchuͤtterung doch in ſich zuſammen ſtuͤrzen ;
denn der Meiſter kann den Stoff formen , aber nicht um-
wandeln . Das Heer Hafiß-Paſcha 's war ohne Zwei-
fel die am weiteſten ausgebildete , am beſten disciplinirte ,
ausexerzierteſte , und doch die moraliſch ſchlechteſte Armee
geweſen , welche die Pforte jemals aufgeſtellt hat . Jch be-
ruhigte den Veſier uͤber die Beſorgniß , daß Hafiß-Paſcha
wie Achmet ( ſein Freund ) Parthei fuͤr Mehmet-Aly er-
greifen koͤnne , und ſtellte ihm vor , daß der Augenblick , wo
ganze Corps ihre Waffen weggeworfen und die Flotte uͤber-
gegangen , nicht der paſſende ſei , um ſtrenge gegen einen
General zu verfahren , der ungluͤcklich , aber perſoͤnlich brav
gegen einen uͤberlegenen Feind gefochten hatte . Jch bat
einige der einflußreichſten Diplomaten , ſich fuͤr Hafiß-
Paſcha zu verwenden , welcher auch bald darauf begnadigt
und mit dem Paſchalik von Erzerum belehnt wurde .
Je ungluͤcklicher der kriegeriſche Akt ausgefallen , in
welchem wir mitgehandelt , je mehr mußten wir darauf drin-
gen , durch eine oͤffentliche Anerkennung beſtaͤtigt zu ſehen ,
daß wir keinen Theil an den Urſachen des uͤbeln Erfolges
gehabt haͤtten . Unterdeß war der Sultan geſtorben , die
Geſandten hatten ihre neuen Creditive noch nicht erhalten
und keiner war bis jetzt dem neuen Herrn vorgeſtellt ; ein
Schreiben des maͤchtigen Veſiers verſchaffte uns aber ſo-
gleich eine Audienz , in welcher wir von Sr. Hoheit huld-
reich empfangen , beſchenkt und entlaſſen wurden . Der Se-
raskier aͤußerte , daß es ihm ſehr lieb ſein wuͤrde , wenn
wir wieder nach Konſtantinopel zuruͤckkehren moͤgten , ſobald
die jetzige Verwickelung geloͤſet ſein werde , um ſo mehr ,
als wir ihre Sprache und Sitte jetzt kennten ; und er
hoffe , daß wir mit ihnen ſo zufrieden ſein wuͤrden , als ſie
es mit uns geweſen .
Wir trafen den Sultan zu Beglerbeg in denſelben
Saͤlen , in welchen ſein Vater uns vor zwei Jahren ſo gnaͤ-
dig und freundlich empfangen , und der Anblick des jungen
Monarchen erinnerte mich lebhaft an den Hingeſchiedenen .
Abdul-Medſchid iſt ein junger Mann von gutem Aus-
ſehen ; obwohl er erſt 17 Jahre alt ſein kann , ziert doch
ſchon ein ſtattlicher ſchwarzer Bart das feine , etwas blaſſe
Antlitz ; der Großherr ſcheint weniger von kraͤnklicher als
zarter Conſtitution zu ſein ; er traͤgt ganz die Tracht ſeines
Vaters , den rothen Feß mit der Brillant-Agraffe , und den
weiten dunkelblauen Mantel ; aber er erſchien mir ſchweig-
ſamer und ernſter , als Sultan Mahmud . Er hat wohl
Urſache ernſt zu ſein .
66.
Sultan Mahmud II .
Konſtantinopel , den 1. September 1839 .
Heute beſuchte ich das Grab des verſtorbenen Groß
herrn . Auf dem Bergruͤcken zwiſchen dem Marmor-Meer
und dem Hafen , unfern der Moſchee Nuri-Osman , uͤber-
ſchaut man das ganze Panorama von Staͤdten und Mee-
ren , Gebirgen , Jnſeln , Schloͤſſern und Flotten , welches ſich
an keinem andern Punkte des Erdballs ſo reich zuſammen-
ſtellt ; dort , hatte einſt Sultan Mahmud geaͤußert , wolle
er begraben ſein , und dahin hatte man ſeinen Sarg ge-
bracht ; ein Zelt war uͤber demſelben aufgeſchlagen , und
das Tuͤrbeh oder Grabmal wird nun uͤber das Zelt ge-
woͤlbt , denn die Aſche des hingeſchiedenen Herrſchers darf
nicht noch einmal geſtoͤrt werden . Ruhe und Friede ſei
mit ihr ! Sultan Mahmud hat ein tiefes Leid durch 's
Leben getragen : die Wiedergeburt ſeines Volks war die
große Aufgabe ſeines Daſeins , und das Mißlingen dieſes
Planes ſein Tod .
Das letzte Jahrhundert ſah im Oſten von Europa einen
andern Staat ploͤtzlich aus ſeiner politiſchen Nichtigkeit er-
wachen , und indem er die Vorzuͤge abendlaͤndiſcher Bildung
ſich aneignete , ſchnell in die Reihe europaͤiſcher Großmaͤchte
eintreten . Kaum der Barbarei entſtiegen , greift er ſchon
maͤchtig ein in die Verhaͤltniſſe der geſitteten Welt ; wenn wir
nun die Reform von der finniſchen Bucht bis zum aſow-
ſchen Meere gluͤcklich durchgefuͤhrt ſehen , welche in den
reichgeſegneten Laͤndern vom Taurus bis zum Balkan ſo
gaͤnzlich mißlungen erſcheint , ſo iſt es natuͤrlich , nach den
Urſachen zu forſchen , welche den Erfolg des naͤmlichen Ver-
ſuches ſo durchaus ungleich geſtalteten . Es muͤſſen aber
bei dieſer Betrachtung nicht bloß Perſonen , ſondern auch
Verhaͤltniſſe ins Auge gefaßt , nicht bloß Peter der Große
mit Mahmud II . , ſondern die ganze Lage des damaligen
ruſſiſchen und des jetzigen osmaniſchen Reichs mit einan-
der verglichen werden .
Jn beiden Laͤndern konnte die Umbildung nicht aus
dem Volke hervorgehen , ſondern mußte ihm von oben her
aufgezwungen werden ; in beiden waren die Voͤlker das con-
ſervative , die Regierungen das revolutionaire Element , denn
nur die Maͤnner , welche am Staatsruder ſtanden , erkann-
ten die Nothwendigkeit einer Neugeſtaltung an , welche ſelbſt
gegen den Willen der dabei Betheiligten durchgefuͤhrt wer-
den mußte . Aber weſentlich verſchieden war die Aufgabe
des Zaaren , welcher die ſprudelnde Kraft eines jungen
Reiches in die rechten Bahnen zu leiten hatte , von der
des Sultans , welcher den abgelebten Staatskoͤrper Os-
mans neu beſeelen ſollte . Und eben ſo verſchieden ſind die
Anfangspunkte , von denen die beiden Herrſcher ausgingen ,
um das große Werk zu vollbringen .
Religion und Sitte verboten dem jungen Zaaren nicht ,
ſich ſelbſt nach Europa zu verſetzen , mitten in die Laͤnder ,
von welchen er lernen wollte ; geſunder Sinn und raſtloſe
Thaͤtigkeit bezeichnen ſein Auftreten dort . Jn Saardam
zimmert er ein Boot , weil er ſpaͤter in Petersburg eine
Flotte bauen will , auf engliſchen Hochſchulen ſtudirt er die
Wiſſenſchaften , denen er in ſeine Staaten Eingang zu ver-
ſchaffen beabſichtigt ; und indem er die Pracht und Hoheit
ſeines Ranges mit dem gewoͤhnlichen Lebensverkehr ver-
tauſcht , lernt er Maͤnner kennen , deren Kenntniſſe und Tuͤch-
tigkeit ſpaͤter die Stuͤtzen ſeiner Unternehmung werden .
Wie ganz anders verfloß die Jugend des Sultans im
Seraj zu Konſtantinopel , in welches das Herkommen ihn
wie einen Gefangenen bannte , waͤhrend die Religion ihm
jeden Verkehr mit Fremden unterſagte . Man hat erzaͤhlt ,
die Mutter Sultan Mahmuds ſei eine Europaͤerin ( natuͤr-
lich eine Franzoͤſin ) geweſen : dieſe Behauptung moͤchte ſehr
ſchwer zu erweiſen ſein ; ſo viel iſt gewiß , daß der Groß-
herr nicht eine Sylbe Engliſch , Franzoͤſiſch oder Deutſch
verſtand ; er konnte daher auch die Kenntniß der Weltver-
haͤltniſſe aus Buͤchern nicht ſchoͤpfen , und ſeine wiſſenſchaft-
liche Bildung beſchraͤnkte ſich auf den Koran und auf die
Kenntniß der arabiſchen und perſiſchen Sprache , ſo weit
beide noͤthig ſind , um tuͤrkiſch zu ſchreiben . Der osmani-
ſche Prinz verkehrte nur mit den wenigen Perſonen , wel-
chen die Eiferſucht des Despotismus Zutritt geſtattete , und
dieſe waren Weiber , Verſchnittene oder Mollahs .
So war Mahmud 23 Jahre alt geworden , als eine
Empoͤrung ihn in die Welt hinaus rief , welche er bisher
nur durch die vergoldeten Gitter des Serajs erblickt hatte .
Als man ihn in dem weißen Kiosk uͤber dem Eingangs-
thore an der Gartenſeite des Serajs unter einem Haufen
Binſenmatten hervorzog , glaubte er , es geſchehe , um ihn
auf das Geheiß ſeines Bruders zu erdroſſeln ; ſtatt deſſen
umguͤrtete man ihn mit dem Saͤbel Ejubs , und machte
ihn zum unumſchraͤnkten Beherrſcher eines weiten Reichs ,
von dem er eben nur die Luſtgaͤrten am Bosphorus kannte .
Was der neue Großherr uͤberhaupt von den innern
und aͤußern Angelegenheiten ſeines Landes wußte , das ver-
dankte er unſtreitig ſeinem ungluͤcklichen Oheim , dem ent-
thronten Sultan Selim , zu deſſen Gunſten eben die Em-
poͤrung eingeleitet war , welche ihm das Leben koſtete , und
Mahmud zum Padiſchah erhob . Von Selim hatte dieſer
unſtreitig die Anerkennung europaͤiſcher Ueberlegenheit , die
Liebe zur Reform , den Haß gegen die Janitſcharen geerbt .
Sultan Mahmud erkaufte den Thron durch Unterhand-
lung mit Empoͤrern , denen er alle Forderungen bewilligen
mußte , und durch das Todesurtheil ſeines Bruders . Die
Familienbande ſind im Orient lockerer als bei uns , und
zerreißen auf dem Throne leichter , als in der Huͤtte ; Mu-
ſtapha war fuͤr Sultan Mahmud nur der Sohn ſeines
Vaters mit irgend einer Sclavin , und ſein Todfeind ; ſelbſt
wenn er ihm das Leben haͤtte ſchenken wollen , ſo wuͤrde er
es gegen den Willen des empoͤrten Volkes nicht vermogt
haben . Jndem Mahmud nachgab , opferte er den Muſta-
pha ſeiner Sicherheit , und war der letzte und einzige noch
uͤbrige Sproͤßling vom Stamme Osmans .
Die Regierungsperiode Sultan Mahmuds iſt bezeich-
net durch das Erwachen zum Selbſtbewußtſein der chriſt-
lichen Voͤlkerſchaften , welche ſeit Jahrhunderten unter dem
Drucke der Tuͤrken-Herrſchaft geſchmachtet , und der neun-
undzwanzigſte Enkel Osmans buͤßte fuͤr das Unrecht ſei-
ner Vorfahren . Die Rajahs in Serbien , Moldau , Wal-
lachei und Hellas griffen zu den Waffen ; unter den Mos-
lem ſelbſt tauchte eine puritaniſche Secte ( die Wechabiten )
feindſelig auf ; der Erbfeind , der Moskowiter , bedraͤngte
die Nordgrenzen des Reichs , und die Paſcha's von Rume-
lien und Widdin , von Bagdad , Trapezunt und Akre , von
Damaskus und Aleppo , von Batakia und Janina pflanz-
ten einer nach dem andern das Banner der Empoͤrung auf ,
waͤhrend die Hauptſtadt ſelbſt von den Meutereien der Ja-
nitſcharen unaufhoͤrlich bedroht war .
Die herbe Erfahrung von achtzehn Regierungsjahren
hatte in Sultan Mahmud die innige Ueberzeugung erweckt ,
daß er bei den beſtehenden Staatseinrichtungen nicht fort-
regieren koͤnne , und daß er Herrſchaft und Leben an eine
Umgeſtaltung der Verhaͤltniſſe ſetzen muͤſſe , zu welcher er
die Muſter in den Einrichtungen des gluͤcklichen Abendlan-
des ſuchte . Wie unvorbereitet er auch die Bahn der Re-
formen betrat , ſo hatte er geſunden Verſtand genug , um
die unabwendbare Nothwendigkeit derſelben zu erkennen ,
und Muth genug , ſie durchzufuͤhren . Zur Erreichung ſei-
nes Zwecks gehoͤrte unerlaͤßlich , daß er jede zweite Gewalt
im Umfange des Reichs zu Boden warf und die ganze
Fuͤlle der Macht in ſeiner Hand vereinte ; daß er den Bau-
platz frei machte , bevor er ſein neues Gebaͤude errichtete .
Den erſten Theil ſeiner großen Aufgabe hat der Sultan
mit Klugheit und Feſtigkeit geloͤſet , an dem andern iſt er
zu Grunde gegangen .
Zunaͤchſt war es die zuͤgelloſe , muthwillige Gewalt der
Janitſcharen , welche gebeugt werden mußte . Dies Unter-
nehmen , bei welchem bereits vier Großherren Thron und
Leben eingebuͤßt , wurde durch Sultan Mahmud jahrelang
klug und beharrlich vorbereitet , und an einem Tage , in
einer Stunde kuͤhn und gluͤcklich vollendet . Am Mittage
des 14. Juni 1826 hoͤrte man in Pera den Donner der
Kanonen von Konſtantinopel heruͤberſchallen , und die naͤch-
ſte Nachricht war ſchon , daß die tuͤrkiſchen Strelitzen , die
Praͤtorianer des Jslam , nicht mehr exiſtirten . Geſtuͤtzt auf
die unter allerlei Namen und Verkappungen gebildeten re-
gulairen Truppen , und ganz beſonders auf einen großen
Theil der tuͤrkiſchen Bewohner der Hauptſtadt ſelbſt , aus-
geruͤſtet mit dem heiligen Banner des Propheten und einer
Verdammungs-Fetwa des Scheich-uͤl-Jslam , trat der Groß-
herr aus dem Seraj hervor ; Huſſein-Paſcha , der Janitſcha-
ren-Aga , war das thaͤtigſte Werkzeug ihrer Vertilgung .
Aber waͤhrend man die Kaſerne auf dem Atmeidan in der
Front mit Kanonen beſchoß , ließ man die Thuͤren der Ruͤck-
ſeite zur Flucht offen , und obwohl Stroͤme von Blut in-
nerhalb der alten Mauern von Rumeli-Hiſſar und an vie-
len andern Punkten des Reichs floſſen , war man froh , die
Kinder Hadſchi-Becktaſch nicht zu ſehen , welche ſich ver-
bergen wollten ; denn die Janitſcharen , welche 199 Orta
oder Bataillone zaͤhlten , bildeten den ſtreitbarſten Theil des
osmaniſchen Volkes ſelbſt . Nur die am hoͤchſten Stehen-
den , die Gefaͤhrlichſten und Trotzigſten , wurden mit ſcho-
nungsloſer Strenge geopfert , ſo die beruͤchtigte Otuß-bir ,
oder 31 ſte Orta , welche in den europaͤiſchen Doͤrfern am
Bosphorus hauſete , bis auf den letzten Mann vertilgt . —
Die bei weitem groͤßere Menge der Janitſcharen blieb im
Lande verborgen , und noch heute ſiehſt Du in allen Pro-
vinzen des Reichs alte kraͤftige Geſtalten , denen das Ab-
zeichen ihrer Orta auf dem rechten Arme mit unverloͤſch-
lichen blauen Zuͤgen eingeaͤtzt iſt . Die Jndividuen blieben ,
aber das Corps iſt vernichtet .
Die Ulema's waren ſtets mit den Janitſcharen gegen
die Willkuͤhr der Sultane verbuͤndet geweſen ; jetzt war es
moͤglich geworden , zwar nicht jene geiſtliche Koͤrperſchaft
zu unterwerfen , aber doch dieſelbe ſo weit einzuſchuͤchtern ,
daß ſie den Neuerungen nur eine verhehlte Abneigung und
heimlichen Widerſtand entgegen ſtellten . Zertruͤmmert war
ferner die erbliche Gewalt der ſogenannten Thal-Fuͤrſten
( Dere-Beys ) und einiger weniger großen Familien , wie die
Cara-Osman-Oglu und die Tſchapan-Oglu in Aſien , be-
ſiegt die uͤbermaͤchtigen Paſcha's der Provinzen mit Aus-
nahme eines Einzigen .
So hatte man die Bahn der Zerſtoͤrung durchlaufen
und war an den Zeitpunkt gekommen , wo Beſſeres geſchaf-
fen werden ſollte ; allein jetzt wurde es fuͤhlbar , wie viel
leichter es iſt , die Maͤngel eines Staatsgebaͤudes zu er-
kennen , als ihnen abzuhelfen , wie viel ſchwerer aufzubauen ,
als einzureißen .
Jn ſeinem eigenen Volke fand Sultan Mahmud auch
nicht einen erleuchteten Mann , der ihm bei ſeinen Neue-
rungen leitend oder helfend zur Seite geſtanden haͤtte ; es
iſt den Europaͤern faſt unmoͤglich , ſich den Standpunkt der
Jntelligenz im Orient ſo niedrig zu denken , wie er wirklich
iſt . Ein Tuͤrke , welcher leſen und ſchreiben kann , heißt
„ Hafiß “ , ein Gelehrter ; die Kenntniß des erſten und letz-
tes Verſes aus dem Koran vollendet ſeine Bildung , und
die vier Species ſind den wenigſten gelaͤufig . Einer der
tuͤrkiſchen Wuͤrdentraͤger , den ich den Aufgeklaͤrteſten nen-
nen moͤgte von allen , war dennoch ein eifriger Anhaͤnger
von Wahrſagungen und Traumdeuterei ; von der Kugel-
geſtalt der Erde konnte er ſich keine Vorſtellung machen ,
und nur aus Courtoiſie und weil wir ſo hartnaͤckig auf
dieſen Punkt beſtanden , gab er nach , daß ſie nicht flach
wie ein Teller ſei . Niemand ſpricht irgend eine europaͤi-
ſche Sprache , außer etwa die Renegaten , und viele Tuͤrken
in hohen Aemtern muͤſſen ſich die Briefe , welche ſie in ih-
rer eigenen Sprache erhalten , vorleſen laſſen ; ich erinnere
mich eines Generallieutenants , welcher mit der Rohrfeder
unaufhoͤrlich ſeinen Namen auf ein Blatt Papier malte ; er
hatte dieſe Kunſt eben erſt von ſeinem Kiatib oder Schrei-
ber erlernt . Bei dieſer durchaus nicht uͤbertriebenen Schil-
derung nehme ich diejenigen Osmanly aus , welche , zum
Theil mit großem Nutzen , ihre Ausbildung in Europa er-
hielten . Jene Maͤnner werden in Zukunft von der hoͤch-
ſten Wichtigkeit ſein . Sultan Mahmud hat das Verdienſt ,
dieſe Saat ausgeſtreut zu haben , aber er konnte die Fruͤchte
noch nicht ernten .
Es blieb demnach uͤbrig , ſich Raths bei den Frem-
den zu holen ; aber in der Tuͤrkei wird die beſte Gabe ver-
daͤchtig , ſobald ſie aus der Hand eines Chriſten kommt .
Peter der Große hatte 500 Offiziere , Jngenieure , Artille-
riſten , Wundaͤrzte und Kuͤnſtler fuͤr ſeinen Dienſt perſoͤn-
lich angeworben ; ſie theilten ſeine Muͤhe und ernteten die
Fruͤchte derſelben . Jn Rußland konnten die Fremden ge-
haßt ſein , in der Tuͤrkei ſind ſie verachtet . Ein Tuͤrke
raͤumt unbedenklich ein , daß die Europaͤer ſeiner Nation
an Wiſſenſchaft , Kunſtfertigkeit , Reichthum , Kuͤhnheit und
Kraft uͤberlegen ſeien , ohne daß es ihm entfernt in den
Sinn kaͤme , daß um deswillen ein Franke ſich einem Mos-
lim gleichſtellen duͤrfte ; dieſer unbeſiegliche Stolz wurzelt in
der Religion ſelbſt , welche dem Rechtglaͤubigen ſogar gebie-
tet , den Gruß eines Chriſten : „ selam aleikon “ — Heil
dir — nicht mit dem uͤblichen aleikon selam , ſondern nur
mit aleikon zu beantworten , was allenfalls auch : „ Fluch
dir “ heißen kann . Wenige Europaͤer werden unter ſo guͤn-
ſtigen Verhaͤltniſſen in der Tuͤrkei aufgetreten ſein , wie wir ;
die erſten Wuͤrdentraͤger des Reichs waren von der groͤß-
ten Aufmerkſamkeit , ſie erhoben ſich bei unſerm Eintritt ,
wieſen uns den Platz auf dem Divan an ihrer Seite an ,
und reichten uns ihre Pfeife zum Rauchen ; die Oberſten
raͤumten uns den Vortritt ein , die Offiziere waren noch
leidlich hoͤflich , der gemeine Mann aber machte keine Hon-
neurs mehr , und Frauen und Kinder ſchimpften gelegent-
lich hinter uns her . Der Soldat gehorchte , aber er gruͤßte
nicht , und obwohl bei beſondern Gelegenheiten die Wachen
in's Gewehr treten mußten , ſo wagte man doch noch nicht ,
von oben her den Grundſatz allgemein auszuſprechen , daß
der tuͤrkiſche Militair einem Gjaur Achtung zu bezeigen
habe . Wir waren hoͤchlich ausgezeichnete Jndividuen einer
aͤußerſt gering geſchaͤtzten Kategorie ; Franken aber , welche
den Tuͤrken ihre Dienſte fuͤr Bezahlung anbieten , befanden
ſich natuͤrlich in einer unendlich ſchlimmeren Lage ; die na-
tuͤrliche Folge iſt , daß ( mit wenigen hoͤchſt achtbaren Aus-
nahmen ) nur ſolche Subjecte dort aushalten , welche ſich
in jede Demuͤthigung ergeben , und daß Leute ſich in der
Tuͤrkei zu Lehrern aufwerfen , die in ihrer Heimath ſchlechte
Schuͤler waren . Lange kannten die Tuͤrken von den Eu-
ropaͤern nur die Vagabonden , und die uͤble Meinung , welche
ſie von den Franken haben , wird taͤglich nur zu ſehr durch
die Schwaͤrme von Abenteurern aller Art gerechtfertigt ,
welche bei allem Mangel an Polizei in Pera und Galata
ihr gelobtes Land finden .
Als Rußland ſeine Regeneration unternahm , befand
ſich dies Land in einer ſolchen Jſolirung von Europa , daß
die Staaten des Abendlandes faſt gar keine Kenntniß nah-
men von Maaßregeln , deren Wichtigkeit ſie erſt in ihren
gewaltigen Folgen erkannten . Wie ganz anders iſt das im
osmaniſchen Reiche ; man moͤchte ſagen , Europa nimmt
mehr Antheil an der Reform der Tuͤrkei , als die Tuͤrkei
ſelbſt . Der gemeine Mann wenigſtens begreift nicht , warum
der Hunkjar ſich die Muͤhe giebt , Gjaur zu werden , und
lebt noch immer in der Meinung , daß die Eltſchi's oder
Geſanden da ſind , um vom Padiſchah eine Krone fuͤr ihre
Koͤnige zu erbitten . — „ Warum , “ ſagte ein Mollah in der
Verſammlung zu Biradſchik , „ ſollten nicht heute noch zehn-
tauſend Osmanly aufſitzen und mit feſtem Glauben an Al-
lah und ſcharfen Saͤbeln bis Moskau reiten ? “ — „ Warum
nicht ? “ antwortete ein anweſender tuͤrkiſcher Offizier , „ wenn
ihre Paͤſſe von der ruſſiſchen Geſandtſchaft viſirt ſind , im-
merhin . “ Dieſer Offizier war Reſchid-Bey , welcher ſeine
Erziehung in Europa erhalten hat ; aber er ſagte es auf
franzoͤſiſch , wo er freilich das Kuͤhnſte ſagen durfte , denn
Niemand verſtand ihn . — Ne sarar var ! „ Was ſchadet's , “
meinten die Leute nach der Kataſtrophe von Niſib , „ der Pa-
„; diſchah iſt reich genug , um hin und wieder eine Schlacht
„; und ein paar Provinzen zu verlieren ! “ Die europaͤiſchen
Cabinette haben daruͤber eine andere Anſicht , alle ſprechen
den Wunſch aus , das osmaniſche Reich moͤglichſt geſtaͤrkt
und gekraͤftigt zu ſehen , aber jeder verſteht unter dieſem
Ausſpruch etwas Anderes . Frankreich iſt der Anſicht , daß
der Orient ſehr geſichert werden wuͤrde , wenn man die
Tuͤrkei und Aegypten gleich ſtark macht , pour avoir deux
fortes puissances en Orient . Das laͤuft ungefaͤhr dar-
auf hinaus , wie wenn man ſagt , wenn Du zwei Gewichte
in die politiſche Waagſchale werfen kannſt , ſo theile ſie ,
lege eins rechts , eins links , wobei denn noch das Bischen
Algerien als incommenſurabler Bruchtheil abfaͤllt , sauf l'in-
tégrité de la porte . England hingegen meint , daß man
vor Allem dem Großherrn zu dem Seinigen verhelfen ſollte ,
wo denn auch der Statthalter zu Alexandrien ſich nicht
beikommen laſſen wuͤrde , gegen Handelstraktate oder Eiſen-
bahnanlagen zu proteſtiren ; es nimmt nicht die geringſte
Kenntniß davon , daß die Pforte im Juni ein Heer und
eine Flotte verlor , und bietet dem Sieger als Friedens-
bedingung die Haͤlfte von dem , was er vor dem Siege be-
ſeſſen . Rußland hat eigentlich gegen einen Schattenfuͤrſten
am Bosphor und einen andern am Nil nichts einzuwen-
den , und von dieſer Macht begreift man , daß ſie den sta-
tus quo aufrecht erhalten wiſſen wollte . Griechenland ſo-
gar , welches doch daheim noch Manches zu thun hat , traͤumt
einen ſchoͤnen Traum von der Wiedergeburt des byzantini-
ſchen Reichs . Es iſt kaum moͤglich , irgend eine durchgrei-
fende Maaßregel in Anwendung zu bringen , ohne das Jn-
tereſſe einer der Maͤchte zu verletzen , und mancher Vor-
ſchlag wird von der einen ſchon um deswillen verworfen ,
weil er von der andern angerathen wurde . Der Einfluß
der Fremden in der Tuͤrkei iſt ſo groß , daß der Sultan
nicht Herr in ſeiner Hauptſtadt iſt , ſobald es ſich um einen
Franken handelt ; denn dieſe ſtehen nicht unter dem Geſetz
des Landes , ſondern unter dem Schutz ihres Geſandten .
Selbſt bei den groͤbſten Polizei-Vergehen kann der Schul-
dige nur verhaftet , nicht aber geſtraft werden ; er iſt auf
die erſte Reclamation der betreffenden Geſandtſchaft aus-
zuliefern , wo nicht , ſo wird mit Abbrechen des diplomati-
ſchen Verkehrs , mit Flotten und Bombardement gedroht .
Weil ſich nun aber auch bei den Geſandtſchaften kein ei-
gentlicher Gerichtshof befindet , ſo ſind dieſe auf die Depor-
tation des Schuldigen beſchraͤnkt , welcher mit der naͤchſten
Schiffsgelegenheit wieder nach dem Eldorado der Straf-
loſigkeit zuruͤckkehrt , und trotzig und unantaſtbar unter den
Augen der tuͤrkiſchen Behoͤrden umhergeht . Auf der an-
dern Seite iſt es gar nicht in Abrede zu ſtellen , daß bei
einem tuͤrkiſchen Gerichtshof durchaus keine Gerechtigkeit
fuͤr einen Franken zu finden ſein wuͤrde , und ſo iſt das
eine Uebel immer die Quelle des andern , und ein Unheil
durch das andere bedingt .
Der lange Streit zwiſchen Kirche und Staat , welcher
ſich durch die ganze Geſchichte des chriſtlichen Abendlandes
hinzieht , und immer noch von Zeit zu Zeit verderblich auf-
flackert , hat vielleicht kein Land weniger beruͤhrt , als Ruß-
land , wo das Oberhaupt des Staats zugleich das der Kirche
iſt ; ein ſolcher Kampf der weltlichen Macht gegen die Die-
ner des Glaubens wuͤrde aber aͤußerſt bedenklich da wer-
den , wo eben der Glaube das einzige Band iſt , welches ſo
verſchiedene Voͤlker , wie Tuͤrken und Araber , Kurden und
Bulgaren , Arnauten und Laſen , zu einem Ganzen verknuͤpft ,
und wo die Haͤlfte der Unterthanen die Glaubens-Ver-
wandten einer Nachbarmacht ſind . Zwar iſt der Großherr
zugleich der Kalif , aber als ſolcher iſt er doppelt gebunden ,
ſtreng an den Lehren des Mohammedanismus zu halten .
Wie das moſaiſche Geſetz verbreitet ſich auch der Jslam
uͤber eine Menge ganz aͤußerlicher Gegenſtaͤnde ; er ſchreibt
dem Jdeengang ſeiner Anhaͤnger eine beſtimmte Richtung
vor , verſpricht eine , mit der nur einigermaßen zum Bewußt-
ſein gereiften Vernunft unvereinbare , grob ſinnliche Zukunft ,
und erhebt polizeiliche Vorſchriften zu religioͤſen Lehrſaͤtzen ,
welche zum Theil der Fortbildung des Geiſtes , der Entwik-
kelung des geſellſchaftlichen Zuſtandes und der Foͤrderung
materieller Jntereſſen hemmend entgegen treten . Weil es
ruchlos iſt , einen menſchlichen Koͤrper zu ſeciren , kann die
Chirurgie keine Fortſchritte machen , und der Glaube an
Vorherbeſtimmung widerſetzt ſich den Maaßregeln gegen die
Peſt ; die Kunſt der Malerei iſt ausgeſchloſſen , weil die
Menſchen , ſelbſt die Thiere am Tage des Gerichts ihre
Seele von dem fordern werden , welcher ſie abgebildet ; da-
gegen regeln die unheilvolle Bedeutung des Monats Sefer ,
die gute Eigenſchaft des Montags und die Ermittelung der
Eſchref-Saaht oder gluͤcklichen Stunde militairiſche Unter-
nehmungen , ohne Ruͤckſicht auf Jahreszeit und Witterung .
Die geſetzliche Nothwendigkeit , auf beſtimmte Veranlaſſung
ein Bad zu nehmen , ermaͤchtigt zu jeder Dienſtverſaͤumniß ,
und die Faſten des Ramaſan unterbrechen alle Geſchaͤfte .
Man ſiegelt mit Wachs , weil der Koran verbietet , bei Tage
ein Licht anzuzuͤnden ; ja ſo tief greifen jene religioͤſen Be-
ſtimmungen in das gewoͤhnlichſte Leben ein , daß geſunde
Nahrungsmittel von der Mahlzeit ausgeſchloſſen bleiben ,
und ſelbſt den Reconvalescenten in den Spitaͤlern der ſtaͤr-
kende Wein unterſagt iſt . Einem Aderlaß unterwirft ſich
der Muſelmann nur mit Gewiſſensſcrupel , und erſt dann ,
wenn alle Spruͤche Bismillah cl kjafi , esch schafi und el
muafi erſchoͤpft ſind . Zahlloſe Blindheiten entſtehen , weil
das Auge des Rechtglaͤubigen nicht durch einen Schirm ge-
ſchuͤtzt ſein darf , denn er ſoll beim Gebet die Erde mit der
Stirn beruͤhren , und der Soldat traͤgt Stiefeln , in denen
er nicht marſchiren kann , weil er ſie fuͤnfmal des Tages ,
27
Behufs der Waſchungen abſchuͤtteln koͤnnen muß . — Doch
genug von einzelnen Beiſpielen , die trivial ſcheinen koͤnnten ,
wenn ſie ſich nicht auf ſehr poſitive und ernſtliche Hinder-
niſſe bezoͤgen , welche den dringend nothwendig gewordenen
Fortſchritten entgegen treten .
So iſt der Kalife , wenn er der Sultan eines osmani-
ſchen Reichs ſein will , in die ungluͤckliche Lage verſetzt , an
den Lehrſaͤtzen des Jslam ruͤtteln zu muͤſſen , aus deren Be-
achtung er ſeine Machtvollkommenheit ſchoͤpft ; wie eifer-
ſuͤchtig der Großherr eben auf dieſe ſeine religioͤſe Wuͤrde
hielt , zeigte er , indem er ſich wenige Tage vor ſeinem Hin-
tritt noch , und faſt ſchon ſterbend , nach der Moſchee Ba-
jaſids tragen ließ , um das Freitags-Gebet abzuleſen .
Der Czaar ſowohl , wie der Sultan hatten , waͤhrend
ſie mit ihren innern Angelegenheiten vollauf beſchaͤftigt wa-
ren , den Kampf mit dem aͤußern Feinde zu beſtehen , aber
Rußland war ſiegreich , die Pforte uͤberall geſchlagen . Eine
Reihe von Niederlagen ſchienen dem Volke , welches die
Nothwendigkeit der Neuerungen nicht begreift , und unter
den davon unzertrennlichen Uebeln ſeufzt , das Gottesurtheil
der Verwerfung .
Seitdem der Großherr mit einem Schlage das Ge-
wicht vernichtet , welches die Tuͤrkei bisher in die politiſche
Waagſchale Europa's geworfen , ſeit der Vernichtung der
Janitſcharen , buͤßte er Laͤnder und Reiche an Feinde und
Unterthanen ein . Hellas , Serbien , Moldau und Wallachei
entzogen ſich ſeiner Macht , Aegypten , Syrien , Candien ,
Adana und Arabien fielen einem aufruͤhreriſchen Vaſallen
zu ; Beſſarabien und das nordoͤſtliche Kleinaſien wurden
von den Ruſſen erobert ; Algier durch die Fanzoſen be-
ſetzt ; Tunis machte ſich unabhaͤngig ; Bosnien , Albanien
und Tripolis gehorchten faſt nur noch dem Namen nach ;
zwei Flotten gingen verloren , die eine im Kampfe , die an-
dere durch Verrath ; ein ruſſiſches Heer uͤberſchritt den
Balkan und erſchien unter den Mauern der zweiten Haupt-
ſtadt des Landes ; ja , um das Ungluͤck voll zu machen ,
mußten die Waffen der Unglaͤubigen den Padiſchah in ſeiner
eigenen Reſidenz gegen ein muſelmaͤnniſches Heer beſchuͤtzen .
So viele und ſo große Hinderniſſe ſtellten ſich dem
Plane des Sultans entgegen , und leider iſt der Ausſpruch
wahr : qu'en Turquie on a commencé la réforme par la
queue . Sie beſtand meiſt in Aeußerlichkeiten , in Namen
und Projekten . Die ungluͤckliche Schoͤpfung war die eines
Heeres nach europaͤiſchen Muſtern mit ruſſiſchen Jacken ,
franzoͤſiſchem Reglement , belgiſchen Gewehren , tuͤrkiſchen
Muͤtzen , ungariſchen Saͤtteln , engliſchen Saͤbeln , und Jn-
ſtructeurs aus allen Nationen ; zuſammengeſetzt aus Lehns-
truppen oder Timarioten , aus Linientruppen mit lebens-
wieriger und Landwehren mit unbeſtimmter Dienſtzeit , in
welchem die Fuͤhrer Rekruten , die Rekruten kaum beſiegte
Feinde waren . Jn der Civil-Verwaltung hatte man einen
ſchwachen Verſuch gemacht , die Steuern nicht mehr zu ver-
pachten , ſondern unmittelbar fuͤr den Staat zu erheben .
Die Ausfaͤlle in den Finanzen , welche hierdurch zu Anfang
unausbleiblich entſtehen mußten , und mehr noch der Man-
gel an redlichen Beamten , hinderten die weitere Durchfuͤh-
rung dieſer wichtigſten aller Verbeſſerungen . Die Titel der
Staatsaͤmter wurden gewechſelt , aber die Maͤnner , welche
ſie bekleideten , blieben von derſelben Untuͤchtigkeit . Oft auch ,
ſcheint es , trotzte der Großherr dem religioͤſen Vorurtheil
ohne Noth ; denn welchen Nutzen konnte es haben , daß er
dem Scheih-uͤl-Jslam , dem Chef des Glaubens , ſein durch
den Glauben verbotenes Portrait uͤberſchickte .
Sultan Mahmud hinterließ ſeinem jungen Nachfolger
das Land im traurigſten Zuſtande , denn abgeſehen von der
augenblicklichen Verwickelung iſt das osmaniſche Reich mit
Bezug auf die neuen Einrichtungen , die noch nicht Wurzel
geſchlagen , ſchwach wie ein Kind und hinfaͤllig wie ein
Greis , in den aͤltern Jnſtitutionen , welche ſich uͤberlebt ha-
ben . Die unpartheiiſche Beurtheilung wird Peter dem Gro-
ßen einen ſehr viel hoͤhern Platz in der Geſchichte anwei-
ſen , als Mahmud dem Zweiten ; ſie wird aber auch ein-
raͤumen muͤſſen , daß die Aufgabe des Sultans , wenn ſie
uͤberhaupt zu loͤſen , noch unendlich ſchwieriger war , als die
des Czaaren .
67.
Reiſe durchs Schwarze Meer und auf der Donau
bis Orſowa .
Jbrail am Bord des Fernandos , den 13. Septbr. 1839 .
Wir verließen Konſtantinopel am 9. September Mit-
tags ; es war ein ziemlich friſcher Nordoſt-Wind , und un-
ſer Kaik hatte Muͤhe , an das Dampfſchiff , welches in Bu-
jukdere zu unſerer Aufnahme anhielt , heranzukommen . —
Kaum waren wir uͤber die Fanale hinaus , ſo ſchaukelte das
Schiff ſo gewaltig , daß ein Reiſender nach dem andern krank
wurde , und erſt am folgenden Morgen , nachdem das Wet-
ter ruhiger geworden , ſah man ſich wieder ; wir erreichten
um Mittag Varna , wo wir dem Paſcha einen Beſuch mach-
ten , und ſetzten bei ziemlich ruhiger See und klarem Him-
mel unſere Reiſe fort . Anfangs geht es ziemlich nahe an
der Kuͤſte entlang bis zum Cap Guͤllgrad , einem ſehr ſchoͤnen
Vorgebirge , welches von einer alten Ruine gekroͤnt iſt und
deſſen hohe Waͤnde ſenkrecht zum Meere abſtuͤrzen ; von hier
tritt die Kuͤſte weiter zuruͤck , wird ſtets niedriger und ver-
wandelt ſich dann in einen flachen Moraſt , welcher vom
Meere , von ausgedehnten Seen und von den Armen der
Donau umſchloſſen iſt . Dies ganze , viele Meilen weite
Land iſt ein Alluvium des maͤchtigen Stroms , welcher hier
mit dem Waſſer der Alpen , des Balkan und der Karpaten
das blaue Meer auf eine Strecke von 3 bis 5 geographi-
ſchen Meilen hinaus gelb faͤrbt ; aus dieſem Umſtande ent-
nehmen die Schiffer , daß ſie dem Ufer ſich naͤhern , denn
das Land ſelbſt wird erſt ſpaͤter ſichtbar , und kein Leucht-
thurm bezeichnet bei Nacht die ſchwierige Einfahrt in die
Donau . Dieſer Strom treibt drei Hauptarme durch das
niedrige Delta , welches er angeſchwemmt : ſuͤdlich den Ge-
org- oder Kedrilleh-Boghas , noͤrdlich den Kili-Boghas , in
der Mitte die Sulina , welche allein ſchiffbar iſt . Die Su-
lina iſt 150 bis 200 Schritte breit und bildet an ihrer
Muͤndung eine Sandbank , auf welcher wir nur zehntehalb
Fuß Waſſer fanden ; da nun die Dampfſchiffe , welche die
See befahren , nicht wohl weniger als 8 Fuß tief gehen
koͤnnen , ſo wuͤrde eine Verminderung von 1 bis 2 Fuß der
Waſſertiefe das Einlaufen uͤberhaupt ganz unmoͤglich ma-
chen . Nach der Wichtigkeit , welche die Donau-Dampf-
ſchifffahrt gewonnen , nachdem man aus dem Herzen Deutſch-
lands in directe Verbindung mit Trapezunt und Alexandria
getreten , waͤre eine ſolche Unterbrechung allerdings ein Ge-
genſtand von vieler Bedeutung . Es giebt aber noch einen
andern Grund , welcher den Wunſch rege gemacht hat , ſich
einen neuen Ausweg in das Schwarze Meer zu oͤffnen .
Jm Frieden von Adrianopel wurde der noͤrdliche Do-
nau-Arm den Ruſſen , der ſuͤdliche den Tuͤrken zugeſpro-
chen , das Land zwiſchen beiden aber , die großen Moraſtinſeln
naͤmlich zu beiden Seiten der Sulina , ſollten unbewohnt
bleiben . Wir fanden indeß die ruſſiſchen Quarantaine-Cor-
dons bis an das noͤrdliche Ufer der Sulina vorgeſchoben ,
und an der Muͤndung ſelbſt auf dem ſuͤdlichen Ufer eine
kleine ruſſiſche Stadt , die gewiß ſchnell aufbluͤhen und groͤ-
ßer werden wird , denn eine Menge Schiffe gehen hier vor
Anker . Von einem Leuchtthurm , deſſen die oͤffentlichen Blaͤt-
ter erwaͤhnen , fanden wir keine Spur , wohl aber ſahen
wir ein paar Kanonier-Schaluppen und einige Geſchuͤtze
am Ufer . Der ruſſiſche Commandant des Poſtens hat meh-
rere Verſuche gemacht , die oͤſterreichiſchen Dampfſchiffe einer
Art Viſitation zu unterwerfen , was dieſe jedoch ſtets ver-
weigert haben . Faktiſch aber ſind die Ruſſen im Beſitz der
Muͤndung dieſer wichtigen Lebensader Deutſchlands , wie
die Hollaͤnder leider ſo lange im Beſitze der Rheinmuͤn-
dung geblieben ſind . So lange der Frieden in Europa
dauert , wird auch die Donau-Schifffahrt wohl nicht belaͤ-
ſtigt werden , braͤche aber ein Krieg aus , ſo waͤre der oͤſter-
reichiſche Handel hier vollkommen in der Gewalt der Ruſ-
ſen ; mit den Waffen ſie dann aus ihrer Stellung zu ver-
treiben , wuͤrde ſchwer ſein , denn die flache Kuͤſte verhindert
Kriegsſchiffe , von der Seeſeite nahe zu kommen , waͤhrend
der Zugang zu Lande durch wegeloſe Moraͤſte vertheidigt iſt .
Nun bildet die Donau von Siliſtria abwaͤrts einen
weiten Bogen gegen Norden ; bei Czernawoda iſt man nur
7 Meilen von Kuͤſtendſche am Schwarzen Meere entfernt ,
man macht aber zu Schiffe einen Weg von 70 Meilen bis
zur Hoͤhe von Kuͤſtendſche herum . Ueberdies erſtreckt ſich
von Czernawoda aus eine Seereihe , deren Thalſenkung ſich
bis ſehr nahe an Kuͤſtendſche heranzieht , und der Gedanke
lag daher nahe , hier einen Kanal durchzuſtechen . Jch habe
Dir in einem fruͤheren Brief geſchrieben , daß wir das Ter-
rain unter dieſem Geſichtspunkte gepruͤft , und namentlich
der Hauptmann v. V. die Hoͤhe hinter Kuͤſtendſche nivel-
lirt , daß dieſe Hoͤhe zwar an ſich nicht ſehr bedeutend , aber
auf derſelben durchaus kein Waſſer zur Speiſung eines Ka-
nals vorhanden ſei . Dieſer Kanal muͤßte daher bis zum
Niveau des Donauſpiegels bei Czernawoda eingeſchnitten
werden , was eine ſo unermeßliche Erdarbeit gaͤbe , daß das
Unternehmen als unmoͤglich anzunehmen iſt . Selbſt einer
Eiſenbahn ſtehen nicht unbedeutende Schwierigkeiten entge-
gen ; wollte man ſich dagegen mit einer Chauſſee begnuͤgen ,
ſo wuͤrde dieſer Land-Transport wohl theurer zu ſtehen
kommen , als der Umweg zu Waſſer ; man verloͤre noch au-
ßerdem die Verbindung mit Brailow und Gallatz , den De-
boucheen der Wallachei und der Moldau , deren Bedeutſam-
keit einen ſichtlich ſchnellen Aufſchwung nimmt ; dazu koͤmmt ,
daß das Wiedereinladen in Kuͤſtendſche ſeine großen Uebel-
ſtaͤnde haben wuͤrde . Der kleine , enge aber wohl beſchuͤtzte
Hafen des Orts iſt , nachdem die tuͤrkiſchen Schiffe ſeit
Jahrhunderten ihren Ballaſt hineingeworfen , faſt ganz ver-
ſchuͤttet , die Rhede aber den Stuͤrmen offen , Kuͤſtendſche
ſelbſt iſt von den Ruſſen ſo gruͤndlich zerſtoͤrt , daß zwiſchen
den alten roͤmiſchen und neu-tuͤrkiſchen Truͤmmern nur etwa
vierzig oder funfzig Menſchen wohnen . Alles ſoll dort erſt
wieder geſchaffen werden . Endlich iſt noch zu beruͤckſichti-
gen , daß , wenn Traktate die Ruſſen nicht mehr zuruͤckhal-
ten , hinter der Sulina zu bleiben , auch der Trajans-Wall
kein Schutz gegen ſie ſein wird ; hier haͤngt die Frage in-
nig mit der ganzen orientaliſchen Verwickelung zuſammen ,
die ihrer endlichen Entſcheidung ſo lange ſchon entgegen
ſieht . So viel geht aber aus dieſer Betrachtung hervor ,
daß Kanaͤle und Kunſtſtraßen nicht zum Ziele fuͤhren , und
man ſich wohl nach wie vor des Laufs der Sulina bedie-
nen wird .
Die Naturhinderniſſe , welche ſich dort der Schifffahrt
entgegen ſtellen , waͤren leicht zu uͤberwaͤltigen : die Barre
vor der Muͤndung iſt nicht uͤber 100—150 Schritte breit ,
und hat nur auf einer kurzen Strecke die geringe Tiefe von
14—9½ Fuß ; eine Stunde unterhalb Tuldſch aliegt eine an-
dere Sandbank , wo das Fahrwaſſer jedoch 14 Fuß Tiefe
behaͤlt ; man wuͤrde alſo mit einer ganz gewoͤhnlichen Bag-
ger-Maſchine die Fahrt immer offen erhalten , verengte man
aber die Muͤndung durch ein paar Molen , die gar nicht
tief in's Meer hineingebaut werden duͤrften , ſo wuͤrde die
bloße Stroͤmung die Einfahrt offen erhalten . Nach der
Karte ſollte man meinen , daß das Donau-Waſſer hier faſt
gar kein Gefaͤlle mehr haͤtte , dies iſt aber ſo wenig der
Fall , daß die Dampfſchiffe in der Regel abwaͤrts 14 , auf-
waͤrts 5 Seemeilen in der Stunde machen ; die mittlere
Schnelligkeit des Stroms betraͤgt demnach fuͤnftehalb See-
meilen , oder faſt eine deutſche Meile in der Stunde . Bei
niedrigem Waſſer iſt die Schnelligkeit freilich nur halb ſo
groß , aber auch das iſt mehr als genug , um die Muͤndung
offen zu halten ; die Frage iſt nur , wer dieſe Arbeit uͤber-
nehmen wuͤrde . Die tuͤrkiſche Regierung hat nicht daran
gedacht , als ſie noch in einer beſſern Lage war , als jetzt ;
die ruſſiſche wuͤrde ſchon um Odeſſa's willen eher ein Jn-
tereſſe haben , die Sulina zuzuſchuͤtten , als ſie zu oͤffnen ,
und Oeſterreich , hier das Jntereſſe von ganz Deutſchland
vertretend , waͤre in dem Fall , den Bau auf einem Terrain
zu unternehmen , von dem eigentlich ſchwer zu ſagen iſt ,
wem es gehoͤrt .
Jch hatte Muße genug , dieſen Gedanken nachzuhaͤn-
gen , als wir zwiſchen den niedrigen Schilfufern der Donau
hinaufbrauſeten ; der Anblick iſt hoͤchſt eigenthuͤmlich , denn
zehn Meilen weit faͤhrt man in einem unabſehbaren gruͤnen
Meer von wogendem Schilfe umher , aus welchem die Ma-
ſten und Seegel von großen Schiffen hervorragen , welche
den Wendungen des Stroms bis Gallatz und Braila hin-
auf folgen . Nur ganz in der Ferne am ſuͤdlichen Horizont
waren die Gebirge von Baba-Dagh und Beſch-Tepe ſichtbar ,
und die Sonne ſank rothgluͤhend hinter ſchoͤnen Weiden-
baͤumen ; ich glaubte eine Everdingſche Landſchaft vor mir
zu ſehen . Uebrigens fuhren wir an dieſem Abend an mehr
als hundert Schiffen voruͤber , die ſaͤmmtlich nach Gallatz
und Brailow hinauf gingen .
Die vielen Quadratmeilen Land , die hier mit Schilf
bedeckt ſind , verſtecken große Heerden von Buͤffeln und Och-
ſen , unermeßliche Schwaͤrme von Seevoͤgeln , aber auch
Woͤlfe , und noch vor einigen Jahren hauſten hier Schaa-
ren von Geſindel , welche die Schiffe des Nachts uͤberfie-
len , wenn ſie anlegten . Es iſt wahrſcheinlich , daß man
mit geringer Arbeit durch niedrige Deiche die Jnſeln ge-
gen die jaͤhrliche Ueberſchwemmung der Donau ſchuͤtzen ,
und eine ungeheuere Flaͤche des fruchtbarſten Bodens ge-
winnen koͤnnte .
Von Gallatz und Brailow bekamen wir nun die Qua-
rantainen zu ſehen , und erwarteten waͤhrend des 13. die
Galathea ; Abends , als die Sonne untergegangen , ſahen
wir zu unſerer Freude die Rauchſaͤule aufſteigen .
Am Bord des „ Franz “ auf der Donau ,
den 10. Oktober 1839 .
Am 15. September Morgens ſetzten wir unſere Reiſe
weiter fort . Dies Schiff macht die Tour auf der tuͤrki-
ſchen Seite , waͤhrend „ Pannonia “ und „ Arpad “ die walla-
chiſchen Ufer befaͤhrt und dort Pratika hat . Bis Ruſt-
ſchuk waren die Ufer der Donau mir bekannt , rechts Jn-
ſeln mit Schilf oder Weiden , links die bulgariſchen Ufer
mit Huͤgeln , wenigen Doͤrfern und geringem Anbau , zuwei-
len mit etwas Wald . An mehreren Stellen bemerkte ich
Waſſermuͤhlen mit ſogenannten Kreiſelraͤdern ; dieſe horizon-
tal liegenden Waſſerraͤder , in Europa die vielbeſprochene
neue Erfindung des Jngenieurs Fourneyron , ſcheinen
hier uralt , und uͤberhaupt die allein uͤblichen zu ſein , nicht
ſowohl , weil ſie den groͤßtmoͤglichen Theil der rohen Waſ-
ſerkraft nutzbar machen , als vielmehr , weil der ganze Me-
chanismus ſo ſehr viel einfacher als bei Vertikal-Raͤdern
iſt ; die Axe des Waſſerrades dreht gleich unmittelbar den
Muͤhlſtein .
Jn Ruſtſchuk machten wir einen Beſuch beim Veſier
Sayd-Mehmet-Paſcha ; dieſer iſt ein perſoͤnlicher Freund
von Hafiß-Paſcha , und ſchien uͤber die ganze Lage der
Dinge ſehr nachdenklich . Jn Nikopolis beſahen wir die
recht wohlerhaltene Feſtung auf einer ſchroffen Hoͤhe an der
Donau , und in Widdin beſuchten wir den alten Veſier
Huſſein-Paſcha , den Janitſcharen-Vertilger ; dieſer ließ
ſogleich die Galathea aufhalten , Pferde vorfuͤhren und bat
uns , die neuen Befeſtigungen zu beſichtigen und unſere
Meinung uͤber ihre Fortſetzung zu geben .
Uns war es intereſſant , auch dieſe tuͤrkiſche Feſtung
noch kennen zu lernen . Widdin iſt eine bedeutende Stadt
in einer weiten Wieſenniederung an der Donau ; ſie iſt mit
einem baſtionirten Hauptwall und trocknen revetirten Gra-
ben umgeben ; vor den fuͤnf Thoren liegen enge Ravelins ;
das Profil iſt ſtaͤrker , als ich es bei einer andern Rumeli-
28
ſchen Feſtung geſehen ; um das Corps de place liegen aus-
gedehnte Vorſtaͤdte , welche man mit zehn neuen Fortifica-
tionsfronten eingeſchloſſen hat , deren Graben jedoch trocken
und unbekleidet iſt . Dort baut Huſſein-Paſcha eben
jetzt geſchloſſene Bollwerke aus Stein , von denen die zwei
an der Donau fertig ſind . Wir fanden in der Stadt faſt
alle Laͤden geſchloſſen , weil ſelbſt die angeſehenſten Bewoh-
ner ſchanzen mußten , als waͤre man am Vorabend einer
Belagerung . Das ganze Emplacement von Widdin iſt ſehr
guͤnſtig , und was eine wahre Seltenheit bei einer tuͤrkiſchen
Feſtung , dieſe iſt nirgends dominirt ; dagegen iſt aber die
Lage , ſowohl von Nikopolis als Widdin ſo , daß ſie weder
in einem oͤſterreichiſchen noch einem ruſſiſchen Kriege ſon-
derlich in Betracht kommen koͤnnen .
Beim Einfluß der Timok faͤngt nun das ſerbiſche Ge-
biet an , welches wir nicht mehr betreten durften ; das
Schiff mußte ſerbiſche Sanitaͤts-Beamten an Bord neh-
men . Auch die drei feſten Plaͤtze Gladowa ( tuͤrkiſch Feti-
Jslam oder Sieg des wahren Glaubens ) , Neu-Orſowa
( Ada-Kaleſſi oder Jnſelfeſtung ) und Belgrad , die einzigen ,
in welcher ſich noch Tuͤrken aufhalten duͤrfen , ſind in den
ſerbiſchen Quarantaine-Verband mit eingeſchloſſen . Wir
hatten einen Aga aus Konſtantinopel an Bord , welcher De-
peſchen an den Paſcha von Belgrad brachte ; um die Be-
fehle der tuͤrkiſchen Regierung nach einer tuͤrkiſchen Feſtung
zu ſchaffen , muß der Traͤger ſich eines oͤſterreichiſchen Dampf-
ſchiffs bedienen und ſich der oͤſterreichiſchen Quarantaine
von zehn Tagen unterwerfen , wenn er nicht die zwanzig-
taͤgige ſerbiſche in Alexinza machen will .
Die Fahrt ſtromaufwaͤrts geht nur langſam , und wir
brauchten fuͤnf Tage , um von Brailow nach Gladowitza , dicht
oberhalb Gladowa , zu gelangen , obſchon wir auch Nachts
fuhren , bis der Mond unterging . Wir hatten einen gan-
zen Tag noͤthig , um die nur zwei Meilen lange Strecke von
Gladowitza nach Orſowa zuruͤckzulegen , auf welcher das ei-
ſerne Thor oder Demir-Kapu paſſirt werden muß .
Das eiſerne Thor iſt nun nicht ſo ſchrecklich , wie ſein
Name ; die Donau fließt zwiſchen nicht ſehr hohen bewal-
deten Bergen auf einer Strecke von etwa 1500 Schritt
uͤber mehrere niedrige Felsriffe , die quer durch das Bette
ſetzen . Nur bei ganz niedrigem Waſſerſtand ſind die Klip-
pen ſichtbar ; da aber die Donau 8- bis 900 Fuß breit
und ihr Gefaͤlle hier ſtaͤrker iſt , als auf andern Stellen , ſo
entſteht heftiger Strudel bei geringer Tiefe des Fahrwaſ-
ſers , letzteres zieht ſich an der noͤrdlichen wallachiſchen
Seite hin , wo die Thalwand ſich ziemlich abſchuͤſſig herab-
ſenkt und nur den noͤthigen Raum fuͤr einen Fahrweg laͤßt .
Am Fuße der ſerbiſchen Berge hingegen befindet ſich ein
50 bis 100 Schritt breiter Abſatz zwiſchen dem Thalhang
und dem Flußufer .
Reiſende und Guͤter werden in große Donaukaͤhne ein-
geſchifft und von zwanzig Paar Ochſen bis gegenuͤber von
Orſowa hinaufgezogen ; der Zeitverluſt hierbei entſteht haupt-
ſaͤchlich daraus , daß an vielen Orten kein Leinpfad vorhan-
den iſt . Bei den vorſpringenden Felsriffen , ſo wie bei den
Baſtionen des Forts Eliſabeth werden die Thiere ausge-
ſpannt , und das Ende des wohl an 400 Schritte langen
Taues muß auf einem Kahne um das Hinderniß herum-
gefuͤhrt und jenſeits wieder angeſchirrt werden .
Die Feſtung Neu-Orſowa mit dem gegenuͤber liegen-
den Fort Eliſabeth gewaͤhrt einen ſehr ſchoͤnen Anblick ; letz-
teres beſteht aus zwei caſemattirten Baſtionen mit einer
Defenſiv-Kaſerne als Courtine . Ueber dieſe ragt an dem
ſchroff abfallenden Thalrand ein ſchoͤn gebauter Thurm mit
vier Feuer-Etagen empor , zu welcher man durch eine un-
terirdiſche Wendeltreppe empor ſteigt . Neu-Orſowa iſt mit
großem Aufwande von Mauerwerk und Hohlbau mit Con-
tregarden und zwei detachirten Forts , aber Alles im klein-
ſten Maaßſtab gebaut ; die Straßen an beiden Ufern , ſo
wie die Fahrt auf der Donau ſind durch das Geſchuͤtz der
Feſtung vollkommen beherrſcht , und es kam eigentlich nur
darauf an , den Platz gegen einen Handſtreich auf Kaͤhnen
oder auf dem Eiſe zu ſichern .
Dieſe Feſtung iſt , ſo viel ich weiß , unter Kaiſer Leo-
pold I . von den Oeſterreichern erbaut ; kaum fertig , ging
ſie nach dem Fall von Belgrad ohne Widerſtand an die
Tuͤrken verloren , welche ſich begnuͤgt haben , der Kirche ein
hoͤlzernes Minareh anzufuͤgen und alles Uebrige zu laſſen ,
wie ſie es gefunden . Die Jngenieure haben eine beſondere
Verehrung fuͤr die Jnſelfeſtung , ſie ruͤhmen , daß ſie mit
Lahom Minen nicht angegriffen werden koͤnne und halten
ſie daher fuͤr die beſte in der Welt .
Den Serben koͤnnen wir das Zeugniß geben , daß ſie
ihre neuen Quarantaine-Vorſchriften gewiſſenhaft befolgen :
als wir beim eiſernen Thor an's Land ſtiegen , waren wir
mit Wachen umgeben ; jedes Laͤppchen Leinwand , jede Fe-
der wurde aus unſerm Pfad entfernt , weil , wenn ſie un-
ſer Fuß beruͤhrte , das eiſerne Thor compromittirt werden
konnte . Der Poſten , welcher mit geladenem Gewehre vor
uns her ging , uns alſo den Ruͤcken drehte , befand ſich in
einer ſchwierigen Lage : er ſtreckte das Bajonnet in der
Stichparade zuruͤck , und die mit Silber- und Goldmuͤnzen
und Blumen geputzten ſerbiſchen Maͤdchen , die zu einer
Hochzeit nach Fekie gingen , liefen ſchnell und in einem wei-
ten Bogen um unſere verdaͤchtige Geſellſchaft herum . Uns
kam dieſe Aengſtlichkeit ſehr komiſch vor , aber wenn man
den Zweck bedenkt , kann man ſie doch nur loben .
Als wir zu Alt-Orſowa den oͤſterreichiſchen Boden be-
traten , ſah man , daß hier die Sache nicht mehr ſo neu
war ; wir wurden ohne Pedanterie , aber doch mit Vorſicht ,
in die eine Viertelſtunde entfernte Quarantaine von Schu-
paneck abgefuͤhrt . Als Vorſichtsmaßregel waren aber doch
die Schwaͤnze der Zugochſen feſtgebunden , damit ſie nicht
etwa einen der Fremden und gleich darauf den „ unver-
miſchten “ Fuhrmann anwedeln moͤchten . Jn der Quaran-
taine wurden wir zu zehntaͤgiger Detention verurtheilt .
Die „ Galathea “ hat vor einigen Wochen den Verſuch
gemacht , bei hohem Waſſerſtande das eiſerne Thor hinauf
zu fahren ; ſie gelangte bis ungefaͤhr in die Mitte der
Stromſchnelle , dort arbeitete ſie eine Stunde lang , ohne
vorwaͤrts zu kommen . Nun iſt allerdings die Galathea im
Verhaͤltniß zu ihrer Maſchine von nur 60 Pferdekraft ſehr
groß , auch hielt ein ſtarker Nordwind an jenem Tage ihre
Fahrt auf , und mit 20 oder 30 Paar Ochſen Vorſpann
wuͤrde ſelbſt dieſes Schiff das Hinderniß wohl uͤberwinden .
Aber da der gewoͤhnliche Waſſerſtand nicht hinreichende Tiefe
gewaͤhrt , ſo iſt mit einem einzelnen Verſuch wenig fuͤr den
Verkehr im Allgemeinen gewonnen .
Ein anderes Auskunftsmittel waͤre , einen Kanal auf
der ſerbiſchen Seite anzulegen , oder vielmehr zu erneuern ,
denn daß ein ſolcher fruͤher laͤngs der ganzen Stromſchnelle
hingefuͤhrt habe , davon ſind die deutlichſten Spuren vor-
handen . Auf einer Strecke von 5- bis 600 Schritt iſt
der Kanal ſelbſt noch deutlich erhalten , getrennt von der
Donau durch einen ſchmalen , aber mit Baͤumen und Strauch-
werk dicht beſtandenen Landſtreifen . Dieſer Damm iſt mit
den Wurzeln jener Vegetation ſo durchwachſen , daß die
Donau ihn nur an zwei Stellen durchbrochen hat . Der
Kanal iſt wahrſcheinlich eine Roͤmerarbeit und ein Werk
Trajans , von deſſen Bruͤcke dicht unterhalb des eiſernen
Thors bei Skala-Gladowa noch die beiden Stirnjoche und
ein thurmartiges Gemaͤuer auf der wallachiſchen Seite em-
porragen . Jch glaube durchaus nicht , daß man , um den
Kanal fuͤr Schifffahrt herzuſtellen , genoͤthigt ſein wuͤrde ,
Schleuſen anzulegen ; aber einmal muͤßte auch hier die Ar-
beit auf einem Boden ausgefuͤhrt werden , deſſen Beſitzer
kein Jntereſſe fuͤr die Sache haben , und hauptſaͤchlich waͤ-
ren dadurch noch lange nicht alle Schwierigkeiten beſeitigt .
Das eiſerne Thor bildet naͤmlich nur einen Theil der Strom-
ſchnelle , welche den Durchbruch der Donau durch ein ho-
hes Kalkſteingebirge von Gollubitza bis Skala-Gladowa
bezeichnen . Auf dieſer Strecke von 8 oder 9 Meilen liegen
namentlich bei Bibnitſche Stellen , die mir weit ſchwieriger
als das eiſerne Thor ſelbſt ſcheinen ; ſie ſind zu beiden Sei-
ten von hohen Felswaͤnden eingeſchloſſen , ſo daß ein Kanal
weder auf dem tuͤrkiſchen noch auf dem oͤſterreichiſchen Ufer
gefuͤhrt werden kann . Dagegen waͤre durch einzelne Spren-
gungen das Strombette aufzuraͤumen , wobei aber immer
noch zu bedenken iſt , daß durch eine ausgedehnte Correctur
leicht der Waſſerſtand der Donau oberhalb weſentlich ge-
aͤndert werden duͤrfte .
Die Roͤmer hatten ihre Schiffe mittelſt des Kanals
durch das eiſerne Thor geſchafft , von dort ſie aber laͤngs
des rechten Donauufers gezogen , und fuͤr dieſen Zweck einen
Leinpfad angelegt , von dem ſich noch heute die deutlichſten
Spuren finden . Er faͤngt eine Meile oberhalb Orſowa , dem
Dorf Jeſchelnitza gegenuͤber , an , wo ſich am ſerbiſchen
Ufer eine Jnſchrift an der Felswand befindet , die von dem
Feuer der Hirten zwar ganz mit Ruß uͤberzogen iſt , aber
gewiß noch zu entziffern waͤre , wenn jemand die Ausbeute
mit einer zehntaͤgigen Quarantaine bezahlen wollte . Die
Stromufer ſtuͤrzen von hier an , hoch und ſchroff , oft ſenk-
recht , zum Fluß ab , und ein ſchmaler Gang iſt dicht uͤber
dem Niveau des hoͤchſten Waſſerſtandes in den Fels ge-
meißelt . An einigen Stellen aber , wo die Arbeit zu bedeu-
tend geweſen waͤre , ſieht man ganz deutlich die viereckigen
Loͤcher , in welche einſt die Balken eingetrieben wurden ,
welche eine Laufbruͤcke laͤngs des Stroms getragen haben .
Dieſer Weg iſt nun an vielen Stellen ſehr ungangbar ge-
worden , obgleich die Bewohner der nahe liegenden Ortſchaf-
ten ſich ſeiner immer noch bedienen . Da ohnehin das rechte
Ufer als „ compromittirt “ fuͤr den Verkehr geſchloſſen iſt ,
ſo hat der um ſein Vaterland ſo hochverdiente Graf Se-
czeny eine neue Straße von Ogradina bis Kaſann auf
dem linken Ufer gefuͤhrt . Die Kaſann-Straße iſt ein kuͤh-
ner Bau , oft zieht ſie durch ſenkrechte Felswaͤnde in breite
hohe Gallerien , welche nur nach dem Strome zu offen
ſind , und die vielen Wendungen , welche ſie macht , ſtellen
die prachtvollſten und abwechſelndſten Gebirgsparthien des
einen oder des andern Ufers dem Blicke des Reiſen-
den dar . Es iſt reizend , auf der bequemſten Straße zwi-
ſchen dieſen ſchwierigen Felsmaſſen und dem wirbelnden
Strome hinzuziehen , die ſich verbuͤndet zu haben ſcheinen ,
jeden Durchweg zu ſperren , reizend fuͤr Jedermann , aber
beſonders fuͤr den , welcher Jahre lang gewohnt war , alle
ſolche Berge und Thaͤler zu Pferde muͤhſam erklimmen und
durchſetzen zu muͤſſen . Die Straße zieht an der veterani-
ſchen Hoͤhle voruͤber , in welcher die Oeſterreicher ſich mit ,
ich glaube , 80 Mann und ein paar kleinen Geſchuͤtzen lange
und mit Erfolg gegen die Tuͤrken vertheidigt haben . Dieſe
Grotte enthaͤlt einen Brunnen im Jnnern , und bekommt
ihr Licht durch eine Oeffnung von oben ; der Eingang iſt
mit einer crenelirten Mauer verſchanzt .
Die Donau wird von Moldawa aufwaͤrts wieder ſchiff-
bar , ihre Stroͤmung iſt ruhiger , das Flußbette frei von
Klippen ; aber die prachtvollen ſteilen Thalufer dauern fort
bis Gollubitza , einem alten Schloß mit hohen Thuͤrmen
und Mauern , welche ſich auf einen ſpitzen Felskegel hinauf-
und hinabziehen . Dies Schloß hat das wunderbarſte , ge-
heimnißvollſte Ausſehen , und die ganze Lage gewaͤhrt den
wildeſten und ſchoͤnſten Anblick , den ich auf der ganzen
Donau kenne ; der gewaltige Strom hat oberhalb wohl eine
Breite von 2000 Schritten und daruͤber , er verengt ſich am
Fuße des ſeltſamen Schloſſes auf vielleicht nur 400 , und
fließt zwiſchen ſenkrechten , himmelhohen Felswaͤnden in einer
tiefen , finſtern Schlucht fort .
Bei dem Aufſchwung , welchen die Donau-Dampfſchiff-
fahrt bereits gewonnen , und der Ausdehnung , welche ihr
wahrſcheinlich bevorſteht , iſt es wichtig , die Hinderniſſe zu
uͤberwinden , welche der Beſchaffenheit des Stroms auf die-
ſer Durchbruchſtrecke in dem Wege liegen . Meiner Anſicht
nach wuͤrde dies am leichteſten und ſicherſten durch An-
wendung eiſerner , flach gehender Dampfſchiffe mit ſtarker
Maſchinenkraft geſchehen ; die Sprengung einzelner Klippen
und die Benutzung des alten Kanals wuͤrden es dieſen
Schiffen moͤglich machen , jederzeit von Skala-Gladowa bis
Moldawa hinauf und hinab zu gehen , außer etwa bei ganz
niedrigem Waſſer im Oktober , wo dann auch zwiſchen Wien
und Peſth die Schifffahrt auf kurze Zeit unmoͤglich wird .
Dann muͤßte aber die Quarantaine , welche ſich jetzt in
einem ungeſunden Sumpfe nahe bei Orſowa befindet , ent-
weder nach Moldowa zuruͤck- oder aber am liebſten gleich
bis Brailow vorgelegt werden , denn ihre jetzige Stellung
wuͤrde zu zwei verſchiedenen eiſernen Dampfſchiffen , und
folglich fuͤr die kurze Strecke zu unverhaͤltnißmaͤßigem Auf-
wand und zweimaligem Umladen noͤthigen . Vielleicht ſtehen
indeß den ganzen Quarantaine-Verhaͤltniſſen bedeutende Ver-
aͤnderungen bevor .
Berlin , Posen und Bromberg .
Druck und Verlag von E. S. Mittler .