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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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rend endlose Strecken fruchtbaren Bodens unter dem ge-
segnetsten Himmel eine Stunde vor den Thoren einer Stadt
von 800,000 Einwohnern unbebaut liegen.

Die äußern Glieder des einst so mächtigen Staats-
körpers sind abgestorben, das ganze Leben hat sich auf das
Herz zurückgezogen, und ein Aufruhr in den Straßen der
Hauptstadt kann das Leichengefolge der osmanischen Mo-
narchie werden. Die Zukunft wird zeigen, ob ein Staat
mitten in seinem Sturze einhalten und sich organisch er-
neuern kann, oder ob dem muhamedanisch-byzantinischen
Reiche, wie dem christlich-byzantinischen, das Schicksal be-
stimmt ist, an einer fiscalischen Verwaltung zu Grunde zu
gehen. Was aber die Ruhe Europa's bedroht, scheint we-
niger die Eroberung der Türkei durch eine fremde Macht
zu sein, als vielmehr die äußerste Schwäche dieses Reichs
und der Zusammensturz in seinem eigenen Jnnern.

11.
Die Dardanellen. -- Alexandra troas.

Den 2. April Abends verließ ich mit einem österrei-
chischen Dampfschiff Konstantinopel, und erblickte am fol-
genden Morgen die hohen schönen Gebirge der Jnsel Mar-
mara. Rechts zeigten sich die Berge von Rodosto mit Wein-
gärten und Dörfern. Bald traten die Küsten Europa's und
Asiens näher zusammen, und Gallipoli erschien auf schrof-
fen zerrissenen Klippen, mit einem alten Kastell und zahl-
losen Windmühlen am Ufer. Hier war es, wo die Türken
zuerst nach Europa übersetzten. Gegen Mittag tauchte das
Fort Nagara mit seinen weißen Mauern aus der hell-
blauen klaren Fluth des Hellespont empor.

Diese Meerenge ist bei weitem nicht so schön wie der
Bosphorus, die Ufer sind kahl und beträchtlich weiter ent-
fernt als dort, aber die geschichtlichen Erinnerungen ma-

rend endloſe Strecken fruchtbaren Bodens unter dem ge-
ſegnetſten Himmel eine Stunde vor den Thoren einer Stadt
von 800,000 Einwohnern unbebaut liegen.

Die aͤußern Glieder des einſt ſo maͤchtigen Staats-
koͤrpers ſind abgeſtorben, das ganze Leben hat ſich auf das
Herz zuruͤckgezogen, und ein Aufruhr in den Straßen der
Hauptſtadt kann das Leichengefolge der osmaniſchen Mo-
narchie werden. Die Zukunft wird zeigen, ob ein Staat
mitten in ſeinem Sturze einhalten und ſich organiſch er-
neuern kann, oder ob dem muhamedaniſch-byzantiniſchen
Reiche, wie dem chriſtlich-byzantiniſchen, das Schickſal be-
ſtimmt iſt, an einer fiscaliſchen Verwaltung zu Grunde zu
gehen. Was aber die Ruhe Europa's bedroht, ſcheint we-
niger die Eroberung der Tuͤrkei durch eine fremde Macht
zu ſein, als vielmehr die aͤußerſte Schwaͤche dieſes Reichs
und der Zuſammenſturz in ſeinem eigenen Jnnern.

11.
Die Dardanellen. — Alexandra troas.

Den 2. April Abends verließ ich mit einem oͤſterrei-
chiſchen Dampfſchiff Konſtantinopel, und erblickte am fol-
genden Morgen die hohen ſchoͤnen Gebirge der Jnſel Mar-
mara. Rechts zeigten ſich die Berge von Rodoſto mit Wein-
gaͤrten und Doͤrfern. Bald traten die Kuͤſten Europa's und
Aſiens naͤher zuſammen, und Gallipoli erſchien auf ſchrof-
fen zerriſſenen Klippen, mit einem alten Kaſtell und zahl-
loſen Windmuͤhlen am Ufer. Hier war es, wo die Tuͤrken
zuerſt nach Europa uͤberſetzten. Gegen Mittag tauchte das
Fort Nagara mit ſeinen weißen Mauern aus der hell-
blauen klaren Fluth des Helleſpont empor.

Dieſe Meerenge iſt bei weitem nicht ſo ſchoͤn wie der
Bosphorus, die Ufer ſind kahl und betraͤchtlich weiter ent-
fernt als dort, aber die geſchichtlichen Erinnerungen ma-

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[51/0061] rend endloſe Strecken fruchtbaren Bodens unter dem ge- ſegnetſten Himmel eine Stunde vor den Thoren einer Stadt von 800,000 Einwohnern unbebaut liegen. Die aͤußern Glieder des einſt ſo maͤchtigen Staats- koͤrpers ſind abgeſtorben, das ganze Leben hat ſich auf das Herz zuruͤckgezogen, und ein Aufruhr in den Straßen der Hauptſtadt kann das Leichengefolge der osmaniſchen Mo- narchie werden. Die Zukunft wird zeigen, ob ein Staat mitten in ſeinem Sturze einhalten und ſich organiſch er- neuern kann, oder ob dem muhamedaniſch-byzantiniſchen Reiche, wie dem chriſtlich-byzantiniſchen, das Schickſal be- ſtimmt iſt, an einer fiscaliſchen Verwaltung zu Grunde zu gehen. Was aber die Ruhe Europa's bedroht, ſcheint we- niger die Eroberung der Tuͤrkei durch eine fremde Macht zu ſein, als vielmehr die aͤußerſte Schwaͤche dieſes Reichs und der Zuſammenſturz in ſeinem eigenen Jnnern. 11. Die Dardanellen. — Alexandra troas. Pera, den 13. April 1836. Den 2. April Abends verließ ich mit einem oͤſterrei- chiſchen Dampfſchiff Konſtantinopel, und erblickte am fol- genden Morgen die hohen ſchoͤnen Gebirge der Jnſel Mar- mara. Rechts zeigten ſich die Berge von Rodoſto mit Wein- gaͤrten und Doͤrfern. Bald traten die Kuͤſten Europa's und Aſiens naͤher zuſammen, und Gallipoli erſchien auf ſchrof- fen zerriſſenen Klippen, mit einem alten Kaſtell und zahl- loſen Windmuͤhlen am Ufer. Hier war es, wo die Tuͤrken zuerſt nach Europa uͤberſetzten. Gegen Mittag tauchte das Fort Nagara mit ſeinen weißen Mauern aus der hell- blauen klaren Fluth des Helleſpont empor. Dieſe Meerenge iſt bei weitem nicht ſo ſchoͤn wie der Bosphorus, die Ufer ſind kahl und betraͤchtlich weiter ent- fernt als dort, aber die geſchichtlichen Erinnerungen ma-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/61>, abgerufen am 05.12.2024.