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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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nung, in welcher der Türke die materielle Gewalt über das
schwächere Geschlecht übt.

Die Ehe ist im Orient rein sinnlicher Natur, und der
Türke geht über das ganze "Brimborium" von Verliebt-
sein, Hofmachen, Schmachten und Ueberglücklichsein als eben
so viele faux frais hinweg zur Sache. Die Heiraths-An-
gelegenheit wird durch die Verwandten abgemacht, und der
Vater der Braut bekömmt viel öfter eine Entschädigung
für den Verlust eines weiblichen Dienstboten aus seiner
Wirthschaft, als daß er der Tochter eine Aussteuer mit-
gäbe. Der Tag, an welchem die Neuvermählte verschleiert
in die Wohnung ihres Gemahls tritt, ist der erste, wo die-
ser sie erblickt, und der letzte, an welchem ihre nächsten
männlichen Verwandten, ihre Brüder selbst, sie sehen. Nur
der Vater darf ihr Harem noch betreten, und übt auch
später immer eine gewisse Gewalt über sie. -- "Harem"
heißt wörtlich Heiligthum, und die Vorhöfe der Mo-
scheen tragen denselben Namen.

Diese Art, die Ehen zu schließen, bedingt schon an
sich die Leichtigkeit, sie wieder zu lösen; ein vorhergesehener
Fall, für den die Rückzahlung des etwanigen Heirathsgutes
und eine Geldentschädigung gleich bei der Hochzeit festgesetzt
wird. Uebrigens ist der Musulman des Spruchs aus dem
Koran eingedenk: "Wisset, ihr Männer, daß das Weib
aus der Rippe, d. h. aus dem krummen Bein geschaffen.
Wollt ihr ein krummes Bein grade biegen, so bricht es.
Jhr Gläubigen, habt Geduld mit den Weibern!"

Obschon das Gesetz den Rechtgläubigen vier Frauen
erlaubt, so giebt es doch nur sehr wenige Türken, die reich
genug wären, um mehr als eine zu heirathen. So viele
Frauen, so viele besondere Haushaltungen und Wirthschaf-
ten muß er haben, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß
zwei Frauen in einem Konak sich durchaus nicht vertragen.
Dagegen gestatten Gesetz und Sitte dem Moslem, so viele
Sclavinnen zu haben, wie er will. Nicht der mindeste
Makel haftet an der Geburt des Sohnes einer Sclavin;

nung, in welcher der Tuͤrke die materielle Gewalt uͤber das
ſchwaͤchere Geſchlecht uͤbt.

Die Ehe iſt im Orient rein ſinnlicher Natur, und der
Tuͤrke geht uͤber das ganze „Brimborium“ von Verliebt-
ſein, Hofmachen, Schmachten und Uebergluͤcklichſein als eben
ſo viele faux frais hinweg zur Sache. Die Heiraths-An-
gelegenheit wird durch die Verwandten abgemacht, und der
Vater der Braut bekoͤmmt viel oͤfter eine Entſchaͤdigung
fuͤr den Verluſt eines weiblichen Dienſtboten aus ſeiner
Wirthſchaft, als daß er der Tochter eine Ausſteuer mit-
gaͤbe. Der Tag, an welchem die Neuvermaͤhlte verſchleiert
in die Wohnung ihres Gemahls tritt, iſt der erſte, wo die-
ſer ſie erblickt, und der letzte, an welchem ihre naͤchſten
maͤnnlichen Verwandten, ihre Bruͤder ſelbſt, ſie ſehen. Nur
der Vater darf ihr Harem noch betreten, und uͤbt auch
ſpaͤter immer eine gewiſſe Gewalt uͤber ſie. — „Harem“
heißt woͤrtlich Heiligthum, und die Vorhoͤfe der Mo-
ſcheen tragen denſelben Namen.

Dieſe Art, die Ehen zu ſchließen, bedingt ſchon an
ſich die Leichtigkeit, ſie wieder zu loͤſen; ein vorhergeſehener
Fall, fuͤr den die Ruͤckzahlung des etwanigen Heirathsgutes
und eine Geldentſchaͤdigung gleich bei der Hochzeit feſtgeſetzt
wird. Uebrigens iſt der Muſulman des Spruchs aus dem
Koran eingedenk: „Wiſſet, ihr Maͤnner, daß das Weib
aus der Rippe, d. h. aus dem krummen Bein geſchaffen.
Wollt ihr ein krummes Bein grade biegen, ſo bricht es.
Jhr Glaͤubigen, habt Geduld mit den Weibern!“

Obſchon das Geſetz den Rechtglaͤubigen vier Frauen
erlaubt, ſo giebt es doch nur ſehr wenige Tuͤrken, die reich
genug waͤren, um mehr als eine zu heirathen. So viele
Frauen, ſo viele beſondere Haushaltungen und Wirthſchaf-
ten muß er haben, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß
zwei Frauen in einem Konak ſich durchaus nicht vertragen.
Dagegen geſtatten Geſetz und Sitte dem Moslem, ſo viele
Sclavinnen zu haben, wie er will. Nicht der mindeſte
Makel haftet an der Geburt des Sohnes einer Sclavin;

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[35/0045] nung, in welcher der Tuͤrke die materielle Gewalt uͤber das ſchwaͤchere Geſchlecht uͤbt. Die Ehe iſt im Orient rein ſinnlicher Natur, und der Tuͤrke geht uͤber das ganze „Brimborium“ von Verliebt- ſein, Hofmachen, Schmachten und Uebergluͤcklichſein als eben ſo viele faux frais hinweg zur Sache. Die Heiraths-An- gelegenheit wird durch die Verwandten abgemacht, und der Vater der Braut bekoͤmmt viel oͤfter eine Entſchaͤdigung fuͤr den Verluſt eines weiblichen Dienſtboten aus ſeiner Wirthſchaft, als daß er der Tochter eine Ausſteuer mit- gaͤbe. Der Tag, an welchem die Neuvermaͤhlte verſchleiert in die Wohnung ihres Gemahls tritt, iſt der erſte, wo die- ſer ſie erblickt, und der letzte, an welchem ihre naͤchſten maͤnnlichen Verwandten, ihre Bruͤder ſelbſt, ſie ſehen. Nur der Vater darf ihr Harem noch betreten, und uͤbt auch ſpaͤter immer eine gewiſſe Gewalt uͤber ſie. — „Harem“ heißt woͤrtlich Heiligthum, und die Vorhoͤfe der Mo- ſcheen tragen denſelben Namen. Dieſe Art, die Ehen zu ſchließen, bedingt ſchon an ſich die Leichtigkeit, ſie wieder zu loͤſen; ein vorhergeſehener Fall, fuͤr den die Ruͤckzahlung des etwanigen Heirathsgutes und eine Geldentſchaͤdigung gleich bei der Hochzeit feſtgeſetzt wird. Uebrigens iſt der Muſulman des Spruchs aus dem Koran eingedenk: „Wiſſet, ihr Maͤnner, daß das Weib aus der Rippe, d. h. aus dem krummen Bein geſchaffen. Wollt ihr ein krummes Bein grade biegen, ſo bricht es. Jhr Glaͤubigen, habt Geduld mit den Weibern!“ Obſchon das Geſetz den Rechtglaͤubigen vier Frauen erlaubt, ſo giebt es doch nur ſehr wenige Tuͤrken, die reich genug waͤren, um mehr als eine zu heirathen. So viele Frauen, ſo viele beſondere Haushaltungen und Wirthſchaf- ten muß er haben, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß zwei Frauen in einem Konak ſich durchaus nicht vertragen. Dagegen geſtatten Geſetz und Sitte dem Moslem, ſo viele Sclavinnen zu haben, wie er will. Nicht der mindeſte Makel haftet an der Geburt des Sohnes einer Sclavin;

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/45>, abgerufen am 29.03.2024.