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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Terrasse des Gartens hinausschreitet. Es liegt, wie dies
oft hier vorkommt, quer über die Straße, welche dann
durch eine Reihe von Thorwegen hindurchzieht. So gut
nun auch nach hiesiger Art mein Wirth eingerichtet ist, so
befindet sich doch in der ganzen Wohnung nicht ein einziger
Ofen. Man setzt höchstens Kohlenbecken (Mangall) ins
Zimmer, die Leute sitzen auf ihren Beinen mit drei bis vier
Pelzen übereinander, und kümmern sich wenig, ob Thüren
und Fenster offen stehen. Jn meinem unglücklichen fränki-
schen Anzug komme ich dabei schlecht weg; mein Trost aber
ist der Tandur im Versammlungssaal.

Der Tandur ist ein Tisch, über welchen eine sehr große
gesteppte Decke gebreitet wird, so daß sie auf allen Seiten
bis zur Erde herab hängt. Darunter steht ein Kohlen-
becken und ein niedriger Divan umgiebt den Tandur. Wenn
man die Beine unter diesen Tisch steckt und den Teppich
bis an die Nase hinaufzieht, so kann man es schon aus-
halten. Die ganze Familie drängt sich hier zusammen, es
wird geplaudert, Escarte, Domino oder Tricktrack gespielt,
Einige rauchen, Andere schlafen, die Mehrsten thun gar
nichts und Jeder macht, was ihm beliebt. So sitzen wir
zuweilen bis 2 Uhr Morgens beisammen. Bei dieser gänz-
lichen Ungezwungenheit herrscht doch unter den Armeniern
eine strenge Etikette in der Familie selbst. Wenn der Va-
ter eintritt, so erheben sich die Söhne, welche selbst schon
Männer von funfzig Jahren sind. Eben so vor der Mut-
ter. Der jüngere Bruder raucht nicht eher, als bis der
ältere ihn dazu einladet. Die Frauen stehen aber vor jedem
Mann auf.

So oft ein neuer Gast eintritt, wird Kaffee getrun-
ken, und das geschieht wohl zwanzigmal an einem Tage.
Zwischendurch wird Eingemachtes herumgereicht. Jeder
nimmt einen Löffel voll und trinkt ein Glas Wasser nach.
Dabei ist Gebrauch, Jedem, der getrunken, afiet ler olsum
-- "wohl bekomm' es" -- zu sagen und eine Bewegung
mit der Hand an Brust und Stirn zu machen.

Terraſſe des Gartens hinausſchreitet. Es liegt, wie dies
oft hier vorkommt, quer uͤber die Straße, welche dann
durch eine Reihe von Thorwegen hindurchzieht. So gut
nun auch nach hieſiger Art mein Wirth eingerichtet iſt, ſo
befindet ſich doch in der ganzen Wohnung nicht ein einziger
Ofen. Man ſetzt hoͤchſtens Kohlenbecken (Mangall) ins
Zimmer, die Leute ſitzen auf ihren Beinen mit drei bis vier
Pelzen uͤbereinander, und kuͤmmern ſich wenig, ob Thuͤren
und Fenſter offen ſtehen. Jn meinem ungluͤcklichen fraͤnki-
ſchen Anzug komme ich dabei ſchlecht weg; mein Troſt aber
iſt der Tandur im Verſammlungsſaal.

Der Tandur iſt ein Tiſch, uͤber welchen eine ſehr große
geſteppte Decke gebreitet wird, ſo daß ſie auf allen Seiten
bis zur Erde herab haͤngt. Darunter ſteht ein Kohlen-
becken und ein niedriger Divan umgiebt den Tandur. Wenn
man die Beine unter dieſen Tiſch ſteckt und den Teppich
bis an die Naſe hinaufzieht, ſo kann man es ſchon aus-
halten. Die ganze Familie draͤngt ſich hier zuſammen, es
wird geplaudert, Escarté, Domino oder Tricktrack geſpielt,
Einige rauchen, Andere ſchlafen, die Mehrſten thun gar
nichts und Jeder macht, was ihm beliebt. So ſitzen wir
zuweilen bis 2 Uhr Morgens beiſammen. Bei dieſer gaͤnz-
lichen Ungezwungenheit herrſcht doch unter den Armeniern
eine ſtrenge Etikette in der Familie ſelbſt. Wenn der Va-
ter eintritt, ſo erheben ſich die Soͤhne, welche ſelbſt ſchon
Maͤnner von funfzig Jahren ſind. Eben ſo vor der Mut-
ter. Der juͤngere Bruder raucht nicht eher, als bis der
aͤltere ihn dazu einladet. Die Frauen ſtehen aber vor jedem
Mann auf.

So oft ein neuer Gaſt eintritt, wird Kaffee getrun-
ken, und das geſchieht wohl zwanzigmal an einem Tage.
Zwiſchendurch wird Eingemachtes herumgereicht. Jeder
nimmt einen Loͤffel voll und trinkt ein Glas Waſſer nach.
Dabei iſt Gebrauch, Jedem, der getrunken, afiet ler olsum
— „wohl bekomm' es“ — zu ſagen und eine Bewegung
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[39/0049] Terraſſe des Gartens hinausſchreitet. Es liegt, wie dies oft hier vorkommt, quer uͤber die Straße, welche dann durch eine Reihe von Thorwegen hindurchzieht. So gut nun auch nach hieſiger Art mein Wirth eingerichtet iſt, ſo befindet ſich doch in der ganzen Wohnung nicht ein einziger Ofen. Man ſetzt hoͤchſtens Kohlenbecken (Mangall) ins Zimmer, die Leute ſitzen auf ihren Beinen mit drei bis vier Pelzen uͤbereinander, und kuͤmmern ſich wenig, ob Thuͤren und Fenſter offen ſtehen. Jn meinem ungluͤcklichen fraͤnki- ſchen Anzug komme ich dabei ſchlecht weg; mein Troſt aber iſt der Tandur im Verſammlungsſaal. Der Tandur iſt ein Tiſch, uͤber welchen eine ſehr große geſteppte Decke gebreitet wird, ſo daß ſie auf allen Seiten bis zur Erde herab haͤngt. Darunter ſteht ein Kohlen- becken und ein niedriger Divan umgiebt den Tandur. Wenn man die Beine unter dieſen Tiſch ſteckt und den Teppich bis an die Naſe hinaufzieht, ſo kann man es ſchon aus- halten. Die ganze Familie draͤngt ſich hier zuſammen, es wird geplaudert, Escarté, Domino oder Tricktrack geſpielt, Einige rauchen, Andere ſchlafen, die Mehrſten thun gar nichts und Jeder macht, was ihm beliebt. So ſitzen wir zuweilen bis 2 Uhr Morgens beiſammen. Bei dieſer gaͤnz- lichen Ungezwungenheit herrſcht doch unter den Armeniern eine ſtrenge Etikette in der Familie ſelbſt. Wenn der Va- ter eintritt, ſo erheben ſich die Soͤhne, welche ſelbſt ſchon Maͤnner von funfzig Jahren ſind. Eben ſo vor der Mut- ter. Der juͤngere Bruder raucht nicht eher, als bis der aͤltere ihn dazu einladet. Die Frauen ſtehen aber vor jedem Mann auf. So oft ein neuer Gaſt eintritt, wird Kaffee getrun- ken, und das geſchieht wohl zwanzigmal an einem Tage. Zwiſchendurch wird Eingemachtes herumgereicht. Jeder nimmt einen Loͤffel voll und trinkt ein Glas Waſſer nach. Dabei iſt Gebrauch, Jedem, der getrunken, afiet ler olsum — „wohl bekomm' es“ — zu ſagen und eine Bewegung mit der Hand an Bruſt und Stirn zu machen.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/49>, abgerufen am 24.04.2024.