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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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chen sie anziehend. Von jenem seltsam aussehenden Hügel
(vielleicht von Menschenhänden aufgethürmt) blickte Xerxes
auf seine zahllosen Schaaren, die er nach Griechenland
führte; jene Steintrümmer, welche die ganze flache Land-
zunge überdecken, waren einst Abydos, und hier schwamm
Leander von Europa nach Asien, um Hero zu sehen. Ein
einziger unförmlicher Mauerrest steht noch aufrecht auf dem
Platz, den einst die Stadt einnahm, aber es ist schwer zu
sagen, was diese Ruine gewesen; dagegen ist es sehr wahr-
scheinlich, daß eine Quelle süßen Wassers, die noch heut
auf dem flachen, vom Meer umgebenen Jsthmus in einem
unterirdischen Gewölbe sprudelt, die Einwohner jener Stadt,
vielleicht die schöne Hero selbst, getränkt hat.

Die gewaltige Strömung führte uns schnell bis an die
engste Stelle der Meerenge, "wo die altergrauen Schlösser
sich entgegen schauen". Hinter dem europäischen erhebt
sich steil eine weiße Felswand, in welcher eine kleine Grotte
für das Grab der Hekuba gilt. Die asiatische Küste hin-
gegen ist flach, und zeigt hinter dem Kastell, welches einst
die Genueser hier aufthürmten, im Schatten mächtiger Pla-
tanen und umgeben von Gärten und Weinbergen, ein Städt-
chen, welches die Türken Tschanak-Kalessi, das Scherben-
schloß nennen, wegen der vielen Töpfer, die dort arbeiten.
Dort residirt in einer bescheidenen Wohnung der Boghar
Pascha, zu welchem ich mich verfügte, um die Briefe des
Seraskiers zu übergeben und einige mündliche Aufträge aus-
zurichten. Er ließ mir ein kleines hübsches Häuschen am
Ufer einräumen, und nachdem ich die Forts und Batterien
besichtigt, nahm ich den Plan der Dardanellenstraße und
ihrer Ufer auf.

Was ich Dir von dem Ergebniß meines für mich sehr
interessanten Auftrages mittheilen kann, ist freilich nur das
Allgemeinste und meist schon Bekannte.

An der Einfahrt zu den Dardanellen erheben sich die
sogenannten neuen Schlösser, welche die Türken nach dem
Muster der alten erbaut. Das europäische heißt Sed-il-

chen ſie anziehend. Von jenem ſeltſam ausſehenden Huͤgel
(vielleicht von Menſchenhaͤnden aufgethuͤrmt) blickte Xerxes
auf ſeine zahlloſen Schaaren, die er nach Griechenland
fuͤhrte; jene Steintruͤmmer, welche die ganze flache Land-
zunge uͤberdecken, waren einſt Abydos, und hier ſchwamm
Leander von Europa nach Aſien, um Hero zu ſehen. Ein
einziger unfoͤrmlicher Mauerreſt ſteht noch aufrecht auf dem
Platz, den einſt die Stadt einnahm, aber es iſt ſchwer zu
ſagen, was dieſe Ruine geweſen; dagegen iſt es ſehr wahr-
ſcheinlich, daß eine Quelle ſuͤßen Waſſers, die noch heut
auf dem flachen, vom Meer umgebenen Jſthmus in einem
unterirdiſchen Gewoͤlbe ſprudelt, die Einwohner jener Stadt,
vielleicht die ſchoͤne Hero ſelbſt, getraͤnkt hat.

Die gewaltige Stroͤmung fuͤhrte uns ſchnell bis an die
engſte Stelle der Meerenge, „wo die altergrauen Schloͤſſer
ſich entgegen ſchauen“. Hinter dem europaͤiſchen erhebt
ſich ſteil eine weiße Felswand, in welcher eine kleine Grotte
fuͤr das Grab der Hekuba gilt. Die aſiatiſche Kuͤſte hin-
gegen iſt flach, und zeigt hinter dem Kaſtell, welches einſt
die Genueſer hier aufthuͤrmten, im Schatten maͤchtiger Pla-
tanen und umgeben von Gaͤrten und Weinbergen, ein Staͤdt-
chen, welches die Tuͤrken Tſchanak-Kaleſſi, das Scherben-
ſchloß nennen, wegen der vielen Toͤpfer, die dort arbeiten.
Dort reſidirt in einer beſcheidenen Wohnung der Boghar
Paſcha, zu welchem ich mich verfuͤgte, um die Briefe des
Seraskiers zu uͤbergeben und einige muͤndliche Auftraͤge aus-
zurichten. Er ließ mir ein kleines huͤbſches Haͤuschen am
Ufer einraͤumen, und nachdem ich die Forts und Batterien
beſichtigt, nahm ich den Plan der Dardanellenſtraße und
ihrer Ufer auf.

Was ich Dir von dem Ergebniß meines fuͤr mich ſehr
intereſſanten Auftrages mittheilen kann, iſt freilich nur das
Allgemeinſte und meiſt ſchon Bekannte.

An der Einfahrt zu den Dardanellen erheben ſich die
ſogenannten neuen Schloͤſſer, welche die Tuͤrken nach dem
Muſter der alten erbaut. Das europaͤiſche heißt Sed-il-

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[52/0062] chen ſie anziehend. Von jenem ſeltſam ausſehenden Huͤgel (vielleicht von Menſchenhaͤnden aufgethuͤrmt) blickte Xerxes auf ſeine zahlloſen Schaaren, die er nach Griechenland fuͤhrte; jene Steintruͤmmer, welche die ganze flache Land- zunge uͤberdecken, waren einſt Abydos, und hier ſchwamm Leander von Europa nach Aſien, um Hero zu ſehen. Ein einziger unfoͤrmlicher Mauerreſt ſteht noch aufrecht auf dem Platz, den einſt die Stadt einnahm, aber es iſt ſchwer zu ſagen, was dieſe Ruine geweſen; dagegen iſt es ſehr wahr- ſcheinlich, daß eine Quelle ſuͤßen Waſſers, die noch heut auf dem flachen, vom Meer umgebenen Jſthmus in einem unterirdiſchen Gewoͤlbe ſprudelt, die Einwohner jener Stadt, vielleicht die ſchoͤne Hero ſelbſt, getraͤnkt hat. Die gewaltige Stroͤmung fuͤhrte uns ſchnell bis an die engſte Stelle der Meerenge, „wo die altergrauen Schloͤſſer ſich entgegen ſchauen“. Hinter dem europaͤiſchen erhebt ſich ſteil eine weiße Felswand, in welcher eine kleine Grotte fuͤr das Grab der Hekuba gilt. Die aſiatiſche Kuͤſte hin- gegen iſt flach, und zeigt hinter dem Kaſtell, welches einſt die Genueſer hier aufthuͤrmten, im Schatten maͤchtiger Pla- tanen und umgeben von Gaͤrten und Weinbergen, ein Staͤdt- chen, welches die Tuͤrken Tſchanak-Kaleſſi, das Scherben- ſchloß nennen, wegen der vielen Toͤpfer, die dort arbeiten. Dort reſidirt in einer beſcheidenen Wohnung der Boghar Paſcha, zu welchem ich mich verfuͤgte, um die Briefe des Seraskiers zu uͤbergeben und einige muͤndliche Auftraͤge aus- zurichten. Er ließ mir ein kleines huͤbſches Haͤuschen am Ufer einraͤumen, und nachdem ich die Forts und Batterien beſichtigt, nahm ich den Plan der Dardanellenſtraße und ihrer Ufer auf. Was ich Dir von dem Ergebniß meines fuͤr mich ſehr intereſſanten Auftrages mittheilen kann, iſt freilich nur das Allgemeinſte und meiſt ſchon Bekannte. An der Einfahrt zu den Dardanellen erheben ſich die ſogenannten neuen Schloͤſſer, welche die Tuͤrken nach dem Muſter der alten erbaut. Das europaͤiſche heißt Sed-il-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/62>, abgerufen am 02.05.2024.