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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ein Vorwerk anlegen. Nirgends giebt es mehr Vorliebe
für Schmuck als hier, und die Juwelen, welche in reichen
Familien selbst Kinder von wenig Jahren tragen, sind ein
glänzender Beweis für die Armuth des Landes.

Wenn es eine der ersten Bedingungen jeder Regierung
ist, Vertrauen zu erwecken, so läßt die türkische Verwal-
tung diese Aufgabe völlig ungelös't. Jhr Verfahren gegen
die Griechen, die ungerechte und grausame Verfolgung der
Armenier, dieser treuen und reichen Unterthanen der Pforte,
und so viele andere gewaltsame Maaßregeln sind in zu fri-
schem Andenken, als daß Jemand sein Kapital auf eine
Weise anlegen sollte, die erst mit der Zeit rentirt. Jn
einem Lande, wo dem Gewerbfleiß das Element fehlt, in
welchem er gedeiht, kann auch der Handel größtentheils
nur ein Austausch fremder Fabrikate gegen einheimische
rohe Stoffe sein. Auch giebt der Türke zehn Oka seiner
rohen Seide für eine Oka verarbeiteten Zeuges hin, von
dem der Stoff auf seinem eigenen Boden erzeugt wird.

Noch übler sieht es mit dem Ackerbau aus. Man
hört in Konstantinopel oftmals klagen, daß seit der Aus-
rottung der Janitscharen die Preise der Lebensbedürfnisse
um das Vierfache gestiegen sind, als ob der Himmel diese
Strafe über die Vertilger der Streiter des Jslam verhängt
hätte. Die Thatsache ist richtig, aber der Grund offenbar
der, daß seit jener Zeit die Moldau, die Wallachei und
Egypten, diese großen Kornkammern der Hauptstadt, ge-
schlossen sind, während sie früher gezwungen waren, die
Hälfte ihrer Erndten in den Bosphorus zu führen. Jm
Jnlande will sich Niemand mit dem Getreidebau im Gro-
ßen beschäftigen, weil die Regierung ihre Ankäufe zu Prei-
sen macht, welche sie selbst festsetzt. Die Zwangkäufe der
Regierung sind ein größeres Uebel für das Land, als Feuers-
brünste und Pest zusammen. Sie untergraben nicht allein
den Wohlstand, sondern sie machen auch die Quellen ver-
siegen, aus welchen er fließt. Und so geschieht es denn,
daß die Regierung ihr Korn aus Odessa kaufen muß, wäh-

ein Vorwerk anlegen. Nirgends giebt es mehr Vorliebe
fuͤr Schmuck als hier, und die Juwelen, welche in reichen
Familien ſelbſt Kinder von wenig Jahren tragen, ſind ein
glaͤnzender Beweis fuͤr die Armuth des Landes.

Wenn es eine der erſten Bedingungen jeder Regierung
iſt, Vertrauen zu erwecken, ſo laͤßt die tuͤrkiſche Verwal-
tung dieſe Aufgabe voͤllig ungeloͤſ't. Jhr Verfahren gegen
die Griechen, die ungerechte und grauſame Verfolgung der
Armenier, dieſer treuen und reichen Unterthanen der Pforte,
und ſo viele andere gewaltſame Maaßregeln ſind in zu fri-
ſchem Andenken, als daß Jemand ſein Kapital auf eine
Weiſe anlegen ſollte, die erſt mit der Zeit rentirt. Jn
einem Lande, wo dem Gewerbfleiß das Element fehlt, in
welchem er gedeiht, kann auch der Handel groͤßtentheils
nur ein Austauſch fremder Fabrikate gegen einheimiſche
rohe Stoffe ſein. Auch giebt der Tuͤrke zehn Oka ſeiner
rohen Seide fuͤr eine Oka verarbeiteten Zeuges hin, von
dem der Stoff auf ſeinem eigenen Boden erzeugt wird.

Noch uͤbler ſieht es mit dem Ackerbau aus. Man
hoͤrt in Konſtantinopel oftmals klagen, daß ſeit der Aus-
rottung der Janitſcharen die Preiſe der Lebensbeduͤrfniſſe
um das Vierfache geſtiegen ſind, als ob der Himmel dieſe
Strafe uͤber die Vertilger der Streiter des Jslam verhaͤngt
haͤtte. Die Thatſache iſt richtig, aber der Grund offenbar
der, daß ſeit jener Zeit die Moldau, die Wallachei und
Egypten, dieſe großen Kornkammern der Hauptſtadt, ge-
ſchloſſen ſind, waͤhrend ſie fruͤher gezwungen waren, die
Haͤlfte ihrer Erndten in den Bosphorus zu fuͤhren. Jm
Jnlande will ſich Niemand mit dem Getreidebau im Gro-
ßen beſchaͤftigen, weil die Regierung ihre Ankaͤufe zu Prei-
ſen macht, welche ſie ſelbſt feſtſetzt. Die Zwangkaͤufe der
Regierung ſind ein groͤßeres Uebel fuͤr das Land, als Feuers-
bruͤnſte und Peſt zuſammen. Sie untergraben nicht allein
den Wohlſtand, ſondern ſie machen auch die Quellen ver-
ſiegen, aus welchen er fließt. Und ſo geſchieht es denn,
daß die Regierung ihr Korn aus Odeſſa kaufen muß, waͤh-

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[50/0060] ein Vorwerk anlegen. Nirgends giebt es mehr Vorliebe fuͤr Schmuck als hier, und die Juwelen, welche in reichen Familien ſelbſt Kinder von wenig Jahren tragen, ſind ein glaͤnzender Beweis fuͤr die Armuth des Landes. Wenn es eine der erſten Bedingungen jeder Regierung iſt, Vertrauen zu erwecken, ſo laͤßt die tuͤrkiſche Verwal- tung dieſe Aufgabe voͤllig ungeloͤſ't. Jhr Verfahren gegen die Griechen, die ungerechte und grauſame Verfolgung der Armenier, dieſer treuen und reichen Unterthanen der Pforte, und ſo viele andere gewaltſame Maaßregeln ſind in zu fri- ſchem Andenken, als daß Jemand ſein Kapital auf eine Weiſe anlegen ſollte, die erſt mit der Zeit rentirt. Jn einem Lande, wo dem Gewerbfleiß das Element fehlt, in welchem er gedeiht, kann auch der Handel groͤßtentheils nur ein Austauſch fremder Fabrikate gegen einheimiſche rohe Stoffe ſein. Auch giebt der Tuͤrke zehn Oka ſeiner rohen Seide fuͤr eine Oka verarbeiteten Zeuges hin, von dem der Stoff auf ſeinem eigenen Boden erzeugt wird. Noch uͤbler ſieht es mit dem Ackerbau aus. Man hoͤrt in Konſtantinopel oftmals klagen, daß ſeit der Aus- rottung der Janitſcharen die Preiſe der Lebensbeduͤrfniſſe um das Vierfache geſtiegen ſind, als ob der Himmel dieſe Strafe uͤber die Vertilger der Streiter des Jslam verhaͤngt haͤtte. Die Thatſache iſt richtig, aber der Grund offenbar der, daß ſeit jener Zeit die Moldau, die Wallachei und Egypten, dieſe großen Kornkammern der Hauptſtadt, ge- ſchloſſen ſind, waͤhrend ſie fruͤher gezwungen waren, die Haͤlfte ihrer Erndten in den Bosphorus zu fuͤhren. Jm Jnlande will ſich Niemand mit dem Getreidebau im Gro- ßen beſchaͤftigen, weil die Regierung ihre Ankaͤufe zu Prei- ſen macht, welche ſie ſelbſt feſtſetzt. Die Zwangkaͤufe der Regierung ſind ein groͤßeres Uebel fuͤr das Land, als Feuers- bruͤnſte und Peſt zuſammen. Sie untergraben nicht allein den Wohlſtand, ſondern ſie machen auch die Quellen ver- ſiegen, aus welchen er fließt. Und ſo geſchieht es denn, daß die Regierung ihr Korn aus Odeſſa kaufen muß, waͤh-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/60>, abgerufen am 02.05.2024.