Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

chen wirklich kaum Menschen; die Stirn ist eingedrückt,
Nase und Oberlippe bilden fast eine Linie, der starke Mund
tritt weit über die Nasenspitze vor, das Kinn zurück. Es
ist der Uebergang zur thierischen Gesichtsbildung. Der
ganze Anzug dieser Damen bestand in einem Stück Sack-
leinwand, dennoch fehlte der Putz nicht, denn blaue Glas-
ringe umgaben die Knöchel und Handgelenke, und das Ge-
sicht war durch tiefe Einschnitte in die Haut verschönert.
Sie drängten sich um mich und riefen aus rauher Kehle
mit großer Lebhaftigkeit unverständliche Worte. Ein alter
Türke, ihr Führer, bedeutete mich, daß sie fragten, ob ich
eine von ihnen kaufen wollte. Eine solche Sclavin kostet
durchschnittlich 150 Gulden, d. h. etwas weniger als ein
Maulthier. Auf dem Sclavenmarkt zu Konstantinopel habe
ich die weißen Sclavinnen nicht sehen dürfen, von schwar-
zen saß eine große Zahl im Hofe. Sie warfen sich mit
Gier über das Backwerk, welches wir unter sie vertheil-
ten, und alle wollten gekauft sein.

Aber nichts ist bezeichnender für das Verhältniß der
Frauen im Orient, als daß der Prophet selbst ihnen nach
diesem Leben gar keine Stellung anzuweisen wußte. Die
Huris im Paradiese sind nämlich keinesweges die dort wie-
dererstandenen Frauen der Erde, und was nach dem Tode
einmal aus diesen wird, weiß kein Mensch. Da sind nun
meine hübschen Armenierinnen besser daran.

9.
Armenisches Familienleben. -- Spaziergang am
Bosphorus.

Das Haus, in welchem ich hier wohne, ist sehr groß
und ausgedehnt, sein Fuß wird von den Wellen des Bos-
phorus bespült, die Rückseite aber steigt an der hohen Berg-
wand empor, so daß man aus dem dritten Stock auf die

chen wirklich kaum Menſchen; die Stirn iſt eingedruͤckt,
Naſe und Oberlippe bilden faſt eine Linie, der ſtarke Mund
tritt weit uͤber die Naſenſpitze vor, das Kinn zuruͤck. Es
iſt der Uebergang zur thieriſchen Geſichtsbildung. Der
ganze Anzug dieſer Damen beſtand in einem Stuͤck Sack-
leinwand, dennoch fehlte der Putz nicht, denn blaue Glas-
ringe umgaben die Knoͤchel und Handgelenke, und das Ge-
ſicht war durch tiefe Einſchnitte in die Haut verſchoͤnert.
Sie draͤngten ſich um mich und riefen aus rauher Kehle
mit großer Lebhaftigkeit unverſtaͤndliche Worte. Ein alter
Tuͤrke, ihr Fuͤhrer, bedeutete mich, daß ſie fragten, ob ich
eine von ihnen kaufen wollte. Eine ſolche Sclavin koſtet
durchſchnittlich 150 Gulden, d. h. etwas weniger als ein
Maulthier. Auf dem Sclavenmarkt zu Konſtantinopel habe
ich die weißen Sclavinnen nicht ſehen duͤrfen, von ſchwar-
zen ſaß eine große Zahl im Hofe. Sie warfen ſich mit
Gier uͤber das Backwerk, welches wir unter ſie vertheil-
ten, und alle wollten gekauft ſein.

Aber nichts iſt bezeichnender fuͤr das Verhaͤltniß der
Frauen im Orient, als daß der Prophet ſelbſt ihnen nach
dieſem Leben gar keine Stellung anzuweiſen wußte. Die
Huris im Paradieſe ſind naͤmlich keinesweges die dort wie-
dererſtandenen Frauen der Erde, und was nach dem Tode
einmal aus dieſen wird, weiß kein Menſch. Da ſind nun
meine huͤbſchen Armenierinnen beſſer daran.

9.
Armeniſches Familienleben. — Spaziergang am
Bosphorus.

Das Haus, in welchem ich hier wohne, iſt ſehr groß
und ausgedehnt, ſein Fuß wird von den Wellen des Bos-
phorus beſpuͤlt, die Ruͤckſeite aber ſteigt an der hohen Berg-
wand empor, ſo daß man aus dem dritten Stock auf die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="38"/>
chen wirklich kaum Men&#x017F;chen; die Stirn i&#x017F;t eingedru&#x0364;ckt,<lb/>
Na&#x017F;e und Oberlippe bilden fa&#x017F;t eine Linie, der &#x017F;tarke Mund<lb/>
tritt weit u&#x0364;ber die Na&#x017F;en&#x017F;pitze vor, das Kinn zuru&#x0364;ck. Es<lb/>
i&#x017F;t der Uebergang zur thieri&#x017F;chen Ge&#x017F;ichtsbildung. Der<lb/>
ganze Anzug die&#x017F;er Damen be&#x017F;tand in einem Stu&#x0364;ck Sack-<lb/>
leinwand, dennoch fehlte der Putz nicht, denn blaue Glas-<lb/>
ringe umgaben die Kno&#x0364;chel und Handgelenke, und das Ge-<lb/>
&#x017F;icht war durch tiefe Ein&#x017F;chnitte in die Haut ver&#x017F;cho&#x0364;nert.<lb/>
Sie dra&#x0364;ngten &#x017F;ich um mich und riefen aus rauher Kehle<lb/>
mit großer Lebhaftigkeit unver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Worte. Ein alter<lb/>
Tu&#x0364;rke, ihr Fu&#x0364;hrer, bedeutete mich, daß &#x017F;ie fragten, ob ich<lb/>
eine von ihnen kaufen wollte. Eine &#x017F;olche Sclavin ko&#x017F;tet<lb/>
durch&#x017F;chnittlich 150 Gulden, d. h. etwas weniger als ein<lb/>
Maulthier. Auf dem Sclavenmarkt zu Kon&#x017F;tantinopel habe<lb/>
ich die weißen Sclavinnen nicht &#x017F;ehen du&#x0364;rfen, von &#x017F;chwar-<lb/>
zen &#x017F;aß eine große Zahl im Hofe. Sie warfen &#x017F;ich mit<lb/>
Gier u&#x0364;ber das Backwerk, welches wir unter &#x017F;ie vertheil-<lb/>
ten, und alle wollten gekauft &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Aber nichts i&#x017F;t bezeichnender fu&#x0364;r das Verha&#x0364;ltniß der<lb/>
Frauen im Orient, als daß der Prophet &#x017F;elb&#x017F;t ihnen nach<lb/>
die&#x017F;em Leben gar keine Stellung anzuwei&#x017F;en wußte. Die<lb/>
Huris im Paradie&#x017F;e &#x017F;ind na&#x0364;mlich keinesweges die dort wie-<lb/>
derer&#x017F;tandenen Frauen der Erde, und was nach dem Tode<lb/>
einmal aus die&#x017F;en wird, weiß kein Men&#x017F;ch. Da &#x017F;ind nun<lb/>
meine hu&#x0364;b&#x017F;chen Armenierinnen be&#x017F;&#x017F;er daran.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>9.<lb/><hi rendition="#b">Armeni&#x017F;ches Familienleben. &#x2014; Spaziergang am<lb/>
Bosphorus.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#et">Arnaut-Kjo&#x0364;i, den 12. Februar 1836.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Das Haus, in welchem ich hier wohne, i&#x017F;t &#x017F;ehr groß<lb/>
und ausgedehnt, &#x017F;ein Fuß wird von den Wellen des Bos-<lb/>
phorus be&#x017F;pu&#x0364;lt, die Ru&#x0364;ck&#x017F;eite aber &#x017F;teigt an der hohen Berg-<lb/>
wand empor, &#x017F;o daß man aus dem dritten Stock auf die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0048] chen wirklich kaum Menſchen; die Stirn iſt eingedruͤckt, Naſe und Oberlippe bilden faſt eine Linie, der ſtarke Mund tritt weit uͤber die Naſenſpitze vor, das Kinn zuruͤck. Es iſt der Uebergang zur thieriſchen Geſichtsbildung. Der ganze Anzug dieſer Damen beſtand in einem Stuͤck Sack- leinwand, dennoch fehlte der Putz nicht, denn blaue Glas- ringe umgaben die Knoͤchel und Handgelenke, und das Ge- ſicht war durch tiefe Einſchnitte in die Haut verſchoͤnert. Sie draͤngten ſich um mich und riefen aus rauher Kehle mit großer Lebhaftigkeit unverſtaͤndliche Worte. Ein alter Tuͤrke, ihr Fuͤhrer, bedeutete mich, daß ſie fragten, ob ich eine von ihnen kaufen wollte. Eine ſolche Sclavin koſtet durchſchnittlich 150 Gulden, d. h. etwas weniger als ein Maulthier. Auf dem Sclavenmarkt zu Konſtantinopel habe ich die weißen Sclavinnen nicht ſehen duͤrfen, von ſchwar- zen ſaß eine große Zahl im Hofe. Sie warfen ſich mit Gier uͤber das Backwerk, welches wir unter ſie vertheil- ten, und alle wollten gekauft ſein. Aber nichts iſt bezeichnender fuͤr das Verhaͤltniß der Frauen im Orient, als daß der Prophet ſelbſt ihnen nach dieſem Leben gar keine Stellung anzuweiſen wußte. Die Huris im Paradieſe ſind naͤmlich keinesweges die dort wie- dererſtandenen Frauen der Erde, und was nach dem Tode einmal aus dieſen wird, weiß kein Menſch. Da ſind nun meine huͤbſchen Armenierinnen beſſer daran. 9. Armeniſches Familienleben. — Spaziergang am Bosphorus. Arnaut-Kjoͤi, den 12. Februar 1836. Das Haus, in welchem ich hier wohne, iſt ſehr groß und ausgedehnt, ſein Fuß wird von den Wellen des Bos- phorus beſpuͤlt, die Ruͤckſeite aber ſteigt an der hohen Berg- wand empor, ſo daß man aus dem dritten Stock auf die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/48
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/48>, abgerufen am 22.11.2024.