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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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niedrige Delta, welches er angeschwemmt: südlich den Ge-
org- oder Kedrilleh-Boghas, nördlich den Kili-Boghas, in
der Mitte die Sulina, welche allein schiffbar ist. Die Su-
lina ist 150 bis 200 Schritte breit und bildet an ihrer
Mündung eine Sandbank, auf welcher wir nur zehntehalb
Fuß Wasser fanden; da nun die Dampfschiffe, welche die
See befahren, nicht wohl weniger als 8 Fuß tief gehen
können, so würde eine Verminderung von 1 bis 2 Fuß der
Wassertiefe das Einlaufen überhaupt ganz unmöglich ma-
chen. Nach der Wichtigkeit, welche die Donau-Dampf-
schifffahrt gewonnen, nachdem man aus dem Herzen Deutsch-
lands in directe Verbindung mit Trapezunt und Alexandria
getreten, wäre eine solche Unterbrechung allerdings ein Ge-
genstand von vieler Bedeutung. Es giebt aber noch einen
andern Grund, welcher den Wunsch rege gemacht hat, sich
einen neuen Ausweg in das Schwarze Meer zu öffnen.

Jm Frieden von Adrianopel wurde der nördliche Do-
nau-Arm den Russen, der südliche den Türken zugespro-
chen, das Land zwischen beiden aber, die großen Morastinseln
nämlich zu beiden Seiten der Sulina, sollten unbewohnt
bleiben. Wir fanden indeß die russischen Quarantaine-Cor-
dons bis an das nördliche Ufer der Sulina vorgeschoben,
und an der Mündung selbst auf dem südlichen Ufer eine
kleine russische Stadt, die gewiß schnell aufblühen und grö-
ßer werden wird, denn eine Menge Schiffe gehen hier vor
Anker. Von einem Leuchtthurm, dessen die öffentlichen Blät-
ter erwähnen, fanden wir keine Spur, wohl aber sahen
wir ein paar Kanonier-Schaluppen und einige Geschütze
am Ufer. Der russische Commandant des Postens hat meh-
rere Versuche gemacht, die österreichischen Dampfschiffe einer
Art Visitation zu unterwerfen, was diese jedoch stets ver-
weigert haben. Faktisch aber sind die Russen im Besitz der
Mündung dieser wichtigen Lebensader Deutschlands, wie
die Holländer leider so lange im Besitze der Rheinmün-
dung geblieben sind. So lange der Frieden in Europa
dauert, wird auch die Donau-Schifffahrt wohl nicht belä-

niedrige Delta, welches er angeſchwemmt: ſuͤdlich den Ge-
org- oder Kedrilleh-Boghas, noͤrdlich den Kili-Boghas, in
der Mitte die Sulina, welche allein ſchiffbar iſt. Die Su-
lina iſt 150 bis 200 Schritte breit und bildet an ihrer
Muͤndung eine Sandbank, auf welcher wir nur zehntehalb
Fuß Waſſer fanden; da nun die Dampfſchiffe, welche die
See befahren, nicht wohl weniger als 8 Fuß tief gehen
koͤnnen, ſo wuͤrde eine Verminderung von 1 bis 2 Fuß der
Waſſertiefe das Einlaufen uͤberhaupt ganz unmoͤglich ma-
chen. Nach der Wichtigkeit, welche die Donau-Dampf-
ſchifffahrt gewonnen, nachdem man aus dem Herzen Deutſch-
lands in directe Verbindung mit Trapezunt und Alexandria
getreten, waͤre eine ſolche Unterbrechung allerdings ein Ge-
genſtand von vieler Bedeutung. Es giebt aber noch einen
andern Grund, welcher den Wunſch rege gemacht hat, ſich
einen neuen Ausweg in das Schwarze Meer zu oͤffnen.

Jm Frieden von Adrianopel wurde der noͤrdliche Do-
nau-Arm den Ruſſen, der ſuͤdliche den Tuͤrken zugeſpro-
chen, das Land zwiſchen beiden aber, die großen Moraſtinſeln
naͤmlich zu beiden Seiten der Sulina, ſollten unbewohnt
bleiben. Wir fanden indeß die ruſſiſchen Quarantaine-Cor-
dons bis an das noͤrdliche Ufer der Sulina vorgeſchoben,
und an der Muͤndung ſelbſt auf dem ſuͤdlichen Ufer eine
kleine ruſſiſche Stadt, die gewiß ſchnell aufbluͤhen und groͤ-
ßer werden wird, denn eine Menge Schiffe gehen hier vor
Anker. Von einem Leuchtthurm, deſſen die oͤffentlichen Blaͤt-
ter erwaͤhnen, fanden wir keine Spur, wohl aber ſahen
wir ein paar Kanonier-Schaluppen und einige Geſchuͤtze
am Ufer. Der ruſſiſche Commandant des Poſtens hat meh-
rere Verſuche gemacht, die oͤſterreichiſchen Dampfſchiffe einer
Art Viſitation zu unterwerfen, was dieſe jedoch ſtets ver-
weigert haben. Faktiſch aber ſind die Ruſſen im Beſitz der
Muͤndung dieſer wichtigen Lebensader Deutſchlands, wie
die Hollaͤnder leider ſo lange im Beſitze der Rheinmuͤn-
dung geblieben ſind. So lange der Frieden in Europa
dauert, wird auch die Donau-Schifffahrt wohl nicht belaͤ-

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[421/0431] niedrige Delta, welches er angeſchwemmt: ſuͤdlich den Ge- org- oder Kedrilleh-Boghas, noͤrdlich den Kili-Boghas, in der Mitte die Sulina, welche allein ſchiffbar iſt. Die Su- lina iſt 150 bis 200 Schritte breit und bildet an ihrer Muͤndung eine Sandbank, auf welcher wir nur zehntehalb Fuß Waſſer fanden; da nun die Dampfſchiffe, welche die See befahren, nicht wohl weniger als 8 Fuß tief gehen koͤnnen, ſo wuͤrde eine Verminderung von 1 bis 2 Fuß der Waſſertiefe das Einlaufen uͤberhaupt ganz unmoͤglich ma- chen. Nach der Wichtigkeit, welche die Donau-Dampf- ſchifffahrt gewonnen, nachdem man aus dem Herzen Deutſch- lands in directe Verbindung mit Trapezunt und Alexandria getreten, waͤre eine ſolche Unterbrechung allerdings ein Ge- genſtand von vieler Bedeutung. Es giebt aber noch einen andern Grund, welcher den Wunſch rege gemacht hat, ſich einen neuen Ausweg in das Schwarze Meer zu oͤffnen. Jm Frieden von Adrianopel wurde der noͤrdliche Do- nau-Arm den Ruſſen, der ſuͤdliche den Tuͤrken zugeſpro- chen, das Land zwiſchen beiden aber, die großen Moraſtinſeln naͤmlich zu beiden Seiten der Sulina, ſollten unbewohnt bleiben. Wir fanden indeß die ruſſiſchen Quarantaine-Cor- dons bis an das noͤrdliche Ufer der Sulina vorgeſchoben, und an der Muͤndung ſelbſt auf dem ſuͤdlichen Ufer eine kleine ruſſiſche Stadt, die gewiß ſchnell aufbluͤhen und groͤ- ßer werden wird, denn eine Menge Schiffe gehen hier vor Anker. Von einem Leuchtthurm, deſſen die oͤffentlichen Blaͤt- ter erwaͤhnen, fanden wir keine Spur, wohl aber ſahen wir ein paar Kanonier-Schaluppen und einige Geſchuͤtze am Ufer. Der ruſſiſche Commandant des Poſtens hat meh- rere Verſuche gemacht, die oͤſterreichiſchen Dampfſchiffe einer Art Viſitation zu unterwerfen, was dieſe jedoch ſtets ver- weigert haben. Faktiſch aber ſind die Ruſſen im Beſitz der Muͤndung dieſer wichtigen Lebensader Deutſchlands, wie die Hollaͤnder leider ſo lange im Beſitze der Rheinmuͤn- dung geblieben ſind. So lange der Frieden in Europa dauert, wird auch die Donau-Schifffahrt wohl nicht belaͤ-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/431>, abgerufen am 26.11.2024.