Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

stigt werden, bräche aber ein Krieg aus, so wäre der öster-
reichische Handel hier vollkommen in der Gewalt der Rus-
sen; mit den Waffen sie dann aus ihrer Stellung zu ver-
treiben, würde schwer sein, denn die flache Küste verhindert
Kriegsschiffe, von der Seeseite nahe zu kommen, während
der Zugang zu Lande durch wegelose Moräste vertheidigt ist.

Nun bildet die Donau von Silistria abwärts einen
weiten Bogen gegen Norden; bei Czernawoda ist man nur
7 Meilen von Küstendsche am Schwarzen Meere entfernt,
man macht aber zu Schiffe einen Weg von 70 Meilen bis
zur Höhe von Küstendsche herum. Ueberdies erstreckt sich
von Czernawoda aus eine Seereihe, deren Thalsenkung sich
bis sehr nahe an Küstendsche heranzieht, und der Gedanke
lag daher nahe, hier einen Kanal durchzustechen. Jch habe
Dir in einem früheren Brief geschrieben, daß wir das Ter-
rain unter diesem Gesichtspunkte geprüft, und namentlich
der Hauptmann v. V. die Höhe hinter Küstendsche nivel-
lirt, daß diese Höhe zwar an sich nicht sehr bedeutend, aber
auf derselben durchaus kein Wasser zur Speisung eines Ka-
nals vorhanden sei. Dieser Kanal müßte daher bis zum
Niveau des Donauspiegels bei Czernawoda eingeschnitten
werden, was eine so unermeßliche Erdarbeit gäbe, daß das
Unternehmen als unmöglich anzunehmen ist. Selbst einer
Eisenbahn stehen nicht unbedeutende Schwierigkeiten entge-
gen; wollte man sich dagegen mit einer Chaussee begnügen,
so würde dieser Land-Transport wohl theurer zu stehen
kommen, als der Umweg zu Wasser; man verlöre noch au-
ßerdem die Verbindung mit Brailow und Gallatz, den De-
boucheen der Wallachei und der Moldau, deren Bedeutsam-
keit einen sichtlich schnellen Aufschwung nimmt; dazu kömmt,
daß das Wiedereinladen in Küstendsche seine großen Uebel-
stände haben würde. Der kleine, enge aber wohl beschützte
Hafen des Orts ist, nachdem die türkischen Schiffe seit
Jahrhunderten ihren Ballast hineingeworfen, fast ganz ver-
schüttet, die Rhede aber den Stürmen offen, Küstendsche
selbst ist von den Russen so gründlich zerstört, daß zwischen

ſtigt werden, braͤche aber ein Krieg aus, ſo waͤre der oͤſter-
reichiſche Handel hier vollkommen in der Gewalt der Ruſ-
ſen; mit den Waffen ſie dann aus ihrer Stellung zu ver-
treiben, wuͤrde ſchwer ſein, denn die flache Kuͤſte verhindert
Kriegsſchiffe, von der Seeſeite nahe zu kommen, waͤhrend
der Zugang zu Lande durch wegeloſe Moraͤſte vertheidigt iſt.

Nun bildet die Donau von Siliſtria abwaͤrts einen
weiten Bogen gegen Norden; bei Czernawoda iſt man nur
7 Meilen von Kuͤſtendſche am Schwarzen Meere entfernt,
man macht aber zu Schiffe einen Weg von 70 Meilen bis
zur Hoͤhe von Kuͤſtendſche herum. Ueberdies erſtreckt ſich
von Czernawoda aus eine Seereihe, deren Thalſenkung ſich
bis ſehr nahe an Kuͤſtendſche heranzieht, und der Gedanke
lag daher nahe, hier einen Kanal durchzuſtechen. Jch habe
Dir in einem fruͤheren Brief geſchrieben, daß wir das Ter-
rain unter dieſem Geſichtspunkte gepruͤft, und namentlich
der Hauptmann v. V. die Hoͤhe hinter Kuͤſtendſche nivel-
lirt, daß dieſe Hoͤhe zwar an ſich nicht ſehr bedeutend, aber
auf derſelben durchaus kein Waſſer zur Speiſung eines Ka-
nals vorhanden ſei. Dieſer Kanal muͤßte daher bis zum
Niveau des Donauſpiegels bei Czernawoda eingeſchnitten
werden, was eine ſo unermeßliche Erdarbeit gaͤbe, daß das
Unternehmen als unmoͤglich anzunehmen iſt. Selbſt einer
Eiſenbahn ſtehen nicht unbedeutende Schwierigkeiten entge-
gen; wollte man ſich dagegen mit einer Chauſſee begnuͤgen,
ſo wuͤrde dieſer Land-Transport wohl theurer zu ſtehen
kommen, als der Umweg zu Waſſer; man verloͤre noch au-
ßerdem die Verbindung mit Brailow und Gallatz, den De-
boucheen der Wallachei und der Moldau, deren Bedeutſam-
keit einen ſichtlich ſchnellen Aufſchwung nimmt; dazu koͤmmt,
daß das Wiedereinladen in Kuͤſtendſche ſeine großen Uebel-
ſtaͤnde haben wuͤrde. Der kleine, enge aber wohl beſchuͤtzte
Hafen des Orts iſt, nachdem die tuͤrkiſchen Schiffe ſeit
Jahrhunderten ihren Ballaſt hineingeworfen, faſt ganz ver-
ſchuͤttet, die Rhede aber den Stuͤrmen offen, Kuͤſtendſche
ſelbſt iſt von den Ruſſen ſo gruͤndlich zerſtoͤrt, daß zwiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0432" n="422"/>
&#x017F;tigt werden, bra&#x0364;che aber ein Krieg aus, &#x017F;o wa&#x0364;re der o&#x0364;&#x017F;ter-<lb/>
reichi&#x017F;che Handel hier vollkommen in der Gewalt der Ru&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en; mit den Waffen &#x017F;ie dann aus ihrer Stellung zu ver-<lb/>
treiben, wu&#x0364;rde &#x017F;chwer &#x017F;ein, denn die flache Ku&#x0364;&#x017F;te verhindert<lb/>
Kriegs&#x017F;chiffe, von der See&#x017F;eite nahe zu kommen, wa&#x0364;hrend<lb/>
der Zugang zu Lande durch wegelo&#x017F;e Mora&#x0364;&#x017F;te vertheidigt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Nun bildet die Donau von Sili&#x017F;tria abwa&#x0364;rts einen<lb/>
weiten Bogen gegen Norden; bei Czernawoda i&#x017F;t man nur<lb/>
7 Meilen von Ku&#x0364;&#x017F;tend&#x017F;che am Schwarzen Meere entfernt,<lb/>
man macht aber zu Schiffe einen Weg von 70 Meilen bis<lb/>
zur Ho&#x0364;he von Ku&#x0364;&#x017F;tend&#x017F;che herum. Ueberdies er&#x017F;treckt &#x017F;ich<lb/>
von Czernawoda aus eine Seereihe, deren Thal&#x017F;enkung &#x017F;ich<lb/>
bis &#x017F;ehr nahe an Ku&#x0364;&#x017F;tend&#x017F;che heranzieht, und der Gedanke<lb/>
lag daher nahe, hier einen Kanal durchzu&#x017F;techen. Jch habe<lb/>
Dir in einem fru&#x0364;heren Brief ge&#x017F;chrieben, daß wir das Ter-<lb/>
rain unter die&#x017F;em Ge&#x017F;ichtspunkte gepru&#x0364;ft, und namentlich<lb/>
der Hauptmann v. V. die Ho&#x0364;he hinter Ku&#x0364;&#x017F;tend&#x017F;che nivel-<lb/>
lirt, daß die&#x017F;e Ho&#x0364;he zwar an &#x017F;ich nicht &#x017F;ehr bedeutend, aber<lb/>
auf der&#x017F;elben durchaus kein Wa&#x017F;&#x017F;er zur Spei&#x017F;ung eines Ka-<lb/>
nals vorhanden &#x017F;ei. Die&#x017F;er Kanal mu&#x0364;ßte daher bis zum<lb/>
Niveau des Donau&#x017F;piegels bei Czernawoda einge&#x017F;chnitten<lb/>
werden, was eine &#x017F;o unermeßliche Erdarbeit ga&#x0364;be, daß das<lb/>
Unternehmen als unmo&#x0364;glich anzunehmen i&#x017F;t. Selb&#x017F;t einer<lb/>
Ei&#x017F;enbahn &#x017F;tehen nicht unbedeutende Schwierigkeiten entge-<lb/>
gen; wollte man &#x017F;ich dagegen mit einer Chau&#x017F;&#x017F;ee begnu&#x0364;gen,<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rde die&#x017F;er Land-Transport wohl theurer zu &#x017F;tehen<lb/>
kommen, als der Umweg zu Wa&#x017F;&#x017F;er; man verlo&#x0364;re noch au-<lb/>
ßerdem die Verbindung mit Brailow und Gallatz, den De-<lb/>
boucheen der Wallachei und der Moldau, deren Bedeut&#x017F;am-<lb/>
keit einen &#x017F;ichtlich &#x017F;chnellen Auf&#x017F;chwung nimmt; dazu ko&#x0364;mmt,<lb/>
daß das Wiedereinladen in Ku&#x0364;&#x017F;tend&#x017F;che &#x017F;eine großen Uebel-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde haben wu&#x0364;rde. Der kleine, enge aber wohl be&#x017F;chu&#x0364;tzte<lb/>
Hafen des Orts i&#x017F;t, nachdem die tu&#x0364;rki&#x017F;chen Schiffe &#x017F;eit<lb/>
Jahrhunderten ihren Balla&#x017F;t hineingeworfen, fa&#x017F;t ganz ver-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttet, die Rhede aber den Stu&#x0364;rmen offen, Ku&#x0364;&#x017F;tend&#x017F;che<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t von den Ru&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o gru&#x0364;ndlich zer&#x017F;to&#x0364;rt, daß zwi&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[422/0432] ſtigt werden, braͤche aber ein Krieg aus, ſo waͤre der oͤſter- reichiſche Handel hier vollkommen in der Gewalt der Ruſ- ſen; mit den Waffen ſie dann aus ihrer Stellung zu ver- treiben, wuͤrde ſchwer ſein, denn die flache Kuͤſte verhindert Kriegsſchiffe, von der Seeſeite nahe zu kommen, waͤhrend der Zugang zu Lande durch wegeloſe Moraͤſte vertheidigt iſt. Nun bildet die Donau von Siliſtria abwaͤrts einen weiten Bogen gegen Norden; bei Czernawoda iſt man nur 7 Meilen von Kuͤſtendſche am Schwarzen Meere entfernt, man macht aber zu Schiffe einen Weg von 70 Meilen bis zur Hoͤhe von Kuͤſtendſche herum. Ueberdies erſtreckt ſich von Czernawoda aus eine Seereihe, deren Thalſenkung ſich bis ſehr nahe an Kuͤſtendſche heranzieht, und der Gedanke lag daher nahe, hier einen Kanal durchzuſtechen. Jch habe Dir in einem fruͤheren Brief geſchrieben, daß wir das Ter- rain unter dieſem Geſichtspunkte gepruͤft, und namentlich der Hauptmann v. V. die Hoͤhe hinter Kuͤſtendſche nivel- lirt, daß dieſe Hoͤhe zwar an ſich nicht ſehr bedeutend, aber auf derſelben durchaus kein Waſſer zur Speiſung eines Ka- nals vorhanden ſei. Dieſer Kanal muͤßte daher bis zum Niveau des Donauſpiegels bei Czernawoda eingeſchnitten werden, was eine ſo unermeßliche Erdarbeit gaͤbe, daß das Unternehmen als unmoͤglich anzunehmen iſt. Selbſt einer Eiſenbahn ſtehen nicht unbedeutende Schwierigkeiten entge- gen; wollte man ſich dagegen mit einer Chauſſee begnuͤgen, ſo wuͤrde dieſer Land-Transport wohl theurer zu ſtehen kommen, als der Umweg zu Waſſer; man verloͤre noch au- ßerdem die Verbindung mit Brailow und Gallatz, den De- boucheen der Wallachei und der Moldau, deren Bedeutſam- keit einen ſichtlich ſchnellen Aufſchwung nimmt; dazu koͤmmt, daß das Wiedereinladen in Kuͤſtendſche ſeine großen Uebel- ſtaͤnde haben wuͤrde. Der kleine, enge aber wohl beſchuͤtzte Hafen des Orts iſt, nachdem die tuͤrkiſchen Schiffe ſeit Jahrhunderten ihren Ballaſt hineingeworfen, faſt ganz ver- ſchuͤttet, die Rhede aber den Stuͤrmen offen, Kuͤſtendſche ſelbſt iſt von den Ruſſen ſo gruͤndlich zerſtoͤrt, daß zwiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/432
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/432>, abgerufen am 05.05.2024.